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DIE KLEINE KOKOSNUSS

..sie wollte immer erwachsen sein..

 

Auf einer kleinen Insel standen nahe des Strandes einmal einige Palmen, an denen lauter große, braune Kokosnüsse hingen. Jeden Tag kamen ein paar Menschen vorbei und pflückten einige von ihnen, die sie dann in einem kleinen Wagen aus Holz legten und hinter sich her zogen, wenn sie wieder gingen. Eine kleine Kokosnuss, die an einer der äußeren Palmen hin, hatte es dabei besonders eilig. Ihre Freunde waren längst von ihrer Palme geschüttelt worden und so hing sie nur noch einsam und allein herum und langweilte sich.

„Was gäbe ich dafür, auch mitgenommen zu werden“, sagte sie, als die Menschen eines Morgens wieder gekommen waren, sie jedoch nicht zu den anderen Kokosnüssen in den Wagen gelegt hatten.

„Glaub mir, das möchtest du gar nicht“, säuselte jedoch der Wind, der gerade als leichte Brise über den Strand wehte. „Ich komme viel herum, ich habe gesehen, was die Menschen mit den Kokosnüssen machen. Sei froh, so lange sie dich nicht mitnehmen. Genieße deine Kindheit.“

Doch die kleine Kokosnuss sah ihn nur empört an. „Aber die Menschen sind doch nicht böse! Alle dürfen eine Reise unternehmen, selbst du hast gerade zugegeben, dass du viel herumkommst. Nur ich bin zu klein, niemand nimmt mich mit.“

Die sanfte Brise lachte. „Ach, was bist du naiv. Irgendwann, wenn du älter und größer bist, werden sie dich mitnehmen. Und dann wirst du an meine Worte denken.“

Doch die Kokosnuss hatte längst aufgehört, dem Wind zuzuhören. Sie träumte lieber davon, die Welt zu sehen. Das war ihr größter Traum, sie wollte nicht länger an diese kleine Insel, an diesen einsamen Strand und die Palme gebunden sein. Und sie wollte nicht länger warten – sie brauchte einen Plan.

 

Am nächsten Tag, als die Menschen wieder kamen und der Wind viel fester wehte als Tags zuvor, packte sie die Gelegenheit am Schopf. Sie bewegte sich im Wind, wackelte und rüttelte, damit ihre Palme sie losließ. „Bleib ruhig, so stark ist der Wind doch gar nicht“, befahl diese. „Ich will dich doch nur beschützen, bis du größer bist. Ein wenig Geduld noch, meine kleine Kokosnuss.“

Doch die hörte natürlich nicht, sie war eine richtige Dicknuss. Wie sollte es auch anders sein, bei so einer dicken Schale? Sie wollte ihr Ziel erreichen – und das würde sie auch. Also rüttelte sie weiter an ihrer Verbindung zur Palme, bis es der schließlich zu bunt wurde. „Bitte, dann sieh doch, was du davon hast“, brummte die missmutig und ließ sie fallen.

Der Aufprall war trotz dem Sand, in dem sie landete, hart, aber die kleine Kokosnuss war darauf vorbereitet. Der Sand fühlte sich ganz körnig an, es war ganz anders, als immer nur in der Luft herumzuhängen. Aber er war auch sehr heiß. Umso mehr freute sie sich, als in diesem Moment ein Mann immer näher auf sie zu kam – und noch näher – und noch näher – und achtlos über sie stieg.

Empört sah die kleine Kokosnuss ihm nach, aber drehte sich nicht um. Und als sie ihn wütend anschrie, antwortete er nicht. Im Gegenteil, er packte nur einige große Nüsse auf seinen Holzwagen und rollte ihn dann davon – weg von der kleinen Kokosnuss. Allmählich bekam sie es mit der Angst zu tun. Was sollte sie denn jetzt tun? Sie konnte doch nicht bis in alle Ewigkeit hier liegen bleiben!

„Ach bitte, liebe Palme, nimm mich wieder bei dir auf!“, bat sie also höflich. Doch die raschelte nur mit ihren langen, grünen Blättern. „Das geht jetzt nicht mehr, das hättest du dir vorher überlegen müssen. Es tut mir leid, meine Kleine.“ Und auch der Wind wollte nichts für sie tun. Vielleicht konnte er es auch nicht. Eigentlich war es der kleinen Kokosnuss egal, sie wollte nur wissen, was sie nun tun sollte. Bis sie sich daran erinnerte, dass die Menschen ja jeden Morgen kamen. Bestimmt würde am nächsten Tag mitgenommen werden. Und bestimmt würden sie sie dann auch in Wasser legen, denn die Trockenheit des Sandes machte ihr schon jetzt zu schaffen. Beruhigt grub sie sich tiefer in den Sand. Es würde schon alles gut werden.

 

Doch bevor es wieder morgen wurde, sah sie einen großen Schatten auf sie zu kommen. Ein Vogel! Ängstlich wollte die Kokosnuss sich verstecken, aber sie lag offen im Sand, konnte nicht einmal mehr näher an die Palme heran rücken. Der Vogel landete nicht, aber nahm sie zwischen seine Krallen und trug sie fort. Die Angst der kleinen Kokosnuss war sofort wie weggeblasen. Sie lachte und genoss das Gefühl zu fliegen. Zumindest, bis sie feststellte, dass sie sich längst über dem Meer befanden. So viel Wasser! Zwar sehnte die Kokosnuss sich nach Wasser … aber das sah sehr tief aus. Und die Palme hatte immer gesagt, Salzwasser sei nicht gut. Nicht gerade beruhigend – erst recht nicht, als der Vogel, der sie trug, sie plötzlich fallen ließ und sie auf die blaue Oberfläche stürzte. Sie tauchte tief ein und begann voller Panik zu schreien. Doch die vielen, bunten Fische um sie herum sahen sie nur an, klappten den Mund auf und zu und schwammen weiter. Die Kokosnuss starrte ihnen nach, bis sie sie plötzlich nicht mehr sehen konnte, weil sie wieder an der Oberfläche angekommen war. Sie konnte schwimmen! Warum nur hatte ihr das bisher niemand erzählt? Nicht mal der Wind, der sonst so viel zu berichten wusste, hatte das erwähnt. Vergnügt trieb sie durch das Wasser und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer braunen Schale, bis irgendjemand sie aus dem Wasser hob. Kurz darauf lag sie auf nassem Holz – ein Fischerboot! Neugierig sah sie sich um. Da lagen Fischernetz, Angel und ein alter Mann mit grauen Haaren und einem langen Bart, der auf einem Eimer saß, musterte sie aus blauen Augen. „Eine Kokosnuss, mitten auf dem Meer!“, sagte er. „Du kommst gerade recht, ich hatte heute noch kein Mittagessen!“

Erschrocken sah die Kokosnuss die Hände an, die sich ihr näherten – eine von ihnen hielt einen spitzen Stein in der Hand. Der Mann wollte doch nicht etwa … aber hatte der Wind nicht gesagt, dass die Menschen böse waren? Plötzlich hatte die kleine Kokosnuss es ganz eilig, von dem alten Mann wegzukommen. Sie nutzte den Wellengang aus, ließ sich davon rollen und kippte über den Rand des Bootes zurück in den Ozean, wo sie sich sofort bemühte, so weit wie möglich vom Boot weg zu kommen. Das war ja gerade nochmal gut gegangen!

 

So trieb die Kokosnuss wieder alleine auf der Oberfäche des Wassers. Allmählich wurde ihr wieder langweilig. Das war genau wie auf der blöde Insel – es war immer nur das gleiche zu sehen. Blauer Himmel und jetzt eben das Wasser und Wellen und Boote anstatt von Sand und Palmen und Kokosnüssen. So konnte das nicht weitergehen!

Bis endlich wieder etwas anderes passierte, dauerte es jedoch noch sehr lange. Erst Tage später wurde sie in einem Hafen angespült. Aber da gab es plötzlich viel zu sehen! Große, ja riesige Schiffe, Menschen, die Kisten voller Obst und Gemüse darauf trugen und verschlossene Kisten, dass die Kokosnuss ganz neugierig wurde, was darin war. Sie hatte noch lange nicht alles genau angeschaut und betrachtet, als eine Frau mit dunkelroten Haare und Brillen sie aus dem Schlamm hob, in dem sie gerade lag, vorsichtig säuberte und in einen geflochtenen Korb legte, neben besonders geformte Muscheln, Seetang und bunte Steine. Die Frau trug den Korb mit der kleinen Kokosnuss einige Straßen weit, dann ging sie in einen kleinen Laden und legte sie auf ein Brett eines Regals. Die Kokosnuss war in einem Souvenierladen, einem Shop mit lauter Andenken vom Meer gelandet! Das war schon viel mehr ein Abenteuer nach dem Geschmack der kleinen Kokosnuss. Würde sie jemand kaufen?

 

Ein kleines Mädchen mit wippenden, schwarzen Zöpfen und lächelndem Gesicht nahm sie schließlich mit. „Mama, die will ich haben!“, hatte sie gesagt. Die Mutter hatte geseufzt und nur gemeint, dass eine Kokosnuss viel zu viel Platz in ihrem Zimmer wegnehmen würde. Aber sie hatte sie gekauft und nun lag die kleine Kokosnuss im Arm des kleinen Mädchens, das fröhlich über die Pflastersteine der Straßen sprang. Und hin und her und über einen größeren Stein – und da, da war ein Spielplatz! Das Mädchen drückte die Kokosnuss in die Hand der Mutter und rannte fröhlich auf eine der Schaukeln zu, während die Mutter sich auf eine Bank setzte und zusah – ebenso wie die kleine Kokosnuss. Sie mochte dieses Mädchen. Vielleicht würde es ihr die Welt zeigen! Oder zumindest ihr Zimmer, ihr Haus, ihr Garten. Der Wind auf ihrer Insel hatte der kleinen Kokosnuss immer erzählt, dass Menschen so etwas hatten. Er machte sich einen Spaß daraus, um sie herum zu wehen und Töne zu machen, die die Menschen in ihren Häusern hören könnten. Und manchmal, wenn er wütend war, dann wehte er besonders fest, bis die Dachziegel von den Häusern fielen. Die kleine Kokosnuss hatte jetzt bereits eine Menge dieser Häuser gesehen, hier in der Stadt gab es so viele davon! Aber er wollte das sehen, in dem das Mädchen wohnte.

Doch es kam nicht dazu. Als die Mutter nach dem Mädchen rief, kam es angerannt und die beiden gingen Hand in Hand davon – während die Kokosnuss achtlos auf der Bank liegen blieb. Traurig sah sie ihnen nach, aber sie kamen nicht zurück. Sie hatten sie einfach vergessen.

 

Dafür packte ein Mann in einem blauen Overall sie einige Stunden später. Viel gröber als das kleine Mädchen und seine Mutter. Seine Hände waren rau und unangenehm. Trotzdem war die kleine Kokosnuss froh, wieder Gesellschaft zu haben und nicht länger allein zu sein. Und, noch wichtiger, weiter zu kommen! Sie wollte noch mehr sehen, noch mehr Neues entdecken und kennenlernen.

Der Mann trug sie nicht weit, in der nächsten Straße stand ein Lastwagen voller verschlossener Kisten, genau wie die, die die Menschen im Hafen auf die Schiffe verladen hatten. Was wohl darin war? Der Mann öffnete eine davon und legte die kleine Kokosnuss hinein, bevor er sie wieder verschloss und alles um die Kokosnuss herum dunkel wurde. Aber sie wusste jetzt, wo sie war – in einer Kiste voller anderer Kokosnüsse! Aufgeregt begrüßte die kleine Kokosnuss ihre Artgenossen – und sofort redeten alle durcheinander.

„Wisst ihr wo es hingeht?“

„Ich hab gesehen, wie sie solche Kisten auf ein großes Schiff getragen haben!“, meldete sie sich selbst zu Wort.

„Vielleicht machen wir eine Weltreise!“

„Und wenn sie uns verkaufen? Als Speise?“

„Ich will hier nicht weg! Ich will nach Hause. Mamaaa!“, schluchzte eine besonders kleine Kokosnuss. Sie schien ganz anderes zu sein, wie die Kokosnuss, die ganz oben lag und immer nur von zu Hause weg wollte.

„Sie das doch positiv, das wird bestimmt super!“, versuchte sie die Kleine zu trösten. Sie selbst freute sich unglaublich. Nun würde sie wirklich die Welt sehen! Und das zusammen mit lauter anderen Kokosnüssen! Besser hätte es nicht laufen können.

 

Aber wieder kam wieder alles anders gedacht. Die kleine Kokosnuss schien von einer richtigen Pechsträhne verfolgt zu sein, seid ihre Palme sie fallen gelassen hatte und sie im heißen Sand gelandet war. Es rumpelte, als der Lastwagen losfuhr und die Kokosnüsse polterten gegen einander – und dann ertönte plötzlich ein lauter Knall und sie schlugen Purzelbäume. Ein paar Kokosnüsse lachten, die anderen kreischten und drängten sich aneinander, aber es half nichts, es schleuderte die Kiste in die Luft und sie kam so fest auf dem Boden auf, dass sie aufsprang und die Kokosnüsse in lauter verschiedene Richtungen davonrollten. Ein Blick zurück zeigte der kleinen Kokosnuss, was passiert war. Ein Unfall! Der Lastwagen war in ein anderes Auto verkeilt, das viel kleiner war. Die Kokosnuss hätte gerne noch mehr gesehen, aber sie kullerte einen Berg hinab und konnte nicht anhalten, nur nach vorne sehen und hoffen, dass sie heil ankam, wo auch immer sie hin rollte. Und das tat sie auch, allerdings erst, nachdem sie gegen verschiedene Ecken geprallt war, die Richtung gewechselt hatte und schließlich über eine Klippe stürzte, während die anderen Kokosnüsse weiter die Straße hinab rollten. Wieder landete die kleine Kokosnuss im Meer. Doch diesmal war sie nicht glücklich, als sie wieder an der Oberfläche trieb und die heißen Sonnenstrahlen sah. Schon wieder war sie allein! Dabei hatte sie gerade so viele neue Freunde gewonnen. Hoffentlich war die junge Kokosnuss, die so Heimweh hatte, noch heil und sicher.

Gedankenverloren trieb die Kokosnuss wieder tagelang durch das Wasser, zählte Minuten und Sekunden und langweilte sich.

 

Irgendwann passierte doch wieder was. Sie spürte, wie die Wellen sie irgendwo anspülten. Ein Strand! Sie spürte wieder die Sandkörner unter ihrer harten Schale. Endlich, ein neues Abenteuer. Die kleine Kokosnuss ließ sich immer weiter auf den Strand spülen, grub sich in den feuchten Sand und wartete, bis die Flut weg war und Ebbe wurde. Als es soweit war, trocknete langsam der Sand unter ihrem Körper und sie sackte immer tiefer in den Untergrund. Um sie herum war alles dunkel und sie war schon halb vertrocknet, als sie spürte, wie kühle Flüssigkeit über sie lief. Kein Salzwasser, Süßwasser! Jetzt wusste die kleine Kokosnuss, was die Palme immer gemeint hatte, das Wasser fühlte sich viel besser an, sie konnte sogar Nährstoffe daraus ziehen. Sofort ging es ihr viel besser. Aber sie war alleine, so alleine. Sie wollte reisen, und es hatte gefallen. Aber sie hatte keinen konstanten Begleiter gehabt, alle hatten sie früher oder später verlassen, nicht mal mit ihr gesprochen hatten die meisten. Erst die anderen Kokosnüsse in der Kiste hatten sie daran erinnert, wie es war, mit anderen zusammen zu sein … und dass es eigentlich ganz schön war, andere Kokosnüsse zu haben, denen es ähnlich wie einem selbst ging.

 

Traurig blieb die kleine Kokosnuss also in ihrem dunklen Loch genoss nur hin und wieder das kühle Nass, wenn das Süßwasser sie besuchte. Sonst sah sie nie jemanden. Sie kam sich schon ganz nutzlos vor, bis sie eines Tages feststellte, das sie wuchs! Und sie wurde nicht nur größer, so wie früher, als sie noch an der Palme hing – sie trieb! Sofort war die kleine Kokosnuss Feuer und Flamme und tat was sie konnte, um den Vorgang zu beschleunigen. Und tatsächlich, irgendwann erreichte sie die Oberfläche. Es hatte lang gedauert, aber jetzt konnte sie wieder sehen. Und nicht nur das, sie würde ihre eigene kleine Palme werden. Eigene Kokosnüsse tragen. Es würde noch dauern, aber sie würde bald nicht mehr allein sein. Zufrieden genoss sie den Wind, der über sie fuhr.

„So, so, du hast es also tatsächlich geschafft, kleine Kokosnuss. Hast die Menschen gesehen und bist doch zurückgekommen“, säuselte er. „War so eine Reise nötig, damit dir die Augen geöffnet werden?“

Die kleine Kokosnuss, die inzwischen gewachsen und eine kleine Palme mit einem braunen Stamm und grünen Blättern war, riss die Augen auf.
„Wind?“, fragte sie erfreut. „Bist du das?“

„Ja, aber sicher“, brummte der. „Wer denn sonst?“

„Aber … du meinst, ich bin wirklich zurück? Zurück, auf der Insel?“

Vor Freude konnte sie kaum an sich halten und zwirbelte ihre Blätter im Wind.

„Natürlich! Hast du dich denn noch nicht umgesehen?“, fragte der Wind lachend und zog weiter.

Die kleine Palme jedoch streckte aufgeregt ihre kleinen Wurzeln aus, soweit sie konnte, bis sie die deutlich dickeren Wurzeln einer anderen berührte. Sie kamen ihr seltsam bekannt vor, obwohl sie noch nie andere Wurzen berührt hatte, da war sie sich sicher. Daran würde sie sich erinnern.

„Hallo?“, fragte sie schüchtern. „Wer bist du denn?“

Die fremden Wurzeln erstarrten kurz, dann stupsten sie sie zunächst vorsichtig und schließlich freundlich an.

„Kleine Kokosnuss?“

„Mama!“, rief die kleine Palme, hob ihre Blätter in den Wind und grub die Wurzeln tief in den Sand.

Sie war zuhause.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.04.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für all jene Menschen, die sich als Kind immer eine Gutenachtgeschichte gewünscht, aber nie eine gehört haben. Und für meinen Vater, in dessen Geschichten immer eine Kokosnuss vorkam.

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