Cover

Prolog

Immer wieder dachte ich über die schweren Folgen meines Verlustes nach und schloss letztendlich die Erkenntnis, dass ich voran schreiten muss, um aus den Fehlern meiner Vergangenheit zu lernen, um die Familien und Freunde meiner unschuldigen Opfer retten zu können. Das ist meine Art der Buße.

Ich werde alles daran setzen das Leid dieser Welt zu lindern und meine Schandtaten auszumerzen, um das Überleben der Menschheit vor den egoistischen, manipulierenden Göttern zu beschützen. Nicht noch einmal werde ich zulassen, dass jemand von den Göttern benutzt und weggeworfen wird, wie es ihnen beliebt, nur damit sie selbst keine Hand anlegen müssen. Doch dieses Spiel hat Hier und Jetzt ein Ende.

"Ich werde die Götter herausfordern."

Als ich diese Entscheidung gefällt habe, war mir bewusst, dass ich es nicht lebend rausschaffen würde. Doch werden sie, die großen Tyrannen der Welt, mit mir in das Vakuum des Nichts fallen, aus dem wir entstanden sind.

Lexikon

(wird noch mit Begrifflichkeiten gefüllt)

Mongos: Eine Kreatur, die sich der Finsternis verschrieben hat und für diesen mordet. Es ist eine große, beige Kreatur mit der dicksten Haut der Welt, die meist als Anführer einer Horde von Monstern die Gegend verwüsten und Menschen wahllos mit ihren riesigen Klauen und Zähne abschlachten. Die Größe eines Mongos gleicht einem Schiff, weshalb sie ganze Städte im Alleingang vernichten können.

Haxzuwesen / Haxzu: Kreaturen, die durch den Einfluss von einem starken magischen Wesen zu Monster mutiert wurden. Sie waren einst friedlebende Gazellen, doch nun gehorchen sie nur noch den starken magischen Wesen und überrennen alles, was ihnen im Weg ist. Durch die Verwandlung in Monster sind sie größer und breiter. Ihre langen Hörner glitzern silbern, da diese mit dem Gift des Mondhauches getränkt sind und dadurch den Menschen lähmen können. Das Gift kann in wenigen Minuten zu einem Herzstillstand führen.

Krias: Geisterwesen, die durchsichtig erscheinen und darum mit ihrer Umgebung eins werden können. Sie sind verstorbene Menschenseelen, die verbittert sind und nach Rache dürsten. Dabei können sie jedoch nicht von Freund und Feind unterscheiden und werden auch von magischen Wesen kontrolliert. Sie können Schatten und Trugbilder erzeugen und von Menschen Besitz ergreifen. Wenn ihre Trugbilder lang genug anhalten, können sie den Körper in Gänze übernehmen und ein ganzes Leben in dem falschen Körper verweilen, während die eigentliche Seele des Menschen selbst zu einem Geist wird.

Xzandos: Riesige schwarze Phönixe, die den Himmel vor langer Zeit beschützt haben, doch die Menschen seit geraumer Zeit den Rücken gekehrt haben und nun für die Dunkelheit Armeen anführt und bekehrt. 

Brombos: magische Wesen, die den Phönixen die Treue geschworen hatten und für sie in den Tod fliegen. Sind riesige meeresgrüne Hummeln, die wie Glühwürmchen bunt leuchten können, um damit verschiedene Magie zu wirken. Meistens geben sie wortwörtlich ihr Leben und explodieren um großen Schaden auf dem Schlachtfeld anzurichten.

Vorspann

Von Zeit zu Zeit kam mir der Gedanke, dass es schön wäre, jemanden an meiner Seite zu haben, der mir wichtig war. Das Gefühl, das mich dann umgäbe, würde mich endlich dazu bewegen von Innen nach Außen zu strahlen. Der Gedanke, den ich hegte, entpuppte sich als die größte Lüge, in der ich mich selbst tief in eine glitschige Schlucht aus Lügen und Verrat riss, dessen Regentropfen gänzlich aus dem Blut der Person bestand, die mein größter Schatz sein würde.

 

Es zerriss mich in tausend Stücke ihre blutverschmierte Leiche unter mir begraben in den Armen zu halten. Schluchzend hielt ich sie fest an mich gedrückt und spürte, wie die Kälte an mir hochkroch und mich wie seine Beute in einen weißen Schleier hüllte, der mir langsam die Sinne raubte. Während sich meine Glieder durch meinen tiefen Schmerz verzerrten, glitt etwas tief in mein Inneres, das mich baldig immerzu einholen würde.

Der Strom des Vergessens

In der Dunkelheit der Nacht starrte ich leer durch die kleine Luke auf dem staubigen, undichten Dachboden, der bereits durch den langandauernden Regen bis zu den Waden mit Wasser befüllt war. Obwohl ich wusste, dass ein hölzernes, schiefes Haus nicht der beste Zufluchtsort war, um mich vor den Monstern in der tiefsten Dunkelheit zu schützen, wartete ich hier seit Tagen auf den ersten Sonnenstrahl, der sich bestimmt nach der langen Regenphase über die Wildnis ausbreitete und meiner Seele Leben einhauchte.

Das Plätschern des Regens erfüllte mein Herz mit Schmerz und Frust, während ich mich selbst fragte, woher diese Gefühle stammten. Es war, als ob ich etwas Wichtiges vergessen hatte, an dass mich das Wetter erinnern wollte.

Mein Brustkorb schnürte sich zusammen, als wenn eine Eisenkugel mein Herz zerschmettert hätte und ein kleines Stück des Eisen immer noch in meinem Innern feststecken würde. Immer, wenn ich danach griff, verschwand es in binnen von Sekunden und kam als schwereres, spitzeres Metall wieder, um mir erneut zuzusetzen.

Es war der Kreislauf meines persönlichen Albtraums, dem ich genauso wenig entrinnen konnte wie den Geschöpfen der Finsternis, die im Schutz des Schattens lauerten und nach der Negativität meiner Seele riefen, um diese zu sich zu locken und endgültig zu verspeisen.
Zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass die Furcht in meinem tiefen Innern, nicht von den Gegnern ausging, die mich auf grausamste Art und Weise zerstückeln und ermorden möchten. Nein. In mir bangte es, selbst ein Handlanger der Dunkelheit zu werden, wenn ich meinen wahren Gefühlen nachgeben würde.

Als ich tief Luft holte, erstarb der Ton in meiner Lunge, der sich entlang meines Brustkorbes hangelte und schmerzverzerrt gegen mein Herz drückte.

Das dreckige, kühle Regenwasser hatte mein stabiles Mongosleder aufgeweicht. Grummelnd setzte ich mich auf das schäbige, quietschende Bett zurück, auf dem ich mich seit Tagen befand und zog meine taubenblauen Stiefel aus, um diese genauer zu inspizieren. Seufzend musste ich feststellen, dass sie maximal zwei Fußmärsche überleben würden.

Da das Wasser weiter anstieg, blieb mir nichts Weiteres übrig als voranzuschreiten. Nachdem ich mir meine Stiefel wieder angezogen hatte und meine graumelierten Armschienen über meinen dunkelblauen Pullover zog, streckte ich meine rechte Hand aus, um mir ein letztes Mal die schrecklichen Überbleibsel meines letzten Kampfes ins Gedächtnis zu rufen.

Die Haut hatte sich fast gänzlich von meiner Hand gelöst und der blanke Knochen schien hervor. Einige Narben übersäten den kleinen Hautfetzen, der von meiner Hand übriggeblieben war. An jenem Tag hatte ich einen Fluch abbekommen, der meine Wunde nicht mehr verheilen ließe. Dennoch konnte ich immer noch meine Magie wirken, die wir durch die Macht der Götter im Austausch einer ewigen Knechtschaft verliehen bekommen haben. Damals ahnten wir nicht, dass das Ausmaß der Folgen die ganze Welt betreffen und in ein absolutes Chaos stürzen würde, dass noch nicht einmal die Götter selbst wieder richten konnten – oder eher wollten, denn die Macht dazu hätten sie, wenn ihnen die Welt lediglich einen Funke Mitleid bedeutete.

Seufzend fuhr ich mir durch meine mitternachtsblaue widerstandsfähige Mähne und blieb an meinem Nacken hängen, der mittlerweile mit Haaren zugewachsen war.

„Ein Haarschnitt würde mir guttun“, brummte ich leise und strich mir meine einzige weiße Haarsträhne aus dem Gesicht. Jedes Mal glitt sie direkt über mein linkes Auge, das wie ein Komet leuchtete, sodass meine Sicht eingeschränkt war.

Mit schwerem Herzen löste ich mich aus meiner Melancholie und legte mir meinen Gürtel an, der stets mit Arznei und Hilfsmittel für den Kampf befüllt war. Ziellos bahnte ich mir den beschwerlichen Weg durch die strömenden Wassermassen, nur um festzustellen, dass das Erdgeschoss bereits gänzlich unter Wasser stand. Mit einem verbittertem Lächeln machte ich kehrt und schaute erneut durch die kleine Luke.

Obwohl die zunehmende Kälte meine zerbrochene Seele mit Hoffnungslosigkeit überströmte, pochte etwas tief in meinem Innern, das Jetzt und Hier ausbrechen wollte. Der Drang etwas zu finden und weiter ohne Sinn und Verstand umherzureisen, um endlich anzukommen, ohne wirklich zu wissen, ob es einen solchen Ort gibt, gab mir neue Kraft, um voranzuschreiten.

Ich breitete meine Arme aus und ließ Harpunen aus meinen Händen schießen. Sie verankerten sich in der brüchigen Wand nahe der kleinen Luke. Durch meine Magie konnte ich verschiedene Arten von Harpunen verschießen. Es gab eine Art, die ich am Liebsten einsetzte. Diese war direkt mit meiner Hand verbunden und ließ mich direkt zur Spitze gleiten. Dadurch konnte ich mich schneller als andere fortbewegen.
Vorsichtig zog ich daran, um die Stabilität der Wand einzuschätzen, als mich ein lautes Knarren warnte. Die Dachschräge gab nach und fiel in sich zusammen. In letzter Sekunde wich ich dieser aus und schreckte in mich zusammen. Die Einzelteile fielen ins schmutzige Wasser, das bis in mein Gesicht spritzte. Instinktiv bedeckte ich meine Mund- und Nasenpartie, um den Gestank und der großen Staubschicht zu entkommen, die durch den Zerfall des Daches aufgekommen war.

„Jetzt ist wenigstens der Weg frei“, merkte ich mit rümpfender Nase an und blickte direkt in die verregnete Finsternis, die mich versuchte mit der Schmach, der auf mich lauernden Kreaturen, bis in die Ewigkeit zu peinigen.

Der aufkommende Sturm ließ mein Herz wild gegen meine Brust klopfen. Tief Luft holend stürzte ich mich direkt in den Abgrund der großen Flut an Monstern, die jeden meiner Bewegungen mit ihren grellen Augen genau beobachteten, während sie bereits ihre Klauen ungeduldig wetzten. Grinsend schloss ich meine Augen und zählte von Drei an runter, bevor ich meine Arme ausbreitete und Harpunen in den dicken Baumstamm vor mir schoss. Die Monster brüllten, zischten und versuchten mich mit ihren rasiermesserscharfen Krallen zu erwischen.

Galant hangelte ich mich von einem Baum zum nächsten und floh vor den Geschöpfen der Nacht. Sie verfolgten mich mit einer rasanten Geschwindigkeit und brachten mich zunehmend in Bedrängnis.

Während die großen Haxzuwesen versuchten mich vom Boden aus einzuholen, erschufen Krias schattenartige Trugbilder, um mich zu verwirren und in eine Falle zu locken. Xzandos, riesige schwarze Phönixe, die sich damals durch den hohen Preis der Götter der Finsternis verschrieben hatten, führten eine Horde Brombos aus der Luft an. 

Sie versuchten mir den Weg abzuschneiden, doch durch meine langjährige Erfahrung konnte ich jeder ihrer simplen Gedankengänge vorausahnen und bahnte mir einen Weg durch die große Anzahl an Ungetüm, indem ich mich letztendlich dazu entschied mit meinen Harpunen den Weg vor mir freizuräumen und den Schwachpunkt der Haxzuwesen auszunutzen: den toten Winkel, der mich für sie unsichtbar erscheinen ließ.

Die Bäume um mich herum verschwanden so wie das Grün, das die Haxzuwesen niedertrampelten. Alles was blieb, war das trostlose Gestein und die schlammigen Pfade, in denen sich Schlangen und Gewürm tummelten. Meine Geschwindigkeit nahm durch den steilen, rutschigen Aufstieg rasant ab, weshalb mich die Horde einholte und drohte mich mit ihren riesigen Hörnern aufzuspießen.

Meine Adern pulsierten, als das Adrenalin mir einen neuen Kraftschub versetzte und ich mich mit einer Harpune zu einem Baum hangelte. Die Herde tobte vor Zorn, während die Brombos mich im Sturzflug attackierten und mit einem großen Knall explodierten. Trotz dem Schutz der Äste und der Blätter wurde ich von der Druckwelle der vielen Explosionen getroffen. Ein dunkler verzerrter Schrei drang aus meiner trockenen, brennenden Kehle, bevor sich die Harpune aus dem Baum löste und ich kraftlos gen Boden stürzte.

Mit verschwommenen Blick erkannte ich die Umrisse des Xzando, dass mich mit seinen riesigen Greifarmen auffing und laut aufschrie.

Mein ganzer Körper wurde taub und kalt. Nur mein Innerstes kämpfte gegen die schonungslose Hoffnungslosigkeit, in der ich mich befand, an. Weder wollte ich von ihnen zu einer ihrer Sklaven gemacht werden, noch wollte ich Hier und Jetzt mein Leben wegen einer Meute Monstern verlieren.

Während ich weiterhin versuchte mich aus meiner verzweifelten Situation zu retten, sah ich aus dem Augenwinkel etwas vorbeischießen. Eine große Kette fesselte den Phönix und zog ihn zurück in den Wald. Es schrie laut auf und ließ mich über die riesige Herde der Haxzuwesen fallen. Bevor ich mich gegen mein Schicksal wehren konnte, stürzte ich metertief direkt in sie hinein.

Als ein Geweih meine Gedärme durchbohrte, spritzte die rote Flüssigkeit überallhin. Atemlos rang ich nach Luft, bemerkte aber schnell, dass mich Wellen der Schmerzen überrollten, wenn ich nur ans Atmen dachte. Blut spuckend hing ich reglos mit einem Geweih in meinem Körper auf einem Haxzu. Meine Muskeln verkrampften sich, doch weiterhin schaffte ich es nicht, mich zu rühren. Die Welt um mich verschwand langsam, während mich die Dunkelheit zu sich rief und mich die Kälte wie im tiefsten Winter umfing.

Immer noch kämpfte ich gegen meine Ohnmacht an, schrie innerlich auf. Irgendetwas muss ich doch tun können, um diesen Monstern entkommen zu können. Verzweifelt und mit letzter Kraft schaffte ich es einen Finger zu bewegen.

"Gib nicht auf", hauchte mir eine seichte Stimme im aufkommenden Sturm zu, sodass ich glaubte, es mir lediglich eingebildet zu haben.

Plötzlich tauchten erneut Ketten auf, die die auf mich zulaufenden Monster in binnen von Sekunden umringten und auf brutalste Weise zerrissen. Das Haxzu warf mich achtlos zu Boden und rannte um sein Leben - doch auch er wurde von den magischen Ketten in Zwei geteilt.

Als ich auf den Boden fiel, hörte ich kein Geräusch und spürte auch keine Schmerzen. Meine Sinne waren zu sehr benebelt und ich driftete immer weiter in den vollkommenen Schlaf ab.

Der Schlamm vermischte sich in jener Nacht mit meinem Blut und das der Monster. Zwischen den dunklen Wolken konnte ich, trotz der aufkommenden Finsternis durch den hohen Blutverlust in mir, die Wärme und die Helligkeit der Sonne, die mich herzlich und fürsorglich umschmeichelte und mir endlich die nötige Kraft schenkte, fühlen.

Doch im gleichem Atemzug explodieren Brombos direkt neben mir. Die Folge war unausweichlich: Die große Druckwelle riss alles um sich meterweit weg und ließ die steile Klippe, auf der ich hilflos lag, in den weiten Abgrund stürzen, während die Rauchgeschwader mich keuchen ließen. Bei jedem Atemzug hatte ich das Gefühl, dass meine Gedärme herausquollen und die rote Flüssigkeit immer schneller aus meinen Wunden sickerte. Die Schmerzen drückten gegen meine Rippen und gegen meine Kehle, als ob ich gleich an meinem eigenen Blut und meine eigenen Knochen, die sich in mein Inneres rammten, ersticken würde.

Bevor sich alles um mich verdunkelte, erblickte ich eine Silhouette, die einer Frau entsprechen konnte. Doch bevor ich sie mir richtig betrachten konnte, wurde alles um mich herum schwarz.

 

Ein nostalgischer Augenblick

 

Im erdrückenden Abgrund meiner selbst gefangen, vernahm ich leise Schritte, darauf folgte ein sonderbares Flüstern, das meinen Namen hilferufend wiedergab. Als ich um mich blickte, erkannte ich bedauerlicherweise nicht einmal meine Hand vor meinen Augen. Dies vermag womöglich auch an meiner Unsichtbarkeit liegen, denn mein Körper nahm keine richtige Form an.

Leise Wassertropfen hallten wieder, als sie auf den spitzen, unebenen Boden aufkamen. Gespannt horchte ich auf und holte tief Luft, um mehr über diesen merkwürdigen Ort herauszufinden. Womöglich befand ich mich in einer Grottenolme. Das könnte auch erklären, warum ich nicht richtig atmen konnte. Doch schnell musste ich diese Theorie widerlegen, als ich kein Wasser um mich herum spürte. Dennoch schien ich in einer Grotte fest zu stecken. Viele Fragen quälten meinen Geist, doch mein Verstand wurde durch meine nostalgische Emotionalität gestört. Das Gefühl, das mich erneut nach dem Lichtfunken greifen ließ, dass mein Inneres mit Wärme umschmeichelte und mich danach verglühen ließ, brachte mich erneut zu dem Entschluss, dass ich etwas Wichtiges vergessen hatte.

"Fand ich hier das, wonach ich Suche?"

Mein Herz klopfte wild gegen meiner Brust, als sich um mich herum ein süßlich herber Blumenduft ausbreitete. Mein Brustkorb schnürte sich zu und mit einem Mal wurden meine Knie weich und ich landete in meinem persönlichen Albtraum aus Matsch und Blut. Es erinnerte mich wie ich von einem Haxzu aufgespießt wurde. Irritiert blickte ich auf meine verletzte Hand. Lichter flackerten vor mir auf und deuteten einen schmalen, steilen Weg an. Durch die warme Helligkeit konnte ich eine Tropfsteinhöhle erkennen, in der ich auf dem Boden lag. Meine Wunden waren gänzlich verheilt, als wäre ich niemals verletzt worden.

Nachdenklich schielte ich auf das aufflackernde Leuchten, das keiner Fackel oder Sturmlaterne angehörte. Im Himmel flackerte es auf, als wäre es nicht von dieser Welt.

"Rykar", hauchte mir eine mysteriöse Frauenstimme zu. Die Stimme erinnerte mich an jemanden - jemanden, der mir einst etwas bedeutete.

Mein Körper bewegte sich von selbst, als ich bereits dem rutschigen Pfad aufgewühlt folgte. Konnte ich endlich das finden, nach dem ich mich immer wieder sehnte, ohne zu wissen, wonach ich eigentlich suchte?

Meine Geschwindigkeit erhöhte sich mit jeder verlorenen Sekunde, in der Hoffnung endlich die Frau zu begegnen, die nach mir rief. Meine Mundwinkel zuckten und ich fühlte mich wie ein aufgeregtes Kind, das ein langersehntes Geschenk erhielt.

Als ich auf einer hohen Plattform inmitten eines Ritualraumes ankam, stutzte ich leicht, da ich keine weitere Person wiederfand. Fünf Zeichen glitzerten mir an verschiedenen Ecken entgegen, die mir keinesfalls fremd waren, doch aus einem unerklärlichen Grund konnte ich sie nicht zuordnen.

Eine heiße Flüssigkeit stieß mir in den Kopf, bevor es anfing zu brennen und mein Schädel drohte zu explodieren.

Keuchend und schreiend knickte ich ein und hockte mich mitten auf dem kühlen steinernen Boden, der in der Form eines Unendlichkeitszeichen ausgelegt wurde. Die Lichter flackerten immer schwächer, dimmten nur noch schwach den leeren Raum.

Feine Linien verbanden sich mit den jeweiligen Symbolen zu einem großen Ganzen und wurden zu reinem Wasser, das sich in der Luft erhob und beinahe wie ein Portal vor mir schwebte.

"Rykar", rief es erneut zu mir, bevor sich das Zeichen in meiner verletzten Hand ritzte und sich wie ein Faden mit dem merkwürdigem Phänomen vor mir verband. Es saugte meine Kraft aus, brachte mich um den Verstand.

Nach Luft ringend hielt ich mir meinen Arm, während ich kraftlos immer wieder von einer Seite zur anderen schwankte.

Schwarze Punkte kreisten vor meinen Augen, während höllische Schmerzen mein Bewusstsein durchringen und mit meiner Psyche spielte, um sie gänzlich zu Fall zu bringen. Mein Innerstes wehrte sich gegen eine kühle Flüssigkeit, die direkt in mein Blut gepumpt wurden. Wie ein Schutzsystem kämpfte es gegen die Fremdartigkeit an und brachte meinen Kreislauf durcheinander. Die Temperatur wechselte blitzartig, sodass ich nicht wusste, ob ich mich ausziehen oder mich zu den Lichtern beugen sollte.

"Habe keine Angst", tauchte die freundliche Stimme direkt in mein Gehirn ein, so nah, dass sich mein Zwergfell aufstellte, "ich werde immer bei dir sein und dich beschützen."

Eine warme, liebevolle Hand strich über meine Wange, die eine meiner heißen Tränen abfing, die ungeahnt den Weg über meinen Gesicht fand. Schluchzend zerbrach mein Herz in tausend Bruchstücke, die weiterhin in alle Himmelsrichtungen verstreut waren. Doch ich wusste, wenn ich diese zärtliche Hand festhielt, würde ich endlich das wiederfinden, was ich einst verloren hatte.

Als ich direkt in ihre großen, charakterstarken Augen sah, drehte sich mir der Magen um und mein ganzer Körper wehrte sich gegen das, was er vor mir sah. Meine verletzte Hand pochte und kurzerhand war dort am Ende der Hoffnung wieder die Leere, die mich erneut einholte und die bittere Wahrheit verschluckte. Bevor ich vor Qualen krümmend das Bewusstsein verlor, sah ich erneut in ihre Augen, die mich melancholisch werden ließen. Alles was mir blieb, war die Farbe des verglühten Sterns, das kurz aufflimmerte. Doch es verschwand und mit ihr wurde es endlos kalt und die Dunkelheit empfing mich erneut wie ein lauernder Schatten, der nie von meiner Seite wich.

Schweißgebadet sprang ich aus dem Bett und taumelte wieder ins knarrende dunkelbraune Bett, wodurch ich mir meine Wade an der hölzernen Bettkante anstieß. Grummelnd blickte ich um mich und fand mich in einem rustikalen Zimmer wieder, das mir nur all zu gut bekannt war. Erleichtert atmete ich aus und hielt mir meinen Bauch, der sich anfühlte, als hätte ich seit Monaten mein Essen ausfallen gelassen.

Laute Schritte näherten sich, als jemand die knarrenden, dunklen Holzstufen hinunter schlappte. Als ich die schneeweißen, zusammengebundenen Haare meines besten Freundes erblickte, erreichte mich eine ungeahnte Sehnsucht, die ich seit einer gefühlten Ewigkeit vermisst hatte.

"Kaum bist du hier und schon machst du wieder ein Gewese. Da kommen viele nostalgische Erinnerungen wieder zum Vorschein. Es ist beinahe so, als wärst du niemals weggewesen. Nicht wahr, mein alter Freund?"

Vor mir stand kein anderer als Jikai Kisumi, der 56-jährige Inhaber der berühmten Kneipe Granaltania, der Seite an Seite mit mir unzählige Schlachten bestritten hatte. Diese hatten nicht nur bei mir Spuren hinterlassen. Sein ganzer Körper war mit Narben übersäht und auf seinem linken Auge, das gänzlich seine warme, zinnoberrote Farbe verloren hatte, konnte er lediglich Konturen erkennen.

Der derbe Geruch von Rauch stieg mir in die Nase, das mich trotz des Gestankes endlich frei aufatmen ließ.

"Seit dem letzten Mal hast du dich nicht viel verändert", äußerte ich mich feixend und zwinkerte ihm neckend zu, "wahrscheinlich hast du heimlich einen Drink erfunden, der dich für immer jung hält."

In dem einfallendem fahlem Gesicht bildeten sich Grübchen, als er laut auflachte und sich durch seinen weißen, königlichen Bart fuhr.

"Nein, mein Freund", er lächelte mich warm an, "wenn jemand ein Wundermittel für das ewige Leben gefunden hast, dann du. Immer und immer wieder stürzt du dich mitten ins Getümmel und hast mehr Nahtoderfahrungen als jeder andere, der je in meiner Kneipe gewesen war und trotzdem..." Seine kleinen, eingefallenen Augen blieben für einen Moment erschrocken an mir Kleben, bevor er seine Stirn in Falten liegt und er sein Gesicht schief legt.

"Was ist los?", hauchte ich ihm verwundert zu. Seine Ernsthaftigkeit verflog binnen von Sekunden und alles was blieb, war ein herzliches Lachen, das in meinen Ohren widerhallte.

"...und trotzdem sitzt du hier lebendig vor mir", er hielt mir seine zitternde, mit Knorpeln übersähte Hand hin, "du weißt gar nicht, wie glücklich ich darüber bin dich zu sehen. Ich hatte schon befürchtet, dass ich dich nie wieder zu Gesicht bekomme."

Als ich meine Augen rollte und leise brummte, bemerkte er wie dramatisch er rüberkam, weshalb er sich kurz räusperte und seine Hand wegzog, Verärgert über seinen plötzlichen Wandel stand ich auch ohne seine Hilfe auf. Etwas unbeholfen hielt ich mich an der großen, staubigen Kommode fest, die sich direkt neben dem Doppelbett befand.

"So schnell bekommt man nicht klein", fing ich verbissen an, bevor ich einen Blick zu meinen Wunden erhaschte, die bereits vollständig geheilt waren.

"Wahrlich nicht", grinste Jikai wohlwissend, doch zugleich stand in seinem Gesicht die pure Verzweiflung geschrieben. Vor Jahren hatte er alles daran gesetzt mich vom Schlachtfeld zu holen und mit mir gemeinsam die Kneipe zu führen. Doch ich konnte meiner Natur nicht entfliehen.

"Ein Drink würde uns beiden gut tun", sagte er mit wehmütiger Stimme, bevor er mir seinen zerbrechlichen, breiten Rücken zudrehte, "wie in alten Zeiten..."

Kurz schloss ich meine Augen und nahm erneut den Duft des Rauchs intensiv auf, bevor ich mit einem schwachen Lächeln im Gesicht ein paar Schritte auf ihm zuging. "Zwei oder drei klingen besser."

"Ich meinte nicht diese Zeiten, du verdammter Jungspund."

Jikai schüttelte seinen Kopf, bevor er sich aus dem kleinen, staubigen Keller verdrückte, um womöglich meine verspottenden Gesichtszüge nicht ertragen zu müssen.

"Sagte gerade der Mann, der mich immer unterm Tisch getrunken hat", setzte ich dem Ganzen die Krone auf, bevor ich ihm siegessicher die alte Wendeltreppe hinauf folgte.

"Was kann ich dafür, wenn die Jugend nichts verträgt?", konterte er ohne Luft zu holen. Darauf konnte ich nichts außer ein lautes Keuchen erwidern. Diese Runde ging bedauerlicherweise auf ihn, aber ich würde den Spieß bald umdrehen. Davon war ich überzeugt.

Als die Helligkeit der kleinen, halbrunden Fenster die Umgebung aufhellte, konnten auch wir uns wie in jenen, sorglosen Zeiten zurücklehnen und entspannen - oder eher ich, da mein bester Freund uns seine besonderen Drinks mixte, die es wirklich in sich hatten.

Seine Kneipe hatte nicht nur einen alten, rustikalen Western Charme, sondern hatte zudem eine lange Hintergrundgeschichte, die viele Jahrhunderte überlebt hatte. Als ich mich auf einen gepolsterten Barhocker mit Rückenlehne fallen ließ, spürte ich gleich wie sich meine Verspannungen lockerten und ich in den puren Genuss einer Wellnessmassage kam. Sowohl die Möbel als auch das Haus lebte und handelte eigenständig. Eins der magischen Wunder unserer Zeit, die Jikai beschützen wollte.

Grinsend schob er mir ein hohes Glas mit regenbogenfarbenem Inhalt zu und setzte sich zu mir. Als wir uns gegenübersaßen, wurde mir unwohl zumute. Es erinnerte mich an meine letzte Begegnung mit ihm. Es war bereits gute zwei Jahre her, an denen wir nicht ganz so friedlich gegenübergesessen hatten und seit jenem Tag kein Wort miteinander gewechselt hatten.

Ein kurzer Besuch

 

Vor zwei Jahren an genau diesem Tisch stritten wir über meine Sturheit erneut in die Schlacht zu ziehen. Doch dieses Mal hatten wir uns nicht wieder versöhnt, bevor ich fortgeschritten war. Nein, wir steigerten uns in unsere aufgestauten Emotionen hinein und ließen sie an die uns wertvollste Person aus. Seine Fürsorge um mich ließ ihn immer wieder bis an seine Grenzen gehen, während meine Sturheit mich weiter ruhelos in jedes Gemetzel einzumischen, für ihn nicht nachvollziehbar war.

Obwohl wir beide unsere Lehren aus den verlorenen, blutigen Kämpfen gezogen hatten, unterschieden sich unsere Traumen, die sich langsam und schleichend ausgebildet hatten.

Während er sich vor einer erneuten Konfrontation fürchtete und sich jedem Kampf entzog, stürzte ich mich regelrecht in die blutigen Fänge unserer Widersacher, die jeden kaltblütig ermordeten, der ihnen im Weg stand.

Durch die unterschiedlichen Entwicklungen unserer selbst konnten wir nun einmal nicht auf den selben Nenner kommen und dennoch fürchteten wir uns beide nichts mehr als den jeweiligen anderen nicht mehr lachen zu hören.

Grinsend erhoben wir unsere Drinks und nahmen jeweils ein paar Schlucke der selbstgebrauten Flüssigkeit. Eine Geschmacksexplosion entstand in meinem Mund, die mich genüsslich aufseufzen ließ. Es war eine Mischung aus Hagebutten, Kiwis, Limetten, Gin, Mineralwasser und Wodka. Die Erfrischung kühlte mich nach der Nostalgie des letzten Besuches wieder ab.

"Du weißt, dass sich einige Fragen auftun, wenn man bedenkt, in welchem Zustand du aufgefunden wurdest."

"Als ich von Monstern geflohen bin, hat mich eine Frau gerettet", erzählte ich monoton, "denke ich."

"Denkst du?" Jikai fing an herzlich zu lachen und leerte mit einem Zug sein Glas, bevor er dieses mit purem Gin auffüllte. "Ich glaube eher, dass du halluziniert hast. Wie soll es möglich gewesen sein, dass eine fremde Frau eben auftaucht und dich rettet, bevor sie einfach spurlos verschwindet?"

Seufzend fuhr ich mir durch mein dunkles Haar und prustete mir meine einzige helle Strähne aus dem Gesicht.

"Womöglich hast du recht", knickte ich enttäuscht ein, bevor ich erneut auf meine Hand schielte und an den verworrenen Traum dachte, in der die gleiche Stimme zu mir gesprochen hatte. Es fühlte sich real an, doch kein Zeichen war auf meinem verbliebenen Knochen zu sehen.

Jikai legte seine Stirn in Falten, bevor er seine Hände unter seinem Kinn zusammenfaltete.

"Egal, was es war, deine Zeit scheint noch nicht gekommen zu sein", seine Stimme wurde dunkler und ich bemerkte erneut die Spannung, die zwischen uns entstand, als er sein zweites Glas stumm leerte.

"Hast du heute einen freien Tag?", lenkte ich bewusst ab, um die Stimmung aufzulockern und deutete auf die leere Kneipe. Er schüttelte grinsend seinen Kopf, bevor er an mir vorbei an seine dreifachversiegelte Stahltür, die zum Schutz vor den bestialischen Kreaturen, schaute.

"Es kommen genug Halbstarke wie du hier vorbei."

"Was soll das denn heißen?", rebellierte ich sofort und zog empört meine Augenbrauen hoch.

"Dass du dir mal wieder zu viel zugemutet hast."

Grummelnd leerte ich nach einer gefühlten Ewigkeit auch mein erstes Glas. Sofort griff er nach diesem und mixte mir erneut einen Cocktail, der dieses Mal in der Farbe des Meeres war.

"Das muss ich ausgerechnet von einem Workaholic wie dir hören", schmunzelte ich betroffen und deutete mit einer einfachen Handbewegung auf das Getränk, das er mir gerade hinstellte. Gelassen zuckte er seine Achseln und setzte sich mir wieder gegenüber, bevor er eine Zigarette zückte und sie mit einem kleinen Flammenwerfer anzündete. Seine Hände zitterten ein wenig, bevor er einen Zug genommen hatte und mir den Rauch ins Gesicht blies. Meine Sicht wurde durch den Rauch eingeschränkt und der Gestank, den ich Jikai all die Jahre ankreidete, genoss ich so sehr, als wäre es mein letzter Atemzug.

"Wir büßen auf unsere Art und helfen, wie wir es für richtig halten." Jikais eingefallene Augen wurden leer, als er nostalgisch an die vielen, blutigen Schlachten dachte. Für einen Augenblick vergaß er die große Asche, die sich achtlos an der Zigarette bildete und gnadenlos auf den Tisch fiel. "Es kommen viele verletzte oder verzweifelte Personen hierher, die ihre Sorgen ertränken oder sich einen Rat von einem alten Mann holen wollen."

Unruhig spielten meine Finger an dem unebenen Glas herum und meine Anspannung stieg trotz der Massage weiter an. An ihren Händen klebte das Blut vieler unschuldiger Menschen und dennoch gaben sie nie den Mut auf für das zu kämpfen, was sie als richtig erachteten. Jikai zog weiter an seinem Genussmittel, so sehr, dass ich befürchtete, dass sie in einem Zug verglühte.

"Ich muss schon sagen, dass du deinen Weg definitiv gefunden hast. Dennoch verstehe ich nicht, wie du es hier ab von der Zivilisation schaffst zu überleben, ohne dass dich die Monster angreifen.", erwiderte ich nachdenklich.

"Mein alter Freund", er zwinkerte mir geheimnisvoll zu, "du weißt doch, dass ich meine Tricks auf Lager habe."

In diesem Moment hatte ich es verpasst ihn mehr zu entlocken und darauf meine einzige Chance mit ihm ein offenes Gespräch zu führen. Im Nachhinein würde ich es bereuen - obwohl ich in dem Augenblick die Konsequenzen nicht verstand, staute sich eine ungeahnte Frust an, die ich mir selbst nicht erklären konnte.

Wir verfielen ins Schweigen und tranken weiterhin Seite an Seite einer nach dem anderen, ohne den anderen dabei aus den Augen zu lassen. Es war, als wenn wir gewusst hätten, was bald auf uns zukommen würde.

Nach einer Weile der Stille stand ich auf und regte mich. Verwundert legte er seinen Kopf schief.

"Eine erhebliche Leistung, dass du dich nach der Menge Alkohol noch bewegen kannst", lallte er lauthals, bevor er in schallendes Gelächter stürzte. Seufzend starrte ich erneut auf meine verletzte Hand und biss meinen Ober- und Unterkiefer fest aufeinander.

"Durch den Fluch kann ich nicht mehr betrunken werden", zischte ich verbittert zwischen meinem geschlossenen Mund hervor.

"Es klingt mehr nach einem Segen als ein Fluch, mein alter Freund", witzelte er mit zwinkerndem Auge, bevor er fast vom Barhocker rutschte. Glücklicherweise war dieser lebendig und hatte ihn mit der gut gepolsterten Rückenlehne abgefangen.

"Das ist Ansichtssache."

In mir loderte das Feuer und gleichzeitig hinterließ es nichts außer Asche und Verbrennungen, die mich weiter im Kreis rumlaufen ließen. Die Unruhe verwandelte sich bald in ein ungutes Gefühl, das mich dazu rief endlich weiter zu ziehen, um mich erneut auf die Suche nach dem Vergessenem zu begeben.

"Wohin willst du gehen?", fragte mich Jikai verwundert, als er vor den Fenstern die Dunkelheit erblickte, "bleib doch wenigstens über Nacht, du Hitzkopf."

Die gütigen, sorgevollen Worte von meinem Partner und bestem Freund zauberten mir ein warmes Lächeln auf die Lippen, bevor es sich schlagartig verhärtet.

"Ich kann nicht und das weißt du auch..."

"Das ist doch wahnsinnig...", sagte er verärgert und drehte sich weg, um seine Tränen zu verbergen, "du wirst noch dein Leben auf dem Schlachtfeld verlieren, wenn es so weitergeht."

Es zerriss mir das Herz ihn damals mit diesem Ausdruck stehen zu lassen, doch ich wusste, dass etwas nach mir rief. So wusste auch er, dass er, bevor er seine Worte ausgesprochen hatte, mich nicht von meinen Entscheidungen abbringen konnte. Wie könnte ich meine Füße still halten, wenn so viel Leid um mich herum geschah?

"Wir tragen beide den Wahnsinn in uns, mein Freund."

Unsere Blicke trafen sich und ich erkannte den Schmerz, der tief in ihm brodelte. Obwohl wir beide die gleichen Emotionen teilten, konnten wir einander nicht trösten, denn wir waren zu kaputt dafür. Ein letztes Mal atmete ich den Geruch des Zigarettenrauches ein und prägte mir das Gesicht meines besten Freundes genau ein, bevor ich mich umdrehte und zum Gehen ansetzte.

"Eine kleine Stadt nördlich von hier wird oft von Monstern heimgesucht." Jikais Stimme ließ mich in meine Bewegung innehalten. Doch ich traute mich nicht ihn erneut anzusehen. Denn wenn ich dies täte, würde ich nicht mehr im Stande sein von hier fortzugehen. "Von dort aus kannst du direkt die Fähre über den Ozean der Arbion nehmen, um nach Suatshek zu gelangen. Dort ist der Krieg auf dem Vormarsch. Wenn du dich beeilst, schaffst du es vielleicht noch ein paar von ihnen zu retten."

Mit großem Interesse horchte ich bei seine präzisen Anweisungen auf und schüttelte grinsend meinen Kopf. Jikai hatte bereits recherchiert, bevor ich noch aus meiner Ohnmacht aufgewacht war, um mir davon zu berichten. Er kannte mich einfach zu gut.

"Pass gut auf dich auf." Seine Stimme wurde weich, bevor die endlose Trauer wieder hervorstach. Zögerlich hob ich meine Hand und winkte ihm zum Abschied lächelnd.

"Du auch auf dich, mein Freund. Bis zum nächsten Mal."

Ohne darüber nachzudenken, drehte ich mich doch noch einmal zu ihm um und sog harsch die Luft ein.

"ich fürchte dazu wird es leider nicht kommen."

Seine Stimme erstarb inmitten von der Hoffnungslosigkeit, die uns beiden umgab. Wir wussten, dass unsere gebrochenen Seelen irgendwann Frieden in unserem Tod finden würden und dennoch fürchteten wir diesen, nicht um unseretwillen, sondern um die des anderen.

"Stirb mir nicht weg ehe ich dir keine anständigere Kneipe gebaut habe." Mit diesen Worten klopfte ich mir gegen die Brust, um ihm zu symbolisieren, dass er meine Worte als Versprechen sehen durfte.

"Dann muss ich noch Jahrhunderte warten."

Bei der Theatralik seiner Worte schüttelte ich meinen Kopf.

"Das nächste Mal, ich verspreche es."

"Versprich nichts, was du nicht halten kannst", widersprach er mir streng.

Mit diesen Worten hob ich ein letztes Mal meine Hand und verließ den Ort, nachdem ich mich sehnte und den ich gleichzeitig verfluchte. Ohne es zu wissen, verstrich ich die letzte Möglichkeit mit ihm zu reden und rannte wie ein feiger Hund davon, ohne dass wir in Frieden auseinander gehen konnten. Doch aus irgendeinem Grund passte dies zu uns.

Unsere Freundschaft war nie von vielen netten Worten oder harmonischen Zeiten geprägt und dennoch vertrauten wir immer darauf, dass es ein nächstes Mal geben würde miteinander zu lachen. Wir bauten immer auf einander und vertrauten einen blind, dass wir nach einer heiklen, blutigen Schlacht immer wieder zueinander fanden. Und ich war mir auch sicher, dass dies immer der Fall sein würde. Doch dieses Mal zerriss mich mein Herz und meine Intuition wieder hinein zu laufen und nie wieder zu gehen, wurde mit jedem Schritt größer. Doch konnte ich meinem inneren Drang erneut Teil des Krieges zu sein, nicht unterdrücken. Das war schließlich das Schicksal eines nie ruhenden Exsoldaten.

Ungebetener Besuch

Nach zwei Tagen Fußmarsch ließ ich mich in einer abgeschotteten Höhle nieder, die mit einer besonderen Magie umhüllt war, die Ungetüme von diesem Ort fernhalten sollte. Nur mit mehreren Anläufen konnte ich den kleinen, schmalen Durchgang hinter einer undurchlässigen Mauer, die aus magischem Sand und einer besonders harten Lehmschicht bestand, bezwingen. Durch die magischen Fähigkeiten, die wir einst erhielten, konnten wir Eingänge erschaffen, passieren und schließen, die für viele andere Wesen nicht sichtbar waren.

Das Lagerfeuer brannte noch, als ich mich in der hohen, sandigen Höhle umsah, die mit ihren vielen Gängen und Zwischenwänden wie ein einziges Labyrinth erschien. Bereits nach wenigen Sekunden wusste ich, dass ich mich in einer Sandstein-Erosions-Höhle befand. Zu oft geriet ich in eine ähnliche Lage wie diese und jeder zweite Zufluchtsort, wenn es sich nicht gerade um eine alte, kaputte Holzhütte handelte, war ein Ort wie dieser. Dadurch hatte ich manchmal den Verdacht mehr ein Höhlenforscher zu sein, als ein ganz normaler Abenteurer.

Es gab viele Ausgänge, aus denen Gefahr drohen könnte. Doch ich stellte schnell fest, dass die Reisenden, die vor mir hier waren, einen immer währenden, undurchlässigen Schutzwall errichtet hatten, umso vor den Kreaturen der Finsternis in Sicherheit zu sein.

Während ich mich bibbernd an dem noch warmen Lagerfeuer aufwärmte und selbst mit Steinen und Holz ein kleines Feuer entfachte, überkam mich langsam die Müdigkeit. Während mir immer wieder die Lider zu fielen, konnte ich jeden einzelnen Knochen spüren. Nach dem ich aufgebrochen war, hatte ich bis jetzt keine geeignete Raststätte gefunden. Durch einen schlammigen und sumpfigen Pfad ging es eine Lichtung steil bergauf, bis ich letztendlich in einem Tal voller Ungetüme um mein Leben laufen musste und mich letztendlich in einer trockenen, öden Steppe wiederfand, in der ich endlich einen Ort gefunden hatte, an dem ich mich ausruhen konnte.

Meine müden Glieder entspannten sich trotz der Schmerzen allmählich, bevor langsam alles dunkel um mich wurde.

"Sie werden dich finden", hörte ich eine weibliche Stimme zu mir sprechen. Etwas rüttelte mich wach. Mehrfach blinzelnd erkannte ich ein junges, mit Schmutz übersätes Mädchen, das laut Äußerem nicht älter als vierzehn erschien, vor mir, das mich versuchte kraftlos hoch zu zerren.

"Schnell", schrie sie mich mit schriller Stimme an und keuchte schwer. Irritiert blickte ich um mich, stand auf und baute mich bedrohlich vor ihr auf. Sie hatte grelle, türkisfarbene Haare, dessen Wellen ihr bis zu den Schultern gingen. Der Schweiß tropfte ihr von der hohen Stirn, während ihre glasigen, rotunterlaufenen Augen, die in der Farbe des Himmels glänzten, mich eindringlich musterten.

"Wie kommst du hier rein?", fuhr ich sie mit dunkler flackernden Stimme an. Meine Nasenflügel bebten, während ich mich sofort in Alarmbereitschaft brachte. Doch ihre kleinen, feuchten Hände rutschten an mir ab, als sie mich versuchte am Handgelenk zu packen. Kraftlos knickten ihre Beine weg. Reflexartig legte ich meine Arme um sie und gab ihr Halt. Ihr ganzer Körper zitterte, während ihre Atmung schwer und unregelmäßig ging. Sie drohte zu kollabieren.

"Wir haben keine Zeit für..."

Ihre Stimme verstummte, als ein lauter Hall meine Aufmerksamkeit gewann.

"Sie sind da", krächzte sie panisch und zerrte an meiner verletzten Hand. Als die große Silhouette direkt ins Licht trat, zog der große, schlanke Mann seinen goldumrandeten, schwarzweißen 3D-Schachbrettzylinder tief in seine Stirn, die genauso zart und symmetrisch war wie der Rest seiner Proportionen. Ein sardonisches Grinsen zierte sein ästhetisches Gesicht, als er das fremde Mädchen in meinen Armen entdeckte. Seine Schrittabfolge und sein Gang erinnerten teils an einen Tanz und teils an einen erhabenen Pfau, während er grazil auf uns zuschritt, als wenn er gerade vor einem Haufen Unrat stünde.

"Da versteckt sich das kleine Ding also."

Seine verspielte, arrogante Stimme sprach die Wörter langsam aber mit einer wundersamen Überbetonung aus. Er hatte nicht einmal versucht seine Schauspielerei zu verbergen, stattdessen machte er sich den Hall der Höhle zu nutze und posierte, als ob er ein berühmter Star wäre, der gerade eine Fotosession hätte oder eine Filmszene drehen würde.

Als er seine Arme ausbreitete und ihr bedeutete zu ihm zu laufen, erkannte ich einige düstere Tattoos auf diesen wieder und verschiedene schlangenartige Armbänder und Ringe an seinen Händen, dessen Fingernägel in einem schwarzweißen Schachbrettmuster gefärbt waren.

Ich fragte mich sofort, aus welcher Anstalt er entflohen war, und doch spürte ich die bedrohliche Präsenz, die von ihm ausging. Mein Instinkt sagte mir, dass ich ihn auf keinen Fall unterschätzen dürfte.

"Wer bist du und was willst du von ihr?", fragte ich vorsichtig und mit Bedacht, um die Situation, in die ich unwissentlich gelangt war, besser einschätzen zu können. Als sich das Mädchen zitternd an mich klammerte und ihren Kopf schluchzend schüttelte, drückte ich sie fester an mich, um ihr meinen Schutz gewähren zu lassen.

Die Miene des Mannes verhärtete sich, als seine magentafarbenen Augen mich für einen Augenblick finster anstierten, bevor sich seine Körperhaltung schlagartig zu einer freundlichen, beruhigende Geste veränderte. Als wenn ich auf einen schlechten Schauspieler hereinfallen würde, der mir zuvor bereits sein wahres Ich enthüllt hatte.

"Es scheint sich um ein Missverständnis zu handeln", fing er an mich mit Aufgeschlossenheit in die Irre führen zu wollen, während seine magentafarbene Augen jede meiner Bewegungen musterten, als wäre ich ihm zuwider, "wir haben überall schon nach ihr gesucht. Sie gehört zu uns, Fremder."

Er fuhr sich durch sein dunkelrotes Haar, das ihm über das linke Auge glitt. Das fremde Mädchen zitterte weiterhin unaufhörlich und klammerte sich fest an mir, während sie ihre Tränen nicht unterdrücken konnte. Beruhigend fuhr ich ihr über den zerbrechlichen Rücken, als sie schmerzverzerrt auf keuchte. Mit weit aufgerissenen Augen bemerkte ich unter ihrer Kleidung seltsames Metall, das sich durch meine Berührung in ihren Rücken rammte. Schnell ließ ich sie los, wodurch sie sich beruhigte und wieder zu Atem fand. Der Mann vor mir hatte womöglich Experimente an dem Mädchen durchgeführt. Allein der Gedanke ließ meine Adern pulsieren und eine unerträgliche Hitze absondern, die mich kurz vor einem Kontrollverlust brachte. Doch in dieser Situation, in der ich keine genauen Informationen sammeln konnte, war es fatal, vorschnell zu handeln.

"Und wenn schon", fuhr ich ihn aufgewühlt an und biss mir vor Zorn auf die aufgerissene Unterlippe, "sie scheint es nicht zu möchten." Zumindest hatte ich es versucht den diplomatischen Weg einzuschlagen, bevor sich mein Mund und meine Zunge von selbst gerührt hatten.

Der fremde Mann vor mir durfte nicht älter als Dreißig sein und dennoch führte er sich auf, als wäre er ein Gott. Plötzlich überkam es mich wie ein Geistesblitz, der etwas in meinem Innern auslöste, als ob ich eine der vielen Ketten, die mich zurückhielten, zersprengt hätte. Nur ein Gott würde sich seiner Sache mir gegenüber sicher sein, wenn er denn kein Narr war und sich wirklich mit einen kampferprobten Veteranen anlegen würde. Selbst wenn der Mann mir gegenüber ein Laie oder ein Fremder war, so gab es an meinem Äußeren und meiner Reaktion genug Anzeichen, die ein Außenstehender hätte erkennen müssen.

"Na toll." Er verzog eine Grimasse und zischte laut auf, bevor er endlich sein wahres Ich enthüllte und seine Hände knacken ließ. "Ein Streuner, der sich in Sachen anderer einmischt. Wie gern ich diese Sorte von Kakerlaken doch mag - so gern, dass ich sie zertreten möchte."

Mit diesen Worten hielt er seinen Zylinder und lachte trocken auf, bevor sein überhebliches Grinsen mit einem Mal in einen bedrohlichen Blick umwandelte, der sogar mir, als erfahrener Krieger, einen Schauder über meinen geschwächten Körper fuhren ließ.

In binnen eines Wimpernschlages warf er seinen Zylinder in unsere Richtung und schoss gleichzeitig mit einer Münze auf uns, die sich explosionsartig ausbreitete. Meine Augen weiteten sich panisch, als ich das Mädchen griff und sie aus dem Kampfbereich schupste, bevor ich mitten im giftigen Rauch stand und durch die Druckwelle mein Gleichgewicht verlor.

Durch mein plötzliches Straucheln atmete ich versehentlich kurz die verpestete Luft um mich herum ein, die sich langsam aber sicher in der ganzen Höhle ausbreitete. Meine Kehle fing zu brennen an, während es meine Kraft langsam raubte. Kraftlos hielt ich mir meine Brust, während meinem hitzeüberströmten Körper eiskalte Schauder überkamen und ich zu schwitzen anfing.

Ich rutschte in den sandigen Grund, der mich mühelos auffing, ohne dass ich weiter zu schaden kam. Mein einziger Ausweg war es, den Atem anzuhalten, doch konnte ich es nicht lange durchhalten. Zumal das Gift langsam auch zu dem Mädchen strömte.

Das Mädchen wollte gerade überstürzt zu mir laufen, als ich ihr mit einer Hand bedeutete nicht näher zu kommen. Sie blieb mit zitternden Knochen stehen und schaute ängstlich zu uns. Grinsend warf der Angreifer eine weitere Münze in meine Richtung. Dieses Mal sprang ich zur Seite und entkam der Explosion. Die Höhle bebte, als der Schall und der Rauch mich in Windeseile erreichte.

"Was ist denn los?", schnalzte der fremde Mann überheblich und grinste mich sardonisch an, bevor er sich seinen Zylinder wieder aufsetzte, "hast du deine Lektion gelernt? Von nun an solltest du es dir gründlicher überlegen, ob du dich in fremde Belange einmischt."

Er wendete mir desinteressiert den Rücken zu und stolzierte mit grazilen Schritten auf das stumme Mädchen zu, dass sich schluchzend und keuchend an die Innenwand drückte.

"Und du solltest jetzt endlich verstehen, dass du Unschuldige nicht mit reinziehen solltest, du freches Gör."

Meine Harpunen würden nicht in dem Sand stecken bleiben und wenn der Mann eine weitere Explosion verursachte, könnte es passieren, dass die Höhle in sich zusammenfiel. Doch ich konnte nicht tatenlos zusehen, wie er ihr weiteres Leid zufügte.

Als ich auf meine verletzte Hand stierte, konzentrierte ich meine Kraft, bevor ich eine riesige Harpune losließ, die zwischen ihm und das Mädchen flog. Natürlich blieb er nicht in dem Sand stecken, doch löste es sich in kleine hellgrüne Partikel auf, die das Gift aus der Luft entzogen und es somit bereinigten. Seine Augen hatten einen tödlichen Glanz, als er sich mir zuwendete. Aus meinen Händen ließ ich weitere kleinere Harpunen schießen, die direkt auf ihn zuflogen. Mit einer tanzenden Bewegung wich er ihnen aus und sprang gelassen direkt vor meinen Füßen.

"Scheinbar hast du es noch immer nicht verstanden", zischte er verständnislos und schüttelte verbissen seinen Kopf, "dann werde ich dich wohl oder übel aus dem Weg räumen müssen." Er verzog genervt eine Grimasse, zog eine goldene Uhr raus, dessen Ziffernblatt göttliche Symbole aufwies, bevor er mit verfinsterter Miene diese wieder einsteckte.

"Eine Dreiviertelstunde ist schon nach meinem Feierabend vergangen. Also lass es uns schnell beenden."

Mit diesen Worten schnipste er und ließ eine Musik mit hartem Beat ertönen, bevor er mich mit bestimmten Schrittfolgen angriff, die Elemente aus dem Hip Hop und des Dancehall vereinten.

Eine Nervensache

 

Durch seine gezielten, eingeübten Schritte, die nicht aus dem Gleichgewicht gerieten und sehr flexibel kombinierbar und einsetzbar waren, fiel es mir schwer einen Konter vorzubereiten. Mit großer Mühe wich ich jeden seiner Angriffe aus, doch ich bemerkte, dass der Rhythmus von einer zur nächsten Sekunde verändert wurde und er mittlerweile alle Tanzarten miteinander kombinierte, die zu geschmeidig waren, um ihn ins Straucheln zu bringen. Er drängte mich zurück, doch davon würde ich mich nicht beeindrucken lassen. Schließlich hatte ich oft mit Jikai den Nahkampf erprobt.

Wenn die Verteidigung unüberwindbar schien, musste ich ihn nur mit meinem eigenen Rhythmus und meiner eigenen Technik aus dem Konzept bringen.

Gerade als er einen Kick ausführte, stoppte ich ihn, indem ich meine rechte Seite mit meinem Arm abblockte, ihn mit dem linken Arm in den Magen traf und dann noch einen Tritt mit dem rechten Bein in seine Milz ausführte. Er strauchelte kurz. Diesen kleinen Augenblick nutzte ich, um ihn mit schnellen Schlägen zuzusetzen. Trotz seiner Unachtsamkeit fasste er sich schnell wieder und wich mir durch einen Rückwärtssalto aus, während er mir erneut seinen Zylinder zuwarf. Als ich mich duckte, rauschte es knapp an mir vorbei und kam wie ein Bumerang zu seinem Herrn wieder, der ihn gelassen auffing und wieder aufsetzte.

Als er gerade den Rhythmus für Hornpipe eingenommen hatte, begab ich mich in die Defensive, um einen erneuten Konter vorzubereiten. Er griff mich mit einem erneuten Kick an und ich konterte erneut, doch dieses Mal wich er durch eine Schrittabfolge des Tanzes Melbourne Shuffle aus.

Für seine Verteidigung nutzte er zu dem den Stepptanz. Je länger ich ihn studierte, desto mehr konnte ich mich hereinfühlen welche Schrittabfolge er als nächstes einsetzte und dennoch schaffte es keiner von uns den anderem wirklichen Schaden zuzufügen.

Nach einer Weile des direkten Schlagabtausches distanzierte er sich von mir und lehnte sich gelangweilt gegen die Innenwand, die hinter ihm leicht nachgab und abbröckelte. Um ihm keine Angriffsmöglichkeit zu bieten, hielt ich meine Fäuste vor meinem Körper und beobachtete jeden seiner Bewegungen. Als er auf seine goldene Uhr stierte, seufzte er genervt auf und raufte sich sein herausschauendes dunkelrotes, glattes Haar.

"Es muss nicht unbedingt dein Kampf sein, den du hier ausführst", höhnte ich mit schnalzender Zunge, "wenn du einen wichtigeren Termin hast, solltest du ihn möglicherweise wahrnehmen und gehen."

Seine schmale, blasse Lippen formten ein breites Lächeln, bevor er trocken auflachte und seinen Zylinder in Form brachte.

"Witzig", züngelte er mit gespaltener Zunge, während jede Silbe vor Ironie tropfte, "genau das hatte ich auch vor, bevor du dich eingemischt hast."

Sein provokanter, verhöhnender Blick bedeutete mir, dass ich einen bestimmten Nerv getroffen hatte, den ich womöglich lieber nicht hätte berühren sollen. Um ihm nicht die Oberhand in unserer kleinen Diskussionsrunde zu überlassen, zuckte ich desinteressiert die Schultern.

"Du kannst jederzeit aufhören und von hier verschwinden", gab ich ihm mit ausdrucksloser Miene zu verstehen, "ohne die Kleine versteht sich."

Ein Seitenblick zu dem Mädchen verriet mir, dass sie sich allmählich beruhigt hatte und von einer weitentfernten Ecke unseren Kampf stumm verfolgte. Sie hatte ihre Hände überkreuzt und hielt einen halben Anhänger in ihren kleinen, zitternden Händen. Er hatte die Form eines Dara Knoten. Mein Herz klopfte aufgeregt auf, als ich es als eines der wichtigsten Symbole unserer Zeit erkannte.

Durch die zunehmenden Kriege und der Dunkelheit war es bereits fast komplett von der Erdoberfläche verschwunden. Dabei war es ein Relikt, das uns allen einst verband und uns die nötige Stärke gab, um trotz der Knechtschaft durch das Schicksal fortzubestehen.

"Interessant, äußerst interessant." Mit diesen Worten tänzelte er kurz auf und ab und rieb sich theatralisch das Kinn, "das gleiche wollte ich gerade sagen."

Als seine düsterwirkenden Augen meine fanden, wurde es still um uns herum. Für einen Moment suchte er etwas in meinem Gesicht, bevor er blitzartig wieder seinen üblichen arroganten Gesichtsausdruck annahm.

"Nimm mir nicht die Worte aus meinem Mund, du ekelst mich an", er rümpfte seine Nase und hatte seine natürliche Überbetonung wiedererlangt, die mich langsam zur Weißglut brachte, "stirb endlich, du miese, kleine Ratte und mach es mir nicht noch schwerer. Als würde mich diese lästige kleine Fliege dahinten nicht genug verärgern."

Abrupt zuckte das Mädchen in sich zusammen und jammerte kläglich ihr Leid. Brummend ließ ich meine Hände knacken, bevor ich feixend meine Augenbrauen hob und meine Hände lässig hinter meinen Armen verschränkte.

"Stimmt, was du dir alles auferlegst", polterte meine Stimme mitleidstriefend raus, "wahrscheinlich solltest du dich einfach zurück in deine Luxusvilla verkriechen und ein schönes Leben führen."

Unbewusst machte ich ein paar Schritte auf ihn zu und stand mittlerweile dicht vor ihm, während sein Grinsen immer breiter wurde und er mich neugierig beobachtete. Mit seiner linken Hand bedeutete er mir noch näher zu kommen. Mit einem Mal versteifte sich mein Körper und blieb stehen. Er beugte sich soweit vor, dass sein heiß kochender Atem an meinem Ohr kitzelte.

"Wenn du mir eine baust, verschone ich dich."

Mir tropfte der kalte Schweiß von der Stirn, als ich die Nähe bemerkte. Ich schluckte hart und zog scharf die Luft ein, um meinen schnellen Herzschlag vergeblich zu beruhigen. Als sich der fremde Mann von mir entfernte, löste sich mein Unbehagen blitzartig auf und meine zerbrechliche Selbstsicherheit kehrte wieder zu mir zurück.

"Wie?", brummte ich gelangweilt und schüttelte mit ernster Miene den Kopf, bevor mir ein kalter Luftzug, der aus irgendeinem Winkel der Höhle strömte, mein empfindliches Zwerchfell aufstellen ließ, "luxuriöses Outfit und eine teure Armbanduhr, aber keine Villa? Du enttäuscht mich."

Eine kurze Schweigeminute entstand, als wir uns ein letztes Mal in die Augen sahen, bevor eine pulsierende Ader an seinem schlanken Hals auftauchte.

"Du hast dich lange genug über mich lustig gemacht, du Penner."

Mit diesen Worten fing sein pompöser Zylinder an sich von selbst um seine eigene Achse zu drehen. Mein rechtes Auge zuckte unentwegt, als ich das Spektakel vor mir nicht realisieren konnte. Es war, als wenn dieses Kleidungsstück zu grinsen und seine würfelartigen, plötzlich aufkommenden Augenbrauen hoch und runter zu ziehen anfing. Kleine Blitze schossen aus diesem heraus, als sich eine magische Kraft in der Höhle konzentrierte und uns mit seinen starken Armen umfing, als wenn es uns Hier und Jetzt zerquetschen wollte. Es öffnete sein Maul, aus dem rote Dornen ragten, und sog die Luft harsch ein. Das Mädchen quietschte und suchte sich in einem der düsteren, abgeschotteten Gänge Schutz. Es sog das Lagerfeuer, die Steine und das gesammelte Holz mit in die schwarze Leere des Zylinders. Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen die gewaltige Macht, doch Stuck für Stück rutschte ich näher an diesem allesfressenden Schlund, das mich grinsend vernichten wollte. Die Dunkelheit kehrte ein, kaum ein Sonnenstrahl drang aus der Außenwelt in die Höhle ein.

Reflexartig schoss ich meine Harpunen weit in den Boden, um einen Halt zu suchen. Doch die Kraft wirbelte den Sand auf und zogen meine Harpunen direkt in sein Maul. Verbissen lehnte ich mich gegen ihn auf und suchte aufgewühlt nach einer Möglichkeit ihn aufzuhalten. Bevor mir eine geeignete Möglichkeit einfiel, tauchten Ketten um den Zylinder auf, die ihn festumschlossen und seinen großen Schlund letztendlich schlossen. Lächelnd atmete ich aus, fragte mich insgeheim woher die Rettung kam. Als ich verwundert um mich blickte, fand ich niemanden wieder. Ob das Mädchen, das aus der Dunkelheit zu uns blickte, die Art der Magie beherrschte? Mein Herz stolperte und hüpfte aufgeregt, als ob etwas geschah, dass mein Verstand nicht begreifen konnte. War sie möglicherweise diese Frau, die mich gerettet hatte?

Bevor ich weiter über diese Möglichkeit nachdenken konnte, schnipste mein Feind brummend, bevor die Ketten verschwanden und er seinen Zylinder mitsamt übernatürlich große Dornen in meine Richtung warf, aus dem riesige Ranken ragten, die meine Beine und Arme festhielten. Die Dornen rasten auf mich zu, während der Zylinder erneut grinste und drohte seinen Mund zu öffnen. Mein Herz klopfte wie wild, als sich etwas in mir regte, das sich gegen sein Schicksal auflehnte.

Der Gedanke daran, dass ich meine Fragen bisher nicht beantwortet und das Gesuchte nicht gefunden hatte, ließ mir einen neuen Kraftschub geben, durch den ich animalisch aufschrie. Das Adrenalin durchstieß meine Venen und ließ sehr viele Harpunen, um mich herum erscheinen, die die ganzen Ranken in kleine Stängel verwandelten. Als die Dornen meinen Körper drohten aufzuspießen, schützten mich riesige Ketten, die sich wie eine Rüstung um meinen Körper legten. Als diese wieder verschwanden, erkannte ich einen genervten Mann wieder, der angestrengt aufseufzte und seine Beine schläfrig überkreuzte.

"Hat dir schon mal gesagt, dass du viel zu leicht ausrastest und dringend einen Psychologen aufsuchen solltest?"

Meine Worte hallten in der kühlen, düsteren Höhle wieder. Seine Lippen formten ein höhnisches Grinsen, bevor er sich seinen Zylinder wieder aufsetzte.

"Habe doch gerade eine Therapiestunde bei dir. Das nennt man Anti-Aggressionstraining."

Mit spielerischer Leichtigkeit blieb er seiner Arroganz treu und brachte mich aus meinem standhaften Konzept. Verwundert runzelte ich meine Stirn und blickte gelangweilt um mich.

"Seit wann bin ich zu einem Therapeuten befördert worden? Wo ist dann meine Kohle?" Dabei schaute ich theatralisch zu dem aufgewirbelten Sand, in denen einige Überbleibsel meiner Harpunen versteckt lagen.

"Keine Sorge, die stifte ich dir. Du brauchst doch ein bisschen was, um deinen Sarg zu verbrennen." Seine Augen funkelten in einem merkwürdigen Glanz, der meine Neugier erweckt hatte. Seine ironisch verpestete Stimmlage steckte mich zunehmend an.

"Wie nett von dir. Aber hör mal, ich kann dir, du armer Specht, doch nicht dein letztes Hemd klauen", erklärte ich ihm mit sarkastischem Unterton, "wie willst du dir sonst eine Villa bauen, wenn du nicht mal mehr Kohle hast?"

Ein lautes Schnauben unterbrach unser trübseliges Gespräch. Das Mädchen trat aus dem Schatten heraus und stapfte mit ballender Faust auf den Boden, der aus purem Sand bestand, weshalb sie in diesem eher versank und darum mit roten Ohren vor uns stand.

"Ich habe das Gefühl, das ihr beide irgendwie das eigentliche Problem außer acht gelassen haben."

Meine Augen wurden groß, als ich begriff, dass ich mit meinem Gegner einen kleinen Schlagabtausch der anderen Art hatte. Statt ihn schnell aus dem Weg zu räumen, hatte ich mich auf seine Spielerei eingelassen. Wie weit konnte ich nur sinken? Mit einem Seitenblick zu meinem Feind erkannte ich dessen Verwunderung über die mutige Haltung des schwachen Mädchens, doch in dem selbigen Augenblick verschwand der Ausdruck und seine übliche Arroganz glitzerte in seinem Schemen losen Gesicht.

"Ach, was. Fühlst du dich jetzt schon so vernachlässigt, dass du, der eigentliche Grund, warum wir hier überhaupt sinnlos nach Feierabend kämpfen, dass gerade du uns die grausame, harte Realität vor unsere unschuldigen Augen klatschen musst. Ja, du bist wirklich das Problem."

Seine gnadenlose Ehrlichkeit hätte sie erschrecken sollen, doch alles, was ich wiederfand, waren aufgeplusterte Wangen des Zorns, den sie nicht scheute dem Mann zu zeigen, vor dem sie vor wenigen Minuten noch am ganzen Körper geschlottert hatte.

Als unsere Augen uns fanden, grinste er breit und schob seinen Zylinder zurecht, sodass er mich besser beobachten konnte.

"Komisch", kreischte uns das Mädchen vorwurfsvoll an, "ich sehe nur gar keinen Kampf! Ihr labert und labert und in der Zeit fange ich an Hunger zu bekommen."

Verwirrt blinzelte ich über die mir dargebotene Szene hinweg und versuchte zu begreifen, was hier genau vor sich ging. Hatte sie nicht zuvor noch große Furcht gezeigt? Warum hatte ich nun das Gefühl, dass beide mich mit ihrem Auftritt die ganze Zeit hinters Licht führten?

"Großartig, die Prinzessin hat Hunger", schnalzte mein Gegenüber empört, bevor er dann eine Kampfhaltung annahm, "gut, wenn das so ist, sollten wir uns beeilen."

Mit diesem Satz lief er grinsend auf mich zu. Ich fing einen seiner Tritten mit beiden Armen ab, wurde jedoch nach hinten gedrängt. Langsam gingen mir die beiden gehörig auf die nerven. Ich sollte den Kampf schnell beenden, um aus dieser Höhle zu entfliehen. Da waren mir die Monster außerhalb des Schutzgebiets weit aus lieber.

Mein Spiegelbild

 

Nach einer Weile des Schlagabtausches spürte ich die Folgen des langen Kampfes in meinen Knochen. Doch das war längst nicht alles. Ich hatte mich nicht von den letzten Tagen in der Wildnis erholen können. Und nun stand ich einem starken Gegner gegenüber, der mich in einer Sekunde zur nächsten zur Strecke bringen könnte. Trotz der Gefahr hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht wirklich verletzen wollte.

Aus ihm konnte ich nicht lesen - seine Mimik und Gestik widersprach sich innerhalb von Wimpernschlägen. Doch was hatte ich von einem Gott erwartet? Er war mein natürlicher Feind. Jemand, der die Existenz der Menschheit gefährdete. Zumindest sollte es so sein.

Der Moment, indem unsere Fäuste aufeinanderprallten und wir uns mit flüssigen Bewegungen aneinander orientierten, um den jeweils anderen auszutricksen, bewegte mein Inneres. Meine Mundwinkel zuckten hoch, während mein Herz aufgeregt pochte. Es erinnerte mich an das Training mit Jikai. Meine Muskel zuckten mit jedem Atemzug freudig auf. Schon lange hatte ich mich nicht mehr dieses Gefühl in meiner Brustgegend.

Auch wenn ich ihn nicht lesen konnte, so konnte ich im Kampf seine Muster erkennen. Mit jedem Tritt, den er mir verpasste, fühlte ich das Gleiche wie er. Wenn er auswich und sich verteidigte, konnte ich jene Mauer durchbrechen und hinter seine Fassade blicken. Selbst, wenn es nur für den Bruchteil einer Sekunde war.

Die Emotionen in uns leuchteten auf und verbanden uns. Mehr, als wir es selbst begriffen. Wenn wir keine Feinde wären, wären wir bestimmt Freunde geworden. Nein. Daran konnte ich nicht denken. Ein Exsoldat durfte keine Freundschaften hegen.

Jikai war der Einzige, den ich in meinem Leben akzeptieren konnte. Denn er war meine Familie. Selbst wenn wir getrennte Wege gingen, so war ich in Gedanken immer bei ihm. Und solange ich nicht in seiner Nähe war, würde ein Teil von mir an seiner Seite bleiben, um über ihn zu wachen.

Als er mir einen weiteren Schlag austeilen wollte, wich ich zur Seite aus und verpasste ihm einen harten Tritt. Ich sprang zurück und unterdrückte meine schmerzende Hand. Der Fluch fraß mich immer weiter von innen auf.

"Du bist wirklich zäh", sagte er breit grinsend und wischte sich das Blut von seinem Mund, "das gefällt mir. Schade nur, dass wir auf unterschiedliche Seiten stehen."

Mein Gesichtsausdruck glich seinem, als wir kurz auflachten. Dann folgte eine kurze Stille. Wir waren in einer eigenen Welt gefangen, aus der wir schwer wieder rausfanden. Obwohl ich ihn erst seit kurzem kannte, hatte ich das Gefühl, dass wir seit Ewigkeiten unbeschwert miteinander reden konnten.

"Das wäre doch wirklich absurd, oder?", griff ich seine Worte amüsiert auf und gluckste herzlich, "wenn wir auf einmal Freunde wären. Dann dürfte ich dir dein hübsches Gesicht nicht entstellen. Das wäre doch eine Schande, oder?"

Das fremde Mädchen verfluchte uns leise immer und immer wieder. Sie war ein merkwürdiges Kind. Doch gleichzeitig verstand ich sie. Ihr Magen knurrte lauthals. Wir sollten uns wirklich beeilen, doch wollte ich diesen Augenblick nicht enden lassen. Es war, als wenn der Teil, den ich verloren hatte, durch einen anderen komplementiert wurde. Selbst wenn dieses Stück nicht in die Lücke gepasst hatte, so hatten sich die Scherben gänzlich verändert und eine andere Form ans Tageslicht gebracht.

"Du findest mich also hübsch, ja?", stimmte er lachend mit ein, "pass auf, dass du mir kein Liebesgeständnis machst. Es wäre doch nur zu schade, wenn ich dich zum Weinen bringen müsste."

Leise gab ich ein Würgegeräusch von mir und schüttelte mich angewidert.

"Der Gedanke allein wäre zum Weinen. Ich und dir ein Liebesgeständnis machen..."

Seine Augen strahlten in einem traurigen Glanz - nicht wegen meiner Reaktion. Mein Herz hörte auf zu schlagen, als ich diese Tiefe bemerkte und hinter einer grausigen Leere verbarg sich die Unendlichkeit. Die Einsamkeit, die mich Tag für Tag aufs Neue heimsuchte.

"Es klingt wirklich absurd - wir und Freunde. Das klingt viel zu seicht. Freundlichkeit ist nicht mein Ding." Ein sanftes Lächeln spiegelte sich auf seinem Gesicht. Er zog sich seinen Hut weiter ins Gesicht, in der Hoffnung, dass ich die Sehnsucht seiner Emotionen nicht begreifen würde. Doch war es bereits zu spät. Mein Hals schnürte sich zu. Schmerzverzerrt hielt ich mir meine Brust. Sein Anblick war wie in einem Spiegel zu sehen. Messerstiche durchbohrten mein Herz.

"Deine grenzenlose Fantasie ist schon krank genug, da brauche ich nicht auch noch deine seltsame Freundlichkeit." Auch ich lächelte. Doch mit einem Seitenblick zum Mädchen wurde mir wieder bewusst, in welche Lage wir feststeckten. Ich konnte mit meinem Feind keine Nachsicht haben, nur weil ich mich in ihm sah. "Bevor ich dir ein Liebesgeständnis mache, müsstest du mich schon auf Knien anflehen!"

Mit diesen Worten ließ ich meine zitternden Hände knacksen. Ich hatte nicht mehr viel Kraft über. Ergo musste ich alles in meinen nächsten Angriff setzen. Allein der Gedanke daran, erinnerte mich an ein gefährliches Glücksspiel. Jikai hatte mich damals immer in ein Casino geschliffen. Wir hatten nie sonderlich Glück. Doch nun musste ich es haben. Ich konnte es mir nicht leisten Hier und Jetzt mein Leben zu lassen.

"Sucht euch ein Hotelzimmer. Das ist echt widerlich. Und ich dachte, dass du mich vor dem retten könntest, aber du bist ja vollkommen gestört." Die Worte des Kindes schreckten mich auf. Verlegen kratzte ich mir die Wange und drehte mich in ihre Richtung. Ihre Wangen waren aufgeplustert, während sie mich wütend beäugte. Ja, sie hatte jeden Grund sauer zu sein.

Entschuldigend formte ich meine Hände zu einem Strich und klatschte diese aufeinander, bevor ich eine leichte Verbeugung andeutete.

"Auf Knien anflehen, sagst du? Ich zeige dir jetzt, wer wen auf Knien anflehen wird!"

Urplötzlich änderte sich die Umgebung. Wir wurden in tiefe Dunkelheit eingeschleust. Das lachende Gesicht des Hutes leuchtete auf, bevor es sich duplizierte und mich von allen Seiten bedrängte. Kurz holte ich tief Luft und bündelte meine ganze Kraft. Ein riesiges Schachbrettmuster schob sich um mich herum und schloss mich in einen großen Würfel ein. Mit aufmerksamen Blick verfolgte ich seine Aktionen und suchte eine Schwachstelle. Sollte ich die schwarzen oder weißen Steine um mich herum mit meiner Magie zerstören? Was auch geschah, ich würde alles auf eine Farbe setzen. Nein, ich durfte nicht lange überlegen. Mein Instinkt würde dies für mich regeln.

Meine Harpunen griffen die weißen Fragmente des Würfels ein. Mit einem Mal lösten diese sich auf und meine Harpunen griffen direkt das grinsende Gesicht an. Es leuchtete golden auf und die Farbe der schwarzen Steine um mich herum färbten sich mit. Bevor ich reagieren konnte, explodierten sie nacheinander und griffen mich mit meinen eigenen Harpunen an.

Die Explosionen verbrannten meine Haut. Doch der Schmerz war nichts im Vergleich zu meinen eigenen Waffen, die sich gegen mich wandten und meine Arme durchlöcherten. Schreiend windete ich mich vor Schmerzen und fiel blutüberströmt auf den sandigen Boden. Röchelnd spuckte ich die rote Flüssigkeit aus. Mein ganzer Körper bebte vor Schmerzen. Keuchend zuckte ich immer wieder in mich zusammen. Ich konnte nicht Hier und Jetzt sterben.

"Lebe."

Diese Stimme ließ mich für einen Augenblick erstarren. Eine Frau sprach zu mir. Diese Frau. Mein Herz pochte stark. Es erinnerte mich an eine Zeit zurück, in der ich genauso verletzt wurde. Eine seltsame Szenerie tat sich vor mir auf. Es war ein Schlachtfeld. Mitten in den Trümmern lag ich über eine Frau gebeugt, während die Gewehre auf mich gerichtet waren. Daran konnte ich mich bis jetzt nicht erinnern. Doch allein der Gedanke daran, hinterließ eine aufklaffende Leere, die mich mit Trauer und Furcht überflutete.

Dieser Erinnerungsfetzen gab mir die nötige Kraft, um trotz dem hiesigen Blutverlust aufzustehen. Taumelnd suchte ich in der Dunkelheit nach dem Feind.

"An den Anblick könnte ich mich gewöhnen." Ein schallendes Lachen ertönte aus der Ferne, bevor das Geräusch von Kleingeld meine Aufmerksamkeit erhaschte. Es blitzte aus mehreren Richtungen auf, bevor sie wie gewaltige Geschosse auf mich zurasten. Wenn ich jetzt nicht handelte, dann würde ich niemals mehr über das Vergessene erfahren. Doch hatte ich meine letzten Energiereserven aufgebraucht. Wenn ich jetzt attackieren würde, würde der Fluch einige meiner Organe beschädigen.

Der Gedanke an meine eigene Hilfslosigkeit ließ mich grinsen. Ich stellte mich der Gefahr, um dem Mädchen zu helfen und endete nun selbst als eine Opfergabe. Was für eine Ironie.

Auf einmal lief das Mädchen zu mir und stellte sich schützend vor mir. Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Doch ehe ich reagieren konnte, hatte ein warmes Leuchten mein Inneres gefüllt. Im nächsten Augenblick hatten sich die Geschosse in einen riesigen Nebel verwandelt. Er umhüllte uns wie ein Wirbelsturm, der uns Schutz vor seinen Angriffen bot. Verwundert blickte ich um mich. Hatte mich das Kind gerettet?

Der Wirbelsturm ließ uns schweben und mitten in diesem flogen wir sicher mitten aus der Höhle hinaus, ohne dass einer seiner Attacken uns treffen konnten. Ihre Magie war erstaunlich und präzise. Ihre Hände waren ausgestreckt, während sie wie in Trance ihren Wirbelsturm kontrollierte.

Das Mädchen, das ich retten wollte, hatte mich gerettet. Was für ein Tag. Doch warum brauchte sie Hilfe, wenn sie eine starke Magie wie diese besaß? Sie war mir ein Rätsel.

Der Wind trieb uns immer weiter durch die trockene Landschaft und brachte uns weit ab von der Gefahr, mitten in eine kleine schattige Oase.

Der Nebel lichtete sich kurz vor dem wundervollen Ort, ehe sie vor Erschöpfung zusammenbrach. Panisch griff ich nach ihr. Der Wind ließ nach. Wir stürzten in die Tiefe. Schützend umgriff ich ihre Taille und erschuf trotz meinem Fluch seilartige Harpunen, die uns wie ein Netz umfingen und uns langsam auf den Boden ließen.

Als ich sie nah an mich drückte, spuckte ich erneut Blut. Sie drückte genau auf eine meiner Wunden. Ich biss mir auf meine Unterlippe, um nicht laut aufzuschreien. Meine Sicht verschwamm immer weiter. Jetzt hatte ich einem Kind wirklich mein Leben zu verdanken. Jikai hatte Recht. Es war ein Wunder, dass ich heikle Situationen wie diese überlebte. Ein sanftes Lächeln spiegelte sich auf mein Gesicht wieder. Ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er sich ständig um mich sorgte. Vielleicht sollte ich mir ein anderes Hobby suchen.

 

Eine mysteriöse Frau

 

"Rykar", hallte es in meinen Ohren. Eine wohlige Wärme durchströmte meinen Körper. Ihre leise Stimme kitzelte im Ohr. Die Dunkelheit hatte mich in einen Käfig gesperrt, aus dem ich es selbst nicht herausschaffte. Die Hitze stieg in mir auf wie die Lava in einem Vulkan. Pulsierende Adern und ein dröhnender Kopf waren die Folgen eines unausweichlichen Endes des Kampfes. Dennoch zitterten die eisigen Finger, die sich taub und schwer anfühlten. Lähmungserscheinungen trübten meine Sinne. Nur der Ruf meines Namens war mir geblieben.

Das Herz klopfte wild gegen den Brustkorb, während die Stille der Nostalgie unbewusst alte Narben aufleben ließ. Der Fluch, der den beschädigten Teil einen Sein verlieh und mich gänzlich vom Pfad der Vernunft wegführte, ebnete den schweren Weg der unaufhörlichen Suche nach meiner Vollkommenheit. Doch könnte ich mit der Bürde leben, sobald ich dies gefunden hatte?

Schmale Lippen formten meinen Namen erneut. Ich horchte auf. Der Klang war mir vertraut und schien mir noch so fremd. Ehe ich mich an ihr Gesicht erinnern konnte, war es wieder verblasst. Die Dunkelheit wütete.

Im nächsten Augenblick empfand ich ein Kribbeln, das durch meine Finger bis in mein Zehen floss. Doch das leicht unangenehme Gefühl veränderte sich. Mein Körper brannte und fühlte sich wie zermalmt. Die Muskeln spannten sich an und zuckten willkürlich. Meine Nervenbahnen spielten verrückt.

Trotz der Schmerzen konnte ich mich nicht rühren. Kein Ton kam aus meiner trockenen Kehle. Ich hatte das Gefühl, als würde ich gefoltert werden.

Doch im gleichem Atemzug verschwand jenes Leid und eine sanfte Wärme umfing mich. Meine Augenlider öffneten sich leicht. Nach mehrmaligen Versuchen wach zu werden, hörte ich einen kleinen kochenden Kessel. Der Geruch von Tee und Kräutern drang in meine Nase.

Ich setzte mich auf und blickte direkt in das faltige Gesicht einer älteren Frau. Diese rührte einen großen Kessel mittig im Raum um.

"Da hat sich jemand mit dem Erwachen Zeit gelassen." Ihre raue, dunkle Stimme hatte einen sarkastischen Unterton. Benommen blickte ich um mich herum.

Es war eine vermoderte Hütte mit einem riesigem Zimmer, in dem eine Vielfalt an Pflanzen gediehen. Das üppige Efeu verdeckte die Sicht auf die Wände. In diesem eingewickelt fanden viele Bücher ihren Platz. Sie leuchteten in satten Farben. In einer Ecke wurde eine hellgrüne Küchenzeile platziert und in der anderen stand ein runder dunkler Tisch, der mit Kerzenständern verziert war. Kleine feine Wasserlinien, die wie ein Rinnsal mitten durchs Haus führten, mündeten in den Wänden. Es machte den Anschein, das sie künstlich erzeugt wurden.

Noch nie hatte ich derartige Magie erblickt. Ein Haus, das einem Mysterium glich, vernebelte meine Sinne.

"Euch sind ungebetene Gäste gefolgt." Bevor ich die Worte der fremden Frau begreifen konnte, ertönten bereits Schüsse und Geschrei. Mit großen Augen schreckte ich auf. Schnell suchte ich nach dem Mädchen.

"Sie ist in Sicherheit." Der Satz genügte um mich zu beruhigen. Dankend nickte ich in ihre Richtung und stürmte aus dem Haus. Kugeln flogen direkt an mir vorbei. Mit einer leichten Drehung wich ich ihnen aus. Als ich um mich erblickte, fand ich zu meiner Verwunderung eine große Menschenmenge wieder. Soldaten in ihren meeresgrünen Rüstungen umringten das Grundstück der älteren Frau.

Es waren feindliche Truppen, die das gleiche astronomische Wappen wie die Untergebenen der Götter trugen. Es war eine Mischung aus einem Blitz, einem Stern und einem Unendlichkeitszeichen. Das Mädchen musste wichtiger sein als ich zunächst annahm. Hätte ich mich aus deren Angelegenheit rausgehalten, würde mir großen Ärger erspart werden. Doch konnte ich nicht eine zitternde Hand von mir stoßen.

Mittendrin befanden sich viele Zivilisten mit Heugabeln bewaffnet. Es war ein unüblicher Anblick.

Ehe ich Fragen stellen konnte, hatten sie die Kugeln abgefeuert. Seufzend schüttelte ich den Kopf. Dabei hatte ich gehofft, dass ich die Angelegenheit auch ohne Gewalt lösen konnte. Ich streckte meinen Arm aus und öffnete meine Hand. Aus dieser ragten mehrere Harpunen raus, die die Geschosse sauber abwehrten. Sobald Kugel und Harpune aufeinandertrafen, entstand eine kleine Rauchwolke. Wenige der Soldaten sprangen aus der Menge hervor und attackierten mich mit großen Schwertern. Ich sprang zurück und rüstete meinen ganzen Körpern mit Harpunen aus. Bereit, um abgefeuert zu werden. Sie schützten mich gleichzeitig vor den gefährlichen Klingen der Truppen.

Langsam fragte ich mich wirklich in welches Schlamassel ich wieder hinabgestürzt war, dass die Truppen auf mich gezielt Jagd machten. Sie setzten zum Angriff an, als die Pflanzen aus dem Garten lebendig wurden. Mehrfach blinzelnd schielte ich auf die Ranken, die sich um die Beine der Soldaten geschwungen hatten. Die Blütenblätter der Alpenveilchen drehten sich und schossen eine klebrige Masse auf die Eindringlinge. Als die feindlichen Truppen wild mit den Schwertern schwangen, wurde das Haus aktiv. Die Wände hatten sich zu einer Faust umgeformt, die ihre Gegner weit wegschleuderte. Kleine feine Arme hielten die Waffen fest und zerbrachen die Klingen als wären sie aus einfaches Papier geschmiedet.

"Verdammte Hexe!", riefen einige und suchten panisch das Weite.

Verwundert betrachtete ich dieses Spektakel. In kürzester Zeit hatte das verwunschene Grundstück seine Angreifer in die Flucht geschlagen.

Als keine Feinde in Sichtweite waren, normalisierte sich das Haus wieder.

Wahrscheinlich träumte ich noch. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Auch wenn ich viel übernatürliche und magische Phänomene bereits erlebt hatte, das war auf einem ganz anderen Level.

Das Grundstück wirkte auf mich wie ein verlassener Bauernhof, auf dem verschiedene Pflanzenarten heimisch waren, die normalerweise nicht in einen normalen Garten gehörten. Neben Tollkirschen fand ich Eisenhut, Engelstrompete, Oleander und Riesen-Bärenklau. Sie musste eine Vorliebe für Gift entwickelt haben oder die Fremde war weitaus gefährlicher als zunächst angenommen. Doch solange sie auf unserer Seite war und uns half, sollte ich ein wenig auf meine Umgangsformen achten. Das Haus war von Ranken und Efeu besetzt. Es machte durch viele Risse der weißen Außenfassade einen baufälligen Eindruck.

Neben einem normalem Zeltdach, das in einem kräftigem Brombeerton schimmerte, besaß es sechs weitere Spitzdächer, die jede Ebene kennzeichnete. Die Gebäudeplatten wirkten schief zusammengesetzt und ergaben ein seltsames Bild, das durch die violetten Kegeldachtürme mit Biberschwanzziegeln abgestützt wurde. Sie wirkten wie Säulen, ohne dass das Haus zusammenfallen würde.

Eines der zweiteiligen, stumpfen Trapezfenster öffnete sich. Die fremde Frau schaute vorwurfsvoll an mir herab.

"Wie lange willst du noch wie angewurzelt da stehen? Komm endlich rein", sagte sie in einer tiefen Stimmlage, "du lockst nur Schaulustige an."

Die Fenster klirrten, als sie mit Schwung geschlossen wurden. Irritiert hob ich eine meiner Augenbrauen und schüttelte seufzend den Kopf. Sie war eine wirklich mysteriöse Frau. Murrend griff ich zum verschnörkeltem schwarzen Türgriff der rankenartigen Flügeltür. Er schlängelte sich um meine Hand, ehe es sich zu einem flügellosen Drachen formte. Es verschwand in binnen von Sekunden.

Die gläserne Mosaiktür öffnete sich von selbst und ließ mich passieren. Zögerlich schritt ich in das verwunschene Haus, bevor es sich hinter mir ruckartig wieder schloss.

"Bestimmt hast du einige Fragen", hauchte sie mir rätselhaft zu, während sie dem schlafendem Mädchen eine cremefarbene Brühe verabreichte. Misstrauisch näherte ich mich ihr. Sie bedeutete mir mich auf einen der verschnörkelten Stühle nahe des braunen Rundtisches zu setzen. Sie knarrten unter meinem Gewicht. Ich nickte in ihre Richtung und lehnte mich vorsichtig zurück. Das dunkle Fell der Lehne schmiegte sich meinem Rücken an.

Sie hatte langes schwarzsilbernes Haar, das mit weißen Strähnen versetzt war. Ihre Ausstrahlung erinnerte an eine Gottesanbeterin. Die Pupillen ihrer Augen waren weiß und nahmen die Form eines Sichelmondes an. In ihren graublauen Iris konnte ich einen nebeligen Wald erkennen, der von Moos und Klippen umringt war.

"Wie du weißt, werde ich als eine der wenigen Hexen gejagt und gefürchtet", fing sie in einem ruhigen Ton an, "sag mir, Rykar, fürchtest du mich?"

Ihre Stimme klang besorgt. Sie trug ein schwarzes langes Gewand, das bis zum Boden reichte. Das Efeu umring ihre Hand. Sie strich mit ihren langen schwarzen Fingernägeln vorsichtig über die giftige Pflanze.

"Nicht fürchten", antwortete ich ihr nachdenklich, "eher skurill. Ich meine, bisher kamen Hexen nur in Büchern vor. Aber wenn ich ehrlich bin... Ich habe schon vieles erlebt und glaube euch. Nur weil ein Mensch dies nicht begreifen kann, heißt es nicht, dass es nicht existiert."

Ihr Blick wirkte traurig, als sie meiner Antwort Gehör schenkte. Sie wandte sich mir ab. Ihre rätselhaften Augen glitten aus dem Fenster.

"Und alles was die Menschen nicht begreifen können, fürchten sie. Dies ist nur natürlich. Vor allem, wenn sie die Kräfte einer Hexe als gefährlich einschätzen."

Meine Hand umgriff die meiner verletzten und ich begriff, dass es viele restlose Seelen gab, die immer und immer wieder in ihren eigenen Kampf verwickelt wurden. Letztendlich ging es nur um das nackte Überleben. Dabei spielte die Rasse und das Geschlecht keine Rolle. Selbst die mächtigen konnten bedroht werden. Es war ein dunkler Kreislauf, der nicht enden wollte.

"Sie jagen euch? Wieso haben Sie sie nicht getötet? Sie werden sicher wieder kommen." Ich stand kampfbereit auf. Die Hexe schüttelte den Kopf und formte mit ihren rissigen Lippen einen Strich.

"Nur weil ich die Macht dazu habe, sollte ich dies nicht ausnutzen. Zumal sie mich weit aus mehr fürchten würden, wenn ich dies täte." Ich nickte zustimmend. Sie verschränkte ihre Arme vor dem Körper und verstummte in Gedanken versunken.

"Wäre es dann nicht sicherer weit ab von Zivilisation zu leben?", fragte ich sie neugierig. Sie regte sich nicht.

"Mag sein, aber dann hätte ich keinen Nutzen mehr." Mit jeder Beantwortung entstanden neue Rätsel. Sie war wie ein langer Roman, dessen Buchrücken ich lediglich kannte.

"Was meint Ihr damit?", hakte ich weiter nach. Um die Welt vor mir zu begreifen, musste ich zunächst die einzelnen Denkweisen der Lebewesen kennenlernen. Es war ein großes Puzzle, das sich nach und nach zusammenfügte. Sie legte den Kopf schief.

"Eine Hexe entwickelt Tränke, um anderen zu helfen. Wir können Krankheiten und Verletzungen heilen, doch was wird daraus, wenn wir nicht mehr helfen können?" Sie ließ die Frage unbeantwortet und verstummte abermals.

"Ich verstehe", flüsterte ich nachdenklich. Sie musste sich dem Risiko aussetzen, da es ihre Bestimmung war. Die Hexe glich in dieser Denkweise mir selbst. Auch ich hatte eine Bestimmung oder mehr einen Drang, der sich nicht per Knopfdruck abschalten ließ. Ich musste mich in das Kampfgeschehen einmischen. Sobald jemand mir eine Hand ausstreckte und ich die Hilflosigkeit in den Augen der Person erkannte, konnte ich nicht wegsehen. Solange ich lebte, würde ich auch kämpfen.

"Rykar, du bist gekommen und dennoch unvollständig. Bist du wirklich bereit dich deinem Schicksal zu stellen?" Sie stand plötzlich direkt vor mir und ergriff meine Hand. Es fing an zu kribbeln. Meine Finger kühlten blitzschnell aus.

"Was weiß ich..." Ich entriss meine Hand aus ihrer eisigen Kälte. Ihre Augen fanden meine. Es war, als wenn sie meine Seele aufsaugte und mir jegliche Kraft nahm. Diese Erkenntnis alarmierte mich.

"Du bist auf der Suche und treibst rastlos wie ein Stück Holz auf dem Wasser. Dabei hast du dein Ziel aus den Augen verloren und bist nunmehr ein kaputter Kompass." Mehrfach blinzelte ich. Dadurch konnte ich mich aus ihren Fesseln reißen. Sie machte einen Schritt zurück und lächelte entschuldigend, ehe sie sich wieder dem großen Teekessel widmete. Ich ließ ihre Worte kurz auf mich wirken. Wahrscheinlich würde ich in meinem Leben nicht noch einmal die Chance haben mit einer leibhaftigen Hexe zu reden. Somit entschied ich mich die Kommunikation aufrecht zu halten. "Was wissen Sie noch über mich?"

Sie rührte mit einem riesigen Schopflöffel die Brühe um und schielte in einem mysteriösen Glanz zu mir. Ihre Augen funkelten wie die Sterne, ehe sie wieder verblassten.

"Nur, dass auf dich Großes wartet. Du wirst bestimmt finden, was du suchst, doch wird dich deine Suche viel Leid bringen. Das sagen mir die Sterne."

"Die Sterne, ja? Klingt echt super", seufzte ich verzweifelt. Meine Finger krallten sich tief in das Fleisch. Mein Herz klopfte wie wild gegen meine Brust. Die Verzweiflung verband sich zusammen mit einem wissensdurstigem, energischem Gefühl eines Abenteurers. Manchmal fürchtete ich meine Begeisterungsfähigkeit für das Ungewisse. Je höher das Risiko desto mehr spürte ich die Chance das fehlende Stück zu finden, das ich suchte. Dennoch könnte es mich genauso in den Tod stürzen.

"Beschweren kannst du dich woanders." Ihre Stimme hatte einen bedrohlichen Ton angenommen. Sie rümpfte ihre Nase und schloss betroffen ihre Augen. Sofort riss ich mich zusammen und räusperte mich. Ich sollte eine Hexe lieber nicht verärgern. Gleichzeitig würde sie mir einen großen Nutzen erweisen. Ihre Worte brachten mich auf eine Idee.

"Vielen Dank für die Hilfe, aber könnte ich Sie um einen weiteren Gefallen bitten?"

Sie runzelte ihre Stirn und blickte auf mich herab. Jetzt hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit. Eine Hexe konnte nicht anders als Gefallen zu erwidern. Es war ihr Schwachpunkt. Sie existierte nur um anderen zu helfen. Das hatte sie mir selbst verraten. Nun konnte ich daraus profitieren.

 

Fluch und Heilung

 

Das Ticken der Zeit war ein Phänomen, dass seit jeher die Lebewesen in Angst und Panik versetzte. Dennoch raste sie an uns vorbei wie eine vereinzelte Sternschnuppe, die den Weg in unsere Welt gefunden hatte, nur um dann wieder zu verglühen. Der Tod folgte uns mit jedem Schritt, den wir bestritten. Darum betrachtete ich ihn als natürlich und normal. Er gehörte zum Leben dazu. Vielleicht lag es an meiner Erfahrung als ehemaliger Soldat, der im Kampf mehr Leben genommen und Leichen begraben, als eine Person gerettet hatte. Dennoch machte es mich nervös, wenn ich nicht beschützen konnte.

Während sich die seltsamen Gedanken in meinem Kopf ausbreiteten, unterrichtete mich die Hexe in Kräuterheilkunde. Ich stellte verschiedene Salben her und lernte alle Arten von Giften, um sie auseinander zu halten und sie zu neutralisieren. Da ich wusste, dass ein langer, harter Weg auf mich wartete, sog ich jedes Wort von der Hexe auf und setzte sie praktisch um.

"Du bist geschickter als du aussiehst", fing sie stirnrunzelnd an, "ein wirklich guter Zuhörer, der die Sache ernst nimmt. Leider bist du dennoch zu verspannt und zu ernst. So werden dir die Pflanzen nicht auf Dauer helfen."

Das war die einzige Essenz, die ich nicht begriff, auch wenn ich ihr lauschte. Die Pflanzen hatten ein Eigenleben. Das bedeutete, dass ich mir ihr Einverständnis verdienen musste, um ein Teil von ihnen verwenden zu dürfen. Wenn sie mich akzeptierten, dann würden die Pflanzen für mich nicht giftig sein, andernfalls könnte ich mein Leben verlieren.

Als ich mich einer Alraune vorsichtig näherte, wackelte sie neugierig auf den Boden umher, ehe sie kreischend hinter einer Wand aus Efeu verschwand. Mein Trommelfell litt sehr unter ihrem Laut. Es ging durch Mark und Bein. Mein Zwerchfell stand auf. Dennoch hatte sie mir keinen Schaden zugefügt.

"Sie sind sehr schreckhaft, da sie oft in der Wildnis für allerhand an schwarzer Magie missbraucht wurden. Glücklicherweise existieren keine Magier mehr oder jene, die die Fluchmagie ausüben konnten. Bedauerlicherweise ist die Anzahl der Alraunen auch seit jeher geschrumpft."

Ihre Erzählungen machten mich wütend, aber auch neugierig. Es bedeutete, dass die Schergen der Götter verschwunden waren. Möglicherweise hatten sie diese weggeworfen, nachdem sie keine Verwendung mehr für sie hatten. Götter zogen dennoch weiter in den Krieg, um die Menschen zu unterwerfen und zu töten. Machten sie sich jetzt eigens die Hände schmutzig? Ich musste die Wahrheit mit eigenen Augen sehen.

"Womöglich stammt dein Fluch auch von einem ihresgleichen. Das kann natürlich die Angst der Alraunen verstärken." Ihr Blick hatte einen geheimnisvollen Glanz.

"Was wissen Sie über meinem Fluch?", hauchte ich atemlos. Gespannt wartete ich auf ihre Erklärungen.

"Er wurde höchstwahrscheinlich von einem starken Magier ausgesprochen. Möglicherweise von einem Halbgott, der genug Macht besaß, um Fluchmagie anzuwenden."

"Halbgott", murmelte ich leise vor mir hin und erinnerte mich daran, dass mein letzter Gegner auch göttlich war.

"Es wird deinen Körper langsam zerfressen bis du gänzlich zu einem Sklaven der Götter wirst und dabei dein Leben lässt." Ich lachte leise auf, als ich die unbeschönigten Worte vernahm. Sie klangen hart und rau, während sie meine Thesen bestätigten.

"Klingt nach einem wundervollem Dasein", sagte ich zynisch. Mein Blick glitt weiter zur Alraune, die vorsichtig unter der Schar an Efeu herauslugte. Sie beobachtete mich genau.

"Hör auf mit deinem Sarkasmus. Wie unangebracht. Weißt du eigentlich, dass du tot gewesen wärst, wenn ich euch nicht verarztet hätte? geh nicht so leichtsinnig mit deinem Leben um." Sie untermalte ihre aufbrausende Art mit Vorwürfen. Mein Mund öffnete sich und schloss sich im nächsten Augenblick wieder. Ihre fürsorgliche, raue Art ließ mich stumm schmunzeln.

Jikai hatte einst die gleichen Worte gewählt. Trotz Versöhnung bereute ich meinen Abgang. Etwas stach in meiner Brust und zog mich immer wieder zu ihm. Als ob mich etwas mit ihm verband, dass mit bloßen Augen nicht erkennbar war. Dennoch hatte ich mich für dieses Leben entschieden. Ich würde nicht umkehren, ehe ich mehr Menschen gerettet hatte.

"Hab es verstanden", antwortete ich ihr herzlich. Sie zog verwundert ihre Augenbrauen hoch und formte die Lippen zu einem Strich. Die Hexe schien von meiner Reaktion nicht sonderlich angetan. Womöglich dachte sie, dass ich ihren Rat nicht beherzigte und zu leichtsinnig war.

Eine kurze Stille brach ein, in der sie nachdenklich auf meine verfluchte Hand starrte. Um sie nicht weiter zu erzürnen, las ich weiter in dem Heilkundebuch.

"Dein Glück, dass ich eine Medizin kenne, die den Vorgang verlangsamen kann", sagte sie zuversichtlich. Mein Kopf schnellte hoch.

"Aufheben können Sie ihn nicht?", fragte ich verwundert. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Es war, als wenn ich mir in binnen eines Wimpernschlages bewusst wurde, dass ich daran sterben konnte.

"Bedauerlicherweise ist es eine uralte Magie mit einer absonderlich starken Macht. Es ist sehr kompliziert eine fünffache Versiegelung aufzuheben."

"fünffach?" Ich stockte. Es erinnerte mich an den Traum, den ich hatte, nachdem ich von einem Haxzu aufgespießt wurde.

"Nur spezielle Kräfte können deinen Fluch heilen."

Mein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen. Ich fühlte mich leer und verloren. Die Alraune hüpfte leise vor und legte den Kopf zur Seite. Ich durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Nicht jetzt, nicht heute. Dafür stand zu viel auf dem Spiel.

"Er ist also heilbar", versuchte ich an dem positivem Aspekt festzuhalten. Ihre Augen stierten mich finster an. Eine Ranke klatschte gegen meinen Rücken. Es fühlte sich an wie ein Peitschenhieb. Schmerzverzerrt rieb ich mir die Stelle.

"Jeder Fluch ist heilbar, Dummkopf!", schrie sie mir wutentbrannt entgegen. Ich schluckte hart. Durch ihre unbändigen Zorn hatten ihr Haar und die Pflanzen eine rötliche Farbe angenommen. Daran konnte ich somit ihre Emotionen erkennen. Ich spannte meine Muskeln an. Mein Instinkt alarmierte mich keinen weiteren Fehler zu begehen.

"Bis jetzt habe ich noch gar nicht darüber nachgedacht...", erklärte ich ihr vorsichtig. Sie seufzte leicht und beruhigte sich. Die Farben normalisierten sich wieder.

"Bist du jetzt nicht mehr ganz so risikofreudig? Schön zu sehen, dass du ein wenig an deinem Leben hängst." Sie verschränkte ihre Arme und blickte zur Alraune, die neugierig das Gespräch verfolgte. Trotzdem bewahrte sie eine Distanz, um ihren Schutz zu gewährleisten.

Ich dachte an Jikais Worte und ballte die verfluchte Hand zur Faust. Die offenen Stellen pochten. Der Fluch und mein Inneres riefen nach mir. Ich sollte mich in Bewegung setzen und wieder in die Schlacht ziehen.

"Dennoch muss ich weiter östlich. Es bleibt mir keine Zeit." Mein Körper erzitterte vor Furcht, dass ich womöglich zu spät ankam.

Die Hexe schnaubte verächtlich und wandte sich zum schlafenden Mädchen um. Sie sah friedlich aus.

"Du willst mit diesen Verletzungen wirklich in den Krieg ziehen? Es gibt kein Heilmittel für deine törichte Art noch eine, die dich aus dem Tod wiederholt. Zumindest nicht mehr."

"Es gab eine Methode?", japste ich atemlos. Mein Herz klopfte aufgeregt gegen meinen Brustkorb. Es war, als würde es mich ein Stückchen weiter in Richtung Hoffnung begeben. War es ein Lichtfunke, der mich führte?

Zögerlich tippte sie gegen ihren Arm und schaute nachdenklich zu ihren Pflanzen, die sich direkt um sie herum begaben.

"Ihr wollt also, dass ich es ihm erzähle." Kurz schielte sie zu mir und schüttelte ergeben den Kopf. "Da kann man nichts machen. Na gut, aber lass es dir nicht zu Kopf steigen." Sie räusperte sich, ehe sie sich galant auf mich zu bewegte und sich mir gegenüber hinsetzte. Eine Kletterpflanze überreichte ihr eine Tasse Tee, während sich magische Wacholdern und Eukalyptus um sie scharten. Selbst die schlafenden Schafgarben wachten auf, nur um der Geschichte zu lauschen.

"Das war weit vor meiner Zeit. Ich praktizierte noch nicht. Mir wurde einst eine Geschichte erzählt, in der eine Göttin einen Menschen von den Toten auferstehen ließ."

"Eine Göttin... half einem Menschen?", unterbrach ich sie stockend. Mehrfach blinzelnd begutachtete ich jede ihrer Regungen. Sie nickte bestätigend. Ich schluckte hart. Eine unangenehme Gänsehaut legte sich auf meine Haut nieder.

"So die Überlieferung, ja. Ich konnte selbst meinen Ohren kaum trauen." Nach einem Schluck Ihres Getränks fuhr sie fort. "Es hieß, dass sie für den Frieden gekämpft hatte und das Gleichgewicht hüten sollte. Zu dem Zeitpunkt hatten Götter und Menschen ihre eigenen Gebiete. Jedes Lebewesen lebte für sich und durfte nur in diesem existieren. Darum glich es einem Verrat, dass die Göttin einen Menschen, der sich auf ihrem Territorium befand, rettete."

Aufmerksam verfolgte ich die Geschichte. Eine kurze Stille brach ein. Sie ließ mir Zeit, um die gesprochenen Worte besser zu verarbeiten. Zumindest dachte ich das. Sie trank lediglich einen weiteren großen Schluck ihres Gebräus. Es roch nach Minze und Hagebutte.

Genüsslich schloss sie ihre Augen und leerte die gekrümmte Tasse in einem Zug. Meine Augen wurden groß, als ich ihre Gier nach Tee erkannt hatte. Sie räusperte sich und öffnete ihre Lider wieder.

"Doch sie brach die Regel, als sie einen Menschen das Leben schenkte. Du weißt, was das bedeutet. Sie wurden beide gejagt und schlossen sich zusammen, um gemeinsam gegen ihr Schicksal anzukommen. Ihre Macht muss unfassbar gewesen sein, dass sie ein Leben wiederherstellen konnte. Ich wäre gern dabei gewesen, um zu sehen, in welcher Verfassung er war. Angeblich hat sie ihm damit die Unendlichkeit geschenkt."

"Die Unendlichkeit", murmelte ich seufzend, "dann hat sie ihn nicht unbedingt gerettet sondern verflucht." Das entsprach nicht der Hoffnung, die in mir loderte.

Sie faltete ihre knochigen Hände vor ihrem Körper. Die Pflanzen folgten dem ernsten Blick. Die ganze Aufmerksamkeit lag auf mir.

"Kein Fluch", flüsterte sie mir geheimnisvoll zu, "ein Segen."

Mein Gesicht entgleiste. Ihre Worte ergaben keinen Sinn für mich. Ich starrte sie verwirrt an. Die Hexe war mir ein einziges Rätsel.

"Er erlangte nicht nur die Unendlichkeit sondern auch übernatürliche Fähigkeiten und Wissen." Meine Augen weiteren sich vor Schreck. Meine verfluchte Hand pochte schmerzhaft auf.

"Du meinst, dass sie ihm zu einem Gott gemacht hat?"

"gottesgleich, ja. Aber keine Göttin hat die Kraft ihn zu ihresgleichen zu machen. Dann würde kein Krieg herrschen, Tölpel." Sie schnalzte mit der Zunge und klopfte sanft auf den Tisch. Ich strich mir vereinzelte Strähnen von der Stirn und dachte über ein Leben als gottähnliches Wesen nach. Manchmal kam mir Jikai gottähnlich vor. Er trotzte jeder Gefahr und hatte Kräfte, die einem Menschen fremd waren. Doch alterte er und ich wusste, dass sein Leben irgendwann einem Ende gesetzt war. Allein der Gedanke schmerzte. Nein, daran durfte ich nicht denken. Trotzdem hatte mich die Geschichte neugierig gemacht.

"Ich muss aufbrechen." Mit diesen Worten stand ich auf. Es trieb mich erneut hinaus. Mir blieb keine Wahl als weiter zu machen.

"Es ist schon spät", sie erhaschte einen Blick nach draußen und schüttelte den Kopf, "in der Nacht bist du nur die Beute der Monster. Brich lieber Morgen früh auf."

"Das geht nicht, ich muss-"

Plötzlich regte sich etwas im Haus. Ich begab mich in Kampfstellung. Als ich in die Richtung sah, aus der die Geräusche kamen, atmete ich erleichtert auf. Das Mädchen rieb sich müde die Augen und gähnte aufmerksam. Sie war wach.

"Vielleicht hast du recht", brummte ich nachdenklich. Meine Neugier über dieses Mädchen hielt den Drang zurück mich direkt wieder ins Kampfgetümmel zu stürzen. Somit entschied ich mich mehr über diese magischen Kräfte und das Kind herauszufinden.

Der ewige Kampf

 

"Oh", fing die Hexe nüchtern an, "da ist jemand endlich aufgewacht. Wurde auch Zeit."

Mit diesen Worten lief sie zu ihrem Kessel und rührte ihn um, ehe sie eine riesige verschnörkelte Schüssel nahm und ihn mit dem dampfendem Gebräu füllte. Es hatte seine Farbe verändert und leuchtete golden auf. Es roch nach scharfem Curry und Mango. Dabei hatte sie vor kurzem etwas anderem in dem Kessel gekocht. War er auch magisch?

Meine Finger kribbelten neugierig. Trotz der Zeit, die ich mit ihr verbrachte, verstand ich nichts. Es frustrierte mich und spornte mich zugleich mehr an.

Das Mädchen nahm einen tiefen Atemzug und fuhr überrascht hoch.

"Woher wissen Sie, dass es mein Lieblingsgericht ist?", fragte das Mädchen neugierig.

"Nur geraten." Die Hexe formte ihre Lippen zu einem schmalem Lächeln. "Nenn mich ruhig Xanta." Mit einem Mal begriff ich, dass die Chemie zwischen den beiden weitaus harmonischer wirkte als wie mit mir. Sie hatte ihr sofort den Namen verraten und lächelte. Seufzend hielt ich Abstand und fühlte mich zunehmend wie ein Außenseiter. Xanta überreichte ihr die Schüssel, die das Mädchen freudig entgegennahm.

"Ich bin Runa, aber die meisten nennen mich Rue", sagte sie mit vollem Mund. Manieren hatte sie keine beigebracht bekommen.

"Ein schöner Name."

Während ich dem Gespräch von der Seitenlinie aus beobachtete, bemerkte ich die neugierigen Pflanzen um mich herum. Die Alraune setzte sich mutig an Runas Seite.

"Du scheinst gut mit magischen Wesen auszukommen." Runa nickte und streichelte der Alraune sanft über dem Kopf. Diese schloss genussvoll die Augen und summte liebliche Klänge.

"In meiner Heimatstadt gab es viele von ihnen." Sie wirkte traurig, ehe sie seufzend den Kopf hängen ließ. "Doch die Götter nahmen mir alles..."

Der Raum verstummte und hinterließ eine Nostalgie, die alte Wunden wieder aufleben ließen. Sie war einer der Opfer, die der Krieg hervorbrachte. So wie Jikai und ich. Doch konnte ich immerhin kämpfen. Sie saßen still beieinander. Die Zeit verstrich, während jeder von uns mit unseren eigenen Schatten zu kämpfen hatte.

Xanta schreckte auf und murmelte unwirsche Worte vor sich, ehe die Ranken eine steinerne Tür zu einer engen Wendetreppe öffneten. Ich legte meinen Kopf schief. Ohne weitere Erklärungen fiel die Tür hinter sich ins Schloss. Rue war weiterhin in Gedanken versunken und bekam nichts um sich herum mit. Ihr Blick war starr auf die leere Schüssel vor ihr gerichtet.

Als ich mich erheben und der Hexe folgen wollte, verschwand die Tür hinter den Ranken und wurde eins mit der Wand. Mein Mund öffnete sich vor Entsetzen weit. Die uralte Magie hinterließ eine Gänsehaut auf meinem Körper.

In meinem Augenwinkel rührte sich etwas. Ich zuckte reflexartig in mich zusammen und schaute misstrauisch zur Seite. Eine Brennnessel wollte sich an mich kuscheln. Ich beäugte sie skeptisch. Sie klimperte mit ihren langen Wimpern. Seufzend ließ ich es über mich ergehen. Als sie meine Haut berührte, wartete ich auf das eintretende Brennen. Selbst nach einigen Sekunden fuhr kein Schmerz durch mich hindurch. Ich erinnerte mich an das Gespräch mit der Hexe und atmete erleichtert aus. Die Pflanze hatte mich akzeptiert und hatte mir deshalb keinen Schaden zugefügt.

"Du hast mich beschützt, obwohl du mich nicht einmal kennst", erklang es in der Stille. Erneut fuhr ich in mich zusammen. Das Licht der Kerzen erleuchteten ihre großen Augen. Seufzend blickte ich gen Boden und zuckte die Schultern.

"Das liegt in meiner Natur", brummte ich halbherzig. Je mehr ich mich öffnete, umso größer war die Angriffsfläche. Ein Kind, das von Göttern verfolgt wurde, konnte mich lediglich ins Verderben stürzen. Und trotzdem hatte ich sie gerettet.

"Danke." Ein trauriges Lächeln stierte sich auf ihrem Gesicht. Es war so kurz und fein, dass ich es beinahe übersehen hatte. Womöglich war es meine Einbildung gewesen. Dennoch erkannte ich den Wehmut, den sie mir entgegen brachte.

"Aber hasse ihn nicht, nur weil er göttlich ist. Er hat es auch nicht leicht..."

"Was wollte dieser Mann überhaupt von-" Ich hielt inne, als ich die geschlossenen Augen des jungen Mädchen erkannte. Mein Herz stolperte. Panisch sprang ich auf und verscheuchte damit die kleine Brennnessel. Zögerlich schritt ich auf sie zu. Sie atmete schwer. Ich umkreiste sie und beobachtete sie skeptisch. Rue war eingeschlafen. Dabei war sie erst seit wenigen Stunden wach.

Meine Mundwinkel zuckten bei dem friedvollen Anblick hoch. ein Kind konnte eben sorglos einschlafen. Doch in diesen Zeiten konnte niemand friedlich ruhen. Wenn sie das taten, war die Gefahr groß, dass sie in der Nacht von Soldaten der göttlichen Armee oder von Monstern abgeschlachtet werden. Darum kämpfte ich. Für eine gerechtere Welt, in der ein Kind nicht weinen oder fliehen musste.

Seufzend setzte ich mich in den Schneidersitz vor ihr hin und blickte aus dem Fenster. Der Vollmond schien hell auf mich herab. Es würde eine unruhige Nacht werden. Eine Nacht, in der der Krieg auf dem Vormarsch war. Ich durfte keine Zeit mehr verstreichen lassen und dennoch saß ich hier und blickte sehnsüchtig zum nächtlichen Himmel, in der Hoffnung dort jene Antworten zu finden, dessen Frage mir still im Kopf rumgingen.

"Was soll's", pfiff ich leise, "hier bei der Hexe wird sie in Sicherheit sein und niemand wird sie finden." Ich streckte mich und gähnte.

"Das ist sie nicht und das weißt du", fuhr es mir durch den Kopf. Irritiert sah ich mich um, doch fand keine weitere Person in dem Raum. Es war wieder jene Frau, die mich im Schlaf heimsuchte.

"Was willst du?", brummte ich erzürnt, "dass ich sie mitnehme?! Mitten in den Krieg?! Das ist kein Platz für ein Kind." Die Stimme verstummte. Meine Gedanken zogen endlose Fäden, die sich verworren und letztendlich zu einem großen Klumpen Garn verknoteten. Meine verletzte Hand brannte. Der Drang weiterzuziehen, brachte mich um den Verstand. Immer wieder richtete ich meine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu, das mir nach wie vor rätselhaft erschien.

Runa oder Rue- ich wusste nicht einmal wie ich sie in meinem Gehirn abspeichern noch wie ich sie ansprechen sollte. Sie schien besondere Kräfte zu haben. Womöglich war sie ein experimentelles Opfer der Götter. Es war nicht der erste Versuch uns Menschen zu Kampfmaschinen zu formen. Und es würde nicht der Letzte sein. Strebten die Götter nach ihrer Macht? Sie schien einen speziellen Wert für sie zu haben. Trotzdem hatte mein Gegner nur halbherzig gegen mich gekämpft. Ihre Worte ließen mir keine Ruhe.

Dennoch wollte sie von mir aus seinen Klauen befreit werden, auch wenn er scheinbar - laut ihrer Aussage - keine schlechte Person wäre. Dabei ist er ein Gott, der sie gefangen hielt und sie in einem verwahrlosten Zustand gelassen hatte. Das konnte nicht als gütig oder nett erachtet werden.

"Ihr müsst fort von hier", hauchte eine Brise die warnenden Worte wie ein Fluch zu mir, "sie sind hier. Das Mädchen darf ihnen nicht in die Hände fallen."

Die Pflanzen schienen alarmiert und öffneten ein Tor vor uns, in der Xanta stand und mir eilig zuwinkte. Das Haus bewegte sich und verwandelte sich in binnen von Sekunden zu einer gepanzerten Festung, die jegliche Sicht auf die Außenwelt verbarg. Es glich fast den Katakomben der Götter, aus denen kein Lebewesen lebend herauskam und niemand ihn ohne Zuspruch der Obersten betreten konnte. Woher ich den Vergleich erzielen konnte, war mir unklar. Womöglich hatte ich zu viele Geschichten darüber gehört, sodass ich mir diesen Schreckensort bildlich vorstellen konnte.

"Sind wir hier nicht sicher?" Verunsichert zog ich meine Augenbrauen zusammen. Sie schüttelte eisern den Kopf.

"Sie werden nicht ruhen. Dafür ist ihnen die Kraft des Mädchen zu kostbar." Kurz verharrte ich in meinen Bewegungen und lauschte still ihren Worten.

"Was wissen Sie darüber?", hakte ich verwundert nach.

"Sie hat die Macht, dass-"

Das Haus ruckelte. Die Fassade bröckelte durch das Beben. Die nahende Gefahr ließ Runa nicht von ihrem Schönheitsschlaf erwachen.

"Geh", befahl sie mir. Nickend lief ich zu dem Mädchen und warf sie unsanft über die Schulter, ehe ich zum hiesigen Steintor eilte. Xanta machte keine Anstalten mir zu folgen. Ich bremste ab. "Was wird mit Ihnen?"

Sie lachte trocken auf und schwang einen violetten Umhang um sich, ehe sie die schwarze Kapuze weiter ins Gesicht zog. Ihre Augen strahlten eine magische Aura aus. Xanta legte den Zeigefinger auf dem Mund und zwinkerte mir rätselhaft zu. "Das kommt ganz darauf an wie du deine Mission erfüllst. Also geh."

"Ich werde sie beschützen." Meine Augen trafen ihre. Es entführte mich in eine andere Welt, in der Hexen gejagt und gefoltert wurden. Sie weinten, schrien und kämpften in einem nebeligem, moosbedecktem Wald um ihr Leben. Ein riesiges Loch füllte sich mit Hexenblut an und bald entstand ein giftiger Teich, der die Leichen und Gedärme gänzlich aufsog, damit die Götter nicht an ihnen herumexperimentieren konnte. Die Fäulnis breitete sich aus und bald schon stand der ganze Wald lichterloh. Ein Geruch von Feuer und verbannter Erde stieg mir in die Nase und verband sich mit dem Gestank von Eisen und Tod. Ich würgte leise. Die Intensität ließ mich erschaudern.

Als ich mir den Magen hielt, wurden meine Beine weich. Das Gewicht des Mädchen ließ mich taumeln. Es zog mich hinunter, als wenn sie große Gewichte mit sich herumtragen würde.

Xanta keuchte und hielt sich ihre Kehle. Sie war bleicher als zuvor. Ihre Augen waren glasig. Hatte sie das gleiche gesehen? Dies waren womöglich die Geschehnisse der Vergangenheit. Doch warum konnte ich durch ihre Augen sehen?

Nachdem ich einen festen Stand wiedergefunden und mich dadurch stabilisiert hatte, blickte ich ein letztes Mal zu dem fahlem Gesicht, das ich nicht zurücklassen wollte.

"Was ist los?" Meine Stimme war sanft und gleichzeitig heiser. Der Anblick hätte mich nicht berühren dürfen, da ich genug Elend und Leid in Schlachten gesehen hatte. Das flaue Gefühl in meiner Magengegend schwächte nicht ab. Es war, als wenn ich zum ersten Mal das Ausmaß des Krieges miterleben würde, obwohl ich viel zu lang in diesem mitkämpfte.

"Selbst wenn das Verderben dich verschlingen will, weiche nicht vor deiner Aufgabe zurück, dann kehrst du als eine Macht zurück, die die Grenzen verschiebt und den wahren Frieden bringt." Der Glanz in ihren Augen verblasste. Doch für einen unscheinbaren Moment konnte ich eine Frau in diesem erkennen.

"W-was?" Mein Kopf wurde schwer. Die Fragen verworren sich weiter, sodass die Geschehnisse sich nicht selbst erklären konnten.

"Geh." Mit diesen Worten schnipste sie mit den Fingern. Die Ranken stürmten auf mich zu. Xanta schenkte mir ein schwaches Lächeln, ehe ihre Pflanzen mich unsanft durch den Ausgang stießen. Schnaufend stützte ich mich in letzter Sekunde ab, um nicht mit dem Mädchen auf der Schulter auf den harten Boden zu fallen. Mein Untergrund gab leicht nach. Ich runzelte die Stirn und blickte um mich. Ich war direkt im Schlamm gelandet - mitten in einem gesunden Wald, der uns vor direktem Kontakt mit dem Feins schützte. Wir konnten uns in diesem Zuflucht suchen.

Die Ranken verschwanden mitsamt dem Tor und hinterließen eine Leere in mir, die ich nicht beschreiben konnte. Was würden sie mit ihr machen? Die Hilflosigkeit suchte mich heim. Ich hätte sie nicht im Stich lassen sollen. Doch hätte ich in meinem Zustand beide retten können, wenn ich nicht einmal mir selbst helfen konnte?

"Nein", stieß ich brodelnd zwischen meinen zusammengekniffenem Mund hervor, "ich darf nicht zurückblicken. Ich muss sie beschützen." Mit einem Blick auf Runa beruhigte ich mich sichtlich.

Zwischen den grauen Wolken konnte ich rotgelben Schlieren eines Sonnenaufganges wahrnehmen. Ich stierte auf meine zitternde Hand und schluckte hart. Der Fluch raubte mir jegliche Kraft. Doch waren wir hier nicht sicher. Obgleich ich mir unsicher wurde, ob ein derartiger Schutzort wahrlich existierte. Während ich mich versuchte in einem fremden Wald zu orientieren, schlief Runa weiterhin seelenruhig. Manchmal beneidete ich Kinder für diesen friedlichen Schlaf.

 

Der Waldgeist des Windes

 

Während ich im Wald herumirrte und mich versuchte an Kleinigkeiten zu orientieren, kehrte der Schmerz des Fluches zurück in meinen Körper. Jeder Schritt wurde schwerfälliger. Das Gewicht des Mädchens veränderte sich augenblicklich. Ich taumelte zurück und fiel zu Boden. In letzter Sekunde hielt ich meine Arme fest um sie geschlungen und schützte sie mit meinem Körper. Als Steine und Dornen den Weg mit meiner Haut kreuzten, brannte und schmerzte es dumpf.

"Verdammt", brummte ich überrumpelt und blickte mit besorgter Miene zu Rue. Gähnend streckte sie sich und setzte sich auf. Müde rieb sie sich die Augen.

"Wo sind wir?", fragte sie irritiert. Sie blickte um sich und legte ihren Kopf schief. In ihrem Gesicht konnte ich mehrere Fragezeichen erkennen. Mit bebenden Lippen suchte ich nach Worten, um ihr die missliche Lage erklären zu können, doch der Gedanke an Xanta machte mich sprachlos. Eine Träne fand den Weg über meine Wange und landete auf die Stirn des Mädchens. Erschrocken wich ich von ihr und legte meine verfluchte Hand auf mein Gesicht. Ich weinte, ohne dass ich meine Emotionen kontrollieren konnte. Meine Hände zitterten.

"Ich verstehe", hauchte sie mir schwach zu und blickte benommen zu Boden, "schon wieder musste jemand meinetwegen leiden..."

Die Trauer übermannte uns beide und hüllte uns in düsteres Schweigen, das uns die Distanz zwischen uns spüren ließ. Die Schmerzen in meiner Brust hatten sich mit den oberflächlichen Wunden des Falls vermischt. Mein Körper fühlte sich schwer. Im Schlamm sitzend suhlte ich mich in Selbstmitleid. Ich war erneut machtlos gewesen. Dabei hatte ich mir geschworen jeden zu beschützen, der mit mir den Weg kreuzte. Wofür wurde ich ansonsten Tag ein, Tag aus, mit dem Leben verschont?

Plötzlich rührte sich etwas aus dem dunkelblauen Umhang, den Xanta Rue geschenkt hatte.

"Zieh ihn aus und geh hinter mich!", befahl ich ihr besorgt. Ich stellte mich in Angriffsposition und war bereit, sie bis zum Tode zu beschützen. Sie schüttelte widerspenstig den Kopf und griff in den Umhang hinein. Ehe ich sie ermahnen konnte, zog sie bereits den ungebetenen Gast hervor. Erschrocken blieb mir mein Mund offen stehen. Nach einer kurzen Zeit der Aufregung entspannten sich meine Muskeln. Mehrfach blinzelten wir bis Rue sich an unsere kleine Kreatur schmiegte. "Bin ich froh, dass es dir gut geht!"

Eine kleine Alraune hatte sich darin versteckt gehalten und wurde versehentlich von Zuhause entführt. Ich seufzte erleichtert und dennoch war ich gleichzeitig erzürnt über die Unvorsichtigkeit des Mädchens. Die Alraune sprang aus ihren Armen direkt auf meine Schulter und drückte sich an meinen Nacken.

Dadurch flog mir ein merkwürdiger Geruch in die Nase, die nicht zu einer Zauberpflanze wie diese passte. Normalerweise roch sie aromatisch, aber nur solange bis sie sich in großer Lebensgefahr befand. Dann verströmten sie eine Art Fäule, die mit einem Giftgemisch versetzt war. Somit waren die Schreie der Alraune nicht das einzige Merkmal, das sie als höchst gefährlich einstufte.

Dieses Exemplar roch nach einem feuchten Wald. Moos und Gras, das vom Regen nass war. Vom Äußeren wirkte sie wie eine Alraune mit ihrer gelbgrünen Beere als Kopf und ihren dunkelgrünen Blättern. Ihre gegabelte Gestalt erinnerte an die eines Menschen, auch wenn es gerade einmal zwanzig Zentimeter groß war. Doch auch wenn sie wie jede andere ihrer Art aussah, so sagte mir mein Instinkt, dass sie keine gewöhnliche Zauberpflanze war. Ich verdrehte die Augen und beäugte es skeptisch.

"Anstatt deine Herrin zu beschützen, hast du dich versteckt. Was für ein Feigling", murrte ich wutentbrannt. Es zuckte in sich zusammen und sah mich mit riesigen Augen an.

"Sei nicht so hart mit ihm", bat Rue, "er ist noch ein Baby. Zumal kann er sich sowieso nicht wirklich verteidigen und wäre nur gefundenes Fressen gewesen."

Beide stierten mich an, als wäre ich ein Antagonist, der besiegt werden müsste. Die Tatsache ließ mich Trübsal blasen. Nun musste ich für zwei Kinder Babysitter spielen. Das hatte ich davon, wenn ich mich in Angelegenheiten anderer einmischte.

"Wir sollten weiter, ehe sie unsere Fährte aufnehmen..."

"Was sie bereits getan hätten, wenn meine Wenigkeit sie nicht in die Irre geführt hätten. Seid mir also dankbar", hallte es mit einer Windböe durch den Wald. Die Bäume und sogar die Sonnenstrahlen bogen sich wie eine Sichel. Schützend stellte ich mich vor meinen Anhängseln hin und blickte um mich. Die Alraune sprang direkt in Rues Armen und klapperte ängstlich. Trotzdem sonderte sie keinen bissigen Geruch ab.

Wie aus dem Nichts erschien eine Sylphe vor uns, eine magische Kreatur, die einst ausgestorben waren. Sie hatte die Größe und das Gesicht einer Menschenfrau. Doch das war auch das einzige, was sie gemeinsam hatten.

Ihre lilafarbene Haut glitzerte in der Sonne wie ein Regenbogen. Ihre riesigen Flügel ähnelten die eines Morphofalters, doch stellten alle Schmetterlinge in den Schatten. In ihnen spiegelte sich der Wald und der Himmel zu gleichen Teilen wieder. Es erinnerte an die Magie der Hexe und doch war sie weitaus ausgeprägter.

Der Wind zog feine Kreise um sie, die als Stimme der Waldtiere wie feiner Regenschauer auf uns niederprasselte. Die Kühle der Brise hinterließ eine sanfte Gänsehaut, die mich entspannte und zeitgleich nostalgisch werden ließ. Es war, als wäre ich schon einmal an einem Ort wie diesen gewesen, an dem die Magie endlos erschien. Sie hatte Gefieder wie die einer Langschwanzsylphe, die den Namen zurecht erhielt. Die Ähnlichkeit der Farbe und der Anordnung war verblüffend.

"Der Waldgeist des Windes", hauchte ich ehrfürchtig und verbeugte mich respektvoll. Der Anblick einer übermächtigen, reinen Kreatur, die tief mit der Welt verwurzelt war, hatte mich in Staunen versetzt. So sehr, dass ich die Gefahr um mich herum vergaß.

"Dass du dich vor einem dreckigen Gestaltwandler verbeugst. Aber was habe ich von einem verfluchten Menschen erwartet?", raunte es neben mir. Die Stimme hatte einen rauchig arroganten Klang, der die bissigen Worten höhnisch untermalte. Als ich nach der Kreatur suchte, sprang die Alraune bereits aus Rues Armen und trat dem großen Geschöpf des Waldes entgegen.

"Sie ist seit Jahrhunderten schon fort. Aber ich habe statt ihrer die Aufgabe übernommen und somit mein wahres Ich abgelegt", erklärte der Gestaltwandler ruhig, "die Natur und die Waldtiere sind in Gefahr. Wäre ich nicht hier, würde sich niemand um sie kümmern und sie beschützen, wenn die Götter ihre Launen haben."

Eine kurze Stille trat ein, in der Rue und ich die Situation verarbeiteten mussten. Das Mädchen machte einen Schritt auf das fremde Geschöpf zu und legte ihren Kopf schief.

"Aber du kannst dich noch an dein wahres Ich erinnern, oder?"

Die Augen des Wesen wurden leer und glitzerten zugleich, als würde es zusammenbrechen.

"Wenn jemand sein Selbst ablegt, gerät es schnell in Vergessenheit und ein neues Ich ist geboren, das man nur schwer ablegen kann", hörte ich erneut die fremde Stimme, die wie ein spitzer Pfeil in mein Ohr rauschte.

"Seit wann können Alraunen sprechen, frage ich mich? Wer bist du wirklich?" Angriffslustig hüllte sich der Gestaltwandler in Nebel ein. Der Sturm tobte und riss Äste zu Boden. Die Blüten und Blätter der verschiedenen Baum- und Blumensorten ergaben eine Farbvielfalt, die leise Klänge von sich gaben.

Es schien, als wenn der Hüter des Waldes seine Gefährten alarmierte. Das leise Knistern war unter dem vielen Rascheln kaum hörbar und doch konnte ich aus meinem Augenwinkel erkennen, dass Eichhörnchen, Rehe, Nagetiere und Vögel Zuflucht in Gebüschen oder Baumkronen suchten.

Der Wind zerzauste unser Haar. Das Mädchen hielt sich verzweifelt an einen dicken Baumstamm fest, um nicht nach hinten zu fallen. Selbst meine Wenigkeit konnte sich kaum merklich auf den schlammigen Pfad halten, ohne nach hinten geworfen zu werden. Jeder Luftzug erinnerte an einen Peitschenhieb. Keuchend streckte ich meinen Arm und schoss eine Harpune Richtung Baumstamm. Durch den starken Windschlag verfehlte er jedoch sein Ziel und landete meilenweit in einer anderen Baumrinde. Mit größter Kraft schaffte ich es einen Schritt vorwärts zu beschreiten. Rue schrie stumpf und wurde fast von einer Böe weggerissen.

Sie schnaufte schwerfällig. Lange würde sie das nicht mehr aushalten. Ich musste es beenden. Doch ich wusste nicht wie ich gegen eine magische Kreatur gewinnen konnte, wenn ich weder die Distanz zu ihm überwinden konnte, noch mit meinen Harpunen das Ziel treffen könnte.

"Gib nicht auf", erklang es in meinen Ohren. Die Frauenstimme kehrte zurück. Meine Adern pulsierten. Es war, als wenn eine neue Kraft in mir erwachte. Ehe ich die Situation realisieren konnte, lief mein Körper von selbst los.

"Rykar!", schrie Rue hilfesuchend, ehe sie den Halt verlor und nach hinten stolperte. Ich griff ihren Arm und schützte sie mit meinem Körper. Äste und Steine flogen auf mich zu, die mich spitz trafen und meine Stirn zum Bluten brachte. Der dumpfe Schmerz brannte. Die rote Flüssigkeit rannte meinem Gesicht entlang. Langsam verlor ich unter mir selbst den Halt. Keine Steine oder Kuhlen weit und breit, die uns Stabilität brachten. Die herabfallenden Blätter erschwerten mir die Sicht auf die Gefahren, die sich um uns befanden. Die Körperstellen, die nicht mit Rüstungsteilen ausgestattet waren, wurden mit Schnittwunden übersäht. Rue hustete und japste zitternd in meinen Armen. Ich rutschte immer weiter ab.

Doch ich wusste, ich konnte nicht aufgeben. Meine Pflicht war es, sie zu beschützen. Darum kämpfte ich. Selbst wenn es meinen Tod bedeuten würde. Mein eiserner Wille ließ mich meine Harpunen erneut abfeuern. Dieses Mal auf dem Baum vor uns. Es schien aussichtslos, da es davon abwich, doch dieses Mal hatte ich dies mit einkalkuliert.

Die Kette wickelte sich um den Stamm herum. Ich befestigte sie an uns und schützte sie weiterhin mit meinem Körper. Die herabfallenden Kastanien und Äste erschwerten mir weiterhin meine Handlungsfähigkeit. Ich biss mir auf die Zunge und unterdrückte einen Schmerzenslaut. Meine verfluchte Hand pochte, während ich jeden einzelnen Muskel anspannte, um meine magische Harpune aufrecht zu erhalten. Meine Knochen wurden schwer und müde. Die Wunden rissen immer weiter auf und zwangen mich in die Knie. Röchelnd spuckte ich Blut. Die rote Flüssigkeit lief mir in die Augen und brannte. Meine Fingernägel krallten sich in meine Arme. Ich durfte um keinen Preis loslassen. Den Rest meines Körpers hatte ich mit Harpunen ausgerüstet, um Rue zu schützen. Der schlammige Boden verwandelte sich in eine Blutlache.

Da das Mädchen durch den Sturm ihre Augen nicht öffnen konnte, konnte sie meine Verletzungen nicht mit an sehen. Darum merkte sie nicht wie sich ihre eigene zerrissene Kleidung und selbst ihr Haar rot verfärbte. Mir wurde schwindelig. Meine Magie wurde schwächer, immer weniger Harpunen schützten uns. Die Kette wurde dünner und drohte uns nicht mehr zu halten. Der Fluch dröhnte in meinen Kopf und zog sich durch meinen Körper, als wenn es mich direkt verschlang.

Immer wieder hörte ich die Frauenstimme zu mir sprechen, doch ihre Worte kamen nicht mehr an. Meine Wahrnehmungen waren bereits getrübt. Nur um zu beschützen, hielt ich weiter stand, selbst wenn ich drohte das Bewusstsein zu verlieren.

"Es reicht", hallte es durch meinen Kopf. Der Wald verstummte. Kein Luftzug ging. Es war wie ausgestorben. Mit letzter Kraft schaute ich auf die Kreatur, die uns das Leben gerettet hatte. Die Alraune stand vor dem Gestaltwandler, als wenn er ihr nichts anhaben könnte.

"Wer- wer... bist-" Plötzlich wich die Kraft aus mir. Ich schwankte und lehnte mich blutüberströmt gegen den Baum an. Schwammig erkannte ich das Blut, das an mir haftete. Der Geruch von Eisen klebte an mir.

"Rykar!", schrie Rue ängstlich und zog an mir, "stirb bitte nicht, bitte!!!" Obwohl ich ihr Gesicht kaum merklich sah, konnte ich ihre dumpfe Stimme von weit her vernehmen. Sie schluchzte laut auf. Am Liebsten würde ich sie in den Armen nehmen, doch schaffte ich es nicht, mich zu bewegen. Der Schmerz übermannte mich gänzlich.

In der Dunkelheit konnte ich eine weitere Stimme vernehmen. Überall war Blut. Schreie, die mich mit Trauer und Leid einhüllten. Es war, als wenn es meine eigenen Erinnerungen waren. Rues Schluchzen veränderte sich. Es hörte sich mehr an, als wenn ein junger Mann um sein Leben schrie. Mein Herz blieb stehen, als ich die Nässe und Kälte in meiner Seele spürte. Es zerriss mich gänzlich.

Doch dann war in der Finsternis ein Lichtstrahl, der mich erwärmte und zu sich rief. Jemand legte seine Hände um mich. Die Helligkeit blendete mich. Alles, was ich sehen konnte, waren die zarten Frauenhände, die mich fest an sich drückten. Im nächsten Augenblick ließ sie mich los und schupste mich direkt in das Licht. Schwerfällig öffnete ich meine Lider. Meine Knochen fühlten sich schwer. Meine Lunge brannte.

Rue sah mich mit großen Augen an und sprang schluchzend auf mich, um sich an meinem Nacken auszuweinen. Ihr Gewicht und ihre Grobheit ließen mich schmerzverzerrt aufstöhnte.

"Du lebst!", schrie sie in mein Ohr, "ich bin ja so glücklich!"

"Ich befürchte, dass das nicht von langer Dauer sein wird", merkte ich, dank der liebevollen Art ihrer Fürsorge, bissig an. Sie ignorierte es vollständig und erdrückte mich fast zu Tode. Und wieder kam mir ein leichter Anfall von Zweifel in den Sinn. Vielleicht hätte ich doch nicht mehr aufwachen müssen. Wenn das ihre Art der Dankbarkeit war, dann hätte ich sie gar nicht erst retten sollen.

 

Aber er ist doch der Feind?!

 

"Deine Blutungen haben aufgehört", sagte Rue irritiert, ehe sie mich losließ. Benommen blickte ich an mir herab. Der Baum hatte seine Äste um uns geschart. Er leuchtete. Die Blütenblätter färbten sich tiefrot und verloren nach und nach an Farbe. Mein Blut war bereits getrocknet. Die Wurzeln des riesigen Baumes hielten mich umschlungen. Durch ihnen floss die rote Flüssigkeit der Blütenblätter, die nach und nach verblassten. Es wurde direkt in meine Adern gepumpt. Schneeweiß fielen sie vom Baum, um dort mit den Kastanien zu verschmelzen. Sie wurden zu einem weißen Kastanienbusch, der sich wie ein Schutzwall um uns stellte. Langsam gewann ich an Kraft zurück.

"Wie eine Bluttransfusion", flüsterte Rue mit großen Augen und schaute sich die Pracht mit begeisterndem Gesicht an. Kinder waren leicht von wundersamen Ereignissen erstaunt. Also fragte ich mich innerlich, warum es mich bewegte. Mein Körper wurde warm. Das Herz schlug mir bis in die Augen. Eine Macht, die mir vertrauter als Jikai erschien, rettete mein Leben. Es glich einem Wunder und doch konnte ich meine Augen nicht davor verschließen.

"Gestaltwandler, deine Magie ist so lächerlich wie ich es von deiner gleichen gewohnt bin. Du kannst nichts anderes als zu imitieren, doch die wahre Kraft kannst du dir niemals zu eigen machen. Was für eine Verschwendung."

Die Alraune stand dem großen magischen Geschöpf weiterhin gegenüber. Sie sprach abfällig, als wäre sie etwas besseres. Dabei hatte es sich vor ein paar Minuten noch ängstlich in Rues Armen versteckt.

"Wer bist du, dass du meine Kräfte standhältst und in binnen von Sekunden neutralisieren kannst?", fragte es verwundert und blickte um sich. Er versuchte einen Sturm zu entfachen, doch nicht die kleinste Brise erreichte uns. Der Blick verfinsterte sich. Ich wusste nicht, ob die Alraune uns gerettet hatte oder selbst ein Feind war. Wieder einmal lief ich von einer Gefahr zur nächsten, als wäre es mein größtes Hobby. Wenigstens hatte ich es dieses Mal nicht mit Göttern zu tun. Obwohl ich nicht wusste, ob mir die Anwesenheit zweier magischer Geschöpfe nicht mehr Kopfzerbrechen bereiten sollte.

"Er ist ebenfalls ein Waldgeist, Dummerchen", sprach eine vertraute Stimme plötzlich. Ich zog harsch die Luft ein. Es war, als hätte ich ihn durch meinen Gedankengang beschworen. Ich fluchte leise und hasste mich dafür, dass ich das Pech gepachtet hatte. Vielleicht war das auch ein Teil meines Fluches. Anders konnte ich mir diese Schmach nicht erklären. Diesen Schachzylinder könnte ich unter tausenden wieder erkennen.

Ich sprang auf, um Rue hinter mich zu drängen, doch fiel sofort wieder gegen die harte Rinde. Der Baum hatte mich weiterhin gefesselt. Womöglich hatten sie sich alle gegen mich verschworen, um mir die Hölle schmackhaft zu machen. Rue kniete sich besorgt zu mir und ignorierte die extravagante Göttlichkeit, die sich erbarmte, mir das Leben mit seiner Anwesenheit zu versüßen.

"Was für eine Überraschung dich am Boden liegend zu sehen. Es ist fast so, als hätte unser Kampf nie geendet, nicht wahr?" Er schnalzte die Zunge und grinste sardonisch, als würde ihm die Welt zu Füßen liegen. Innerlich kochte ich vor Zorn. Seine bloße Anwesenheit gab mir das Gefühl der Erniedrigung.

"Ach was, ich hätte dich im Boden gestampft", widersprach ich ihm knirschend. Seine magentafarbenen Augen strahlten amüsiert auf. Sein Grinsen wurden breiter, als er sich vor mir stellte und sich leicht vorbeugte. Dabei berührte er fast die Hand meiner Begleiterin. Im Gegensatz zur letzten Begegnung wich sie nicht zurück.

"Glaubst du das wirklich?", fragte er mich provokant, "große Sprüche für einen gestandenen Mann, der halbtot am Boden liegt und von dem Waldgeist persönlich gerettet werden muss."

Die klare Aussprache vermischte sich mit der Überbetonung seiner theatralischen Worte. Es war wie pures Gift für meine Ohren. Brodelnd versuchte ich mich erneut von dem Baum zu befreien. Dadurch rissen die Wunden auf. Blut spuckend japste ich schwerfällig. Er betrachtete mich argwöhnisch lange. Meine Panzerungen und Rüstungsteile lagen alle am Boden zerstückelt, so als ob ich dünnen Stoff getragen hätte.

"Beweg dich bitte nicht", hauchte mir meine Begleiterin sanft zu, ehe sie mir das Blut vom Mund wischte. Ihre kalte, schwitzende Hand zitterte.

"Rue bekommst du nicht!", sagte ich entschlossen und richtete meine verfluchte Hand auf ihn, um ihn jederzeit anzugreifen. Die andere legte ich beruhigend um die Schulter des Mädchen.

"Rue?" Der Feind lachte mich aus und tippte mir amüsant mit dem lackierten Zeigefinger gegen meinen Wunden übersähten Brustkorb. Seine Berührung war elektrisierend und hinterließ eine Gänsehaut, obgleich die Haut schmerzverzerrt zuckte. "Du nennst sie schon bei ihrem Spitznamen. Ihr müsst euch nahestehen. Spielst du jetzt weiterhin ihren großen Beschützer, der sie vor dem Bösewicht in Sicherheit bringen muss?"

Seine Zähne blitzten hervor. Er wusste, dass ich ihm in diesem Kampf unterlegen sein würde. Diese Erkenntnis nutzte er, um mich vor ihm wie eine zertretene Kakerlake auszusehen. Dafür wollte ich ihm ein Andenken verpassen. Selbst wenn es mich umbringen würde, ich wollte nicht als Verlierer dastehen. Nicht, wenn er mein Feind war.

"Ich komme mit dir, wenn du ihn verschonst. Bitte." Rue entriss sich meinem kraftlosen Griff und stellte sich vor mir hin. Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Meine Hand senkte sich. Jetzt wollte mich dieses Kind ein zweites Mal retten. Dabei wollte ich das nicht. Bevor ich mich dagegen auflehnen konnte, hatte sich der Gott bereits zu Wort gemeldet.

"Durch den Aufruhr, den ihr hier veranstaltet, sind mir weitestgehend die Hände gebunden. Ich kann nicht so tun, als hätte ich euch nicht gesehen", sagte er Kopfschüttelnd und verschränkte seufzend seine Arme. Er schob seinen Zylinder tiefer ins Gesicht und gab seine schlechte Schauspielerei zum Besten. Sein triefendes Mitgefühl für unsere brenzlige Lage hinterließ eine bittere Note. Bedauerlicherweise hatte ich nicht die Kraft, um ihm seine schöne Visage zu entstellen. Dabei war dies mein größter Wunsch. Noch nie hatte mich eine Person so sehr gedemütigt. Damit würde er nicht davon kommen und wenn ich mich gegen einen ganzen Trupp auflehnen musste, um ihn zerquetschen zu dürfen.

"Deine Truppen sind noch nicht hier und er ist schwer verletzt. Bitte", versuchte sie den Anführer des Bösen zu erweichen. Allein der Anblick hinterließ einen kalten Schauder auf meinem zerfetztem Rücken.

Er verstummte und schob seinen Oberkiefer hervor. Seine magentafarbenen Augen blickten tief in meine. Meine Ohren pochten, während ich eine Schimpftirade nach der anderen unterdrückte. Durch meinen hochroten Kopf musste er schmunzeln. Auch wenn er sich wegdrehte, konnte ich sein Lachen erkennen. Ich knirschte zornig und lehnte mich erneut gegen die Fesseln auf.

"Na gut, dieses eine Mal." Er zog seinen Zylinder ab und klopfte ihr auf die Schulter, ehe er an ihr vorbeischritt. Als er sich vor mich beugte, vernahm ich den Duft von Passionsfrüchten. Sein Gesicht näherte sich meinem. Sein dunkelrotes Haar verdeckte wieder eines seiner Augen. "Aber nur, weil der letzte Kampf mir wirklich viel Freude eingebracht hat." Als er mir ins Ohr flüsterte, vibrierte es, als hätte er einen Zauberspruch gewirkt, bevor er mir seinen Zylinder aufsetzte. Meine verfluchte Hand pochte. Es war, als wenn der Zylinder etwas in mir auslöste, dass mich aufwühlte.

"Das nächste Mal werde ich dich zerstampfen", brummte ich aufgebracht. Ich traute ihm kein Stück über dem Weg und das zeigte ich ihm mit jeder Faser meines Körpers. Womöglich hatte er mir durch den magischen Zylinder eine Art Gift eingeflößt, um mich aus dem Weg zu schaffen. Ein Gott spielte mit schmutzigen Tricks.

"Ich freue mich schon auf eine Revanche mit dir, mein rebellischer Freund." Mit diesen Worten stellte er sich aufrecht hin und zwinkerte mir neckisch zu. Die Tatsache von einem Gott gerettet zu werden, gefiel mir nicht. Doch was mich am meisten aufregte, war, dass ausgerechnet dieser Mann mich finden musste. Lieber würde ich sterben, als dass ich mir von meinem Todfeind ständig anhören musste, dass er der Grund war, warum ich überhaupt noch lebte. Bedauerlicherweise hielt ich es für dumm, wenn ich dies ablehnte. Schließlich könnte ich niemanden mehr beschützen, wenn ich tot war. Und ich würde niemals mehr über das Mädchen und meinen Fluch herausfinden.

"Denk nicht, dass du etwas gut bei mir hast, nur weil du mich nicht gleich umbringst", zischte ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor.

Meine Zweifel und meinen Zorn waren wie weggeblasen. Stattdessen gewann ich an Kraft zurück. Ich wusste nicht, ob es an den heilenden Kräften des Baumes oder am Zylinder dieses Mannes lag, doch veränderte ich mich allmählich. Die verfluchte Hand beruhigte sich. Als ich auf sie schielte, weiteten sich meine Augen. Auf dem Knochen hatte sich eine glänzende Schicht gebildet, die sich mit der zerfetzten restlichen Haut verband und eine Einheit bildete.

Es war, als wenn der Fluch, der sich über meinen Körper lag, langsam zersetzte. Doch ich hatte nie davon gehört, dass ein magisches Geschöpf einen Fluch heilen konnte. Ich erinnerte mich an Xantas Worte und schluckte hart. Nur ein Gott konnte einen Fluch aussprechen. Somit war es nur einem Gott möglich, mir diesen auch zu nehmen. Doch wieso sollte er sich für meine Gesundheit einsetzen? Nach wie vor war er mein Feind. Obwohl ich nicht in Gänze verstand, warum er seine Truppen nicht einfach wegschickte und uns angeblich helfen wollte.

Die ganze Situation, in der ich mich versehentlich begeben hatte, blieb mir ein endloses Rätsel. Statt Antworten zu erhalten, erweiterte sich die Schwierigkeit dieses Puzzles um ein Vielfaches. Ich kannte weder Runa genug, um sie wahrlich mit ihrem Spitznamen ansprechen zu dürfen, noch verstand ich die magischen Geschöpfe, die scheinbar aus einer Laune heraus angriffen und beschützten. Vielleicht hätte ich auf Jikai hören sollen, als er sagte, dass ich mich zur Ruhe setzen sollte. Ich wurde zu alt für diese Aufregung und dieses Chaos.

In keiner Parallelwelt hätte ich damit gerechnet, dass mir ausgerechnet ein Gott aus meiner misslichen Lage helfen wollte. Wo waren die guten, alten Zeiten hin, in der Freund und Feind noch klar definiert war?

 

Erinnerungsfetzen der Vergangenheit

 

"Umbringen wirst du dich ganz von allein, befürchte ich, wenn du dich weiter in Sachen anderer einmischt." Mit diesen Worten wandte er sich wie ein begabter Tänzer meiner Begleiterin zu und ignorierte meine verzweifelte Situation. Sie rümpfte angewidert die Nase. Er rollte augenblicklich seine Augen.

"Da magst du wohl recht haben, aber das ist nun einmal meine Art zu leben", sagte ich ihm mit entschlossenem Gesichtsausdruck. Er tänzelte auf und ab und fuhr sich durch sein glänzendes Haar.

"Deine Art zu leben..." Gedankenverloren schüttelte er den Kopf und prustete laut auf. "Nur ein Mensch kommt auf so etwas Schwachsinniges. Vielleicht gefällst du mir deshalb so." Seine Augen glitzerten, als er mir seine Aufmerksamkeit erneut schenkte. Durch seine reizende Art vergaß ich jene Welt um uns herum und verlor mich in eine sinnlose Diskussion mit einem Gott, dem ich gern an die Gurgel wollte. Doch zugleich hatte ich mich schon lange nicht mehr so vergnügt.

Es erinnerte mich an die erste Begegnung mit ihm. Obwohl ich ihn nicht ausstehen konnte, so konnte ich mit niemand anderem ein gewaltiges Wortgefecht führen. Auch wenn ich mich dafür hasste, so genoss ich die Anwesenheit dieses Mannes. Es machte Spaß mich mit ihm auf jegliche Art und Weise mit ihm zu duellieren. Als hätte ich neben Jikai endlich eine Person gefunden, die mich wieder herausforderte.

"Sag jetzt nicht, dass du dich in mich verschossen hast." Seine arrogante und verspielte Art hatte mich heimgesucht. Es war, als wenn er mich herausgefordert hatte. Die Luft zwischen uns war schneidend.

"Ich mag manchmal etwas masochistisch wirken, aber mich in einen todgeweihten Mann zu verlieben, entspricht nicht meinem Charakter. Tut mir sehr leid." Damit griff er nach seinem Zylinder und zog ihn sich wieder auf.

"Da bin ich beruhigt. Ich dachte schon, dass du von nun an nett zu mir wärst. Das wäre grässlich." Ich ließ meine Schultern wie einen nassen Sack hängen und blies die Luft erleichtert aus. Jegliche Anspannung verflog.

"Keine Sorge, das wird niemals geschehen. Schließlich stehen wir immer noch auf unterschiedlichen Seiten", untermalte er die Einmaligkeit seiner Hilfsbereitschaft.

"Ihr könnt euch nachher noch um eine Heirat kümmern, wir sollten jetzt lieber gehen", drängte Rue ungeduldig. Die magischen Geschöpfe blickten um sich und merkten die Unruhen des Waldes. Der Boden bebte. Die Tiere hielten sich versteckt. Doch trotz der nahenden Gefahr verspürte ich keine Furcht. Es war, als wenn der Zylinder mich beruhigt hatte.

"Als ob ich jemals einen Gott heiraten würde. Da würde ich eher hier verrecken", sagte ich verbissen. Mein Stolz würde dies niemals zulassen.

"Halbgott, wenn ich bitten darf", korrigierte mich mein Todesfeind, der mich argwöhnisch betrachtete, "wie ich höre, hat mein Lieblingsfeind ein Vorurteil gegenüber Götter." Er schien keine Eile zu haben. Das brachte Rue zum Schmollen. Doch auch wenn ich ihre Nervosität verstand, so hatte ich das Gefühl mich ihm gegenüber rechtfertigen zu müssen.

"Wir befinden uns im Krieg gegen Götter. Was glaubst du wohl, warum ich diese schändliche Rasse mögen sollte, wenn sie alles und jeden als Werkzeug ansehen?" Ich zuckte die Schultern und genierte mich nicht meine Meinung kundzutun, obgleich die Situation unpassender nicht sein könnte. Rue hielt sich die Hände vor Augen und schnaubte verächtlich. Es erinnerte mich an das erste Mal. Sie hatte ähnlich reagiert, da unsere Konversation immer wieder neue Formen und Ausmaße angenommen hatte. Es schien, als könnten wir endlos diskutieren.

"Das ist ja wirklich witzig. Vor allem wenn man bedenkt, dass einer eben genau dieser verhassten Rasse dir deinen verdammten Hintern rettet. Dankbarkeit wird wohl in der Menschenwelt groß geschrieben." Seine Worte trieften vor Sarkasmus und Überheblichkeit. Wir hatten beide unseren Stolz und zugleich gaben wir unterschwellig zu, dass wir einander nicht ausstehen konnten.

"Wegen dir befinde ich mich doch erst in einer solchen Lage", gab ich ihm nachdrücklich zu verstehen. Er verbeugte sich theatralisch und grinste mich belustigt an.

"Das rührt mich zu Tränen, dass ich einen solch großen Anteil in deinem Leben habe. Doch ich kann eben nichts für deinen Helferkomplex."

"Ihr hättet eben woanders spielen sollen", zischte ich bedrohlich. Unsere Augen funkelten sich gegenseitig an. Wir ließen keine Gelegenheit aus, die andere Seite triumphieren zu lassen.

"Du bist wirklich ein Herzchen. Du gibst mir fast schon das Gefühl, dass es so etwas wie das Schicksal gibt und wir miteinander verbunden sind." Seine Ironie ließ mich würgen. Mein Magen meldete sich abrupt.

"Mir geht es schon elendig genug, da musst du mir nicht noch Schauergeschichten erzählen." Ich schüttelte mich und versuchte diesen Gedanken aus meinem Kopf zu bekommen.

"Oh, ist mein Menschenfreund etwa ängstlich? Muss ich nachher das Licht anlassen, damit du dich nicht so gruselst?", sagte er schneidig. Er wusste, dass er gerade die Überhand gewonnen hatte. Er vergnügte sich mit meinem Leid. Er war eben ein echter Sadist.

"Sie sind gleich hier, Schwachköpfe!" Rue stampfte wutentbrannt auf den Boden und gab ein Schimpfwort nach dem anderen zum besten. Das Mädchen hatte wahrlich Temperament.

"Sag mal, wie hast du eigentlich dein geliebtes Metall losbekommen?", merkte der Feind plötzlich fassungslos an. Ihr Blick verfinsterte sich augenblicklich. "Das erkläre ich dir ein andermal."

"Wir bekommen Besuch", holte uns die Alraune in das Hier und Jetzt zurück, ehe es sich an seinen Gegenüber wandte, "Gestaltwandler, ich sage es nicht gern, aber unterstütze mich, um den Wald vor den idiotischen Truppen zu bewahren."

Der Angesprochene rümpfte seine Nase und erhob seine Gefieder, ehe es sich in Angriffsstellung begab. "Ich habe dir schon einmal gesagt, dass es meine Pflicht ist."

"Geht jetzt, wir lenken sie ab." Mit diesen Worten verschwanden die Fesseln um mich, wodurch ich direkt in den Matsch fiel. Es spritzte bis zur Göttlichkeit selbst, die sich genaustens musterte, um sicherzugehen, dass er keinen Schmutz abbekommen hatte. Innerlich hoffte ich, dass seine teure Adelskleidung beschmutzt war, um sich über ihn lustig machen zu können.

Die Dornen hatten sich schützend wie eine Mauer um uns herum gebaut, damit wir von den Truppen nicht entdeckt wurden. Die Schritte kamen näher. Ich spürte den Aufruhr, der mich an vergangene Kämpfe erinnerte.

Als ich mich bemühte aufzustehen, gaben meine Beine nach. Trotz der Heilung hatte ich nicht genug Kraft, um mich fortzubewegen.

"Das kann doch nicht wahr sein", regte ich mich leise über mich selbst auf. Mein Todfeind griff um meine Taille. Alarmierend wich ich schlürfend von ihm und drückte mich gegen die spitzen Dornen, die sich tief in mein Fleisch bohrten. Ich schluckte hart.

"Hey, nicht anfassen", warnte ich ihn.

"Und wie soll ich dich dann transportieren?", fragte er mienenlos. Erschüttert hielt ich für einen Augenblick inne, ehe ich meinen Frust Ausdruck verlieh. "Bin ich ein Gepäckstück oder was?"

"Wäre dies so, dann würdest du mir nicht immer widersprechen." Erneut funkelten wir uns an, als wenn wir uns mit Blicke töten könnten.

"Wollt ihr, dass sie uns hören? Kommt jetzt", befahl uns Rue, die uns beide warnend an den Armen packte. Der jämmerliche Halbgott zog sich seinen Zylinder tiefer ins Gesicht und seufzte leise.

"Schon gut, auch wenn es traurig ist, dass mein guter Mantel dreckig wird." Sein Gejammer ließ mich freudig grinsen. Ein Gott schien keine anderen Probleme zu kennen, obgleich er unsere Rasse versklavte oder verfolgte, als wären wir Beutetiere.

"So ein reicher Mann kann sich bestimmt einen zweiten anfertigen lassen", flüsterte ich ihm provokant zu. Er beugte sich mit grimmigem Gesichtsausdruck zu mir herab und formte eine schäbige Grimasse.

"Da möchte jemand wohl grob behandelt werden." Mit diesen Worten warf er mich über seine Schulter, als wäre ich im wahrsten Sinne des Wortes Gepäck. Das frustrierte mich. Zumal er mich mit einer Leichtigkeit trug. Der ganze Matsch hatte seinen goldverzierten Mantel, den er heute über sein glamouröses Schachoutfit trug, befleckt. Ehe ich mich lauthals beschweren konnte, hatte sich sein Hut gedreht. Es grinste uns an, bevor er uns in Gänze verschlang.

Alles drehte sich um mich. Es war, als würde sich die Zeit beschleunigen. Der Geruch von Schwefel und verbranntem Fleisch lag mir in der Nase. Die Hitze loderte in meinem Innern. Mein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen.

Neben den roten Flammen erkannte ich den Tod und die Angst in die Augen der Menschen, die von Truppen der Obrigkeit niedergemetzelt wurden. Statt ihnen einen schnellen Tod zu schenken, quälten sie ihre Opfer aus purer Freude und Sadismus. Der Anblick ließ mein Blut gefrieren.

Ich wollte ihnen zur Rettung eilen, doch konnte ich mich nicht bewegen. Eine Frau stolperte Blut überströmt in meine Richtung. Als ich sie auffangen wollte, fiel sie durch mich hindurch. Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Ich zog harsch die Luft an. Die rote Flüssigkeit spritzte in meine Richtung, doch erreichte mich nicht.

Alles war in Schwarz- und Weißtönen gehalten. Nur die Flammen und das Blut hatten eine natürliche Farbe angenommen. Sie bewegten sich immer schneller. Die Schreie drangen bis in mein Mark hervor. Die Hilflosigkeit ließ mich erzittern. Meine Beine bewegten sich von selbst. Ich nahm ein Schwert in die Hand und erstach einen wehrlosen Mann, der sich zum Schutz seiner Familie gegen uns stellte. Ich rammte ihm das Schwert direkt durch seine Brust. Seine Kinder schrien und wollten zu ihm laufen, doch die restlichen Soldaten hatten sie bereits gefangen genommen. Einem anderen schlitzte ich emotionslos die Kehle auf.

Mir wurde schlecht. Der Geruch von Blut und Tod klebte an mir. Ich schaute an meine Hände herab und erkannte den Fluch, der sich bis in den letzten Knochen gefressen hatte. Der kühle Schweiß tropfte an mir herab.

"Mörder!", rief eine Stimme der Vernunft in mir, "du bist nichts weiter als ein Monster!" Meine Hände zitterten. Japsend stolperte ich zurück und ließ das Schwert zu Boden fallen. Das war ich nicht. Das konnte nicht der Wahrheit entsprechen. Ich hatte niemals grundlos gemordet. Nicht ich. Schließlich wollte ich stets beschützen. Das war meine wahre Natur. Es musste sich um eine Verwechslung handeln. Und doch spürte ich die Reue, die tief in meinem Innern Gefühle durcheinander wirbelte.

Die Stimmen wurden lauter. Die Hilflosigkeit meiner selbst suchte verzweifelt nach einer Rechtfertigung. Ich leugnete meine Tat. Das war ich nicht. Ich war kein Monster.

Ich schrie und brüllte mit Tränen im Gesicht mein Inneres heraus. All die Leichen, die mich heimsuchten und auf mich herabsahen, war das der wahre Grund für den Fluch, den ich in jener Nacht erhielt?

Meine Gedanken vermischten sich. Ein riesiges skelettartiges Monster baute sich vor mir auf. Auf jeder Schulter trug er etliche Leichen, die mich mit blutunterlaufenden, leeren Augen beschimpften. Es verschlang mich in einem Zug und zerteilte meine Knochen. Ich hörte wie die Knochen zerbersten und sich mein Körper in winzige Einzelteile zerlegte. Die Schmerzen brachten mich zum Schreien. Das Blut spritzte in alle Himmelsrichtungen. Es war, als wenn ich alles verlor, für dass ich einstand und dass mich ausmachte.

Mit einem Mal veränderte sich das Bild um mich und das Leid in mir verschwand. Eine Leere erfüllte mich, die mich verstummen ließ.

"Willkommen in meinem kleinen Unterschlupf", ertönte die Stimme des Gottes. Dadurch erwachte ich aus meiner Starre und konnte in die Realität zurückkehren. Ein Geruch von Passionsfrüchten drang in meine Nase. Mein Todesfeind trug mich lässig, während er seine kleine Perle vorstellte.

"Was... war das?", hauchte ich kraftlos und schluckte meine Emotionen hinunter.

"Das nennt man Teleportation", betonte der Halbgott überschwänglich, "dadurch können wir Raum und Zeit überqueren. Es ist die sicherste Art zu reisen. Natürlich bis auf ein paar kleinen Nebenwirkungen."

"Neben...wirkungen?", krächzte ich tonlos und hielt mir meinen pochenden Kopf.

Rue verschränkte ihre Arme vor der Brust und tippte angespannt gegen ihren Ellenbogen. Sie blickte mir tief in die Augen.

"Nebenwirkungen nennt er das", sagte sie verärgert und zischte laut, "man erlebt die eigene Hölle immer und immer wieder. Es sind Erinnerungen, die wir verdrängen, um unser Gewissen zu erleichtern oder weil sie uns ansonsten zerbrechen würden. Jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen."

"Wie bitte?", fragte ich sie ungläubig, "du willst mir sagen, dass ich wirklich..." Meine Stimme brach ab. Mir wurde schlecht. Alles drehte sich um mich. Das Einzige, was ich vernahm, waren die Hilfeschreie der wehrlosen Opfer, die ich auf dem Gewissen hatte. Niemals. Ich hätte niemals unschuldige Menschen umbringen können. Wie könnte ich mit dieser Schuld leben?!

Ein rätselhafter Halbgott

 

Mit der Finsternis im Herzen stürzte ich in einen tiefen Abgrund, meiner selbst gefangen, in der Hoffnung, dass mich jemand auffing und aus dieser Hölle herausbrachte. Doch alles, was sich dort befand, waren verbranntes Fleisch und vereinzelte Überreste der Menschen, die ich auf dem Gewissen hatte. Ich hatte den Glauben an mich selbst verloren. Es war, als wenn ich mein düsteres Spiegelbild sah. Jemand, der wehrlose Menschen umbrachte. Wieso sollte ich jemals mit meinen Feinden gemeinsam andere abgeschlachtet haben? Das ergab keinen Sinn.

"Jeder hat eine dunkle Vergangenheit. Jetzt hör auf zu jammern." Die tiefe, genervte Stimme ließ mich aufhorchen. Mit einem Mal befand ich mich wieder im Hier und Jetzt. Der Halbgott hatte mir den Zylinder wieder aufgesetzt, ehe er mit mir auf der Schulter durch das spärliche Zimmer schritt. Seine Schritte waren schwer, nicht so wie ich es von einem tänzelnden Pfau gewohnt war. Es war mehr, als wenn er selbst nach der Teleportation vor einem Richter stand, der ihn lebendig verbrannt hatte. Oder es lag an der Last, die er seit einer Weile bereits mit sich herumtrug - mit meiner Wenigkeit.

"Könntest du mich jetzt endlich runterlassen?", zischte ich ihm wutentbrannt entgegen.

"Wie du willst", hauchte er mir kraftlos entgegen. Bevor ich mein Glück fassen konnte, landete ich bereits auf den harten Holzboden. Die sandfarbenen Dielen gaben unter mir nach und knarrten bedrohlich. Eine grobe Staubschicht wirbelte durch die Luft und hinterließ ein Kratzen im Hals. Rue hustete sich ihre Seele hinaus und fuchtelte mit den Händen vor ihrem Gesicht herum. Schmerzverzerrt rieb ich mir meinen Rücken und fluchte vor mich hin. Meine Augen hatten sich auf dem Halbgott gerichtet, der den Staub von einem alten anthrazitfarbenen Sessel klopfte.

"Willst du Streit mit mir?!", brüllte ich ihn aufgebracht entgegen. Mit geballten Händen sprang ich auf und bemerkte, wie der Boden unter mir nachgab. In letzter Sekunde rollte ich mich ab und blickte schluckend auf den Punkt, an dem ich vorhin stand. Nun war dort lediglich ein Loch.

Unter uns erkannte ich eine kleine verkümmerte Küche, in dem ein Holzofen stand.

"In dieser Verfassung bist du wie ein kleines bellendes Hündchen. Fast schon niedlich, wenn man auslässt, dass es sich um deine Wenigkeit handelt." Der Halbgott saß auf seinen kleinen Thron, als würde ihm die Welt gehören. Meine Muskeln zuckten erzürnt. Es war, als wenn alle aufgestauten Gefühle hinaus wollten. Mein Körper brodelte. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, als ich mit pulsierenden Adern auf ihn zuschritt.

"Ich bringe dich um!", schrie ich meine Seele aus dem Leib. Er grinste mich diabolisch an und schnipste mit seinem Finger. Abrupt hielt ich an. Meine Beine wurden schwer. Der Kopf dröhnte. "Was zum-"

Der Zylinder drehte sich freudig und wurde größer und größer. Keuchend fiel ich auf meine Knie. Ich drohte zu kollabieren. Mein Körper triefte vor Schweiß und stank, als hätte ich mich mit Dünger eingerieben.

"Das kannst du gern versuchen, aber wir sollten uns vielleicht später vergnügen, meinst du nicht?" Den triumphierenden Klang in seiner Stimme konnte ich nicht überhören. Jede weitere Sekunde, die ich mit ihm verbrachte, ließ mich an meinen eigenen Verstand zweifeln. Normalerweise hätte ich ihn weder um Hilfe noch um eine Unterkunft bitten sollen, doch nun lag ich hier, völlig am Ende, und musste mir die Erniedrigungen weiter gefallen lassen. Es verstieß gegen meinen Stolz meinen Feind eine Angriffsfläche zu bieten, doch konnte ich nichts dagegen unternehmen.

"Wir sind in einer Stadt?" Rue hatte den rostroten Vorhang weggezogen und hustete erneut stark auf. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen in die Wohnung ein. Draußen gingen bereits die ersten Straßenlaternen an, die Menschen den Schutz der Nacht brachten. Sie waren mit Magie ausgestattet, um gefährliche Bestien fernzuhalten.

Der Höhe nach zu urteilen, mussten wir uns mindestens im sechsten Obergeschoss befinden. Wir hatten Blick auf die halbe Stadt. Die anderen Häuser waren niedriger und somit konnte niemand in die Wohnung schauen. Zudem bot eine Fichte Schutz. Es war alles ebenerdig. Eine Mischung aus Strand- und Blockhäuser reihten sich nebeneinander, die vorwiegend in beige und weiß gehalten waren.

"Einer meiner Geheimorte. Niemand wird euch hier finden." Seine Überheblichkeit brachte mich zum Schnauben. Wenn er diesen Ort des Öfteren benutzte, könnte es möglicherweise bereits infiltriert worden sein, ohne dass er es bemerkt hat oder waren die Götter bereits so verblendet, dass sie ihm Freilauf gewährten, obwohl er unscheinbar einem Feind half?

Rue sah sich wehmütig den Sonnenuntergang an. "Ich hoffe den beiden geht es gut..."

"Keine Sorge, sobald sie sich um den Wald gekümmert haben, werden sie sich auf dem Weg hierher machen, um nach euch zu sehen."

Obwohl er uns, nach seiner Aussage nach, rein zufällig gefunden hatte, so kam mir dieser Rettungsweg ziemlich geplant vor.

"Und wer passt dann auf den Wald auf?", entgegnete ich ihm angriffslustig.

"Die Waldgeister sind nicht die einzigen Hüter der Wälder und der Natur. Mach dir darum keine Sorge. Zumal ihr weit größere Probleme haben werdet. Schließlich verfolgen euch meine Truppen." Er gluckste, ehe der Zylinder sich wieder zu ihm bewegte und sich geschmeidig an seine Kopfform anpasste. Seine Worte passten nicht zueinander. Ich fand immer noch keine richtige Antwort auf einer meiner endlosen Fragen.

"Warum rufst du sie nicht einfach zurück?" Meine Augen fanden seine. Er seufzte leise und faltete seine Hände unter seinem makellosen Kinn.

"Wenn ich das doch nur könnte, doch mir sind bedauerlich die Hände gebunden." Seine Augen wurden leer, so als ob ich einen Zauberspruch gewirkt hätte.

"Es ist für ihn schon riskant genug, dass er uns hilft und solange abwesend ist", ergänzte Rue sanft. Irritiert blickte ich zwischen ihnen. Obwohl sie einst vor ihm Angst hatte, so ergriff sie nun Partei für ihn. Langsam kam ich nicht mehr mit. Warum wollte sie von mir gerettet werden, wenn er eigentlich kein Feind war? Ich hasste es, wenn es zu kompliziert wurde. Entweder bekämpfte ich jeden bis auf den Tod oder betrank mich lachend mit ihm. Ein Zwischending hielt ich für ausgeschlossen. Doch hingegen allen Thesen konnte ich ihn immer noch kein Stück einschätzen.

Die Taten und Aussagen waren ein Chaos für sich. Und er regierte darin. Ganz allein mit seinem magischen Zylinder, der alles und jeden verschlang, nur um sich daran zu erlaben. Möglicherweise ließen mich Vorurteile wieder einmal blenden. Aber ich wollte innerlich nicht glauben, dass er mich geheilt und uns gerettet hatte. Vielleicht war das Teil eines größeren Plans und es war alles eine Falle.

"Ich verstehe das nicht, wenn du doch der Truppenführer bist und-"

"Ich fürchte, dass du dich mit deiner Unwissenheit abfinden musst. Zumindest vorerst." Er zuckte gelassen mit der Schulter und ich wusste, dass die Konversation über ihn und diese Situation damit beendet war. Die Fragen quälten mich zunehmend. Innerlich brodelte ich. Es war, als wenn es ihm unangenehm wäre, wenn ich die Wahrheit erfuhr. Dadurch entflammte in mir die unbändige Neugier.

"Hier trink das, dann verheilen deine Wunden schneller." Rue überreichte mir eine stinkende Tinktur, die wie einfacher Schleim aussah. Ich blickte sie ungläubig an.

"Die habe ich von Xanta", sagte sie mir in einem überzeugendem Ton, "wenn dies dich nicht heilt, dann gar nichts." Ich seufzte verärgert. Sie wusste mittlerweile genau, wie sie mit mir umzugehen hatte. Brummend öffnete ich den Korken und bereute es sofort. Der Geruch von Magensäure und Ammoniak ließ mich leicht würgen.

"Runter mit!", befahl sie mir vorlaut. Ich schluckte hart. Jetzt hörte ich schon auf ein Mädchen, das ich kaum merklich kannte. Doch hatte sie mich oft genug gerettet, um ihr vertrauen zu können. Somit entschied ich mich meinen Ekel beiseite zu lassen und mir das Zeug hinunter zu würgen. Ich exte die zähflüssige Substanz , die mir aufstieß und mich keuchen ließ. Mein Magen wandte sich gegen mich. Ich musste mich zusammennehmen, um die Flüssigkeit nicht gleich mit meinem verdautem Essen wieder auszuwerfen. Der Geschmack von faulen Eiern und abgelaufener Milch breitete sich in meinem Mund aus. Ich fühlte mich, als hätte mich jemand absichtlich vergiftet. Meine Muskeln spannten sich an. Ich kämpfte gegen die Verkrampfung in meinem Innern an.

Mit einem Mal verschwanden die Leiden und alles was blieb, war die Leichtigkeit in meinen Knochen. Ich schaute auf meinem Körper herab und grinste breit. Es war, als wäre ich niemals verwundet gewesen. Die Schmerzen waren fort.

"Witzig, dass du ihm diese erst jetzt gibst", sagte der Halbgott mit zweischneidiger Stimme. Sie rümpfte die Nase und verschränkte ihre Arme vor den Körper. Vielleicht hatte sie nicht an den Trank gedacht. Das könnte ihren Gefühlsausbruch vorhin erklären. Sie tippte sich nervös auf die Unterlippe. Ihr Gesicht wurde bleich, als wurde sie durchschaut.

Ein sanftes Lächeln formten meine Lippen. Ihr gutes Herz hatte mich wieder einmal zu Kräften kommen lassen. Sie war ein erstaunliches Mädchen. Auch wenn ich mich fragte, wann sie sich eine Flasche vom Wundertrank abgefüllt hatte, so musste ich gestehen, dass es große Wirkung zeigte.

Dadurch konnte ich mich endlich auf meine eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Ich wollte die wahre Natur dieses Halbgottes herausfinden und verstehen, in welche Situation ich jetzt geraten war, nur um sicherzugehen, dass wir nicht in dem nächsten Schlamassel steckten.

"Was ist mit der Hexe passiert?", fragte ich den göttlichen Abschaum mit mangelnder Ungeduld. Dieser verzog keine Miene und zuckte die Schultern.

"Was für eine Hexe? Ich glaube, dass wir uns missverstehen. Ich war nur zufällig im Wald." Erneut brachte er diese schäbige Ausrede, die mich zur Weißglut brachte. Es schient, als ob es sein Ziel war, dass ich den letzten Funken Verstand, den ich im Augenblick noch besaß, an ihn verlor.

"Als ob ich dir das glauben sollte." Ich schüttelte unwirsch den Kopf und knirschte die Zähne. Er zog seinen Zylinder einen Stück tiefer ins Gesicht. Das tat er immer, wenn er seine wahren Gefühle verbergen wollte. Daran glaubte ich zumindest fest. Trotz seines Versteckspieles konnte ich ein Grinsen erkennen und wusste sofort, dass er nur mit mir spielte.

"Und da habe ich zufällig euch zwei süßen aufgelesen. Was für ein Zufall." Dieser Mann spuckte Nonsens, sobald er seinen Mund öffnete. Die Unterhaltung mit ihm zermürbte mich. Doch es schien, als ob genau dies sein Plan war. Denn er überspielte nicht einmal, dass er mich anlog. Stattdessen betonte er die Wort mit einer signifikanten Ironie, die kaum an Dreistigkeit zu überbieten war.

"Ja, was für einer..." Mein Mund formte sich zu einem geraden, monotonen Strich. Und da war es wieder: Das Bedürfnis, ihm ungeniert eine reinzuhauen. Einfach so. Ohne weitere unnötigen Worte oder Sekunden zu verschwenden. Doch stand ich hier und kämpfte mit mir selbst darum, meine Gefühle vor ihm zu verbergen. Mein Brustkorb hob sich explosionsartig. Es war, als würde ich vergessen, wie eine anständige Atmung funktionierte.

Obgleich er sich umdrehte, konnte ich zuckende Mundwinkel erkennen. Ich hasste es, wenn er dieses selbstgefällige Grinsen aufsetzte, nur um mir zu bestätigen, dass er sich über meine Reaktionen sehr amüsierte. Dabei war er mir keinesfalls überlegen, selbst wenn der letzte Kampf ein wenig unschicklich ausging. Mein Stolz ließ es nicht zu, dass ich einem göttlichen Wesen einen Sieg zusprach. Das würde niemals vorkommen. Nicht solange ich lebte.

"Eure beiden Lieblinge werden gleich da sein. Dann heißt es, Zeit zu gehen." Als er seinen Hut werfen wollte, griff ich instinktiv nach seinem Arm. Eigentlich wollte ich ihn nicht entkommen lassen, doch das änderte sich alles durch einer Berührung. Für einen Augenblick spürte ich den gleichen Schmerz in mir, den ich auch seit langem verspürte. Das Leid in meiner Hand, der durch meinen Fluch ausgelöst wurde.

"Warte", hauchte ich ihm schwach zu. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Es war, als wenn uns etwas verband, das ich bisher nicht erblickt hatte. Er blieb stehen und wandte sich mir um. Sein Blick verhärtete sich und ich erkannte nun, dass meine Intuition recht behielt. Auf ihm lastete ebenso ein Fluch, der ihn von innen auffraß. Nun begriff ich, dass er auch ein Opfer der Götter war und doch stand er auf dessen Seite. Als wenn er nicht wahrhaben wollte, dass sie ihm ein qualvolles Schicksal aufbürdeten. Oder steckte noch mehr hinter seiner zynischen, arroganten Fassade?

 

 

Verbundenheit und Misstrauen

 

Rue ignorierte uns und erkundete weiter die Räume, die alle von Schmutz umgeben waren. In unserer momentanen Verfassung konnten wir somit nichts verunstalten. Womöglich war das der wahre Grund, warum uns dieser unbekannte Halbstarke in diesen Unterschlupf verfrachtet hatte. Bestimmt hatte er sich davor gefürchtet, dass wir seine teuren Antiquitäten mit Matsch und Blut verunreinigen könnten.

Ich konnte mich nicht auf meine Umgebung konzentrieren, da meine Gedanken weiter um den Fremden kreisten, der scheinbar ein dunkles Geheimnis hütete. Unsere Blicke trafen sich. Er hatte sich von meinem Griff befreit, als hätte ihn ein widerwärtiges Insekt gestochen. Nun dachte ich schon in seinem Tonfall. Es graute mich. Seine Art und Weise hatte eine ansteckende Wirkung.

"Kann sich mein Süßer nicht von mir trennen? Ich weiß, dass dir der Abschied schwerfällt, aber du musst mich eben gehen lassen. Du weißt doch, wir beide sind Feinde." Während er gänzlich in seiner schlechten Schauspielerei aufging, zog ich fragend eine Augenbraue hoch. Es war, als wenn er damit ablenken wollte.

Obwohl er sich nichts anmerken ließ, hatte ich eine minimale Reaktion bemerkt, die darauf schlussfolgerte, dass nicht nur ich durch meine Berührung getroffen wurde. Ein Blick auf meine verfluchte Hand und ich verstand. Auch wenn der Halbgott meine Wunde regeneriert hatte, so reichten seine Kräfte nicht aus, um ihn in seiner Gänze zu entfernen.

Es könnte sein, dass es an seiner menschlichen Hälfte oder gar an seinem eigenen Fluch lag. Vielleicht könnte ich doch brauchbare Informationen aus ihm herauskitzeln. Möglicherweise könnte sich die Anwendung von eben wiederholen, wenn ich ihn anfasste, doch er würde sicherlich zurückweichen. "Und doch hilfst du mir, sehr merkwürdig."

"Was für ein Blödsinn. Ich und euch helfen? Ein Feind hilft niemals. So eine Geschichte wurde doch bisher nicht verfasst." Er lachte trocken auf. In seinem üblichen arroganten Grinsen konnte ich eine Verbitterung sehen, die mich ahnen ließ, dass Rue Recht behielt. Vielleicht war er nicht unser eigentliches Problem, doch ich brauchte einen Beweis, um sicherzugehen. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf das Pochen des Fluches.

Es war wie ein seichter farbloser Faden, der mich mit ihm verband. Es trat direkt aus meiner kaputten Hand und floss in seinen Rücken. Ich konnte ihn in meinen Gedanken wie eine Schachfigur drehen, sodass ich mir die Wunde besser betrachten konnte. Mein Atem stockte.

Die Narbe hatte die Form eines magischen Zauberzirkels. In einen der Bücher, die bei Xanta offen herumlagen, hatte ich dieses Zeichen bereits gesehen. Es war mit drei Außenkreisen und vier Innenkreisen geschrieben. Jeder Kreis stand für eine Versiegelung. Es bedeutete, dass der Fluch nicht von irgendwem stammte.

Eine siebenfache Versiegelung war die stärkste Form eines Fluches, der über den Tod hinausging und selbst seine Nachfahren auferlegt wurde. Soweit ich Xanta verstanden hatte, konnte nur der Hexenkönig oder ein Gott die Macht besitzen, um ihn herauf zu beschwören. Doch konnte ein unlösbarer Fluch jemals gebrochen werden?

Wenn ich mir die Narbe näher betrachtete, hatte sie nicht nur den ganzen Rücken eingenommen, nein, es bewegte sich, als wäre es lebendig. Die Form erinnerte an einen schachbrettförmigen Zylinder, dessen Gesicht ich bereits einmal gesehen hatte. Ich stolperte zurück und weitete meine Augen japsend. Bevor ich die Verbindung abgebrochen hatte, konnte ich einen weiteren Faden ausmachen, der sich direkt um uns beiden legte.

Sein Hut stand in Verbindung mit diesem Zauber. Der Halbgott starrte mich mit funkelnden Augen an. Er wusste, dass ich es herausgefunden hatte. Womöglich hatte er dasselbe gesehen. Seine magentafarbene Augen trafen mich wie ein Schlag.

"Mag sein, aber verrätst du mir noch, wer dir diese Narbe verpasst hat. Sieht fast wie ein alter Fluch aus." Wir hielten Blickkontakt und ließen nicht zu, dass jemand von uns eine falsche Bewegung ausführte. Den Druck, den er ausübte, könnte kein normaler Söldner aushalten. Nur jemand, der genug Nahtoderfahrungen erfahren hatte. Davon hatte ich genug.

"Du kannst noch nicht einmal deinen Fluch heilen und nun sorgst du dich um meine Wunden? Die eines Feindes? Du bist noch dümmer als ich geglaubt habe." Sein Lachen erstarb, ehe ein Ton aus seiner Kehle entrinnen konnte. Er wandte sich um und schweifte ab. "In einem anderen Leben würde ich mich glatt in dich verlieben."

Ich würgte leise und schüttelte mich. Auch wenn ich die Ironie in seiner Stimme erkannte, hatte mich die Vorstellung alle Sinne geraubt. Eher würde ich gegen alle Götter gleichzeitig kämpfen, selbst wenn dies mein Tod bedeuten würde.

"Na wie gut, dass es in diesem Leben nicht geschehen wird." Als er meinen abwertenden Tonfall bemerkte, gluckste er amüsiert auf. Damit hatte er meinen Versuch, an Informationen zu gelangen, perfekt abgewehrt.

"Bleibt solange hier, wie ihr möchtet, niemand weiß von dieser schnuckeligen Unterkunft, die euch sogar, dank meiner großzügigen Freundlichkeit, kostenlos zur Verfügung stehen."

Argwöhnisch beäugte ich unser Versteck und rümpfte angewidert meine Nase. Das Dach war zumindest heil. Ansonsten erinnerte es mich an die Waldhütte, die durch den schweren Regen gänzlich zerfallen war. Es bot zwei große Schlafzimmer und drei weitere Zimmer, die mit notwendigen Möbeln ausgestattet war, um für eine Weile unterzutauchen.

Die Farben waren an einigen Stellen verblichen und abgenutzt, doch die Farbkombinationen ließen zu wünschen übrig. Kein Möbelstück passte zum anderen. Jede Wand hatte einen anderen Anstrich erhalten. Das war weder modern noch für einen Halbgott geeignet. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich ein Mann wie er für längere Zeit verschanzen konnte, ohne dass er seine Villa und seinen Prunk vermisste.

"Ein reicher Mann, wie du es bist, hätte uns auch in einem großen Schloss unterbringen können", kritisierte ich bissig. Er lehnte sich an einer rostfarbenen Wand an, die direkt zum Badezimmer führte. Sein Auftreten ließ keine weiteren Spekulationen zu. Meine Neugierde ließ meine Adern pulsieren. Ich wollte meinen Wissensdurst endlich stillen.

"Vielleicht, aber das wäre doch zu auffällig geworden, oder?" Ich folgte seinem Blick und blieb an Rue haften, die sich auf eine braun gepunktete Couch gelegt hatte. Sie sah aus, als wäre sie in einem Kampf um Leben und Tod gewesen. Dabei hätte ich heute beinahe das Zeitliche gesegnet. Wieder einmal. Das war bereits zu meinem liebsten Hobby geworden.

"Zumal eure schmutzigen Kleidung dem Ideal eines Adeligen einfach nicht entsprechen. Blutet mir hier nicht alles voll und zieht euch was an. Ich habe bereits einige Vorkehrungen getroffen und hoffe, dass sie eurem Geschmack und eurer Maße entsprechen." Mit diesen Worten zog er etwas aus seinem Hut und präsentierte uns neue Trachten. Mehrfach blinzelte ich. Es waren feinste Kleidung, die mit stärksten Materialien verfeinert wurde, um selbst vor den stärksten Klingen gewappnet zu sein. Bisher durfte ich sie nur an meine Gegner bewundern, doch dagegen fühlte ich mich mit meinem Monkosleder wie ein einziges Wrack.

Die besten Schmieden würden alles dafür tun, um eine Rüstung wie diese zu begutachten. Doch nur die Götter selbst könnten sie herstellen. Ob ich hinter dem Geheimnis kommen würde, wenn ich eine Kluft wie diese trug?

Rue sprang freudestrahlend auf und riss ihm ihre Kleidung aus der Hand, ehe sie in dem Badezimmer verschwand. Ich konnte verstehen, dass er ihre Maße kannte, da sie sich eine Weile kannten. Doch woher sollte er die meine kennen? Schleierhaft war, dass er sie aus dem Hut zauberte, als würden sie schon seit Äonen auf uns warten. Es war, als wenn er meinen Verdacht bestätigte, dass alles geplant war.

"Tust du das, damit wir deinem Ideal eines Adeligen entsprechen oder nur um deine Wohnung nicht zu verdrecken?", scherzte ich unterkühlt und begutachtete mir das Stück Stoff zwiegespalten. Es war wie eine Intrige, dessen Ziel mir nicht erschloss.

"Sowohl als auch." Er überreichte mir meine neue Rüstung, die sich trotz hochwertigen Materialien und Eisenplatten leicht anfühlte. "Zieh es an." Ich nickte ihm stumm zu.

Rue stürmte aus dem Bad und tänzelte um uns herum. Sie strahlte über beide Ohren. Obwohl Xantas Umhang leider vollständig zerstört wurde, so ähnelte ihr jetziger Stil diesem sehr. Ihr langer Umhang war in einem seichten veilchenblau. Silberfäden und fein eingenähte Mondrunen fanden sich normalerweise nur auf Gewänder eines Zauberers oder einer Hexe. Da magische Wesen gejagt wurden, hinterfragte ich den Sinn für die Auswahl der Kleidungsstücke.

Unter dem leichten Stoff verbarg sich eine dunkelviolette Robe, die mit schwarzen und weißen Opale verziert war. Ich schluckte hart. Wie sollten wir mit diesen Gewändern nicht auffallen? Sie trug Bein- und Knieschützen, die mit Titan ausgestattet waren. Natürlich gefiel es ihr. Auch wenn sie sich die Konsequenzen im Augenblick nicht bewusst war. Mir wurde speiübel.

"Vielen lieben Dank." Ich wusste nicht, was ich von diesem Anblick halten sollte. Vor wenigen Tagen wollte sie vor ihm beschützt werden und nun fiel sie ihm regelrecht um den Hals, nur weil er ihr endlich die Lumpen durch anständige Kleidung ersetzt hatte. Das hätte er schon viel früher tun sollen. Es war, als wenn sie sich bei dem Täter bedankte, dass er sie einmal nicht jagte und misshandelte. Ich verdrehte genervt meine Augen.

"Habe ich nicht gesagt, dass du dich umziehen sollst?", fragte er nachdrücklich. Ich schnaubte verächtlich. Jetzt befehligte er mich bereits. Wollte er uns zu seinen Hofdienern machen? Sollte ich schon einmal meinen Hofknicks üben?

Ohne ein Widerwort begab ich mich in das Badezimmer und ignorierte den schäbigen Zustand der Hygieneanlagen. Ich drehte den rostigen Wasserhahn auf und atmete erleichtert auf. Das Wasser war klar und wies keine Spuren von Kalk auf. Erschöpft ließ ich die kalte Flüssigkeit über meine Hände und über mein Gesicht laufen. Um nicht unachtsam zu werden, hatte ich die Tür einen kleinen Spalt offen gelassen. Durch eine grobe Staubschicht konnte ich meine jetzige Verfassung nicht im Spiegel erblicken. Dadurch konnte ich das vertrocknete Blut und den Restschmutz nur vermuten. Ich horchte auf und begriff, dass sie flüsterten. Dennoch konnte ich angestrengt ihre Worte vernehmen.

"Und was hältst du von ihm? Wird er stark genug sein, um uns beide retten zu können?" Rue hatte ich bisher für vertrauenswürdig eingestuft, doch nun traten Zweifel auf. Mein Brustkorb zog sich zusammen.

"Als ob ich an ein Wunder glauben würde." Die abfällige Bemerkung brachte mich zur Weißglut. Am Liebsten wäre ich rausgestürmt und hätte ihn zu einem Kampf herausgefordert. Doch dann seufzte ich leise. Ja, ich war schwach und konnte nicht einmal ein Mädchen beschützen, ohne dass ich mich in Gefahr begeben musste. Wenn der Fluch mich nicht bremsen würde, dann könnte ich- Meine Gedanken brachen ab. Die Hilfeschreie der Menschen ließ mich zusammenzucken. Der Schmerz fuhr wie ein Blitz in meine Hand. Keuchend erkannte ich die feinen Linien, die sich wie ein Unendlichkeitszeichen in mein Fleisch schnitten und mich gänzlich in die Knie zwangen. Sie entzogen mir jegliche Kraft. Zitternd fiel ich auf die Knie und suchte nach Halt.

"Also ich glaube schon, dass er es schaffen kann." Ihre seichte Stimme erklang wie ein Zauberspruch, mit dem mein Leid rasch aufhörte. "Etwas sagt mir, dass er die Götter aufhalten und uns eine Zukunft geben kann."

Irritiert schaute ich auf meine Handfläche. Außer den üblichen Hautfetzen war kein merkwürdiges Zeichen zu erkennen. Die Schmerzen waren verschwunden.

"Dann bin ich gespannt, ob er die Lasten aller auf seinen Schultern tragen kann. Einfach wird es nicht." Der Halbgott hatte einen anderen Klang wie üblich. Es hörte sich gewöhnlicher an, als hätte seine Menschlichkeit überhand gewonnen und er hätte vergessen, dass er ein übermächtiger Halbgott war.

Ich stand auf und trocknete mir mein Gesicht ab. Die weinroten Handtücher waren sauber und rochen nach Honig, Kokosnuss und Vanille. Es kam mir vor, als hätte ich die Gerüche außerhalb der Küche schon einmal gerochen. Die Situation kam mir vertraut vor. Doch ich konnte mich nicht an weitere Einzelheiten erinnern.

"Darum wird er dich brauchen." Eine kurze Stille erfolgte. Es war, als wenn sie den Feind nach Unterstützung anflehen würde. Die Stirn runzelnd zog ich mir meine zerrissene Kleidung aus und zog mir das schwarze Kettenhemd über, ehe ich den silbernen Brustpanzer anlegte.

"Ich denke nicht, dass er das möchte, Runa." Beide sprachen zu vertraut miteinander.

Nachdem ich die schwarze Hose angezogen hatte, konnte ich die letzten silbernen Rüstungsteile anlegen. Die Panzerungen wurden an manchen Teilen mit biegsamen Eisen gemischt. Womöglich um zu verhindern, dass bei einem zu großen Druck das Stahl splitterte oder sich gar in meinen Körper bohrte. Es war atmungsaktiv und schmiegte sich geschmeidig meiner Haut an.

Noch nie hatte sich eine Rüstung wie normale Kleidung angefühlt. Leider war ich dem Rätsel kein Stück näher gerückt, sodass ich möglicherweise den Schlüssel fand, der alles zusammenhielt. Ich war eben nur ein Laie, wenn es um Anfertigungen und Schmiedekunst ging.

Mit gemischten Gefühlen trat ich heraus. Sofort hatte ich die Aufmerksamkeit der beiden auf mich gezogen. Die Augen meiner Begleiterin funkelten wie Kristalle, während sie aufsprang und mich umrundete. "Wow, wie ein echter Ritter!" Ihre Begeisterung sprang unglücklicherweise nicht auf meine Wenigkeit über. Ich empfand ihre Reaktion als lästig.

Ein erhabenes Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Dirigenten. Er schien mit der Wahl der Kleidung zufrieden zu sein. Ich nicht. Denn ich hatte das Gefühl im Dunklen zu funkeln - das gefundene Fressen für Monster und einer wütenden Meute Götter. In dieser Kluft würde ich keine Woche überleben und doch wollte ich sie nicht wieder ausziehen. Zumal ich keine Alternative hatte.

"Jetzt kann ich mit gutem Gewissen gehen. Beim nächsten Mal werden wir uns wieder in einem Kampf gegenüberstehen. Ich freue mich schon darauf."

Er winkte zum Abschied und warf seinen Hut. Das Gesicht dieses Zylinders hatte sich bis in das Innerste meiner Seele gefressen. Ein schwarzes Loch sog ihn ein. Damit verschwand er einfach und ließ mich irritiert stehen. Warum hatte er überhaupt damit gewartet, bis ich aus dem Bad herauskam? Er hätte auch vorher verschwinden können, dann hätte ich seine schreckliche Visage nicht mehr sehen müssen.

Ich wusste, dass ich mich beim nächsten Aufeinandertreffen nicht zurückhalten würde. Das nächste Mal würde ich ihm sein Grinsen aus dem Gesicht reißen, nur um ihn lebendig zu begraben. Ohne Rue Beachtung zu schenken, zeterte ich eine Weile vor mir hin und schwor mir, stärker zu werden, um ihm zu beweisen, dass ich ihm überlegen war.

 

Klirrende Kälte

 

"Dieser Mann nervt wirklich." Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Es war, als wenn ich gegen eine Wand anlaufen würde. Die ganze Konversation hatte mich nicht voran gebracht und nun hatte er uns in glitzernde Gewänder gesteckt. Es war, als hätte er uns markiert. Ich hasste diesen Halbgott. Allgemein war die Spezies nur da, um andere Rassen zu unterdrücken und in den Wahnsinn zu treiben. Die Geschichte hatte es oft genug bewiesen. Brummend lief ich wildgeworden in der Gegend herum und suchte nach meiner inneren Ruhe, doch alles was ich fand, war der Drang auf etwas einzuschlagen.

"Ach? Leuchten deine Augen deshalb so, wenn du auf ihn triffst?" Ihre schneidige Stimme ließ mich erstarren. Sie legte ihren Kopf schief und versuchte mich aus der Reserve zu locken.

"Rue, was erzählst du mir da wieder für einen Quatsch?" Ich schüttelte meinen Kopf und blickte aus dem Fenster. Da mir die Gegend unbekannt war, konnte ich nicht abschätzen, ob wir in Feindesgebiet waren oder lediglich in einem weit entfernten Bereich, an dem uns niemand finden würde. "Er ist mein Feind." Innerlich schmerzte dieses Wissen.

"Eben nicht", widersprach sie mir vorsichtig.

"Wie meinst du das? Willst du mir damit sagen, dass deine Rettungsaktion damals vollkommen sinnfrei gewesen war?", herrschte ich sie unkontrolliert an, "warum hast du mich damals dann in deine Angelegenheiten mit hineingezogen?"

Der Frust, der sich in meinem Herzen angestaut hatte, brach wie ein glühender Feuerball aus mir heraus. Trotz der Hitze wurde ich in einen tiefen Strudel negativer Emotionen gefangen und in einen dunklen Kerker gesperrt, um für alle Ewigkeit mein eigener Sklave zu sein.

"Ich muss dir etwas erzählen, Dummkopf", sagte sie mit entschlossener Stimme, während sie weiterhin Blickkontakt hielt. Die Erscheinung eines hilflosen Mädchen bröckelte in binnen von Sekunden.

"Hey, habe mehr Respekt vor meinem Alter!", brummte ich verstimmt und verschränkte meine Arme vor dem Körper. Rue schmollte und blickte empört zu Boden.

"Nicht, wenn du dich so benimmst", hauchte sie mir schwach entgegen. Meine Mundwinkel zogen sich hoch. Jetzt erinnerte sie mich mehr an das Mädchen, das ich gerettet hatte.

"Ist ja gut", beruhigte ich sie und streichelte ihren Kopf lächelnd. "ich werde nicht urteilen, ehe du mir alles, was du weißt, erzählt hast."

Sie zuckte irritiert zurück und wurde verlegen, ehe sie sich strahlend wegdrehte. Dafür, dass ich lediglich Jikai imitiert hatte, um Rue nicht zu verärgern, zeigte es erstaunlich, wie gut ich schauspielern konnte. Dennoch plagte mich im Nachhinein ein schlechtes Gewissen, da ich mit meinem Talent wirklich jeden in die Irre führen könnte.

"Du willst doch nur von ihm hören, weil er dich interessiert."

Ihre Worte ließen mich für einen Augenblick erstarren. Schnell erhielt ich die Fassung zurück und suchte weitere Phrasen, die sich nach meinem besten Freund anhörten.

"Du interessierst mich auch. Schließlich möchte ich gern erfahren, warum alle hinter dir her sind." Unbewusst verstellte sich meine Stimme und wurde kratziger und tiefer, sodass ich mich immer mehr von meinem wahren Selbst unterschied. Ehe sie sich dazu äußern konnte, tauchten hinter uns zwei Gestalten auf, die ich durch den Vorfall mit dem Halbgott gänzlich vergessen hatte.

"Die Geschichte würden wir auch liebend gern hören, doch wie es scheint, haben wir ein dringlicheres Problem, um das wir uns zunächst kümmern sollten." Die kleine Alraune sprach, als wäre sie die wichtigste Person im Raum. Ungewollt verzog ich meine Miene, als ich die beiden übernatürlichen Wesen nebeneinander sah, als hätten sie nicht vor wenigen Stunden miteinander gekämpft und uns in Gefahr gebracht.

Rue umfasste sich plötzlich zitternd und klapperte mit den Zähnen. Verwundert zog ich eine Augenbraue hoch, als der Gestaltwandler lediglich zum Fenster deutete. Vorsichtig blickte ich hinaus und erkannte nichts, da die Scheibe mit Eiskristallen und Schnee bedeckt war.

"Was zum..." Meine Stimme brach ab, als ich kalte Luft einatmete und zu röcheln anfing. Der plötzliche Temperaturunterschied machte Rue und mir zu schaffen. Sie klammerte sich an meinen Arm und bibberte unentwegt.

"War das auch euer Werk?", fragte ich sie schweratmend und fasste mich an den schmerzenden Hals.

"Mitnichten, aber so wie es aussieht, werden wir vier bezichtigt, die Ursache für den Wetterwechsel zu sein."

Ich legte meinen Kopf schief und fragte mich, wer uns dazu verurteilte, wenn doch niemand wusste, dass wir hier versteckt waren. Doch dann hörte ich eine tobende Menge, die unten gegen die Tür hämmerte und laut rief. Seufzend versteckte ich mein Gesicht hinter meiner Hand. Der Gott hatte uns offensichtlich nicht versteckt. Möglich war es auch, dass die Bewohner den beiden Wesen gefolgt waren, da diese Misstrauen weckten. Schließlich tauchten sie zu dem ungünstigsten Moment auf.

"Was sollen wir jetzt tun?!", fragte Rue mit gebrochener Stimme.

"Wir müssen wohl oder übel den wahren Übeltäter dingfest machen, wenn wir nicht gejagt werden wollen", erklärte uns der Gestaltwandler seelenruhig, so als würden wir nicht erneut zu etwas gedrängt werden und zwischen die Fronten geraten.

Brummend versuchte ich das vereiste Fenster zu öffnen. Da es klemmte, brauchte ich mehrere Anläufe, doch bereute es augenblicklich, als die eisige Luft und die Schneemassen tobten und direkt in den Raum reinzogen.

Rue sprang quietschend zurück, während mein Gesicht bis zum Oberkörper mit Schnee und Eiskristalle bedeckt wurden. Es brannte auf meiner Haut wie kleine feine Nadelstiche, die gerade in die heiße Lava getunkt wurden.

"Gut gemacht, du Held", blaffte die Alraune zynisch, ehe sie ihre Kraft einsetzte, um den Schnee mithilfe von Wind hinaus zu blasen.

Dadurch wurde meine Sicht klarer, auch wenn die unerträgliche Kälte blieb, die meine Nase und meinen Hals herausforderte. Die Dächer, Fassaden und Straßen, die vor Kurzem noch zu sehen waren, waren gänzlich in Weiß gehüllt. Ein unerwartetes Schneechaos war in dieser Stadt ausgebrochen. Ich konnte den Leuten, die vor diesem Haus standen und uns für unsere Anwesenheit verfluchten, nichts verübeln.

"Dahinter kann nur ein Naturgeist stecken", fing der Gestaltwandler leise an, "niemand sonst wäre dazu in der Lage."

Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Skeptisch begutachtete ich mir die verdächtigen Übeltäter, die im Wald gewütet hatten, als würden sie die ganze Welt zerstören wollen.

"Was siehst du mich so an, Junge?", brummte die Alraune verächtlich, "ich kann kein Schnee heraufbeschwören."

Bevor ich auf diesen überflüssigen Kommentar antworten konnte, zog mich Rue am Arm mit. "Wir sollten schleunigst etwas tun, wenn niemand erfrieren soll!"

Mit dieser Aussage hatte sie mich kalt erwischt. Es war, als wenn sie meine Schwachstelle ausnutzen würde, damit ich mich der Sache annahm. Dabei hatte ich vor, in einem Krieg gegen Götter zu kämpfen und nicht gegen unbändige Naturgewalten, die mich in binnen eines Momentes einfrieren oder wegwehen konnten. Ich hätte wirklich auf Jikai hören sollen.

Unmotiviert trottete ich der merkwürdigsten Gruppe hinterher, die mich in meinem ganzen Leben auf meinen Reisen begleitet hatte. Ich wusste wieder, warum ich ein Einzelgänger war: Ständig wurde ich in Probleme anderer mit hineingezogen und musste zu guter Letzt sogar beim Kampf Rücksicht nehmen. Babysitten war noch nie meine Stärke gewesen und doch war es am Ende immer genau das, was ich tat.

Die magischen Wesen sprangen unbeirrt durch das Loch im Boden. Als Rue ihnen nachahmen wollte, griff ich sie mir seufzend und folgte den Beiden unbeirrt. Um die Landung abzudämpfen, setzte ich meine Harpunen ein und bereute es sogleich, da diese nicht in den Wänden oder an speziellen Punkte stecken blieben. Stattdessen zerstörte ich mehr als ich eigentlich wollte. Glücklicherweise konnte ich mich dennoch einhändig am Tresen festhalten, sodass ich auch ohne abrollen sanft auf meine Füße gelandet war.

"Sabotierst du die Rettung deines geliebten Freundes?", hauchte mir Rue vorwurfsvoll ins Ohr. Ich kratzte mir die Wange und hustete stark auf. Eigentlich war dies nicht meine Intension gewesen, doch konnte sich mein Stolz nicht überwinden, diese Aussage abzustreiten.

"Er ist weder mein Freund, noch empfinde ich eine Emotion wie Liebe in seiner Anwesenheit", brummte ich verstimmt, ehe ich weiterlief, um mit unseren plötzlichen Mitstreitern mithalten zu können.

"Der arme Lyndel, zuerst liebäugelst du mit ihm und dann weist du ihn ab. Ich wusste nicht, dass du so ein Herzensbrecher bist, Rykar."

Als Rue seinen Namen aussprach, stockte ich für einen Augenblick. Mein Herz stolperte. Es war, als wenn ich den Namen von irgendwoher kannte. Doch möglicherweise irrte ich mich.

Einen arroganten Halbgott wie ihn hätte ich jederzeit wiedererkannt. Trotzdem musste ich zugeben, dass der Name zu einem adeligen Mann passte, der gut austeilen konnte. Innerlich rügte ich mich dafür, dass ich meinem Feind Komplimente machte. Gut, dass ich ihm dies niemals zugestehen würde.

Die Kälte kroch weiter an mir herauf, als wenn es direkt durch meine göttliche Kleidung krabbelte, um mich bewegungsunfähig zu machen. Die magischen Wesen behielten recht, als sie sagten, dass nur ein Naturgeist dahinter stecken konnte, denn diese Art von Frost und Eis waren alles andere als natürlich.

"Klingt fast so, als hättest du schon ein Buch über uns verfasst." Ich lispelte, da meine Zunge bereits taub war. Im Augenblick wusste ich nicht, ob es richtig war, dass ich meinen Mund öffnete und den eisigen Wind in meine Lunge ließ. Doch wenn ich es nicht tat, könnte es womöglich sein, dass mein Mund zufror. Ein freches Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

"Die verbotene Liebe zwischen Halbgöttern und Männern. Nein, so etwas verkauft sich doch nicht." Durch die schlagfertigte Antwort gluckste ich unbewusst. Auch wenn sie in manchen Situationen meinen Schutz erbat, war sie kein kleines, hilfloses Mädchen gewesen. Den Mut aufzubringen, sich für mich ausliefern zu wollen, hatte mich wirklich überrascht. Ihre Fürsorge mir gegenüber war nicht vorgespielt.

Darum versuchte ich mehr über ihre wahre Natur herauszufinden, denn das Gefühl, das sie mir entscheidende Informationen verheimlichte, verdeutlichte sich nach dem Gespräch mit dem Halbgott. Zudem musste sie ihn in meiner Gegenwart immer und immer wieder erwähnen, als ob sie auf etwas hinaus war. Darum beobachtete ich jede ihrer Reaktionen genau.

"Nimm das mit den Halbgöttern heraus und mit Jikai hätten wir den ersten Käufer", sagte ich halblachend. Ich konnte mir bereits vorstellen, wie er Tränen vergoss, weil die Geschichte herzzerreißend und romantisch war.

"Sag jetzt nicht, dass du bereits vergeben bist und Lyndel deine heimliche Affäre ist?" Ihr argwöhnischer Blick ließ mich runzeln. Langsam hatte ich das Gefühl, dass ihre Fantasie mit ihr durchging. Daran merkte ich, dass sie ein junges Mädchen war, das die Welt durch eine rosarote Brille sah. Andernfalls würde mir keinen plausiblen Grund einfallen, warum Rue ihren Retter und ihren Entführer in eine romantische Beziehung sehen wollte.

"Jikai ist für mich wie ein großer Bruder. Wir sind Familie. Niemals würden wir auch nur daran denken", erklärte ich ihr ruhig. Er hatte mir stets den Rücken freigehalten und hatte mich oft genug zurecht gestutzt, wenn ich mich wieder achtlos in Gefahren gestürzt hatte. Selbst wenn wir voneinander entfernt waren, konnte dieses Band der Freundschaft niemals zerbröckeln. Während ich mit meinen Gedanken abschweifte, erwischte mich Rue eiskalt - so kalt, dass es nichts im Vergleich zu dem aufgezogenen Winter war.

"Aber mit Lyndel schon? Habe ich dich wohl erwischt." Ihr breites Grinsen, das genau wusste, dass sie gewonnen hatte. Doch so schnell würde ich nicht aufgeben.

"Für so etwas wie Liebe habe ich keine Zeit. Zumal ich diesen Bastard das nächste Mal umbringen werde." Auch wenn ich es nicht abstreiten konnte, dass ein derartiges Setting in einer Parallelwelt möglich wäre, so versuchte ich ihr den absurden Gedanken auszureden. Es machte mich krank, immer und immer wieder an diesen Mann erinnert zu werden.

"Wie wäre es, wenn du erstmal hier heil herauskommst?", fragte die Alraune und holte mich ins Hier und Jetzt zurück. Wir standen vor der Eingangstür versammelt und hörten die Krawalle von außen. Es wurde regelmäßig gegen die Tür gehämmert. Rue stellte sich schützend hinter mir und klammerte sich an mir.

"Warum stehen wir an der Eingangstür?", fragte ich mit verschränkten Armen. Magischen Wesen waren ein Kaliber für sich, weshalb ich ihnen nicht über den Weg traute. Wollten sie uns direkt als Täter ausliefern oder wollten sie die unschuldigen Menschen wegwehen? Da ich die Kraft bereits am eigenen Leib erlebt hatte, musste ich sie aufhalten, falls dies wahrlich ihr Plan war. Doch die Blicke der Beiden regten sich nicht. Sie tauschten sich undefinierbare Gesten aus, ehe sie mich Richtung Tür drängten.

"Ganz einfach, weil dein Auftritt jetzt gekommen ist, Kleiner."

Die Alraune nannte mich klein. Es wurde eine neue Form der Ironie erfunden, der die Absurdität auf eine höhere Ebene stellte.

Bevor ich mich gegen sie wehren konnten, wurde die Tür aufgerissen und die Eiseskälte ließ mich erschaudern. Die ganze Stadt war in Eis gehüllt, während ich von einer wütenden Meute eingeschlossen war. Und das war alles die Schuld von Lyndel. Hätte er uns nicht an einen weniger chaotischen Ort verstecken können? Es hatte nicht einmal einen halben Tag gedauert bis wir aufgeflogen waren. Dieser Mann war wie mein sicherzustellendes Pech, damit mein Leben auch wahrlich zur Hölle wurde. Wenn ich dies heil überstehen würde, würde ich ihm das nächste Mal wahrhaftig seine strahlende, arrogante Visage entstellen.

 

 

 

Das Pech folgt mir stetig

 

"Lebst du hier?"

"Hast du dieses Schneechaos angerichtet?"

"Wo sind die scheußlichen Kreaturen, die hier hereingegangen sind. Stecken sie mit dir unter einer Decke?"

Die klagende Menschenmasse umrundete mich und durchlöcherte mich mit Fragen. Überfordert blickte ich um mich herum und bemerkte nüchtern, dass sie mich zurückgelassen hatten. Ich war ihr Ablenkungsmanöver gewesen und selbst Rue hatte mich hier zurückgelassen, nur um ihre eigene Haut zu retten. Mein Körper erstarrte. Es breitete sich eine Leere in mir aus. Normalerweise müsste ich an Situationen wie diese gewohnt sein, denn es war nicht das erste Mal, das ich jemanden half, der mich am Ende auslieferte oder zum Überleben missbrauchte. Dennoch hatte ich mehr von diesem Mädchen erwartet. Die sich ausbreitende Leere in meinem Herzen hinterließ eine bittersüße Note - eine weitere Narbe, die mich lehrte, dass ich mich nicht jeder Person öffnen sollte. Am Ende erwartete mich nichts anderes als Leid.

"Hey!", schrie jemand durch die Menge. Die Geräusche erstarben. Sie richteten sich nacheinander auf und bildeten einen schlängelartigen Durchgang, bevor sie mit ihren Armen ein senkrechtes Kreuz bildeten und ihre Stirn gegen den innenliegenden Arm lehnen. Es war eine Form der Verbeugung, die mir bislang fremd war. Da ich durch mein Veteranenstatus in etliche Gebiete und Ländern stationiert war, müsste ich mich mit den Kulturen der jeweiligen Völker vertraut sein. Umso mehr fragte ich mich, in welche Ecke auf der Landkarte Lyndel uns geschickt hatte.

Als ich zu jener Frau blickte, die scheinbar einen hohen Status in dieser mir fremden Stadt innewohnte, stockte ich. Sie hatte einen schweren, erhabenen Gang und trug einen rotschwarzen Kimono, der mit schwarzen Federn und Fledermäuse verziert war. Um ihre Taille wurde wie ein Gürtel ein orangenes Stück Stoff gebunden, das am Rücken zu einer großen Schleife gebunden wurde. Doch das war nicht der Grund für meine Verwunderung.

Die Sklera im Auge hatte eine ungewöhnliche schwarze Farbe. Für Menschen war dies nicht üblich. Der äußere Rand war blutüberzogen - zumindest hatte es durch den kräftigen Rotton den Anschein erweckt, das sie direkt aus einer Horrorgeschichte entsprang. Ihre Iris war hingegen weiß, mit feinen roten Linien durchzogen. Je näher sie kam, desto mehr erinnerte die Form an kleine Kreuze. Die kreisrunden Pupillen waren das Einzige, was an ihren Augen menschlich war.

Ihr Haar erinnerte an schwarze Kohle, die mit feine aschfarbene Strähnen versetzt war. Und ihre Haut glich der Farbe des Schnees, in dem sie stapfte. Das knirschende Geräusch, wenn ihre Beine in der watteartigen Frostschicht versanken, erinnerte mich an gute Zeiten mit Jikai. Er liebte die Spaziergänge durch den Schnee, sowie er die blühenden Bäume im Frühling genoss. Doch am Wichtigsten war ihm die Zeit zuhause. Wenn draußen ein Schneesturm oder ein Unwetter tobte, hatte er sich stets mit einem guten Buch und einem selbstgemachten Cocktail in seinen Schaukelstuhl gesetzt.

Die dubiose Frau hielt vor mir an und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihre Gesichtszüge waren fein und erinnerten an eine leblose Puppe. Dennoch umgab sie eine unheilvolle Aura, die mich einerseits an meinen Fluch und andererseits an Lyndel und dessen Zylinder erinnerte.

An ihren freien Körperstellen konnte ich zahllose Tattoos entdecken, die sowohl bunt als auch grotesk waren.

Abgetrennte Gliedmaßen, Skelette, und ein blutüberströmtes Gesicht, das gerade ein Herz verspeiste, während ein Krias einen Spiegel davor hielt, der wiederum zeigte, dass ein Mensch gerade das Herz aus einem noch lebenden Menschen gerissen hatte. Dies war zwar nicht realistisch, da wir keine Krallen hatten wie in diesem Tattoo und darum kein Herz einfach so herauspulen konnten. Dennoch hinterließ es den Eindruck, das sie zu allem fähig war. Da waren mir die lebendigen Tattoos mit dem Zylindergesicht wesentlich lieber.

"Deine Ankunft könnte unpassender nicht sein, Fremder." Ihre Stimme war tiefer als erwartet. In dieser lag etwas vertrautes, dass ich nicht richtig zuordnen konnte. "Zumal gesichtet wurde, dass zwei magische Wesen hier hereingestürmt sind. Ich hoffe doch nicht, dass du hier bist, um uns Kummer zu bereiten. Also übergib uns diese Wesen, die womöglich für dieses Chaos zuständig ist."

Eine kurze Stille trat ein, in der ich sie nachdenklich beobachtete. Ihre Aussprache war deutlich, wenn nicht gar überbetont. Stolz und Arroganz schwangen mit. Da wurde mir wieder bewusst, dass mein Pech mich allseits verfolgte. Allein der Anblick ihres goldenen prunkvollen Kopfschmuckes oder die hochwertigen Accessoires an ihrem Kimono und ihres Schmuckes hätten mich stutzig werden lassen. Zumal sie die gleiche Uhr um ihren Hals trug wie der Mann, wegen dem ich überhaupt in dieser Bredouille steckte. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich zu seiner Geliebten brachte.

"Können wir das nicht an einem anderen Ort bereden?", bat ich sie bibbernd. Mein Hals brannte, während ich sprach. Doch sie schüttelte stur den Kopf und schritt an mir vorbei.

"Stürmt das Haus." Mit diesen Worten liefen einige rein und stürmten die Treppen hoch. Sie regte sich nicht und ließ mich nicht aus den Augen. Seufzend umfasste ich mich, in der Hoffnung, dass ich nicht ganz einfror. Wie ich Jikais Cocktails in Zeiten wie diesen vermisste. Die Männer riefen chaotisch durcheinander und suchten alles gründlich ab. Es dauerte wenige Momente bis sie ihren Kopf schüttelten und ihre Signale weitergaben.

"Sie sind also entkommen." Sie fasste sich nachdenklich an den Mund und schritt bedrohlich auf mich zu. "Du warst also ihr Lockvogel. Wie fühlt es sich an, so von anderen benutzt zu werden?"

Ihre Mundwinkel zuckten, als sich das Gesicht zu einer hässlichen Fratze formte. Sie wirkte auf mich einschüchternder als es Lyndel sein könnte. Allein der Gedanke ließ mich grinsen. Ihre Augen verengten sich misstrauisch.

"Hätte nicht gedacht, dass Lyndel so einen Geschmack hat", brach es aus mir ungehalten heraus, ehe meine Augen vor Lachen tränten.

"Lyndel?", hauchte sie schwach und beobachtete mich ungläubig, während ich mir weiter lachend eine Verabredung zwischen den Beiden vorstellte. Sie war definitiv die Person, die ihm den Kopf abreißen würde. Dagegen kam selbst er nicht an. Ihre Präsenz hatte ihren Status schon längst verraten.

Durch die Kälte entwickelte sich das Lachen zu einem unweigerlichem Husten, wodurch ich am Ende nicht mehr wusste, ob ich dazwischen überhaupt noch zu Atem fand.

"Du bist also die Person, die ich schützen soll. Lynd hätte mir auch mehr Details verraten können, aber so ist er eben."

"Lynd", ahmte ich sie nach und kicherte wie ein kleines Mädchen. Doch innerlich zog sich mein Brustkorb schmerzlich zusammen. Die Negativität holte mich ein und umhüllte mich, sodass die Tränen kaum zurückzuhalten waren.

"Scheinbar hat er dir genauso wenig verraten. Komm mit, wärmen wir uns alle erstmal ein wenig auf. Wir beide haben viel zu bereden."

"Ach, haben wir das?" Meine Augenbrauen zogen sich irritiert hoch. Sie nickte, gab den Bewohnern undefinierbare Zeichen und lief voraus. Stumm folgte ich ihr. Da meine Kameraden mich ohnehin im Stich gelassen hatten, konnte ich ebenso weitere Informationen sammeln.

Auch wenn die Schleife einen Teil des Kimonos versteckte, so konnte ich auf dem Rücken einen großen orangen Luchs erkennen. Tiere schien sie jedenfalls zu mögen, doch ob sie Freund oder Feind war, musste sich noch rauskristallisieren. Da sie vermutlich wie Lyndel mindestens ein Halbgott sein musste, war sie vermutlich letzteres.

Der Schnee ging mir bis zu den Knien, weshalb wir extrem langsam vorwärts kamen. Es raubte mir jegliche Kraft, doch ich wusste, dass ich noch nicht am Ziel angekommen war. Vom Haus aus war sie links zwischen die Häuser in einer Seitengasse abgebogen, die unter dem Neuschnee aus Eis bestand, wodurch ich bei jedem Schritt leicht ausrutschte und mein Gleichgewicht suchen musste. Auch wenn ich meine Kräfte einsetzen konnte, so wusste ich nicht, ob es in ihrer Anwesenheit ratsam war, meine Stärken und Schwächen zu offenbaren. Wenn nicht einmal Lyndel ihr genaue Informationen gegeben hatte, dann sollte ich womöglich äußerst achtsam sein.

An jeder Laterne, an der wir vorbeigingen, blieb sie kurz stehen und formte mit ihren Händen ein Kreuz, ehe sie weiterschritt. Diese fing an rot zu leuchten und erwärmte die Umgebung, sodass die Eisschicht um sie herum anfing zu schmelzen. Die mysteriöse Frau war selbstbewusst und sich ihrer Kräfte bewusst, wenn sie diese offenkundig einen Fremden zeigte. Möglicherweise sollte es zur Abschreckung dienen, doch als erfahrener Söldner hatte ich oft genug mit starken Gegnern gekämpft, um zu wissen, mit wem ich mich anlegte und mit wem nicht.

Sie lief keinen geraden Weg sondern ging Umwege, um jede Laterne zu erreichen und die Sicherheit der Bewohner zu garantieren. Doch ich fragte mich, warum ich bei dieser Aktion dabei sein musste. Vielleicht hielt sie mich weiterhin für einen Mittäter, weshalb sie mich nicht aus den Augen lassen wollte.

Nachdem wir gefühlt in jede kleinste Gasse abgebogen waren, hatte sie einen weiten Platz aufgesucht, der durch den Schnee kaum sichtbar war. An dem dreistöckigen Brunnen, der in der Mitte stand und mit Fledermausskulpturen verbunden war, hingen riesige Eiszapfen herab. Das Wasser war gänzlich zugefroren. Doch auch die Bänke und jegliche Ausstattungen waren unter dem Schneeberg lediglich angedeutet.

Die Gebäude wurden immer größer und pompöser. Selbst wenn ich dies nur durch der Üppigkeit der Veranda, des Vordaches und des Gartens erkennen konnte.

Sie schritt über eine rote Steinbrücke, die womöglich teilweise aus Granit bestand. Da ich minimal das Geländer erkannte, konnte ich auch hier nur Hypothesen aufstellen. Der Fluss, der direkt unter dieser Brücke hindurch verlief und in einen Teich weiter abwärts mündete, war ebenso zum Stehen gekommen. Mein Gesicht wurde langsam taub, jegliche Kältegefühle verblassten. Alles, was blieb, war ein Mix aus Taubheit und schmerzende Hitze, die mich wie kleine Messerstiche reizten. Brummend wurde ich schneller und drängte sie unbemerkt, sich ebenso zu beeilen. Dadurch erhielt ich einen tödlichen Blick, ehe sie meiner stummen Bitte nachkam.

Scheinbar hatte sie doch ein Herz. Ich hatte befürchtet, dass sie darauf wartete, dass ich elendig durch den Wetterumschwung verendete.

Wir kamen an einen Abschnitt an, der lediglich mit Brücken passierbar war. Es war vom Fluss umrundet und darauf befand sich ein Palast, der bis in den Himmel ragte und mit einem großen Vorplatz und üppiger Ausstattung versehen war.

"Lyndel, was bist du für ein elendiger Lügner", kam es unbemerkt von meinen Lippen. Der Prunk überwältigte mich. Selbst ein Mensch hatte niemals zwei lebensgroße Fledermausstatuen, die sich von alleine bewegten, stehen. Jede zwei Schritte standen kleine Gartenlaterne, die von allein angegangen waren und sämtliche Blumen vom Frost befreiten. Der Weg war mit Sand und Musternatursteine, die abwechselnd mit imprägniertem Hartholz verlegt war. Mehrere Brunnen, Steinpavillons und Teichanlagen fanden sich im Zusammenhang mit Kirschblütenbäume wieder. Es hatte eine magische Wirkung auf mich und gleichzeitig beruhigend und erholsam.

Wenn sie das Eis mit ihrem Feuer bekämpfen konnte, fragte ich mich ernsthaft, warum sie den Schuldigen suchte, obwohl sie erstmal das Chaos in ihrer Stadt beseitigen könnte. Ihre Art und Weise erschloss sich mir nicht. Doch ein Gott handelte ohnehin nicht im Auftrag der Menschen um sich herum.

"Wie hast du es eigentlich geschafft Oberhaupt einer Menschenstadt zu werden? Warum folgen sie dir überhaupt?", fragte ich sie nachdenklich. Vor dem golden verzierten Palast waren mehrere Torbogen aufgestellt. Der Palast selbst hatte rote und gelbe Vordächer und war mit kleinen Skulpturen und Bambus versehen.

"Bereden wir das drinnen", flüsterte sie mir geheimnisvoll zu, ehe sie die drei Stufen der breiten Sandsteintreppe heraufschlenderte, als wenn sie das Laufen verlernt hätte. Normalerweise hatten Götter eine Resistenz gegen Wetterverhältnisse und zogen sich auch keine Verbrennungen oder Vereisungen zu. Die Naturgewalten waren ihnen somit deutlich unterlegen. Das bedeutete, dass sie auch ein Halbgott sein musste. Die menschliche Hälfte hatte daran zu knabbern, genau wie meine Wenigkeit.

Eine riesige Doppeltür lag vor uns, die mit schwarzen Flügeln versehen war. Sie zog an große goldene Türknaufe, wodurch der linke, der in der Form eines Pfaus war, sein Gefieder aufstellte, während der rechte, der wie ein gähnender Luchs sein riesiges Maul öffnete, fauchte. Doch dann drehten sie sich und wurden mit den Flügeln eins, wodurch sie in einem Weiß gehüllt waren und mit dem Geräusch einer Spieluhrmelodie der Eintritt gewährt wurde. Die Inneneinrichtung strahlte mir entgegen, als wäre ich im Thronsaal gelandet.

"Tritt ein", drängte sie mit schneidiger Stimme. Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus, während ich den Weg ins Ungewisse beschritt. Hinter mir schlossen sich die Türen und mein einziger Fluchtweg war somit Geschichte.

Spiel nicht mit dem Feuer

 

Während ich der unbekannten Bedrohung und meinem natürlichen Erzfeind folgte, verengte sich mein Brustkorb zunehmend. Die Eingangshalle strahlte mich in Weiß- und Rottönen an. Der mit Marmor besetzte Fußboden hatte das Muster von einem Schachbrett, weshalb ich direkt an Lyndel denken musste. Als er mir gesagt hatte, dass ihm eine Villa fehlte, log er mich eiskalt an. Obwohl ich ihm ohnehin nicht vertraute, hinterließ es eine bittere Gänsehaut, die mich seltsam verstimmte.

In den rotgestreiften Marmorwänden und der prunkvollen, üppigen Golddekoration wurden verschiedene Edelsteine eingebaut. Zwei mit goldvioletten Teppich ausgelegte Wendeltreppen führten zu einer weiteren Etage, von der ich gut auf das Geschehen im Eingangsbereichs blicken konnte. Die gleichen weiß verschnörkelten Geländer der Treppe wurden um den offenen Raum gelegt, um womöglich die Unfallsgefahr zu verringern. In der Musterung erkenne ich einige Teufelssymbole wie die Hörner und dessen Schwanz wieder.

"Ihr müsst selbst als Götter ziemlich hoch angesehen sein, wenn sie euch eine Stadt und eine Villa wie diese überlassen." Meine Worte hallten nach. Ich horchte und nickte anerkennend. Daran könnte ich mich gewöhnen.

"So siehst du uns also..." Sie stockte, blickte zurück und verdrehte ihre Augen. "Das erklärt, warum Lyndel dich nicht in seine Geschichte eingeweiht hat."

Mit diesen Worten schnaubte sie verächtlich und schritt durch eine weitere Flügeltür, die gänzlich aus Mosaik-Glas bestand. Die Tür an sich hatte die Form eines Halbmondes, während das Mosaik ein Gebilde eines Gartenbereiches zeigte. Es war mit Kieselsteine wellenartig verlegt, während rechts und links lebendige Blumen rankten. Bunte Schmetterlinge flogen umher, die wie Glühwürmchen leuchteten. Der Himmel war blauviolett gefärbt, während die rote Sonne langsam unterging und Schatten auf den friedvollen Garten warf. Die Farben glitzerten im Teich, der in Form eines Pentagramms angelegt war, wie ein zusammengemischter Farbeimer wieder.

Mit größter Faszination studierte ich das mir vorliegende Bild, weshalb ich nach einiger Zeit ein Seufzen vernahm. Erschrocken blickte ich auf und erkannte die Frau wieder, die mich mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete. "Soll ich es dir einpacken und nach Hause schicken, damit du es dann nachher weiter anstarren kannst?" Ihre Verbissenheit ließ mich Schmunzeln. Im Gegensatz zu Lyndel war sie direkt und offen, ohne einen einzigen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden. Dadurch war sie einfacher zu handhaben als mein persönliches Pech.

"Es hat mich nur an eine gewisse Hexe erinnert", gab ich ihr mit einem traurigen Lächeln im Gesicht zu verstehen.

"Hexen leben gern in ihrer kleinen Welt, zurückgezogen in ihrer magischen Hütten mit lebendigen Pflanzen, Zaubertränke und jede Menge Bücher. Dabei bemerken sie nicht einmal die Gefahr, wenn sie direkt vor einem steht. Ein Grund mehr, warum sie heutzutage nicht mehr als die größte Bedrohung angesehen werden."

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich knirschte mit den Zähnen. Ihre Worte lösten eine unbändige Wut aus. Womöglich weil sie schlecht über eine Spezies redete, aus der Xanta stammte. Die Trauer und die Hilflosigkeit in mir schürten die kochenden Emotionen, die sich lange in mir aufgestaut hatten. Ich wollte ihr ins Gesicht schreien, dass sie Unrecht hatte.

Xanta lebte zwar zurückgezogen, doch nur weil sie es musste. Sie wusste von jeglicher Gefahr und hatte uns dennoch bei sich aufgenommen und uns beschützt. Nur dank ihr waren wir am Leben. Doch aus meinem Mund kam keine Silbe. Und wenn ich in mich hineinhorchte, verstand ich den Grund. Xanta hatte mitsamt der Pflanzen ihr Leben gelassen. Für Rue und mich.

Obwohl mir bewusst war, was es bedeutete, dass ich bei ihr blieb, hatte ich sie dieser Bedrohung ausgesetzt. Nichtsdestotrotz war ich mit Rue geflohen und hatte sie ihrem Schicksal belassen. Ihr Tod war meine Schuld.

Auch wenn ich ständig jemanden beschützen wollte, am Ende überlebte nur ich. Es war wie ein Teufelskreis, aus dem ich nicht heraustreten konnte. Mir schossen jene entsetzliche Bilder in den Kopf, die sich durch Lyndels Teleportation in mein Gehirn gebrannt hatten. Meine Sicht verschwamm. Alles, was ich wahrnahm, waren die Hilfeschreie der Menschen, deren Leben ich genommen hatte. Der Schweiß tropfte mir von der Stirn.

Meine Atmung wurde schwerer und unkontrollierter. Ein Kloß bildete sich im Hals, der mich kaum Luft holen ließ. Es war ein blitzartiger Wechsel zwischen Kalt und Heiß, der mir einen Schauder nach dem anderen über den Rücken fahren ließ. Ich zitterte und röchelte schwankend.

Es war, als wenn ich das Bewusstsein verlor, als ich einen kräftigen Schlag auf meinem Hinterkopf bemerkte. Jegliche Stimmen versiegten. Die Sicht klärte sich auf, als hätte es sich niemals vor meinen Augen abgespielt. Mein Herzschlag und mein Puls beruhigten sich.

"Ich hätte niemals gedacht, dass ich eine Person treffe, dessen Psyche noch instabiler ist, als die von Lyn. Reiß dich zusammen oder willst du etwa hier sterben? Dann hättest du auch schon viel früher aufgeben können, meinst du nicht?" Ihre Stimme war hart und rau, während ihr Gesicht keine Mimik verzog. Trotzdem gab sie mir die nötige Kraft und den Mut weiterzumachen. Jetzt hatte ich mich erneut von einem Gott retten gelassen. Dieses Mal vor mir selbst. Das ausgerechnet die Bekanntschaft von Lyndel mich in dieser Verfassung sehen musste, ließ mich verzweifelt Luft holen.

Da mir die Sachlage peinlich war, trottete ich ihr wortlos hinterher. Wenn sie ein wahrer Feind gewesen wäre, hätte sie meine Schwäche ausnutzen und mich umbringen können. Ich sollte wachsamer sein, wenn ein Gott anwesend war. Wenn Jikai das sehen würde, hätte er mich für diesen Anfängerfehler getadelt. Als langjähriger Veteran musste ich auf alles vorbereitet sein und dennoch wurde meine Last zunehmend schwerer, sodass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.

Der nächste Raum glich einem Tanzsaal, in dem lediglich ein Tisch und zwei Stühle standen. Der dunkelbraune Parkettboden hatte eine sternartige Bemusterung, die sich in vielen kleinen rotschimmernden Dreiecken, Quadraten und Ranken unterteilte. Die schwarze Wandverkleidung wurde mit einer goldene Diamantoptik veredelt.

"Willst du etwas trinken oder essen?", fragte sie mich höflich. Irritiert blinzelte ich über die plötzlich aufkommende Gastfreundschaft. Ich schüttelte misstrauisch den Kopf. Sie schritt durch eine kleine Nische und machte Lärm. Ich näherte mich den einzigen Möbeln, die verlassen im Saal standen. Die rotbraunen Bambusstühle waren geflochten und mit weißen Polstern ausgestattet. Der rechteckige Bambustisch war massiv gebaut und dennoch mit Kerben ausgestattet.

Nach einer kurzen Weile stand sie mit einem Glas Wasser vor mir und stellte es auf den Tisch ab. Mit einer halbherzigen Handgeste bedeutete sie mir, mich zu setzen. Zögerlich kam ich ihrer stummen Bitte nach. Sie tat es mir gleich, ehe sie ihre Hände unter ihrem Kinn faltete und stumm anstarrte. Nachdenklich tippte ich gegen das Glas und fragte mich, warum sie mich unbedingt hierher mitnehmen musste.

"Du siehst aus, als wenn du gerade die Hölle miterlebt hast", raunte sie mir heiser zu, "dann muss ich wohl etwas nachhelfen." Ehe ich darauf reagieren konnte, hatte sie bereits mit ihren Händen geschnipst. Meine Augen wurden groß, als meine Hände plötzlich Feuer fingen. Goldene Flammen umschlossen meinen Körper. Panisch übergoss ich mich mit dem kühlenden Wasser, doch mein Versuch war vergeblich. Ich brannte lichterloh und war in binnen von Sekunden wieder trocken.

"Wieso?", fragte ich stockend und bereitete mich innerlich auf die Hitze vor. Ich sprang auf, um in die Nische zu rennen, als ich mienenlos stockte. Die zerstörerischen Flammen erwärmten meinen Körper, doch verbrannten ihn nicht. Es war, als wenn ich im eisigen Winter vor einem Kamin oder einem Lagerfeuer saß, um mich aufzutauen. Es fühlte sich unglaublich gut an und gab mir Kraft. Jegliche Erschöpfung wurde weggebrannt.

"Was zum-"

"Es ist ein heilendes Feuer", fing sie breit grinsend an, "ich kann sechs Arten von Feuer anwenden und diese miteinander kombinieren. Während ich zwei verschiedene Feuertypen gleichzeitig verwenden kann, kann ich dafür nur eine Kombination pro Tag erschaffen."

Als sie erneut schnipste, verschwand das Feuer und mit ihr die wohltuende Wärme. Mehrfach blinzelte ich und schaute auf meine verfluchte Hand, bevor ich diese streckte und bewegte. "Erstaunlich. Das ist also die Macht einer Göttin." Meine Stimme stolperte. Überrascht von meiner Faszination räusperte ich mich und versteckte mein breites Lächeln hinter meinen Händen. Doch die Aufregung ließ mich nicht still sitzen, weshalb ich ständig auf den bequemen Stuhl herumrutschte. Es war das gleiche Phänomen wie bei Xanta und den Naturgeistern. Ich träumte als Kind immer von Magie und Abenteuern, doch selbst als erfahrener Veteran hatte ich bisher nur die schlechten Seiten davon in Erfahrung bringen können. Umso beeindruckender war es dieses Erlebnis ohne Todesangst genießen zu können und einfach in meiner eigenen kindischen Faszination abzutauchen.

"Halbgöttin", korrigierte sie mich nachdrücklich, "und ich bin nicht stolz auf dessen Herkunft, aber es kann manchmal nützlich sein." Sie fuchtelte mit ihren Händen herum und erzeugte Flammen, die der Augenfarbe meines Erzfeindes ähnelten. Ihre Mundwinkel zuckten hoch, als ich wie gebannt auf die Magie starrte, die sie in ihren Händen Form und Ausdruck verlieh.

"Obwohl du uns Götter verabscheust, scheinst du ziemlich an uns interessiert zu sein." Als sich ihre Ausstrahlung veränderte und immer mehr der Arroganz und Erhabenheit des großen Nervenbündels Lyndel glich, verzog ich meine Miene zischend und schüttelte meinen Kopf.

"Es ist doch normal, dass man seine Feinde kennen muss!"

Sie lachte laut auf und beruhigte sich abrupt. Mit den Zähnen knirschend verschränkte ich meine Arme vor der Brust und musterte sie mit brodelndem Gemüt.

"Beruhig dich", fing sie ungewöhnlich sanft an, "ich bin weder dein Feind, noch ist das die Magie einer Göttin, die dich anzieht. Es mag für dich merkwürdig klingen, aber ich bin eine Halbhexe."

Fassungslos rieb ich mir das Ohr und legte meinen Kopf schief. Halbgötter waren bereits eine Seltenheit, doch in meinem bisherigen Leben hatte ich nie von einer derartig merkwürdigen Kombination gehört. Götter waren mit Hexen weitaus schlimmer verfeindet als mit Menschen.

"Und nein, ich scherze nicht", fügte sie zur Sicherheit hinzu. Ich schluckte hart und massierte mir meine pochenden Schläfen. Langsam begriff ich auf dieser Welt nichts mehr. Dabei dachte ich bislang, dass mich nach all der Zeit nichts mehr schocken könnte. Doch die Vorstellung allein genügte, um mich sprachlos zu machen. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass Halbgötter und Halbhexen große Villen besaßen und selbst Städte oder Armeen befehligen durften. Es war wie ein Paradoxon in sich, der mir keine Ruhe ließ.

"Ich habe das Gefühl, das ich dir nicht folgen kann", hauchte ich ihr unwirsch zu. Mit einem Blick auf ihre goldene Uhr um den Hals formte sie ihre feinen Lippen zu einem Strich.

"Es wird Zeit, dass dich jemand aufklärt. Lyndel und das Mädchen scheinen zu unfähig zu sein, um eine normale Kommunikation zu führen."

"Oh, wenigstens eine Person, der es auffällt", preschte es zustimmend aus mir heraus. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich verstanden. Meine angespannten Muskeln lösten sich. Womöglich lag es an ihr Hexenblut, das sie mich immerzu an Xanta erinnerte. Mein Herz blutete bei dem Gedanken und gleichzeitig war ich mit mir selbst im Einklang.

"Nicht jeder Gott ist gegen andere Rassen, so mein Vater. Er hatte sich in eine Hexe verliebt. Doch leider hat genau das zu meinem Schicksal geführt. Du musst wissen, dass ich hierher verbannt wurde, da meine Hexenkraft zu stark geworden ist. Selbst die vollwertigen Götter fürchten mich."

"Und warum haben sie dich nicht gleich ganz beseitigt?", fragte ich sie unverblümt. Ihre Augen starrten mich an. Es war, als wenn sie in meine Seele hineinblicken konnte.

"Das habe ich alles Lyndel zu verdanken. Ohne ihn wäre ich nicht mehr am Leben." In ihrer Stimme klang Nostalgie und Dankbarkeit mit. Es hatte eine bittersüße Note. "Du musst wissen, dass er mein Cousin ist."

Mit einem Mal wurde mir schwindelig und heiß. Es war, als wenn sie einen Zauberspruch auf mich gewirkt hatte. Obwohl sie sich äußerlich nur an dem perfekten Gesicht und durch die Präsenz ähnelten, hätte ich niemals damit gerechnet, dass sie miteinander verwandt waren. Trotz der zunehmenden Überforderung, sich die beiden als liebevolle Familie vorzustellen, wurde mir leichter zumute. Es war, als wenn ich mich freute, dass es nicht seine Liebschaft war. Nicht, weil ich Gefühle für ihn hegte, sondern weil ich sie weniger verärgern konnte. Zumal sie mir einiges über Lyndel erzählen konnte. Ich war mir sicher, endlich erfuhr ich, ob er mein Todfeind oder doch mein Verbündeter war.

Halbgötter und Götter

"Seine Schwester und ich existieren nur, um Lyndel unter Druck zu setzen. Dadurch können die Götter ihm alles aufdrängen, ohne dass er es abschlagen kann. Er macht ihre Drecksarbeit." Ihre Stimme entwickelte eine andere Dynamik, sodass ich glaubte, dass sie mir endlich ihr wahres Selbst entblößte. Ihr vor Wut entstelltes Gesicht zeigte deutlich, was sie davon hielt.

"Also will er gar keine Armee anführen?", fragte ich sie neugierig. Langsam begriff ich, dass ich zu schnell über eine Person geurteilt hatte, nur weil er ein Halbgott war. Dennoch würde mein Stolz mir nicht erlauben, meinen Fehler jedem zu offenbaren.

Sie schüttelte ihren Kopf und seufzte leise. "Er hasste von klein auf Gewalt. Doch Halbgötter werden nun einmal zu Soldaten, die wenn sie Erfolg haben, aufsteigen können. Während die Reinblütler von ihrem Thron aus auf sie herabschauen, stirbt einer nach dem anderen und es interessiert sie kein Stück." Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und die Kreuze in ihren Augen drehten sich.

Schmerzhafte, brennende Stiche breiteten sich in meinem Brustkorb aus und ließen mich kaum atmen. Die Geschichte, die Unterdrückung, alles kam mir vertraut vor. Es erinnerte mich an die Szene, in der ich unschuldige Personen umgebracht hatte. Als ob ich an der gleichen Seite gekämpft hatte, aus einem besonderen Grund heraus. Aber nein, soweit ich mich erinnerte, kämpfte ich schon immer an Jikais Seite gegen die Götter an.

"Was passiert, wenn er fehlschlägt?" Meine Stimme brach ab. Ein riesiger Kloß hinderte mich daran, zu räuspern oder zu schlucken. Ich hatte das Gefühl, dass ich ersticken würde.

"Seine Schwester wird dann zum Eigentum des Befehlshaber. Er kann alles mit ihr anstellen, worauf er Lust hat. Dieser Mann ist für seine Grausamkeiten bekannt. Dennoch hegt er eine Vorliebe für Halbgötter und hegt sie wie seine teuersten Spielzeuge. Doch scheint er Frauen im Speziellen schlechter zu behandeln." Ihr Gesicht verzog keine Grimasse. Stattdessen suchte sie etwas in meinen Augen. Nachdenklich umfasste ich meine verletzte Hand und öffnete meinen Mund, um ihr von dem Fluch zu erzählen. Ich wollte mehr über Lyndel erfahren. Doch dann verstummte ich augenblicklich. Der Fluch hatte meine Gedanken vernebelt, sodass diese Frage prompt in Vergessenheit geriet.

Ihre Augen formten sich zu kleinen Schlitzen, die mich ins Visier nahmen. Ich schloss wortlos meinen Mund wieder und fuhr mir über den Kopf. Die Halbgötter wurden genauso als Abschaum angesehen wie die Menschen. Auf diesen Gedanken hätte ich eher kommen können, bevor ich Lyndel mit Feindseligkeit begegnete. Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit.

"Ich weiß, was dir durch den Kopf schießt, aber er braucht kein Mitleid, denn er ist ein Narr, dass er sich alles gefallen lässt. Er denkt, dass seine Schwester schwach ist, dabei ist sie der Grund, warum er überhaupt noch lebt. Er hatte damals eine Chance zum Fliehen gehabt, hat sie aber nicht genutzt." Ihre Respektlosigkeit gegenüber ihren eigenen Cousin machte mich stutzig. Sie selbst regte sich nicht, sodass ich ihre wahre Gefühlsregung nicht erkennen konnte.

"Das stimmt nicht!", verteidigte ich ihn abrupt, "wenn er weglaufen würde, würde seine Schwester in Gefahr sein. Zudem würden sie ihn finden und töten. Er will sie nur beschützen. Selbst wenn ich keine Geschwister habe, so würde ich auch alles daran setzen, damit ihr nichts geschieht."

Ihre Mundwinkel zuckten kurz, ehe sie mehrmals mit ihren Zeigefinger auf ihrem Tisch klopfte. Es war wie ein leiser Beifall, denn ihr Grinsen wurde mit jedem Mal breiter.

"Schade, dass Lyn nicht weiß, dass du dich für dein Herzchen so einsetzt", fing sie theatralisch an, "auch wenn ich dein Helferkomplex schätze, so unterscheidet ihr euch beide beachtlich. Während er sich den Göttern beugt, ohne dass er sich versucht aufzulehnen, bekämpfst du sie, ohne vor dem Tod zurückzuschrecken. Weil das deine Art des Lebens ist."

Ich zuckte in mich zusammen und blickte gen Tisch. Sie vermochte Recht zu behalten und dennoch empfand ich es als reine Provokation. Es war nicht fair, dass sie seine und meine Situation miteinander verglich.

"Und dennoch hat er dich ausgerechnet hierher gebracht", sie lachte entzückt auf, "den Feind samt Kind zu verstecken, hinter dem sie her sind, erfordert einiges an Mut. Womöglich macht er genau deshalb die Drecksarbeit, um im Untergrund das Richtige zu tun."

Sie suchte meinen Blick. Irritiert von ihren Worten fuhr ich mir in den Nacken. Ich wusste nicht, auf was sie genau herauswollte, nur dass mich die Tatsache sprachlos machte, dass er uns trotz der Gefahr half. Jetzt ergaben Rues Worte Sinn. Räuspernd versuchte ich mein beschämtes Gesicht zu verdecken. Meine Ohren pochten, während ich an all die Widrigkeiten dachte, die ich ihm bis zu diesem Zeitpunkt an den Kopf geworfen hatte.

"Weißt du, dass ihm verboten wurde, in diese Stadt zu kommen und mich zu besuchen? Eine Strafe, die weit aus schlimmer als der Tod ist, wurde verhängt. Er wird bis zur Unendlichkeit gequält und zu dem Spielzeug aller Götter. Wir könnten uns schließlich gemeinsam gegen sie auflehnen. Darum mussten sie etwas unternehmen."

Mir stand der Mund offen. Es war ein raffinierter Schachzug der Götter gewesen, da sie ihre Macht fürchteten und gleichzeitig um weiter unterdrücken zu können. Trotzdem kam er hierher und setzte sein Leben ein, nur um uns zu helfen. Mir wurde schlecht, wenn ich an Xantas Worte dachte. Rue musste wirklich besonders wichtig sein, wenn er uns direkt zu seiner Cousine geführt hatte.

"Doch für euch hat er das Risiko auf sich genommen." Sie legte ihr Kinn auf ihre zusammengefalteten Hände ab.

"Warum sollte er so etwas tun?" Mein Wissensdurst ließ es nicht zu, dass sie Anspielungen machte und keine Erklärungen dazu gab. Sie lachte erquickt auf und legte ihren Kopf schief.

"Warum macht er das wohl", sagte sie in einem spielerischen Ton, "aus dem gleichen Grund, warum du ihn verteidigst." Ihre weißen Zähne, die scharf und spitz waren, blitzten auf.

Seufzend verdrehte ich meine Augen. Ich hatte das Gefühl, das Rue vor mir saß. Jetzt hatte ich eine weitere Person gefunden, die sich einen Spaß daraus machte, mich aufzuziehen. "Du bist der Einzige, der ihm wichtig genug war, um ihn zu retten. Also sei du derjenige, der ihm hilft, wenn er einmal in Schwierigkeiten gerät." Sie hatte ihren ernsten Tonfall zurückerhalten. Stumm nickte ich ihr zu. Da ich bei ihm in der Schuld stand, hatte ich kein Recht dazu, dass ich diese Bitte ausschlug. Mit diesen Worten stand sie auf und kehrte mir den Rücken zu. Trotzdem konnte ich ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen erkennen, bevor sie sich abwandte.

"Da die Truppen dich hier nicht finden werden, gebe ich dir zwei Tage, um den Naturgeist zu finden. Wenn du fehlschlägst, muss ich davon ausgehen, dass deine beiden Begleiter an dem Wetterumschwung Schuld sind."

Wutentbrannt sprang ich auf und schlug zähneknirschend auf die Tischplatte, die sich unter mir wie Stahl anfühlte, wodurch ich fluchend meine Hand hielt. Sie blickte zurück und hob verwundert ihre Augenbrauen hoch.

"Wenn die Götter dich fürchten, warum kümmerst du dich dann nicht selbst um das Problem oder willst du mich, weil ich ein Mensch bin, vorschicken?", meine Stimme triefte vor Zorn. Es war, als wenn sie sich aus einem besonderen Grund davor drückte. Dennoch fühlte es sich nach dieser Geschichte so an, als wenn sie mich diskriminierte.

"Mitnichten", sagte sie nüchtern und ließ sich von meinem aufgebrachtem Charakter nicht beirren, "aber wer kümmert sich dann um die Bewohner hier? Natürlich wäre es für mich ein leichtes, aber ich habe meine Verpflichtung nachzukommen und du deine. Sieh es als Test an, ob du wirklich das Mädchen beschützen kannst." Sie verschränkte ihre Arme vor dem Körper und wartete auf meine Reaktion. Niedergeschlagen ließ ich meine Schultern hängen. Die Wut war in binnen von Sekunden verpufft. Ihre Entscheidungen gaben Sinn, weshalb ich mich schlussendlich ergab.

"Eigentlich sollte mir all das egal sein", hauchte ich schwach und umgriff meine verletzte Hand. Unruhig knabberte ich an meiner Unterlippe.

"Aber du bist eben genauso ein Narr wie Lyn. Darum seid ihr auch das perfekte Team." Mit diesen Worten näherte sie sich mir und blieb vor mir stehen.

"Niemals würde ich mich mit einem Halbgott-"

"Ach? Wirklich?", unterbrach sie mich neckisch. Ihr breites Grinsen ließ mich schlucken. Es war, als wenn sie direkt in meine Seele blicken konnte. Daraufhin verstummte ich und blickte gen Boden.

Ihre eiskalte Hand berührte meine. Irritiert blickte ich auf, als sie meine verletzte Hand öffnete und mir eine dreiunddreißig Zentimeter lange, rotschwarze Bambusflöte, die mit kleinen Kreuzen und Federn beschmückt war, überreichte.

"Sobald ihr den Naturgeist gefunden habt, könnt ihr mir hiermit das Zeichen geben. Wartet mit einer Gegenüberstellung bis ich zu euch gestoßen bin. Auch im Notfall könnt ihr sie benutzen, dadurch kann ich euch lokalisieren."

Dankbar nahm ich sie an und befestigte sie seitlich an meinem Gürtel. Bevor ich mich verabschieden konnte, war sie bereits in der kleinen Nische verschwunden. Mich dem Kopf kratzend zuckte ich die Schultern und ging Richtung Ausgang.

"Nimm die auch noch mit", rief sie mir hinterher. Abrupt blieb ich stehen und schielte zu ihr. Sie hatte zwei imposante Mäntel herausgekramt, die sie mir zügig in die Arme legte. "Sie halten euch warm."

"Vielen Dank für alles, ich gehe dann", sagte ich zügig, ehe ich aus der magischen Tür schritt. Da mir lediglich zwei Tage blieben, durfte ich keine kostbare Sekunde verschwenden. Mit diesem Gedanken lief ich die Treppen herab und eilte aus der gigantischen Villa, wodurch mich erneut die Kälte eiskalt erwischte. Als ich mir die Kleidungsstücke ansah, erkannte ich weitere Hilfen, um dem Wetter zu trotzen. Schnell zog ich mir den weißen, kuscheligen Mantel über, der mich durch sein beiges Fell schnell wärmte. Ich warf mir den weißkarierten Schal über und knotete ihn vorne zurecht, ehe ich in die weichen Handschuhe schlüpfte. Mein Kopf schützte ich mit einer beigen Strickmütze. In Wärme gehüllt, konnte ich voran schreiten, doch wo sollte ich anfangen?

Ein Windzug, der an mir vorbei schnellte, hauchte meinen Namen. Irritiert blickte ich um mich, doch konnte niemanden erkennen. Der Schnee, der noch nicht geschmolzen war, wirbelte sich auf und flog in eine südwestliche Richtung. Irritiert folgte ich ihm. Die Bewohner starrten mich feindselig an oder ignorierten mich gänzlich, während sie verschiedene Arbeiten vollrichteten, um im Schneechaos wieder Ordnung reinzubringen.

Unbeirrt folgte ich der Spur, die immer anhielt, wenn ich wegen arbeitenden Menschen einen anderen Durchgang finden musste oder wenn sie mir gerade den Weg versperrten.

Nach einer Weile stand ich vor einer Sackgasse und seufzte. Womöglich hätte ich nicht einfach drauf loslaufen sollen. Vielleicht spielte es nur mit mir und ich war in seine Falle gelaufen. Doch war es der Wind, der sich wieder auftat und mich in eine kleine Öffnung drängte. Alles drehte sich um mich, während ich versuchte den Halt wiederzufinden. Mein Schrei wurde von dem Laut des Windes unterdrückt. Das Atmen fiel mir schwer, während ich mit einem Schwung in die Dunkelheit gebracht wurde. Es hörte auf, während ich tiefer und tiefer stürzte. Ich hielt schützend meine Hände vor mir und schoss Harpunen nach oben, um mich daran festzuhalten. Ich schwebte im Nichts und strampelte, um mich an den Ketten der Harpunen hochzuziehen. Durch die Finsternis erkannte ich keine Umrisse, weshalb ich mich abtasten musste.

Plötzlich erhellte es sich und blendete mich, wodurch ich den Halt verlor und abrutschte. Die Harpunen, die in Holzbalken feststeckten, lösten sich samt dieser. In der Luft suchte ich mir Halt, doch es war vergeblich. Als sich der Boden, den ich endlich erblicken konnte, näherte, rollte ich mich ab und landete mit schmerzenden Beinen auf den Boden.

"Chaotisch", sprach eine Stimme arrogant, "das war alles andere als ein perfektes Ergebnis."

Brummend klopfte ich mir den Staub von der Kleidung, ehe ich mich aufrichtete und um mich blickte. Wir befanden uns in einem schäbigen Lager, das mehr einem verlassenen Versteckt glich. Doch mehr verwunderten mich die Personen, die um mich herum standen.

"Da bist du ja endlich", beschwerte sich die Alraune, "habe schon gedacht, dass du da übernachten willst."

Bevor ich eine wütende Aussage tätigen konnte, fiel mir Rue in die Arme.

"Willkommen zurück, Rykar." Verlegen blickte ich weg, während ich zögerlich die Umarmung erwiderte. Darum hatte mir das Oberhaupt dieser Stadt eine weitere Garnitur mitgegeben. Sie wusste, dass ich nicht im Stich gelassen wurde. Doch dann löste ich mich grummelnd von ihr und verschränkte nachtragend meine Arme vor der Brust.

"Super Mitstreiter habe ich da, dass sie mich als Lockvogel vorschicken, um ihre eigene Haut zu retten." Ich rümpfte die Nase.

Rue sah niedergeschlagen auf dem Boden und bereute ihre Tat.

"Du hast dich doch gut geschlagen", sagte die Alraune kaltherzig.

"Das hätte ins Auge gehen können", versuchte ich den Naturgeistern die Bedrohlichkeit dieser Situation zu verdeutlichen.

"Du hättest bestimmt noch ein wenig Zeit herausschlagen können, aber das wird uns schon ausreichen." Naturgeister waren ein anderes Kaliber. Natürlich zeigten sie keine Reue. Was hatte ich von ihnen erwartet?

"Ihr habt also die ganze Konversation mitgehört und konntet mir kein Zeichen geben, ja?", fiel mir entsetzt auf. Meine Zähne knirschten. Um gegen meine Emotionen anzukämpfen, holte ich tief Luft und lief unruhig auf und ab. Rue versteckte sich bereits hinter dem größeren Naturgeist, der womöglich eher ein Gestaltwandler war.

"Sie ist eine Hexe, dann wären wir aufgeflogen." Auch wenn sie sich Mühe gaben, um mir Antworten zu geben, schnaufte ich verächtlich. Es war, als wenn sie mich jederzeit ausliefern könnten, wenn ihnen danach war. Ich hatte scheinbar einen Pakt mit einer schlimmeren Rasse als die Götter geschlossen.

"Rykar-"

"Keine Zeit für Gespräche, sonst schaffen wir es nie in 2 Tagen", unterbrach ich sie wissentlich, dass sie über das Gespräch zwischen mir und der Halbhexe reden wollte. Schließlich wusste ich nun über Lyndel Bescheid. Doch im Augenblick hatten wir andere Sorgen.

 

Impressum

Bildmaterialien: https://urstyle.fashion/styles/3292794 - selbst erstellt in Urstyle
Cover: https://urstyle.fashion/styles/3292794 - selbst gemacht
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2022

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