Nichts braucht werden – Alles ist
Vor acht Jahren, als ich noch ein kleines Mädchen war, dass niemals erwachsen werden wollte, las ich in der Zeitung eine Anzeige..
„Gibt es das perfekte Glück?“
stand da. Es sprang mir regelrecht ins Auge. Ohne lange zu zögern schrieb ich in Gedichtform an die angegebene Chiffreadresse. Dann wartete ich gespannt, was passiert.
Es dauerte eine Weile, bis ein Brief kam. Ein Brief von einem Fremden. Beim Öffnen fielen zwei Bilder heraus. Eines mit einem gut aussehenden jungen Mann in den besten Jahren, auf dem anderen Bild war er mit einer Maske. Einer furchteinflössenden und grässlichen Fratze. Im Brief stand..
„hier sind zwei Bilder von mir. Eines vom letzten Jahr und auf dem anderen kannst Du gleich sehen, wie ich in 30 Jahren aussehe, damit Du weißt, was auf Dich zukommt. Spaß beiseite..“
Niemand von uns ahnte damals, wie viel Wahrheit diese Worte ausdrückten. Wer denkt schon darüber nach, wenn er die Möglichkeit hat sich in ein Abenteuer zu stürzen um vielleicht endlich die große Liebe zu finden. Alles, was ich zu dieser Zeit wollte, war, dass mich jemand lieb hat. Was er wollte wusste ich nicht. Aber ich war neugierig es herauszufinden.
Dann war es so weit. Es klingelte. Er war da. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich atmete tief durch und ging zur Tür. Wow! Sah dieser Mann toll aus. Irgendwie war er groß, aber da war auch etwas von einem kleinen Jungen. Dieser schelmische Blick. Sein Grübchen fiel mir sofort auf. Das hatte etwas spitzbübisches. Die Augen, die mich auf dem Bild bereits faszinierten, zogen mich magisch an. Diese Augen waren einfach himmlisch. Er war keck und doch schüchtern. Das gefiel mir.
Nachdem wir durch den Park spazieren gingen, lud er mich zum Italiener ein. Anschließend gingen wir ins Kino, in Impossible Mission 2. Das war zwar nicht so meine Richtung, aber mit diesem Mann..
Er saß da. Neben mir. Ich weiß noch, dass ich dachte, „warum legt er seinen Arm nicht um mich? Ich möchte mich in seinen Arm legen. An seine Schulter kuscheln.“ Dann fiel mir ein, vorher, beim Spaziergang im Park wollte er meine Hand halten. Da ärgerte ich mich, dass ich es nicht zugelassen habe, weil ich dachte, es sei zu früh und wir kennen uns doch gar nicht.
Nach dem Film brachte er mich nach Hause. Lange saßen wir im Auto vor meiner Tür und redeten über dies und das. Er ging mit hinein und wir redeten weiter. Es schien kein Ende zu nehmen. Gegen 1.00 Uhr brach er auf und als ich die Tür öffnete, gab er mir einen Kuss. Einen kurzen, schnellen Kuss. Einen, den ich nie vergessen habe. Er war der Beginn von etwas, dass alles verändert hat. Dieser Kuss, im Grunde nichts besonderes, nichts weltbewegendes, eben einfach nur ein Kuss, war der Anfang einer unendlichen Liebe, deren Ende vorprogrammiert war. Einer Liebe zwischen zwei Kindern, die sich als verletzte Kinder trafen. Beide hatten die Erfahrung gemacht, dass niemand da ist, wenn sie jemanden brauchen. Aufgrund dieser Erfahrung haben sie aufgehört zu brauchen. Bis dahin waren sie sich gleich. Hier gab es eine Verbindung. Doch dann trennte es sich, dann wurden sie verschieden. Nämlich dadurch, dass jeder einen anderen Weg einschlug. Jeder ging in seinem Leben anderst mit dieser Erfahrung um.
Während ich zum Rebell wurde und gegen und um alles kämpfte, nahm er sich was er brauchte. Ihm gefiel diese Rolle als kleiner Erwachsener, weil sie ihm Aufmerksamkeit, Achtung und Respekt schenkte, während ich diese Rolle hasste. Sie aber spielen musste, weil ich dachte, so den Schlägen und Demütigungen zu entgehen. Das war der Unterschied. Obwohl es wieder passte. Wenn auch von verschiedenen Seiten. Es gab eine Verbindung. Etwas Gemeinsames. Da waren nicht nur zwei verletzte Kinder, die gebraucht werden wollten. Diese Kinder haben auch gleich reagiert, indem sie aufgehört haben zu brauchen. Jetzt, wo sie sich trafen, konnten sie sich, da sie verschieden damit umgegangen sind, wunderbar ergänzen und voneinander lernen, um miteinander zu wachsen.
Womit unsere Geschichte beginnt, obwohl sie bereits viel früher anfängt.
Wer jetzt denkt, dass es ins Detail geht, den muß ich enttäuschen. Es wird keine schmutzige Wäsche gewaschen. Denn das ist unsere Geschichte und die lebt in unseren Herzen, in unseren Gedanken und in unserer Seele. Aber auch hier bestätigt sich, dass es meistens anderst kommt, als man denkt. Denn, was dann geschah wollte wohl niemand von uns.
Er entwickelte sich immer mehr zu dem, was auf dem Bild mit der Maske zu sehen war. All das erinnerte mich an meinen Vater. Ein strenger, dominanter, großer, ernster Mann, der keine Widerworte duldete. Da ich kontinuierlich an mir und meinen Leben arbeitete, mich mit meiner Vergangenheit und all dem Schmerz auseinander setzte, fiel es mir mehr und mehr auf. Eine ganze Weile ließ ich es mir gefallen. Schließlich war ich es so gewohnt. Ich kannte nichts anderes. Dadurch, dass es mir auffiel, kam es ans Licht. Bei genauem Betrachten gefiel es mir nicht mehr und ich fühlte mich damit auch nicht mehr wohl. Immer öfter gab ich nun Widerworte und verweigerte den Gehorsam, wie ich es bereits bei meinem Vater tat. Ich hörte auf das Opfer zu sein und meine Verletzungen konnten heilen. All das wurde mir erst viel später bewusst. Für ihn war es sehr schwierig, da er nun kein Opfer mehr hatte. Es ging dann noch eine Weile gut, bis ich zu ihm sagte, „jetzt habe ich Dich vom Thron gestoßen“ und auf kein „Du sollst“, „Du musst“, oder „das tut man nicht“ mehr reagierte. In diesem Moment sah ich, dass ich mich getäuscht hatte. Dass er nicht wirklich der große, starke Erwachsene, für den er sich ausgab ist. Er tat nur so und alle Lügen, die er mir aufgetischt hatte, dienten dazu, seine Rolle weiter spielen zu können. Ich hatte es mitgespielt, weil ich es so gewohnt war. Ich habe es so hingenommen, weil ich es nicht anderst kannte. Denn ich dachte, dass ich es nicht besser verdiene. Dass all das Leid Strafen sind. Die Erinnerung kam hoch, dass meine Eltern immer sagten, dass ich böse sei und aus der Art geschlagen. Dass ich eine feste Hand brauche und sie das alles tun, damit es mir besser geht. In dem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich einem Muster gefolgt bin. Eine Rolle gespielt habe, damit sie mich lieb haben. Damit mich irgend jemand lieb hat. Dabei stand ich mit gezückten Schwert in Hab Acht Stellung, aus Angst, dass mir wieder weh getan wird. Dass ich verletzt werde. Ich sah aufeinmal, wie klein mein Vater und dieser Mann in Wirklichkeit war. Verstand, dass er sich nahm, was er brauchte, weil er es so gelernt hatte. Weil es seinem Muster entsprach. Eine erstaunliche Erkenntnis, die mich gleichzeitig weinen und lachen lies. An diesem Tag legte ich mein Schwert nieder und hörte auf zu kämpfen.
Er, den ich trotz verschwiegener Freundin, der ständigen Lügen und seines Auftretens mir gegenüber liebte, mit dem ich alt werden wollte, konnte damit allerdings nicht umgehen. Er wollte seine Rolle behalten. Lieber verzichtete er auf unsere Beziehung. Auf ein Leben mit mir. Als ich von der Beerdigung meiner Mutti, die ich bis zu ihrem Tode gepflegt hatte, nach Hause kam, ihn am meisten brauchte, ging er. Vollendete, was zu seinem Muster gehörte, da er mit dem Schmerz und der Trauer nichts anfangen konnte und nie gelernt hatte damit umzugehen. Er verlies fluchtartig den Schauplatz, weil er dachte, nun keine Rolle mehr zu spielen, ohne zu merken, dass er in meinem Leben die größte Rolle gespielt hat.
Ich durfte ihn weder anrufen, noch treffen, er mied jeden Kontakt. Er verbannte mich völlig aus seinem Leben. Was für mich sehr hart war.
Später, als wir uns zufällig trafen, erzählte er mir von seiner Freundin und was ihm dort fehlte. Ich war sehr erstaunt, denn es war seltsamerweise genau dass, was ihn in unserer Beziehung gestört hatte. Wir redeten viel miteinander und mit der Zeit kamen wir uns wieder näher.
Diesmal dauerte es etwas, bis ich mich darauf einlassen konnte. Dazu kam, dass er über das Geschehene nicht reden wollte. So stand es immer zwischen uns. Was wir beide ignorierten, da eine völlig neue Beziehung begann. Es war, als habe er sich ausgetauscht. Als habe er sich um 180 Grad gedreht. Als sei er ein Anderer geworden. Mir gefiel es wertgeschätzt zu werden. Auf Händen getragen zu werden. Gefragt zu werden, was ich möchte. Das war ein wunderbares Gefühl und ich genoss es in vollen Zügen. Es tat mir gut. Hatte ich doch Jahrzehnte Nachholbedarf.
Ein paar Jahre war es einfach traumhaft. Zwar störte es mich irgendwie, dass er ständig nur fragte, aber, da es mir ansonsten gut ging, ich mich gut fühlte, nahm ich es wie es war und dachte nicht weiter darüber nach. Bis mir auffiel, dass etwas fehlte und dass ich immer die Entscheidungen treffen sollte. Was mich stutzig machte und ich fing an, diese Art Beziehung zu hinterfragen. Wo war das spitzbübische, das kecke, das schelmische geblieben? Selbst das Grübchen war nicht mehr da. All dass, was in der ersten Beziehung da war, war verschwunden. Er hatte lediglich die Seite gewechselt. Im Grunde hatte sich nichts geändert. Von Verantwortung tragen war keine Rede. Das überlies er mir.
Nachdem alles Reden darüber keinen fruchtbaren Boden fand entschloss ich mich, mit dem Hinweis, dass ich das Gefühl habe, dass wir uns verloren haben, uns fremd geworden sind, mich zurückzuziehen. Aus diesem, aus seinem Spiel, auszusteigen. Außerdem war ich müde und hatte keine Kraft mehr. Ich hoffte, dass er jetzt, mit all dem, was er von mir bekommen hatte, etwas anfängt. Dass er mir davon etwas gibt.
Meine Flamme war zur Glut geworden und ich wünschte mir, dass er sie neu entfacht. Dass er sie zum lodernd bringt. So, wie ich es all die Jahre getan habe. Ich sagte es ihm immer wieder, doch es kam nichts. Alles, was er tat, war, sich an dem Rest zu wärmen.
Schließlich habe ich mich ganz zurück gezogen. Bis ich vollkommen aus seinem Spiel ausgestiegen bin. Am Ende habe ich aufgehört eine Rolle zu spielen. Weil ich festgestellt habe, dass ich keine Rolle spielen muß. Da ich nun keine Rolle mehr spielte, war auch seine überflüssig geworden. Er konnte auch die neue, in die er geschlüpft war, als die alte nicht mehr passte, nicht weiter spielen. Erneut verließ er die Bühne nach dem gleichem Muster, wie beim ersten Mal. Mit dem Unterschied, dass er es mir diesmal per Email mitteilte. Wieder war es sehr hart für mich. Es tat furchtbar weh. Nach all dem, was wir zusammen erlebt haben. Ich brach zusammen und brauchte lange um darüber hinweg zu kommen. Bis ich damit fertig wurde. Bis ich wieder klar denken konnte.
Alles, was ich jetzt noch wollte, war ein Abschluss. Ein Ende mit Anstand. Es dauerte eine Weile, bis er so weit war. Letzte Woche brachte er mir die Markise seiner vor kurzem verstorbenen Mutter. An dem Tag, als sie starb stand er weinend vor mir. Ich habe ihn einfach in die Arme genommen. Er sagte, dass er mich jetzt versteht und dass es ihm leid tut, dass er bei meiner Mutti nicht für mich da war. Weil wir danach keinerlei Kontakt mehr hatten, rechnete ich nicht damit, dass er mir ihre Markise bringt. Umsomehr freute ich mich. Wir tranken zusammen Kaffee und aßen Kuchen. Ich merkte, wie er es vermied mich zu berühren. Mir nahe zu kommen. Er vergrub seine Hände tief in seinen Hosentaschen, um nicht in Versuchung zu geraten. Kurz bevor er ging, nahm er mich in seine Arme und drückte mich fest an sich. Ich fühlte seine Liebe, die er unter Kontrolle halten wollte. Strich ihm über den Kopf, drückte ihn noch einmal an mich und sagte.. „danke, dass Du es mit Anstand beendet hast. Leb Dein Kind.“
Da gingen sie hin..
der Kleine, der groß, erwachsen sein wollte und der Große, der Erwachsene, der, nachdem er endlich sein Kind wieder gefunden hatte, Kind sein will. Jeder mit seiner Maske, dem Teil, den er meidet, weil er damit schlechte Erfahrungen gemacht hat.
Schade!
Dadurch entgeht ihnen die schönste Erfahrung. Denn, wenn sie sich zusammen tun, können sie voneinander lernen, ohne neue Erfahrungen damit machen zu müssen, wodurch sie miteinander neue Erkenntnisse gewinnen können. Unter anderem
die Erkenntnis, dass sie EINS SIND und dass er längst erwachsen geworden ist, so dass er beides leben kann.
Das ist unsere Geschichte. Sie endet, wie sie begann. Mit zwei verschiedenen Bildern von ein und derselben Person.
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich allen, die sich trauen, ebenso wie denen, die sich nicht trauen, erwachsen zu werden.