Sünde
Ich habe gesündigt.
Nicht vor mir, nicht vor dem Herrn:
vor einem andern Menschen.
Die Sünde ist
ein Tier, das Menschen reißt
und Seelen frisst,
sie verstümmelt liegen lässt.
Sie brennt das Fleisch vom Knochen,
kratzt dir die Augen raus,
bringt Todesscham zum Kochen
und weidet grinsend aus.
Schuld und Scham
sind schreckliche Geschwister;
die erste pflanzt den Gram,
die zweite schnürt ihn fester.
Wenn beide schlimm zusammenwirken
entsteht schnell eine Festung,
wo sie gesundes Leben foltern
und schlachten jede Hoffnung.
Alle leidenden Seelen
fordern die Vergebung.
Nur: Wer kann sie geben?
Schuld
"Sünde. Nur ein Wort!",
ruft heute mancher Mensch.
Denn nur der Glaub' allein
schickt alle Hoffnung fort
und quält den Geist in Pein
an einem dunklen Ort.
Erst die Schuld macht
eine Tat zur Sünde
und wenn kein andrer klagt,
man findet seine Gründe
es einfach zu vergessen
und in sein Bild der heilen Welt zu pressen.
[Den Mensch plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Er fürchtet sich weder vor Hölle noch Teufel.]
Weder Gutes kennt
er, noch das Böse.
Beides verschwimmt ihm im Getöse,
das man zuweilen "Welt" heut' nennt.
Ist es nicht mehr die Folter?
Der Schuldbewusste fällt
und findet keinen Halt mehr.
Die Welt ist auf den Kopf gestellt.
Wer Reue nie gekannt,
wird nicht von ihr verbrannt.
Sprich Mensch!
Ist Schuldgefühl nun Segen oder Fluch?
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2009
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