Angespannt sitzt Herr Wirrenmüller an seinem Küchentisch, kerzengerade und bereit, das Haus zu verlassen, sollte es nötig sein. Aus Anlass dieses bedeutenden Tages, hat er sogar in aller Herrgotts Frühe schon den guten Anzug angezogen, die lichte Haarpracht ordentlich gescheitelt und nach dem Zähneputzen mit Mundwasser gegurgelt.
Vor ihm auf dem Tisch liegt das Wochenblatt. Die rot umrandete Stellenanzeige schreit förmlich nach einem Anruf. Heute wird er endlich Arbeit finden! Aufgeregt nimmt er einen Schluck Kaffee aus seinem Humpen - den trockenen Mund anfeuchten. Nicht, dass er sich beim Sprechen verhaspelt. Schnell noch einmal üben und dann kann es los gehen.
"Guten Tag, ich heiße Wilhelm Wirrenmüller und möchte mich bei Ihnen bewerben … bei Ihnen auf Ihre Anzeige bewerben … wegen Ihrer Anzeige bewerben." Nein!
Ein gequälter Seufzer entflieht ihm. So geht das nicht. Gelassen soll es klingen. Und so, als würde er lächeln. Ein Lächeln ist immer gut! Er nimmt einen weiteren Schluck Kaffee, rutscht zur Stuhlkante vor und lächelt.
"Guten Tag, mein Name... Ich heiße... ähm." Nein, nein!
Herr Wirrenmüller wird nervös. Seine Hände sind feucht und sein Mut sinkt. Er wird diesen Job sowieso nicht bekommen. So nicht. Nicht, wenn er nicht gleich am Telefon überzeugt!
Sein freundlicher Berater beim Arbeitsamt hat es ihm ja schon gesagt: Der erste Anruf ist genau so wichtig, wie ordentliche Bewerbungsunterlagen. Hilfesuchend sieht er die Bewerbungsmappe an, die auf einem Küchenstuhl parat liegt - sein ganzes Leben ist darin abgeheftet. Die Hülle ist neutral weiß. Bloß nicht unangenehm auffallen - durch aufdringliche Farben!
"Guten Tag, ich heiße Wilhelm Wirrenmüller und rufe auf ihre Anzeige an."
Geht doch! Erleichtert und wieder voller Tatendrang ergreift er den Telefonhörer und wählt die Nummer aus der Anzeige. Es tutet. Das ist gut! Manchmal kommt man ja gar nicht durch, weil dauernd besetzt ist. Weniger Bewerber erhöhen die Chance, dass man genommen wird.
Tuuut, tuuut, tuuut....
Sein Herz klopft im Takt des monotonen Geräusches. Was, wenn die nun gerade Pause haben? Sein Blick wandert zu der großen Küchenuhr über der Tür. Neun Uhr fünfzehn. Frühstückspause?
"Guten Tag, Sie haben die Nummer der Firma Kalubke Holz und Papier gewählt..."
Herr Wirrenmüller strafft sich, ergreift hilfesuchend den Henkel seines Kaffeebechers und lächelt. Was für eine nette Stimme die Dame hat - so beruhigend.
"...dann drücken Sie bitte die Zwei. Wenn Sie Fragen zu einer Bestellung haben, drücken Sie die..."
Wie? Erschrocken wirft er den Hörer auf die Gabel. Was war das denn? Verwirrt lehnt er sich zurück und nimmt wieder einen Schluck aus seinem Humpen. Vielleicht eine dieser modernen Telefon-Maschinen? Ja, so muss es sein. Seufzend setzt er sich zurecht und wählt erneut. Dann lauscht er angespannt der freundlichen Frauenstimme und wartet auf seinen Einsatz.
"...wenn Sie die Personalabteilung sprechen möchten, drücken Sie die Vier."
Jawohl! Hastig drückt er die angegebene Taste und lauscht erwartungsvoll. Endlich! Vorbildlich auf der Stuhlkante sitzend, fasst er seine Bewerbungsunterlagen ins Auge und atmet tief durch.
"Sie sind mit der Personalabteilung der Firma Kalubke Holz und Papier verbunden. Leider sind alle Leitungen zur Zeit besetzt. Damit wir Sie zurück rufen können, nennen Sie bitte Ihren Namen und ihre Telefonnummer."
Jetzt bloß das Lächeln nicht vergessen!
"Wirrenmüller! Und, ich wollte mich..."
Die nette Dame unterbricht ihn.
"Wiran Müller, nennen Sie uns jetzt bitte Ihre Telefonnummer."
"Nein, Wilhelm! Wilhelm Wirrenmüller. Und, ich wollte..."
"Wirran Müller, nennen Sie uns jetzt bitte Ihre Telefonnummer."
Kleine Schweißtropfen bilden sich auf seiner Stirn. Die Dame ist nett, aber begriffsstutzig.
"Mein Name ist Wilhelm Wirrenmüller und meine Telefonnummer ist:..."
Es knackt in der Leitung. Nanu? Hat sie etwa aufgelegt?
"Hallo Fräulein?" Mittlerweile ist er aufgestanden und geht in der Küche auf und ab.
"Damit wir sie zurück rufen können, nennen Sie bitte ihren Namen und Ihre Telefonnummer."
Dankbar, dass er nicht noch einmal anrufen muss, formuliert er seinen Namen in die Sprechmuschel des Telefons:
"Wil-helm! Wir-ren-mül-ler!" Atemlos lauscht er, ob die Dame ihn nun verstanden hat.
"Wiran Müller, nennen Sie uns jetzt bitte Ihre Telefonnummer."
Ob es schlimm ist, wenn er das jetzt einfach so stehen lässt? Mit der angegebenen Nummer wird sie ihn ja erreichen. Und dann kann er den Irrtum aufklären.
Die junge Frau ist sicher überarbeitet! Oder neu in dem Job! Er lächelt verständnisvoll. Aller Anfang ist schwer!
"Also, meine Nummer ist..."
"Wiran Müller, nennen Sie uns jetzt bitte ihre Telefonnummer."
Gehorsam spricht er Zahl für Zahl laut und deutlich. Dann horcht er. Wieder ein Knacken.
"Hallo Fräulein? Also, ich rufe auf Ihre Anzeige an. Es wäre nett, wenn Sie mich bald..."
"Wir danken Ihnen für Ihren Anruf und wünschen Ihnen noch einen angenehmen Tag."
Ach so! Sie hat sicher keine Zeit mehr. Viele Anrufe nach einer Stellenanzeige! Herr Wohlgemut nickt verständnisvoll.
"Das wünsche ich Ihnen auch, Fräulein! Und, auf Wiederhören!"
Stille. Sie hat schon aufgelegt.
Zufrieden lässt er sich wieder auf seinen Stuhl sinken und gießt mit zitternder Hand Kaffee nach. Das lief doch richtig gut! Und so geduldig, die Dame! Vielleicht legt sie ja ein gutes Wort beim Chef für ihn ein!
Texte: Sabine Pagel
Tag der Veröffentlichung: 23.09.2013
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