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Poch, poch, poch. Mein Herz schlägt laut und wild, als wolle es jeden Augenblick aus meiner Brust hervor springen. Doch, wo bin ich und was ist geschehen?
Momentan kann ich nur so viel sagen, ich liege ausgestreckt am Boden.
Mein Herz transportiert mit jedem Schlag das rasende Blut durch seine Bahnen, so dass es in meinen Ohren rauscht, als wäre es ein reisender Fluss. Da ich nun etwas mehr zu mir komme, wird ein weiteres Gefühl bewusst, es schmerzt! Mein Kiefer fühlt sich an, als wäre ein Laster darüber gefahren.
Ja, jetzt weiß ich auch wieder, wo ich bin und neben dem Rauschen nehme ich das Schreien und Kreischen tausender Kehlen wahr. Doch was ist passiert?

Eine Hand legt sich auf meinen nackten Bauch, nicht sinnlich, wie die einer liebkosenden Frau, trotzdem beschützend, auf jeden Fall beruhigend, gut zu Wissen, dass ich nicht alleine bin.
Möglicherweiße wäre es eine gute Idee, die Augen zu öffnen, doch dazu fehlt mir noch die Kraft.
Eine Stimme dringt durch die unzähligen anderen zu mir durch.

„Kannst du mich hören? Wie geht es dir?“

Noch dreht sich alles, trotzdem versuche ich zu reagieren.
Meine Augenlieder flackern, ich blinzle. Lichtblitze strömen auf mich ein. So hell.
Um mich herum stehen mehrere Gestalten, spenden wenigstens ein wenig Schutz vor dem gleisenden Licht.
Eine der Gestalten beugt sich zu mir herab.

„Alles klar? Kannst du mir sagen, wo du bist?“

Blöde Fragen, nein, nichts ist klar, sonst würde ich ja nicht hier liegen. Doch langsam kehren meine Lebensgeister zurück.
Hinter den Silhouetten, der mich umringenden Personen beginnt der Käfig. Enger Maschendraht fast kreisförmig, mit mehreren Metern Durchmesser um mich herum errichtet.
Es ist nicht so, dass ich nicht freiwillig hier bin, im Gegenteil, dies ist mein Zuhause, mein Weg und Ziel.

Eine weitere Person richtet sich an mich, er trägt einen weises Hemd und Einweghandschuhe:
„Hallo, ich bin Dr. Merkur, ich habe sie heute Mittag schon untersucht, wie sie sich erinnern werden. Fühlen sie sich im Stande mir einige Fragen zu beantworten, dann werde ich noch einen Schnellcheck durchführen und dann sehen wir weiter.“

„Ja!“

Meine Stimme, noch etwas schwach, aber es geht schnell bergauf.
Aus den Augenwinkeln sehe ich links von mir einen Kameramann, das Auge der Kamera auf mich gerichtet. So hatte ich mir das wahrlich nicht vorgestellt. Trotzdem würde ich gerne hinein winken, meine Mutter grüßen, ihr sagen, dass es mir gut geht, doch mein Arm versagt mir noch den Dienst.

„Hervorragend, können sie mir ihren Namen sagen, das Datum und den Ort, an dem wir uns befinden?“

„Was ist passiert?“ Ich muss das Fragen, wobei die Antwort auf der Hand, bzw. auf dem Kiefer liegt. Ich wurde KO geschlagen, aber die Frage bleibt trotzdem, es ist das erste, an was ich denken kann, jetz wo ich wieder einigermaßen klar bin.
Der Mann, der mir die Hand auf den Bauch gelegt hat antwortet. Er ist Mitte 30, trägt eine Jeans und ein T-Shirt auf das mein Name gedruckt ist, sowie ein wild aussehendes Logo und der Name eines Autohauses, meines Tattoo Studios und eines Energy Drinks.

„Junge, du hast einen tollen Kampf geliefert, aber letztendlich war er einfach besser und hat dich submitted

.“
Rechts von mir steht ein weiterer Mann, etwas dicklich, aber gut gekleidet, ein Manager des Veranstalters: „He whooped your ass, man!“
Ja, das hört sich doch schon viel besser an. Immerhin weiß ich jetzt, dass ich nicht KO gegangen bin, weil mich mein Gegner verprügelt hat, sondern weil ich wohl nicht rechtzeitig aufgegeben habe, als er mich in einem Würgegriff hatte. Verdammter Stolz.
Der Arzt wendet sich noch einmal an mich: „Das ist jetzt unwichtig. Beantworten sie mir bitte meine Fragen!“

Ich wende meinen Kopf zu ihm, dabei fällt mein Blick auf die andere Seite des Käfigs. Oben auf dem, mit Schaumstoff gepolsterten Rand sitzt mein Gegner und jubelt der Menge außerhalb zu.
Die Faust gen Himmel gereckt. Sein austrainierter Körper balanciert mühelos auf der dünnen Umrandung. Dann dreht er sich zu mir um und sieht mir in die Augen.
Auch wenn uns hier tausende in der Halle zugesehen haben, und noch weit mehr über die ausstrahlenden Fernsehkanäle, so wissen doch im Grunde nur wir beide, was hier tatsächlich geschehen ist, können nur wir beide erzählen, was war.

Noch einmal Frage ich: „Was ist passiert.“
Der Arzt seufzt resignierend. Mein Coach in dem schwarzen T-Shirt antwortet wieder: „Er hat dich einfach kalt erwischt, im Stehen konntest du ihm noch Paroli bieten, deine Lowkicks kamen gut, man hat gesehen, dass es ihn nervt, aber dann hat er dich mit nem Hacken erwischt, du bist getorkelt, ein Takedown

und am Boden konntest du nicht mehr viel entgegen setzen. Er kam in deine Backmount

und du hattest nicht mehr die Kraft um ihn abzuwerfen, das Ende vom Lied kannst du dir sicher Denken.“
„Oh, schade.“ Ich beantworte dem Arzt seine Fragen.
Er sieht zufrieden aus. Dann will er mir mit einer kleinen Lampe in die Augen leuchten. Aber aus dem Augenwinkel sehe ich, wie mein Gegner auf uns zu gerannt kommt.

Ohne große Mühe schiebt er den Doktor zur Seite und geht neben mir auf die Knie. Dann umarmt er mich und sagt etwas das ich nicht verstehe. Er spricht Portugiesisch, seine Muttersprache. Er ist aus Brasilien und ein Meister der Exportsportart dieses Landes, Brazilian Jiu Jitsu. Doch ich muss ihn auch nicht verstehen, denn es ist überall auf dem Globus das Gleiche. Man dankt seinem Gegner, wünscht ihm alles Gute und sagt, was für einen tollen Kampf er gemacht hat.
Ich setze mich auf und für einige Sekunden sitzen wir umschlungen da und vergessen die Welt um uns. Dann springt er wieder auf und lässt sich erneut Feiern. Ich nehme es ihm nicht übel, er hat es verdient.
Durch die Maschen des Zaunes kann ich in der ersten Reihe meine Frau stehen sehen, ihr Make Up ist unter Tränen zerlaufen und sie sieht flehentlich zu mir herüber. Ich weiß, dass sie mich die nächsten Tage verfluchen und sagen wird, ich solle das nie wieder tun. Doch gleichzeitig wird sie mich pflegen und mich umsorgen, wie ein kleines Baby. Und später wird sie mir auch wieder zur Seite stehen, wenn ich wieder in den Alltag und in mein Training zurück kehren werde. Bis sie schließlich beim nächsten Kampf wieder in der ersten Reihe sitzen und mit mir Zittern wird, was mir nur zusätzliche Motivation ist, dafür liebe ich sie.

Mein Trainer und ein weiteres Teamkamerad schieben ihre Arme unter meine Schulter und helfen mir auf die Beine. Mittlerweile geht das Aufstehen auch schon wieder recht gut. Es ist kein große Sache durch einen Würgegriff bewusstlos zu werden, an den Hacken am Kinn werde ich mich länger erinnern, trotzdem ist noch etwas Vorsicht geboten und ich bin meinen Teammitgliedern, ja Freunden, dankbar, dass sie mich stützen.
Sie führen mich zur Ringmitte, wo der Ringrichter schon mit meinem Gegner wartet und auch mich, zur offiziellen Urteilsverkündung, an der Hand nimmt. Ich kann nun schon wieder alleine Stehen und während der Sprecher in sein Mikrofon plärrt versuche ich in meinem Geist den Kampf noch einmal, soweit wie möglich ablaufen zu lassen.

Ich erinnere mich jetzt wieder, dass bereits 2 Runden vorüber waren. Ich war etwas müde und meine Aufmerksamkeit hatte wohl einen Moment nachgelassen.
Da sehe ich auch wieder, den Hacken auf mich zukommen, der mich am Kinn traf und stolpern lies. Eine Gelegenheit, die der Brasilianer sich nicht entgehen lies, er umschlang meine Beine und riss mich zu Boden, dort kam er seitlich neben mir zum liegen. Ich wollte verhindern, dass er sich ganz auf mich setzen kann, um mich mit Schlägen zu bearbeiten und drehte mich zu ihm, wohl etwas zu weit, denn Sekunden später befand er sich auf meinem Rücken, schlang seine Beine um mich und fuhr mit einem Arm unter meinem Hals durch. Ich versuchte noch zu entkommen, doch sein anderer Arm zog den Hebel schon gnadenlos fester zu. Unter seinen Armen fühlte ich mich, als hätte ich eine Würgeschlange um meinen Hals, deren sehniger Körper sich langsam und unnachgiebig immer weiter zusammen zieht.
Warum ich nicht aufgegeben habe, bevor ich bewusstlos wurde weiß ich nicht mehr. Eigentlich weiß ich, wann es in so einer Situation zu spät ist und keinen Sinn mehr macht dagegen an zu kämpfen. Wir haben ja alle lange Jahre alle Distanzen des Kampfes trainiert, keiner geht hier als Anfänger, Blauäugig hinein, höchstens heraus.
Ha ha, schon kann ich wieder Scherzen.
Ein Ruck an meinem Arm lässt mich wieder zum aktuellen Geschehen zurückkehren, der Arm des Brasilianers wurde zum Zeichen des Sieges gehoben, doch sobald das geschehen ist kommt er um den Ringrichter herum zu mir und klopft mir nochmals auf die Schulter. Anschließend geht er zu meinem Team und schüttelt ihnen ebenso die Hände.

Auf den Videowürfeln kann ich jetzt noch einmal die Highlights des Kampfes sehen.

Natürlich schmerzt eine Niederlage, nicht nur physisch. Es kratzt am Ego, der Geldbeutel wird nicht so gut gefüllt und die Reputation bei Veranstaltern nimmt unter Umständen auch Schaden. Doch das zählt am Ende nicht, denn die meisten von uns üben den Sport aus, weil sie Freude an dem vielseitigen Training und der Herausforderung sich im sportlichen Vergleich mit anderen zu messen haben. Außerdem nimmt man auch aus der Niederlage etwas mit und solange man sich nicht schwerer verletzt ist es halb so wild.

Langsam begebe ich mich zur offen stehenden Tür des Käfigs. Der Jubel ist abgeflaut, alle warten darauf, dass die nächste Begegnung angekündigt wird. Währenddessen werde ich in der Umkleide eine lange, warme Dusche nehmen und anschließend mit meinen Freunden und ein paar anderen Kämpfern feiern gehen. Auf dass wir bei und mit unserem Sport, dem Mixed Martial Arts noch lange Freude haben.

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Tag der Veröffentlichung: 21.10.2008

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