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Prolog

Silvermind-Soulcage

 

 

Das weiße, grelle Licht stach schmerzhaft in seinen Augen. Der Schweiß auf seiner nackten Haut ließ ihn frösteln. Zittriger Atem strömte stetig in seine Lungen, begleitet von nervösen Zuckungen seines Körpers. Die Muskeln waren angespannt, brannten unter der Haut.

Ihm war kalt, furchtbar kalt. Krampfhaft krallte er die Finger in das Laken, das unter ihm lag. Die Sehnen kontrahierten heftig, ein ersticktes Keuchen entkam seiner Kehle. Er wandte den Blick von der über ihm hängenden Neonröhre und schloss die Augen. Die Schübe waren kaum auszuhalten. Die eisige, flüsternde Stimme in ihm zermarterte sein Hirn, abfälliges Gelächter wurde von seinen Gedanken ausgestoßen. Der Teufel in ihm labte sich an seiner inneren Qual.

´Greif zu. Mach schon. Du kannst nicht anders. Nur ein kleiner Schuss.`

Es war verlockend. So verlockend. Der Bastard in ihm wusste das, köderte ihn mit der eigenen Schwäche, wollte den Sieg über ihn erlangen.

Nein!“, stieß Neo zwischen den Zähnen aus. In wilder Erregung warf er den Kopf hin und her. Der Dämon ließ ihn nicht aus den Klauen, bohrte die Krallen tief in seine Eingeweide. Er stöhnte gepeinigt, fing an zu bibbern. Es war hart, so hart, dass er ans Aufgeben dachte.

Ihm war schlecht, endlose Schmerzen schüttelten ihn. Heftig krampfend rollte er sich auf dem Bett zusammen, schrie ins Kissen und presste in den weichen Federn die Hand zur Faust. Es war so verdammt schwer.

Will nicht mehr“, wimmerte er abgehakt. Nackte Angst saß ihm im Nacken. Er würde es niemals schaffen, immer der Versager bleiben, den alle in ihm sahen.

Nervöse Aggressivität übermannte ihn, ließ ihn sich hundeelend fühlen, bereit, etwas zu zerstören.

´Tu es! Los! Zerstör dich! Niemand braucht dich, niemand will dich. Setz allem ein Ende. Ach ich vergaß, selbst das hast du vergeigt!“, lachte der Teufel höhnisch, was Neo an den Rand des Wahnsinns trieb.

Halt die Schnauze, du blöder Drecksack!“, brüllte er, schmiss das Kissen an die gegenüberliegende Wand und schlug mutwillig mit dem Schädel gegen die Matratze, um die Stimme zum Verstummen zu bringen. Die Erschütterung machte ihn benommen. Kaltschweißig zitterte er am ganzen Leib, atmete abgehackt.

´Warum? Weil du die Wahrheit nicht verkraftest? Du bist ein Nobody. Ein armes, kleines, nichtsnutziges Würstchen.´

Er wollte die Gedanken nicht hören, wollte nicht die ungeschminkte Wahrheit vor Augen geführt bekommen, dass er überflüssig war. Neo konnte nicht mehr. Seine Kraft war aufgebraucht, länger hielt er nicht durch. Er hatte keinerlei Anlass, am Leben festzuhalten. Denn derjenige, der ihm als Anker hätte dienen können, hatte ihm den Rücken zugekehrt.

´Tja, Pech gehabt. Selbst Schuld, würde ich da sagen`, spöttelte die Stimme gehässig.

Neo schloss erschöpft die Augen. Definitiv: Es war ein richtig beschissener Tag zum Sterben.

Kapitel 1 - Ray

Du hängst da, wie ein Schluck Wasser.“

Ray murrte. Mit den Händen rieb er sich über das Gesicht, versuchte wach zu werden. Die Nacht war kurz, die letzte Woche turbulent gewesen. Zudem geisterte ihm ständig ein Kerl im Kopf herum, den er eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Der raubte ihm erbarmungslos den Schlaf.

Kann nicht jeder so fit sein wie du, Blair.“

Ach was. Willst du nicht endlich zu ihm?“

Ein unterdrückter Laut entrang sich seiner Kehle. Es war eine Mischung aus einem verächtlichen Schnauben und einem abschätzigen Lachen.

Nein“, war seine klare Antwort. Er wusste, warum er es bis dato nicht getan hatte. Nero wollte ihn zurück, daran bestand kein Zweifel. Aber Ray war nicht naiv. Noch einmal war er nicht scharf darauf, einen Arschtritt zu kriegen, weil er irgendetwas falsch interpretierte.

Du meintest, dass er dich braucht.“

Das sagte er zu mir, ja.“

Also, wo ist das Problem?“

Warum gehst du nicht zu Neo?“, fragte Ray herausfordernd. Es war das Gleiche in spe. Wenn es sich so einfach mit einem der Zwillinge gestalten würde, säßen sie nicht im selben Boot. Das Thema war eindeutig ein wunder Punkt.

Das eine ist mit dem anderen nicht zu vergleichen“, nuschelte Blair und wandte den Blick ab. „Nero hat dir gezeigt, dass er es ernst meint. Er neigte nie sonderlich zu Gefühlsausbrüchen, demnach wird es wahrscheinlich alles sein, was du jemals als Zugeständnis bekommen wirst.“

Mir geht es nicht darum. Ich will eine Erklärung. Klar hat er sich entschuldigt, aber ich tappe im Dunkeln, warum der Mist überhaupt erst passiert ist.“

Weil ihn die Situation überforderte. Er mag zwar wie ein gefühlskaltes Arschloch wirken, aber letztendlich ist er keineswegs so abgebrüht, wie er immer tut.“

Ist Neo genauso?“

Nein, viel schlimmer.“

Was zwischen diesem und Blair vorgefallen war, hatte Ray nicht herausbekommen. In der Hinsicht schwieg der Keyboarder verbissen. Nur der Anflug von Schmerz, der manchmal in dessen Gesicht stand, ließ darauf schließen, dass diese Sache nicht einfach vergessen oder verziehen werden konnte.

Letztendlich sollte er sich darum keine Gedanken machen. Er hatte ein anderes Problem. Nero trieb ihn in den Wahnsinn. Die Beziehung zwischen ihnen oder was auch immer es derzeit war, gestaltete sich als derart schwierig, dass Ray völlig kopflos war.

Dass er sich bei Blair einquartiert hatte und schon seit zwei Wochen in dessen Wohnung residierte, hing damit zusammen, dass ihm alles genommen worden war. Ja, nach der Tour stand er ohne etwas da, besaß kein Eigentum mehr und musste dringend eine Lösung finden, wie es in Zukunft weitergehen sollte. Die Splittung, dass seine Schwester bei Dean und er hier übernachtete, gefiel ihm nicht. Doch in Anbetracht der Umstände war es das Beste. Zudem wusste Nero nicht, wo er sich aufhielt. Dafür hatte Ray gesorgt, denn er brauchte den räumlichen Abstand. Was nicht hieß, dass ihm das in irgendeiner Weise weiterhalf, ganz im Gegenteil.

Er hatte sich mit den Worten gelöst, dass er Zeit bräuchte. Nero war damit einverstanden gewesen. Es gab Dinge, über die sich Ray klar werden musste, aber nachdem er eine Woche vor sich hin gegrübelt hatte, war ihm bewusst geworden, dass es ohne Antworten nicht ging. Allerdings bezweifelte er, dass Nero ihm diese würde geben können.

Ich verstehe dich nicht. Mit Nero lässt sich reden. Wenn du wissen willst, welche Absichten er verfolgt, statte ihm einen unangekündigten Besuch ab. Dann wirst du sehen, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt.“

Ray sah es bildhaft vor Augen. Entweder würden sie sich wegen einer unbedachten Bemerkung wieder in die Haare kriegen, über die Dinge, die zwischen ihnen standen Schweigen bewahren oder in der Kiste landen. Verdammt, er vermisste diesen Kerl so sehr, dass es wehtat, sehnte sich körperlich nach ihm. Das war nicht gut und es gefiel ihm nicht, da er das Gefühl hatte, sich abhängig zu machen. Aber ändern konnte er es ebenso wenig.

Mal sehen“, murmelte er. Darüber musste er nachdenken. Wenngleich er auch wusste, dass aufgeschoben nicht aufgehoben war. In der nächsten Zeit würde er zu Nero gehen müssen.

Für heute noch was geplant?“, richtete Blair die Frage an ihn.

Ray zuckte mit den Schultern. Eine kalte Dusche, einen starken Kaffee – so sah derzeit sein Plan aus. Danach? Garantiert holten ihn Alltagsprobleme ein. Wie der Umstand, dass er sich nach seinem Zeug erkundigen musste. Vielleicht hatte er Glück und die Sachen aus der Zwangsräumung waren irgendwo zwischengelagert worden. Auf jeden Fall wollte er die Klamotten seiner Schwester und seine eigenen wieder haben.

Ich muss ein paar Dinge erledigen und werde wahrscheinlich bei Dean vorbeischauen. Habt ihr heute Treffen?“

Nein. Wir machen vorerst Pause, bis sich die Geschichte mit Neo beruhigt.“

Du solltest ihn in der Klinik besuchen. Egal was zwischen euch passiert ist, ich bin mir sicher, dass Neo sich freuen würde, jemand anderen außer seine Familie zu sehen.“

Irr´ dich da mal nicht.“

Ray meinte es gut, allerdings verstand er, wenn Blair dazu nicht bereit war. Er würde sich dahinter klemmen, um zu erfahren, was die beiden dermaßen auseinandergerissen hatte. Denn es war offensichtlich, dass sie eine gemeinsame Vergangenheit besaßen und nicht nur Bandkollegen gewesen waren. Blair war mittlerweile ein guter Kumpel für ihn. Der mochte zwar eher der schweigsamere Zeitgenosse sein, doch Ray hatte genügend Menschenkenntnisse, um unter die Oberfläche zu schauen. Was er sah, bereitete ihm Sorgen.

Wenn du willst, komme ich mit“, meinte Ray, obwohl er mit Neo am allerwenigsten zu tun hatte. Das wusste auch Blair. Allerdings fand er, dass das Kriegsbeil begraben werden musste, nachdem sie einen dermaßen missglückten Start hingelegt hatten.

Ich überleg´s mir“, entgegnete Blair, hörte sich jedoch wenig euphorisch an. Ray beließ es dabei. Er selbst konnte es nicht leiden, wenn Dean ihn bedrängte oder auf ihn einredete, von daher wollte er nicht das Gleiche bei dem Keyboarder machen.

Mit einem letzten Nicken stand er auf und verschwand im Bad. Zeit sich fertigzumachen.

 

***

 

Es nieselte. Den Kragen seiner Jacke hochschlagend verließ er den Treppenhauseingang und begab sich in Richtung U-Bahnstation. Mittlerweile nervte ihn dieses Wetter vollends. Es war bereits April, aber bisher war von Sonnenschein oder wärmeren Temperaturen weder was zu sehen noch zu spüren.

Die Bahn fuhr gerade ein, als er die letzte Stufe hinunterging, sodass er direkt den Anschluss bekam. Ray konnte Wartezeiten nicht leiden und war froh, dass das Timing stimmte. Er lehnte sich tief in den Sitz, legte den Kopf in den Nacken und lauschte den Klängen der Musik, die in seine Ohren drangen. Die Augen schließend dachte er daran, dass es nicht fair war, Nero im Ungewissen zu lassen. Er hätte diesen Kerl gerne aus seinem Kopf vertrieben, aber sobald er auch nur im Entferntesten versuchte abzuschalten, schlich der sich in seinen Geist. Fast wie ein schlechtes Gewissen. Oh ja, Ray bekam keine ruhige Minute, dafür sorgte Nero wahnsinnig gut.

Eine läppische Woche war vergangen, seit dieser ihm eröffnet hatte, dass er ohne Ray nicht leben wollte. Er erinnerte sich an diese wenigen Minuten, als wäre es gestern geschehen. Das Ganze war wie ein Film gewesen, schlecht gedreht und realitätsfern, aber Scheiße verdammt, Nero hatte auf seine Weise gekämpft. Und Ray war schwach geworden. Wie hätte er auch anders reagieren können? Er war hoffnungslos verliebt in den Mistkerl, dem er die meiste Zeit den Hals umdrehen wollte. Explosiven Zündstoff würde es immer zwischen ihnen geben. In einer Beziehung wahrscheinlich mehr, als wenn sie getrennte Wege gingen. Aber das brachte Ray nicht fertig, konnte es nicht, verspürte nicht einmal ansatzweise das Verlangen danach. Im Gegenteil, er wäre in den letzten Tagen liebend gerne in die Arme des Mannes gesunken, der ihm den Verstand raubte – weil er sich tief im Inneren danach sehnte. Er wollte gebraucht werden und genauso sehr für jemanden da sein.

Aber Ray hatte Angst.

Er war noch nie mit jemandem in einer festen Partnerschaft liiert gewesen, hatte keine Ahnung, was von ihm erwartet wurde. Zudem war Nero nicht unbedingt einfach. Besser hätte Ray es nicht treffen können.

Bei der nächsten Station musste er raus. Der Nieselregen war weniger geworden, doch graue, trübe Nebelsuppe hing in der Luft und beschränkte die Sicht auf wenige Meter. Die Ungemütlichkeit trieb ihn zur Eile. Lange brauchte er nicht, um bei Dean anzukommen. Schon im Treppenhaus konnte er das Lachen seiner Schwester vernehmen, ebenso die Stimme seines Kumpels. Kopfschüttelnd erklomm Ray die letzten Stufen und klingelte. Wenige Augenblicke später wurde die Tür geöffnet.

Hey!“, begrüßte Dean ihn mit einem Handschlag, ein Grinsen auf den Lippen.

Macht Lora dich gerade fertig?“, feixte er.

Ja. Eine teuflische Hexe, dieses Frauenzimmer.“

Ray!“ Mit einem Freudenschrei rannte seine Schwester auf ihn zu, sprang ihm entgegen und riss ihn fast um. Lachend fing Ray sie in seinen Armen auf.

Nicht so stürmisch, kleines Monster.“ Liebevoll streichelte er ihr übers Haar und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

Ihh, lass das!“ Angewidert wischte sie sich mit dem Arm übers Gesicht.

Ray lachte. „Ich hab dich auch vermisst, Quälgeist.“

Gemeinsam gingen sie in den Wohnraum. Während Dean eine Flasche Wasser holte, setzte Ray sich auf die Couch.

Weißt du mittlerweile, ob deine Sachen noch existieren?“, fragte sein Kumpel, als der ins Zimmer zurückkam und sich neben ihn fallen ließ. Ray seufzte genervt.

Hab beim Ordnungsamt angerufen. Der Hausstand ist komplett futsch. Allerdings wurde mir gesagt, dass meine ehemalige Nachbarin wohl ein paar Dinge in ihrem Keller eingelagert hat. Frag´ mich nicht, wie das ging, aber morgen werde ich mal bei ihr vorbeischneien. Hoffentlich sind es wirklich unsere.“

Und wie geht´s weiter?“

Ehrlich gesagt, weiß ich momentan überhaupt nichts mehr. Ich werde eine Weile bei Blair wohnen können und dann – keine Ahnung. Ich hab den roten Faden verloren.“

Liegt aber nicht nur an Roger, was?“

Nein.“

Nero war vor wenigen Tagen hier und wollte wissen, wie es dir geht.“

Ray wurde hellhörig. Ob es ein gutes Zeichen war, dass sich der Leader nach ihm erkundigte?

Was hat er gesagt?“

Nicht viel. Hat gefragt, ob du da seist, weil er mit dir sprechen wollte.“

Autsch, dass hörte sich irgendwie nicht gut an. Ray konnte es sich bereits ausmalen: Nero, der nach ihm verlangte, um ihm zu sagen, dass er letztendlich einen Rückzieher machte. Ganz nach dem Motto: ´Ja, tut mir leid, aber ich will dich doch nicht`. Ihm wurde dermaßen speiübel, dass er Mühe hatte, seine Spucke zu schlucken.

Sah ein bisschen mitgenommen aus. Scheint so, als würde dich da jemand vermissen, Ray.“

Er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Gott, er musste kotzen.

Was hast du gesagt?“, quetschte er heraus.

Er vermisst dich. Rede endlich mit ihm. Du siehst genauso beschissen aus.“

Danke für die Blumen.“

Ernsthaft, ihr quält euch unnötig. Nutzt die Zeit lieber zu zweit.“ Dean zwinkerte ihm vielsagend zu. Ray versuchte hingegen tief durchzuatmen. Verdammt, jetzt killten ihn schon Horrorszenarien. Von diesem gesamten Liebeskram wurde er echt krank im Kopf. Verfluchtes Teufelszeug!

Um von sich abzulenken, lenkte er das Gespräch auf ein belangloseres Thema, erkundigte sich danach, ob bei Dean und Zeno soweit alles lief und wie es Lora in der Schule erging. Seine Schwester verlor sich in Erzählungen, machte Witze und schaffte es, Ray auf andere Gedanken zu bringen. Nach ein paar Stunden, als es draußen bereits dunkel war und der Dauernieselregen für eine kleine Zeitspanne innehielt, verabschiedete er sich. An der Tür zog Dean ihn beiseite.

Ich hoffe, dass dich dein Weg jetzt nicht zu Blair führt. Setz´ nicht alles aufs Spiel. Du weißt, was ich meine.“

Beruhigt es dich, wenn ich dir sage, dass ich zu ihm wollte?“

Ja, aber ich will auch, dass du es tust.“

Ray nickte. Manchmal brauchte er einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Mit einem letzten Handschlag ging er hinaus in die Dunkelheit.

 

***

 

Ray war nervös, seine Hände schweißnass, sein Hirn völlig leer. Wie ein Bekloppter stand er vor der Tür, den Finger unmittelbar vor dem Klingelknopf schwebend. Aus irgendeinem Grund traute er sich nicht. Dabei war es keine schwierige Aufgabe, einfach auf diesen verfluchten Knopf zu drücken.

Im Normalfall.

Vielleicht war Nero nicht einmal da. Dann hatte er umsonst hier gestanden und sich fast in die Hose gemacht. Konnte das echt so schwer sein? Verdammt, ja! Wenn die Tür tatsächlich aufging, würde sich sein ganzes verfluchtes Leben ändern. War er bereit dazu? Wollte er es überhaupt? ´Nun mach schon`, schalt er sich gedanklich und trat von einem Fuß auf den anderen. Er hatte nichts zu verlieren. Aber was sollte er sagen? ´Hey`?` oder ´Na, wie geht´s?` Mist, dass hätte er sich eindeutig früher überlegen sollen.

Die Augen schließend atmete er tief ein und straffte die Schultern. Auf in den Kampf! … Aber sein Arm bewegte sich keinen Zentimeter nach vorne.

Ach leck´ mich!“

Mit einem trotzigen Blick auf die Klingel drückte er drauf. Oh Gott …

Moment, bin gleich da“, drang es dumpf hinter der Tür hervor, dann erklangen Schritte. Ja, es war eindeutig Nero. Ray schluckte. Am liebsten hätte er geantwortet, dass es ein Versehen war oder noch besser, sich einfach in der Dunkelheit versteckt. Doch plötzlich wurde er in ein grelles Licht getaucht, das ihn blinzeln ließ. Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, bekam er fast einen Herzinfarkt. Scheiße, das hatte der Mistkerl bestimmt extra gemacht!

Nero stand mit nichts als einem Handtuch bekleidet vor ihm, die Haare und der Oberkörper tropfnass. Er musste gerade aus der Dusche gekommen sein. Dieser Anblick half Ray nicht gerade dabei, ein paar Worte zu finden. Mit den Augen verfolgte er einige Wassertropfen, die ihre Spur über Neros Bauch zogen, hinunter zu seinen Lenden flossen und im Bund des Handtuchs verschwanden. Plötzlich fühlte sich seine Kehle völlig ausgedörrt an. Er brauchte dringend Wasser, wollte es von dem Körper lecken, der so verführerisch in dem einfallenden Licht glänzte. Allein die Vorstellung ließ das Blut in seine Lenden schießen. Mit Mühe unterdrückte er ein Stöhnen.

Vergessen war all die Aufregung. Ray wollte nur noch auf die Knie sinken, das Handtuch von Neros Hüften reißen und dessen Fleisch kosten. Sein Hirn war leergefegt, sein Körper triebgesteuert. Seine Hose engte ihn definitiv ein.

Ray.“

Diese Stimme ging ihm durch Mark und Bein, vibrierte in seinem Inneren. Träge sah er auf, die verruchten Bilder in seinem Hirn eingebrannt. Der Blick aus den braunen Augen sprach Bände. Unfähig, irgendetwas zu sagen, trat Ray in die Wohnung, hörte, wie die Tür hinter ihm leise ins Schloss fiel. Damit verschwanden alle Hemmungen.

Wilde Gier entbrannte, als er Nero zu sich heranzog und seine Hand in dessen vollen, nassen Haaren vergrub. Drängend suchten seine Lippen nach den anderen, fingen sie in einem heißen Kuss ein. Er wollte alles, wollte es jetzt. Nero hatte ihn dermaßen scharf gemacht, dass er den Druck abbauen musste. Begierig nahm er die Berührungen entgegen, stöhnte, als eine Hand unter sein Oberteil wanderte. Ihre Zungen tanzten heftig miteinander, während Ray ein Kleidungsstück nach dem anderen verlor. Völlig trunken vor Lust tastete er nach dem Handtuch und riss es von den Hüften. Nero knurrte dunkel, was ihn dazu anstachelte, seine Finger in dessen knackigen Arsch zu krallen. Feuer loderte auf, als Nero dazu überging an seinen Nippeln zu saugen, mit den Zähnen daran zu ziehen, sie zu lecken. Erstickt keuchend warf Ray den Kopf in den Nacken und ergab sich der Behandlung.

Gott, jaaa“, stieß er langgezogen aus, stöhnte heftig, als die Zunge über seinen Bauch wanderte, immer tiefer glitt, über seine Lenden leckte. Endlich verschwand auch seine Hose – das letzte Hindernis auf dem Weg zum Glück. Ihm sackten die Knie ein, als Nero seinen Schwanz bis zum Anschlag schluckte, Vakuum mit dem Mund erzeugte und ihn mit der Zunge bearbeitete, die Hände dabei fest in seinen Hintern gekrallt. Immer hastiger ging Rays Atem, Hitze wallte in ihm auf. Er hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen. Den Blick nach unten gerichtet, sah er zu, wie seine Härte aus dem Mund hinaus glitt und wieder in der feuchten Tiefe verschwand. Braune Augen schauten selbstgefällig zu ihm auf. Nero wusste genau, was er mit ihm machte und genoss es in vollen Zügen.

Fick mich“, knurrte Ray. Länger hielt er dieses unerträgliche Ziehen nicht aus. Er musste ausgefüllt werden, brauchte harte Stöße.

Noch nicht“, meinte Nero dunkel und nahm daraufhin seine Spitze in den Mund. Ray zuckte. Verdammt war das geil! Die Lippen bildeten einen festen Ring um seine Eichel, die Zunge glitt über den kleinen Schlitz, Zähne schoben sich unter die Vorhaut. Eine Hand umfing seine Eier, knetete die Bälle. Ihm wurde vor Lust schwindelig. Alles in ihm zog sich zusammen, er war kurz davor zu kommen. Gerade, als er loslassen wollte, ließ Nero abrupt von ihm ab. Protestierend schnaufte Ray.

Ein fester Griff in seine Haare zwang ihn dazu, den Kopf in den Nacken zu legen. Unter gesenkten Lidern erwiderte er Neros scharfen Blick.

Ich will dich vor Lust wimmern hören, hast du verstanden? Erst dann darfst du kommen. Also reiß´ dich zusammen!“

Ray fuhr auf diese harte Nummer voll ab. Der düstere Tonfall törnte ihn an, die Dominanz heizte ihm ein. Bereitwillig nahm er die Zunge in seinem Mund auf, kam ihr entgegen, schmeckte sich selbst. Diese rohe Wildheit berauschte seine Sinne, machte ihn völlig besinnungslos. Saugen, Streicheln, Lecken, der Kuss uferte aus. Mittendrin gefangen bekam er nur am Rande mit, dass sie den Flur verließen und in einen Raum taumelten. Als er auf etwas Weiches fiel, vermutete er, dass sie im Schlafzimmer gelandet waren. Nero gab ihm jedoch keine Zeit, sich zu orientieren. Erbarmungslos reizte der ihn weiter, dirigierte ihn in die richtige Stellung. Ray kniete mit allen Vieren auf dem Bett und wartete. Von hinten presste sich Nero gegen ihn, den Schwanz zwischen seine Backen drängend. Ohnmächtig vor Ekstase stöhnte Ray.

Ohne jedwedes Gleitgel war die Penetration schmerzhaft. Da er zudem vorher nicht gedehnt worden war, konnte Nero nur langsam in ihn dringen. Es ging kaum vorwärts. Ray verdrängte den Schmerz, konzentrierte sich auf den Körper hinter ihm, auf das sanfte Streicheln der Hand, die an seiner Seite lag. Als Nero endlich ganz in ihm versunken war, keuchte er erleichtert auf.

Frischer Schweiß klebte ihnen auf der Haut, ihre körpereigenen Duftnoten vermischten sich. Ray kam den Stößen entgegen, nahm Nero tief in sich auf. Er sah Sternchen vor seinen Augen, ihm war schwindelig. Das Gefühl, ganz ausgefüllt zu werden, machte ihn schier trunken. Der Rhythmus wurde schneller und härter, ihre Atemzüge abgehackter. Die Hände in seine Hüften gekrallt, nahm Nero ihn gierig, immer heftiger. Die Welle kam, ohne dass Ray sie stoppen konnte. Leise wimmernd hatte er Mühe, durch die Zuckungen seines Körpers nicht unter Nero zusammenzubrechen.

Mit einem ekstatischen Stöhnen ergoss er sich auf die Bettdecke, krallte seine Finger in die Matratze. Nero griff an seinen Schwanz, wichste ihn solange, bis er die letzten Tropfen nach draußen gepumpt hatte. Atemlos spürte er, wie Nero in ihm abspritzte, der warme Saft aus ihm herausfloss. Wilde Spasmen hielten seinen Körper gefangen, bis er erschöpft auf ihm zum Liegen kam. Erst, als Ray das Gewicht auf seinem Rücken spürte, brach er zusammen. Scheiße, er konnte echt nicht mehr. Er war nach dem Sex dermaßen ausgelaugt, dass ihm die Augen zufielen und er unter Nero tatsächlich einschlief.

 

***

 

Ein leises Rascheln weckte Ray. Träge rekelte er sich unter der Decke und blinzelte. Er sah in gedämpfte Dunkelheit, durchbrochen von dem Lichtschein, der aus dem Flur ins Zimmer fiel. Eine Silhouette hob sich schwarz von den anderen Umrissen ab. Langsame Bewegungen wurden ausgeführt. Ray brauchte einen Moment, um sich zu erinnern.

Nero?“, fragte er schlaftrunken. Die Gestalt hielt inne.

Schlaf weiter“, erklang es ruhig.

Wie spät ist es?“

Zwanzig Uhr.“

Also noch genug Zeit, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen, weswegen er hergekommen war. Dabei hatte Ray Mühe, wach zu werden. Das Angebot, weiter zu schlafen, klang verlockend. Allerdings wurde es Zeit, dass er mit Nero redete.

Was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?“

Nein.“

Alles klar, Nero war wortkarger als sonst. Ein schreckliches Gefühl beschlich ihn. Ob der seine Meinung doch geändert hatte? War das ein Abschiedsfick gewesen? Verdammt, so war das nicht geplant. Hastig sprang er aus dem Bett.

´ne Ahnung, wo meine Sachen sind?“

Irgendwo im Flur verstreut. Nimm was von mir.“

Wow, das waren zwei ganze Sätze. Immer noch nicht genug. Oder er hatte Nero schlecht in Erinnerung. Nachdem der aus dem Zimmer verschwunden war, ging Ray zum Schrank. Wahllos griff er nach einem Shirt und einer Hose, schlüpfte hinein. Bevor er Nero in die Küche folgte, machte er einen Abstecher ins Bad. Danach fühlte er sich zwar noch lange nicht gewappnet, aber gefasster.

Nero trank gerade ein Glas Milch, als er den Raum betrat. Dessen lange, blonde Haare waren zerzaust, verliehen ihm ein verwegenes Aussehen. Ray gefiel dieser Schlafzimmerlook durchaus. Wäre da nicht die nagende Ungewissheit, die ihn fertigmachte.

Hey“, meinte er leise, als Nero zu ihm sah. In Anbetracht der Umstände schien die Begrüßung lächerlich, aber ihm war sie wichtig.

Hey.“

Gut, es lag an ihm, das Gespräch zu eröffnen. Für einen Augenblick musterte er Nero. Der Leader wirkte viel ernster, als er ihn in Erinnerung hatte. Was war in dieser einen Woche passiert?

Ich hab nachgedacht.“

Ich auch“, entgegnete Nero und deckte den Tisch.

Was heißt das?“

Hunger?“

Ja, aber ich will wissen, was du mir zu sagen hast. Wenn du mir an den Kopf schmeißt, dass du es dir anders überlegt hast, kann ich gleich gehen.“

Setz´ dich.“

Nein. Ist es das wirklich, ja?“ Schmerz flutete seinen Körper. Er hatte es geahnt. Schon als Dean die Andeutung machte, Nero wäre da gewesen. Verdammt, Ray war so ein Idiot. Krampfhaft schluckte er. Das durfte einfach nicht wahr sein.

Ray.“

Gott, das sagte ihm alles. Wieso war er nur so blind und hatte die Wand nicht kommen sehen? Das war frontale Kollision, ohne Airbag.

Wenigstens lässt du mich dieses Mal von Anfang an bereuen. Scheiße, wieso lege ich mich mit dir ständig auf den Arsch?“

Das Lächerliche an der gesamten Situation war, dass er Angst gehabt hatte, wie eine Beziehung mit Nero sein könnte – nicht, dass gar keine zustande käme. Sein Leben änderte sich kein bisschen, obwohl er auf diese bescheuerte Klingel gedrückt hatte. Er war so ein Naivling. Hätte er die Anzeichen früher gemerkt, wäre das Gespräch schneller über die Bühne gegangen. Nicht erst nach einer Woche unnötiger Qual. Aber er hatte Neros Worte geglaubt und mal wieder einen Genickbruch erlitten. Die inneren Tode wurden langsam zu seinem ständigen Begleiter.

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um. Für ihn war die Sache erledigt. Da gab es nichts mehr, was er erklärt haben wollte. Im Flur klaubte er seine Sachen auf, knipste das Licht im Schlafzimmer an und wurde daran erinnert, was sie getrieben hatten. Die Luft stank nach Sex, was ihn fast zum Ersticken brachte. Er musste schleunigst hier raus, aber vorher Neros Kleidung loswerden.

Wo willst du hin?“

Ein abfälliges Schnauben kam über seine Lippen, während er die Shirts wechselte.

Weg. Hier bin ich fertig.“

Bist du sicher?“, hakte Nero extrem ruhig nach.

Ich hasse deine auferlegte Selbstbeherrschung. Ja, ich bin mir sicher! Warum auch nicht?“

Weil du mich zur Abwechslung mal ausreden lassen solltest.“

Es ist alles gesagt.“

Falsch! Von dir aus vielleicht. Ich habe mir deine Vorwürfe und Schlussfolgerungen angehört, aber ich selbst kam nicht zum Zug. Also halt´ die Klappe und hör´ mir zu!“

Ray drehte sich ruckartig um und funkelte Nero wütend an. Der lehnte mit überkreuzten Beinen und verschränkten Arme lässig am Türrahmen. Den tangierte die ganze Situation scheinbar überhaupt nicht.

Ich würde dir am liebsten eine reinhauen, Mistkerl. Leg´ los“, knurrte Ray leise.

Zieh´ bei mir ein.“

Das war alles, was Nero sagte.

Nachdrücklich.

Ernst.

Ray blinzelte, schluckte, glaubte, sich verhört zu haben.

Wie bitte?“

Du hast mich verstanden.“

Ja, vielleicht. Doch die Bedeutung war nicht zu ihm durchgedrungen.

Aber … ?“

Es ist deine Entscheidung. Wenn du wissen möchtest, warum: Ich meine es ernst mit dir. Zudem bietet sich der momentane Umstand an. Aber nachdem du mir deutlich gemacht hast, was du von mir hältst, könnte ich es nachvollziehen, wenn du ablehnst. Ich bin und bleibe ein niederträchtiges Arschloch, das muss dir bewusst sein, Ray.“

Amor hatte richtig gezielt, in den Schuss jedoch zu viel Druck gelegt. Der Pfeil saß tief und hatte vermutlich Widerhaken. Aber Ray war getroffen. Definitiv. Und es tat weh, obwohl er Nero dadurch nicht verletzen wollte. Allerdings war das passiert. Neros auferlegte Selbstbeherrschung fungierte als reiner Schutzmechanismus. Das verstand er jetzt. Nichtsdestotrotz hatten Rays Worte einen Weg durch die Mauer gefunden. Irgendwo besaß diese Risse.

Überleg´ es dir.“ Damit verschwand Nero.

Lange Zeit starrte Ray auf den Fleck, an dem der gestanden hatte. Er wusste, dass er für diese Entscheidung keine Woche Zeit bekäme, sondern sie noch heute treffen sollte. Wenn er ehrlich war, musste er nicht einmal drüber nachdenken. Früher oder später wäre es ohnehin so gekommen. Entweder aufs Ganze gehen oder es lassen. Verlieren konnte er schon lange nichts mehr.

Allerdings tat es ihm leid, dass er Nero verletzt hatte. Das musste er irgendwie wieder geradebiegen. Eine Beziehung so anzufangen war, wie schleichendes Gift einzunehmen, das sich nach und nach überall ausbreitete.

Ray legte die Sachen beiseite und ging zurück in die Küche. Nero saß mit dem Rücken zu ihm am Tisch. Er trat hinter ihn und legte die Arme um dessen Oberkörper.

Ich hab dich vermisst“, flüsterte er an Neros Ohr und hauchte ihm einen Kuss in den Nacken. „Die ganze Zeit über. Weder konnte ich nachts schlafen noch am Tage klar denken. Nicht, weil ich überlegen musste, ob ich mit dir zusammen sein will. Zweifel geschürte Angst hinderte mich, Nägel mit Köpfen zu machen. Ich weiß nicht, wie man eine Beziehung führt, weil ich nie eine hatte. Aber ich würde es gerne mit dir versuchen. Deswegen bin ich heute hergekommen. Es tut mir leid, dass es am Ende aus dem Ruder gelaufen ist.“

Meinst du die Tatsache, dass du mich an der Tür überfallen oder mich gerade rund gemacht hast?“

Ray vernahm das Lächeln in der Stimme, auch wenn er es nicht sah. Aber er dankte dem Himmel, dass Nero versuchte, die Situation aufzulockern. Das war ein gutes Zeichen.

Letzteres. Was die Begrüßung betrifft, bist du selbst schuld.“

So?“

Das war nicht geplant, falls du darauf hinaus willst. Du bist nicht ganz ohne, was dein Aussehen betrifft. Die Wassertropfen auf deinem nackten Körper gaben mir den Rest.“

Ich hab´s gemerkt. Ziemlicher Notstand bei dir ausgebrochen“, lachte Nero leise.

Ray löste sich von ihm. So notgeil, wie er hingestellt wurde, fand er sich nicht. Zudem hatte er nur Verlangen nach einem einzigen Mann gehabt.

Ich werde aufpassen, mich nicht mehr so gehen zu lassen. Tut mir leid.“ Gerade wollte Ray sich hinsetzen, als Nero aufstand und ihn rücklings gegen die Tischkante presste. Die braunen Augen musterten ihn unergründlich.

Wag´ es nie, absolut nie, dich bei mir zurückzuhalten. Ich war genauso scharf auf dich, wie du auf mich“, knurrte Nero ihm ins Ohr und rieb das Becken an seinem Schritt. Das Stöhnen, das in seiner Kehle aufstieg, konnte er nicht unterdrücken.

Was sagt dir das?“, wollte er wissen, als er Rays Hand nahm und sie auf die Ausbeulung seiner Hose legte. Ray packte fest zu, was dem anderen ein Keuchen entlockte.

Das es eine verdammt lange Nacht ohne Schlaf wird“, entgegnete er und erstickte das nächste Stöhnen mit einem Kuss.

Kapitel 2 - Blair

Ihm war nicht wohl dabei. Eigentlich wusste er nicht einmal, was ihn dazu bewegte. Vielleicht war es Sehnsucht oder der Gedanke, dass er Neo von heute auf morgen für immer verlieren konnte.

Es war lange her, dass er ihn gesehen hatte. Insgesamt zwei Monate. In der Zeit war viel passiert und ebenso sehr auch wieder nichts. Denn es gab Dinge, die gleich blieben. Drogen waren wie Dämonen. Blair hatte es gewusst. Aber wer hörte auf jemanden, der ohnehin unscheinbar war? Neo tat es auf jeden Fall nicht.

Dessen Drogensucht besaß eine hässliche Fratze, die Neos Persönlichkeit verschluckte und ihn zu etwas Abscheulichem machte. Sie zerstörte den Menschen, der einst dem Leben huldigte, nun von all dem Schmerz verbraucht war.

Warum er sich all diese Gedanken machte, hatte den Ursprung in einer verdrängten Vergangenheit. Da gab es gemeinsame Erinnerungen, die von der Ewigkeit verschluckt schienen. Bevor die Allüren angefangen und der Höhenflug begonnen hatte. Als Neo noch nicht an die falschen Leute geraten war. Vieles, was Blair wusste, war nicht einmal Nero bekannt. Seit jeher schwieg er über die Dinge, die ihn Nacht für Nacht einholten und seine Seele verfärbten. Gesund war das nicht, aber was sollte er machen? Manchmal musste man mit Dingen leben, weil einem nichts anderes übrig blieb, als sie hinzunehmen. Ändern konnte er sie keineswegs – so oft hatte er es schon versucht.

Der Gang des Krankenhauses zog sich endlos lang. Die sterile Atmosphäre war grausam. Sie machte ihn nervös und verursachte ihm feuchte Hände. Solche Anstalten waren für ihn wie der Tod auf Raten.

Blair atmete tief ein. Es war ein Fehler hier zu sein. Neo würde ihn nicht sehen wollen. Das tat er schon lange nicht mehr, denn damals war alles kaputtgegangen. In dieser einen, verheerenden Nacht, an die er nicht denken wollte, die ihn aber ständig einholte, in jeder freien Minute seiner Zeit. Ihm vor Augen führte, dass man alles in wenigen Sekunden verlieren konnte, obwohl man dachte, es bis zu diesem Augenblick festgehalten zu haben. Doch ein Leben zu retten, das sterbend am Boden lag, hatte Neo nie interessiert.

Blair klopfte leise an, bevor er die Klinke hinunterdrückte und in das Zimmer ging. Die Luft roch abgestanden, als wäre seit Tagen nicht mehr gelüftet worden, die Vorhänge waren zugezogen, sodass der Raum in bläulicher Dämmerung lag.

Vom Bett her hörte er ein leises Wimmern und Keuchen, das ihm einen Stich versetzte. Dort litt ein Mensch, dem er immer versucht hatte zu helfen, der es aber nie zugelassen hatte. Er liebte diesen Mann so sehr, dass es ihn täglich ein Stück mehr umbrachte. Je stärker Neo abbaute, desto schlimmer erging es ihm. Sie würden beide zugrunde gehen, das wusste er – weil Neo keinen Lebenswillen besaß und Blair nicht stark genug war, das zu akzeptieren.

Für sie beide zu kämpfen – völlig hoffnungslos und umsonst – dafür hatte er keine Kraft. Die Symbiose, die sie verband, übertrug einzig Schlechtes. Sie vergifteten sich gegenseitig. Aber um sich zu lösen und die Verbindung aufzugeben, dafür war es zu spät.

Hallo Neo“, meinte er leise, als er an das Bett trat. Der Körper zitterte heftig unter der Decke, die Stirn glänzte schweißnass. Es waren Entzugserscheinungen, mit denen Neo kämpfte. Blair wünschte ihm von ganzem Herzen, dass er diesen Kampf gewann. Vielleicht hatte er Glück, würde diesen Schritt schaffen, damit er der Zukunft entgegen gehen konnte. Wenigstens einer von ihnen.

Zaghaft griff er nach dem feuchten Lappen, der auf dem Nachtschrank lag, führte ihn unsicher an Neo heran. Als der Stoff die Haut berührte, stieß dieser ein katzenartiges Fauchen aus. Blair zog die Hand zurück. Der Schmerz, der ihn übermannte, schnürte ihm die Kehle zu. Andererseits hatte er nichts anderes erwartet.

Ich weiß, dass du mich nicht sehen willst, aber ich wollte dich besuchen. Es wird das einzige und letzte Mal sein, dass ich hier auftauche, versprochen. Nur … man hört kaum noch was von dir. Verstehst du? Ich will, dass du diesen Entzug schaffst. Egal, wie hart er wird. Beweis´ ihnen, dass du größer bist, als dieser verdammte weiße Staub.“

Es tat weh, über die Dinge zu reden, die die Macht besaßen, Wunden noch tiefer zu reißen. Blair spürte es. Die Blutung in seinem Inneren wurde stärker, ertränkte die Zellen, erstickte das Leben. Leises Röcheln begleitete den Untergang, der unsichtbar stattfand, den niemand sah. Am liebsten hätte er sich das Herz aus der Brust gerissen. Es war nur noch ein zerfetztes Stück zuckender Muskel, der ihn schon lange nicht mehr am Leben hielt, sondern umbrachte.

Verschwinde!“, zischte Neo aggressiv, doch die Stimme verlor sich in einem schmerzerfüllten Keuchen.

Blair schluckte. Wie oft hatte er das versucht? Aber er war immer wieder zum Ursprung seines Leids zurückgekehrt, schaffte es nicht, die eisernen Ketten zu durchtrennen.

Ich wünschte, ich könnte es“, flüsterte er und griff nach Neos Hand, beugte sich ein Stück zu ihm hinunter. „Du brauchst es mehr als ich.“ Damit drückte er ihm einen kleinen Gegenstand in die Hand, löste die seine und trat wieder zurück. Neo würde wissen, was es war, was für eine Bedeutung dahinter steckte. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Vielleicht würde die Qual weniger werden, wenn er die alten Rechnungen beglich, das zurückgab, was er genommen und erhalten hatte. Und irgendwann würde nichts mehr übrigbleiben, außer einer leeren, emotionslosen Hülle.

Will … den Scheiß … nicht!“

Es musste die trockene Luft in dem Raum sein, die seine Augen zum Brennen brachte. Ja, er erinnerte sich, dass er so etwas öfters hatte. Auch auf der Bühne tränten sie durch die verschiedenen Lichtverhältnisse ab und an. Es hing nicht damit zusammen, dass er krampfhaft versuchte, Contenance zu bewahren, weil ihn der innere Schmerz entzwei riss.

Mach´ damit, was du willst. War nie meine.“

Klang seine Stimme wirklich dermaßen brüchig? Blair räusperte sich. Gott, wie sollte er das ertragen? Gäbe es einen Weg, dem Abgrund zu entfliehen, er wäre ihn gegangen. Stattdessen balancierte er an der Klippe, der schwarze Schlund begierig darauf wartend, dass er endgültig fiel. Wie lange sollte das noch funktionieren?

Hau … ab.“

Das war sein Zeichen. Blair wusste, dass es niemals wieder so würde, wie es einmal gewesen war. Es brachte nichts, darauf zu warten. Weder in diesem Zimmer noch wo anders. Neo hasste ihn mit ganzer Leidenschaft.

Mach´s gut“, meinte er leise bedauernd. Schade, dass man die Vergangenheit nicht ändern konnte.

 

Nach dem Besuch ging Blair zurück nach Hause. Inständig hoffte er, dass die Wohnung leer wäre. Momentan wollte er niemanden sehen, nicht einmal Ray. Der war zu aufmerksam und würde merken, dass irgendwas nicht stimmte.

Wobei er wahrscheinlich ohnehin mit sich selbst beschäftigt war. Nero konnte ziemlich schwierig sein. Aber so wie er Ray kannte, würde der es schaffen, den Leader weich zu kriegen. Die beiden passten gut zusammen. Von Anfang an hatte Blair das gewusst. Nur sie selbst hatten es nicht gesehen. Vielleicht würde es an dieser Baustelle gut enden. Blair wünschte es ihnen.

Als er die Tür aufschloss, war ihm klar, dass er heute kein Glück hatte. Neben Neo und ihm besaß niemand außer Ray noch einen Schlüssel. Da er von Ersterem gerade kam und der ihn ohnehin nie besucht hatte, konnte es nur einer sein.

Blair bemühte sich, den inneren Aufruhr niederzuringen. Er wäre gerne alleine gewesen, hätte dunkle Musik angemacht und sich der Melancholie ergeben. Aber das konnte er in Rays Anwesenheit schlecht bringen. Der verstünde es vermutlich sogar – aber genau das war das Problem.

Na, alles klar bei dir?“, erkundigte er sich, als er das Wohnzimmer betrat und den Blauschopf in der Mitte des Raumes stehen sah. Ray schaute auf. Seine grauen Augen wirkten trüb, sein Lächeln verschwommen. Irgendwas war passiert. Vielleicht hatte der Besuch bei Nero doch keinen Erfolg gehabt?

Was ist los?“, hakte er nach und ließ sich auf die Couch fallen. Ihm gefiel es nicht, dass Ray niedergeschlagen schien.

Ich muss mit dir reden.“

Das bedeutete nie was Gutes. Solange wie er denken konnte, war dieser eine Satz immer mit etwas Schlechtem verbunden gewesen.

Schieß´ los.“

Ich … ziehe aus.“

Verwundert hob Blair eine Augenbraue. Gut, damit hatte er nicht gerechnet, aber es war klar gewesen, dass Ray nur auf Zeit bei ihm wohnte. Die war eben um.

So schnell ´ne Bleibe gefunden?“

Bist du nicht sauer?“

Blair war verwirrt. Entweder hatte er etwas nicht mitbekommen oder Ray war mit dem Kopf irgendwo gegen gelaufen.

Wieso sollte ich das sein? Ich bin froh, dass sich bei dir langsam alles regelt. Schade, dass du gehst, aber hey, das ändert ansonsten nichts.“

Okay, alles klar.“

Warst du deswegen grad so geknickt? Du kannst jederzeit wiederkommen, Ray. Ich hab dich gerne aufgenommen.“

Danke. Ich wollte nicht, dass du dich ausgenutzt fühlst.“

Diese Ehrlichkeit rührte ihn. Ray war ein klasse Typ. Im Laufe seines Lebens hatte Blair nur wenige solcher Menschen kennengelernt. Der Kerl hätte selbst sein letztes Hemd an jemand anderen verschenkt. Insgeheim bewunderte er ihn für diese Stärke. Egal wie oft Ray hinfiel, er stand immer wieder auf. Neo hätte sich ein Beispiel an ihm nehmen sollen.

Aber jetzt spuck´ aus, wohin du abhaust.“

Ray biss sich auf die Unterlippe und hockte sich neben ihn. Lässig stützte der die Ellenbogen auf den Knien ab.

Zu Nero.“

Blair klappte der Mund auf.

Echt?“

Ja, echt. Er hat mich gestern gefragt, nachdem ich ihn runtergemacht hatte. Ich dachte, er zieht den Schwanz ein.“ Ray zuckte mit den Schultern und grinste.

Blair schaute ihn einen Moment ungläubig an, dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte aus vollem Halse. Wirklich, der Kerl war ´ne Marke. Als er sich wieder beruhigte, wurde er ernst.

Du weißt, dass das nicht einfach wird.“

Ja. Aber was will man machen? Irgendwie wird es laufen.“

Ihre Unterhaltung versank im Schweigen. Ray lächelte vor sich hin, während Blair in Gedanken schwelgte. Der Blauschopf hatte es verdient, glücklich zu werden. Er freute sich für die zwei, wenn er auch wusste, dass die nächsten Meinungsverschiedenheiten bereits vor der Tür standen. Aber was wäre eine Beziehung ohne ein bisschen Aufregung? Er hatte das zur Genüge durch.

Du warst bei ihm“, meinte Ray nach einer Weile. Es war eine Feststellung, keine Frage. Die einfühlsame Stimme weckte in Blair den Drang, sein Herz auszuschütten. Sie ging ihm direkt ins Blut, ließ ihn sich wünschen, dass die Wunden irgendwann heilten.

Woher weißt du das?“

Deine Augen. Als du zur Tür hereingekommen bist, stand in ihnen abgrundtiefe Traurigkeit.“

Blair seufzte und rieb sich mit den Handflächen über´s Gesicht.

Du musst nichts sagen. Falls du reden willst, bin ich da, ansonsten schweige ich. Ich denke nur, dass es dir helfen würde. Von allen aus der Band bist du derjenige, der am meisten leidet. Nero scheint es nicht zu merken und Zeno wirkt, als wäre es ihm egal. Irgendwie passt das nicht zusammen, verstehst du? Ich glaube, dass sie nicht wissen, was vorgefallen ist. Du hingegen bist Teil der Geschichte und gehst daran kaputt.“

Genau deswegen hatte er gewollt, dass Ray sich nicht in der Wohnung aufhielt. Dieses Gespräch hatte er befürchtet. Vielleicht war es an der Zeit, der Zukunft eine Chance zu geben und nicht ewig an der Vergangenheit zu hängen. Aber es war schwer sich zu öffnen, obwohl Ray bereits die richtigen Knöpfe drückte.

Du solltest ihn besuchen“, meinte Blair ruhig.

Warum?“

Weil du weißt, wie du mit Menschen umgehen musst.“

Ich bin mir nicht sicher, ob Nero mich lässt.“

Versuch´ es. Vielleicht kannst du noch was bewirken. Wir anderen haben alle versagt.“

Die Worte sackten in die Stille, lasteten schwer. Es stimmte. Jeder war blind gewesen und am Ende gab es keine Rettung. Für niemanden.

Du musst dir selbst verzeihen.“

Ja, das sollte Blair tun. Doch er konnte nicht. Mit einem leichten Boxhieb gegen seine Schulter stand Ray auf. Das Thema war damit beendet. Blair war froh drüber.

Ich muss noch mal kurz weg, einen Abstecher zu einer ehemaligen Nachbarin machen. Die hat ein paar Sachen von mir. Bis später, ja?“

Brauchst du mein Auto?“

Einen Augenblick schien Ray zu überlegen. Dann nickte er.

Ja, wäre besser. Darf ich?“

Blair griff in seine Tasche, zog die Schlüssel hervor und warf sie ihm entgegen.

Danke, Mann!“

Als die Tür ins Schloss fiel, atmete er erleichtert auf. Länger hielt er es nicht aus. Die Erinnerungen hielten ihn gefangen. Der Tod war so präsent, dass er sich fragte, warum er nicht sterben durfte. Mit zitternden Beinen erhob er sich, ging ins Bad und öffnete seine Hose. Sie rutschte ihm bis in die Kniekehlen, wo er sie achtlos hängen ließ.

Im Spiegelschrank kramte er nach einer Klinge, wickelte sie aus dem Papier und setzte sie routiniert an die Haut seines Oberschenkels. Als die Schneide in das Fleisch drang, stöhnte er auf. Blut quoll aus der Wunde und lief in dicken roten Rinnsalen sein Bein hinab. Der Schmerz, der in seinem Inneren wütete, nahm mit jedem Tropfen ab, wurde betäubt. Bald war es nur noch ein leises Pochen, ein schwaches Flimmern in ihm.

Mit dem Hintern sank er auf den Wannenrand, die Klinge weiterhin in das Fleisch gedrückt. In letzter Zeit hatte er es immer öfter getan. Ohne konnte er nicht mehr. Es war sein Ventil, um den Druck loszuwerden, der ihn innerlich erdrückte, alles zusammenquetschte.

Mit leerem Blick starrte er auf die Schnitte und das Narbengewebe. Seit seiner Jugend tat er das. In den Hintergrund gerückt war das Ritzen, als er in die Band gekommen war, aufgehört hatte es mit Neo, aber auch wieder angefangen. Im letzten Jahr war der Drang immer stärker, immer präsenter geworden und nahm einen Teil seines täglichen Lebens ein. Blair kam nicht dagegen an. Das war das einzige Mittel, das ihm Linderung verschaffte.

Neo hatte es gehasst. In ihrer Beziehung, unter dem Deckmantel der Freundschaft, waren die Spuren seiner Selbstverletzung sichtbar geworden, obwohl Blair in dieser Zeit nie zur Klinge gegriffen hatte. Was für eine Ironie, dass Neo letztendlich kein Gramm besser als er selbst war.

Als Blair die Augen schloss und sich mit dem Kopf gegen die Wand fallen ließ, dachte er wehmütig daran zurück, wie sie sich kennengelernt hatten. Damals glaubte er, dass das alles eine Chance hatte. Wie er sich irrte …

 

Er war nervös. Klar, er spielte seit Jahren in einer anderen Band, aber man musste sich immer wieder neu beweisen. Von ´Silvermind` hatte er ab und an was gehört – die Jungs standen gerade erst in den Startlöchern. Die Chance für Blair, sich zu verwirklichen.

Sie befanden sich in einem Tonstudio, um Aufnahmen zu machen. Die ´Walkers`, wie sich seine Band nannte, wollten das erste Album abmischen. Sie spielten überwiegend Pop und vereinzelte Stücke aus dem Klassik-Bereich. Das war nie Blairs Schiene gewesen. Für den Anfang hatte er jedoch das genommen, was er kriegen konnte. Vor wenigen Tagen war ihm zu Ohren gekommen, dass ´Silvermind` in dem gleichen Studio wie die ´Walkers` arbeiten würde. Vielleicht brauchten sie noch einen Keyboarder? Er musste es versuchen.

Als sie die Aufnahmen machten, wurde ihm allerdings schnell klar, dass er keine Möglichkeit hatte, den anderen Jungs sein Können unter Beweis zu stellen. Zudem hatten seine Bandkollegen ständig etwas auszusetzen, sodass ihm bald die Lust verging. Irgendwann machten sie eine Pause, in der sich Blair in einen der Proberäume verzog. Die Idioten nervten ihn.

Wütend darüber, dass ihm ständig gesagt wurde, was er tun und was er lassen sollte, und er die Chance verwirkt sah, in die andere Band zu kommen, setzte er sich an ein Keyboard und begann zu spielen. Ihm schwebte etwas Düsteres vor, sodass er all seinen Zorn in die Tasten legte. Was erklang, gefiel ihm und hätte den ´Walkers` glatt die Schuhe ausgezogen. In dem Moment beschloss Blair, das zu machen, was er wollte. Keiner würde ihm je wieder vorschreiben, was er zu spielen hatte. Er liebte die dunklen Sounds, das Rockige. Das war seine Bestimmung!

Als das Lied endete, fühlte er sich gut. Es war befreiend, Entscheidungen aus freien Stücken zu treffen. Applaus erschallte, sodass er den Kopf hob und in die Richtung schaute, aus der er das Geräusch vernahm. Lange musste Blair nicht suchen. Der Kerl stand unmittelbar vor ihm. Scheiße, war er echt so versunken gewesen, dass er das Eintreten nicht gehört hatte? Anscheinend.

Schokoladenbraune Augen funkelten ihn amüsiert an. Blonde, schulterlange, stufig geschnittene Haare umrahmten ein maskulin attraktives Gesicht. Volle Lippen verzogen sich zu einem spitzbübischen Grinsen.

Schön gespielt.“

Diese Stimme ging ihm runter wie Öl.

Danke.“

Ist nicht gerade das, was die anderen hören wollen, was?“, lachte der Fremde und zwinkerte ihm zu. Blair schluckte. Er wusste instinktiv, wer vor ihm stand. Aber dieses Wissen machte seine Kehle nicht trocken. Es war die Ausstrahlung des Mannes.

Nein, nicht wirklich“, meinte er rau, sich daran erinnernd, dass er eine Antwort schuldig war.

Schon mal daran gedacht, dass du bei dem Haufen vielleicht falsch aufgehoben bist?“

Eventuell.“

Der Typ grinste ihn an. Das war so ansteckend, dass Blair selbst leicht lächeln musste. Als der Fremde es bemerkte, verharrte dessen Blick eine ganze Weile auf seinem Mund. Blair spürte es daran, dass seine Lippen zu kribbeln begannen und er plötzlich den Drang verspürte, den anderen zu küssen. Der ging in die Hocke, stützte sich mit einem Ellenbogen auf dem Keyboard ab und bettete das Kinn auf seinem Handballen, die Finger an die Wange gelegt. Nachdenklich schaute er Blair an.

Du gefällst mir.“

´Du mir auch`, hätte Blair beinahe geantwortet, schwieg aber im letzten Moment. Kaum auszudenken, was er damit sonst angerichtet hätte.

Ist das gut?“, versuchte er es.

Mh, kommt ganz darauf an.“

Inwiefern?“

Sein Herz schlug ihm hart in der Brust. Konnte das echt sein?

Ich würde dich den komischen Tölpeln gerne abspenstig machen. Bist du dabei?“ Der Fremde schaute ihn herausfordernd an. Blair konnte das Lachen nicht unterdrücken.

Sorry“, meinte er belustigt, „du gehst echt davon aus, dass ich dich kenne, oder?“

Nachdem sich die braunen Augen erst verdunkelt hatten, blitzte nun Schalk in ihnen auf.

Test bestanden. Du bist kein hirnloser Ja-Sager.“

Hey!“

Schon gut.“ Der Kerl hob abwehrend die Hände, lächelte ihn aber an. „Ich hab´s echt verpeilt. Ich bin Neo, Gitarrist und Zweitstimme von ´Silvermind`, so ´ne Mischung aus Dark-Rock und schieß´ mich tot. Also, Bock mit einzusteigen?“

Das war alles, was Blair wollte. Er hätte sich nie träumen lassen, dass er tatsächlich die Chance bekam, mit einer Band zu wachsen, die genau seinem Wesen entsprach. Oh ja, er wäre schön blöd, wenn er das ablehnte.

Klar, jetzt, wo ich deinen Namen kenne“, amüsierte sich Blair.

Du hast mich verarscht?“, wollte Neo empört wissen.

Nur so viel.“ Er hielt Daumen und Zeigefinger wenige Millimeter auseinander.

Neo schaute ihn einen Moment an, dann schüttelte der den Kopf.

Ich glaub´s nicht. Du hast Nerven, echt.“

Blair zuckte die Schultern. Es hatte sich so schön angeboten. Als ihm eine Hand gereicht wurde, schlug er ein. Der Pakt war besiegelt.

Also, ich gehe dann.“

Wohin willst du?“, lachte Blair, als er dem zerstreuten Vogel hinterher sah. „Du kennst meinen Namen nicht.“ Das schien Neo nicht mehr zu hören. Ungläubig hockte Blair auf dem Stuhl und kniff sich in den Arm. War das wahr? Wenige Sekunden später tauchte ein blonder Schopf im Türrahmen auf.

Wie heißt du?“ Ein verwirrtes Lächeln lag auf den sinnlichen Lippen.

Blair.“

Cool, schön, dich kennenzulernen. Ähm, Keyboard, oder?“

Ja“, lachte er.

Blair?“

Mh?“

Geile Augen, kann man sich echt drin verlieren.“

Und genau die waren es, die Blair schloss, nachdem Neo wieder verschwand. …

 

Die Erinnerungen waren schön. Es war ein bombastischer Start einer Ära gewesen, die er in vollen Zügen genossen hatte. Zu viert rockten sie die Bühnen und entwickelten sich weiter. Er hatte das verwirrte Wesen von Neo lieben gelernt, das dunkle Herz dieses schönen Engels. Heute würde Blair alles dafür geben, um ihn noch einmal so zu erleben.

Wie schade, dass man die Zeit nicht zurückdrehen oder Dinge ungeschehen machen konnte. Vielleicht hätte er Neo auffangen können, als der sich im Freiflug Richtung Hölle befand. Insgeheim wusste Blair, dass das eine Illusion war, der er sich hingab. Er hatte alles versucht. Aber Lügen waren schöner als die hässliche Wahrheit.

Kapitel 3

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Impressum

Texte: Alle Rechte vorbehalten. Widerrechtlicher Gebrauch ist strafbar.
Bildmaterialien: T.S.Nightsoul
Lektorat: Unlektoriert!!!
Tag der Veröffentlichung: 18.04.2014

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