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Ich war schon wieder in dieses Mädchen eingedrungen, es interessierte mich, denn sie war anders.
Ich sah alles durch ihre Augen und ich hörte und tat das, was sie tat. Sie lachte mit ihren Freunden, ich lachte mich. Dann stritt sie sich mit ihrer Mutter. Das alles schien ganz normal zu sein, das war es ja auch, allerdings gab es einen großen Unterschied, einen sehr großen Unterschied.
Ihre Gefühle waren gedämpft, kaum wahrnehmbar, sie empfand weder Mitleid noch fühlte sie selbst Wut oder Zuneigung. Sie wird niemals lieben können, niemals Schmerz erleiden. Jeder Mensch in ihrer Umgebung wirkt gefühlsstärker und ihre Gedanken kontrastreicher. Dunkle und helle, grelle Empfindungen mit einem grauem, fast weißem Loch in der Mitte. Dort ist nichts, nicht das, was eigentlich dort sein müsste.

 

Kapitel 1




Wie jeden Morgen werde ich von meinem Wecker wach, ich stehe auf und mache mich fertig, während dessen höre ich bereits die üblichen Geräusche aus der Küche. ich folge ihnen und stehe vor meiner Mutter, die mir Frühstück gemacht hat.
Schon als ich vier war wollte mein Vater mich weggeben, meine Mutter entschied sich dagegen, sie haben sich deswegen gestritten und sich schließlich getrennt. Mein Vater fuhr weg, in eine andere Stadt um dort neu anzufangen und sich von der Trennung von meiner Mutter zu erholen, er liebte sie eigentlich noch. Aber er hat sich von ihr getrennt, weil sie mich nicht weggeben wollte. Noch nach einem halben Jahr wurde sie jedemal, wenn sie seinen Namen hörte traurig, sie hatte oft geweint in den folgenden Jahren, wenn auch nicht nur wegen ihm, auch wegen mir. Seit einem Jahr geht es ihr wieder schlechter. Da bekamen wir nämlich einen Brief, indem stand, dass mein Vater überfahren wurde. Sie hatten versucht ihn zu retten, aber ihn hatte wohl etwas hart am Kopf getroffen und er hatte schwere innere Blutungen erlitten. Ein wichtiger Teil seines Gehirns war zerstört. Eine Stunde nach dem Unfall war er tot. Nach dieser Nachricht konnte ich meiner Mutter oft beim Weinen zu sehen, ich saß neben ihr und versuchte zu verstehen wie sie um den Mann trauern konnte, der uns im Stich gelassen hatte und fortgegangen war. Ich hatte ihn nie vermisst und immer wenn meine Mutter mich gefragt hatte ob ich ihn den gar nicht vermissen würde sagte ich "Nein, wieso sollte ich?". Für ein Jahr hatte sie darauf bestanden, dass ich einmal pro Woche zum Psychologen gehe. Sie hatte sich eingeredet, dass ich so bin wie ich bin, wegen der Konflikte mit meinem Vater und wohl mit jemandem darüber reden müsse und dann würde alles wieder gut, aber es wurde nicht gut. Ich änderte mich nicht. Sie hat die Hoffnung aufgegeben mich ändern zu können, das einzige woran sie noch ein wenig glaubt ist, dass sich das alles mit der Zeit einrenkt, wenn ich erwachsen werde. Insgeheim glaube ich, dass sie, wenn sie daran nicht mehr denkt, geht. Dass sie mich genauso im Stich lassen wird wie Papa. Und ich erinnere mich daran was mit ihm passiert ist.
Ich setze mich, ohne dass sie etwas merkt, auf den Stuhl, vor mir ein noch warmes gekochtes Ei und ein gedeckter Frühstückstisch. Sie steht an der Arbeitsplatte und macht Salat. Kurz darauf ist sie fertig und setzt sich zu mir. Schweigend essen wir.
Ich spüre ihren Blick und sehe auf. Sie senkt ihren, doch ich sehe wie sie die Stirn runzelt und die Augenbrauen sich verengen. Was ist nun schon wieder? Ist sie etwa schon wieder wütend auf mich?
"Was ist?"
Für einen Moment schaut sie überrascht hoch und sieht mich an, dann runzelt sie wieder die Stirn diesmal verwirrt. "Nichts. Wie kommst du denn darauf, dass etwas wäre?" "Du bist sauer", stelle ich fest. "Nein, bin ich nicht", meint sie und schüttelt leicht, wenn auch nachdrücklich den Kopf. Ich ziehe meine Augenbrauen hoch, sage aber nichts. Sie sieht auf ihren Teller hinab, erdolcht ein weiteres Salatblatt und schiebt es sich in den Mund ich esse mein Brot auf und will gerade aufstehen, als sie seufzt und doch noch etwas erwiedert. "Nun gut. Ich bin verärgert. Ich mache jeden Tag für uns essen, wasche ab und tue generell alles im Haushalt! Und du bedankst dich nicht einmal, hilfst mir nicht sondern hältst es für selbstverständlich. Ich möchte, dass auch du jetzt etwas mit hilfst. Vielleicht merkst du dann wie zermürbend das ist!" Ich seufze genervt schließe für eine Sekunde die Augen und drehe mich um um zu gehen. Ich hatte ihr Minenspiel beobachtet, sie hat sich richtig hineingesteigert. Ich bin gespannt was sie mir aufhalsen wird. Mein Blick schweift noch ein mal durchs Zimmer, damit ich nichts liegen lasse, danach ziehe ich meine Schuhe ebenso wie meine Jacke an und nehme meinen Ranzen. "Tschau!", rufe ich meiner Mutter noch zu, dann ziehe ich die Tür hinter mir ins Schloss.


Ich hörte jemanden kommen und sah auf. Dann öffnete sich die Tür zum Klassenraum. Ich erkannte meine Freundin und begrüßte sie, "Hi! Du bist ganz schön spät. Wir müssen doch gleich hoch in den Chemieraum." "Weiß ich doch, wollte nur noch meine Jacke aufhängen, außerdem bist du auch noch da!" Ich zuckte die Schultern. Oft kam ich schon früh und saß die ganze Zeit bis zum Unterrichtsbeginn in mein Buch vertieft da, so auch heute. Ich stand auf und ging zur Tür, dort drehte ich mich um und wartete auf Jamie. Zusammen gingen wir nach oben und setzten uns auf unsere Plätze.

Erleichtert seufzte ich auf, wieder ein Schultag vorbei. Ich packt mein Zeug und ging vor unseren Raum. Als ich Leonie und Jamie sah, wollte ich schon hinterher, allein aus Gewohnheit. Rief ihnen dann aber doch nur ein knappes "Tschau" zu. Ich war langsam wirklich genervt von ihnen, sie ignorierten mich einfach. Letztes Schuljahr bin ich immer mit Leonie mit und wir haben gequatscht, aber man kann mitlerweile mit beiden einfach nicht richtig reden, also drehte ich mich weg von ihnen. >Das wird schon wieder<, sagte ich mir. Doch irgenetwas in mir dachte nur >Nein, es wird nie wieder so, wie es war, bevor Jamie kam.

Kapitel 2




Mal wieder war der Bus rappelvoll und ich wurde fast zerquetscht zwischen all den Menschen, die genauso wie ich nach draußen stürmten.
Ein paar Minuten später stand ich vor unserer Haustür. >Bitte, lass sie nicht da sein.< Ich glaubte nicht an Gott, aber einen Verusch war es wert. Man hatte mich nicht erhört. Nachdem ich, so leise wie möglich, die Tür aufgeschlossen hatte, hörte ich meine Mutter rufen. "Jamie! Wir hatten doch gesagt, dass du sofort nach der Schule kommst!" "Bin ich doch, der Bus kam einfach nicht." Sie kam aus dem Wohnzimmer gestürzt und sah mich böse an. Hatte sie noch immer nicht verstanden, dass das bei mir nicht half? Sie glaubte mir nicht. Das war nichts Neues. Ich verdrehte die Augen. Offenbar hatte sie das bemerkt, denn sie schien innerlich zu explodieren. Sich das vorzustellen ist seltsam. Erst braut sich irgendetwas in ihr zusammen, dann blubberte es und verdampfte, dieser Dampf fließt dann durch ihren Körper und... Danach kam das gewöhnliche. Natürlich war der Bus nicht so oft ausgefallen, ich war noch bis vor Leonies Haus mitgekommen. Ihre Standpauken hatten noch nie etwas gebracht. Ich setzte ein betroffenes Gesicht auf, doch ihre Wörter prallten ab.


Ihre Mutter hatte sie angeschrien, während sie mit gespielt trauriger Miene alles über sich hatte ergehen lassen. Ihre Gefühle sahen nicht viel anders aus. Aufgesetzt. Gekünstelt.
Nach diesem Wutausbruch ihrer Mutter ging sie direkt schlafen. Im Schlaf kann ich nichts sinnvolles von ihr lernen, also verlasse ich ihren Geist.
Nach einiger Zeit, sah ich allerdings doch nochmal durch ihre Augen um mich zu versichern, dass sie immer noch schlief. Nein, nicht durch ihre Augen. Wir können uns in dem Gehirn von Menschen befinden. Dabei wird jeder einzelne Gedanke, jede Wahrnehmung acuh durch uns geschickt. Nun ja, fast jeder. Die Gefühlsregungen gehen uns aus dem Weg. Zumindest wirkt es so. Sie sind nicht so greifbar, wie die anderen Impulse. Vielleicht spüren sie uns. "Uns" ist eigentlich auch das falsche Wort. Ich weiß nciht ob das mit jedem so ist, der zu einem wie mir wird. Schließlich habe ich keinen Kontakt zu den Anderen, jeder einzelne existiert für sich weiter, ohne Kontakt zu anderen... Wesen. Ich überlege wie ich mich fühlen würde, wenn ich könnte. Verbittert. Ja, das ist das richtige Wort. Wir haben keine Möglichkeit zur Erlösung, keine die ich kenne und sind wohl für immer in dieser Zwischenwelt gefangen.

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Tag der Veröffentlichung: 17.09.2011

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