Die Rache des Maulwurfes
Vor nicht allzu langer Zeit gab es nichts hier. Lediglich einige grüne Farbtupfer dekorierten die lehmigen Hügel, die sich inmitten der ansonsten flachen Landschaft auftaten.
Niemand hatte seine Ruhe gestört, die Stadt, die lauten Menschen und gefährlichen Straßen lagen scheinbar weit entfernt. Nur die nahe Autobahn und ihre tagein, tagaus gleichen Geräusche zeugten davon, dass es bis dort nicht weit war. Er war seiner Bestimmung nachgegangen, hatte gejagt und gegraben.
Wenn ein Fremder sein Reich betrat, hatte er ihm schnell klar gemacht, dass dieser unerwünscht war. Selten traf er einen Verwandten, der sich von der Stadt hierher verirrte.
Während eines täglichen Streifzuges hatte er sich plötzlich etwas einsam gefühlt, eine Empfindung, die ihm bisher nicht vertraut war.
Da war sie ihm begegnet. Offensichtlich waren beide so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie beinahe mit der Nasenspitze zusammengestoßen wären. Entsprechend peinlich schien die Situation zunächst. Doch sofort lag etwas in der Luft. Sie hatten es beide gefühlt und so war es nicht verwunderlich, dass sie rasch ein Paar wurden. Bald darauf erwarteten sie Nachwuchs. Er baute einen Unterschlupf, sorgte dafür, dass die Wohnung genügend Wärme und gemütliche Ecken für die Kinder bot. Da seine Frau schwanger war, musste er sich zunehmend um die Nahrungsbeschaffung kümmern, was sie noch mehr zusammenschweißte.
Schließlich war es so weit: Er wurde Vater, was eine so unbeschreibliche Erfahrung war, dass er es nicht mehr lange in der gemeinsamen Wohnung aushielt. Sicher, er war stolzer Vater dreier gesunder, schöner und intelligenter Kinder, auch seine Frau würde er nie vergessen, aber er war eben ein Einzelgänger und sie hatte es vermutlich schon vorher geahnt. Da er sich eine Unterkunft in der Nähe nahm, konnte er sie weiter besuchen und zu der Aufzucht beitragen.
Dann geschah etwas, das sein ganzes Leben veränderte. Zunächst dachte er, es sei ein Erdbeben, doch es wurde stärker und lauter, bis plötzlich die Erde nicht mehr nur bebte, sondern aufriss. Darüber kreisten mächtige Ungeheuer, die mit ihren Mäulern das Erdreich auffraßen, um sich gleich darauf in andere Monster zu erbrechen, die das kostbare Gut fortschafften. Die Wohnung seiner Frau wurde durch gewaltige Kiefer eines dieser Ungetüme zertrümmert, darunter seine Familie begraben.
Er hatte Glück und wurde mitsamt der Erde, in der er sich befand, fortgeschafft und nicht weit entfernt wieder abgeladen. Dann ließen sie ihn in seiner Trauer zurück. Am Anfang empfand er nur Hass. Er fühlte sich schuldig, dass er seine Familie nicht hatte schützen können, magerte ab und schien sich schon aufzugeben. Doch das Schicksal wollte es, dass er in dem neu abgelagerten Erdreich, das sich bald schon zu einem ganzen Berg auftürmte, eine andere Frau traf. Sie hatte ähnliches Unheil erlitten, wie er. Ihr Mann war umgekommen und von ihren fünf Kindern hatte sie zwei verloren, so dass sie ihn an seine alte Familie erinnerte und er schwor sich, nicht noch einmal zuzulassen, dass seinen Liebsten böses widerfuhr.
Die Zeit verging, ihre Kinder wuchsen ohne weiteres Ungemach heran und er wurde beinahe wieder glücklich.
Dann traf er auf der Jagd einen Verwandten, der aus der Stadt gekommen war und ihm erzählte, die Monster hätten einen Tempel errichtet, in dem die Menschen aus der Stadt ihren Göttern huldigten und dass dort in einer Woche eine große Versammlung wäre.
Er war wie elektrisiert und sah seine Chance gekommen, Rache zu nehmen. Er würde die Zusammenkunft stören!
Sofort machte er sich auf den Weg. Tag und Nacht schuftete er und tat das, was er am besten konnte: graben. Für einen wie ihn war es ein weiter Weg, doch seine Rachgier trieb ihn immer weiter.
Am Tag der Versammlung erreichte er die Außenmauer des Tempels. Vermutlich rechneten sie mit Eindringlingen und hatten die Mauer bis tief ins Erdreich gezogen. Doch so kurz vor dem Ziel würde er nicht aufgeben. Er hoffte nur, dass es nicht zu spät war. Schon hörte er die Massen, wie sie in Erwartung ihrer Götter lärmten. Seine letzten Kräfte mobilisierend grub er tiefer und tiefer, tiefer als je einer vor ihm. Dann hatte er es geschafft. Die Mauer war unterwunden, aber er musste noch die gleiche Strecke nach oben graben und die Zeit rann ihm zwischen den Schaufeln davon.
Mit jedem Zentimeter rückte auch das Geschrei wieder näher und es schien, als würde ihm das die verlorene Energie zurückgeben.
Endlich war es soweit, das Erdreich wurde lockerer, er konnte feine Wurzeln spüren, die einen akkurat geschnittenen Rasen mit dem Feld verbanden. Die verbleibenden Erdschichten schob er mit aller Kraft nach oben.
Dort spielte gerade ein Abwehrspieler einen Rückpass zu seinem Torwart. Es war die letzte Spielminute und es stand 0:0. Ein Punkt reichte ihnen zur Meisterschaft. Niemand hatte den kleinen Hügel bemerkt, der sich Millimeter um Millimeter nach oben schob und nun, kurz bevor der Torwart ihn weiter schlagen konnte, dem Ball eine andere Richtung gab.
Ins Tor!
„Eigentor, Eigentor!“ Die Stimmen der Reporter überschlugen sich.
Fassungslos starrte der Torwart auf den Punkt, an dem der Ball abgeglitten war. Die Erde brach auf und er erblickte das Gesicht eines Maulwurfes.
Die Stimmen im weiten Rund erstarben, dann brach ein gellendes Pfeifkonzert los, das von wütenden Rufen durchbrochen wurde.
Da wusste der Maulwurf, dass er Erfolg gehabt hatte und bevor ihn die stählernen Stollen eines Spielers zerquetschen konnten, lies er sich in sein Reich zurückfallen. Zufrieden begab er sich auf den Heimweg.
„Alles verloren! Maulwurf verhindert Meisterschaft!“, lautete am nächsten Morgen die Schlagzeile im größten Boulevardblatt der Stadt.
Als er sich nach zwei Tagen seinem Bau näherte, verließen den Maulwurf seine Glücksgefühle. Etwas stimmte nicht. Je weiter er dem Zugang zu seinem Höhlensystem kam, umso unbehaglicher wurde ihm. Es roch seltsam.
Er beschleunigte seine Schritte und kam in die Nestkammer. Seine zweite Frau lag reglos am Boden. Er stupste sie an, doch sie rührte sich nicht mehr.
Erboste Fans hatten in den Maulwurfshügeln in Stadionnähe Giftköder ausgelegt.
So hatte sich der Maulwurf das nicht vorgestellt. Niedergeschlagen machte er sich auf den Weg zurück zum Stadion.
Dort waren sie froh, dass sie den Schuldigen für die Pleite in die Hände bekamen.
Tag der Veröffentlichung: 22.09.2008
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