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Condamine, am 14. Juli 1990


Mein 'Basislager' habe ich auf dem Campingplatz in 'la Condamine - Châtelard' im Tal des Flüsschens Ubaye errichtet. Gestern noch bin ich, ein leichtes Aufbautraining absolvierend, die Südseite des 'Col de Vars' (700 Höhenmeter) hochgeradelt und fühle mich infolgedessen heute etwas übertrainiert. Dennoch hoffe ich den zu erwartenden Strapazen der großen Bonettetour einigermaßen gewachsen zu sein.


Der eigentliche Ausgangspunkt der Tour ist der kleine Ort 'Jausiers' mit einer Höhenlage von 1220 m. Bis dahin sind es 5 km flussabwärts auf der D 900 in Richtung Barcelonnette. Die Tour beginnt ganz gemächlich auf einer breiten, mäßig ansteigenden Straße, der D 902, die den Ubaye überquerend in südöstlicher Richtung aus dem Ort (km 0) herausführt. Vor mir liegen 24 km Bergtour zum 'Col de la Bonette', dem mit 2802 m höchsten befahrbaren Pass der Alpen. Die zu überwindende Höhendifferenz beträgt also nach Adam dem Riesigen 1582 Höhenmeter, woraus sich eine gemittelte Steigung von 6,6 % ergibt.



Nach etwa 1 km beginnen die ersten Kehren. Sie führen, an manchen Stellen mit bis zu 10 % Steigung, einen ausgedehnten, mit Büschen und Bäumen bewachsenen Wiesenhang hoch. Wie immer brauche ich einige Zeit um mich an die Anstrengung zu gewöhnen. Ich gewinne schnell an Höhe, und in 'Lans le Villard', nach etwa 2 km,



habe ich endlich auch meinen Trittrhythmus gefunden.
Die Strecke führt nun weiter kurvenreich bei etwas geringerer Steigung ein sich allmählich verengendes Tal hinauf. Ab km 6 verschlechtert sich der Straßenbelag erheblich. Die Straße wird enger und auch wieder steiler, mit Steigungen meist über 10 %.
Nach der Schlucht, wird das Tal wieder weiter, und bis zum 'Chalet Halt 2000' (km 10,5) geht die Steigung wieder zurück auf geschätzte Werte leicht unterhalb der 10 % Marke. Die Landschaft wird nun deutlich karger, felsiger und öder. Linkerhand taucht, in dieser bizarren Mondlandschaft völlig unerwartet, ein kleiner See, der 'Lac des Essaupres' auf (km 16).

Über weitere Kehren, mit kraftraubenden Anstiegen bis zu 12 %, erreiche ich schließlich die halbzerfallenen Kasernen des Restefond und kurz dahinter, auf 2680 m Höhe, den gleichnamigen Pass. Der 'Col de Restefond' ist als Pass kaum zu erkennen und wird deshalb oft gar nicht wahrgenommen. Es gibt sogar einen 'falschen' Restefondpass. Er wird in manchen Karten mit einer Höhe von 2 656 m angegeben. Die Straße schlängelt sich nun im weiteren Verlauf mit ca. 8 % Steigung den Westhang des Restefond hinauf bis zum eigentlichen 'Col de la Bonette'.



Der Pass liegt auf einer Höhe von 2715 m und führt durch eine enge Felsscharte unterhalb des Bonette. Eine Schautafel im Felsdurchbruch gibt die Sachlage wieder. Fälschlicherweise, ich habe es eingangs auch getan, wird die Schleife um den 'Cime de la Bonette',



deren höchster Punkt auf 2802 m liegt, meist als die Passhöhe bezeichnet. Die Schleife ist jedoch verkehrstechnisch völlig überflüssig und wurde nur aus Prestigegründen angelegt, um eben den höchstgelegenen Pass Europas zu schaffen. Bis dahin nahm der 2770 m hohe 'Col de l'Iseran' diesen Platz ein. Nichtsdestoweniger ist dieser kleine Rundkurs heute eine touristische Attraktion. Neben einer kleinen Imbissstube mit ein paar Tischen und Stühlen im Freien gibt es hier oben auch noch einen Gedenk(Hinkel)stein - er könnte von Obelix dem Gallier hier herauf geschleppt worden sein! Eingemeißelt und mit Blattgold ausgelegt, sind in ihm die wichtigsten Daten der Passstraße, sowie die Namen und Ränge der administrativ am Bau beteiligten Personen verewigt.


Wer noch gut 50 m höher hinaus will, der kann hier sein Fahrrad parken und einem kleinen Fußweg folgen, hinauf zum Gipfel des Bonette auf 2860 m Höhe. Hier oben bietet sich nach Norden hin ein überwältigendes Panorama auf

die Gipfel des 'Parc Regional des Queyras' und den Monte Viso (3841 m). Wenn das Wetter es zulässt, soll im Süden sogar das Mittelmeer zu sehen sein. Mir ist dieses Glück nicht beschieden; es ist ziemlich diesig, und die Landschaft lässt sich wegen des gleißenden Gegenlichts leider nur unvollkommen ablichten.



Nach der Gipfelumrundung, wieder am 'Col de la Bonette' angelangt, spiele ich für einen kurzen Moment mit der Idee, einfach die südliche Abfahrt in Richtung Nizza hinab zu schießen. Ein verlockender Gedanke! Doch ich kann mich beherrschen. Es gibt keine einfache Möglichkeit, zum Beispiel mit Zug oder Bus, wieder zum Campingplatz nach Condamine zurückzukommen. Die einzige Chance bestünde darin, mit dem Fahrrad über den 'Col de Cuillole' und Valberg den westlich benachbarten 'Col de Cayolle' hoch zu radeln. Das wäre jedoch heute kaum noch zu schaffen und würde mich außerdem gewaltig überfordern. Also fahre ich bescheiden auf demselben Wege, den ich gekommen bin, wieder zurück. 24 km Talfahrt, eine heiße Dusche und ein ordentliches Abendessen sind genau das, wonach mir jetzt der Sinn steht.




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Tag der Veröffentlichung: 15.11.2011

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