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Eigentlich dauerte alles nur einen Augenblick, wenige Sekunden, doch für mich war alles wie in Zeitlupe. Ich sah, wie alles durch die Gegend flog, merkte, wie ich nach links geschleudert wurde. Es war nicht so laut wie man sich das vorstellt, für mich wirkte alles gedämpft. Sobald es vorbei war, blieb alles still, auch ich. Ich war wie in einer Art Starre, der Schock saß mir tief in den Knochen. Als ich Sirenen heulen und näher kommen hörte, kam ich wieder zu mir. Mein erster richtiger Gedanke galt Lilly. Dann konzentrierte ich mich auf meine Umwelt. Ich war in eine Ecke gequetscht und mein Gesicht lehnte an der kalten Scheibe. Mein Blick wanderte hastig in dem demolierten Auto herum, er fand schnell was er suchte. Zuerst sah ich ihre dunkelblonden, fast braunen, leicht gewellten Haare, bedeckt mit Glas- und Metallstücken. Ihr Gesicht lag auf dem Armaturenbrett. Wie in Trance bewegte ich mich auf meine kleine Schwester zu, wobei ich nur vage mitbekam, wie weh mir alles tat. Ich wollte mich zu ihr runter beugen, doch etwas zog mich zurück in den Sitz. Ohne hinzusehen schnallte ich mich ab und schob vorsichtig den gröbsten Schutt von ihrem Körper. Dann drückte ich Lilly so in den Sitz, dass sie beinahe aufrecht saß. Ich zuckte erschrocken zurück. Ihr Gesicht war, genauso wie die Haare, voller Splitter, es war blutverschmiert und zerkratzt. Ich wusste nicht was ich tun sollte, saß einfach nur mit aufgerissenen Augen, leicht geöffnetem Mund und schwer atmend da. Nach einiger Zeit raffte ich mich zusammen und versuchte wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Das nächste, was mir in den Sinn kam, war der Gedanke, dass sie womöglich tot war. Ich drängte die Angst, die an dieser Vorstellung klebte, beiseite, musste mich aber versichern. Langsam beugte ich mich abermals zu ihrem Körper hinunter und nahm das linke Handgelenk sanft in meine Hand. Ein sachtes, schnelles Klopfen. Ich atmete die angehaltene Luft aus. Erst jetzt wurde ich mir des Tumults um die beiden Autos bewusst. Näher kommendes Sirenengeheul. Ein paar Leute riefen durcheinander. Dann wurde die rechte Autotür aufgerissen. Ein Sanitäter blickte hinein, erfasste die Lage. Er sah mir kurz in die Augen und hob danach Lilly vorsichtig aus ihrem Sitz, aus dem Auto heraus. Ich kroch ihm hinterher, hinaus ins Freie. Nun fiel mir auf, wie groß der Schaden war. Auch wenn es dunkel war erkannte ich die Lage, zumindest die Umrisse. Der große VW Bus und der vergleichsweise kleine Pkw gingen ineinander über, zumindest sah es so aus. Die rechte Scheibe unseres Pkw und die Frontscheibe des anderen Wagens waren beide zersplittert und fast vollständig zerstört. Eigentlich sogar mehr als das, die jeweilige Seite war eingedrückt und verbeult. Es war ein Wunder, dass die Tür, durch die der Sanitäter hereingeschaut hatte, nicht sofort aus den Angeln gefallen war. Am Rand standen rund ein Dutzend Leute und begafften das Geschehen, darunter eine Frau die mit einer Polizistin, welche einen Block und einen Stift in der Hand hielt und scheinbar aufmerksam zuhörte, redete. Lilly wurde in einem der Krankenwagen verfrachtet, wo schon einige Ärzte bereit standen. Ich wusste nicht was ich tun sollte, stand nur im Weg und sah den Ärzten bei der Arbeit zu. Es ist doch seltsam wie normal und alltäglich ihre Arbeit für sie ist, während das Denken der Passanten sich nur darum dreht, was das für ein schrecklicher Unfall das doch ist... Die Polizistin riss mich aus meinen Gedanken.

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Tag der Veröffentlichung: 28.05.2011

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