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Achim

Achime sind selten, keine Ahnung, warum. Häufiger gibt es schon Joachime, oder einfache Jochen. Meine Mutter sagt, früher gab es mehr von ihnen. Aber sie weiß auch nicht, warum. Noch bis vor kurzem hatte ich einen Freund namens Achim. Er war genauso groß, aber ein Jahr älter als ich. Wenn ich ehrlich bin, wäre ich gern so wie er.
Alles fing übrigens damit an, dass wir umgezogen sind. Bei der neuen Wohnung kannte ich niemanden und darum verbrachte ich meine Zeit immer allein. Irgendwann schlenderte ein rothaariger Junge an mir vorbei, als ich mit meinen Matchbox-Autos am Hauseingang spielte.
>Hast du noch mehr davon?<, fragte er und nuschelte dabei durch zwei große Schneidezähne.
>Ich habe noch eine Kiste voll davon,< antwortete ich, ohne ihn anzuschauen.
> Und ich habe ein schwaches Herz<, entgegnete der Junge und zeigte auf seine Brust, als würde dort ein Orden hängen.
>Tut das weh?<, fragte ich beeindruckt.
>Ne, tut nicht weh! Ich merke nichts. Und ich bekomme alles was ich will, ich muss bloß ein trauriges Gesicht ziehen. Mehr nicht.<
>Das ist ja toll. Wie kriegt man ein schwaches Herz?<
>Man wird vom Doktor ausgesucht. Der sagt, man hat eins und danach sagen es auch alle anderen.<
Ich staunte ihn mit offenem Mund an. Kein Gedanke mehr an Matchbox- Autos, angesichts dieses nuschelnden Wundertieres.
>Da würden andere sicher gern mit dir tauschen<, fiel mir so ein, aber da war er schon Schritte weiter.
>Tja, Pech gehabt, aber du hast ja noch deine Autos. Ich muss jetzt nach Haus, da warten schon alle. Tschüß.<
>Wie heißt du eigentlich<, rief ich ihm nach.
>Achim<!.
>Achim?<, fragte ich erstaunt.
>Mhm<, brummte er und drehte sich breit grinsend nach mir um.
> Ich heiße Nils.< Aber er reagierte nicht mehr, obwohl er mich eigentlich noch hätte hören müssen.
>Was für ein interessanter Junge,< dachte ich.
>Wenn einer Achim heißt und dazu auch noch ein schwaches Herz hat, kann er sich sicher seine Freunde aussuchen. Und jeder, der mit ihm befreundet ist, würde bestimmt ebenfalls interessant sein, selbst mit einem gesunden Herzen.<
Achim sah ich schon am nächsten Tag wieder. Zufällig schlenderte er an unserem Eingang vorbei und sprach mich an. >Na, ist das nicht langweilig, mit deinen Autos? Ich weiß was Besseres. Kannst du Magie?<
>Magie? Ne, geht das überhaupt?<
>Kommt drauf an, wer es macht. Für mich ist das puppig.<
Ich staunte ihn an.,>Und wie machst du sowas? Kannst du's mir zeigen?<
Achim drehte sein Gesicht zur Seite und hob die Augenbrauen.
>Mal sehen, vielleicht zeige ich es dir. Kannst du denn überhaupt Geheimnisse für dich behalten, oder erzählst du alles sofort deinen Eltern weiter?“
,>Na klar kann ich Geheimnisse für mich behalten, ich bin doch kein Baby mehr. Ich sag schon nichts weiter!<
Da beugte er sich zu mir vor und flüsterte:> Also pass auf! Magie funktioniert nur, wenn man Achim heißt und gesegnet wurde. Das ist Bedingung. Nichts gegen dich, aber Nils zu heißen, reicht nicht. Und der Glaube muss so tief sein, dass man fast bescheuert wird, < sagte Achim. >Erst dann funzt Magie<.
Zuerst dachte ich, er spinnt Und er hat natürlich sofort gemerkt, dass ich das dachte. Plötzlich sah er mich so streng an, dass mir Angst und Bange wurde. Wahrscheinlich bin ich blass geworden, denn ich hatte ja von all dem keine Ahnung. Woher auch? Und genauso schnell wie die Strenge bei Achim kam, verschwand sie wieder. Von einem Moment zum anderen wurde er engelsfreundlich und sorgte sogar dafür, dass ich ebenfalls Kontakt zu den Mächten bekomme, obwohl ich gar nicht Achim heiße. Er nahm mir die Beichte ab und segnete mich noch den ganzen Nachmittag. Wichtig soll nämlich sein, dass man nicht am Segen spart!
>Wir können gern mal jemanden verfluchen, wenn du willst<, schlug Achim vor. >Oder hast du irgendwelche Wünsche?<
>Gehen die Wünsche denn in Erfüllung?<
>Logisch gehen sie in Erfüllung, du musst nur ein bisschen warten!<
Achim war sich seiner Sache sicher. Wenn er redete, fühlte man sich wie in der Kirche. Und in der Kirche traut sich ja auch keiner laut nachzufragen, ob alles stimmt, was gepredigt wird.
>Ich habe einen Wunsch. Mein Vater ist immer besoffen und dann streiten sich meine Eltern. Ich wünsche mir, dass das aufhört. Ist das ein Wunsch, der geht?<
Achim machte ein nachdenkliches Gesicht. Vielleicht war der Wunsch zu schwer? Dann sagte er:>Kein Problem, ist puppig! Der Wunsch geht. Deine Eltern werden sich schon bald nicht mehr streiten! Aber das Opfer muss groß genug sein.<
>Welches Opfer denn?< Ich ahnte Schlimmes.
>Wenn dir die Mächte einen Wunsch erfüllen sollen, musst du etwas opfern, sonst funktioniert es nicht. Und es muss dir schwer fallen.<
Ich schaute auf meine schönen, glänzenden Matchbox- Autos. >Würden die Autos als Opfer reichen?<
>Weiß nicht<, erwiderte Achim, > Autos sind mir egal. Aber wenn überhaupt, reichen nur die neuen, auf keinen Fall kaputte mit drei Rädern oder zerkratztem Lack. Du musst sie an einem geheimen Ort vergraben, am besten gleich hinter eurer Garage, in einem Karton. Und ich muss die Stelle, an der das Opfer begraben ist, segnen. In drei Tagen kannst du nachschauen, ob das Opfer angenommen wurde. Alles verstanden?<
Ich nickte, obwohl ich gar nichts verstand. Um keine Zeit zu verlieren, packte ich einen Schuhkarton mit meinen besten Matchbox, grub mit dem Spaten ein Loch hinter der Garage, legte das Opfer hinein und bedeckte die Stelle wieder vorsichtig mit Erde. Achim segnete zügig. Er murmelte etwas und bekreuzigte sich. Dann verabschiedeten wir uns.
Nach drei Tagen schaute ich nach. Der Schuhkarton war leer, das Opfer angenommen. Gespannt erwartete ich, dass etwas passiert, aber nichts geschah. Mein Vater trank weiterhin jeden Tag und meine Eltern stritten sich wie immer.
Etwa zwei Wochen später klingelte es an der Haustür. Meine Mutter öffnete und ein Polizist sagte, dass Vater einen Unfall hatte. Das Auto sei gegen einen Baum geknallt, man müsse mit dem Schlimmsten rechnen. Sie ist dann mit der Polizei ins Krankenhaus gefahren. Ich wollte nicht mit. Meine Mutter blieb bis nachts. Als sie wiederkam, standen ihr Tränen in den Augen.
> Es besteht Hoffnung<, sagte sie und streichelte meine Wange mit ihrem Handrücken.> Wenn du willst, musst du morgen nicht in die Schule. Und bete für Papa!<
Ich betete die ganze Nacht und weinte. Schuld an allem war die Magie! Aber je mehr ich betete, desto klarer wurde mir, dass ich alles rückgängig machen musste. Und diesmal müsste ein wirklich großes Opfer gebracht werden, nicht nur Matchbox- Autos. Was bedeutete mir am meisten? Es war die Freundschaft zu Achim. Ich würde also keine Zeit mehr mit ihm verbringen, sondern die Freundschaft opfern, damit mein Vater wieder gesund wird. Das schwor ich in dieser Nacht.
Am nächsten Tag fuhren wir schweigend ins Krankenhaus und besuchten meinen Vater. Sie hatten ihm starke Mittel gegeben, so dass er die ganze Zeit schlief, während wir dasaßen und ihn still anschauten. So verbrachten wir auch die weiteren Tage. Am fünften wachte er auf.
>Dein Vater wird wieder gesund, denn er besitzt ein starkes Herz.<, sagte der Arzt.
Und so kam es. Nach einer weiteren Woche wurde er von der Intensivstation in ein kleines Krankenzimmer verlegt und einige Zeit später entlassen.
Von Achim hielt ich mich fern. Er besuchte mich noch zweimal, aber ich verstellte mich und ließ ihn links liegen. Dann verloren wir uns aus den Augen. Als ich neulich zur Schule ging, stand ein schwarzer Kombi vor seinem Haus. Das schwache Herz hatte in der Nacht aufgehört zu schlagen.

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Tag der Veröffentlichung: 07.05.2016

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