Auf die Frage, ob meine bisheriges Leben so verlaufen ist, wie ich es mir vorgestellt habe, muss ich mit einem klaren NEIN antworten. Hatte ich viel Glück? Nein. Gab es den perfekten Augenblick? Nein. Bin ich glücklich? Im Moment....? Ja.
Mein Leben ist vielleicht nicht besonders spannend oder aufregend, ich denke traurig ist das treffendere Wort. Die Erwartungen waren hoch, was ich bekam war ein Disaster an Höhen und Tiefen. Ich denke, ich werde ein wenig davon erzählen.
Denn wenn ich doch was vom Leben meine gelernt zu haben, dann ist es das Wiederaufstehen nach dem Fall. Das Abklopfen des Pechs und die Betäubung des Schmerzes, selbst wenn es dir das Herz zerreißt. Es ist nicht einfach. Aber es geht.
Ich will nicht sagen, dass ich vom Pech verfolgt werde.Aber irgendwie ist es doch immer da, wenn ich es nicht brauche. Und wenn es dann irgendwann aus dem Hinterhalt zuschlägt, trifft es mich mit einer solchen Wucht, das mir für einen kurzen Moment der Atem ausbleibt.
Schon als kleines Kind hatte ich diesen unnützen Begleiter.Wir waren damals jeden Sommer am Meer. Meine Mutter liebte das weite,endlose,tiefe Wasser. Sie liebte den Geruch der salzigen Luft und die sanfte Berührung des Windes an ihrer Wange. Und wir Kinder? Wir liebten alles,den Sand, die Möwen, die hohen, mächtigen Wellen und unser Haus, mit dem Spielplatz und dem Pool. Mein Vater liebte uns und deswegen wäre er überall mit uns hingegangen, bis ans Ende der Welt. Aber das Meer war am nächsten und es war schön.
Einmal sind wir runter zum Strand gelaufen. Es war ein herrlich warmer Tag und einzelne leichte Brisen tanzten durch die Luft. Über Nacht hatte es ein Unwetter gegeben. Die Wellen waren von weit her zum Ufer gestürmt und brachten allerlei mit sich. An einem solchen Morgen würde es viele Quallen geben. Tot und lebendig. Wir würden die glitschigen Körper durch die Luft werfen oder ihnen Sandburgen bauen, um sie im Schlossgraben schwimmen zu lassen. Wir würden uns ekeln, aber auch gleichzeitig fasziniert sein. Doch wir sollten mehr finden an jenem Tag, als die uns nicht zuerklärenden Wesen. Wir liefen also die Promenade hinunter, voller Erwartung an jenes hinter dem sandigen Hügel. Da verschwand meiner Vater. Wir hatten es kaum bemerkt, machten uns keinen Kopf darüber. Als Kinder taten wir das nicht. Und da war es! Das Meer. Inzwischen ruhig und erschöpft von dem nächtlichen Kampf, das Land an sich reißen zu wollen und einzunehmen.Überall winzige Köpfe, die im Wasser fröhlich hin und her wippten. Bunte Schirmchen im wirren Muster. Gesichter die lachten. Kinder die sprangen. Und wie wir so standen, mit offenen Mündern und glänzenden Augen, war unser Vater wieder da, als wäre er nie fort gewesen. Wir jagten sofort ins kühle Nass, dem ersten Kälteschwall trotzig entgegen und tauchten ein, mit Kopf und Verstand.Die Augen brannten wie Feuer und überall war der Geschmack von Salz. Wir rieben die Augen. Wir prusteten und husteten und sprangen erneut, mit dem Kopf voran. Vom Ufer her ein Rufen. ´´ Nicht so weit hinaus!´´ und kurz darauf ´´Schaut einmal, ich glaub ich hab da was gesehen!´´ Wir Kinder voller Neugier, stürzen hin, sahen nach und tatsächlich! Das Meer hatte uns ein paar Schätze entgegengebracht. Muscheln so groß, dass wir unseren Augen kaum trauten. Wir hielten den Fund hoch in die Luft, wirbelten herum,suchten und fanden noch mehr und immer mehr der fantastischen Meeresstücke. Und die Eltern die standen, hielten sich im Arm und lächelten. Wir haben dann noch Burgen gebaut, die schönsten und größten am ganzen Strand und die Trophäen ganz hinauf, auf die Spitze. Und kam ein anderes Kind und wollt uns die Muscheln stehlen, so hatten wir sie rasch alle und beide Arme geklemmt und mit Schmollmund gehart und gewartet, bis der Feind sich zurückzog. Wir waren glücklich.
Später sind wir dann zurück gegangen, die Promenade wieder hinauf. Wir haben uns auf die alte grüne Holzbank gesetzt und uns den Sand von den Füßen gewischt. Es wurden die kleinen Sandalen angezogen und vom Schatz gebrabbelt.Verglichen, betrachtet und zufrieden genickt. Und dann sind wir weiter gezogen. Vorne die Mutter, dahinter die Kinder, Hand in Hand und zum Schluss der Vater, der wacht, dass keiner verloren geht. Wir sind an einem winzigen Lädchen vorbei gekommen. Es gab Papier, Plüsch und allerlei Nascherei. Und wie wir so waren, gruben sich unsere Hände schon bald tief in die Kisten, denn wir hatten Durst bekommen nach kleinen Schätzen. Und schon bald waren wir uns einig. Die kleinen Tiere aus Stoff sollten es sein. Halb Vogle, halb Ball, mit kullerunden Augen. Und drückte man ihnen auf den Bauch, so gurgelten sie lustig vor sich hin. Jeder eine andere Farbe und Namen waren auch gleich gefunden. Am Abend waren wir erschöpft, fielen in unsere Betten, kuschelten uns tief hinein und schliefen schon bald zufrieden ein.
Wir waren oft am Strand. Unsere neuen Begleiter stetig dabei.Einmal habe ich meinen Vater dabei ertappt, wie er in einen Laden ging und uns die schönsten und größten Muscheln kaufte. Ich hatte heimlich durchs Fenster hinein gesehen und fühlte mich dann ein wenig schlecht deswegen. Da wusste ich, wer uns die Schätze brachte. Ich war auch ein wenig traurig, aber zugleich schwoll mir auch das Herz in der Brust. Eine tolle Idee unserer Eltern! Und wie ich so das Geheimnis für mich behielt, fühlte ich mich schon ein wenig größer. Ich wollte den andern den Spaß nicht verderben und kicherte fortan bei jedem neuen Fund, ganz leise und nur für mich selbst.
Ein andermal standen wir oben auf der Seebrücke. Schauten den Wellen hinterher und wünschten uns zu den Möwen, die weit oben mit den Wattewolken schwebten und ab und zu einen luftzerreißenden Schrei von sich gaben. Im Wasser saßen sie ebenfalls. Lauter weiße Flecken die ruhig mit jedem Auf und Ab mitschwammen. Und als ich so an der Brüstung stand und mit geneigtem Kopf dieses Fleckenspiel beobachtete fiel mir mein Puschel, so nannte ich das kleine Tier hinunter in die leichten Wellen. Ich begriff erst nicht so recht was mir gerade eben passiert war, hielt ich es doch fest in der Hand. Doch dort schwamm es nun und trieb immer weiter fort. Der Verlust schmerzte mich sehr und ich begann erst leise zu schniefen, was in einem lauten Schluchzen endete. Die andern, die die Dramatik der Situation nicht vertanden, versuchten mich zu trösten. Doch das war kein Trost. Bald hatte ich alle Herzen erweicht und wir liefen rasch zurück, den ganzen gerade erst bewältigten Weg und kauften mir einen neuen Vogelball, den ich sofort fest in meine Arme schloss. Ich wollte diesmal gut aufpassen und immer darauf achten, wo ich ihn bei mir trug. Wieder am Strand, bauten wir unseren 4 kleinen Freunden eine riesige Burg. Anschließend spielten wir verstecken, nur gab es da nicht so viel an einem Strand. Ich wählte den nächstbesten Strandkorb. Er hatte blaue und weise Streifen, die senkrecht zum Boden verliefen. Und er war groß, er gebot mir Schutz. Ich setzte das ebenfalls auf Puschel getaufte Plüschtier auf die Armlehne, damit es um die Ecke lunsen konnte. Als ich ebenfalls einen Blick riskieren wollte, wurde ich entdeckt. Enttäuscht sprang ich auf, lief zu den anderen und nach Hause. Ich hatte keine Lust mehr. Wir waren dann gerade auf halben Weg, da durchfuhr mich ein gewaltiger Schrecken. Ich hatte meinen Plüschvogel im Versteck zurück gelassen. Wahrscheinlich saß er immer noch auf der Lehne und wartete darauf das ich ihn abhole. Ich versprach mir selbst gleich morgen nach ihm zu sehen.
Ich sah am nächsten Tag in jeden Korb. Das Tierchen hatte ich nie mehr wiedergefunden.
Damals empfand ich diese Nichtigkeit als Unglück.
Damals wusste ich noch nicht, wie groß Leid werden kann.
E
s scheint, es geht dir gut,
sagen Sie zu mir
und klopfen mir auf
die Schulter.
J
a, gut, entgegne ich,
lächele leise und nicke -
Es ist sehr nützlich,
mein es-geht-mir-gut
Gesicht.
Wenn man noch Kind ist und Kind sein darf, hat das Leben einen vollkommen anderen Charme. Die Welt ist das Königreich und jedes Kind sein eigener Herrscher. Der Ernst des Lebens scheint noch so unglaublich fern und doch spürt man ihn hier und da an einem vorbeistreifen. Es scheint, jeder Traum würde wahr und jeder Aufbruch ein neues Abenteuer. Ich war eines von den Kindern, die Abenteuer liebten. Wir gingen zum Baden in den Fluß, wobei unter jedem Stein ein anderes glitschiges Wesen vermutet wurde und wir bei jeder Berührung mit einer kalter Alge schreiend zurücksprangen, um anschließend in lautes Gelächter zu verfallen.Wir kletterten in fremde Scheunen und sprangen wie wild auf den riesigen Bergen von Stroh, bis der wütende Bauer auftauchte und uns mit allerlei Flüchen und Drohungen davonjagte. Wir waren die Kinder, die sich auf dem Schulhof an die Großen heranschlichen. Die sie piekten und an den Jacken zerrten und die dann ohne Reue kichert in alle Richtungen rannten, um in ihren Verstecken abzuwarten was geschehen würde. Und wenn nichts geschah, kamen wir wieder heraus und trieben andere kindische Sachen, um uns die Zeit zu vertreiben, die damals noch nicht so wichtig schien und doch genauso schnell verloren ging wie heute. Wir wollten alles ausprobieren und von allem ein Stück abhaben. Wir glaubten immer, die ganze Welt würde uns gehören. Denn wir waren ja die Herrscher und die Sonne schien, wann wir wollten das sie es tat. Das Gras, auf dem wir sprangen war immer grün. Der Himmel, in den wir starrten, strahlte immer blau und der Mond am Fenster lächelte uns jeden Abend zu. Die Kindheit ist ein Königreich ohne Sorgen. Denn die Sorgen die wir hatten waren so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Niemand litt. Niemand starb. Wir lebten unter der schützenden Hand unserer Eltern und unserer kindlichen Naivität. Wir kannten das Böse nicht und wir hätten nicht gedacht, das es eines Tagen an unser Schloss klopfen würde, um unter großem Gebrüll mit einem Schlag einzureißen, was uns jahrelang Schutz gebot.
Wieso hast du nicht an uns gedacht, als du einfach abgehauen bist? War dein Schmerz wirklich so unüberwindbar groß, dass er unseren in den Schatten stellt? Ich würde lügen, wenn ich sagen würde , dass ich dich verstehe. Vielleicht zu einem kleinen Teil, aber eben dieser Teil ist so winzig klein, dass mein Verständnis nicht mit der Trauer überein kommt.Schon damals konnte ich dich nicht verstehen und doch habe ich dich in Schutz genommen. Schon damals war irgendetwas in mir kaputt gegangen, ein kleiner Teil meines Herzens wurde starr und kalt. Ihr hattet euch oft gestritten. Das weiß ich noch, weil ihr es laut tatet und keine Acht darauf gegeben habt, ob wir euch hören und sehen konnten, oder nicht. Du hattest das riesige bild an der Wand herunter gerissen, ein Geschenk von dir an sie. Es war ein Engel auf einem Stein und weil du sie so liebtest, hast du ihr Gesicht in den Kopf des Engels einsetzen lassen. Es war ein schönes Bild, ich hatte es sehr gemocht. Ich weiß noch, wie du den Stuhl zerbrachst, damit niemand anderes darauf je sitzen würde, an deinem Ende des Tisches. Es hat nie jemand dort gesessen, der mit dir vergleichbar gewesen wäre, niemand. Du hattest dir damals eine Wohnung genommen. Sie war klein und sie war nicht schön, aber wir waren oft da. Wir durften an die Wände malen und du hattest ein paar positive Zitate an sie geschrieben. Letztendlich haben sie nichts bewirkt, auch wenn damals wieder alles gut zu werden schien. Wir sind oft umgezogen, immer zusammen. Ihr hattet immer wieder zueinnader gefunden und auch wieder auseinnander. Als ihr euch wieder gestritten habt und sie meinte, es sei nun für immer vorbei- so klang für dich dieses für immer viel zu lang und als du den Ernst der Situation erkanntest, hast du den ersten Entschluss gefasst, der meine Kindheit zerstörte. Ich hatte mein Zimmer im Untergeschoß. Unser Haus stand auf einem Hang und wenn ich mein Fenster öffnete, konnte ich hinaus auf die Wiese laufen. Wir hatten auch eine sehr große Terasse im 1. Stock.Von ihr aus konnte man die ganze Stadt sehen und Silvester war der ganze Horizont ein Meer aus bunten Lichtern. Wir hatten dort auch einen selbstgebauten Kasten stehen, worin unsere 2 kleinen Schildkröten lebten. Es hat mich immer wieder fasziniert ihren mäßigen Gang zu verfolgen und ihnen beim gemütlichen Fressen zuzusehen. Im Winter haben wir sie schlafen lassen, im Frühling sind sie jedoch nicht mehr aufgewacht. Sie hatten ein schönes Jahr. Sie hätten noch viel haben sollen, aber sie hatten wohl keine Lust darauf. Das Leben kann ja so kompliziert sein. Ich kann mich noch an jene Nacht erinnern. Ich hatte unruhig in meinem Bett gelegen, weil du in den letzen Tagen so seltsam schienst. Du hattest Bilder mit uns geschossen, einfach so. Du hast gesagt, das wir ja kein aktuelles habne und das man immer mal Bilder machen sollte, denn wer weiß was passiert. Wir waren ja noch Kinder und haben uns nicht allzu große Gedanken darum gemacht. Du hattest mir eine Sms geschrieben , spät in der Nacht. Das war nichts besonders, du schriebst uns oft, wenn du in deiner Wohung warst und uns nicht sehen konntest. Aber diesmal schriebst du, ich solle dein Fahrrad bekommen. Ich hatte darüber nachgedacht, dass du wohl vor hattest für einige Zeit wegzugehen. Mit meiner Antwort, dass es doch deins sei, hatte ich mich wieder schlafen gelegt. Wieso sind Kinder so naiv? Ich hatte einen tiefen Schlaf, was ungewöhnlich für mich ist. Ich hatte nichts gehört und nichts geahnt. Der laute Schrei meiner Mutter am nächsten Morgen ließ mich angstdurchfahren hochschrecken. Wie traumatisiert rannte ich zum Ausgang und wollte nachsehen was geschehen war. Ich öffnete dir Tür und merkte im kurzen Verweilen wie mir bereits tausende von Tränen die kalten Wangen hinunter liefen.Es war nur ein kurzer Moment, den ich hinausblicken konnte. Es war noch Dunkel und es war eisig.Winterlich eben.
Ich habe ihn hängen sehen.
Für einen kurzen Moment setzte mein Herz und mein Atem aus. Es brannt sich mir in die Augen, in den Kopf-ins Herz. Und ich wusste nicht ob er tot war oder lebte. Alles ging so schnell. Meine Mutter bemerkte mich sofort, stieß mich wieder hinein, rannte dann selbst an mir vorbei und holte Messer und Telefon.Als sie zurückkam drückte sie es mir in die Hand und sagte ich solle sofort einen Krankenwagen rufen, während sie sich daran machte meinen Vater vom Strick abzuschneiden. Ich tat was sie sagte. Und wartete-und wartete. Ich erinnere mich an das grausige Geräusch, als sein Kopf auf den Boden aufschlug, das Schluchzen meiner Mutter und den erleichterten Ausruf, das er noch atme. Der Krankenwagen hatte uns ewig nicht finden können, wir wohnten zu abseits. Die Minuten schienen nie zu vergehen und ich habe nur neben im gekniet, geweint und gebetet. Ich glaubte nicht an Gott, aber in diesem Moment hatte ich gehofft, dass es ihn doch gab und das er mir helfen würde. Als er schließlich hinfort gefahren wurde, blieb ich zurück, mit der Leere, der Angst und der Polizei. Sie stellte viel zu viele Fragen, auf die ich keine Antort wußte. Er hatte sich an unserer Terasse aufgehängt, an der schönen Terasse. Vor meinem Fenster stand eine Leiter. Sie fragten mich immer wieder, ob ich denn nichts gehört hatte und schüttelten nur wehleidig die Köpfe. Im Grunde wollten sie nur einfach wieder ins Bett. Ich bin dann zu meinen Geschwistern gegangen, die von dem ganzen Lärm aufgewacht waren. Ich habe ihnen nicht gesagt, dass er vielleicht sterben würde , nein- ich habe ihnen gesagt, dass er leben würde und sie dann umarmt. Ich habe in diesem Moment gefühlt, dass ich stark sein musste, um ihnen die Angst zu nehmen, die mich selbst fast zu Boden streckte. Mein Vater überlebte. Nach ein paar Tagen auf der Intensivstation wurde er in den Abteil für Geisteskranke gesteckt.
-Fortsetzung folgt-
Texte: © Copyright by L. Klinke
Tag der Veröffentlichung: 11.10.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
In stillem Gedenken an meinen geliebten Vater.