Cover

Leseprobe

 

Ausgerechnet Sylt

Friesenkrimi (Hannah Lambert ermittelt 1)

 

Thomas Herzberg

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

Fassung: 2.0

 

Die Geschichte ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und/oder realen Handlungen sind rein zufällig. Sämtliche Äußerungen, insbesondere in Teilen der wörtlichen Rede, dienen lediglich der glaubhaften und realistischen Darstellung des Geschehens. Ich verurteile jegliche Art von politischem oder sonstigem Extremismus, der Gewalt verherrlicht, dazu auffordert oder auch nur dazu ermuntert!

 

 

 

Ein großes Dankeschön geht an:

 

meine lieben Testleserinnen Lia und Birgit

 

meine neue Korrektorin Bärbel, die sich bei einem weiteren Durchlauf noch mal richtig „reingekniet“ hat

 

Covergestaltung: Chris Gilcher – http://buchcoverdesign.de

 

 

Inhalt

 

Ausgerechnet Sylt … denkt sich Hannah Lambert, noch bevor sie ihre neue Dienststelle in Nordfriesland antritt. Denn dort wartet bereits der erste Fall auf die Hauptkommissarin: Ein Mann wurde auf dem Autozug nach Westerland erschossen. Anfangs ermitteln Hannah und ihr junger Kollege Sven-Ole in sämtliche Richtungen. Schließlich könnte es sich bei dem Toten – einem Notar kurz vorm Ruhestand – auch um ein zufälliges Opfer handeln. Diese Möglichkeit scheidet jedoch aus, nachdem ein weiterer Mord geschieht. Stück für Stück entwirren die Ermittler eine jahrzehntealte Fehde, bei der alle Beteiligten weit mehr als nur ihren üppigen Wohlstand zu verlieren haben …

 

»Ausgerechnet Sylt« ist Teil 1 der neuen Friesenkrimi-Reihe rund um

Hauptkommissarin Hannah Lambert und ihre Kollegen.

Jeder Fall ist in sich abgeschlossen.

 

Am Ende wartet noch eine kleine Leseprobe von:

»Eiskaltes Sylt«

(Teil 2 meiner neuen Sylt-Reihe)

 

Weitere Informationen und Bücher findet Ihr auf meiner Homepage:

 

ThomasHerzberg.de

 

Thomas Herzberg auf facebook

 

 

Was man über Sylt wissen sollte …

 

»Rüm hart, klaar kiming« (weites Herz – klarer Horizont): Ein Zitat, das den inselfriesischen Kapitänen zugeordnet wird. Damit beschreiben sie – neben der Mentalität der Menschen, die dort zu Hause sind – auch eine in Deutschland einzigartige Landschaft. Sylt ist vermutlich der bekannteste Teil davon. Aber wer glaubt, auf der beliebten Ferieninsel nur Schickimicki vorzufinden, irrt gewaltig. Denn wer genauer hinsieht und einen kleinen Fußmarsch nicht scheut, stößt hier auf einmalige Orte, die man nie wieder vergisst. Es heißt nicht umsonst: »Wer sich in Sylt verliebt, den lässt die Leidenschaft nie wieder los.« Vom Millionär und Gentleman-Playboy Gunter Sachs stammt folgendes Zitat zum anderen Gesicht der Insel: »Ich fühle mich in Kampen auf Sylt ein bisschen wie ein Affe im Zoo … aber mit lieben Besuchern.«

Klar, wer den Sound neuester Sportwagen, Champagner und teure Boutiquen zum Glücklichsein braucht, wird auf Sylt ebenfalls fündig. Jeder wie er mag … und ich glaube, das beschreibt die Mentalität der Menschen hier am besten.

 

Sylt in Zahlen:

Länge von Nord nach Süd: 38 Kilometer

Breite von West nach Ost: 12,6 Kilometer (an der schmalsten Stelle sind es weniger als 500 Meter)

Und weil eben keine Straße nach Sylt führt, erfolgt die Anreise nur per Autozug, Fähre oder Flugzeug. Wer sich auf den Weg macht, dem wünsche ich viel Spaß auf der Insel. Vielleicht laufen wir uns ja zufällig bei Gosch über den Weg und essen zusammen ein Fischbrötchen. Aber Vorsicht: Nicht nur ich, sondern auch die Möwen dort sind verdammt hungrig ;)

 

 

1

 

Freitagmittag, vor der Autoverladung in Niebüll

 

»Mir reichts langsam! Da steht man extra mitten in der Nacht auf und verbringt trotzdem stundenlang in der Schlange vorm Autozug. Wenn es nicht gleich weitergeht, dann ...«

»Hör bitte auf, Jörg!« Martina Weinhold starrte zwar permanent aus dem Seitenfenster, doch ihre Stimme verhieß Kampfbereitschaft. »Die Kinder und ich schwitzen genauso – und wir meckern nicht die ganze Zeit rum.«

»Nächstes Jahr sparen wir uns Sylt einfach!« Jörg Weinhold wollte offensichtlich nicht einlenken, setzte stattdessen seine Tirade fort. »Der Urlaub fängt ja prima an! Den kann man jetzt schon komplett vergessen. Lieber hock ich zwei Wochen jeden Tag am Baggersee und lieg nachts in meinem eigenen Bett. Perfekt!«

»Willst du, Papa?« Die vierjährige Maja lehnte sich zwischen den Sitzen nach vorne und hielt ihrem Vater eine Saftflasche entgegen. »Du magst doch Trauben«, erklärte sie mit kindlichem Charme.

Aber der unverändert aufgebrachte Familienvater schob seine Tochter samt Flasche zurück auf die Sitzbank. »Ich hab doch gesagt, ihr sollt da hinten angeschnallt bleiben! Red ich Chinesisch, oder was?«

»Was soll den Kindern denn passieren? Wir haben uns seit zwei Stunden keinen Zentimeter bewegt.« Martina Weinhold zeigte nacheinander in sämtliche Richtungen. »Überall stehen Autos … höchstens ein Hubschrauber könnte auf uns krachen.«

Ihr Mann wollte etwas erwidern, als plötzlich am Wagen vor ihm die Bremsleuchten aufflammten. Die Hoffnung auf Vorankommen.

»Siehst du ...« Martina Weinhold tätschelte ihrem Mann von der Seite die Schulter. »... spätestens in ’ner Stunde fahren wir in Westerland vom Zug runter und liegen nachmittags schon am FFK-Strand in Rantum. Das nenne ich perfekt!«

»Na ja, vielleicht ist es wirklich ein bisschen schöner als am Baggersee«, lenkte Jörg Weinhold mit leiser Stimme ein. »Ich hab trotzdem das Gefühl, es wird jedes Jahr schlimmer.«

Seine Frau zuckte mit den Schultern und zeigte durch die Frontscheibe. »Fahr einfach!«, forderte sie ihn lachend auf. »Erst stehen wir stundenlang und dann kommst du nicht in die Gänge.«

 

Zehn Minuten später war die Autoverladung abgeschlossen. Ein Bahnmitarbeiter, der offensichtlich alle Zeit der Welt hatte, verriegelte hier und da noch eine Absperrung oder prüfte in aller Seelenruhe einen Verschluss. Kurz darauf setzte sich der Zug ruckelnd in Bewegung.

»So ’ne Karre fährt man auch nur, wenn man nicht mehr weiß, wohin mit seinem Geld«, moserte Jörg Weinhold und zeigte nach vorne. Direkt vor dem Minivan der Familie stand ein riesiger schwarzer SUV. Selbst die Scheiben waren rundum getönt, sodass vom Innenraum kaum etwas zu erkennen war. »Hast du den Typen gesehen, der drinhockt? Der war doch vorhin zum Pinkeln und hat uns …«

»Ich kann gar nichts sehen«, fuhr seine Frau genervt dazwischen. »Für mich sieht das Teil wie ein Sarg auf Rädern aus. Und ich frag mich, ob der Fahrer wenigstens nach draußen gucken kann – was für ein Auto ist das überhaupt?«

»Keine Ahnung. Wohl irgendein Ami.«

»Ist mir auch völlig schnuppe«, stöhnte seine Frau. Danach fiel sie gegen die Rückenlehne und ließ das Seitenfenster neben sich herunter. »Jetzt fängt der Urlaub an«, stellte sie erleichtert fest. Der Zug hatte ein wenig Fahrt aufgenommen, ihre Haare flatterten im Wind.

»Es zieht, Mama!«, erklang sofort Majas Protest von der Rückbank.

»Ich glaube, es ist ein Yukon, von General Motors«, erklärte der Familienvater, nachdem er eine Weile auf seinem Handy herumgewischt hatte. »Oder es ist ...«

»... mir immer noch völlig wurscht«, unterbrach ihn seine Frau. Sie drehte sich nach hinten, denn neben Maja saß im zweiten Kindersitz deren jüngere Schwester Emma, auf den Tag genau elf Monate alt. Die quengelte zunehmend lauter. »Ich glaube, sie hat die Windel voll«, bemerkte die Mutter mit gerümpfter Nase. »Am besten verpass ich ihr schnell ’ne neue, bevor wir in Westerland ankommen.«

»Bloß nicht!«, keuchte Jörg Weinhold. »Wenn wir nicht mal die Fenster aufreißen können, überleb ich die Aktion nicht.«

»Stell dich nicht so an!« Seine Frau hatte bereits den Sicherheitsverschluss am Kindersitz entriegelt und verfrachtete die winzige Emma direkt auf ihren Schoß. »Ich brauch die Wickeltasche, Maja.«

Dieses Utensil wanderte gleich im Anschluss nach vorne. Nachdem sämtliche Reißverschlüsse geöffnet waren, führte das zu einer logischen Frage. »Wo sind denn die ganzen Feuchttücher geblieben?«

Maja wedelte zwar mit einer durchsichtigen Plastiktüte, sah dabei jedoch aus, als wäre sie den Tränen nahe.

Grund genug für den Familienvater, sich ebenfalls nach hinten umzudrehen. »Das gibts doch gar nicht! Sie hat den ganzen Sitz mit ihrem Traubensaft vollgesaut. Die Feuchttücher hat sie gebraucht, um die Schweinerei ...«

Majas herzzerreißendes Schluchzen unterbrach diese Feststellung.

Martina Weinhold hatte derweil die Wickelaktion beendet und drückte ihrem Mann die kleine Emma in die Hände. Die gluckste gerade inbrünstig, schien sich über irgendwas köstlich zu amüsieren. »Ihre Windel hält jetzt bis Westerland. Dort holen wir zuerst in ’nem Drogeriemarkt alles Nötige, damit sie nicht wieder tagelang schreit, weil ihr Popo wund ist.«

Ein mittlerweile frustrierter Ehemann lieferte sein Fazit mit einiger Verzweiflung in der Stimme: »Erinnerst du dich an damals: unsere ersten Jahre ... ohne Kinder?«

»Klar! Du hast jedes Wochenende zwei Tage auf dem Fußballplatz gestanden und mich mit den Frauen von deinen dämlichen Kumpels alleingelassen. Davon hab ich heute noch Albträume.«

Jörg Weinhold winkte ab. Er zeigte durch die Windschutzscheibe. »Da vorne fängt der Hindenburgdamm an.«

Maja lehnte sich wieder zwischen den Sitzen hindurch und hatte schon den nächsten Kommentar auf Lager: »Papa hat gesagt, Sylt wäre ’ne Insel.«

»Das stimmt auch. Früher war hier links und rechts noch Wasser zu sehen. Heute hat man gar nicht mehr das Gefühl, als würde man auf ’ne Insel fahren.«

 

Nach einer weiteren Viertelstunde mit Zankerei, Gestank und Versöhnung – vorbei an den Orten Morsum, Keitum und Tinnum – erreichte der Autozug den Bahnhof von Westerland. Hier ging alles deutlich schneller. Die Absperrungen waren bereits geöffnet, als der Zug ruckelnd zum Stehen kam.

»Endlich!« Jörg Weinhold klang, als könnte er es gar nicht fassen. »Wir fahren direkt zu unserer Ferienwohnung, laden aus und dann gehts ab an den Strand. Das nenne ich Urlaub, Kinder!«

Neben ihm wedelte seine Frau mit der leeren Verpackung der Feuchttücher.

»Ach ja.« Es folgte ein Lachen, das trotz eines erforderlichen Umwegs erleichtert klang. »Vorher sorgen wir noch für ’nen sauberen Pöscher und dann ab an den Strand. Einverstanden?«

Gemeinschaftliches Nicken.

»Was ist denn mit dem da los?«, fragte Martina Weinhold. »Alle vor ihm sind längst vom Zug runter.« Diese Erkenntnis untermauerten bereits mehrere unterschiedliche Hupen von weiter hinten.

An diesem Konzert beteiligte sich jetzt auch Jörg Weinhold. »Wieso fährt der Vollpfosten nicht los? Braucht der ’ne Extraeinladung, oder was?«

In der Tat machte im schwarzen SUV vor dem Familien-Van der Weinholds niemand Anstalten, wenigstens den Motor zu starten. Im VW-Bus hinter ihnen stand offensichtlich jemand auf der Hupe, oder die klemmte.

Jörg Weinhold gestikulierte wütend und streckte seinen linken Arm aus dem offenen Seitenfenster, um seinem Hintermann einen freundlichen Gruß mit ausgestrecktem Mittelfinger zu schicken. »Ich steig mal aus und seh nach, was los ist.«

»Das lässt du schön bleiben!« Seine Frau hatte ihn an der Schulter gepackt und festgehalten. »Wenn du das zu regeln versuchst, kann ich wahrscheinlich die erste Woche allein mit den Kindern auf Sylt rumhocken. Und das, während irgendein Anwalt versucht, dich aus dem Knast zu holen. Ich erledige das!«, sprach sie und hatte bereits den Türöffner in der Hand.

»Wo willst du hin, Mama?« Die kleine Maja klang ängstlich. Ihre kindlichen Instinkte signalisierten vermutlich Gefahr. »Warte, ich komm mit!«

»Untersteh dich!«, fauchte ihr Vater. Sein zorniger Blick ließ die Vierjährige glatt erstarren.

Ein paar Meter weiter vorne hatte Martina Weinhold bereits die Beifahrerseite des SUV erreicht. Sie schüttelte den Kopf, weil sie durch die getönten Seitenscheiben keinen Blick ins Wageninnere werfen konnte. Also umrundete sie mit kleinen Schritten das Luxusgefährt, denn durch die Frontscheibe dürfte wohl mehr zu sehen sein.

»Hoffentlich kommt der Kerl gleich zu Potte!«, pöbelte Jörg Weinhold wütender als je zuvor. »Wenn das deine Mutter nicht schnell regelt, dann fahr ich die blöde Kiste selbst vom Zug runter.«

»Du sollst doch nicht fluchen, Papa.«

»Jetzt kann Mama anscheinend was sehen«, erklärte der Vater ein wenig kleinlauter. »Wird Zeit, dass wir ...« Jörg Weinhold verstummte für einen Moment. Was daran lag, dass seine Frau mit offenem Mund und kreidebleichem Gesicht vor dem schwarzen SUV stand. Ihr war anzusehen, dass sie mit einer Ohnmacht kämpfte. Martina Weinhold hielt sich an der gewaltigen Motorhaube fest, sackte aber trotzdem mit jedem Atemzug weiter in sich zusammen.

Ihr Mann wirbelte zur Rückbank herum und zeigte mit dem Finger auf die kleine Maja. »Egal, was passiert: Du bleibst hier sitzen! Hast du verstanden?«

Die Vierjährige nickte vorsichtig. »Und du?«

»Ich schau mal, was mit Mama los ist.« Jörg Weinhold hatte sich zurückgedreht, von seiner Frau war nichts mehr zu sehen. »Was geht denn da ab, verdammt?«

 

 

2

 

Am darauffolgenden Montagmorgen

 

Hannah Lambert kam sich im Gebäude der Landespolizei Schleswig-Holstein total verloren vor. Wie immer! Die endlosen Gänge glichen einem Labyrinth. Überall Türen, doch aus keinem der Räume drang ein Geräusch bis auf den Flur. Hinter den meisten saßen hoch bezahlte Beamte, die das Leben eines richtigen Polizisten auf der Straße längst vergessen oder nie erlebt hatten.

Selbst in der obersten Etage war die Atmosphäre mit der in einem Bestattungsunternehmen vergleichbar. Dort saß Hannah mittlerweile seit zwanzig Minuten auf dem Gang und wartete darauf, dass sich vor ihr eine Tür öffnete. Dahinter saß die Sekretärin des Leiters der Landespolizei. Während Hannah noch überlegte, wie lange ihr letzter Besuch hier in Kiel zurücklag, steckte eine grauhaarige Endfünfzigerin ihren Kopf in den Flur. »Herr Hoffmann hätte jetzt Zeit für Sie.«

Hannah fragte sich, was der wohl vorher getan hatte, denn seit ihrer Ankunft hatte niemand den Raum verlassen, auch ringsum herrschte Totenstille. Doch solche Angelegenheiten gehörten wohl zu den letzten großen Rätseln der Menschheit, die geduldig auf ihre Lösung warteten.

Hannah marschierte schnurstracks an der Sekretärin vorbei und bog nach links ab. Schließlich wusste sie ganz genau, wo der Chef der Landespolizei saß. Schon als kleines Kind hatte sie in dessen Büro gehockt – damals noch zwei Etagen tiefer – und mit Autos gespielt, während ihr Vater und Gerd Hoffmann über völlig uninteressantes Zeug redeten.

»Da ist ja mein Krümel!«, jubelte der Polizeichef und schoss hinter seinem Schreibtisch empor. Diesen Spitznamen, der auf Hannahs nicht gerade stattlicher Körpergröße beruhte, hatten mit ihrem Einverständnis zeitlebens nur zwei Menschen benutzt: ihr Vater Rainer Lambert, sowie dessen ältester und bester Freund, der ihr in diesem Moment lächelnd gegenüberstand. Erfreulicherweise waren es nur die beiden, da sich solche Kosenamen mit zunehmendem Alter immer mehr zu einer Belastung entwickelten.

»Gut siehst du aus!«, schwärmte Gerd Hoffmann.

Dieses Kompliment konnte nicht ernst gemeint sein. Hannah hatte zwei Nächte kaum geschlafen. Hinzu kamen Hunger und schlechte Laune, denn dieser Besuch in Kiel sollte den Beginn einer neuen Etappe markieren, vor dem sie sich schon seit Jahren hartnäckig drückte.

Der Polizeichef wirkte inzwischen ein wenig verunsichert. »Hast du gut hergefunden?« In seiner Not umschloss er Hannah mit beiden Armen.

Die lachte zum ersten Mal und schaffte es, sich aus der albernen Umklammerung zu befreien. Sie fiel in einen der zwei Besuchersessel vor dem Schreibtisch und schlug demonstrativ die Beine übereinander. »In Kiel kann man sich gar nicht verfahren«, erklärte sie und zeigte mit Blicken auf die andere Schreibtischseite. Das war zwar unhöflich, aber zumindest eine klare Ansage in Sachen weiterer Liebkosungen, auf die sie lieber verzichten wollte.

Gerd Hoffmann hatte diesen Wink verstanden und nahm in seinem eigenen Chefsessel Platz. Die fröhliche Miene und sein Lächeln hatten jedoch keinen Deut nachgelassen. »Erzähl schon … wie gehts dir?«

Hannah winkte ab. Das sorgte im Gesicht gegenüber für einen ersten Schatten.

»Ich meine zunächst gesundheitlich«, erklärte Hoffmann übereilt. »Bist du …?«

»Mir gehts gut!«, fuhr Hannah genervt dazwischen. Sie zeigte auf einen Terminkalender, der aufgeklappt auf dem Schreibtisch lag. »Du hast mich zu einem Gespräch eingeladen. Willst du mir auch verraten, warum? Oder wollen wir lieber über Dinge reden, die man sowieso nicht ändern kann?«

Gerd Hoffmann hatte sich auch weiterhin voll im Griff. Selbst die Antwort auf diese letzte – nicht besonders nette – Frage präsentierte er grinsend: »Wie wär’s mit einem neuen Job?«

Hannah nickte und versuchte krampfhaft, so interessiert wie möglich auszusehen. Tatsächlich hätte sie am liebsten sofort die Flucht ergriffen. Um sich in ihrem neuen Zuhause – einer Zweizimmerwohnung in Hattstedt, nahe Husum – wieder unter ihrer Bettdecke zu verkrümeln. Nichts hören, nichts sehen und am besten kein Wort reden. Genau so, wie sie es in den letzten zwei Monaten seit ihrer Rückkehr aus München getan hatte.

Passend dazu fuhr Gerd Hoffmann fort: »Hab gehört, auf deiner letzten Dienststelle gabs Ärger.« Diesen Umstand wischte er mit einer Handbewegung vorerst beiseite. »Versteh ich: Ein richtiger Fischkopp kann sich südlich vom Weißwurst-Äquator gar nicht wohlfühlen. Eine wie du ist nur an der Nordseeküste richtig aufgehoben. Da gehörst du hin!«

In Hannahs Gesicht war mit viel Fantasie ein Lächeln zu erkennen. Aber auch nur, weil der Mann vor ihr als Letzter auf dieser Welt ihren Zorn verdient hatte.

Als ihre Zähne endlich bereit waren, ihre Unterlippe loszulassen, war sie wenigstens zu einer Frage imstande: »Hab ich dir meine Beförderung zur Hauptkommissarin zu verdanken – trotz der Probleme in München?«

Hoffmann schwieg, was bereits Antwort genug war.

»Ich brauche deine Hilfe nicht, um bei der Kripo Karriere zu ma...«

»Und ob du meine Hilfe brauchst!« Gerd Hoffmanns Miene verfinsterte sich. »Du willst es bestimmt nicht wahrhaben, aber mir fällt auf Anhieb keine Dienststelle ein, die dich noch freiwillig nimmt. Und falls du’s vergessen hast: Da unten in München musste ich dir seinerzeit auch in den Sattel helfen – kein Problem, hab ich gern gemacht.«

Hannah hob den Kopf und schaute ihrem großen Gönner direkt in die Augen. Ihr war nach Heulen zumute, doch dafür war dies weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt. Ihr Mund öffnete sich millimeterweise. »Hast du mich eingeladen, um mir das alles vorzuwerfen?«

Hoffmann schüttelte energisch den Kopf. »Ich will dir einfach nur einen neuen Job anbieten. Hast du Interesse?«

Bevor Hannah antworten konnte, flog die Bürotür auf. Zwei Atemzüge später stand die graue Vorzimmerdame neben ihr und schaute mit gekräuselter Nase auf sie hinab. Die Erklärung für den Auftritt ließ nicht lange auf sich warten: »Ihre Vermieterin hat alle hier verrückt gemacht!«

Auf beiden Seiten des Schreibtischs sorgte schon dieser erste Satz für entsprechende Verwunderung.

Hannah fischte ihr Handy aus der Hosentasche und fand vier entgangene Anrufe, die sie bei aktiviertem Flugmodus natürlich nicht mitbekommen hatte. Alle stammten von ihrer neuen Vermieterin: Erna Hansen, die schon ihr ganzes Leben lang in Hattstedt wohnte und nach dem Tod ihres Mannes viel zu viel Platz in ihrem riesigen Bauernhaus hatte. Als Polizistin musste Hannah vor zwei Monaten nicht mal eine Verdienstbescheinigung vorlegen, um den Mietvertrag zu bekommen.

»Was wollte die Vermieterin denn?«, erkundigte sich Gerd Hoffmann. Ihm war anzusehen, dass er sich amüsierte. »Brennt’s irgendwo?«

Die Sekretärin seufzte übertrieben laut. »Frau Lambert hat wohl ihre Tür nicht richtig verschlossen, weshalb ihre Katze ausbrechen konnte.«

»Was ist mit meinem Joschi?«, fragte Hannah panisch und sprang wie von einer Tarantel gestochen auf. Doch sie kam nicht mehr zu einer weiteren Nachfrage.

»Ein Nachbar hat ihn eingefangen«, erklärte die ergraute Eminenz unterkühlt. »Sie sollen das Tier heute Abend bei Benno abholen.«

»Bei Bruno«, korrigierte Hannah. Sie klang erleichtert und fiel zurück in ihren Sessel. »Danke!«

Gerd Hoffmann sorgte mit einer Geste dafür, dass dieses Gespräch wieder unter vier Augen stattfinden konnte. Nachdem sich die Tür zu seinem Büro geschlossen hatte, fuhr er fort: »Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden: Dieser neue Job ist möglicherweise deine letzte Chance, um überhaupt noch irgendwo richtig Fuß zu fassen. « Hannah schluckte, kam nicht mal zu einer Antwort, denn der Polizeichef sprach unverhohlen weiter. »Deine Personalakte ist ein einziges Chaos. Seit der Geschichte mit deinem Sohn reiht sich ein Fiasko ans andere und ...«

»Darüber will ich nicht reden!«, fauchte Hannah aufgebracht. »Alles, was früher passiert ist, gehört für mich ab sofort zur Vergangenheit. Klar?«

»Natürlich … wenn du es dieses Mal wirklich ernst meinst.«

»Was bleibt mir denn anderes übrig?« Die Tränen, die Hannah lange Zeit hatte unterdrücken können, liefen plötzlich ungebremst ihre Wangen hinunter. »Ich hab zehn Jahre lang nach Felixʼ Vater gesucht ...«

»... und ihn nicht gefunden«, vervollständigte Hoffmann der Form halber. »Glaub mir: Ich habe auch nichts unversucht gelassen.«

Hannah winkte ab und sorgte diesbezüglich für Ruhe. Es wurde höchste Zeit, das Thema zu wechseln. »Was ist das für ein Job? Sucht ihr einen neuen Pförtner?«

»Der Posten wird’s beim nächsten Mal«, erwiderte Hoffmann. Dieser Themenwechsel sorgte auch bei ihm für Erleichterung. Er langte nach einer Mappe auf seinem Schreibtisch und schlug sie auf. »Wir strukturieren um. Wieder mal!«, begann er im Zuge dieser Feststellung hörbar frustriert.

»Und irgendwann landet ihr dort, wo ihr angefangen habt«, erklang der passende Kommentar.

»Sei’s drum!« Hannahs zukünftiger Chef wollte sich diesbezüglich offenbar nicht auf Diskussionen einlassen. »Ich brauche jemanden für Nordfriesland ...«

»Für ganz Nordfriesland? Worum gehts denn dabei?«

»Um Mord!« Hoffmann warf die Mappe vor sich auf den Schreibtisch. »Wie gesagt: Wir strukturieren um – deine wenigen verfügbaren Kollegen von der dortigen Kripo haben schon mit anderen Verbrechen alle Hände voll zu tun.«

Hannah schwieg und wartete geduldig auf die Fortsetzung.

Die folgte stirnrunzelnd: »Du wärst für alles zwischen St. Peter-Ording und ...«

»... Westerland zuständig«, beendete sie kopfschüttelnd. »Hast du eigentlich ’ne Ahnung, was das für mich bedeutet?«

Hoffmann nickte zwar, doch sein Mund blieb fest verschlossen.

»Wie lange hab ich Zeit, um darüber nachzudenken?« Hannahs Kopf flog hin und her. Irgendetwas behagte ihr ganz und gar nicht. »Und wann soll’s überhaupt losgehen?«

»Gestern!«

Hannahs Kopf kam nicht zur Ruhe. Ihr nächstes Fazit lieferte sie mit hochrotem Gesicht. »Weil bereits mein erster Fall auf mich wartet: Die Sache auf dem Autozug, richtig?«

Hoffmann heuchelte Verwunderung. »Du weißt davon?«

»So wie jeder, der Radio hört.« Hannah lachte gekünstelt. »Ich glaube, es gibt niemanden in Schleswig-Holstein, der das nicht mitbekommen hat.«

Gerd Hoffmann war mit den Unterlagen auf seinem Schreibtisch beschäftigt, schob die hin und her. Sein Gehabe verdeutlichte, dass er auf eine Entscheidung wartete.

»Wem wäre ich denn unterstellt?«, wollte Hannah wissen. Wobei ihre Stimme keine große Euphorie an den Tag legte.

»Dem Chef der Polizeidirektion in Flensburg und mir. Ansonsten hast du – wenn es um Mord geht – vor Ort das Sagen und kannst auch auf alle Ressourcen beim Landeskriminalamt zurückgreifen.«

Hannah nickte bedächtig und sah Hoffmann unumwunden an. »Willst du mir das wirklich antun? Ausgerechnet Sylt?«

Hoffmann wich ihrem Blick aus, lieferte aber trotzdem eine Antwort: »Vielleicht ist das deine Chance, endgültig mit der Vergangenheit abzuschließen.« Für seine nächste Frage holte er tief Luft. »Wie lange hast du deinen Sohn nicht mehr gesehen?«

»Ich war zuletzt Weihnachten da. Wieso fragst du?«

Das Gesicht des Polizeichefs wies Falten auf. »Gabs wieder Streit mit deiner Mutter?«

»Was denn sonst?« Hannah klang verbittert. »Sie hat nicht mehr gelacht, seit Paps tot ist – nicht mal gelächelt.«

Hoffmanns Blick wanderte in Richtung Fensterfront und verlor sich im Nichts. Trotzdem lieferte er leise eine Erkenntnis: »Wenn dein Vater noch leben würde, dann säße er jetzt hier, auf meinem Stuhl – wäre kurz vor der Pensionierung. Ist dir das bewusst?«

»›Wenn‹!« Hannahs Augen brannten, selbst als ihre Tränen längst versiegt waren. »Wenn er noch leben würde, wäre alles anders.«

Nach diesem Satz herrschte einige Zeit Schweigen. Gerd Hoffmann erhob sich ganz vorsichtig hinter seinem Schreibtisch und stützte sich darauf ab. Seine Rechte fuhr zentimeterweise nach vorne. »Dann sind wir uns also einig, Krümel?«

Hannah hatte sich ebenfalls erhoben und langte zaghaft nach dem Angebot in Form von vier Fingern und einem Daumen. »Können wir Sylt auch ausklammern? Alles andere wäre okay, aber Sylt ...«

»Können wir nicht!« Hoffmann hielt ihre Hand fest und schüttelte sie lachend. »Glaub mir: Wenn du dich wirklich auf die Zukunft konzentrieren willst, dann musst du endlich mit deiner Vergangenheit abschließen. Daran änderst du ohnehin nichts.«

Hannah befreite ihre Hand aus der Umklammerung und machte zwei Schritte nach hinten. »Wer ist bisher für die Sache auf dem Autozug verantwortlich?«

»Die Kollegen in Niebüll. Bei denen herrschen seit Freitag ziemlich chaotische Zustände. Aber du triffst dich heute noch mit ...« Hoffmann musste erneut die Aktenmappe zur Hand nehmen. »... Kriminalkommissar Sven-Ole Friedrichsen. Netter Kerl, jung und unverbraucht.«

»Und unerfahren!«, fügte Hannah nüchtern hinzu. »Ich weiß jetzt schon, was mich erwartet. Chaos ist wahrscheinlich noch harmlos ausgedrückt. Da muss garantiert erst mal einer gründlich aufräumen.«

»Eine!«, betonte Hoffmann Buchstabe für Buchstabe. Er sah aus, als wolle er sich selbst die Schulter klopfen. »Und die Beste dafür bist du – eine Hauptkommissarin, die schon seit ihrem ersten Tag bei der Kripo fast ausschließlich mit Mord zu tun hat. Ansonsten hätte selbst ich eine solche Personalentscheidung nicht rechtfertigen können – wie auch?«

»Und nun?« Hannah stand ihrem Chef und Ersatzvater gegenüber und hob fragend die Augenbrauen, während der verschmitzt lächelte.

Hoffmann hatte schnell einen Vorschlag parat: »Am besten holst du dir dein neues Auto beim Fahrdienst ab und machst dich auf den Weg nach Niebüll. Ich hab dich nämlich spätestens für Mittag dort angekündigt.«

»Dann warst du dir deiner Sache also sicher?«

»So sicher, wie man sich sein kann«, erklang es beinahe schüchtern. Das passte überhaupt nicht zu einem gestandenen Mann und Polizeichef von sechzig Jahren. »Du bist und bleibst mein Krümel – solange ich lebe.«

Hannah beschloss, über ihren eigenen Schatten zu springen. Nach der symbolischen Landung umarmte sie Gerd Hoffmann und hauchte ihm ein »Danke!« ins Ohr.

»Lass dich nicht unterkriegen!«, sagte der, als Hannah bereits die Klinke in der Hand hatte. »Wenn du dich ein bisschen eingelebt hast, wage ich mal einen Abstecher und besuche euch auf der Insel ...«

»›Euch‹?«

Hoffmann winkte ab. »Sieh zu, dass du endlich loskommst!«

 

 

3

 

Als Hannah ihren Dienstwagen – einen nicht ganz taufrischen 3er BMW, der vorher zu einem Kollegen vom Zoll gehörte – gute zwei Stunden später vor dem Revier in Niebüll parkte, machte sich gleich ein mulmiges Gefühl in ihren Eingeweiden breit. Bis vor etwa zehn Jahren hatte sie häufig genau hier Dienst geschoben und beinahe jeden Polizisten gekannt, der in Nordfriesland unterwegs war. Mit Ende zwanzig hatte sie geheiratet und ein paar Tage vor ihrem dreißigsten Geburtstag ihren Sohn Felix zur Welt gebracht. Das Glück schien komplett zu sein. Auch wenn ihre Mutter und ihr bereits kranker Vater sie oft genug vor einem italienischen Heißsporn namens Gianni Lorenzo gewarnt hatten. Der hatte, für seine frischgebackene Ehefrau und den Traum einer kleinen Familie, einen Großteil seines Temperaments an die Kette gelegt.

Dachte Hannah zumindest. Denn wie sich herausstellte, hielt diese Kette nur vorübergehend.

Heute – mit einundvierzig und Narben auf der Seele, die nie wieder verschwinden würden – fluchte sie oft genug über sich selbst und darüber, dass sie damals nicht wenigstens auf ihren Vater gehört hatte.

Lieber nichts überstürzen! Ein Ratschlag, den Rainer Lambert seinerzeit gebetsmühlenartig heruntergeleiert hatte. Doch auch das half bei seiner Tochter nicht.

Hannah starrte auf ihre Hände. Die umklammerten das Lenkrad mit weißen Knöcheln, obwohl sie längst stand. Die altbekannte Verbitterung war im Begriff, vollständig von ihr Besitz zu ergreifen. Seit beinahe zehn Jahren gab es keinen Tag in ihrem Leben, an dem sie Gianni Lorenzo nicht verdammte. Das, was er getan und noch viel mehr das, was er gelassen hatte.

Sie schüttelte den Kopf, um diese schmerzhaften Gedanken loszuwerden. Beim Blick in den Rückspiegel erschrak sie vor sich selbst. Sollte sie mit diesem Gesicht die Wache betreten, würden die Kollegen dort vermutlich spontan Reißaus nehmen.

 

***

 

»Sie hat zugesagt.« Gerd Hoffmann klang vorsichtig, doch es schwang am Telefon auch ein wenig Genugtuung mit. »Schätze, es wird nicht lange dauern, bis sie euch zwei besucht – hoffe ich wenigstens.«

Gertrud Lambert lachte verbittert. »Meine Tochter kommt schon seit Jahren nur dann, wenn sie es absolut nicht verhindern kann.« Hannahs Mutter holte geräuschvoll Luft. »Aber trotzdem danke für deine Hilfe; glaub mir: Rainer wäre stolz auf dich.«

»Kann ich sonst noch irgendwas für euch tun?«, erkundigte sich Hoffmann. Ihm war jedoch anzuhören, dass er auf das Gegenteil hoffte. Und er lieferte auch gleich eine Erklärung dafür: »Bei uns hier ist nichts mehr, wie es mal war. Hätte Rainer das miterlebt, wäre er schreiend im Kreis gelaufen.«

Gertrud Lambert schwieg eine Weile. Erst als ihr Gesprächspartner sich räusperte, fand sie ihre Stimme wieder. »Glaubst du, Hannah schafft das wirklich?«

Auch Hoffmann ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Unser Krümel ist auf der Flucht vor sich selbst – das kann nicht funktionieren. Falls sie es endlich vollbringt, mit ihrer Vergangenheit und diesem kriminellen Italiener abzuschließen, dann hat sie eventuell ’ne Chance. Ganz egal, was sie beruflich macht.«

»Und du glaubst, ausgerechnet Mord und Totschlag helfen ihr, mit den eigenen Problemen klarzukommen?«

»Ich habe keine Ahnung, Gertrud.« Zum ersten Mal im Verlaufe dieser Unterhaltung hatte Gerd Hoffmann seine Stimme nicht mehr im Griff. »Aber was ich weiß, ist, dass deine Tochter ’ne Menge Erfahrung mitbringt, was Mord betrifft. Oder hast du etwa einen anderen Vorschlag? Soll ich sie aus der Schusslinie ziehen und ihr genug Akten auf den Schreibtisch packen, damit sie bis zur Pensionierung beschäftigt ist?«

Erneute Stille. Dieses Telefongespräch war längst beendet, es fehlten im Prinzip nur noch die üblichen Floskeln zum Abschied.

Aber Gertrud Lambert fiel doch noch eine Frage ein: »Weißt du, wann sie nach Sylt rüberkommt?«

»Ich nehme an heute! Auf eurer Insel wartet schließlich Arbeit auf sie.«

»Der Tote vom Autozug?«

»Lass gut sein!«, mahnte Hoffmann. »Und falls ich doch irgendwas für dich tun kann, dann ruf einfach an. Irgendwie bekomme ich das schon hin.«

»Wieso tust du eigentlich so viel für uns? Alles, weil Rainer ...?«

»... der beste Freund und nebenbei auch der beste Chef war, den ich je hatte! Einer, den am Ende nur der Krebs besiegen konnte.«

 

***

 

»Sie sind bestimmt Hannah, richtig?«

Die sah sich im Polizeirevier von Niebüll gleich einem jungen Mann von mindestens einem Meter neunzig gegenüber. Ein gutaussehender Bursche mit hellwachen Augen, der vor ihr stand und grinste. Trotzdem wurde es wohl Zeit für eine klare Ansage: »Hannah Lambert, Hauptkommissarin, wenn’s recht ist!«

Diese unterkühlte Vorstellung sorgte bei ihrem zukünftigen Kollegen für einen halben Schritt nach hinten. Trotzdem wanderte ihr seine Hand entgegen. »Sven-Ole Friedrichsen … angenehm, Frau Lambert.«

Hannah tadelte sich innerlich. Sie hatte gleich die erste Chance vertan, auf dem Revier zumindest einigermaßen sympathisch rüberzukommen. In der Stadt war es anders, aber hier in der Provinz duzte sich so gut wie jeder mit jedem.

Kriminalkommissar Friedrichsen stand vor ihr und lächelte nur noch gequält. Der Großteil seiner Unbekümmertheit war von einem Moment zum nächsten verflogen.

»Hannah ist schon in Ordnung«, platzte es übereilt aus ihr heraus. Und auch die Hand vor sich schüttelte sie, vielleicht ein bisschen zu energisch. »Freut mich, Sven-Ole!«

»Ole reicht ... auf dich warten unser Büro und ’ne funktionierende Kaffeemaschine.« Der junge Kollege wirkte weiterhin leicht verunsichert, zeigte jedoch einen langen Gang hinunter. »Wir sitzen ganz am Ende, mit Aussicht auf den Parkplatz.«

»Perfekt!« Hannah klatschte in die Hände, um Tatendrang zu versprühen. Danach kam sie sich selten dämlich vor, es musste also schleunigst eine halbwegs vernünftige Frage her: »Was macht denn unser erster gemeinsamer Fall? Sitzt der Täter schon hinter Schloss und Riegel?«

»Hab erst mal alles gesammelt und auf Ihren Schreibti... also, auf deinen Schreibtisch gepackt.« Ole stand noch immer mit hängenden Schultern vor seiner neuen Chefin. »Auf Sylt werden wir übrigens schon erwartet. Der Kollege von der Kripo in Westerland läuft mittlerweile Amok.«

»Das sollte er lieber lassen«, erwiderte Hannah staubtrocken. »Wir haben mit einer Leiche vorerst genug zu tun.«

Kurz darauf standen die beiden Ermittler in ihrer zukünftigen Wirkungsstätte. Die bestand aus einem Raum von fünf mal fünf Metern, zwei Schreibtischen mit Drehstühlen, ein paar unansehnlichen Regalen und einem Kaktus, der auf der Fensterbank offensichtlich schon seit Jahren ums nackte Überleben kämpfte.

»Kennst du dich mit Mord aus?«, fragte Ole, der sich auf der Kante von einem der Schreibtische niedergelassen hatte. »Ich meine, so richtig?«

»Ich hab bislang niemanden umgebracht«, erklärte Hannah und klimperte dazu albern mit den Wimpern. »Aber ich hab schon ein paar Mörder ins Gefängnis gebracht … falls du das wissen wolltest.«

Ole zeigte zum anderen Schreibtisch hinüber, auf dem sich lose Blätter und Mappen stapelten. »Ich musste am Freitag zwei, drei Entscheidungen treffen ...«

»Und zwar?« Hannah plumpste auf den Stuhl hinter dem zweiten Tisch. »Tu mir bitte einen Gefallen: Fang ganz vorne an! Alles, was ich bis jetzt weiß, hab ich aus dem Radio.« Sie machte eine Geste, mit der sie ihr fragwürdiges Halbwissen über die Schulter warf. »Ich muss bis ins kleinste Detail informiert sein!«

Oles Gesicht verzog sich nachdenklich. Mit beiden Händen wühlte er in seinem beneidenswert dichten und strohblonden Haarschopf. »Der Autozug ist letzten Freitag kurz vor Mittag in Niebüll losgefahren«, begann er dann verhältnismäßig fröhlich. »Na ja, während der Fahrt nach Westerland gabs es keine besonderen Vorkommnisse ...«

»Wenn man mal davon absieht, dass in einem SUV ein Mann saß, dem bei der Ankunft angeblich der halbe Kopf fehlte. Stimmt das?«

Ole nickte und entschuldigte sich mit verhaltenem Lächeln. »Schätze, das war ein spezielles Geschoss. Erste Bilder von der Leiche findest du in der Mappe ganz oben.« Er zeigte auf einen der Stapel, die sich vor seiner Chefin erhoben. »Präziser Kopfschuss. Die Streifenkollegen vor Ort wussten nicht, was sie tun sollten und ...«

»Wundert mich nicht!«, unterbrach Hannah. »Wo steht denn der beschlagnahmte Zug?«

»Wieso ›beschlagnahmt‹?«

Hannahs Mund stand offen. Ihre nächste Frage brachte sie nur stammelnd hervor: »Heißt das, ihr habt den Zug ...«

»... wieder fahren lassen, nachdem ein Abschlepper den SUV runtergezogen hat.« Ole gestikulierte aufgeregt. »Im Auto hat niemand was angefasst, Ehrenwort! Nur der Notarzt und die Rettungssanitäter, als sie die Leiche rausgeholt haben.«

»›Rausgeholt‹?« Hannah war anzuhören, dass sie es gar nicht glauben konnte. »Die Kollegen lassen einen Mann aus dem Wagen zerren, dem der halbe Kopf fehlt? Ist das dein Ernst?«

Ole kaute auf seiner Unterlippe herum und nickte nach einigem Zögern.

»Wer hat das angeordnet? Dafür muss doch irgendjemand verantwortlich sein!«

»Woher hätte ich denn wissen sollen, dass man eine Leiche nicht ...?«

Hannah winkte ab und sorgte damit auf Seiten ihres Kollegen zunächst für Ruhe. »Wo ist sie jetzt?«

»Wer?«

»Na, die Leiche!«

»Ach so! Man hat sie ins Krankenhaus von Westerland gebracht.« Oles Stimme klang nach neuem Mut. »Dort hat ein Arzt den Totenschein unterschrieben und ich schätze ...«

»Mir reichts für den Anfang«, keuchte Hannah und lehnte sich in ihrem Drehstuhl zurück. Sie starrte zur Decke. Dort hingen ebenfalls und haufenweise Leichen: Zerquetschte Fliegen, die jemand zwar erlegt, aber anschließend nicht beseitigt hatte. Direkt über ihrem Kopf klebte ein fetter Brummer, dessen Augen sie sogar zu erkennen glaubte.

Bei ihrer nächsten Frage klang sie ziemlich genervt: »Ist seitdem irgendwas passiert?«

»Ich glaube, der Mörder wusste ganz genau, was bei uns ab Freitagmittag los ist. Ich hab kaum jemanden erreicht, nicht mal beim LKA – neben Wochenende ist auch Ferienzeit! Aber ich kann bei der Bahn anrufen und fragen, ob die den Zug irgendwo parken können.«

Hannah nickte, tat anerkennend. »Nachdem der seit Freitag wahrscheinlich fünfzig Mal die Strecke Westerland/Niebüll und umgekehrt hinter sich hat? Klasse Idee!«

»Und was dann?«, fragte Ole resigniert.

»Wir fahren rüber! Bevor noch jemand auf die Idee kommt und unsere Leiche verbrennen lässt, weil die der nächsten im Weg ist.«

»Hast du einen Dienstwagen? Meiner ist gerade zur Inspektion.«

Inzwischen stand Hannah neben ihrem Schreibtisch und bereute es, sich mit dem jungen Kollegen gleich auf das Du eingelassen zu haben. Einen Untergebenen per Sie zu falten, fiel deutlich leichter.

»Jetzt herrscht hier Hochsaison. Ich wette, bei der Bahnverladung ist die Hölle los«, gab Ole zu bedenken.

Hannah zückte ihren Dienstausweis und hielt ihn hoch. »Mit der Fahrkarte kommen wir schnell und problemlos ans Ziel ... lass mich mal machen!«

 

 

4

 

Am Verladebahnhof in Niebüll nahm Hannah die Spur, die Bahnmitarbeitern vorbehalten war und musste vor einem der Besagten beinahe eine Vollbremsung hinlegen, weil der aufgebracht gestikulierte. Sie ließ die Scheibe herunter und hielt sofort ihren Dienstausweis aus dem Fenster. »Ich bin Hauptkommissarin Lambert und das ist mein Kollege Friedrichsen«, erklärte sie postwendend mit einem Fingerzeig zum Beifahrersitz. »Wir müssen auf den ersten Autozug, der abfährt. Und bevor Sie fragen: Es geht um den Toten von Freitag. Wir ermitteln in der Sache.«

Der Mann von der Bahn – ein Vollbartträger, der vermutlich unmittelbar vor der Rente stand – sah relativ gelassen aus. »Das kann trotzdem dauern«, erwiderte der verkappte Barbarossa. »Seit ’ner Stunde geht nix mehr … die Rampe ist im Arsch.«

»Da gehört sie ja auch nicht hin«, witzelte Ole über seine Chefin gelehnt und fing sich dafür gleich zwei giftige Blicke ein.

Doch es half nichts. Hannah ließ auch das Fenster auf der Beifahrerseite herunter und stellte den Motor ab. Der August zeigte sich selbst im hohen Norden von seiner wärmsten Seite und brachte jedes Auto – besser gesagt: dessen Insassen – nach kürzester Zeit zum Kochen.

»Ich frage mich, wann sie den Mist hier endlich in den Griff bekommen«, moserte Hannah, nachdem sie und Ole schon ein paar Minuten wortlos vor einer geschlossenen Schranke warteten. Nicht weit entfernt herrschte reges Treiben. Mittlerweile hatte sich ein halbes Dutzend Bahnmitarbeiter vor der Rampe versammelt. In erster Linie waren ratlose Gesichter zu erkennen. »Bist du häufiger auf Sylt?«, fragte Hannah ihren neuen Kollegen, um mit ihm ein Gespräch anzufangen. Der Beginn des gegenseitigen Kennenlernens war nämlich alles andere als positiv verlaufen.

»Ich fahre mindestens zweimal pro Woche rüber. An den Wochenenden sowieso, um mich mit meinen Leuten zu treffen.« Ole sah sich einem fragenden Blick gegenüber und lieferte bereitwillig die Erklärung: »Wir feiern zusammen und ...«

»... seid immer auf der Suche nach dem großen Glück mit Reetdach«, vervollständigte Hannah ketzerisch. »Aber das haben die wenigsten auf der Insel gefunden. Wirft man bei den Schönen und Reichen einen Blick hinter die Fassade, wird einem nämlich angst und bange«, schob sie hinterher.

»Ist das nur ’ne Vermutung oder sprichst du da aus eigener Erfahrung?«

Zuerst nickte Hannah, dann schüttelte sie immer energischer den Kopf.

»Ich bin gerade erst fünfundzwanzig geworden«, rechtfertigte sich Ole lachend. Dabei präsentierte er ein beneidenswert weißes und makelloses Gebiss. »Wenn ich jetzt nicht lebe, wann denn dann?«

»Die Rampe bewegt sich!«, jubelte Hannah. Weiter vorne schienen auch die Bahnmitarbeiter ihren Erfolg ausgelassen zu feiern. Einer reckte beide Daumen empor und klopfte im Anschluss seinem bärtigen Kollegen, der wohl für diesen Überraschungserfolg verantwortlich zeichnete, anerkennend auf die Schulter.

Vor dem BMW öffnete sich die Schranke. Rechts hupte der Fahrer eines Mercedes und gestikulierte wild.

»Was will der denn? Wir haben hier Vorfahrt!«, stellte Ole grinsend klar.

Hannah war längst losgefahren und hupte ebenfalls. Ein Stück weiter ging es die Rampe empor auf das Oberdeck des Autozugs. An dessen Ende wartete auch ein Bahnmitarbeiter, der aussah, als wäre er gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht.

Plötzlich verzog sich Oles Gesicht sorgenvoll. »Was ist denn, wenn wieder jemand auf den Zug schießt? Schließlich stehen wir auf der Pole-Position

»Wäre ein komischer Zufall«, entgegnete Hannah völlig unbekümmert.

»Aber mal ernsthaft: Es könnte doch sein, dass …«

»Dann fang lieber gleich mit deinem Nachruf an. Den sehe ich schon vor mir: Partylöwe mit Polizeimarke und Loch im Kopf

»Das ist nicht witzig!«, protestierte Ole. »Woher wissen wir denn, ob nicht gerade jetzt irgendwo einer lauert, der es auf seine nächste Trophäe abgesehen hat?«

»Das weiß niemand.« Hannah wirkte unverändert gelassen. Sie zeigte auf die Ermittlungsakte, die im Schoß ihres Kollegen lag. »Am besten nutzt du die Zeit bis Westerland, um mir alles über den Toten zu erzählen.«

Oles Gesicht sah zwar immer noch etwas verkrampft aus, aber der Vorschlag seiner Chefin sorgte wohl für willkommene Ablenkung. »Der sichergestellte SUV ist auf einen gewissen Doktor Jakob Rubin aus Hamburg zugelassen. Ein Notar – der wäre nächsten Monat siebzig geworden. Im Jackett des Toten haben die Kollegen eine Brieftasche gefunden, in der ein gleichlautender Ausweis steckte. Das Foto darauf und der Rest von einem Gesicht sehen sich wohl ziemlich ähnlich.«

Erneut stand Hannahs Mund offen. »Und nicht einer ist zufällig auf die Idee gekommen, jemanden von der Spurensicherung anzufordern? Könnte ja sein, dass sich an solchen Utensilien Spuren befinden, die ein Polizeimeister beim Blick durch sein verstaubtes Brennglas übersieht. Du darfst nie vergessen, dass die Ausrüstung unserer uniformierten Kavallerie aus dem Mittelalter stammt. Selbst mit viel gutem Willen kann man so nicht vernünftig arbeiten.«

»Die Spurensicherung hab ich heute Morgen gleich als Erstes alarmiert«, verteidigte sich Ole. »Ich kann aber nicht sagen, ob die schon auf der Insel sind.«

»Und wieso nicht?«

»Weil ich nicht nachgehakt hab?«, erklang es leise.

Hannah sagte nichts mehr und wischte stattdessen auf ihrem Handy herum. Es klingelte mindestens zehnmal, bevor sich ein Mann mit atemloser Stimme meldete.

»Ja?«

»Doktor ›Ja‹?«

Der Mann am anderen Ende zögerte kurz. »Bist du das, Krümel?«

In diesem Moment fiel Hannah ein, dass es noch jemanden gab, der diesen dämlichen Kosenamen kannte und ihn mit diebischer Freude nutzte. Doch es wurde Zeit für eine Reaktion: »In voller Lebensgröße und gerade auf dem Weg nach Sylt, falls es dich interessiert.«

»Aber sicherlich nicht, um dort Urlaub zu machen«, antwortete Doktor Stefan Eickhoff, der Leiter der Kieler Rechtsmedizin. »Lass mich raten: Hat das was mit dem Toten auf dem Autozug zu tun?«

»Auf den wartest du doch bestimmt schon. Oder etwa nicht?«

»Wir haben uns an das Chaos bei den Kollegen an der Nordseeküste langsam gewöhnt. Soll dein Anruf bedeuten, du bist wieder im Dienst und an vorderster Front unterwegs, wenn irgendwo ’ne Leiche auftaucht?“

»Jemand muss den Scheißjob ja machen«, war Hannahs Antwort.

»Auf jeden Fall wird es dann wieder besser«, kommentierte Doktor Eickhoff erleichtert. »Weißt du schon was Genaueres über das Opfer?«

»Wir stehen auf dem Zug und sind gerade erst in Niebüll losgefahren. Wahrscheinlich bist du besser informiert als ich.«

Kurzes Zögern am anderen Ende der Leitung. »Du rufst doch nicht nur an, um Hallo zu sagen? Ich kenne dich viel zu lange, Krümel – das würde nicht zu dir passen.«

Hannah unterrichtete ihren Kollegen mit knappen Sätzen, was bisher passiert war. Diese Ausführungen endeten mit einem vernichtenden Urteil: »Sämtliche Spuren im Auto sind vermutlich ruiniert und der Tote wurde umfangreich bewegt, als man ihn rausgeholt hat.«

»Und trotzdem erwartet man von uns, dass wir das Haar in der Suppe finden, das uns bis gestern zum Täter führt«, fügte der Rechtsmediziner mit einiger Verbitterung hinzu. »Aber noch mal: Was willst du von mir, Krümel?«

»Kannst du rüberkommen?« Hannah klang ungewohnt kleinlaut. »Der Leichnam liegt derzeit im Krankenhaus in Westerland. Ich befürchte allerdings, dass nach einer Überführung nicht allzu viel übrig wäre, was uns hilft.«

»Weißt du, wann ich zuletzt auf Sylt war? Und insbesondere, mit wem?«

Hannah brauchte nicht lange zu überlegen. »Mit mir? Dann ist das mindestens zwanzig Jahre her.«

»Dein Vater hat mich angesehen, als wollte er mich am liebsten jeden Moment erschießen. Erinnerst du dich noch?«

»Du warst damals Student! Mediziner … die konnte er halt am wenigsten leiden.«

»Wie gehts dir? Hab lange nichts von dir gehört.«

Hannah nahm allen Mut zusammen. »Können wir das nicht hier persönlich besprechen? Ehrlich, Stefan: Wir brauchen einen wie dich, ansonsten wird mein erster Mordfall gleich ein gewaltiger Schlag ins Wasser.«

»Vorher muss ich noch die Arbeit von zwei Tagen an einem halben erledigen. Ich schaffe es definitiv nicht vor morgen früh«, offenbarte Eickhoff. »Und wie ich dich kenne, hast du damit …«

»… kein Problem! Ich pass auf, dass man deinen neuen Kunden im Kühlschrank liegen lässt, bis du hier bist.«

 

 

5

 

»Ist das normal?«, fragte Ole, nachdem dieses Telefonat beendet war. »Ich meine: Man braucht bestimmt ein dickes Fell, klar – aber so über einen Toten zu reden?«

»Ist nur intern!«, hielt Hannah mit leicht genervtem Unterton entgegen. »Man darf sich nicht jeden Mord zu Herzen nehmen, sonst hält man nicht lange durch. Glaub mir!«

»Und die Angehörigen? Was ist mit denen?«

Hannah schaute nach rechts und schüttelte den Kopf. »Meinst du etwa, denen erzähle ich, dass ihr Vater, Ehemann – oder was auch immer – in ’nem Kühlschrank liegt und darauf wartet, aufgeschlitzt zu werden?«

Ole fiel in das Kopfschütteln mit ein und öffnete erneut die Akte in seinem Schoß. »Dieser Jakob Rubin hat noch als Notar praktiziert. Auf seiner Homepage steht allerdings, dass das Notariat in Kürze geschlossen wird.«

»Logisch!« Hannahs Hände lagen auf dem Lenkrad, als müsste sie auch auf dem Autozug lenken. »Du selbst hast gesagt, dass

Impressum

Verlag: Elaria

Texte: Melanie Schubert
Bildmaterialien: Sylt-Karte: Hartung-Verlag/Neumünster, Stephanie Wilm
Cover: Covergestaltung: Chris Gilcher – http://buchcoverdesign.de; stock.adobe.com/de/images/leuchtturm-in-list-auf-sylt-am-ellenbogen/81245439: Benno Hoff; pixabay.com/de/strand-nordsee-meer-sonnenuntergang-2179624: Kordi Vahle; Designed by Freepik.com,
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2018
ISBN: 978-3-96465-009-2

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