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Schon als ich selbst zur Schule ging war ich davon fasziniert wie uns erfahrene Menschen etwas beibrachten. Es war ein absolutes Wunder, dass jemand Fremdes uns sein Wissen mitteilte auch wenn es nur die Zahlen von eins bis zehn waren.
Ich hätte nie gedacht, dass ich selbst eines Tages diese Person sein würde. Jemand der sein Wissen teilen würde.
Mein Leben war perfekt. Na gut, es gab auch ein paar schlechte Dinge doch war der Anteil an Positivem viel größer als das Negative.
„Frau Berling , ich bin fertig mit den Aufgaben. Was kann ich jetzt machen?“.
Leicht zuckte ich zusammen und wurde wieder in die Wirklichkeit gerissen. Vor mir stand Anna, ein kleines Mädchen mit großen braunen Augen und blonden Locken, eine meiner besten Schülerinnen.
„Schön, dann kannst du ein wenig malen wenn du möchtest. Wir müssen warten bis die anderen fertig sind“, erklärte ich und beugte mich zu ihr hinunter.
Mit einem bezaubernden Lächeln kehrte mir das blonde Mädchen den Rücken und hüpfte zurück zu seinem Platz.
Leise seufze ich und sah mich um. Dreiundzwanzig Kinder im Alter von acht bis neun Jahren. Allesamt liebenswürdig und kleine Engel.
Es war eigentlich schon immer mein Wunsch gewesen, Grundschullehrerin zu werden, doch als ich im Abiturstress stand und kurz vor dem Studium war kamen mir Zweifel. War ich dem Druck überhaupt gewachsen? Schaffte ich wirklich das, was ich mir vorgenommen hatte?
Jetzt mit sechsundzwanzig kannte ich die Antworten auf meine Fragen.
Ja.
Ich fühlte mich vollkommen wohl und konnte nicht meckern an meinem Job. Es war genau das, was ich schon immer machen wollte.
„Wer ist jetzt schon fertig?“, fragte ich in die Klasse und sah mich erneut um. Sofort hoben sich die kleinen Köpfe und Hände.
„Gut, dann können wir jetzt ein paar Aufgaben besprechen. Wo hattest du, Felix, am meisten Probleme?“.
Gelangweilt sah der Junge mit den dunkelbraunen Haaren auf und wirkte etwas verwirrt. Schnell wurde er von seinem Sitznachbarn aufgeklärt und strich sich durch die Haare.
„Ich hatte bei keiner Aufgabe Probleme“, gab er brummend zurück und lehnte sich wieder schlaff in die Ecke. Misstrauisch zog ich die Brauen zusammen und erhob mich. Schnellen Schrittes stöckelte ich durch den halben Klassenraum und blieb hinter Felix stehen, nahm sein Heft und musterte es aufmerksam.
Insgesamt hatte er genau fünf Zahlen in seinem Heft stehen und diese gehörten zum Datum.
„Felix, was soll das?“, fragte ich streng und sah ihn ernst an. Laut gähnte er, bevor er die Schultern zuckte und mich frech angrinste.
„Ich hatte einfach keine Lust dazu“, entgegnete er und drehte sich langsam zu mir um. Die ganze Klasse war verstummt und man hätte selbst eine Stecknadel auf den Boden fallen hören.
„So geht das einfach nicht Felix. Du bist erst vor ein paar Wochen hierher gezogen und fällst nur negativ auf. Ich muss wohl oder übel mit deinen Eltern reden“.
„Machen sie das“.
Etwas geschockt holte ich tief Luft, legte Felix' Heft zurück und ging wieder zu meinen Tisch. Energisch schlug ich das Buch auf und trat an die Tafel. Die weiße Kreide strich leicht über die dunkelgrünen Untergrund und hinterließ mehrere lesbare Zahlen.
„Wer könnte mir die Aufgabe lösen?“


„Hallo mein Schatz“, wurde ich begrüßt als ich zur Tür herein kam und meine Jacke erschöpft an den Kleiderhaken hing.
„Hallo“.
Mit langsamen Schritten und hängenden Schultern schlurfte ich in die Küche und legte die Arme um die männliche Statur meines Freundes.
„Ich habe dich vermisst“, hauchte ich ihm in den Nacken und schloss die Augen für einen kurzen Moment. Leise fing er an zu lachen und drehte sich zu mir um. Liebevoll sah er mir in die Augen und hielt mein Gesicht sicher in seinen großen Händen.
„Ich dich auch!“.
Zufrieden gab ich ihm einen Kuss und kuschelte mich danach an seine Brust.
Der Tag war mehr als nur anstrengend gewesen. Die Kinder waren alle so lebendig und aufgedreht, dass man nicht mal eine Minute zur Ruhe kam. Die ganze Zeit über musste man voll da sein.
„Dein Tag war nicht so toll?“, hakte René nach und legte das Kinn auf meinen Kopf. Seine Körperwärme ging auf mich über und verdrängte meine innerliche Kälte. Eifrig nickte ich und löste mich von ihm, spähte an René vorbei und blickte in den Topf der vor mir auf dem Herd stand.
Er war bis obenhin mit einer köstlichen roten Soße gefüllt in der immer wieder kleine orangene Stücke schwammen und die mächtig dampfte. Da neben stand ein höherer Topf der mit Wasser gefüllt war, dass jetzt zu kochen begann.
„Was ist denn passiert?“. Behutsam schob er mich zur Seite und nahm sich die Packung Spagetti, öffnete sie und schüttete die langen Nudeln vorsichtig in das siedende Wasser.
„Ach, so vieles“, völlig fertig setzte ich mich auf den Küchenstuhl und musterte René aufmerksam. „Die Kinder konnten nicht eine Sekunde lang still sitzen und ich muss mit den Eltern von dem neuen Schüler reden“.
„Warum denn das?“.
„Er macht nicht mit“, sagte ich. „Er sitzt die ganze Zeit nur herum und starrt vor sich hin. Heute im Matheunterricht hat er nur das Datum geschrieben, mehr nicht. Und in Kunst, weißt du was er da gemacht hat?“.
„Du wirst es mir bestimmt gleich sagen“, witzelte er und sah mich flüchtig über die Schulter an. Sein Drei-Tage-Bart war wieder ein Stück gewachsen und seine grauen Augen funkelten noch mehr als sonst.
„Er hat mich gemalt“.
„Das ist doch schön“, entgegnete René und rührte in der Soße herum. Seine Schultern waren gestrafft und man sah die wenigen Muskeln unter seinem Hemd ziemlich gut.
„Nein, das ist es nicht. Nicht so wie er es getan hat“, brummte ich vor mich hin und zog den gefalteten Zettel aus meiner Hosentasche hervor.
Mit Neugierde in den Augen nahm René ihn mir aus der Hand und fing lauthals an zu lachen, als er die Zeichnung sah. Immer wieder huschte sein Blick zu mir.
„Vergleichst du mich mit diesem Ding?“, zischte ich und stand schnell auf, stemmte die Hände in die Hüfte und funkelte ihn wütend an.
Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen hielt er mir das Blatt neben das Gesicht und legte den Kopf schief.
„Ein wenig Ähnlichkeit ist tatsächlich vorhanden“.
„Du bist echt doof“. Ärgerlich riss ich ihm das Bild aus der Hand und stopfte es zurück in meine Jeans.
„Fabi, du musstest mit so etwas rechnen als du studiert hast. Dir war doch von Anfang an klar, dass nicht jedes Kind ein kleiner Engel sein kann“, raunte René und strich mir zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht und hinter mein Ohr.
„Ja, ich weiß. Trotzdem finde ich es doof. Felix ist erst seit kurzem hier in der Stadt und jetzt muss ich schon ein Gespräch mit seinen Eltern führen“, gab ich zurück und genoss das Gefühl seiner Finger auf meiner Haut. Sie hinterließen eine brennende Spur und eine dicke Gänsehaut auf meinem Rücken.
Bevor René etwas erwidern konnte klingelte das Telefon und ich sprang auf. Schnellen Schrittes sprintete ich zu dem Apparat und nahm ab.
„Berling“, meldete ich mich ordnungsgemäß und sah meinem Schatz zu, wie er die Spagetti auf den Tisch stellte.
„Guten Tag Frau Berling, ich bin der Vater von Felix“, antwortete ein Mann, wahrscheinlich in meinem Alter, am anderen Ende der Leitung.
„Ach ja, Hallo Herr Weber“.
„Sie wollten mich wegen Felix sprechen? Wenn ich fragen darf, was ist denn passiert?“, hakte er nach. Ich hörte, wie Felix neben ihm auf und ab sprang und versuchte seinem Vater das Telefon aus den Händen zu reißen.
„Nun, also“, tief holte ich Luft. „Normalerweise versuche ich solche Gespräche mit den Eltern zu vermeiden, aber bei Felix geht es leider nicht mehr anders. Er macht im Unterricht nicht mit und benimmt sich einfach nicht dementsprechend. Ich habe nichts dagegen, wenn ein Schüler mal einen schlechten Tag hat, aber wenn das wochen – oder monatelang anhält, muss ich etwas dagegen tun “.
„Das verstehe ich. Wann hätten Sie denn Zeit für ein solches Gespräch?“, fragte Herr Weber und räusperte sich kurz.
„Morgen früh? Sie könnten Felix zur Schule bringen und mich dann im Klassenraum 201 aufsuchen“.
„Gut, dann sehen wir uns morgen, Frau Berling“. Mit diesen Worten legte Herr Weber auf und die Leitung war unterbrochen. Mit einem leisen und etwas bedrückten Seufzer legte ich das kleine, schwarze Telefon zurück in die Ladestation und ließ die Schultern hängen.
„Und Fabi?“, rief René aus der Küche und steckte seinen Kopf durch die Tür. Schnell wirbelte ich herum und kam auf ihn zu. Er hatte schon den ganzen Tisch gedeckt und mir sogar Käse über die Pasta gestreut.
„Herr Weber ist auch einer dieser Väter die es nicht interessiert, was mit ihrem Kind los ist. Wie dem auch sei, ich habe morgen mit ihm und seiner Frau ein Gespräch, das reicht mir“.
Mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen nahm ich platz und drehte mir die ersten paar Spagetti auf die Gabel auf.
„Buon appetito ”.


Genüsslich nippte ich an meinem Kaffee und schloss die Augen. Ich hatte die Nacht nicht viel geschlafen. Die ganze Zeit über schwirrte mir ein Traum im Kopf umher und das heutige Treffen mit Felix Eltern.
Obwohl ich schon eine Weile lang als Lehrerin praktizierte, war ein solchen Gespräch immer aufregend und anderes. Man bekam darin einfach keine Routine.
Felix hatte die ersten Wochen wirklich gut mitgemacht doch dann, ganz plötzlich, verschlechterte er sich immer mehr. Meistens war es eher anderes herum. Die neuen Schüler waren die ersten Tage sehr schüchtern und sagten nicht viel und tauten dann, nach und nach immer mehr auf. Aber Felix war da anderes.
„Frau Berling?“.
Schnell fuhr mein Kopf herum und ich erblickte eine wunderschöne Frau in der Tür. Ihr langes, blondes Haar fiel ihr wie Seide die Schultern hinunter und sahen so weich aus, dass man sie am liebsten angefasst hätte. Ihr Gesicht war von reiner Schönheit und blendete mich vollkommen.
Leicht strafte ich meine Schultern als sie anmutig den Raum betrat und auf mich zukam. Ihre zehn Zentimeter hohen Schuhe mit einem Pfennigabsatz machten bei jeden kleinen Schritt ein Geräusch, dass in der Klasse widerhallte.
„Sie müssen Frau Weber sein“, entgegnete ich und stand auf, reichte der blonden Schönheit die Hand und musste feststellen, dass ihre Haut so weich war wie ihre Haare aussahen.
„Ja, das bin ich“. Selbst ihre Stimme war atemberaubend. Diese Frau verkörperte den Traum jeder anderen Frau und jedes Mannes.
„Ist ihr Mann gar nicht dabei? Das wäre ziemlich schade, da das Gespräch mit beiden Elternteilen besser ist um die Situation von Felix zu erklären“, erklärte ich und nahm wieder Platz. Schnell schüttelte Frau Weber den Kopf und schaute hinüber zur geschlossenen Tür.
„Er kommt gleich. Felix wollte nicht in den Sportunterricht, da ist mein Mann geblieben und hat probiert ihn zu überreden“.
„Gut, dann warten wir noch auf ihn“, raunte ich leise und blickte hinunter auf meine Hände, die ich gefaltet auf dem Tisch liegen hatte.
Langsam setzte ich mich aufrechter auf meinen Stuhl und musterte die wunderschöne Frau mir gegenüber. Ich wusste nicht woher wir Frauen das hatten, aber mussten wir uns immer mit anderen vergleichen und das war manchmal gar nicht so gut. Wie jetzt.
Frau Weber war ein Luxusschlitten neben mir. Ich war da eher ein Gebrauchtwagen mit ein paar gefahrenen hundert Kilometern.
„Sie sind verlobt?“, fragte Frau Weber nach und klang recht neugierig. Schnell blickte ich auf und schaute in große blaue Augen, die anfingen zu funkeln.
„Ähm … “.
„Sie tragen da einen wunderschönen Verlobungsring. Ich weiß, ich bin sehr neugierig aber Ringe sind mein Beruf“, erklärte sie und lächelte freundlich. „Er müsste sogar aus meinen Geschäft sein. Trauring Havanna, Weißgold und mit vierzig Diamanten“.
Völlig fassungslos starrte ich Frau Weber an. Ich hatte mir noch nie wirklich über meinen Verlobungsring Gedanken gemacht und mir war auch nie bewusst gewesen, dass ich da vierzig Diamanten mit mir herumtrug.
„Sehr schöner Ring, den habe ich in meinen Ferien in der Schweiz entworfen. Ein junger Mann kam zu mir und wollte einen einzigartigen Ring haben, etwas ganz Besonderes“. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen sah sie mich forsch an und schwieg für ein paar Sekunden. Ich konnte gar nichts sagen, ich war noch völlig überrumpelt.
Leise fing Frau Weber an zu kichern und legte sich die Hand vor den Mund.
„Es tut mir leid, ich bin immer so stürmisch“. Nach und nach beruhigte sie sich und strich sich elegant durch das Haare.
„Kein Problem, ich war nur ein wenig überrascht“, gab ich zu und fühlte mich gerade gar nicht wohl in meiner Haut. Ich hatte noch nie ein solches Gespräch mit einer Mutter gehabt. Aber vielleicht war es so besser? Zu mindestens war jetzt schon mal die Stimmung aufgelockert.
Gerade öffnete Frau Weber ihren Mund um etwas zu sagen, als es an der Tür klopfte. Sofort ich stand ich auf und strafte meine Schultern.
„Ja, bitte“.
Vorsichtig öffnete sich die Tür und ein großer Mann trat ein. Herr Weber war tatsächlich in meinem Alter und gar nicht so wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Die meisten Väter waren schon ziemlich gealtert vom Kleidungsstil her, aber Herr Weber nicht. Er trug eine gutsitzende Jeans und ein Hemd mit einem Jackett darüber. Sein Drei-Tage-Bart war perfekt gestutzt und seine Haare noch voll.
„Guten Tag, Herr Weber“, begrüßte ich ihn und reichte ihm die Hand.
„Guten Tag“, entgegnete er und wirkte etwas gestresst. Erschöpft ließ er sich neben seiner Frau nieder, faltete seine Hände und legte diese in seinen Schoss.
„Also, schön das Sie Beide gekommen sind. Ich wollte mit Ihnen über Ihren Sohn Felix sprechen“, fing ich an und schaute immer wieder zu der Perfektion jeder Frau. „Er fällt jetzt schon seit einiger Zeit ziemlich negativ im Unterricht auf. Zum Beispiel, wenn ich Aufgaben aufgebe, macht er sie einfach nicht. Manchmal sitzt er den ganzen Tag nur herum und schreibt gerade mal das Datum in sein Heft“.
Abwertend wedelte Frau Weber mit der Hand und sah sich dabei ihre teure Maniküre an.
„Wir werden darüber mit Felix sprechen. Es ist doch ganz normal, dass man nicht jeden Tag gut drauf ist und nicht auf alles und jeden Lust hat“, trällerte sie und warf ihr langes Haar über die Schulter. Ein Duft von Parfüm und Schminke klatschte mir ins Gesicht und hinderte mich kurz daran frische Luft einzuatmen. „Ich dachte Sie holen mich hierher, weil Felix sich geschlagen hat oder so. Aber wegen 'so etwas' rauben Sie mir meine wichtige Zeit?“.
Empört erhob sich Frau Weber und warf mir einen wütenden Blick zu, schaute ihren Mann an und verschwand. Laut schlug die Tür zu und Frau Weber war verschwunden.
Mit weit aufgerissenen Augen und einem schnell schlagendem Herzen in der Brust, starrte ich auf die Tür, die gerade zufallen war.
„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Herr Weber und schaute mir intensiv in die Augen als ich meinen Blick hob. „Meine Frau ist ein wenig eigen“.
Schnell schüttelte ich den Kopf und probierte ein freundliches Gesicht auf zusetzten. Am liebsten hätte ich ihm jetzt einen Vortrag darüber gehalten, wie man sich anderen erwachsenen Personen gegenüber verhielt, doch das schien mir unhöflich. Schließlich wollte ich nicht genauso kindlich wie Frau Weber herüberkommen. Obwohl ich diese Frau nur ein paar Minuten kennengelernt hatte, wusste ich nun, woher Felix diese schroffe und erstaunlich freche Art hatte. Der Apfel konnte eben nicht weit vom Stamm fallen.
„Ist schon in Ordnung“, sagte ich. „Ich bin nur ein wenig überrumpelt“. Verständlich nickte Herr Weber und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Es schien ihm unangenehm zu sein, wie sich seien Frau gerade benommen hatte. Aber es schien schon öfter vorgekommen zu sein.
„Sie müssen wissen, meine Frau ist sehr beschäftigt“, hauchte er, öffnete seine Augen und fixierte mich.
„Ich verstehe das schon. Sie ist berufstätig und hat auch noch einen Sohn, den sie erziehen muss. Ich glaube, dass fordert viele Tribute“.
„Ja, vielleicht“, nuschelte er. „Dennoch ist es kein Grund um so schroff zu werden. Schließlich wollen Sie Felix helfen und deswegen sind wir hier. Vielleicht können wir auch zu zweit über meinen Sohn reden?“. Etwas leuchtete in Herr Weber' Augen auf. Ganz so, als hätte er all seine Hoffnungen in dieses Gespräch gesetzte, die gerade zusammengefallen waren.
„Natürlich“, sagte ich schnell und überschlug meine Beine. „Eigentlich gibt es zwei Probleme mit Ihrem Sohn. Felix war die erste Woche wirklich gut und hat produktiv mitgemacht, doch dann brach seine ganze positive Energie zusammen. Das wäre der erste Grund, warum unser Gespräch nötig ist. Und das zweite Problem ist, das Felix sich nicht unbedingt einfügt. Er hat wohl zwei Jungen in der Klasse mit denen er ganz gut zurecht kommt, doch sonst hat er keinen Anschluss. Trifft er sich Nachmittags mit Freunden?“.
Herr Weber brauchte einen Moment, bis er mir antwortete. Er schien völlig überrascht zu sein, dass ich so schnell die Situation mit seiner Frau vergessen zu haben. „Nein, nicht wirklich. Er geht öfter mal raus und spielt dort, aber ist eigentlich immer alleine“.
Leicht zog ich die Stirn kraus und legte den Kopf schief. „Wissen Sie vielleicht, warum Felix solche Probleme hat? Wahrscheinlich ist er auch eher still Zuhause und sagt nicht oft etwas?“.
„Ja“, Herr Weber nickte abermals. „Felix ist sehr ruhig und sitzt die meiste Zeit über in seinem Zimmer oder ist draußen. Ich habe eigentlich nur eine Vermutung woher dieses Verhalten kommen könnte“.
Ich wartete ob Herr Weber weitersprechen würde, doch tat er das nicht. Er schaute auf seine Hände und wirkte plötzlich verlegen. Wenn ich mich nicht täuschte, waren seinen Ohren sogar rot geworden.
„Welches Grund wäre es denn, Herr Weber?“, hakte ich nach einigen weiteren stillen Momenten nach.
„Nun ja, wie soll ich sagen?“, fing er an und sah sich unsicher im Raum um. „Meine Frau und ich, wir sind gerade in einer Art 'schwierigen Phase'. Sie will sich von mir scheiden und ich glaube, Felix leidet darunter“.
„Oh“. Es war das einzige, was ich in diesem Moment sagen konnte. Viele Ehepaare scheiden sich, doch das sich diese beiden Menschen voneinander schieden ließen, erschreckte mich doch ein wenig. Frau und Herr Weber schienen perfekt füreinander. Wie Yin und Yang. Aber anscheinend blieben die bestaussehenden Menschen nicht einmal vor einer Scheidung verschont. Und natürlich litten die Kinder darunter. Meistens waren sie es, die am meiste litten. Die Ehepartner hatten meist keine Gefühle füreinander und stritten sich nur noch. Doch ein Kind. Ein Kind, das liebte beide Eltern und zerbrach meist an einer Scheidung. Vor allem, wenn es noch so jung war wie Felix.
„Das könnte natürlich der Grund sein“, flüsterte ich und sah Herr Weber wieder an. Seine Augen wirkten leer. Traurig. Verletzt. „Haben Sie mit Felix schon einmal über Ihre Scheidung geredet?“.
Kurz überlegte der Mann mir gegenüber. „Nein, wir haben ihm wohl gesagt, dass wir uns scheiden, aber nicht einmal warum“.
„Gut, vielleicht sollten Sie das einfach mal nachholen“, schlug ich vor. „Setzten sie sich drei zusammen und sprechen darüber. Ich glaube, das wird Felix sehr helfen. Er ist verletzt und schiebt sich anscheinend die Schuld für Ihre Scheidung in die Schuhe“.
Langsam huschte ein Lächeln über Herr Webers niedergeschlagene Mimik. Er erhob sich und hielt mir seine Hand entgegen, die ich ebenfalls lächelnd annahm.
„Vielen Dank für Ihre Hilfe“, sagte er und ließ meine Hand nicht los. Sie lagen ruhig ineinander und ich hatte keine Ahnung, ob es nur an mir lag, doch brannte meine Hand in seiner. Sie wurde immer wärmer und wärmer.
„Das gehört zu meinem Job“, erwiderte ich und wurde etwas rot um die Nase. Herr Weber sah mir tief in die Augen und ich konnte schwören, dass selbst seine Augen nun lächelten. Noch einige Sekunden lag sahen wir uns in die Augen und ließen unsere Hände zusammen. Als es plötzlich an der Tür klopfte. Das Klopfen war energisch und aggressiv. Sofort ließen Herr Weber und ich voneinander und traten zwei Schritte auseinander. Genau in diesem Moment schoss die Tür auf und Frau Weber trat einen Schritt in den Raum ein.
„Kommst du jetzt endlich? Du hast die Autoschlüssel und ich möchte jetzt nach Hause“. Frau Weber würdigte mich keines Blickes und es lief mir eiskalt de Rücken hinunter.
Nachdem sich die blonde Schönheit die Haare aus dem Gesicht gestrichen hatte, wirbelte sie herum, stolzierte den Gang entlang und knallte eine Tür geräuschvoll zu. Nachdem ich leicht zusammengezuckt war und verwundert den Kopf geschüttelt hatte, drückte sich wieder Herr Weber in mein Gesichtsfeld.
„Kann ich Sie anrufen, wenn noch weitere Probleme mit Felix auftreten oder ich Ihren Rat brauche?“, fragte er nach und wandte sich schon der Tür zu. Schnell nickte ich und verfolgte jede Bewegung von Felix' Vater. Sie wirkten alle völlig gewollt und nicht so tollpatschig wie meine manchmal, wenn ich schnell verschwinden musste.
„Natürlich“, hauchte ich.
„Gut, dann auf Wiedersehen“, sagte er beim Gehen und war durch die Tür verschwunden. Verwundert und verwirrt zugleich, starrte ich einige Minuten die geschlossen Tür an. Setzte mich aber schließlich zurück auf meinen Stuhl und nahm einen großen Schluck Kaffee.

Impressum

Texte: Alle Rechte des Textes liegen beim Autoren.
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Wieder vielen Dank an lillekatt die meine Texte jedes mal korrigiert ;)

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