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Allein in Berlin


ein Tatsachenbericht


Meine Freude war groß, als ich zur Prüfung bei der Akademie in Berlin als Tanz- und Bewegungspädagogin zugelassen wurde. Eine Woche sollte sie dauern und doch hatte ich Angst und die bezog sich nicht nur darauf in den ICE zu steigen, der für meine Begriffe viel zu schnell ist. Nein, auch die Tatsache, eine Woche ganz allein in Berlin zu verbringen, in dieser riesigen Stadt, verursachte bei mir einige Kopfschmerzen. Natürlich war ich schon mal in einer großen Stadt, doch noch niemals allein.

Nachdem ich die Straße erfuhr, wo es stattfinden sollte, buchte ich ein Hotel in geringer Entfernung, so dass ich kaum 5 Minuten Fußweg hatte. Alles war zugesagt und schriftlich bestätigt und ich fing an meinen Koffer zu packen. Je näher der Termin rückte, desto größer wurde meine Angst. Kurz bevor es los ging, schaute ich, aus welchem Grund auch immer, noch mal in mein Postfach. Dort entdeckte ich eine Email des Veranstalters, in der er mir mitteilte, dass sich der Veranstaltungsort geändert hatte. Als Unterbringungsmöglichkeit in der Nähe empfahl er mir ein Hostel. Dieses schaute ich mir im Internet an und, nachdem ich von dort eine schriftliche Zusage bekam, bestellte ich mein bereits gebuchtes Hotel wieder ab, dessen Dame an der Rezeption für meine Lage Gott sei Dank Verständnis hatte.

Dann war er da. Der bewusste Tag. Einen Tag vorher teilte mir meine Tochter mit, dass sie mich zum Bahnhof fährt. Worüber ich mich sehr freute. Immerhin klopfte mein Herz bereits bis zum Hals und meine Angst nahm mittlerweile panikartige Formen an. Selbst ständiges gut zu reden meinerseits half da wenig. Ich war froh als sie da war und ich nicht allein gehen musste. Sie holte mich ab und anschließend saßen wir gemeinsam auf dem Bahnsteig. Da es recht zeitig war, konnte ich anhand eines durchfahrenden ICEs gleich an Ort und Stelle die Geschwindigkeit samt Luftzug erleben. Was meinen Puls wiederum beschleunigte. Meine Tochter ging rührend auf mich ein. Ganz im Gegensatz zu den Aussagen meiner Eltern, die mir immer, wenn ich Angst hatte, sagten: „Du brauchst keine Angst zu haben“, nahm sie mich in ihre Arme und sagte: „Es wird ganz toll! Du wirst sehen.“ Das Gefühl nicht allein zu sein und ihre mutmachenden Worte schafften es, mich etwas zu beruhigen.

Als sich der Bahnsteig langsam füllte, setzte sich eine Dame mittleren Alters zu uns auf die Bank. Nach kurzer Begrüßung kamen wir in einen Plausch, in dem wir erfuhren, dass sie ebenfalls nach Berlin fährt. Daraufhin sagte meine Tochter zu ihr: „Gell, sie passen doch auf meine Mama auf.“ Die Dame bestätigte es und ich schaute ziemlich erstaunt. Irgendwie schienen hier die Rollen vertauscht. Kurze Zeit später fuhr unser Zug ein. Dankbar und mit einem einigermaßen guten Gefühl verabschiedete ich mich von meiner Tochter und stieg mit der Dame ein. Wow! Darin sah es ganz anders aus, als in den Zügen, mit denen ich sonst fahre. Alles war viel bequemer und geräumiger. Wir fanden beide an einem Tisch am Fenster Platz, so dass wir uns gegenüber saßen und gut unterhalten konnten.

Die Türen schlossen sich. Es ging los. Anfangs merkte ich gar nicht, dass wir fuhren und später wartete ich darauf, dass es schneller wird. Seltsam, von drinnen sieht irgendwie alles ganz anders aus, als von draußen. Es war eine interessante Fahrt. Neben lebhaften Gesprächen mit meinem Gegenüber las ich in einem Buch, welches mir meine Tochter kurz vor der Abfahrt gegeben hatte. Es handelte vom Tanzen, wie es angefangen hat und war wunderschön geschrieben und mit schönen Bildern ausgestattet. Immer wieder schaute ich aus dem großen Fenster und wunderte mich, dass wir so langsam fuhren. Herrliches Wetter und schöne Gegenden begleiteten uns.

Am späten Nachmittag kamen wir in Berlin an. Das war der Hammer. Gigantisch. So einen Bahnhof habe ich noch nie gesehen. Er hatte etliche Etagen und nach oben blickend war kein Ende in Sicht. Gott sei Dank hatte mir die Dame aus dem Zug gesagt, wo ich hin muß und welche S-Bahn ich nehmen soll, damit ich dorthin komme, wo das Hostel ist. Ich zog also mit meinem rollenden Koffer los, nicht ohne immer wieder irgendwo staunend stehen zu bleiben. Da gab es alles. Einen Friseur, Schuhreparatur, von Einkaufsläden ganz zu schweigen. Ich war überwältigt.

Nach einiger Mühe und einmal Verlaufen fand ich die passende S-Bahn und stieg ein. Kaum, dass ich mich hingesetzt hatte, war ich auch schon da. Diesmal auf einem Bahnhof in einem Haus. Zumindest sah es so aus, als ich es von Aussen betrachtete. Zwar bin ich dann in die falsche Richtung gelaufen, habe sie aber, nachdem ich etliche Leute fragte, wo das Hostel ist und es kaum jemand kannte, geändert. Am Friedrichstadtpalast, für mich sehr beeindruckend, bog ich rechts in die Straße ein und war da. Beinahe wäre ich am Haus vorbei gelaufen. Außer einer goldenen Schelle war nichts zu erkennen. Das ganze sah schon recht seltsam aus. Ich muß dazu sagen, dass ich, als ich mir dieses Haus auf der Homepage anschaute, kaum etwas verstand, da alles in englischer Sprache geschrieben war. Die nun mal nicht zu meiner Muttersprache gehört.

Etwas zögerlich ging ich in die Einfahrt, die am Ende zu einem weiteren Haus führte. Als ich bereits dahin unterwegs war, sah ich rechts neben mir eine Tür mit der Aufschrift Hostel. Vorsichtig öffnete ich sie und kam in einen großen Raum. Alles war ziemlich dunkel gehalten. Hier gab es nur kleine Lichtquellen. Mir gegenüber war eine niedrige Theke. Dahinter saß ein junger Mann, der mich auf englisch ansprach. Ohne ein Wort zu verstehen sagte ich ihm, dass ich ein Zimmer mit Frühstück gebucht habe. Gott sei Dank beherrschte auch er die deutsche Sprache. Während er mir eine Karte gab und erklärte, dass sich damit die Türen öffnen lassen, was für mich eine ganz neue Erfahrung war, da ich so etwas nur aus dem Fernsehen kannte, kamen viele Leute, die sich in den unterschiedlichsten Sprachen unterhielten und setzten sich an die an der Wand eingerichteten PC-Plätze. Gerade in dem Moment, als er mir sagte, dass ich mit meiner Frühstückskarte, die er mir gab, Freiminuten für das Internet habe. Toll, dachte ich, dass ist doch mal was.

Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass ein Hostel eher einer Jugendherberge ähnelt. Machte mir jedoch keine weiteren Gedanken darüber, schließlich wollte ich es ja auch genießen und ich war stolz auf mich, dass ich es schon so weit geschafft hatte. Meinen Koffer hinter mir herziehend begab ich mich mit dem Aufzug in den zweiten Stock. Mein Zimmer hatte die Nummer 207. Es war etwa in der Mitte eines langen Flures. Es dauerte eine Weile, bis ich mit dieser Karte die Tür öffnen konnte und in mein Zimmer kam. Das war hart. Es sah nicht nur unten aus wie in einer Jugendherberge. Es sah auch in meinem Zimmer so aus. Da standen zwei Betten jeweils an den Wänden gegenüber. Vor dem einen stand so etwas wie ein Tisch. Vor dem anderen war die Waschkonsole und dem gegenüber die Dusche. Die Toilette war auf dem Flur. Ich bezog also mein Bett, hängte meine Kleidung auf Bügel an einer Stange, da es keinen Schrank gab und beschloss noch etwas essen zu gehen. Auf meine Frage an der Rezeption, wo ich zu Abend essen kann, sagte der junge Mann „Überall, Sie brauchen nur um die Ecke zu gehen und schon sehen Sie es.“ Ich bedankte mich und zog los.

Ja, es waren überall Restaurants und Lokale mit Männern davor, die versuchten, mich zu animieren, dass ich dort esse. Sie kamen mir vor, wie die Türsteher in Hamburg auf der Reeperbahn. Die wollen auch jeden rein holen. Doch so viel Geld wollte ich für ein Abendessen gar nicht ausgeben. Ich lief ein paar Straßen weiter und rechnete mir aus, wenn ich jetzt rechts rum gehe, dann brauche ich nur... tja und dann hatte ich mich verlaufen. Ich hatte mich verrechnet. Am Ende fand ich dadurch einen Imbiss, wo ich eine preiswerte, leckere Mahlzeit bekam. Nachdem ich aufgegessen hatte und es bereits dunkel war, fragte ich heran kommende Leute, wie ich zum Hostel komme. Wieder musste ich feststellen, dass es kaum jemand kannte. Nach ein paar vergeblichen Versuchen kam mir eine junge Frau entgegen, die mir endlich eine Auskunft geben konnte. Glücklich kam ich eine halbe Stunde später in meinem Hostel an. Ich war doch ziemlich weit vom Wege abgekommen. Alles was ich jetzt noch wollte, war nur noch ins Bett.

Etwa um 2:00 Uhr wurde ich von einem Höllenlärm geweckt. Es hörte sich an, als ob ich auf einem Bahnhof bin und nach dem Geklacker zu urteilen, dass jemand in Stöckelschuhen durch den Gang lief. Krass, und das um diese Zeit. Haben die hier noch nichts von Nachtruhe gehört? Vermutlich zogen die Leute hier Nachts aus und ein. Na, das kann ja heiter werden. Immerhin hatte ich für eine Woche gebucht. Gegen 3:00 Uhr kehrte dann endlich Ruhe ein und obwohl ich wenig Schlaf hatte, stand ich am Morgen gut gelaunt auf. Ging unter die Dusche und begab mich in den Frühstücksraum. Wo auch immer der war.

Als ich in die unterste Etage kam war es 7:30 Uhr. Zu früh sagte man mir am Tresen. Frühstück gibt es erst ab 8:00 Uhr. Ich könne aber so lange an den PC, wenn ich will. Ich bedankte mich für die Auskunft und die Dame, die ebenfalls deutsch sprach, stellte mir die Zeit auf einem der PCs ein, so dass ich eine halbe Stunde surfen konnte. Diese Zeit nutzte ich, um meine Emails abzurufen, zu beantworten und um meiner Tochter zu schreiben. Während ich mit dem PC beschäftigt war wurde der Tresen mit einem Frühstücksbuffet eingedeckt. Um 8:00 Uhr füllte sich der Saal. Ich beendete meine Tätigkeit und ging mir Frühstück holen. Der Tresen an dieser Seite des Raumes war vermutlich nur für große Leute gedacht. Kleine, wie ich, mussten sich enorm auf ihre Zehenspitzen stellen, um den Druckmechanismus der Kaffeekanne zu erreichen. Dafür durfte jeder so viel essen und trinken wie er wollte. Eine junge Frau, die ebenfalls Kaffee haben wollte sprach mich an. In englisch und ich ärgerte mich, dass ich es nie richtig gelernt habe. Mit Händen und Füßen erklärte ich ihr, dass ich aus Thüringen komme. Keine Ahnung, ob sie mich verstanden hat. Jedenfalls sagte sie ok und damit war das Thema und das Gespräch beendet.

Nach einem ausgiebigen Frühstück ging ich in Richtung unseres Treffpunktes. Er war nur zwei Straßen weit entfernt. Eine Viertel Stunde vor der vereinbarten Zeit blieb ich, vor dem, vom Veranstalter genannten Haus stehen und wartete. Niemand kam. Ich wartete weitere 15 Minuten, dann klingelte ich. Durch ein großes Tor und einen Innenhof gelangte ich zu einem Hinterhaus, dessen Tür mir geöffnet wurde. Eine junge Frau fragte, zu wem ich wolle. Als ich antwortete, dass ich die Veranstaltung besuchen möchte schaute sie mich verwundert an und teilte mir mit, dass diese hier nicht stattfindet. Entgeistert sah ich sie an. Verstört fragte ich, wie sie das meint. Darauf wiederholte sie, dass sie von einer Veranstaltung, hier im Haus, nichts weiß. Da musste ich mich erst mal setzen. Sie brachte mir ein Glas Wasser und ging telefonieren. Sie wollte sich darum kümmern. Während sie in ihrem Büro verschwand klingelte es erneut. Ein junges Mädchen kam und wollte... zur Veranstaltung. Ich freute mich, dass ich jetzt nicht mehr alleine war. Auch das junge Mädchen war total geschockt, dass wir angeblich falsch waren.

Mittlerweile hatte die junge Frau mit Hilfe einiger Telefonate heraus gefunden, wo diese Veranstaltung stattfand und teilte es uns mit. Wir dachten, wir hören nicht richtig. Vor allem ich. Sie fand dort statt, wo sie vorher statt finden sollte. Da, wo ich ein Hotel gebucht hatte und das war ganz wo anders. Ich dachte ich fass es nicht. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Wie geht denn so was? Jetzt habe ich alles umgebucht und nun ist es doch da. Meiner jungen Kollegin ging es ebenso. Nur, dass sie nicht umgebucht hatte. Sie hatte ein Hotel in der Nähe. Die Frau versuchte uns zu beruhigen und schrieb uns genau auf, wie wir dorthin kommen. Mit welcher S-Bahn wir fahren sollen und wie wir den Rest der Strecke laufen. Also bedankten wir uns und machten uns auf den Weg. Zumindest waren wir jetzt zu zweit. Das ist schon etwas anderes, als sich alleine zurecht finden zu müssen.

Wir liefen zum Bahnhof, lösten unsere Karten, nachdem wir mit diesem Automaten umgehen konnten und stiegen in die S-Bahn, welche uns die freundliche Frau aus dem Büro aufgeschrieben hatte. Vorher kauften wir uns jeder eine Streuselschnecke, die wir unterwegs verspeisten. Zum einen, da mittlerweile das zweite Frühstück angesagt war, zum anderen für die Nerven. In Schöneberg angekommen brauchten wir vom Bahnhof noch 10 Minuten bis zum Treffpunkt. Dort eingetroffen gingen wir direkt in den Kursraum, wo unsere Dozentin bereits mitten im Unterricht war. Erstaunt schaute sie uns an und fragte, woher wir kommen. Sie dachte, wir hätten abgesagt. Nachdem wir ihr und den Kolleginnen die ganze Geschichte erzählten, haben wir alle miteinander laut und herzerfrischend gelacht.

Es wurde eine sehr schöne Woche, in der ich sehr viel von unserer Dozentin lernte. Viele neue Bekanntschaften schloss und mich an die nächtlichen Umzüge in meinem Hostel gewöhnte. Schwierig war es, weil ich nun früher als geplant aus dem Haus musste, um rechtzeitig zu Beginn der Trainingsstunde anzukommen. Es dauerte jedes Mal eine Dreiviertelstunde, die ich im abbestellten Hotel, was wirklich gleich um die Ecke war, länger hätte bleiben können. Da es aber nun mal so war, habe ich das beste daraus gemacht und mich sogar ein wenig wohl gefühlt. Als Entschädigung konnte ich ja ins Internet und das Frühstück war reichlich und gut. Zwar war es ziemlich gewöhnungsbedürftig dort in der sogenannten Nasszelle auf die Toilette zu gehen, da ihnen meist die Deckel fehlten, oder sie wirklich ihrem Namen alle Ehre machten, doch auch das ging mit der Zeit. Immerhin hatte ich ja meine eigene Dusche im Zimmer, die ich mit niemandem teilen musste, worüber ich sehr froh war.

Die Woche ging ziemlich schnell vorüber. Aus den verschiedensten Gegenden der Bundesrepublik waren die Teilnehmerinnen zu dieser Veranstaltung angereist. Am letzten Tag bekamen wir unsere Zertifikate. Alle hatten bestanden. Nach einer kleinen Feier in gemütlicher Runde und dem Austauschen von Emailadressen und Telefonnummern machten wir uns, mit unseren mitgebrachten Koffern, von dort auf den Heimweg. Mein Zug sollte um 20.00 Uhr fahren. Ich spazierte also zur S-Bahn, um mit ihr zum Bahnhof Südkreuz zu fahren und dort auf meinen Zug, den ICE, zu warten. Als ich dort ankam, wurde über Lautsprecher mitgeteilt, dass der ICE, planmäßige Abfahrt um 20:00 Uhr vermutlich 25 Minuten Verspätung hat. Toll, dachte ich, dann hätte ich mir doch noch das Brandenburger Tor ansehen können. Wir hatten ja bereits um 18.00 Uhr die Veranstaltung beendet. Ich aber wollte rechtzeitig am Bahnhof sein. Ein wenig ärgerte es mich schon, schließlich bin ich jeden Tag mit der S-Bahn drunter durch gefahren. Im Grunde war ich, wenn ich es im Nachhinein betrachtete, mehr unter der Erde als darüber. Mit Ausnahme der Zeiten, wenn ich in meinem Hostel, bzw. bei meinen Trainingsstunden war. Egal, dann warte ich eben die 25 Minuten.

Da ich eine zugbezogene Fahrkarte hatte, fragte ich vorsichtshalber am Schalter noch mal nach, ob diese auch für den verspäteten Zug gilt und ob ich dann weiteren Anschluss von Lutherstadt-Wittenberg nach Hause habe, da der Zug, den ich gebucht hatte, ja dann vermutlich schon weg ist. Erstaunlicherweise teilte mir der Mann daraufhin mit, dass dieser Anschlusszug gar nicht fährt, da auf Schienenersatzverkehr umgestellt wurde und so ganz nebenbei, dass dieser vollkommen überlastet ist. Toll. Und nun, fragte ich ihn. Er war so freundlich und suchte mir einen Zug heraus, mit dem ich ein wenig weiter kommen sollte und fand einen, der sogar bis nach Erfurt fuhr. Allerdings mit einem kleinen Haken. Erst um 22:30 Uhr. Nachdem ich meinen Schock überwunden hatte, sagte ich ihm, dass ich diesen nehme und er änderte meine zugbezogene Fahrkarte um, damit ich keinen Ärger bekam. Ich bedankte mich bei ihm, daraufhin schloss er den Schalter.

Tja, auf dem Bahnhof war es echt kalt. Eisig. Es war schließlich November. Die Bänke waren aus Eisen. Auch kalt. Alles hatte geschlossen, bis auf einen Imbiss, erstaunlich für Berlin, aber es war eben nicht der Hauptbahnhof. Ich gönnte mir einen heißen Kaffee in einer geschützten Ecke des Imbisses, um mich etwas aufzuwärmen, denn windig war es ja auch noch, bevor ich bis 22:30 Uhr auf dem Bahnhof herum lief. Immer auf und ab. Manchmal wechselte ich auch die Etage und nahm es mit Humor.

Endlich, noch 5 Minuten, dann war ich erlöst. Dachte ich. Pünktlich um 22.30 Uhr kam folgendes durch die Lautsprecher auf dem Bahnsteig, wo ich mich bereits eingefunden hatte: „Der ICE, planmäßige Abfahrt 22:30 Uhr hat voraussichtlich 25 Minuten Verspätung. Wir bitten um Entschuldigung.“ Ich dachte, ich spinne. Das geht ja wohl gar nicht. Irgendwie schien es wie verhext. Auch die anderen Passagiere schauten recht ungläubig, die vor kurzem eingetroffen waren, und die 25 Minuten kamen mir mittlerweile magisch vor. Irgendwie schien es schwierig zu sein aus Berlin wieder weg zu kommen. Gut, auf die halbe Stunde kam es nun auch nicht mehr an. Geduldig wartete ich bis mein Zug 25 Minuten später in den Bahnhof einfuhr. Immerhin war ich ja erst seit 4.00 Uhr früh auf den Beinen, hatte wie immer des Nachts die übliche Unterbrechung und an die Kälte hatte ich mich schon gewöhnt.

Als der ICE dann kam, der bis Zürich fuhr, was über Lautsprecher mitgeteilt wurde, traute ich mich nicht, obwohl ich ein wirklich schönes Plätzchen gefunden hatte, einzuschlafen, aus Angst an Erfurt vorbei zu fahren. Weil ich nicht wusste, ob mein Anschlusszug in Erfurt, schließlich musste ich ja nach Gotha weiter, auf uns wartet, fragte ich die Schaffnerin, ob ich den Zug um 1:22 Uhr erreiche. Immerhin habe ich schon davon gehört, dass ein ICE solche Verspätungen wieder aufholen kann. Sie schaute mich in etwa so an, wie der Mann an dem Schalter in Berlin und mir schwante nichts Gutes. Nachdem sie in ihren Unterlagen blätterte blickte sie auf und sagte mir, dass dieser Zug Sonntags gar nicht fährt. Seltsam, auf meiner alten, noch nicht umgeschriebenen Fahrkarte, die ich in Gotha am Bahnhofsschalter bekommen hatte, stand er aber drauf und das mit Datum und die werden das doch wohl wissen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Was für ein Durcheinander. Wahnsinn! Da sie vermutlich Angst hatte, dass mich der Schock, der mich aufgrund dieser erneuten Situation einholte und mir eine ziemliche Blässe ins Gesicht trieb, umwirft, durfte ich mich zu ihr in die Kabine setzen. Sie war so freundlich und suchte mir einen anderen Zug heraus. Einen, der um 2:45 Uhr fuhr. Mittlerweile kannte sie meine bisherige Geschichte und so fügte sie bei, dass es dort einen Bäcker in der unteren Etage gibt, wo ich frühstücken kann. Wie beruhigend. Ich war ja auch gar nicht müde. Dennoch bedankte ich mich bei ihr, bevor ich wieder auf meinen Platz ging, schließlich konnte sie am allerwenigsten dafür.

Angekommen in Erfurt, um 1:45 Uhr suchte ich sofort die Bäckerei in der unteren Etage auf und ließ mir ein leckeres Frühstück schmecken. Immerhin hatte ich noch eine Stunde Zeit und dort war es warm. Im Gegensatz zu Berlin. Um 2:30 Uhr traf ich auf dem Gleis ein und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, der Zug stand schon da. Da stand der Zug nach Gotha. Herrlich. Der Schaffner öffnete die Türen und ich konnte einsteigen. Genüsslich ließ ich mich auf den Sitz fallen und beobachtete die Bahnhofsuhr. Es war 2:45 Uhr ... und es tat sich nichts. Ich wartete. Darin hatte ich ja schon Übung. Man kann sagen ich war Meister geworden. Einen Moment dachte ich noch, auf was wartet der? Wir können doch fahren. Warum bewegt sich nichts? Da kam der Fahrer ins Abteil, es war ein Triebwagen, und sagte: „Es tut mir leid, aber wir haben 25 Minuten Verspätung, da wir auf den ICE aus Berlin warten müssen.“ Entgeistert schaute ich ihn an und brach in schallendes Gelächter aus. Ich war einfach fertig. Aus den 25 Minuten wurde 3:30 Uhr. Endlich ging es in Richtung Gotha. Meiner Tochter, die mich vor Stunden abholen wollte, hatte ich schon in Berlin mitgeteilt, dass daraus nichts wird. Allerdings bin ich zu diesem Zeitpunkt nur von 25 Minuten Verspätung ausgegangen.

Um 4:00 Uhr früh, um die gleiche Zeit, wie ich einen Tag früher aufstand, kam ich in Gotha an. Ein Taxi brachte mich heim. Laufen war weiß Gott nicht mehr drin. Aufatmend fiel ich in mein Bett und war stolz auf mich, dass ich all das mit Humor ertragen habe, obwohl ich vorher gar nicht wusste, dass ich so etwas besitze.

So hatte am Ende, auch das scheinbar Negative etwas Gutes... ich habe meinen Humor wieder gefunden... und gelernt, dass Humor die beste Art ist negative Gefühle auszudrücken, bevor sie entstehen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für meine Tochter Nicole

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