Der Schatten von Arnok’Sul
Prolog: Brennende Erinnerung
Die Stadt brannte. Züngelnde Flammen verzehren die hölzernen Gebilde der Elendsviertel. Rammböcke und Katapulte reißen die Mauern ein, die Hausfassaden bröckeln, einst robuste Bauwerke stürzen ein. Frauen kreischen, Kinder schreien, Männer sterben, unterliegen den scharfen Waffen der Angreifer. In den sonst dunklen elendigen Gassen wirft des Feuers Schein ein Schattenspiel des Todes an die Ruinen einstiger Wohnhäuser. Blutiger Rinnsal kämpft sich durch die Rillen der gepflasterten Straßen, fließt dünn in die Kanäle und vermischt sich mit Wasser. Lebenssaft zu Lebenssaft. Ratten rennen über Leichen, Krähen picken an den leblosen Kadavern. Seuchen werden sich ausbreiten, doch keiner zeigt Interesse daran; das Leben ist vergangen.
Die Fluchttunnel wurden gesprengt. Ein Knall hallt durch die scheinbar tote Stadt. In einer Fontäne aus Stein, Staub und Erde werden zerborstene Knochen, verbranntes Fleisch und zerfetzte Organe an die Oberfläche katapultiert.
Shadir ist gefallen.
Die Stadt der Verstoßenen, Heimat von Attentätern, Säufern, Dieben und Aussätzigen, angelegt im Unterreich in jenem Grat welcher die Pforte zur Oberwelt symbolisiert ist nichts weiter als eine brennende Ruine.
Wie konnte es nur soweit kommen?
Versteckte Kinder werden aus dem Dunkel gezerrt. Die fremden Männer schreien sie an, verfluchen sie, schimpfen sie „Monster!“, „Verräterkinder!“, „Missgeburt!“.
Um ihre zarten Handgelenke legt sich ein unbekannter, kalter, eiserner Mantel. Handschellen. Exakt auf Kinder abgestimmt. Tränen fließen. Furchtbar große Kindertränen. Sie schluchzen, schreien nach den Eltern, vermissten Geschwistern. Sie wollen nicht glauben, dass die Flammen sie verschlangen. Ihre Körper zittern. Sie sind allein, verloren in einer grausamen Welt.
Die fremden Männer schlagen die Kinder, so lange bis ihr Klagen verstummt. Blaue Flecken, Blutspuren.
Sie werden abgeführt.
Shadir ist tot.
1.Kapitel: Der Phönix aus der Asche
Es ist kalt, so kalt. Und heiß, ja, sehr heiß.
Wer bin ich? Ich kenne mich nicht oder kenne ich mich doch?
Wo bin ich? Es ist so dunkel, halt, ein Licht.
Ein lieblich Kerzenschein…
„Aufstehen faule Ratte!“
…mit unlieblicher Begleitung.
Ein Knattern. Komische schwarze Striche verschwinden. Waren es Gitterstäbe?
Wo zum Teufel bin ich?
„Hoch mit dir Schwarzblut!“
Ein Stiefel bohrt sich in meinen Bauch, meine Augenlieder schnellen zurück.
Eine wirklich unliebliche Begleitung.
Die wunderbare Kerze erfüllt meine matten Augen, sie steht vor mir in voller, wundersamer Natur. Fasziniert und völlig hingerissen von solcher Schönheit beobachte ich die leicht zuckenden Flammen.
Schwarzbild. Etwas stellt sich zwischen mich und der lieblichsten Gestalt die ich seit einer Ewigkeit erblicke.
Was zur Hölle soll das?
Hände greifen nach mir, wagen es meinen wunderbar tauben Körper anzufassen und hochzuziehen.
Die sehr ungeduldige und gar nicht nette Gestalt lässt mich auf die Füße fallen. Sie setzt mich nicht behutsam ab, nein, sie lässt mich ruckartig los.
„Beweg dich!“
Eine Ohrfeige.
Die komische Gestalt treibt mich durch den Raum wie Vieh zur Schlachtbank.
Ein klirrendes Geräusch. Zackige momentan undefinierbare Dinger baumeln an einem eisernen Ring. ‚Es’ nimmt eines der Teile, steckt es in ein Loch und plötzlich schwingt die große, dicke Eisentür, mein stetiger Freund und Begleiter, auf.
Wut. Die Gestalt bläst die wundersame Kerze aus!!!
Einfach so und wusch aus.
Hinter meinem großen Freund, der Tür, stürmen Klänge auf mich zu wie – wie hieß das große blaue Ding noch mal? Meer? – Meer auf, auf, ja was nun… auf Stein!
Murren, Raunen, Meckern, Flüstern. Viel zu viel des Guten!
Überall Gitter, Fackeln und huschende Schatten.
Wie nennt man einen solchen Ort? Was war es nur. Vielleicht Gefängnis? Ja das müsste das richtige Wort sein.
Erstaunen. Ein riesiges, eisernes, verriegeltes und verkettetes Tor erhebt sich aus der matten Dunkelheit. Das muss die Mutter meines Freundes sein!!!
Ein hallendes Geräusch lässt mich zucken. Meinen Ohren gefällt es gar nicht, aber meinen Augen bietet es eine Abwechslung. Der rechte Torflügel bewegt sich ganz langsam. Und da war es: Ein Lichtstrahl. Ein greller, schmerzhafter Lichtstrahl droht meine empfindlichen Augen zu verbrennen! Mein Körper fällt zusammen wie ein Kartenhaus bei Sturm. Bemüht hebe ich meine halbtauben Arme um mich vor dieser Folter zu schützen, meine Augen zu schützen! Schmerz.
Ein Tritt in den Rücken.
„Verdammter Bastard! Heb deinen Arsch und geh weiter!“
Sengender Schmerz am Hals, kaum Luft.
„Na los!“
Eine Kette. Ketten um Hals, Arme und Beine. Klirrende, feste Ketten. Sie saugen sich an meiner Haut fest wie elendige Blutegel. Ich hasse Blutegel. Die eiskalten Kettenglieder, gesprenkelt mit schwarzen Tropfen, fressen sich langsam in mein Fleisch, dunkle Blutspuren sind bereits in fleischtiefe Wunden gewandelt. Wie lange trage ich diese Schmuckstücke schon?
Meine unliebliche, unerträgliche und nervige Begleitung scheint endgültig den roten Geduldsfaden zu verlieren. Reißt mich einfach aus meine philosophischen Gedanken über meinen neuen, tollen Schnick Schnack.
„Du kleine missratene Bestie! Beweg deinen verdammten Arsch endlich!“
Klein? Ich bin mindestens zwei Köpfe größer als er! Er sollte seine Augen untersuchen lassen und sein Hirn inklusive. Stimmbänder am besten auch gleich! Soviel Geschrei kann nicht gut sein. Wenn das so weiter geht brauch ich ein neues Paar Ohren.
Heftig zerrt er an den Ketten aus hässlichen Freundschaftsringen. Meines Körpers Willen gehorche ich und erhebe mich.
Ein gezischtes ‚Na endlich’ war alles womit er seiner Freude Ausdruck verleihte. Wahrlich weit vom Stand des Poeten entfernt. Sehr weit. Aber was erwarte ich von einem Loch wie diesem? Theatralisch und literarisch begabte Menschen? Ich bezweifle, dass die Leute hier überhaupt lesen und schreiben können. Von Denkvorgängen ganz zu schweigen.
Mit einer schwungvollen Kopfbewegung befördere ich die weiße Haarsträhne vor meinem Auge auf den richtigen Platz. Langsam neige ich den Kopf und blicke meiner Begleitung in die Augen.
„Gern geschehen Wicht.“
Mit schelmischen Grinsen und tiefer Stimme zaubern meine Worte einen wunderbaren verwirrten und gleichzeitig ängstlichen Ausdruck auf die hässliche Visage meiner Begleitung. Schwer ringt er um Fassung. Mir kann es egal sein. Mit klirrenden Schritten durchschreite ich das eiserne Tor, lasse den soldatenähnlichen Mann zurückfallen.
Und da bietet sich mir ein Anblick, von dem ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte ihn je wieder zu bestaunen:
Die Oberwelt; Freiheit.
Texte: copyright by Julia F.
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2010
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