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Prolog

Selbst in 100 Kilometer Entfernung konnte man das ohrenbetäubende Brüllen noch hören und die Erde vom Kampf der beiden riesigen Drachen noch beben spüren. Sie warfen sich aneinander und versuchten die dicke Panzerschicht zu durchdringen und mit ihren meterlangen Zähnen und Klauen das Fleisch des anderen zu durchbohren. Doch dieser Kampf war nicht ohne Sinn. Es war kein Revierkampf und es ging auch nicht darum, wer sich dem anderen zu unterwerfen und wer das Sagen hatte. Wenn die dunkle Kreatur siegte, würde die ganze Welt in Finsternis ertrinken. Dann würde kein Lebewesen je mehr auch nur einen winzigen Sonnenstrahl mehr erblicken.
Plötzlich ertönte ein markerschütternder Schrei, der aus dem Maul des goldenen Drachen kam, aus dem sich jetzt ein Schwall aus hellrotem Blut ergoss und den Boden der Höhle benetzte, in der sie sich bekämpften. Langsam sank er zu Boden, das Böse hatte gesiegt. Der schwarze Drache gab einen Siegesschrei von sich, entriss dem goldenen sein Herz, flog zu seinem Meister, der ihn befreit hatte. Dieser riss sich selbst die Brust auf und pflanzte sich selbst das, nun schwarz gewordene Herz ein. Von diesem Moment an hatte sich nicht nur diese Kreatur, die lederne Flügel, tödliche Peitschen und das Element Finsternis in seiner stärksten Form erlangte, verändert,sondern die ganze Welt: sie war komplett in Dunkelheit versunken und wird in Zukunft von den Dämonen, die sich von der Dunkelheit ernährten, regiert werden.


1. Kapitel
Die dunkle Wahrheit


Finster und unheilvoll kroch die Nacht über das Land, bald würde sie alles unter ihrem dunklen Schleier getaucht haben.
...Doch niemand ahnte, dass sie das helle Licht des Tages nie wieder erblicken würden...

„Elfenstern“, flüsterte eine vertraute Stimme aus der Dunkelheit. Ich fuhr herum und konnte mit meinen scharfen Augen einen kleinen, grauen Körper entdecken, der sich rasch durch das Dickicht schob.
„Ach du bist es, Nebelschweif“, murmelte ich ein wenig verärgert. „Du sollst dich doch nicht so von hinten anschleichen, das habe ich dir doch schon so oft gesagt!“ „Aber du bemerkst doch, wenn jemand kommt“, räumte er leise ein. Ich seufzte. Warum musste er immer alles so kompliziert machen?
„Ich kann doch nicht wissen wer da kommt. Hab ich Augen im Rücken?“, murrte ich genervt. „Okay, natürlich kann ich erkennen, dass du es bist, vor allem, weil ich deine Schritte und Stimme kenne, aber wer kann sich in solch dunklen Zeiten sicher sein?“
Das war wohl Erklärung genug. Er wollte eben widersprechen, als ich ihm einen finsteren Blick zuwarf. Er brach ab und wandte den Blick beleidigt von mir ab. Gut. Er hatte also kapiert, wer hier das Sagen hatte. „Nebelschweif, du weißt doch, wer ich bin“, begann ich nun. Fragend legte er den Kopf zur Seite und blickte mich verwirrt an. Na toll. Musste ich wieder mal alles extra verständlich und ausführlich erklären. Also fing ich ein bisschen weiter vorne an: „Du hast mich getroffen, damals, weißt du noch? Da fragtest du, ob ein Engel vom Himmel gefallen sei“, ich kicherte leise und er senkte beschämt den Kopf. Dann fuhr ich fort: „Du wusstest nicht, was ich war, aber du wusstest, dass ich anders war. Dass ich keine normale Katze , so wie du, war, beziehungsweise bin.“ Er hob den Kopf ein wenig und nickte. Anscheinend fiel es ihm langsam wieder ein. „Also, weißt du es jetzt?“, fragte ich schroff.
Er blickte wieder zu Boden und antwortete vorsichtig: „Ja, du bist eine Katze, deren Augenfarbe sich ändern kann, oder so...“. Ich stöhnte auf. Mist, wieso war er nur so verdammt vergesslich? Ich hatte keine Lust, nochmals seine Gefühlsausbrüche mitansehen (und spüren) zu müssen, wenn ich ihm die Wahrheit mitteilte. Aber ich musste es tun. Er musste wissen, auf welche Gefahr er sich einließ.
„Gut. Äh, nein, nicht gut!“, brummte ich verärgert, während er immer noch nach unten starrte. Doch ich fasste mir ein Herz und druckste nicht weiter sinnlos herum. Wir hatten eigentlich sowieso schon viel zu viel Zeit verloren, aber ich musste es ja nicht unbedingt drauf anlegen, und so sagte ich knapp: „Ich bin eine Art Katze, eine Cerzyr, um genau zu sein. Die Farbe meiner Augen wechselt je nach Stimmung und ich besitze ein paar besondere Fähigkeiten, die <<Schmusekätzchen>>, wie du, nicht haben. Aber jetzt keine weiteren Fragen mehr!“ Völlig perplex glotzte er mich an. Seine jadegrünen Augen waren weit aufgerissen, zeigten aber mehr Verunderung als Angst.
„Ich weiß, letztes Mal hast du genauso reagiert“, seufzte ich, „doch leider hattest du es wieder vergessen. Tja, wie schnell deine Erinnerungen verblassen... Oder wolltest du es nicht wahrhaben?“
„Nicht wahrhaben wollen?“, wiederholte er. „Nein, wieso auch! Ich bin nur ein bisschen, na ja, verblüfft, weil ich erstens, nicht dachte, dass ich sowas vergessen könnte und zweitens, irgendwie davon überzeugt war, dass du eine Katze bist. Siehst ja so aus, nur ein bisschen größer und kräftiger und so...“
Ich meinte, noch ein leises <<und schöner>> gehört zu haben, aber das juckte mich gerade überhaupt nicht. Statt ihm klar zu machen, dass wir nicht zusammen waren, erwiderte ich: „Aber du solltest eigentlich Angst haben...“.
„Wie? Wieso?“, fragte er, erstaunt über diese Bemerkung.
„Okay, ich sag es dir“, flüsterte ich finster, „aber behaupte nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, wenn du schreiend davonläufst.“
„Ich verstehe nicht“, wand er ein. Jetzt nervte er mich langsam wirklich und ich antwortete diesmal etwas lauter: „Weil ich es dir noch nicht gesagt hab, du Trottel! Ich hab nicht ewig Zeit, verdammt!“
Überrascht von meiner plötzlichen Feindseligkeit zog er ängstlich den Kopf ein.
„Tut mir Leid, ich wollte nicht so grob sein“, entschuldigte ich mich rasch. Aber dann schickte ich mich sogleich an, zum eigentlichen Thema zurückzukehren: „Also du solltest Angst vor mir haben, weil … es die Bestimmung der Cerzyr ist …“, ich holte tief Luft, wobei Nebelschweif mich skeptisch musterte, „...die Katzen auszurotten.“ Ich konzentrierte mich, seine Gefühle zu erspüren (eine der besonderen Fähigkeiten von Cerzyr) und schloss die Augen.
Da war einerseits großes Erstaunen und viel Verwunderung, andererseits sogar ein bisschen Bewunderung. Aber ich konnte kein noch so kleines Quentchen Angst ausmachen.
„Das macht die Sache ein klein wenig komplizierter“, murmelte ich wütend. Nein, ich war nicht zornig auf ihn, sondern auf mich. Warum musste ich ein Monster sein? Dann dachte ich laut (etwas zu laut): „Verschwinden soll ich. Umbringen sollte ich mich, oder irgend so was. Dann kann ich kein unschuldiges Geschöpf mehr umbringen“. Nebelschweif entging diese Bemerkung nicht und sofort rief er besorgt: „Nein!! Nein, Elfenstern! Wieso?! Du hast mir nie wehgetan, du bist kein Mörder! Bleib doch hie--“ „Lass das, es bringt sowieso nichts“, unterbrach ich ihn unwirsch. „Ich mag vielleicht schön sein, und zierlich aussehen, aber ich habe schon viele getötet. Zu viele“. „Du hast was?!“, fragte er mit zittriger Stimme, und ich konnte die Furcht deutlich heraushören. Und spüren konnte ich sie. Furcht und Ehrfurcht. Das war endlich einmal die richtige Reaktion, deshalb informierte ich ihn siegessicher: „Dir habe ich vielleicht nichts getan, noch nicht. Aber es gibt, beziehungsweise gab sehr viele Katzen, denen ich das Leben genommen habe, jungen wie alten, starken wie schwachen. Das kann ich mir nie verzeihen. Deshalb sage ich dir dies und ich hoffe, dass du dich anders entscheidest und fortrennst, mein Freund. Früher oder später wirst du durch mich sterben.“
Er wollte gerade etwas sagen, als mich ein heftiger Schmerz durchzuckte.
Ich stieß einen qualvollen Schrei aus, der die Stille wie ein gewaltiger Blitz durchbrach.
Ich krümmte mich am Boden, musste Hecheln wie ein Hund, und hätte ich einen Ton herausgebracht, hätte ich ihn gebeten, mich zu töten. Irgendwie. Ein Biss in den Nacken hätte vielleicht (auch mit ein paar Versuchen, denn man konnte mich nicht so leicht umbringen) gereicht.
Ich sah und hörte kaum etwas, spürte nur mein Leid. Es war so ein unbeschreiblich starker Schmerz, ich hätte nicht gedacht, dass es möglich sein könnte, so etwas zu empfinden.
Es fühlte sich an als würden mir bei lebendigem Leib alle Knochen gebrochen und die Organe verbrannt werden. …Oder vielleicht noch schlimmer! Alle meine Sinne verschwammen.
Ich konnte nur immer wieder ein angsterfülltes <Elfenstern!!> wahrnehmen, mehr aber nicht...


2. Kapitel
Ein höherer Rang

Ich wusste nicht wie lange ich gelitten hatte (es fühlte sich jedenfalls an wie Stunden), doch ich merkte, dass der Schmerz langsam nachließ. Nun durchströmte mich ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit, ich konnte mich wieder normal bewegen und nahm alles so gut wahr wie noch nie.
Ich dachte zuerst, das sei weil vorhin alles verschwommen und jetzt wieder klar war, aber es stellte sich bald heraus, dass es tatsächlich besser geworden war! Ich konnte sogar die Käfer krabbeln hören! Und ich erkannte jedes einzelne Härchen von Nebelschweif, der so geschockt vor mir kauerte, dass es aussah, als wäre er gerade Zeuge des Untergangs der Erde geworden.
„Ist was?“, fragte ich gutgelaunt, und wunderte mich darüber wie locker ich das rüberbrachte. Ich schwatzte noch weiter, um ihn zu beruhigen: „Hat mich wohl 'ne Mücke gestochen. Vielleicht bin ich ja allergisch.“
Ich musste grinsen aber er entspannte sich kein bisschen aus seiner Starre.
„Ach komm, ist doch nicht so schlimm“, versuchte ich es jetzt, „was immer es war, jetzt ist es vorbei.“
Nun schaffte er es endlich, etwas zu sagen, auch wenn es eher ein gestammeltes Wirrwarr aus Wörtern war.
„N-nein... Nicht vor-vorbei! D-du... du ha-ha-hast da ein D-ding an d-der Stirn!“
„Ach was, das ist doch Unsinn“, gab ich missbilligend zurück.
„N-nein! Ist es nicht! Überzeug dich doch selbst!“, erwiderte Nebelschweif, der jetzt wieder einigermaßen deutlich sprechen konnte.
„Wenn du meinst“, seufzte ich und sah abfällig auf ihn herab, während ich mit der Pfote meine Stirn betastete. Ich schreckte auf als ich plötzlich einen runden, kühlen Stein berührte, der sich direkt über meinen Augen befand.
Jetzt war es an mir, entsetzt zu stottern: „Wa- was ist das?!“
„Keine Ahnung“, antwortete er hilflos und ich konnte spüren, dass er alles tun würde, um mir zu helfen.
„Naja“, fing er nun an, „es muss ja nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, oder?“
Da hatte er Recht. Es war ja nur ein komischer Stein, nichts besonderes. Außerdem wäre es unfair, wenn ich so schreckliche Qualen erleiden musste, nur damit etwas Schlimmes wachsen konnte.
Ich musste einfach hoffen.
Schlecht ging es mir ja nicht. Eher besser. Und, achja: Ich nahm ja jetzt alles viel schärfer wahr, das ist doch schonmal was Gutes. Vielleicht war das die Wirkung... Nebelschweif riss mich aus meinen Gedanken, indem er entschlossen berichtete: „Wir gehen zu meinem alten Freund Adlerauge. Er kennt sich aus mit magischen Dingen. Vielleicht weiß er Rat und kann uns sagen, was das alles bedeutet.“
„Wirklich? Wo wohnt er denn?“, fragte ich neugierig und war voller Eifer bei dem Gedanken, dass es eine Möglichkeit auf Antworten für diese ganzen Fragen gab. „Ich weiß nicht genau“, gab er beschämt zu, „ ich weiß nur, dass er irgendwo in den Todessümpfen lebt.“
Er warf mir einen beunruhigten Seitenblick zu und wartete meine Reaktion ab.
Ich stöhnte auf. Na toll! Nicht, dass ich Angst vor den <ach so schrecklichen Todessümpfen> hatte, doch der Weg war so weit!
Nein, auch vor einer gefährlichen Reise fürchtete ich mich nicht, uns blieb nur nicht mehr viel Zeit.
Ich spürte das Ende näher kommen. „Was ist denn?“, fragte er unsicher und ich spürte, dass er mich am liebsten laut auslachen würde.
„Du müsstest dich doch weit weniger fürchten. Das hätte ich nicht erwar--“.
„Nein, nein!“, fiel ich ihm schnell ins Wort, um ihn nicht zu ängstigen und um meinen Stolz zu bewahren. „Geht schon in Ordnung!“
Doch er schien nicht ganz überzeugt zu sein.
„Und was war das vorhin? Ich hab doch gesehen, dass du nicht begeistert von diesem Vorschlag bist.“
Das hätte er wohl gern! Ich ein Schwächling!
Aber ich wollte ihm nicht die Wahrheit sagen, er sollte die wenige Zeit, die wir noch hatten, so gut es geht genießen.
Also log ich schnell etwas zusammen (ich war gut darin, jemandem etwas vorzumachen): „Der Stein hat nur irgendwie wehgetan, nichts weiter“.
„Ist es so schlimm?“, erkundigte er sich nun, mit Besorgnis im Blick. Ach, Mist, jetzt hatte ich dieses Problem wieder.
„Ich sagte doch, es ist nichts weiter! Schon wieder weg, es wird bestimmt nicht wiederkommen!“, beteuerte ich. „Okay“, gab er dann etwas misstrauisch nach.
Nun fragte ich schnell: „Bist du wach?“
„Ja, wieso?“, erwiderte er verwirrt.
„Weil wir jetzt losgehen“, antwortete ich keck.
Ich war schon halb am losrennen, als er sich rasch erkundigte: „Nehmen wir nichts mit?“
„Nö, brauchen wir nicht. Was sollten wir denn überhaupt mitnehmen? Und wie? Im Maul rumtragen? Wir jagen doch unterwegs“, gab ich ihm Auskunft.
„Hm, ja stimmt“, willigte er zögerlich ein. Komisch. Gerade war er noch Feuer und Flamme für seinen Vorschlag gewesen und jetzt war er sich schon wieder nicht so sicher bei der Sache. Vielleicht lag das auch daran, dass er ja nicht spürte, dass bald das Ende der Welt nahte.
Wieso nahm ich das eigentlich so gelassen hin? Tja, es gibt ja sowieso keinen Ausweg, also brauchte ich mich hier nicht abmühen. Ich musste mir wie üblich immer alles selbst erklären. Ich war schon seltsam. Und jetzt konnte jeder sehen, dass ich nicht normal war: Durch den sonderbar glatten Stein, der auf meiner Stirn prangte. Ich kam mir vor wie das Opfer eines Tierversuchs.
„Also was jetzt“, hörte ich plötzlich Nebelschweifs genervte Stimme. „Wollen wir jetzt los, oder nicht ?“
„Oh, tut mir Leid. Okay, gehen wir. Wir wissen ja beide wo die Todessümpfe sind“, erwiderte ich.
Ja, das wusste ich nur zu gut.
Meine Mutter hatte mich immer gewarnt nicht dort hinzugehen, doch aus Neugierde tat ich es doch. Ich sank prompt ein und starb fast (ich war ja noch ein kleines Cerzyrlein, oder wie das heißt). Meine Mutter fand mich dann, rettete mich und danach verschwand sie und kam nie wieder. Einen Tag danach. Seltsam. Ich wusste nicht mal wie sie hieß. Naja, die Tatsache war, dass sie weg gewesen war, und ich mich alleine durchschlagen musste. Keine Ahnung wie ich das schaffte, aber es ging. Vielleicht hatte mir das so schwer zugesetzt, dass ich jetzt einen Hirnfehler oder sowas hatte. Das würde dann das hier alles erklären.
Das ungeduldige Miauen von Nebelschweif holte mich wieder in die Gegenwart zurück.
„Jaja, ich komm ja schon“, besänftigte ich ihn. Und schon stapften wir mit schnellem Schritt Richtung Norden.
3. Kapitel
Eine ungewöhnliche Auseinandersetzung

Wir waren schon eine ganze Weile durch den lichten Laubwald gewandert, in den der Mond ein fahles Licht durch das Blätterdach warf, als sich die Umgebung schlagartig veränderte.
Nun trat man hier auf keine weichen, trockenen Blätter mehr am Waldboden sondern nur noch auf Dornengestrüpp.
Außerdem wurden die Buchen und Eichen immer weniger. Stattdessen wurde der schmale Trampelpfad, auf dem wir gingen von zahlreichen, dunklen, bedrohlich aussehenden Fichten gesäumt.
„Seltsam“, murmelte Nebelschweif nachdenklich. „Ich hab das hier anders in Erinnerung...“.
„Du warst ja auch schon lang nicht mehr hier, oder? Außerdem ist es Nacht, da sieht's anders aus“, wand ich schnell ein. Ich wollte nicht, dass er sich wegen irgendetwas Sorgen machte. Nicht, wenn es sowieso nie wieder Tag werden würde. Bald würde es beginnen... Dann blieb uns nicht mehr viel Zeit zu leben... Nebelschweif erwiderte daraufhin: „Vielleicht hast du ja Recht. Es bleibt ja nicht alles so, wie es ist...aber schade ist es trotzdem. Hier war's mal so schön. Jetzt ist es richtig unheimlich. Wie rasch sich alles verändert...“.
„Tja, so ist das Leben nunmal“, steuerte ich bei.
Nun schritten wir schweigend weiter und betrachteten die Umgebung. Es war wirklich ein wenig schaurig hier.
Die Fichten, die so dicht beieinanderstanden, dass sie fast überhaupt kein Licht in den Wald ließen, waren von eigenartigen Schlingpflanzen umrankt, die seltsame, schwarze Blüten hatten, die, obwohl es Nacht war, weit aufgerissen waren...
Naja, vielleicht waren es Nachtpflanzen. Sowas gab's ja auch.
Doch als ich den Boden etwas genauer betrachtete, merkte ich, dass die ganzen, dünnen Ranken, die sich am Grund schlängelten und mit vielen Dornen bestückt waren, dieselben, sonderbaren Blütenblätter hatten. Richtig tiefschwarz. Schwärzer als die Nacht...
Als hätte er meine Gedanken gelesen murmelte Nebelschweif nachdenklich: „Das sind ja komische Blumen …so dunkel. Solche hab ich noch nie gesehen, und du, Elfenstern?“
Ich tat so, als hätte ich das nicht richtig mitbekommen und machte nur „Hmmmm?“ und blickte ihn gespielt ratlos an.
„Ach nichts“, brummte er etwas genervt und schaute sich immer wieder unruhig um.
Ich spürte auch deutlich, dass er nervös war und suchte schnell nach einer Möglichkeit, ihn zu beruhigen, als plötzlich ein unerträglich hohes, lautes Kreischen ertönte und durch den ganzen Wald hallte.
Wir fuhren beide vor Schreck zusammen und fauchten bedrohlich.
Wieder erschallte dieses schreckliche Geräusch, Nebelschweif packte die Angst und er floh. Ich jedoch blieb entschlossen stehen, wollte mich der Gefahr – falls es denn eine war – stellen.
Als ich abermals diesen entsetzlichen Ton vernahm, steuerte ich gegen meinen Willen auf eine vom Mond etwas erhellte Lichtung zu. Es war wie von Geisterhand. Ich wollte dort gar nicht hingehen!
Als ich hinaus in das trübe Licht trat, konnte ich dutzende, kleine Gestalten erkennen und ich meinte dass sie schwach leuchteten.
Doch bevor ich sie genau betrachten, oder ihren Geruch wahrnehmen konnte, sackte ich plötzlich zusammen und wurde bewusstlos. Das einzige, was ich noch spürte, war ihr Zorn...

Überrascht blinzelte ich in das spärliche Licht des Mondes. Wo war ich? Doch dann fiel mir alles wieder ein: Ich hatte einen eigenartigen Traum gehabt: Ich war auf eine Lichtung gegangen, da waren fremdartige Wesen gestanden und dann hatte ich das Bewusstsein verloren... Erleichtert atmete ich auf.
Oh! Fieberhaft blickte ich umher, doch mir war schwindlig, sodass ich die Umgebung nicht genau erkennen konnte. Ich sah nur die kahlen, dunklen Fichten, die die um die Lichtung auf der ich mich befand, herumstanden.
Langsam wurde das Bild etwas klarer und ich konnte lauter kleine Löcher entdecken, die überall hier am Boden verstreut waren. Und ich bemerkte diese seltsamen Ranken, die sich auch hier auf die Bäume und am Grund schlängelten, nur auf der Lichtung gab es sie nicht. Hier war alles Grün abgetreten. Und es lag etwas in der Luft... etwas sehr Beunruhigendes...
„Oh, Elfenstern!“, rief eine merkwürdig vertraute Stimme. „Nebelschweif?“, krächzte ich ungläubig und schaute mich hektisch um.
Und da saß er, zusammengekauert vor einem stämmigen Baumriesen und mit einem Gesichtsausdruck, der mir nicht gefiel. Und auch seine Gefühle bereiteten mir Unbehagen.
„Wo kommst du denn her?“, wollte ich von ihm wissen, „du bist doch weggelaufen“.
Er zögerte etwas, dann antwortete er schließlich, und Scham schwang in seiner Stimme mit: „Ja, schon... aber ich wollte wieder zu dir zurück, aber da waren dann diese Viecher und ich bin --“
„Sind die Gefangenen gut festgebunden?“, fragte auf einmal eine ziemlich hohe, piepsige Stimme und ich sah, wie eine Art Hund mit winzigen Flügeln, gelbem Fell und der Größe eines Kaninchens aus einem der Baue – dem größten – herauskletterte. Auf der Stirn hatte er ein organgefarbenes Horn, das mit eigenartigen Mustern versehen war und den Kopf hatte er hoch erhoben.
Er musterte mich genau, mit Abscheu und Hass im Blick. Unwillkürlich zuckte ich zusammen und merkte dann erst, dass mit ein Strick um den Hals gebunden, und wiederum um eine mächtige Fichte geschlungen war, die sich ziemlich am Rand der Lichtung befand.
Mit Nebelschweif war dasselbe. „Natürlich, überzeug' dich selbst, Teiro“, trällerte ein zweiter dieser eigenartigen „Hunde“ und schlüpfte aus einem dichtem Gebüsch hervor. Es war eindeutig ein Weibchen, doch obwohl ihre Stimme sich so fröhlich anhörte, und sie so selbstsicher zu Teiro hinüberstolzierte, verbarg sich Unruhe und vor allem Trauer hinter ihrer Maske.
Teiro kam nun langsam und vorsichtig zu mir geschlichen, darauf bedacht, nichts Unüberlegtes zu tun. Er zitterte schon fast vor Nervosität.
Als er schließlich bei mir angelangt war, packte er auf einmal den Strick, der eng um meinen Hals gebunden war, mit den Zähnen und zog da, wo das Seil frei war, fest zu. Mich würgte es und ich stieß ein verärgertes Fauchen aus. Das bedrohliche Zischen hallte auf der ganzen Lichtung wider und ich bemerkte, dass plötzlich unzählige Köpfe aus den Bodenlöchern ragten und mit angsterfüllten Augen zu mir und Teiro herübersahen, der sofort zurücksprang und sich in Verteidigungsposition brachte.
Nach einiger Zeit entspannte er sich wieder und murmelte in die Richtung der anderen: „Kommt raus, es ist fest. Von dem da drüben geht sowieso keine Gefahr aus“. Mit „dem da drüben“ meinte er wohl Nebelschweif, der unruhig von einem Fuß auf den anderen trat, als auf einmal zahllose kleine, gelbe Wesen auf der Lichtung standen. Allesamt hatten sie dasselbe orange Horn wie Teiro nur die seltsamen Muster fehlten. Von ihnen ging großes Misstrauen und Abscheu aus und bei allen spürte ich tiefe Trauer. Die meisten sahen mich nicht an, sondern blickten ängstlich zu Boden, doch manche schenkten mir hin und wieder einen hasserfüllten Blick. „So, jetzt kommen wir endlich zur Sache“, verkündete Teiro nun mit beunruhigender, eigenartig finsterer Stimme und linste dabei unheilvoll zu mir herüber.
Urplötzlich, wie auf ein stilles Kommando preschte die johlende Menge auf mich zu, die Zähne gefletscht und so unbeschreiblich starker Hass ging von ihnen aus, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief.
Was um Himmels Willen hatten wir getan?!
Vor lauter Wut fing ich am ganzen Körper an zu zittern. Ich stieß ein zorniges Brüllen aus, das so laut war, dass ich mich selbst wunderte.
…Doch nun sah und hörte nichts mehr außer loderndes Feuer, das plötzlich überall war. Brannte es? Doch das war mir nun egal, ich wütete und tobte und zu meiner Verwunderung verletzte es mich nicht einmal.
Nein, ich fühlte mich plötzlich eigenartig befreit. Losgelöst. Es war als würde ich meinen ganzen Zorn einfach aus mir hinauslassen...
Das Brennen ließ langsam nach und plötzlich war es ganz verschwunden. Um mich herum war alles verbrannt, doch der Rest der großen Lichtung war heil geblieben.
Aber wieso war ich noch unversehrt? Die Stille wurde nun von einem dünnen Schrei zerrissen. Er gehörte eindeutig einem der „Hunde“ die sich nun voller Panik aus ihrer Starre lösten und in alle Richtungen flüchteten. Was war jetzt schon wieder?
Ich war völlig perplex als ich nun Nebelschweif erblickte, der mich erschrocken und fassunglos anstarrte.
„Was hast du denn?“, fragte ich vorsichtig.
Ich wusste, dass es irgendetwas mit mir zu tun hatte – das war immer so. Hm, aber wo war auf einmal dieser Brand hergekommen? Wieso hatte er so abrupt wieder nachgelassen? Und warum war das Feuer nur in diesem kleinen Bereich um mich gewesen? Konnte es sein dass ich...?
„Du hast gebrannt!“, rief Nebelschweif schlagartig und riss mich aus meinen Gedanken. Okay, jetzt hatte ich die Antwort. Wieso musste immer ich einen Fehler haben? Das war unfair. Mit Nebelschweif war nie irgendwas. Das nervte mich echt und ich guckte ihn neidisch an. Er war normal. Was für ein schönes Wort, und auf diesen Gedanken hin seufzte ich laut.
Jetzt war Nebelschweif nicht mehr so geschockt und es gelang ihm ruhig zu reden: „Was schaust du denn so bemitleidenswert? Vielleicht ist das ja die Lösung des Rätsels! Du kannst einen Brand verursachen! Ist doch praktisch, jetzt brauchen wir nicht mehr zu Adlerauge zu gehen und du hast eine super Fähigkeit. Freu' dich doch mal!“
Nein, mir war überhaupt nicht danach mich zu freuen. Ich verzog das Gesicht und antwortete: „Nein, das ist es ja gerade. Wir müssen erst recht zu ihm, denn ich weiß überhaupt nicht, wie ich das gemacht habe. Deshalb könnte es eine Gefahr für uns alle sein. Ich weiß nur noch dass ich...“.
Mir stockte der Atem.
„Was ist denn?“, fragte er besorgt und weitete vor Angst die Augen.
„Oh oh, dein Stein schaut anders aus!“, fügte er leise hinzu, doch ich konnte ihn sehr gut verstehen.
Es war dieses Ding, was da auf meiner Stirn saß und mir, wenn ich wütend wurde „Superkräfte“ verlieh. Es änderte anscheinend genau so wie meine Augen die Farbe, je nach Stimmung.
Ich wettete dass es jetzt gelb war – gelb stand für Zweifel, Trauer und Missmut und so weiter.
„Dotter, stimmt's?“, sagte ich, die Augen zu Schlitzen verengt.
„Naja, dann brauchst du jetzt gerade keine Angst vor'm Feuer zu haben“.
„Wie meinst du das?“, wollte er wissen, Beklommenheit schwang in seiner Stimme mit. Ich erklärte ihm rasch meine Theorie und betrachtete währenddessen meine Pfoten.
„Aber warum guckst du so... so komisch?“, erkundigte er sich ängstlich.
„Ich bin angewidert von mir selbst“, erwiderte ich halb wütend, halb traurig. Ich versuchte meine Gefühle unter Kontrolle zu halten, ich wollte ihn nicht verletzen.
Er wollte gerade etwas sagen als ich Schritte hörte. Unruhige, zögerliche Schritte.
Jemand schlich sich an, aber es war keiner dieser Hunde. Es war größer.
Ich bedeutete ihm ruhig zu sein und er nickte. Jetzt roch ich diese Kreatur auch. Iiiieh, das stank ja ziemlich! So eigenartig nach... Wolf. Ich zuckte zusammen. Oh-oh. Verdammt, ich musste unbedingt hier weg, der Wolf war der größte Feind der Cerzyr! In diesem Moment bemerkte ich, dass der Strick nicht mehr da war. Verschwunden... – Nein, verbrannt!
Ich wollte eben weglaufen (mein Instinkt), doch da fiel mir ein dass Nebelschweif ja auch noch da war.
Ich schämte mich das vergessen zu haben und rannte schnell zu ihm und konnte meine Besorgnis nicht länger verbergen.
„Was ist denn?“, fragte er bange.
„Wolf“, stieß ich hervor und begann, sein Seil loszumachen.
Ich hatte Glück: es war nicht so fest gewesen wie meines, so konnte ich es mühelos mit meinen scharfen Zähnen durchtrennen.
Nebelschweif schnüffelte zaghaft, dann flüsterte er: „Ja, ich rieche es jetzt auch“.
Und dann rannten wir los. Wir preschten durch das Unterholz, vorbei an den hohen, mächtigen Fichten, vorbei an den eigenartigen schwarzen Rosen, die sich an den Bäumen rankten, sodass diese noch unheimlicher aussahen, vorbei an dem dichten Dornengestrüpp, das hier überall wuchs. Nebelschweif wurde schnell erschöpft. Außer Atem lehnte er sich an eine bedrohlich wirkende Fichte und setzte sich sogleich auf den kühlen Waldboden, um Luft zu schnappen. „Kannst du jetzt schon nicht mehr?“, neckte ich ihn, doch nahm neben ihm Platz. Es bestand keine Gefahr mehr, der Wolf war nicht mehr zu spüren. Nebelschweif war halt nur ein Kater, darauf musste ich Rücksicht nehmen. Und eine kurze Pause tat uns beiden gut – wir waren schon lange unterwegs und die kleine Auseinandersetzung mit diesen „Hunden“ hatte auch mir Kraft gekostet. Ich atmete die frische Waldluft ein, suchte mir ein Plätzchen, das frei von Dornen war und versuchte die seltsamen dunklen Blumen zu ignorieren. Neben mir hörte ich Nebelschweifs ruhigen Atem, der sich auch gerade niedergelegt hatte und schließlich schlief ich ein...

Ich hatte einen beunruhigenden Traum: Da waren diese seltsamen „Hunde“ und ich wurde von ihnen dem Wolf, vor dem wir weggelaufen waren, zum Fraß vorgeworfen worden. Um meine Beine war ein Strick gebunden, so-dass ich mich nicht wehren konnte, doch ich hatte eine Chance... Ich dachte an Nebelschweif, daran, dass ich ihn nie mehr wiedersehen würde und ich wurde fuchs-teufelswild. Und dann kam das Feuer und vernichtete alles rings um mir... Dann hörte ich einen gellenden Schrei, aber er kam nicht von einem meiner Feinde... sondern von Nebelschweif, der in dem Brand jämmerlich sterben musste...

Ruckartig wachte ich auf, fauchte und schlug um mich. Als ich merkte, dass es nur ein Traum war, kam ich mir bescheuert vor, und hoffte, dass Nebelschweif das nicht gesehen hatte. Er schlief noch. Gut. Ich war einerseits erleichtert darüber, dass Nebelschweif hier unversehrt neben mir lag und andererseits, dass diese „Hunde“ und der Wolf weg waren. Aber sterben würden wir trotzdem. Da konnte man nichts machen. Aber es musste ja nicht beschleunigt werden, oder? Ein paar Tage will ich noch haben, dann kann alles untergehen. Ich reckte mich und versuchte die unheilvollen Gedanken zu verscheuchen. Stattdessen machte ich mich daran, Nebelschweif zu wecken, damit wir weitergehen konnten. Ich wollte meine Zeit nicht verschlafen. Und er sollte das auch nicht tun, aber er weiß ja nichts davon. Aber ich würde es ihm früher oder später sagen müssen, er sollte wissen wie viel Zeit ihm noch blieb. „Wa-was ist?!“, keuchte er erschrocken und sprang entsetzt und mit geweiteten Augen auf. Darauf musste ich laut auflachen: „Haha, hast du dich erschreckt! Du schaust aus, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen. „Hey...“, brummte er verärgert während er sich langsam wieder setzte, sich hastig mir der Zunge über das Fell fuhr und sich von dem „Schock“ erholte. „Tut mir leid“, sagte ich und versuchte halbwegs ernst zu klingen, aber ich musste immer noch kichern. Wie schreckhaft er doch war. Er stand trotzig auf und stapfte angesäuert davon. „War doch nur Scherz! Hab dich nicht so!“, rief ich ihm nach und als er schließlich wieder zurückkam roch ich plötzlich etwas. Nebelschweif erkannte, dass ich beunruhigt war und fragte leise: „Was ist?“ Ich musste um Atem ringen, danach flüsterte ich heiser: „Rate mal, wer uns wieder besucht.“ „Achso! Diese Hundeviecher! Haha, die kommen doch nicht wieder! Die sind vor Schreck ganz --“
„WOLF, du Trottel! Lauf!“ ...Doch da stand er schon vor uns... „Verdammtes Mistvieh“, dachte ich und machte mich zum Kampf bereit, wohingegen Nebelschweif sich nicht mehr rühren konnte. Ich spürte schon, dass meine Kraft schwand, als ich ihm nur in die mordlustigen Augen blickte. Er fletschte amüsiert die Zähne und ich wusste, dass wir keine Chance hatten. Eine Cerzyr und eine Katze, gegen einen Wolf – einen Wolf von Sharadon.


4. Kapitel
Der Wolf von Sharadon

Da stand also einer. Verdammter Mist. Genau vor mir. Fliehen war unmöglich. Dann mussten wir eben kämpfen.
Zu meiner Überraschung griff das Ungetüm voerst nicht an, sondern sagte mit seiner abscheulich rauen Stimme:
„Mitternachtssnack. Esse momentan dauernd sowas.“ „W-warum?“, fragte ich verwundert und ging in meinem Kopf mehrere Kampfstrategien durch. „Wird nie Tag“, erwiderte er gelangweilt. „Welt spielt wohl verrückt. Hat man die Sonne doch noch abgeschossen.“ Was redete der denn für einen Mist? Wenn der wirklich so dumm war, wie es schien, hatten wir vielleicht noch eine Chance. Also versuchte ich unsere Zeit zum Nachdenken noch etwas herauszuzögern: „Wer hat die Sonne abgeschossen? Und warum?“ Ich versuchte halbwegs ernsthaft zu klingen, wusste aber nicht recht, ob es mir gelang. „Ach, unser Meister hasst die Sonne. Wollt sie immer schon vernichten.“ Ha! Dieser Wolf war dümmer, als ich es mir erträumt hatte. „Wie heißt denn euer Meister, wenn ich fragen darf?“, wollte ich wissen und konzentrierte mich darauf, ahnungslos zu wirken. Meine Hoffnung stieg als das Ungeheuer schwatzte: „Ach, der hat 'nen komischen Namen: 'Sa...' – Hey, wieso sollt ich dir den sagen?!“
Schade. So dämlich war er also doch nicht.
Dann schnüffelte der Wolf plötzlich. „CERZYR!“, brüllte er und riss die Augen auf. „Du bist... weiß.“ Auf einmal verwandelte sich seine Mordlust in Erstaunen. „Ähm, was ist denn damit?“ Ich versuchte ruhig zu bleiben und vergewisserte mich, dass Nebelschweif noch neben mir stand. „Du bist weiß!“, wiederholte er. „Ich darf weiße Cerzyr nicht umbringen!“ Häh? Ich sollte eigentlich erleichtert sein, dass der Wolf uns, beziehungsweise mich, doch nicht tötete, aber stattdessen beunruhigte es mich noch mehr. Aber warum durfte er das nicht? Als hätte er meine Gedanken gelesen, murmelte er: „Meister will weiße Cerzyr lebend.“ Und bevor ich über diese Aussage richtig nachdenken konnte, stürzte er sich auf... Nebelschweif! Oh nein! Er wollte ihn loswerden! Ich rannte auf den Wolf zu und biss ihm mit aller Kraft in den Schwanz. Mehr fiel mir gerade nicht ein, aber es wirkte. Zornig wirbelte der Wolf herum und fixierte mich einen Moment mit seinen kalten Augen, ehe er eine riesige Pranke hob, um zuzuschlagen. Doch ich war zu schnell für ihn. Ich sprang zur Seite und kratzte ihn in die Flanke. Er heulte auf, doch zu meinem Schreck wandte er sich wieder Nebelschweif zu. Jetzt erst erkannte ich, wie riesig er war. Er war mindestens ein einhalb Meter hoch. Dagegen war ich so groß wie eine Maus. Mir wurde klar, dass ich ihm mit Kratzen und Beißen keine ernsthaften Wunden zufügen konnte. Ich war verzweifelt. Ich versuchte irgendwie dieses Feuer heraufzubeschwören, wie bei den „Hunden“, aber es gelang mir nicht. Da packte das Ungetüm Nebelschweif mit seinen langen, scharfen Zähnen beim Genick und wollte zubeißen. Ich sammelte meine letzte Kraft und hieb ihm mit meiner Pfote in die Seite.
Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall, gefolgt von einer gewaltigen Explosion. Ich wurde zurückgeschleu-dert und prallte gegen einen Baum...

Nach einiger Zeit konnte ich meine Augen öffnen und sah den Wolf reglos am Boden liegen, sein Körper wurde von elektrischen Schlägen durchzuckt. Er war tot. Hektisch drehte ich meinen Kopf, um Nebelschweif zu suchen, konnte ihn aber nirgends finden. Hatte ich ihn auch umgebracht?! Voller Angst sprang ich auf, doch mir tat alles weh. Aber das war mir jetzt egal, ich musste Nebelschweif finden!
Nachdem ich den leblosen Körper des Wolfes umrundet hatte, sah ich ihn. Da lag er zusammengekauert, und blickte wild umher. „Schsch“, sagte ich, um ihn zu beruhigen, aber kam mir dabei etwas dumm vor. „Es ist vorbei. Der Wolf ist tot.“
Schließlich antwortete er leise: „Ja, aber was hast du getan?“ „Ich weiß es nicht. Ich habe ihm einen Seitenhieb versetzt und --“ „Nein, ich habe gesehen was du getan hast...“, erwiderte er. Oh. Das war rhetorisch gemeint. „Geh nach Hause“, flüsterte ich nach einiger Zeit. „Was? Wie meinst du das?“ „So wie ich es gesagt habe“.
„Ich habe kein Zuhause“, meinte er „ich komme mit“.
„Nein, das geht nicht“, sagte ich verzweifelt. „Warum?“
„Du … du wirst es nicht schaffen. Geh einfach weg von mir!“ Er wollte etwas sagen, doch bevor er sich äußern konnte, drehte ich mich um und preschte davon. Er würde mich nicht einholen. Doch wohin sollte ich gehen.

Plötzlich vernahm ich ein zischendes Geräusch. Ich blieb abrupt stehen und blickte mich um. Das Zischen ertönte abermals und eine dunkle Gestalt schob sich aus einem mit schwarzen Rosen umrankten Gebüsch.

Eine kleine, schwarze Katze kam zum Vorschein, noch finsterer als die dunklen Blüten, obwohl ich nicht gedacht hätte, dass das ging.
Aber was noch ungewöhnlicher war, war, dass ich ihre Gefühle nicht spüren konnte! Dieses Wesen war wie ein schwarzes Loch, das alles Licht aufsaugte. So kam es mir jedenfalls vor.
„Wer bist du?“, fragte ich drohend. „Und was willst du?“
„Das wüsstest du wohl gerne, eh?“, erwiderte das Geschöpf ungerührt. Es hatte eine hohe, kratzende Stimme, schaute mit kalten, schwarzen Augen zu mir hoch und grinste hämisch. Dann erst wurde mir klar, dass es eine Cerzyr war! Das war äußerst seltsam, denn unsere Art war extrem selten. Außerdem war dieser Witzbold viel zu klein für eine Cerzyr. „Werd bloß nicht frech! Lass mich durch!“, forderte ich. Ich nahm an, dass er jetzt bestimmt die Fliege machen würde, doch er rührte sich keinen Millimeter, hockte nur da und blickte mich spöttisch an. Er schien sich über meine schlechte Laune auch noch zu amüsieren!
Nach einigen Sekunden, die mir wie Stunden vorkamen, erwiderte er leise: „Ich will dir ein Angebot machen“.


5. Kapitel
Der Unbekannte

„Ich bin nicht interessiert“, antwortete ich schroff und wollte mich zum Gehen wenden. „Oh, du hast meinen Vorschlag noch nicht einmal angehört“, sagte er, seine Stimme war plötzlich samtweich. Ich merkte, dass es nichts brachte und lauschte, was er zu sagen hatte. Eigentlich war ich doch neugierig. „Kämpf an meiner Seite“, sprach er schließlich, „ich bin auch gegen das Böse, genauso wie du. Zusammen können wir es bezwingen“. Überrascht riss ich meine Augen auf und war eine Zeit lang sprachlos. Diese Situation war mehr als verzwickt. Zu zweit würden wir wahrlich bessere Chancen haben, aber konnte man ihm trauen? Immerhin konnte ich seine Absichten nicht durch Gefühlsregungen erspüren.
„Ähm. Ich weiß nicht so recht...“, begann ich.
Plötzlich wurde sein Gesichtsausdruck hart.
„Dann entscheide dich!“, drängte er ungeduldig, „wir haben nicht mehr ewig Zeit!“
Nun wurde ich langsam wütend.
„Von einem Winzling wie dir, lass ich mir überhaupt nichts befehlen!“ , fauchte ich und bleckte drohend die Zähne.
„Du bist doch nur ein mickriges, kleines Häufchen D--“
„Schlechte Wahl!“, unterbrach er mich ungehalten und ehe ich mich versah, stürzte er sich auf mich.
Wollte er sich mit mir anlegen? Ha! Dass ich nicht lache! Geschickt sprang ich zur Seite und wollte eben meine scharfen Krallen in die Seite des Gegners bohren, als der sich plötzlich blitzschnell umdrehte.
Auf einmal explodierte ein höllischer Schmerz in meinem Kopf.
Mir wurde schwindlig, ich wankte und sank schließlich zu Boden.
Das letzte was ich noch wahrnahm war sein hysterisches Lachen und seine riesigen, blutbeschmierten Krallen, als ich schließlich ohnmächtig wurde.

Ruckartig wurde ich wach.
Und da stand er vor mir. Diese kleine, dreckige Cerzyr. Grr!
Gerade als ich aufspringen wollte, um mich auf ihn zu werfen, fuhr ein schmerzhafter Stich durch meinen Kopf. Oh! Verdammter Mist!
Ich spürte, dass sich eine riesige Schnittwunde vom Ansatz meines linken Ohres, bis zu meinem Kinn hinunterzog, aus der das Blut, wie aus einer Wasser-quelle herausströmte.
„Na?“, sagte er neckend. „Tut's weh?“
„Halt den Mund!“, fauchte ich.
Doch er hörte nicht auf, mich zu provozieren: „Ich bin ein klein wenig enttäuscht. Eigentlich hätte ich mir weit mehr erwartet. Aber so...“
„Sei endlich still!“
Blitzschnell sprang ich auf, ignorierte den fast unerträglichen Schmerz in meinem Kopf und stellte mich drohend vor ihn.
„Wie heißt du?“, fragte ich warnend.
„Ach, ein Name ist unbedeutend“, säuselte er. „Aber wenn du willst, nenn' mich doch einfach Shundey“.
Ich spürte, dass das gelogen war.
„Sag die Wahrheit!“, forderte ich ungeduldig.
„Was?“
„Deinen wahren Namen!“
„Ach, den hab ich vergessen“. Er grinste hämisch.
Wollte er mich auf den Arm nehmen?! Nun wurde ich wirklich zornig.
Ich schloss die Augen, um mich zu beruhigen und sagte: „So, 'Shundey', es ist doch nicht --“
Als ich meine Augen wieder öffnete sah ich, dass er ver-schwunden war.
Dieser miese, kleine Dreckskerl!
Gerade in dem Moment, als ich mich anschickte, ihn zu verfolgen, machte sich in mir eine schmerzhafte Erkennt-nis breit: Ich hatte meinen Freund Nebelschweif ver-lassen. Er war solchen gefährlichen Kreaturen wie 'Shundey' allein ausgesetzt. Ich hatte ihn im Stich gelassen. Ich war ein Monster.

„Meister“, sagte der Drache, „du bist zurück“.
Dieser nickte, schlug mit seinen ledrigen Flügeln und sah auf das schwarze Monstrum hinab, dessen blutrote Augen unheilvoll glühten. „Ja“, zischte er mit einem hässlichen Grinsen im Gesicht, „und ich habe einen Auftrag für dich“.
Der Drache sah zu seinem Meister auf, welcher unwahrscheinlich klein im Verhältnis zu ihm schien und nickte, in freudiger Erwartung die Zähne gefletscht. „Wird auch Zeit“, knurrte er, wobei er mit dem Peitschen seines Schwanzes ganze Bäume ausriss. „Ich werde tun, was du sagst, Dämonenstern“.
Dessen Grinsen wurde noch breiter, bis es in einem schaurigen Lachen endete. Grauenvoll ließ er seine mörderischen Zähne blitzen.


6. Kapitel
Verbündete

„Schnell! Drück' das auf die Wunde, ich hole noch etwas Kristallfarn“, kommandierte eine hohe, piepsige Stimme, die ich nicht identifizieren konnte.
Was war passiert?
Erst jetzt spürte ich den schmerzhaften Druck auf meinem Kopf und versuchte die Augen zu öffnen.
Ich sah eine graue Gestalt vor mir aufragen, die etwas gegen meinen, auf eigenartig riechenden Blättern liegenden Kopf presste.
Trotz meines schmerzenden Schädels durchstömte mich ein Gefühl von Geborgenheit, doch ich wusste nicht, warum. Etwas Vertrautes lag am Geruch dieses Geschöpfes, doch meine Sinne waren eigenartig betäubt, sodass ich ihn nicht zuordnen konnte. Erschöpft fielen mir die Augen wieder zu.
„Elfenstern?“, fragte eine besorgte Stimme. „Elfenstern?!“
Ich kannte diese Stimme. Doch ich erkannte sie nicht. Ich konnte nicht einmal klar denken. Mein Gehirn war wie von einem seltsamen Schleier umgeben.
„Alessa! Was soll ich tun? Sie wacht einfach nicht auf! Ist sie tot ?!“
Die unbändige Besorgnis und die Verzweiflung, die in dieser Stimme lag, quälte mich. Ich wollte schreien, ihm klarmachen, dass ich jedes Wort verstehen konnte. Doch es ging nicht. Ich war wie gelähmt.
„Nein, du Idiot!“
Das war wieder dieser helle Ton, wie am Anfang.
„Natürlich lebt sie! Sieh doch, sie atmet, du Fliegenhirn“.
„A-aber... wird sie sterben, Alessa?“
Alessa schwieg einen Moment.
Nun seufzte sie: „Nebelschweif, ich weiß n--“
Wie auf einen Schlag war die Gelähmtheit, die mich umgeben hatte, wie Nebel einfach verzogen. Alles war nun wieder deutlich wahrzunehmen, so als ob irgendjemand den Dunst der Vergangenheit einfach weggepustet hätte. Ich sprang sofort auf und sah jemand ganz bestimmten klar vor mir: Nebelschweif.
Er war wohlauf und kerngesund, nur seine Augen waren vor Sorge seltsam getrübt. Doch ich zuckte zugleich zusammen, als ich jemanden im matten Spiegel seiner Pupillen erblickte: Jemanden, mit einer riesigen Narbe von Ohransatz bis zum Kinn und einem merkwürdigem Stein auf der Stirn...
Oh, verdammt, war ich dumm! Das war ja ich!
Nebelschweifs Augen, die vorhin noch wie zu Eis erstarrt schienen, schmolzen nun. Sie zerschmolzen zu einem See aus Erleichterung, Glück und unbändiger Freude. Doch sie sahen auch ein wenig ungläubig aus, wobei seine Mundwinkel leicht zuckten, als ob er nicht wüsste, ob er lachen oder weinen soll. Die erste, die endlich das Schweigen brach, war, wie ich vermutete, Alessa.
„Aha?“, machte sie und zum ersten Mal seit ich aufgewacht war, nahm ich meinen Blick von Nebelschweifs Gesicht und sah sie an.
Ich konnte einen kleinen Schreckensschrei nicht unterdrücken. Entsetzt schaute ich zuerst Nebelschweif und dann wieder Alessa an.
„Was?! Das ist doch einer dieser komischen „Hunde“! Was macht die denn hier?“
„Na, na. Sei mal nicht so vorlaut, Liebes“, erwiderte sie bissig.
Was hatte sie gerade gesagt? „Liebes“?! Der würd ich's zeigen!
Doch bevor ich irgendetwas tun konnte, schob sich Nebelschweif zwischen uns und klärte mich, mit einem entschuldigenden Blick in Richtung Alessa auf: „Sei nicht so gemein zu ihr. Sie hat dich behandelt. Ohne sie wärst du jetzt tot!“
„Oh“, machte ich nur. Halt, stopp: „Oh“?! Das war mal wieder eine intelligente Antwort. So was von typisch. Schnell schickte ich mich an, etwas intellektueller zu klingen: „Ja, ähm dann vielen Dank“. Es gefiel mir eigentlich nicht, ihr zu danken. „ … Kann ich vielleicht irgendetwas für dich tun? … Achja, warum hast du mich eigentlich behandelt? Dein … äh … Stamm war ja nicht gerade freundlich zu uns“.
Das war zwar schon wieder keine schlaue Antwort, beziehungsweise Frage, aber immerhin besser als „oh“.
Mit belustigt zuckenden Lippen antwortete mir Alessa: „ Es tut mir leid, dass unser Volk euch verjagt hatte. Wir kannten die Wahrheit nicht, also bitte entschuldige“.
Da ich nicht so aussah, als ob ich irgendetwas verstanden hätte, erklärte mir Nebelschweif rasch: „Alessa ist die Prinzessin des Akwah-Stammes und sie ist die –'' „Akwah-Stamm?“, unterbrach ich ihn verwirrt, wobei ich Alessa nun ein wenig genauer musterte. Sie sah so ziemlich genauso, wie die anderen ihres Volkes aus, eben wie ein kleiner Hund. Noch dazu hatte sie winzige Flügel am Rücken und ein orangenes Horn mit kunstvollen Verzierungen auf der Stirn. Außerdem war ihr Fell von einer seltsam goldenen Färbung, und ich meinte fast zu sehen, dass es schwach leuchtete, doch das bildete ich mir wahrscheinlich nur ein.
„Der Akwah-Stamm“, riss mich Nebelschweif aus meinen Gedanken, „besteht aus dem Volk der Akwem … na du weißt schon, die „Hunde““.
Ach, stimmt ja! Logisch eigentlich... Irgendetwas stimmte heute nicht mit mir...
„Jedenfalls hat ihr Stamm zuerst zuerst vermutet, wir seien Diener der Sharadon“... Nebelschweif warf mir einen kurzen Blick zu, als ob er sicherging, dass ich auch alles verstand, bevor er fortfuhr: „Und deshalb haben sie uns angegriffen“.
„Was passierte eigentlich als ich … weg war?“, fragte ich, nun immer mehr interessiert.
„Dazu wollte ich gerade kommen. Also: Teiro, der König des Akwah-Stammes sah mich, als ich neben dem toten Körper des Wolfes kauerte. Zuerst dachte er wohl, ich trauerte, doch als er den Geruch wahrnahm, der an der leblosen Bestie haftete, nämlich deinen Geruch, blickte er zu mir auf und sagte: „Wo ist sie?“.
Ich erklärte ihm, dass ich es nicht wusste und so machten wir uns auf, dich zu suchen. Schließlich fanden wir dich“, seine Stimme fing an zu beben, als er fortfuhr, „blutüberströmt vor einem Gebüsch liegen und … und diese schwarzen Rosen, begannen langsam dich zu überwuchern … wir konnten dich gerade noch befreien!“
Was? Wah, mir graute schon bei dem Gedanken, von diesen lichtlosen Pflanzen umwickelt zu werden. Widerlich! Doch wie und warum taten sie das? Ich wusste ja immer, dass an denen was faul war, aber so etwas?!
„Entschuligt“, kam eine Stimme von irgendwo oben. Erst jetzt fiel mir auf, dass wir uns in einer kleinen Höhle befanden, von der ein Tunnel wegführte, der sich wiederum mehrmals verzweigte. Vermutlich hausten die Akwem in diesem Tunnelsystem, das durch kleine Luftschächte mit frischem Sauerstoff versorgt wurde und vollständig aus Erde angefertigt wurde.
„Der König möchte euch sprechen“.
Ich sah kurz zu Alessa, die mir knapp zunickte und gelang über eine kleine Treppe aus Lehm, das sich angenehm kühl an meinen Pfoten anfühlte, nach draußen.
Dort herrschte aufgeregtes Treiben: Dutzende von Akwem liefen auf der geräumigen Lichtung im Eiltempo hin und her, bauten das Lager wieder auf (vermutlich wegen meines „Ausrastens“ letztens), sammelten Vorräte und riefen sich gegenseitig etwas zu, das ich nicht verstand. Vermutlich hatten sie eine eigene Sprache, die aus verschiedenen Tonlagen und nicht aus Wörtern bestand. So hörte es sich jedenfalls an. Schließlich sah ich Teiro, neben dem eine weibliche Akwah stand, die ihm etwas ins Ohr flüsterte. Sofort sprang er auf und rannte in einen Bau am Rande der Lichtung, er sah alarmiert aus. Ich spürte, dass alle hier schon die Hoffnung aufgegeben hatten, ich spürte Wut und Trauer. Aus irgendeinem Grund machte auch mich das zornig und gerne hätte ich jetzt meine Krallen in einen miesen, dreckigen Wolf gegraben, denn die waren wahrscheinlich schuld an alldem.
„Was haben die denn alle?“, riss mich Nebelschweif aus meinen Gedanken, „sie sehen so … verzweifelt aus“.
Ich zögerte eine Weile, bevor ich ihm antwortete: „Ich weiß es nicht genau, aber ich habe das Gefühl, dass ihnen irgendjemand oder -etwas die Kraft … aussaugt. Ja, das klingt jetzt etwas komisch, aber es scheint so. Ich kann es selbst nicht genau erklären, vielleicht erfahren wir mehr, wenn wir mit Teiro reden“.
Dieser schlurte nun mutlos aus dem Bau und als ich sein Gesicht sah und seine Gefühle empfand, musste ich angstvoll schlucken. Gerade noch schaffte er es, sich unter einen Busch, neben einer großen Eiche zu schleppen und ließ sich dort fallen. Jetzt hatte ich irgendwie keine Lust mehr, mit ihm zu sprechen, doch ich wusste, dass es nötig war. Außerdem wollte ich wissen, was vorgefallen war, dass es ihm so ging. Doch gerade als ich mich anschickte, mich dorthin zu begeben, vernahm ich eine laute, helle Stimme, die von einem kleinen Hügel die anderen etwas zurief, was ich leider wieder nicht verstand. Doch als die Akwem so zuhörten wurden ihre Gesichter starr und sie begannen mitleiderregend zu klagen. Es tat mir so unheimlich weh und ich wusste, ich musste etwas dagegen unternehmen, was immer auch vorgefallen war. Ich eilte zu Teiros Bau, ganz gleich, was mich dort erwarten würde. Trotzdem zuckte ich ein wenig zusammen, als er seinen Kopf hob, und ich in seine müden, hoffnungslosen Augen sah.„Was... ist passiert?“, flüsterte ich vorsichtig. Er erwiderte nichts sondern starrte nur gendankenverloren in die Ferne. Fast dachte ich, er hätte mich nicht gehört, doch dann erwiderte er seufzend, jedoch ohne mich anzuschauen: „Shahun ist tot. Er war mein bester Freund“. Kraftlos fiel sein Kopf auf ein Moospolster.
„Das tut mir sehr leid“, sagte ich und musterte ihn traurig. Sein vorher hell orange leuchtendes Horn war nun glanzlos und sein einst goldgelbes Fell war dreckig und struppig. Außerdem war er ziemlich abgemagert, was mich aber natürlich nicht überraschte. Ich wandte mich zum Gehen, weil es wohl nicht viel Sinn hatte, ihn jetzt weitere Fragen zu stellen, doch er hielt mich zurück: „Warte“.
Endlich sah er mich an und seine Augen weiteten sich.
„Du bist doch eine Cerzyr“, sagte er. „Warum bist du weiß?“
„Nun, das weiß ich selbst nicht so genau. Deshalb wollen ich und Nebelschweif“, ich warf ihm einen kurzen Blick zu und er nickte knapp „zu einem Freund gehen, der uns vielleicht näheres erklären kann. Du wirst dich sicher auch fragen, wie ich dieses Feuer letztens gemacht habe, aber darüber bin ich auch nicht im Klaren. Wir müssen so schnell wie möglich weiterreisen, wenn wir das herausfinden wollen bevor... ähh“. Oh oh, jetzt hatte ich was Falsches gesagt. Ich schluckte nervös und fuhr dann fort: „Na, bevor das … „Wolfsproblem“, das uns ja alle betrifft, sich weiter ausbreitet“.
„Nein, bitte bleibt!“, flehte er verzweifelt. „Ich weiß, dass du uns helfen kannst, du hast die Macht, diese riesigen Bestien auf einen Schlag zu töten! Bitte!“
Er tat mir so entsetzlich leid. Sie alle taten mir leid, doch das änderte nichts. Ich musste ihm erzählen, was wirklich der Fall war und warum die Sonne nicht mehr aufging. Denn nun endlich hatte ich einen Verdacht. Nein, ich war mir sogar sehr sicher, dass es so war. Doch ich hatte es noch niemandem erzählt.
„Nebelschweif, könntest du bitte mal nach Alessa sehen?“
„Häh? Warum denn?!“
„Ähm, einfach so“. Mit einer schnellen Kopfbewegung richtung Ausgang signalisterte ich ihm, dass er jetzt nicht erwünscht war.
„Achso. Okay“, murmelte er mürrisch und stapfte lustlos davon.
„Was ist eigentlich mit euch los? Warum seid ihr alle so … hoffungslos?“, fragte ich leise.
„Weißt du, wir Akwem beziehen unsere Kraft von der Sonne. Normalerweise leuchtet unser Fell hell und golden und unsere Hörner strahlen in kräftigem Orange. Doch wie du sehen kannst … die Sonne ist verschwunden, wir sind schwach und verwundbar. Jeden Tag sterben viele und ich kann nichts dagegen tun. Wenn sie nicht bald wieder aufgeht dann... dann wird es uns bald nicht mehr geben“.
Der Schmerz in seiner Stimme war so unglaublich groß, weil er seinem geliebten Volk beim Sterben zusehen musste, da er machtlos war.
„Doch wir wissen nicht woher es kommt!“, fuhr er klagend fort, „wir glauben, es sind die Wölfe, aber was haben sie mit der Sonne zu tun? Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll!“
„Ich glaube ich weiß, wer schuld ist“, zischte ich und sah mich vorsichtig um, ob uns auch niemand belauschte. „Kennst du die Legenden der Shun? Die bösen Geister, die einst die Sonne verdunkelten und fast alles Leben auslöschten?“
„Aber das sind doch nur Mythen! Albernes Geschwätz! Das kann doch nicht wahr sein!!“, rief Teiro empört und peitschte mit dem Schwanz.
„Ja, das dachte ich auch, aber … weißt du, wir Cerzyr verfügen über besondere Fähigkeiten, wie du vermutlich schon bemerkt hast. Und besteht darin, Magie zu spüren. Und, oh ja, diese Geister haben wahrscheinlich viel Magie, die sie aber nur zu dunklen Zwecken einsetzen. Und ich fühle es, sie scheint auch mir die Kraft auszusaugen. Ich bin mir ganz sicher, sie sind wieder da. Bitte, vertrau mir jetzt: Ich kann euch nur helfen, wenn ich verhindere, dass die Geister ihre ganze Macht entfalten. Und das wiederum geht nur, wenn ich herausfinde, wie ich meine Kräfte einsetzen kann. Ich schwöre dir, wir werden alles versuchen etwas dagegen zu unternehmen, doch dazu müsst ihr uns gehen lassen. Bitte“.
Er ließ seinen Kopf müde auf die Pfoten fallen und seufzte schweren Herzens: „Nun gut. Geht. Ich vertraue, dass ihr uns helft … Nehmt so viel mit, wie ihr braucht, aber bitte“, nun sah er mir flehend tief in die Augen „bitte beeilt euch“.


8. Kapitel
Der Retter


„Na klar kannst du mitkommen!“, hatte er gesagt. Nebelschweifs Begeisterung für Alessa hatte natürlich nicht nachgelassen, als sie ihn (nicht mich) gefragt hatte, ob sie bei uns als Heilerin mitmachen könnte. So zogen wir also schon eine Weile weiter richtung Korm Taerh, den „schwarzen Berg“, wo, den alten Legenden nach, einst die Shun ausbrachen und die Welt ins Chaos stürzten. Alessa hatte die Wahrheit von ihrem Vater erfahren, doch ich hatte sie gebeten, Nebelschweif noch nichts davon zu sagen. Ich hatte es ihm auch noch nicht erzählt, deshalb musste ich ihm sagen, dass wir nach dem Anführer der Shandora-Wölfe suchten, was teilweise auch stimmte. Denn offensichtlich spielten sie in dieser Sache auch eine Rolle. So marschierten wir stetig weiter, vorbei an den unheimlichen schwarzen Rosen, dornigem Gestrüpp und durch nicht enden wollende, trostlose Nadelwälder. Nach mehreren Stunden abwartendem Schweigen, meldete sich plötzlich Nebelschweif: „Hey, was ist eigentlich mit Adlerauge?! Wollten wir nicht herausfinden, was es mit dem ganzen Hokuspokus deines Steins auf sich hat?“ Oh, Mist, das hatte ich völlig vergessen! Hatten wir dazu überhaupt noch Zeit? Doch da fiel mir ein, dass die Todessümpfe, wo Adlerauge hauste, ja direkt am Weg zum Korm Taerh lagen! So ein Glück! Doch wie sollte ich es Nebelschweif erklären? Er wusste doch nicht, dass wir dorthin unterwegs waren!
„Ähm, naja, okay. Wir wissen ja sowieso nicht, wo der Anführer der Shanora ist, also können wir genauso gut auch zu Adlerauge gehen...“, versuchte ich ihm weiszumachen.
„Aber wir gehen doch sowieso schon in diese Richtung! „, stellte er misstrauisch fest, „hast du das nicht bemerkt?!“
Oh, verdammt! Ich hätte ja einfach sagen können, dass ich das sehr wohl bedacht hätte! Na toll, und was jetzt? „Hey, toller Zufall!“, versuchte ich zu improvisieren und bemühte mich, ein einigermaßen glaubhaftes Lächeln zustande zu bringen. Er schien ganz und gar nicht überzeugt, was mich natürlich nicht im Mindesten überraschte. „Na gut“, sagte er, wobei er herablassend die Augenbrauen hochzog, „wenn du meinst“. Kopfschüttelnd stapfte er weiter.
„Irgendwann musst du es ihm sagen, er vertraut dir nicht mehr“, flüsterte mir Alessa vorsichtig zu und ich wusste, dass sie Recht hatte. Wenn ich es noch länger verheimlichte, würde er es irgendwann selbst herausfinden, wobei ich mir gar nicht vorstellen wollte, wie er dann reagierte.
„Okay, aber nicht heute“.
Ich schickte mich an, Nebelschweif einzuholen, doch ich hielt abrupt inne.
„Nein, nicht schon wieder! Ach verdammt!“
„Was ist?“, fragte Nebelschweif schnippisch. „Wieder irgendwelche Geheimnisse zu--“, setzte er an, doch plötzlich riss er die Augen weit auf, Angst spiegelte sich in seinem Blick.
„Schnell! Versteckt euch!“
„Was ist mit dir?“, fragte Nebelschweif mit zitternder Stimme und sah mich flehend an. „Wehe, du bleibst hier und versuchst dieses Monster aufzuhalten! Ich will deine Körperteile nicht einzeln vom Boden aufsammeln!“ Seine Stimme wurde schrill und panisch und seine Augen blickten wild umher. Alessa war unsicher stehen geblieben.
„Ich hab es schon mal geschafft“. Ich versuchte sicher zu klingen, doch es gelang mir wahrscheinlich nicht richtig. „Diesmal pack' ich's auch. Hau jetzt ab, oder ich jag' dir 'nen Feuerstoß hinterher“.
Er stolperte ängstlich durch die Bäume, blickte sich immer wieder zu mir um und jammerte verzweifelt. Doch er konnte mich nicht zum Fliehen bewegen.
Wacker stellte ich mich in die Mitte der kleinen Lichtung, neben der ein kleiner Bach plätscherte, die Blätter um mich herum wurden vom sanften Wind gekräuselt. Doch all das konnte mich nicht beruhigen, den mit wachsender Angst stellte ich fest, dass sich noch ein Wolf sich mir von der anderen Richtung näherte. Hatte ich überhaupt eine Chance?
Ich wartete und staute mir meinen gesamten Mut an, damit ich jetzt nicht einfach weglief.
Bald schwanden die wohligen Düfte des Waldes und machten dem Gestank der sich stetig nähernden Wölfe Platz, bei dem ich mir lieber die Nase zugestopft hätte, als diesen länger ertragen zu müssen.
„Reiß dich zusammen“, dachte ich mit zusammengebissenen Zähnen, „du bist doch kein Feigling“. Ich legte mich auf meine Beine, damit diese sich nicht selbstständig machten und wartete, nervös mit dem Schweif schlagend.

„Nein, NEIN!!“ Ich schrie so laut ich konnte und versuchte durch mein Blut, das mir das Gesicht herunterlief, noch etwas zu sehen. Die beiden Wölfe hatten mich umzingelt, mordlustig bleckten sie ihre gewaltigen Reißzähne und ließen ihre riesigen Krallen blitzen. Sie wollten es anscheinend in die Länge ziehen, aber dennoch würde es kein Entkommen geben. Vielleicht nahmen sie mich lebend mit, doch eine bessere Aussicht war das auch nicht. Ich hatte so gut gekämpft, wie ich konnte, doch auch meine Versuche ein Feuer oder einen Blitzschlag heraufzubeschwören waren missglückt. Nun lag ich am Boden, blutverschmiert und versuchte, meine vor Panik starren Gliedmaßen zu bewegen, doch es half alles nichts. Ich würde sterben. Ich hoffte, ich könnte noch lange genug durchhalten, damit sich Nebelschweif und Alessa sicher verstecken konnten. „Es tut mir so leid“ wimmerte ich und versteckte mein Gesicht unter meinen Pfoten. „Mach's gut, mein Freund...“
Nun hob einer der Wölfe seine klauenbestückte Pranke, ich sah es zwar nicht, aber ich konnte es spüren, wie Siegesgewissheit und Häme ihn durchströmte. Und ich war bereit.
„RAAHRRR!!!!“ Ein ohrenbetäubender Kampfschrei zerriss die unheilvolle Stille. Zuerst dachte ich, der Wolf hatte endlich zugeschlagen, doch dann würde ich wohl nicht mehr leben.
„LASST SIE VERDAMMT NOCH MAL IN RUHE, IHR VERDAMMTEN MISTBIESTER !!“
Ich konnte es nicht fassen. War jemand gekommen, um mich zu retten? Einen seltsamen Gedanken lang dachte ich, es wäre Nebelschweif, doch das konnte eigentlich nicht möglich sein. Rasch wischte ich mir das Blut aus den Augen und suchte die Lichtung ab; hier war keiner. Ich sah zwar immer noch verschwommen, aber ich würde ja wohl einen 1-Meter-Wolf erkennen, wenn er hier war, oder nicht? Und was noch seltsam war: Ich spürte nur die Anwesenheit eines Wolfes im Umkreis. Und von meinem Retter ging komischerweise kein „Signal“ aus. Was hatte das zu bedeuten?
Langsam gewöhnten sich meine Augen auch an die Dunkelheit und dort, in der Finsternis kaum zu erkennen, sah ich riesige Krallen aufblitzen. Blut ergoss sich über den Boden. Jemand winselte kläglich und schlug um sich... Ich schluckte. Der Wolf hatte ihn zerfetzt!! Nein, oh nein, was sollte ich jetzt tun?
Hektisch schaute ich mich um, und da sah ich es: Einer der beiden Wölfe, vermutlich der etwas kleinere, lag mit gespreizten Beinen am Boden, Blut rann ihm aus seinem Maul und sein Blick war leer. Konnte es sein, dass...?!
„Das wär erledigt“, sagte eine überraschend schöne Stimme hinter mir. Verdutzt drehte ich mich um, und:
was ich da sah, konnte nicht wahr sein... Ich blickte in das hübscheste Gesicht, das ich je gesehen hatte. Seine Augen waren so unergründlich, sie sprudelten vor Leben und Hoffnung. Er war so wunderschön, einen Moment lang vergaß ich meine schmerzenden Wunden und all die Probleme und Gefahren, die mir bevorstanden. Und nun wusste ich, warum ich seine Gefühle nicht Spüren konnte: Er war eine Cerzyr.


8. Kapitel

„Wer... bist du?“, brachte ich, wie es mir vorkam, nach stundenlangem Schweigen flüsternd hervor.
„Paroven“, sagte er und verkniff sich ein Grinsen. Anscheinend amüsierte er sich über meine Verblüfftheit.
„Ja, dein Name ist mir egal“, blaffte ich ihn an, obwohl er mir gefiel, „wo du herkommst und was du willst wollte ich eigentlich wissen“. Ich wusste natürlich, dass man niemanden, der einem gerade das Leben gerettet hatte, ansprach, aber ich hasste es, wenn jemand sich über meine Unwissenheit lustig machte, aber mir nicht sagte, was los war. Schlagartig wechselte sein überheblicher, blasierter Gesichtsausdruck in Erstaunen. So hatte wohl noch nie jemand mit ihm geredet.
„Ich -äh- ich hab' keine Heimat. Ich hab' das gleiche Ziel wie du, wenn du das meinst“.
„Was? Woher weißt du dahergelaufener …, was ich tue? Hast du mir nachspioniert, oder was?“
„Ja, so könnte man es auch nennen“, murmelte er. Etwas verärgert warf er mir einen „du-könntest-dich-auch-mal-bedanken-Blick“ zu und verengte die Augen.
„Und wie kommst du auf die freche Idee mir zu folgen?!“, schleuderte ich ungehalten zurück und wurde immer aggressiver. Ich hätte es doch merken müssen, wenn mir jemand hinterherschleicht!
„Das“, sagte er langsam und sein Gesicht nahm wieder dieselbe stolze und unnahbare Miene an, „geht dich nichts an“.
Das war zu viel für mich. Nun war es soweit.
„WAS FÄLLT DIR EIGENTLICH EIN, SO MIT MIR ZU REDEN, DU VERDAMMTER BENGEL?! RENNST MIR HINTERHER, DENKST DU BIST WAS BESONDERES, WEIL DU DIESE BEIDEN DRECKSWÖLFE UMGEHAUEN HAST UND GRINST MICH RECHT DÄMLICH AN!! DAS IST SO WAS VON …“ …aber weiter kam ich nicht. Ich kochte nicht nur buchstäblich vor Wut, ich musste wirklich kochen. Ich sah Dampf von mir aufsteigen und das Gras um mich herum war etwas versengt. Und Paroven? Er schaute wie immer selbstsicher und frech drein.
„Was ist?“, blaffte ich ihn genervt an, doch er verdrehte nur die Augen und schenkte mir einen weiteren hochnäsigen Blick. Das war echt zum verrückt werden mit dem! Um nicht nochmal auszurasten atmete ich einmal tief durch und schloss die Augen. Mir war plötzlich verdammt schwindlig.
„Hey, was ist?“, hörte ich ihn plötzlich mit fürsorglich klingender Stimme sagen, doch es schien aus weiter Ferne zu kommen.
„Was ist passiert?“
„Was suchst du hier?!“
„Wer bist du, was hast du ihr angetan?!“
„Ich war das nicht, lass mich doch erklären!“
„Ich glaub sie hat zu viel Blut verloren!“
…Ein Wirrwar aus Stimmen umgab mich, doch ich konnte sie nicht zuordnen. Ich fühlte mich so ähnlich wie in der Höhle der Akwems. Nur zum Glück nicht ganz so schlimm.
„Nebelschweif, dort hinten am Bach wachsen Kristallrosen. Bring mir bitte schnell eine!“
„Okay!“
Ich fühlte hitziges Pfotengetrommel auf dem Boden, das sich schnell entfernte und gleich wieder zurückkam.
„Hier“.
Ich merkte, wie mir etwas auf meine Wunden geträufelt wurde und hatte das Gefühl, als würden sie sich schließen. Ging das überhaupt?
Plötzlich wurde ich auf den Rücken gedreht und mir wurde ein ekelhaft süß schmeckender Saft eingeflößt, wovon ich würgen musste.
„Nein, runterschlucken!“, befahl Alessa. Endlich konnte ich die Stimmen wieder klarer verstehen und sie richtig zuordnen. Das war ja schon mal was.
Widerwillig schluckte ich die zähe Flüssigkeit hinunter, die sich anfühlte, als würde mir eine Schnecke den Hals hinunterkriechen. Es war wirklich widerwärtig.
Ich setzte mich langsam, machte die Augen auf, und versuchte, etwas zu erkennen. Doch mir schwirrte immer noch der Kopf, wobei ich alles doppelt sah.
„Langsam“, mahnte mich Alessa und stützte mich, damit ich nicht wieder umfiel, nachdem ich versucht hatte, aufzustehen. Ich mochte es nicht, auf Hilfe angewiesen zu sein und meinte: „Danke, 's geht schon wieder...“, doch ich merkte, dass mir immer noch ein wenig schlecht war.
„Nein, du bleibst jetzt erst mal sitzen!“, kommandierte sie.
Sofort sprang ich auf, plötzlich war mir überhaupt nicht mehr schwindlig.
„Jetzt wirst du genauso überheblich, wie dieser dahergelaufene Bengel, oder?“, blaffte ich sie an und zeigte dabei auf Paroven, der mich missbilligend anglotzte.
„Hey, das Sagen hat immer noch der Stärkste, oder?! Sei mal ehrlich: den dämlichen Wolf von damals, den hast du sowieso nur mit Glück überlebt; Dieser Feigling da drüben“, er deutete wegwerfend auf Nebelschweif, der ihn fassungslos anstarrte, „und dieses komische Gebilde mit Horn“, er nickte mit dem Kopf in Richtung Alessa, „kannste total vergessen, die reißen sowieso nichts mehr raus“. Da bleib' wohl nur noch ich übrig, oder?“
Alessa, Nebelschweif und ich wandten uns empört und wutentbrannt an Paroven und ich fauchte bedrohlich: „Wenn du nicht willst, dass ich Ragout aus dir mache, dann haust du jetzt am besten schleunigst ab. Ich hab es jetzt schon so satt mit dir. Dich hat nämlich niemand gefragt!“
Völlig perplex schaute er von einem zum anderen (endlich hatte er aufgehört zu Grinsen) und schien nachzudenken. Nach einiger Zeit jedoch kehrte sein ürsprünglicher, frecher Gesichtsausdruck wieder zurück und er fragte mich keck: „Willst du wirklich, dass ich gehe? Deine Fähigkeiten sind zwar stark, aber wenn du sie nicht kontrollieren kannst...“
„Was? Wie kontrollieren?! Kannst du das?!“, rief ich begeistert.
„Klar“. Er zwinkerte.
„Ehrlich jetzt? Wie geht das?“
„Das lässt sich aber nicht auf zwei Minuten erklären“, sagte er und tat so, als würde er gründlich nach einer Lösung suchen. „...ich könnt's dir aber beibringen... wenn ich mitkommen dürfte“. Jetzt lächelte er mich so offenherzig und ehrlich an – da war überhaupt keine Spur von Hochnäsigkeit oder Spott zu erkennen – dass mir das Herz schmolz. Es fühlte sich an, als breitete es sich in Form von heißem Honig in meinem Körper aus und dieses Gefühl wärmte mich bis in die Pfotenspitzen, wodurch ich wie ferngesteuert einfach „Klar kannst du mitkommen“, flüsterte. Was war los mit mir?
„Spinnst du?!“, riefen Nebelschweif und Alessa gleichzeitig. Sie schienen sich wieder gefangen zu haben.
„Was warum?“, murmelte ich abwesend.
„Wieso lässt du diesen …Idioten sich mit uns anschließen?!“
Widerwillig nahm ich den Blick von Parovens Gesicht und sah Nebelschweif an.
„Wer hat das gesagt?“, fragte ich verwirrt. Irgendwie war mein Gehirn vernebelt.
„Na, du!“
„Echt?!“
„Ja“,erwiderte er und verdrehte die Augen, „gerade eben“.
Ich schüttelte den Kopf um wieder klar denken zu können und antwortete: „Ja, aber er kann mir doch helfen... er war es immerhin, der diese beiden Wölfe überwältigt hat, und nicht ich. Ohne ihn wäre ich jetzt tot, und ihr wahrscheinlich auch. Irgendwann muss ich doch lernen, wie ich meine Fähigkeiten kontrollieren kann, stimmt's? Aber...“, fügte ich hinzu und wandte mich wieder an Paroven, „ich bestimme wo's langgeht und du hältst dich ein bisschen zurück mit deiner großen Klappe, kapiert?“
„Glasklar“, sagte er und schaute wieder wichtigtuerisch drein. Was hatte ich mir da bloß eingebrockt?
Hinter mir hörte ich ein leises Räuspern. „Und? Was jetzt? Wo gehen wir hin?“, fragte Nebelschweif an mich gewandt und sah etwas beleidigt aus.
„Zu Adlerauge, wohin sonst?“ Ich machte mir nicht die Mühe, es Paroven zu erklären, da ich überzeugt war, dass er es sowieso schon wusste. „Wir müssen ja immer noch herausfinden, was eigentlich genau los ist“.
Plötzlich wurde sein Gesichtsausdruck wütend und er schleuderte mir entgegen: „Ach ja?! Ihr wisst es doch alle schon! Ihr wollt es mir nur nicht sagen, weil ihr denkt, dass ich es nicht verkrafte!! Ich bin kein Feigling, nur weil ihr glaubt, dass ich einer bin! Ich habe es satt, ständig als das 'Sensibelchen' behandelt zu werden! Also wenn du es mir nicht sagen willst, dann geh' ich einfach! Ihr braucht ja sowieso keinen feigen Schwächling, der euch nur eine Last ist!“ Wütend spannte er den Kiefer an und wandte seinen Blick zu Boden.
„Nebelschweif...“, begann ich, „ich denke nicht, dass du ein Feigling bist. Ich hielt es nur für besser, wenn du es nicht weißt... aber wenn du willst, dass ich es dir sage, dann tue ich das“.
Er nickte grimmig und schien ein wenig zu schmollen, was mir jetzt aber egal war. Mein Schweigen war nicht böse gemeint gewesen.
„Ich denke, dass jemand die Shun – du weißt schon, die Dämonen, die in Sharadon eingesperrt wurden – befreit hat, oder, dass sie irgendwie selbst freigekommen sind. Es gibt alte Legenden, in denen es heißt, dass sie einst die Sonne verdunkelt haben und für Chaos sorgten. Doch ich weiß nicht, wie sie das gemacht haben... und ob es wirklich stimmt. Und deshalb müssen wir zu Adlerauge, damit wir genaueres erfahren. Und damit er uns vielleicht noch etwas über meinen Stein hier“, ich tippte mir an die Stirn, „sagen kann. Und vielleicht... wenn wir Näheres herausgefunden haben... gehen wir zu Sharadon und sorgen da für Ordnung, denn es ist wahrscheinlich die Quelle des ganzes Übels. …Das war so der Plan“.
„Und? Hast du erwartet, dass ich in Ohnmacht falle, oder so?“, fragte er mich, doch zum Glück war er wieder zu Späßen aufgelegt und lächelte.
„Können wir jetzt endlich aufbrechen zu diesem Adlerauge?“, drängelte Paroven gelangweilt. Natürlich hatte er uns damals belauscht und kannte meine Überlegungen bereits.
„Ich würde sagen, wir ruhen uns erstmal ein wenig aus, oder?“
Kaum hatte ich das gesagt, suchten sich Nebelschweif und Alessa bereits weiches Moos zusammen und formten daraus eine Art Nest.
„Gute Idee“, stimmte er noch murmelnd zu, während er sich zu einer Kugel zusammenrollte und nach wenigen Augenblicken leise zu Schnarchen begann. Ich verdrehte die Augen und schickte mich ebenfalls an, mir einen geeigneten Ort zum Schlafen zu suchen. Meine Wahl fiel auf ein kleines Plätzchen neben dem Bach, der umringt von Kristallrosen war. Ich wollte mich ein wenig abseits niederlassen, um in Ruhe nachdenken zu können. Ich legte meinen Kopf auf das kühle Gras, schloss meine Augen und suchte eine Erklärung für all das, was sich gerade um uns herum abspielte. Ich hatte viele Fragen, auf die ich keine Antwort wusste, aber die beiden, die am wichtigsten waren, kamen mir immer wieder in den Sinn: Wer hatte die Shun befreit, und wie hat er es gemacht?
Oder noch bess3er: Wie hat er es geschafft, die Sonne zu verdunkeln, um den Shun das Leben außerhalb des Berges Sharadon zu ermöglichen?
Da sich die Shun von der Finsternis ernährten, war die Sonne ihr Todfeind. Sie nisten sich in andere Körper ein, doch wenn ein Sonnenstrahl in die blutrot verfärbten Augen des Opfers fällt, lösen sie sich auf... Und mit diesen Worten fiel ich schließlich in einen unruhigen, von bösen Träumen heimgesuchten Schlaf.


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Tag der Veröffentlichung: 26.03.2011

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