Epilog
Wabernd zog der Nebel durch die engen Gassen des Hafenviertels. Irgendwo klapperte ein loser Fensterladen. Ein hohes Frauenlachen drang durch das erleuchtete Fenster einer Spelunke, wurde kurz lauter als sich die Tür des zwielichtigen Etablissments öffnete und zwei mehr oder weniger betrunkene Gestalten ins Freie taumelten.
In einem schmalen Hauseingang gegenüber kauerte eine kleine Gestalt und verschmolz gekonnt mit der Dunkelheit. Ein genauerer Blick würde offenbaren das sich die Nebel um sie zusammen zogen, sie umhüllten wie die schützende Umarmung einer Mutter. Ein dunkler Umhang verhinderte das Aufblitzen des unnatürlich weißen Gesichts, die Kapuze tief über die klaren grauen Augen gezogen. Mit einem grimmigen Lächeln erhob sich die Gestalt und taumelte mehr als sie ging auf den Eingang zu. Schwer legte sich die Hand auf den Türgriff, tiefes angespanntes Einatmen begleitete das knarrende Geräusch der sich öffnenden Schankhaustür.
Rauch und tausenderlei Gerüche schlugen der Gestalt entgegen als sie sich vorsichtig durch die Gäste zum Tresen vorarbeitete. Der Wirt sortierte gerade frische Bierhumpen in das Regal dahinter als ihn eine sanft grollende Stimme herumfahren ließ.
"Hallo Vater, lange nicht gesehen," sagte die Gestalt. Die Zeit schien sich zu dehnen und das Gefühl der Unwirklichkeit stellte sich beim Schankwirt ein. Das konnte nicht sein, durfte nicht sein. So lange hatte er vor diesem Augenblick Angst gehabt, davon geträumt und darauf gehofft. Aber dann kam die Dunkelheit und mit ihr der Nebel und alles was der weise Alte bei der Geburt vorhergesagt hatte trat ein. Da wusste der Wirt das dies den Tod bedeutete und begrub seine Hoffnung in dem leeren Grab auf dem Firedhof außerhalb der Mauern. Und doch hörte er sie, die Stimme die sein Herz zum singen und zum verzweifeln brachte. Wie konnte das sein ?
Mit einer unglaublichen Kraftanstrengung drehte er sich der Stimme entgegen, bangte das es wirklich wahr sein könnte, hoffte das es nur ein mißverstandes Gespräch zwischen zwei Gästen hinter ihm war. Seine Augen erfassten lange vor seinem Verstand das die Realität weit erschreckender war als alle Vorstellungen die er gehabt haben könnte. Dort stand
"Liaryn...". Ohne sich dessen bewusst zu sein hatte er den Namen benutzt den der Alte am Tag der Geburt genannt hatte. Seine Frau hatte auf einem anderen Namen für das Baby bestanden und er hatte nachgegeben, gehofft das mit dem neuen Namen vielleicht auch dessen Omen verschwanden. Dann starb seine Frau und die ersten Mönche kamen. Lange Zeit hatte er ihnen wiederstanden, hatte geleugnet was andere ihm zutrugen. Es war doch sein Kind, sein Fleisch und Blut. Aber irgendwann war die Prophezeihung nicht mehr zu leugnen. Die Opfer zu offensichtlich. Er machte sich schweren Herzens auf den Weg, wanderte viele Tage durchs Land und brachte am Ende der Reise sein Kind als Opfer den Mönchen dar um dem Ganzen ein Ende zu setzen und zumindest den schlimmsten teil der Offenbahrung durch den weisen Alten zu verhindern. Doch nun stand sie hier. Trotz der geringen Körpergröße und der kindlichen Gestalt strahlte sie eine Präsenz aus die ihm die Luft zum atmen nahm.
"Vater ? Wir müssen reden, allein." Da erst bemerkte er den üblichen Lärm in der Taverne, die Geräusche und Gerüche kehrten mit einem Schlag in sein Bewusstsein zurück und er zuckte zusammen als hätte sie ihn geschlagen.
"Ja," sagte er leise, "lass uns hoch in eines der Gästezimmer gehen."
Innerlich schrie er sie an sie solle verschwinden, sie dürfte gar nicht mehr da sein, er hatte sie doch begraben nachdem die Mönche ihm von ihrem Tod berichtet hatten. Sein Körper aber drehte sich herum, erklomm die Stufen zum ersten Stock und öffnete die erstbeste Tür auf der linken Seite. Mit einer Geste ließ er ihr den Vortritt und schloß die Tür als sie beide in dem schmalen Gemach standen, dass normalerweise für Durchreisende gedacht war. Sie setzte sich auf den Stuhl der vor einem in die Jahre gekommenen Tisch stand der den Gästen als Schreibpult dienen sollte. Mit einem schweren Seufzen, als läge alle Last der Welt genau in diesem Augenblick auf seinen Schultern, ließ er sich auf das Bett fallen. Morgen würde Arlane ihn schelten das er ihr doppelte Arbeit bereite, da sie dieses Zimmer erst vor wenigen Stunden sauber gemacht und das Bett frisch bezogen hatte. Mit einem Kopfschütteln kehrte er ins Jetzt zurück, was immer Arlane tun oder sagen sollte wenn sie die Unordnung bemerkte war im Moment unwichtig, wichtig allein in diesem Augenblick war Liaryn.
"Du lebst," war alles was er heraus bekam.
"Dachtest du wirklich die Mönche würden mich töten ? Sie wissen um die Prophezeihung und um die Macht die damit verbunden ist, sie wollten sie für sich nutzen," antworte sie ihm in spöttischen Tonfall, "sie haben geglaubt sie wären stark genug sie zu wandeln, aber sie haben sich überschätzt." Lachend warf sie den Kopf hoch.
Ein kalter Schauer lief über seinen Körper, aus dem Mund eines Kindes ein Lachen zu hören das so unschuldig und zugleich so endgültig klang war ein Schock. Er wusste um die Worte der Prohezeihung, trotzdem konnte er das KInd, sein Kind, das dort vor ihm saß nicht als etwas anderes sehen als die Frucht der Liebe zwischen seiner verstorbenen Frau und ihm. Wie konnte eine so reine, einzigartige Liebe solch ein Wesen zeugen, sein Herz weigerte sich ihm diese Frage zu beantworten und so saß er einfach da und wartete.
Als der Morgen graute und die Nebel sich lichteten betrat eine Magd das Zimmer auf der suche nach dem Wirt. SIe fand ein zerwühltes Bett vor, wollte sich schon umdrehen und den Raum verlassen um an anderer Stelle weiter zu suchen als sie die Feder bemerkte, welche kaum sichtbar unter dem Bett hervorschaute. Diese sonderbare Feder war aus filigranem Silber und funkelte im Licht der Laterne mit der die Magd das Zimmer ausgeleuchtet hatte.
Sie hob die Feder auf, betrachtete sie voller Bewunderung. Ruß bedeckte die untere Seite und als die Magd genauer hinsah bemerkte sie ein Stückchen Kohle direkt unter der Stelle an der die Feder gelegen hatte. Mit einem Stirnrunzeln drehte sie sich um, steckte die seltsame Feder in ihre Schürzentasche und schloß die Tür. Sie wusste nicht das ihre Suche nach dem Wirt erfolglos bleiben würde. Über dem ganzen Trubel den das Verschwinden des Wirtes in den folgenden verursachen sollte vergaß sie sogar das sonderbare Gebilde das sie sich gedankenverloren in die Tasche geschoben hatte. Das ausgerechnet diese zierliche Feder sie das Leben kosten würde ahnte sie nicht als sie zur nächsten Tür schlurfte um die Suche nach dem Verschwunden fort zu setzen.
Tag der Veröffentlichung: 04.08.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle denen die Flügel zum fliegen und die Wurzeln zum Leben genommen wurden.