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Der Sturm


Jakob langweilte sich. Er langweilte sich ganz entstzlich. Warum hatte er sich bloß zu dieser Kreuzfahrt überreden lassen? Das war das dümmste, was er je getan hatte.
Vielleicht war er mitgekommen, weil seine Mutter sich so sehr darauf gefreut hatte.
Vielleicht, weil sein bester Freund Timo mit von der Partie war.
Vielleicht, weil er froh war aus der Grossstadt raus zu kommen.
Vielleicht, weil er gedacht hatte, dass er viele halb nackte Mädchen treffen würde.
Auf jeden Fall hatte er sich diese Kreuzfahrt anders vorgestellt.GANZ anders.
Statt halb nackter Mädchen waren Wassergymnastikgruppen, Schwimmkurse oder Familien am Pool. Es gab zwar eine Disco an Bord, aber die fing erst um 21Uhr an.Land war auch noch nicht in Sicht, und der Kapitän sagte, sie würden frühstens morgen Abend in einem Hafen einlaufen. Das hieß, es gab nichts zu tun ausser hier zu sitzen und sich zu langweilen. Jakob guckte auf seine Uhr: 15Uhr. Noch 6 Stunden! Er sah zum Himmel und seufzte. Keine Wolke war auf dem strahlenden Blau zu sehen und die Sonne aufs Deck. Es war ein schöner, brütend heißer Tag im August und er saß hier auf einem Schiff irgendwo auf dem Atlantik und langweilte sich.
"Was ist Jakob, langweilst du dich etwa?" Tilo stand vor ihm und grinste. "Komm holen wir uns was zu futtern und gehen dann runter, da findet um 3 ein ein Kickerturnier statt." "Klingt gut." Er stand auf und ging mit Tilo auf den Eingang zu. Wind kam auf, und als Jakob überrasch aufblickte, sah er wie sich dunkle Wolken am Himmel zusammen zogen. Donner grummelte in der Ferne. "Lass uns schnell rein gehen." sagte Tilo. In diesem Moment fing es an zu regnen. Die Jungen sahen sich verwirrt um und beeilten sich zur Tür zu kommen. Gerade als sie durch die Tür und hinunter in den Gemeinschaftsraum gegangen waren, sahen sie durch eines der Fenster wie Blitze über den Himmel zuckten. Fast sofort donnerte es. Alle, die vorher auf Deck in der Sonne gelegen hatten kamen jetzt auch in den Gemeinschaftsraum. Tilo und Jakob setzten sich auf zwei Sessel am Fenster und sahen nach draußen. Das Schiff schaukelte immer heftiger, der Regen wurde stärker und Blitze zuckten in immer kürzeren Abständen über den Himmel, gefolgt von lautem Donner. Und so verging der Nachmittag. Niemand hatte Lust irgendetwas zu tun,geschweige denn zu essen. Manche rannte mit grünen Gesichtern und den Händen vor dem Mund zur Toilette, andere saßen nur zusammengekrümmt da. Irgendwann gingen Tilo und Jakob, genauso wie viele Andere in ihre Kabine, in der Hoffnung schlafen zu können.                                                                                                                                     Mitten in der Nacht wurde Jakob wach. Eine Weile versuchte er wieder einzuschlafen, aber das klappte nicht. Tilo schnarchte leise und Jakob wollte ihn nicht wecken. Er zog sich an und trat hinaus auf den Gang. Leise lief er zum Gemeinschaftsraum. Er sah aus dem Fenster. Der Sturm hatte sich gelegt und es regnete nur noch. Am Horizont war ein schmaler Streifen blauer Himmel zu sehen und es kam Jakob so vor, als sähe er dort den Umriss einer Insel. Aber das konnte nicht sein. Laut Plan sollten sie die nächste Insel erst morgen Abend erreichen und der Sturm hatte sie bestimmt auch noch aufgehalten. Jakob beschloss sich das Ganze noch einmal vom Deck aus anzusehen. Als er die Tür öffnete schlug ihm kalter Wind entgegen. Als er an der Relng stand, sah er den Umriss der Insel immernoch. Das hieß, dass es nicht nur ein Fleck auf der Scheibe war. Aber das konnte nicht sein! Jakob lehnte sich gerade noch weiter über die Reling, als eine besonders große Welle das Schiff erschütterte. Jakob verlor den Halt und fiel in die aufgewühlte See. Als er kurz auftauchte sah er, wie das Schiff immer wieter von ihm wegtrieb und schaffte es noch nach Luft zu schnappen, bevor die nächste Welle über ihm zusammenschlug. Alles wurde schwarz.

 

1

Als Jakob aufwachte, lag er an einem wunderschönen Strand. Er richtete sich auf und sah sich um. Weißer Sand reichte bis hinunter zum ruhigen, türkisblauen Meer. Hinter dem Strand lagen grüne Wiesen und Wälder. Alles war ruhig. Er hörte nur das leise Platschen der Wellen, das Singen der Vögel und das Rascheln des leichten Windes in den Baumkronen. Die Luft war warm und roch nach Blumen und Meerwasser. Jakob legte sich wieder in den Sand und schloss die Augen. Die Sonne schien ihm warm ins Gesicht und die Brandung ging leise und beruhigend. Es dauerte nicht lange, da war Jakob auch schon wieder eingeschlafen.

Als er das nächste Mal aufwachte, lag er nicht mehr am Strand, sondern in einem Bett. Jemand beugtre sich über ihn. Ein Mädchen mit schokoladenbraunem Haar und freundlichem Gesicht. "Na, bist du auch mal aufgewacht?" fragte sie und lächelte ihn an. "Wo bin ich?" murmelte er. "Im Krankenhaus von Ivika." "Ivika? was ist das?"Einen Moment lang sah das Mädchen verwirrt aus, fing sich aber schnell wieder. "Du hast warscheinlich einen Schlag auf den Kopf bekommen. Aber keine Sorge, die Erinnerung kommt wieder." Auf einmal erinnerte er sich wirklich. Der Sturm! Die Insel am Horizont! Die Stimme des Mädchens riss ihn aus seinen Gedanken. "Brauchst du noch etwas?" "Nein, danke." "In Ordnung." Das Mädche ging und Jakob war allein. Er richtete sich auf und sah sich um. Das Zimmer war klein, mit weiß gestrichenen Wänden. In der Wand rechts von ihm war eine Tür, links stand ein Schrank. In der Wand, die dem Bett direkt gegenüber lag, war ein Fenster. Durch das Fenster sah Jakob eine Stadt, die sehr schön zu sein schien. "Gefällt sie dir?" Jakob fuhr herum. Das Mädchen stand wieder in der Tür. Sie trug ein vollbeladenes Tablett. "Ja, die Stadt ist sehr schön." Sie lächelte. "Und du siehst nur einen winzigen Teil." Sie ging auf ihn zu und stellte das Tablett auf den Nachttisch. "Willst du etwas essen?" "Ja, gerne" Er nickte. Sie gab ihm eine Schüssel Gemüsesuppe, einen Löffel und ein Stück Brot. Jakob probierte. Das Essen war köstlich. Das Mädchen beobachtete ihn, während er alles aufaß. Als er fertig war, fragte sie: "Hat es dir geschmeckt?" Er nickte. "Großes Kompliement an die Küche." Sie lächelte. "Werde ich ausrichten." Sie nahm ihm das Schälchen ab und gab ihm stattdessen einen Teller mit einem Stüc Kuchen. Auch der Kuchen schmeckte fantastisch. "Möchtest du was trinken?" Jakob nickte, den Mund immer noch voll mit Apfelkuchen. Sie reichte ihm einen Becher. Jakob beäugte das Getränk misstrauisch. Das Mädchen lachte. "Mach dir keine Sorgen, das sind nur verschiedene Fruchtsäfte mit ein bisschen Quellwasser. Das ist wirklich lecker." Jakob probierte. Das Getränk war wirklich gut. Irgenwie frisch und fruchtig, auch wenn er nicht genau sagen konnte, nach welchen Früchten es schmeckte. Er gab dem Mädchen den Becher wieder. Sie stellte alles wieder auf das Tablett. Jakob beobachtete sie und fragte dann: "Wie heißt du eigentlich?" Sie sah auf. "Nate. Mein Name ist Nate." "Und du arbeitest im Krankenhaus?" "Ja, ich mache eine Ausbildung zur Heilerin. Und du bist mein erster eigener Patient. Da fällt mir ein, wie geht es dir? Hast du Schmerzen oder so?" "Ich bin todmüde, aber sonst geht es mir gut." "Und deine Erinnerung?" "Ich weiß wieder alles." "Das ist gut. Willst du ein Schlafmitel haben?" "Wenn du eins hast." Nate ging zum Schrank und durchsuchte die unterste Schublade. "Ich bin übrigens Jakob." "Woher kommst du Jakob?" "Aus Kiel." "Oh...du kommst von außerhalb." Sie hatte jetzt ein großes Glas voller kleiner grüner Kapseln in der Hand und kam wieder auf ihn zu. "Hier." "Was ist das?" "Das sind eingerollte Blätter, die einen tiefen, erholsamen Schlaf bewirken. Du kannst sie entweder schlucken oder kauen." sagte sie und nahm eine heraus und legte sie auf den Nachttisch. "Ich glaube, ich schlucke sie lieber. Sie sehen aus, als wären sie echt ekelhaft." Nate lachte. "Ja, das sind sie wirklich." Sie füllte den Becher wieder auf und fragte: "Warst du denn schon mal hier?" Dann nahm sie das Glas und ging wieder auf den Schrank zu. "Hier?" "Natürlich. Du hast doch bestimmt Verwandte hier." "Nen, nicht, dass ich wüsste." Sie drehte sich zu ihm um. Irgendwie sah sie verunsichert aus. Sie umklammerte das Glas so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden und Jakob Angst hatte, sie würde es zerbrechen. "Du kommst von außerhalb?" fragte sie mit erstickter Stimme. "Äh...ja." "Und du hast noch nie von Ivika gehört?" Ihre Stimme war inzwischen kaum mehr als ein Flüstern. "Nein...noch nie." "Mutter Erde!" murmelte sie. Das Glas fiel klirrend zu Boden. Einen Moment lang stand Nate einfach nur da, dann lief sie plötzlich zur Tür, riss sie auf und brüllte den Gang hinunter: "Holt den Rat! ER IST ES!!!" 

2

Jakob verstand die Welt nicht mehr. Eben noch hatte er sich nett mit Nate unterhalten und im nächsten Moment war sie schreiend rausgelaufen. "Er ist es!" Was sie damit wohl gemeint hatte? Er, damit war wohl er, Jakob gemeint. Aber was war er? Was zum Teufel sollte das heißen: "Er ist es?" Verdammt, was tat er hier eigentlich? Und wie war er hier her gekommen? Er lag in einem Krankenhaus , in einer Stadt, die er nich kannte, auf einer Insel, von der er noch nie gehört hatte, in einem Gebiet, in dem es eigentlich keine Insel geben durfte. Schräger ging es ja auch nicht mehr. "Ich muss hie raus!" Jakob versuchte aufzustehen, aber ihm wurde sofort schwindelig. Schnell setzte er sich wieder auf die Bettkante. "Verdammt! Verdammt! Verdammt!" 

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Tag der Veröffentlichung: 09.11.2012

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