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Auszug aus Fergus' Logbuch zur Fahrradtour Bordeaux - Collioure:



Der Wind wird immer stärker, bläst aber meist von achtern und treibt mich ordentlich voran. Lange Talfahrten und schweißtreibende Anstiege wechseln sich ab. Ebene Abschnitte sind die Ausnahme.


Während ich gerade dabei bin mich an einer schier endlosen Steigung abzumühen, sehe ich in weiter Ferne, hoch oben, einen mächtigen grauen Klotz aus der ansonsten recht lieblichen Landschaft herausragen. Ohnehin schon ziemlich erschöpft, nehme ich die Gelegenheit war, wieder mal eine kleine Pause einzulegen und in aller Ruhe mittels Karte und Reiseführer etwas für meine Bildung zu tun.

Das die Landschaft dominierende, weithin sichtbare Bauwerk entpuppt sich als das 'Chateau de Mauvezin', ein wehrhaftes Castell, dessen Entstehungsgeschichte bis in gallo-römische Zeit zurückreicht. Seine Glanzzeit erlebte es wohl im Mittelalter, während des 100-jährigen Krieges, unter einem gewissen Gaston Febus, seines Zeichens Vizegraf von Béarn und Graf von Foix. Wegen seiner strategisch günstigen Lage beherrschte die Festung damals die wichtige Verkehrsverbindung von Toulouse nach Bayonne am Atlantik. Der quadratische, 36 m hohe Turm, der 'donjon', diente in erster Linie als Refugium, in das sich Burgherr und Gesinde während der damals üblichen und häufig praktizierten, böswilligen Belagerungen, gerne zurückzogen. Seine 6 Etagen dienen heute als Museum, und das ganze kann für 10 FF besichtigt werden. Stets um die Erweiterung meines geistigen Horizonts bemüht, beschließe ich dieses günstige Angebot wahrzunehmen.

Vor dem Eingang, einem kleinen ins Gemäuer eingelassenen Rundbogen, liegt dösend ein Hund. Ein Gebirge von einem Hund, ein Berner Sennhund. Sein Anblick lässt mich zögern. Für einen Moment verlangsame ich meinen Schritt und bleibe in respektvollem Abstand stehen. Doch dann erinnere ich mich an die sprichwörtliche Gutmütigkeit die dieser Hunderasse nachgesagt wird. In der Hoffnung, auch der Hund sei sich dieser positiven Eigenschaft bewusst, gehe ich mutig auf ihn zu. Und tatsächlich, er scheint schon mal davon gehört zu haben, denn er begibt sich artig, wenn auch etwas zögerlich, auf seine vier kräftigen Pfoten. Dann dehnt und streckt er sich ausgiebig und tritt gemächlich, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen, beiseite und lässt mich passieren.

Das Innere der Burgruine ist ziemlich ernüchternd. Es besteht im Wesentlichen aus einer gut gepflegten grünen Wiese, begrenzt von den mächtigen, knapp 20 m hohen Festungsmauern. In eine der Mauern ist der wuchtige Turm eingelassen. Rechts neben dem Turm befindet sich ein kleiner Kiosk. Er ist Andenkenladen und Kasse zugleich. Das Schiebefenster an der Vorderseite ist zugeschoben, die Kasse nicht besetzt. Insgeheim hoffe ich, dies möge auch so bleiben, denn selbst für nur 10 FF wird hier eindeutig zu wenig geboten. Die Mauern sind mit einem teilweise begehbaren Wehrgang ausgestattet. Über eine Holztreppe gelangt man nach oben. Dort, in luftiger Höhe, bietet sich ein beeindruckendes Panorama auf die Landschaft der Baronnies und die Ausläufer der Pyrenäen. An Hand der Karte gelingt es mir sogar, die von Herrn Michelin in seinem Führer besonders erwähnten Berggipfel, den 2865 m hohen 'Pic du Midi de Bigorre', den 2831 m hohen 'Arbizon' und den 2339 m hohen 'Pic de Montaigu' eindeutig zu lokalisieren.

Die schöne Aussicht stimmt mich versöhnlich, dennoch werde ich versuchen mir das Eintrittsgeld zu sparen, aus purem Sportsgeist, versteht sich. Ich steige also die Holztreppe wieder hinab und strebe schnurstracks dem Ausgang zu, wobei ich mich bemühe, jeglichen Blickkontakt mit dem, im Kiosk eventuell jetzt anwesenden Personal zu vermeiden. Unter dem Türbogen wartet schon Bernie, der Sennenhund, auf mich. Obwohl er diesmal sitzt, gelingt es ihm mühelos den Durchgang zu versperren. Das beunruhigt mich nicht weiter, Bernie weiß schließlich was sich gehört. Doch Bernie rührt sich nicht von der Stelle. Er sieht mich nur durchdringend an, so als wolle er mich hypnotisieren. Da diese Rasse, wie schon erwähnt, an und für sich als sehr gutmütig gilt, versuche ich halblaut verbal auf ihn einzuwirken: "Bernie, verschwinde, ich hab's eilig"! Keine Reaktion! Unbeweglich blockiert er beharrlich den Ausgang und stiert mich weiter unverwandt an. Da fällt mir ein, dass Bernie ja wohl eher den französischen Umgangston gewöhnt ist. Ich versuche es noch mal: "Va-t'en, monstre, laisse moi passer!" Diesmal spitzt er, so gut er kann die schlappen Ohren. Er zeigt mir stolz sein tadelloses Gebiss, und seiner Kehle entweicht ein dezentes, aber deutlich vernehmbares Grollen. Einerseits bin ich über dieses unerwartete Verhalten entzückt, beweist es doch, dass mein Französisch so schlecht nicht sein kann, wenn sogar ein Hund es versteht. Andererseits hat so ein kräftiges, gesundes Gebiss irgendwie auch etwas Bedrohliches an sich. Vorsichtshalber weiche ich zwei Schritte zurück und überlege angestrengt wie dem Vieh beizukommen sei. Da höre ich hinter mir Jemanden dezent gegen eine Glasscheibe klopfen. Die Kasse ist jetzt besetzt. Ein breitschultriger, untersetzter Typ, er könnte Bernies Bruder sein, winkt mich zu sich heran. Ich weiß, wann ich verloren habe, zücke die Geldbörse und schiebe ihm 10 Francs über den Tresen. Mit der Eintrittskarte in der Hand begebe ich mich wieder in Richtung Ausgang. Bernie steht sofort auf, wedelt freudig mit der Rute und begleitet mich noch zum Fahrrad. Dort blickt er mich so treuherzig an, dass ich nicht umhin kann ihn hinterm Ohr zu kraulen und anerkennend auf die Schulter zu klopfen. "Kluger Hund, gut gemacht!" murmle ich verbissen und doch anerkennend durch die Zähne. Er lässt sich das gern gefallen und bedankt sich, wie mir scheint, mit einem breiten Grinsen. Er hat wirklich ein beeindruckendes Gebiss! Ein Prachtstück von einem Hund!



Berni


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Tag der Veröffentlichung: 20.10.2011

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