Cover

Gemma Civitas

Gemma Civitas

 

 

Die Edelsteinstadt

 

1.Teil

 

 

 

von

 

Sandra Eckervogt

 

www.eckervogt.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten! Ohne ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Autors/Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden, wie zum Beispiel manuell oder mithilfe elektronischer und mechanischer Systeme inklusive Fotokopien, Bandaufzeichnungen und Datenspeicherung. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.

Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt. Die Personen und Handlung des Buches, sind vom Autor, frei erfunden.

© Sandra Eckervogt 2015/2017

Prolog


Er zögerte keine weitere Sekunde. Ehe sich der Typ vom ersten Schlag erholt hatte, holte John erneut aus und erledigte ihn mit einem gekonnten Treffer in sein Gesicht. Wie in Zeitlupe sah er, dass das Blut aus dessen Nase in alle Richtungen spritzte und sein Gegner zu Boden fiel.

Stille erfüllte den Raum.

John hörte seinen Puls in den Ohren hämmern und seine Lunge brannte vom intensiven Atmen, doch wie man ihm in der Ausbildung beigebracht hatte, war dieser Schmerz befreiend, denn er wurde von ihm kontrolliert.

Sein Blick ging zur Seite und da hockte sie. Völlig verängstigt unter einem Tisch. Ihre großen, braunen Augen starrten ihn hilfesuchend an. Diesen Blick würde er nie vergessen. Nie.

Langsam kniete John sich zu ihr. „Hey, alles in Ordnung. Er wird dich jetzt in Ruhe lassen.“

Das junge Mädchen zitterte am ganzen Körper und starrte ihn nur an.

„Wie ist dein Name?“ Er näherte sich vorsichtig und lächelte.

Sie zögerte einen Moment, ihr Blick huschte durch die nähere Umgebung und da sich alle wieder normal verhielten und der Bösewicht am Boden lag, schien die Situation unter Kontrolle zu sein. „Anne … Anne Shors“, flüsterte sie.

Er reichte ihr seine Hand. „Mein Name ist Parker, John Parker. Hallo, Anne.“

Und als sie seine Hand berührte und ihn aus ihren großen, braunen Augen ansah, war es um ihn geschehen. Er hatte sich verliebt, das erste Mal in seinem Leben hatte er sich verliebt. Es war das schönste Gefühl, das er je gespürt hatte.

Die beiden standen ganz eng zusammen, die Welt um sie herum verblasste, verstummte. Nur sie, nur ihre Herzen schlugen zusammen im Takt.

John wusste in dieser einen Sekunde, dass Anne Shors die Frau seines Lebens war.

Doch dann, wie in einem schlechten Film, richtete sich der Bösewicht auf. Mit seinem blutverschmierten Gesicht und einem teuflischen Lachen stand er auf, hatte plötzlich eine Waffe in der Hand und drückte ab – mehrmals.

Anne Shors zuckte wie eine Marionette und sackte in seinen Armen zusammen. Er konnte ihr Blut schmecken und den Tod in ihren Augen sehen.


John schrie und schreckte schweißgebadet in seinem Bett auf. Sein Blick fiel sofort auf die roten Zahlen des Radioweckers.

Es war 02.22Uhr.

Seine Brust hob und senkte sich mit dem schnellen Takt der Atmung. Er hatte schon wieder schlecht geträumt.

Vor fast neunzehn Jahren hatte er Anne Shors kennen und lieben gelernt. Sechs Monate waren sie die glücklichsten Menschen auf der Welt gewesen, bis zu dem Tag, an dem er ein Angebot bekommen hatte. Ein Angebot des MI6.

Er hatte es abgelehnt. Anne hatte ihn daraufhin abgelehnt. Sie hatte Schluss gemacht, von einem Tag auf den anderen. Es wäre alles nur ein Spiel gewesen, sie würde ihn nicht lieben.

Sein Herz war gebrochen, seine Welt war untergegangen. Er hatte Anne über alles geliebt, hatte an Hochzeit gedacht, an Familie – nichts war eingetreten.

Aber warum verfolgte ihn seit ein paar Tagen dieser Traum, wo es doch schon so lange her war?

Parker wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.

Seit neunzehn Jahren war er auf der Flucht.

Er hatte das Angebot des MI6 angenommen. War seit neunzehn Jahren um die ganze Welt gereist, hatte die verrücktesten Abenteuer erlebt und sie immer überlebt. Frauen über Frauen waren mit ihm im Bett gewesen und trotzdem holte ihn die Vergangenheit stets ein.

Er war in der Zwischenzeit zu einem der besten, britischen Agenten aufgestiegen.

Bei einem Einsatz vor zwei Jahren, der ihn nach Deutschland

gebracht hatte, hatte er sich in Sophia verliebt. Doch auch diese Liebe sollte nicht lange andauern. Kurz vor ihrem Tod hatte er von ihr erfahren, dass sie schwanger gewesen war. Er wäre jetzt stolzer Vater einer kleinen Tochter oder eines Jungen. Es sollte nicht sein. Eine Gänsehaut überrann seinen Körper und er schüttelte sich.

Starb nicht jeder Mensch, den er liebte, vor seinen Augen?

Sein Mund fühlte sich völlig ausgetrocknet an.

Er griff zur Wasserflasche, die neben seinem Bett stand.

Sein Blick ging zum Radiowecker. Die roten Zahlen zeigten 02.27Uhr an.

In sechs Stunden ging sein Flieger nach Mauritius. Ein paar Tage Urlaub taten ihm sicherlich gut.

Parker legte sich wieder hin und starrte zur schwarzen Decke.

Er hatte Angst einzuschlafen, denn dann würde er wieder träumen und gegen Träume war er machtlos.

Er, einer der besten, britischen Agenten hatte Angst vorm Einschlafen und er hatte Angst vor der Liebe

1. Kapitel



England


Jamie Lee zog die Kapuze tief in ihr Gesicht und schloss leise die Tür ihres Zimmers. Die Turmuhr schlug neunmal. Sie musste sich sputen, Scott Lancebury hasste Verspätungen und sie hasste Scott Lancebury.

Wie ein Schatten huschte sie über den Vorplatz des streng katholischen Internates. Die meisten Fenster waren dunkel, einige davon schwach erleuchtet. Sicherlich lasen die Schülerinnen und die Nonnen in ihren kitschigen Liebesromanen.

Am großen Eisentor blieb sie stehen und warf einen letzten Blick zurück. Nichts. Sie öffnete es einen kleinen Spalt und verschwand im Dunkeln.

Doch eine Schülerin hatte den Schatten gesehen, hatte gesehen, dass sich Jamie Lee Manson wieder einmal auf heimliche und verbotene Weise vom Internat entfernte. Das Mädchen lief umgehend zur Internatsleitung und petzte.

Die Ordensschwester trat mit energischen Schritten zu Jamie Lees Zimmer, öffnete leise die Tür, ging zum Bett, indem jemand lag, und holte mit dem Schlagstock aus. Mit voller Wucht schlug sie auf die Person ein. Es rührte sich nichts und kein Laut war zu hören. Sie riss die Bettdecke weg und zum Vorschein kam lediglich ein Haufen Kissen. „Arrh … Jamie Lee! Dich soll der Teufel holen!“ Die Ordensschwester warf den Schlagstock zu Boden, verließ fluchend das Zimmer und informierte umgehend die Polizei. Es reichte ihr mit der frechen Göre. Seit über einem Jahr baute dieses Mädchen nur Unfug und brachte mit ihren Sünden das katholische Internat in Verruf. Jamie Lee wurde umgehend aus dem Internat entlassen. Basta!


„Wo hast du nur gesteckt? Scott hat schon seine Witze gemacht, dass du kneifst“, begrüßte Jason Doc sie.

Jamie zog eine Grimasse und drückte ihm einen Rucksack in die Hand. „Ich? Kneifen? Das wünscht er sich, wenn wir das Rennen gefahren sind, und ich als Siegerin das Ziel erreicht habe!“

Jason sah sie besorgt an. „Willst du wirklich nicht kneifen? Also, ich meine … die Strecke ist echt der Hammer!“

Er fing sich einen strafenden Blick von ihr ein. Sie zerrte Klamotten aus dem Rucksack und zog sich vor seinen Augen um. Jason räusperte sich verlegen, als sie in Unterwäsche vor ihm stand. Jamie Lee war ein sehr hübsches Mädchen. Sie war schlank, hatte dunkelblondes, langes Haar, ihre Augen waren mandelförmig, strahlendblau und von langen, dichten Wimpern umhüllt. Seit er sie vor einem Jahr das erste Mal gesehen hatte, war es um ihn geschehen, doch er hatte bis jetzt keinen Mumm gehabt ihr das zu sagen. Aber immerhin war er in dieser Zeit ihr bester Freund geworden.

„Ich kenne die Strecke, keine Sorge, ich packe den alten Mister Großkotz.“ Jamie Lee schlüpfte in einen schwarzen Jeansminirock, in ihre ausgelatschten Turnschuhe und in ein enges Top, auf dem FU** stand.


Scott Lancebury lehnte sich cool an einen aufgemotzten Mazda. Der Wagen war giftgrün gespritzt und mit schwarzen Airbrush-Schlangen versehen, die sich über die Motorhaube zogen. „Ah sieh an, ich dachte schon, du hast den Schwanz eingezogen“, lästerte er.

Jamie Lee blieb vor ihm stehen und grinste überlegen.

„Und du wirst nach dem Rennen keinen mehr haben.“

Einige kicherten, verstummten aber sofort, als Scott ihnen böse Blicke zuwarf. Scott besuchte das Jungeninternat, das am anderen Ende der Stadt lag. Dort hatte sie auch vor einem Jahr Jason kennengelernt. Bei einem gemeinsamen Sommerfest der Mädchen und Jungeninternate. Jamie Lee hatte sich mit Scott geprügelt und seit dem Tag an herrschte Krieg zwischen den beiden. Jason hatte ihr nach dem siegreichen Kampf ein Taschentuch gereicht, da ihre Nase geblutet hatte. Er war wie ein Bruder zu ihr und hatte schon oft ihren Hintern gerettet und ihr sehr viele Taschentücher gegeben.

Scott blieb direkt vor ihr stehen und blickte in ihre stahlblauen Augen. „Mal sehen, ob du nach dem Rennen auch noch so coole Sprüche klopfen kannst, Jamie Lee!“ Er betonte ihren Namen und warf einen belustigten Blick auf ihre völlig ausgelatschten und teilweise kaputten Schuhe. „Schicke Schuhe, sind super um Rennen zu fahren.“

„Du mich auch“, zischte sie und ging zu ihrem Wagen.

Jamie Lee fuhr ebenfalls einen Mazda. Ihrer war rabenschwarz und Totenköpfe waren als silberner Airbrush auf dem glänzenden Lack verteilt. Sie stieg ein, schnallte sich an und stellte die Spiegel ein. Jason beugte sich durchs offene Fenster. „Noch kannst du aussteigen.“

„Das musst du Scott sagen, nicht mir. Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd, Jason!“ Sie verdrehte die Augen. Jason war ein Weichei, aber ein sehr liebes.

Bill trat vor die beiden Wagen. „Es geht los! Ihr kennt die Regeln! Möge der Beste gewinnen!“ Er zwinkerte Scott zu, denn was keiner wusste: Bill hatte die Bremsleitung von Jamie Lee angeschnitten. Keiner sah die Flecken, die unter ihrem Wagen entstanden.

Die beiden starteten die Motoren und blieben dicht nebeneinander stehen.

„Wollt ihr euch noch was sagen?“, rief Bill den beiden zu.

„Schlampe“, zischte Scott mit einem schiefen Grinsen.

„Ich werde dich ans Kreuz nageln“, sagte Jamie Lee trocken und drückte das Gaspedal durch.

Bill stellte sich in die Mitte, hob die Arme und die Meute, die an der Seite stand, grölte wild.

Einer der Schaulustigen kickte Jason seine Mütze vom Kopf und sie fiel zu Boden. Jason bückte sich, um sie aufzuheben und entdeckte zufällig einen feuchten Fleck unter ihrem Wagen. „Jamie! Deine Brem…“, weiter kam er nicht, da sich zwei Typen auf ihn stürzten und ihn von der Strecke zogen.

„JOYRIDE!“, schrie Bill und die beiden schossen an ihm vorbei.

Vor der ersten Kurve bremste Scott sie gefährlich aus und Jamie geriet kurz ins Schleudern.

„Ich mach dich fertig, du alte Schlampe!“, fluchte Scott und drückte das Gaspedal durch.

Leider wusste Scott nicht, dass vor zwei Stunden eine Fahrbahnverengung durchgeführt worden war, da morgen ein christlicher Umzug durch die Stadt ging. Das war der Vorteil, wenn man in einem streng katholischen Mädcheninternat lebte.

Scott schrie grell, ging mit voller Wucht in die Eisen, drehte sich zweimal um die eigene Achse und knallte gegen einen Absperrzaun. „FUCK!“

Jamie lachte und schoss an ihm vorbei.

„Mit mir nicht“, knurrte er und nahm die Verfolgung wieder auf.

Im Rückspiegel sah Jamie, dass er aufholte und versuchte, sie zu überholen. Sie bremste ihn aus.

Die beiden näherten sich der Innenstadt.

Scott drängte sie seitlich ab und schaffte es wieder die Oberhand zu bekommen. Jamie knallte gegen ein kleines Holzhaus, das in Zeitlupe zusammenbrach. „Ups, das war wohl das Bushäuschen.“

Scott schoss förmlich davon. Jamie drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Die Umgebung sauste schemenhaft an ihren Augen vorbei.

Und die Bremsflüssigkeit verteilte sich auf der ganzen Strecke.

Jamie rammte Scott, worauf er ins Schleudern geriet und mit der rechten Seite Stühle und Tische einer Eisdiele mitnahm. Diese flogen im hohen Bogen durch die Lüfte und landeten auf dem Asphalt. Er stand kurz und fuhr mit durchdrehenden Reifen weiter. „Dir wird das Lachen noch vergehen, du Miststück!“

Jetzt wurde die Strecke heikel, denn sie führte einige Kilometer an der Küste entlang und es gab starkes Gefälle. Jamie bremste in die erste Kurve, doch ihre Bremsen versagten. Wieder und wieder trat sie mit voller Wucht auf das Pedal, doch nichts tat sich. „Mist! Diese Schweine!“, fluchte sie und spürte ihren erhöhten Puls.

Die erste Kurve nahm sie haarscharf und schleuderte auf die Leitplanken zu, die sie streifte und Funken sprühten. Geröll rutschte den Abhang zum Meer hinunter.

Scott beobachtete das Spielchen von hinten und lachte schadenfroh. „So, meine Zuckerpuppe, mal sehen, ob du auch ohne Bremsen das Rennen gewinnen kannst.“

„Nur die Ruhe bewahren, nur die Ruhe bewahren.“ War aber einfacher gesagt als getan, da die Strecke nun sehr kurvenreich wurde. Außerdem war es in der Zwischenzeit stockdunkel geworden.

Sie nahm den Gang raus und versuchte mit der Handbremse durch die Kurven zu driften.

Scott schubste sie von hinten an und brachte sie so aus dem Rhythmus. Er nutzte die Gelegenheit und überholte sie, doch schon in der nächsten Sekunde trat er auf die Bremse, da ein LKW vor ihm auftauchte. Jamie knallte in seine linke Seite und drehte sich zweimal um die eigene Achse, was den Vorteil mit sich brachte, dass sie nun nicht mehr so eine hohe Geschwindigkeit hatte.

Bis Scott sich von seinem Dreher erholt hatte, war Jamie an ihm vorbeigerauscht. Jetzt hieß es Endspurt.

Kurze Zeit später rumste es und Jamie bekam einen gehörigen Schub nach vorn, sie schoss direkt auf einen Springbrunnen zu. In letzter Sekunde riss sie das Lenkrad herum und streifte mit ihrem „Arsch“ das Gemäuer. Der nackte Mann, es war eine Statue, wackelte gefährlich, doch außer sein „gutes Stück“, fiel nichts ab.

Scott übernahm wieder die Führung. Nur noch ein paar Kilometer trennten ihn vom Sieg.

Da Jamie nicht bremsen konnte, tickte sie Scott ständig an und rauschte in seinem Windschatten mit.

Dann sah sie das große Holzkreuz in der Ferne, das extra für den katholischen Umzug aufgestellt worden war und sie hatte eine Idee. Jamie holte alles aus ihrer Karre heraus, überholte ihn und stellte sich quer.

Scott riss das Lenkrad herum, um einen Zusammenstoß zu vermeiden und donnerte über einen Anhänger, der wie eine Sprungschanze wirkte. Er wirbelte gedreht durch die Luft.

Sein Schrei hallte durch die Nacht und wurde durch einen blechenden Donner unterbrochen.

Jamie konnte im Rückspiegel sehen, wie der Mazda kopfüber am Holzkreuz klebte.

„Ich hab doch gesagt, ich nagel dich ans Kreuz!“


Die Meute starrte gespannt auf die Straße. Eigentlich müssten die beiden jetzt das Ziel erreichen, oder wenigstens Scott.

Jason blickte besorgt ins Dunkle, als plötzlich Lichter erschienen und ein schwarzer Mazda angeschossen kam. Dieser raste mit mehreren Drehungen auf die Friedhofsmauer zu.

Jamie betätigte die Handbremse. Mit einem lauten Rums knallte sie gegen die Friedhofsmauer. Durch den Aufprall kippten in unmittelbarer Nähe drei Grabsteine um.

„Oh Mann! Du hast gewonnen! Du hast tatsächlich gewonnen! Obwohl deine Bremsleitung gekappt war!“, freute er sich.

Jamie stöhnte genervt. „Du hast von der Bremsleitung gewusst? Und du hast es mir nicht gesagt?“

„Schnell weg! Die Bullen kommen!“, riefen plötzlich einige aufgeregt.

„Wo ist Scott?“, fragte Bill kleinlaut.

„Ich habe ihn ans Kreuz genagelt“, grinste Jamie breit.

„Los, wir müssen alle weg!“, drängte jemand aus der Menge. Man konnte bereits Polizeisirenen hören.

„Steig ein!“ Jamie Lee zerrte durchs offene Fenster an Jasons Jacke. Er lief um den Wagen und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.


Jamie Lee zog die Kapuze tief in ihr Gesicht und schlich leise über den Flur. Sie drückte die Klinke ihres Zimmers vorsichtig herunter, als plötzlich das Licht im Flur anging.

Sie zuckte zusammen und drehte sich erschrocken um. Vor ihr standen zwei Polizisten und die Ordensschwester Maria. „Ich glaube, du hast uns was zu erzählen“, sprach sie mit fester Stimme.

Jamie Lee schluckte schwer. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

„Es fand ein illegales Autorennen statt. Warst du dabei?“, fragte sie einer der Polizisten.

Jamie schwieg und starrte das Bild Jesu an, das in einem goldenen Bilderrahmen über der Tür hing.

„Scott hing kopfüber an einem Kreuz und liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Er sagt, du hättest das getan“, konfrontierte der Polizist sie.

Jamie blickte den Mann unschuldig an. „Ich? Wie soll ich das denn gemacht haben?“

Der Mann beugte sich ihr entgegen und seine Stimme wurde schneidend. „Wir haben dich bereits bei fünf illegalen Autorennen erwischt. Du willst mir doch nicht weismachen, dass du heute Abend nicht gefahren bist?“

„Genauso war es, Sir.“

„Tja, Scott hat aber zugegeben, dass er die beiden Wagen gestohlen hat. Extra für das Rennen.“

„Das ist nicht mein Problem, wenn Scott Autos stiehlt, Sir.“

Aus heiterem Himmel knallte der Rohrstock der Ordensschwester vor ihr auf den Tisch. Jamie zuckte zusammen. „Dich hat der Teufel geschickt! Du bringst uns seit einem Jahr nichts als Ärger! Dein Bett war leer! Also, wo verdammt noch mal hast du heute Abend gesteckt!“, donnerte die raue Stimme auf sie nieder.

„Sie haben nicht den geringsten Beweis, dass ich heute Abend ein Rennen gefahren bin. Und Scott ist ein erbärmlicher Verlierer.“

Der Mann richtete sich auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Schluss jetzt! In der Stadt wurde ein Bushäuschen zerstört, bei Ginos Eisdiele liegen fast alle Tische und Stühle auf der Straße verteilt und du willst mir weismachen, du bist nicht gefahren! Wir nehmen dich mit auf die Wache.“

„Ach, dann haben Sie den Brunnen wohl noch nicht gesehen“, flüsterte sie lachend.

„Brunnen? Was ist mit dem Brunnen?!“, rief der Beamte aufgebracht.

Jamie zuckte mit den Schultern und hüllte sich in Schweigen.

Er wandte sich zu seinem Kollegen. „Schick Peter in die Stadt, er soll sich den Brunnen vor Evas Gaststätte genauer ansehen.“

Jamie wurde vom Stuhl hochgezogen, ihre Arme auf den Rücken gedreht und als man ihr gerade die Handschellen anlegen wollte, wurde die Tür aufgerissen und eine andere Schwester erschien. „Jamie! Deine Mutter!“

Ihr stockte der Atem und sie blickte Schwester Johanna entsetzt an. „Was ist mit meiner Mutter?“

„Das Krankenhaus hat gerade angerufen, es sieht nicht gut aus…“ Sie verstummte kurz und bekam einen quälenden Gesichtsausdruck. „Sie sagen, sie liegt im Sterben.“

Jamie zuckte zusammen und wandte sich an den Polizisten. „Bitte! Ich muss sofort zu ihr!“

„Das geht nicht“, entgegnete er streng.

„Bitte! Sie ist meine Mutter, ich will mich von ihr verabschieden können.“ Sie sah ihn herzzerreißend an.

Maria trat zu ihm. Obwohl sie mehr als wütend auf das Mädchen war, sollte sie sich in Frieden von ihrer Mutter verabschieden können. „Sie hat recht. Sie können sie zum Krankenhaus begleiten und danach mit zur Wache nehmen. Und danach packst du deine Sachen und verschwindest. Du wirst hier nicht länger geduldet. “

Jamie nickte.

„Okay, okay … wir bringen dich hin und warten dort“, stimmte der Polizist dem Vorschlag der Ordensschwester zu.


Die Fahrt zum Krankenhaus war schlimmer, als das „bremsenlose“ Rennen gerade. Ihre Gedanken überschlugen sich vor Kummer. Sie stürmte den Gang entlang, blieb vor der Tür stehen, schloss die Augen und schwor, stark zu sein, nicht zu weinen. Der Arzt kam zu ihr. „Jamie Lee, schön dass du so schnell kommen konntest.“

Sie wischte sich flink über die Augen und drehte sich um. „Was ist denn mit meiner Mutter?“

Der Arzt schaute sie bedrückt und unglücklich an. „Es tut mir leid, aber deine Mutter hat einen schweren Rückfall erlitten.“

„Aber wie … ich meine … es ging ihr doch vor zwei Tagen noch so gut. Ich …“ Sie verstummte und schaute zu ihrer Mutter ins Zimmer. „… ich verstehe das nicht.“

„Sie hat eine Lungenentzündung bekommen und der Krebs hat gestreut“, erklärte der Arzt mit leiser Stimme, die schnelle Verschlechterung des Gesundheitszustandes.

Jamie Lee schluckte schwer und spürte wie sich in ihrem Körper ein starkes Zittern ausbreitete. „Also … wird sie sterben?“

Der Arzt kniff die Lippen zusammen und nickte. „Sie wollte dich unbedingt sehen, deswegen haben wir so spät im Internat angerufen. Es kann sehr schnell gehen.“ Er legte die Hand auf ihre Schulter. „Geh zu ihr, sie wartet schon auf dich.“


Die Geräusche der Maschinen unterbrachen die Stille. Jamie Lee nahm am Bett Platz und griff nach der mageren Hand. Ihre Mutter Anne, gerade mal fünfunddreißig Jahre jung, hatte Krebs im Endstadium. Seit einem Jahr kämpfte sie gegen den Teufel, doch so wie es aussah, hatte er gewonnen. Krebs kannte kein Alter, kein Geschlecht, kein Erbarmen.

„Jamie Lee?“, krächzte Anne.

Sie drückte die Hand. „Ja, Mama, ich bin da.“

Ein zaghaftes Lächeln huschte um ihre Mundwinkel.

„Schön, ich muss dir noch etwas Wichtiges sagen.“ Sie hustete und verzog schmerzhaft das Gesicht.

„Aber Ma, alles wird gut. Das kannst du mir auch morgen sagen, wenn es dir besser geht.“ Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an.

„Morgen ist es vielleicht zu spät. Bitte, du musst mir jetzt genau zuhören und du musst mir schwören, es niemanden zu erzählen, hörst du!“, ermahnte sie ihre Tochter. „Niemanden.“

„Aber was ist denn?“

Anne richtete sich leicht auf. „Bitte, hilf mir.“

Jamie Lee drückte die Kissen zusammen. „So besser?“

„Ja, so geht es.“

Jamie streichelte ihren Arm. „Was möchtest du mir denn Wichtiges sagen?“

„Ich habe nicht mehr viel Zeit, deswegen werde ich es kurz machen.“ Sie schloss die Augen und sprach dann weiter. „Es geht um deinen Vater.“

„Um meinen Vater? Er ist bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen“, säuselte Jamie verwirrt.

„Nein, dein Vater lebt“, brachte sie mit rauer Stimme hervor.

Jamie Lee wich zurück. „Er lebt?“ Es klang wie ein Flüstern.

Das Gesicht ihrer Mutter verzerrte sich und Tränen schimmerten in ihren braunen Augen. „Ich habe ihn vor fast neunzehn Jahren in einem Club kennengelernt. Ein Typ hat mich belästigt und dein Vater hat mich vor ihm beschützt. So haben wir uns kennengelernt. Er brachte mich nach Hause und wir trafen uns am anderen Tag wieder. Wir waren über sechs Monate glücklich zusammen.“ Sie verstummte und wischte sich die Tränen fort.

Jamie spürte wie ihr Puls in die Höhe schoss. Ihre Gedanken überschlugen sich. Ihr wahrer Vater lebte noch? „Und wie ging es weiter?“

„Er war der Beste bei der Royale Navy, der MI6 wurde auf ihn aufmerksam und hat ihm ein sagenhaftes Angebot gemacht. Sie würden ihn zu einem Agenten ausbilden. Die Bedingung: keine Familie, keine Frau, nichts. Er lehnte ab.“ Sie rang nach Luft. „Ich habe ihn fortgeschickt, gesagt, dass ich ihn nicht liebe, alles nur ein Spiel war.“

„Aber warum?“

Anne fing an zu weinen. „Weil ich ihn über alles liebte und ihm auf keinen Fall seine Karriere verbauen wollte. Ich war erst siebzehn Jahre alt. Er fünf Jahre älter. Er wollte auf alles verzichten, nur wegen mir.“

„Er … er wusste also nicht, dass du schwanger warst?“, endete Jamie Lee leise.

„Ich habe es ihm verschwiegen.“

„Aber warum sagst du mir erst jetzt, wer mein leiblicher Vater ist?“

„Weil der MI6 mir versichert hat, dass du eine unbeschwerte, finanziell gesicherte Zukunft haben wirst.“

„Der MI6 weiß über mich Bescheid?“, fragte Jamie entsetzt.

„Oh ja, der MI6 weiß viel! Und da ein Kind für einen Agenten eine Gefahr ist, tun sie alles, um so etwas vor der Welt zu verschweigen. Egal, was es kostet.“

„Wie ist sein Name?“, wollte sie wissen.

Anne richtete sich auf und sah ihre Tochter fest an. „Du hast genau seine Augenfarbe.“

„Wie heißt er“, drängte sie. Plötzlich spürte sie unerklärliche Wut in sich aufsteigen.

„Parker, John Parker.“

Jamie sprang vom Bett auf. „Verdammt, Ma!“

„Ich weiß, es tut mir leid, dass ich dich all die Jahre belogen habe, aber dein Wohl lag mir am Herzen. Du warst das Einzige, was mir von ihm geblieben ist. Du musst mir versprechen, ihn nicht zu suchen, bitte!“

Jamie Lee trat mit dem Fuß gegen das Bett. „Verdammt!“

Der Polizist vor der Tür blickte durch die Glasscheibe ins Zimmer, als er Geräusche hörte.

„Warum sagst du es mir dann überhaupt?“

Ihre großen braunen Augen blickten sie wehmütig an. „Weil ich nicht mit einer Lüge sterben will, deswegen. Es ist dein recht zu erfahren, wer dein leiblicher Vater ist, mein Schatz.“

Jamie fuhr sich durchs Haar, setzte sich wieder und lächelte schwach. „Wie ist er denn so … so gewesen?“

Ihr verzerrtes Gesicht hellte sich schlagartig auf und ihre Augen bekamen einen Glanz. „Charmant, er hat mich nie zu etwas gedrängt … er liebte mich und es brach ihm das Herz, dass ich ihn fortschickte. Mein … mein Schatz, du bist … bist genau wie er …“ Plötzlich verstummte Anne und kippte stumpf in die Kissen zurück.

Ein greller Piepton erklang und Jamie schreckte zusammen. Der Polizist kam ins Zimmer, gefolgt von Schwestern, die sofort zur Anlage stürmten. „Schnell! Sie kollabiert!“

Jamie beugte sich zu ihrer Mutter und nahm die Hand.

„Ma, ich liebe dich und ich bin dir nicht böse. Bleib bei mir, bitte, du darfst nicht sterben! Lass mich nicht allein!“

Die Augen ihrer Mutter begannen zu flackern, ihr Händedruck wurde stärker. „Bitte Jamie, du musst mir versprechen, es niemanden zu sagen … ich habe ihn wirklich geliebt, wie ich dich liebe …“ Ihre Augen blieben abrupt stehen, ihr Händedruck erschlaffte schlagartig.

Zwei Ärzte schoben Jamie Lee beiseite und hantierten an den Geräten herum. „Schnell, ich brauche den Defibrillator!“

Jamie starrte geschockt auf das hektische Geschehen. Ihre Mutter war gestorben und ihr leiblicher Vater geboren. Obwohl sie es ihrer Mutter versprochen hatte, wollte sie diesen John Parker kennenlernen. Sie blickte sich um, der Polizist, der sie eigentlich wieder aufs Revier bringen sollte, war durch die Situation abgelenkt und vergaß Jamie. Sie nutzte die Gelegenheit und flüchtete zu Jason.

2. Kapitel


„Ich muss mit dir sprechen.“ Jamie Lee schob Jason einfach beiseite und marschierte ins Zimmer.

„Na super, es ist ja auch nur mitten in der Nacht“, säuselte Jason verschlafen und kratzte sich am Hinterkopf. „Wie bist du eigentlich ins Internat gekommen? Weinst du?“ Er hatte in dem einen Jahr, in dem er jetzt mit ihr befreundet war, Jamie Lee nicht einmal weinen gesehen. Eigentlich blutete sie immer aus ihrer hübschen Nase und sie hatte öfter ein blaues Auge gehabt oder sonst was für Blessuren. Aber weinen?

Jamie Lee ließ sich aufs Bett fallen und schniefte.

Jason seufzte und zog sich den Schreibtischstuhl heran. „Hey? Was ist denn passiert?“

Jamie Lee begann ihm alles unter Tränen zu erzählen.

„Hier.“ Er reichte ihr, wie schon so oft, eine Packung Taschentücher. „Das mit deiner Mutter tut mir leid.“

Jamie Lee schnäuzte wie ein röhrender Elefant ins Taschentuch. „Und dann erzählt sie mir auch noch, kurz bevor sie … bevor sie stirbt, dass mein leiblicher Vater lebt und beim MI6 arbeitet.“

Jason starrte sie aus seinen braunen Augen an und lachte ganz kurz. „Dein leiblicher Vater ist MI6 Agent? Ich dachte, er ist bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.“

„Ja, das dachte ich auch, bis gerade, als meine Mutter mir erzählt hat, dass das alles eine Lüge war. Du musst dich in den MI6 PC hacken. Ich muss unbedingt herausfinden, wer John Parker ist.“

„Weißt du eigentlich, was du von mir verlangst? Das ist nicht irgendein PC, sondern der des britischen Geheimdienstes. Die haben Firewalls, Spione, Mauern, Grenzen, was weiß ich noch! Wenn ich da einbreche, sind die innerhalb von zehn Minuten vor der Haustür“, berichtete Jason aufgeregt.

Jamie lächelte ihn bittend an. „Na, dann hoffe ich, dass du ganz fix deine Koffer packen kannst, damit wir schnell abhauen können.“

„Du meinst es wirklich ernst?“, seufzte er.

„Ich will wissen, wer mein leiblicher Vater ist, los mach jetzt“, drängte sie ihn und der Schmerz, der ihr Herz beherrschte, wurde durch ihre Neugier verdrängt.


Nach einer Stunde jubelte Jason und klatschte in die Hände. „Darf ich dir deinen Vater präsentieren, Mister Commander John Parker. Wohnhaft in London.“

Jamie näherte sich dem Bildschirm. Ihr Herz überschlug sich fast. Oh Gott, ihre Mutter hatte recht. John Parker und sie hatten wirklich Ähnlichkeit miteinander. „ Das ist mein Vater?“

„Oh, oh!“, stöhnte Jason.

„Was oh, oh? Warum lösen sich die Bilder auf!“, rief Jamie.

Er tippte flink auf den Tasten umher. „Los! Schau aus dem Fenster. Sobald du was siehst, sag mir Bescheid. Verdammt, sie haben uns aufgespürt. Ich hab dir doch gesagt, der MI6 lässt nicht mit sich spaßen. Los, geh ans Fenster!“, befahl er mit panischer Stimme.

Sie stand abrupt auf und sah zum Internatsvorplatz hinunter. Der Radiowecker zeigte in roten Zahlen an, dass es 03.33Uhr war. Es war alles still, nichts zu sehen. „Da ist nichts! Du siehst eindeutig zu viele Krimis.“

Jason sah sie plötzlich so komisch an, dann lachte er schallend los. „Ah, reingelegt!“

Jamie haute ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. „Du Blödmann! Mir so einen Schrecken einzujagen!“

Er schmunzelte und tippte immer noch fleißig auf der Laptoptastatur umher.


***

Inzwischen war Jason im Sessel eingeschlafen und Jamie lag auf seinem Bett. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Die roten Zahlen zeigten 04.44Uhr an. Jason röchelte laut und wand sich unruhig im Sessel umher.

Jamie Lee stand auf und stellte sich ans Fenster. Ihre Mutter war gestorben. Oh Gott, sie musste zurück ins Internat, sicherlich wurde sie bereits von der Polizei gesucht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Beamten hier beim Jungeninternat auftauchen würden. Es war bekannt, dass sie und Jason befreundet waren. Außerdem musste sie sich um die Beerdigung kümmern. Danach würde sie den Kopf frei haben und nach ihrem neuen Vater suchen. Neuer Vater? Hm … klang sehr seltsam. Neuer Vater. Sie kannte ja noch nicht einmal das Gefühl von einem ganz normalen, alten Vater. Ihre Mutter hatte einige Beziehungen gehabt, doch diese waren nie von langer Dauer gewesen und sie selbst war stetig in Internaten. Wenn es Zeugnisse gab, Elternsprechtage anstanden, oder eine Schulaufführung stattgefunden hatte, erschien ihre Mutter stets in Begleitung ihrer Großeltern. Niemals war ein Partner dabei.

Als die Ärzte bei ihrer Mutter Krebs festgestellt hatten, war Anne näher zum Internat gezogen. Jamie Lee hatte oft die Wochenenden bei ihr verbracht und war sonntags abends wieder zurück zur Schule gefahren. Dass es plötzlich mit ihrer Mutter zu Ende gegangen war, war ein Schock, besonders weil es vor ein paar Tagen noch vom Arzt geheißen hatte, dass es ihrer Mutter wesentlich besser ging und die Chemotherapie gut angeschlagen hatte. So schnell konnte sich das Blatt wenden. Sie seufzte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie wollte nicht weinen.

Jamie Lee stutzte, als plötzlich zwei schwarze Vans vorm Internatstor stehen blieben. Sie warf einen Blick auf den Radiowecker. 04.46Uhr, wer kam denn jetzt noch hierher? Das war nicht die hiesige Polizei, es waren keine Streifenwagen.

Nach einigen Sekunden öffnete sich das Gattertor und die Fahrzeuge fuhren hindurch. Jamie entdeckte, dass mehrere Männer ausstiegen, und bei einem konnte sie eine Waffe im Halfter sehen, da er sich eine Jacke überzog.

„Oh … oh …“ Jamie rüttelte Jason wach. „Jason! Los! Du hast recht! Sie sind hier!“

Er öffnete die Augen und schreckte hoch. „Was ist los! Wer ist hier?“

„Der MI6 ist hier! Oder was weiß ich wer! Die haben sogar Waffen!“, quiekte sie.

Wie von der Hornisse gestochen schoss er aus dem Sessel, als er das Wort Waffe vernahm, eilte zum Fenster und sah die beiden Wagen. „Das kann nicht der MI6 sein, denn ich war nicht auf dem Rechner vom MI6.“

Sie sah ihn fragend an. „Ach, und auf welchem Rechner warst du dann?“

„Du hast mir erzählt, John Parker war bei der Royale Navy, da habe ich auf den ihren Rechnern rumgestöbert und die Daten gefunden. Anscheinend bekommt der MI6 sofort Nachricht, falls einer deinen Parker anklickt. Was weiß ich?“ Jason packte den Laptop in den Rucksack und schnappte sich seine Jacke.

Sie lachte unsicher. „Hey, du hast gesagt sie finden uns in zehn Minuten.“

Er blieb vor ihr stehen und zog eine Braue hoch. „Tja, da haben sie diesmal wohl eine Stunde für gebraucht.“

„Und jetzt?“

„Und jetzt? Heißt es schnell weg!“

Sie hielt ihn am Arm zurück. „Wissen sie, dass du es warst?“

„Nein, aber es ist eine Frage der Zeit, bis sie es

herausfinden. Hm? Wie viele PC-Freaks gibt es wohl in dieser Schule? Und ich habe keine Lust, Bekanntschaft mit deren Waffen zu machen, also komm!“

Jamie Lee verdrehte die Augen und seufzte. Na prima, in was war sie denn jetzt schon wieder geraten? Sie folgte Jason.


Der Rektor öffnete verschlafen die Tür. „Wer sind Sie und was wollen Sie mitten in der Nacht?“

Der Mann zog einen Ausweis hervor. „Deacan Suffer, MI6. Bitte entschuldigen Sie die nächtliche Störung, aber jemand hat heute Nacht wichtige, geheime Informationen abgerufen und die Spur führt zu diesem Internat.“

„Hierher? Ach, da muss aber ein Fehler vorliegen. Unsere Jungs mögen wohl Computerspiele spielen, aber beim MI6 … also ich glaube nicht.“

George, der Rektor, wurde einfach beiseitegeschoben.

„Haben Sie vielleicht einen Computerspezialisten unter den Jungs?“

Ein Lehrer hatte sich zu ihnen gesellt und die Frage

mitbekommen. „Ja, Jason Doc. Er ist der beste Schüler hier.“

George warf ihm einen fragenden Blick zu. „Jason Doc?“ Der Junge kam ihm immer recht still und schüchtern vor. Er lebte die meiste Zeit zurückgezogen in seinem Zimmer.

Deacan Suffer trat breit grinsend zum Lehrer. „Ah, das hört sich schon gut an. Und? Wo finden wir diesen Jason Doc?“

George zog den Bademantelgürtel fester. „Ich bringe Sie zu ihm, aber sein Sie versichert, es muss sich um ein Missverständnis handeln. Der Junge ist erst achtzehn Jahre alt.“

Deacan Suffer seufzte und folgte dem Rektor mit seinen Männern. „Sie werden mir nicht glauben, aber wir haben schon einen Neunjährigen dabei erwischt, wie der die Geheimcodes von Atomsprengkörper entschlüsselt hat.“

„Oh“, brachte George leise hervor.


Jason lugte auf den Flur. „Los, komm.“

Die beiden flitzten über den Gang und blieben stehen, als sie Stimmen hörten und das Licht anging.

„Mist! Sie haben es herausgefunden“, fluchte Jason und zog Jamie hinter sich her.

„So schnell?“, fragte sie verwundert.

„Hallo? Ich glaube du hast keine Ahnung, wer der

MI6 ist!“

„So langsam komme ich dahinter.“

Sie rannten den Flur entlang und nahmen die Feuertreppe nach unten zum Innenhof.


George zeigte ihnen die Zimmertür von Jason Doc und erschrak, als die Männer plötzlich Waffen hervorzogen.

„Was? Was sollen die Waffen? Er ist doch noch ein Junge!“

Einer der Männer schubste George brutal zurück. Die Tür wurde aufgerissen und die Männer stürmten in den Raum. „Er ist weg!“

Deacans Blick huschte durch den Raum und er sah, dass eine Person im Bett gelegen haben musste und eine zweite im Sessel. „Und er war sicherlich nicht allein.“


„Was hast du vor?“, fragte Jamie außer Atem, als sie den Hof erreicht hatten.

„Na zu fliehen, ich habe keinen Bock auf den MI6.“ Er steuerte auf die Garagen zu. „Das habe ich alles dir zu verdanken!“

„Toll, danke … meine Mutter ist gestorben. Ich habe erfahren dass mein wahrer Vater noch lebt, und nun gibst du mir die Schuld“, jammerte sie.

Jason seufzte. „Schon gut, schon gut. Dein Dad muss ein hohes Tier beim MI6 sein, sonst schicken die kein Team raus.“ Er öffnete die Garagentüren und warf ihr einen Schlüssel zu. „Hier, du fährst!“


Deacan Suffer blickte zufällig aus dem Fenster und sah ein offenes Garagentor. „Hat Jason einen eigenen Wagen?“

„Ja, von seinem Vater geschenkt bekommen. Warum?“

„Scheiße! Er haut ab! Los, Jungs, hinterher!“, befahl Deacan seinen Leuten und diese eilten zu den Vans.


Jamie atmete laut aus. „Oh Mann, das war knapp!“

Jason blickte in den Seitenspiegel. „Ich glaube, es bleibt auch knapp.“

„Okay, dann eben zwei Rennen an einem Abend. Schnall dich an.“ Sie zwinkerte ihm zu und nahm die erste Kurve haarscharf. „Warum hast du mir nie gesagt, dass du einen Porsche hast?“

Er warf ihr einen warnenden Blick zu. „Damit du ihn nicht zu Schrott fährst. So wie all die anderen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sandra Eckervogt
Bildmaterialien: Bildmaterial: © Vivian Tan Ai Hua – Gemma Civitas; Covergestaltung: Vivian Tan Ai Hua
Lektorat: Stephanie Miller
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2015
ISBN: 978-3-7396-1437-3

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /