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Leseprobe

Prolog

 

Ray hielt den Kopf zwischen den Händen. Immer wieder und wieder spielte er geistig die Akkorde durch. Gedanken wurden zu Worten, die über seine Lippen flossen wie ein Fluss aus lauter Fetzen, die nacheinander Bilder formten. Geflüstert, gehaucht, nur für ihn hörbar. Mit geschlossenen Augen ging er die Lyrics und Melodie durch, verbesserte, formulierte um, probierte aus. 

Lieder waren wie der Wind.

Sie umspielten, schmeichelten, kamen sanft und wenn er nicht aufpasste, verwehte die Inspiration wie Staub. Nichts würde mehr übrig bleiben. Keine Spuren, die daran erinnerten, wie der Song hätte sein können. Die Texte leitete er von Gefühlen ab. Ohne Emotionen keine Musik. Ohne Musik kein Leben. 

Für Ray war es das. Seine Leidenschaft hielt ihn aufrecht, wenn er aufgeben, in den Abgrund stürzen wollte. Melodie im Zusammenspiel mit Worten war sein Elixier. Ray brauchte eine tägliche Dosis. Er lehnte sich zurück, starrte an die Decke, die Augen auf einen unbestimmten Punkt gerichtet. Ray sah nichts. Nahm kaum die Umrisse des Zimmers um sich herum wahr. Für ihn zählte in diesem Moment die Musik, in der er sich treiben ließ.

Langsam glitten die Lyrics flüssiger über seine Lippen. Im Kopf unterstützte er instrumental die Zeilen, die von seinem Leid erzählten. Das Schatten an der Wand wie Monster wirkten und Gedanken ein endloser Strom im Geist waren. Dunkelheit um ihn lag, wie eine Hülle, und er selbst in der Schwärze unsichtbar blieb. Befreiende Wege schienen gebrochen und seine Seele verbrannte unter den Einflüssen von draußen mehr und mehr zu Staub. Ständig war er auf der Suche nach einer Lösung, bei der er wusste, dass er sie nie finden würde.

Manchmal wünschte er sich, jemand anderes zu sein, aber er kam nicht aus seiner Haut heraus.

In letzter Zeit hatte er oft solche Gedanken, die ihn wünschen ließen, der Welt emotionslos entgegen treten zu können. Manchmal war es besser, einfach nichts zu fühlen, als ständigem Schmerz ausgesetzt zu sein.

Nur für einen Menschen nahm er all die Qual in Kauf, weil er wusste, wie es war, völlig alleine und auf sich gestellt zu sein. Gäbe es diese Person nicht, wäre Ray nicht mehr an diesem Ort. Er wäre längst aus dem Gefängnis ausgebrochen, das für ihn nicht mehr als Marter bereithielt.

Für Lora erduldete er die trostlose Schwärze. Er konnte seine kleine Schwester nicht im Stich lassen. Nicht ihrem gemeinsamen Vater ausgeliefert. Es war eine Notwendigkeit, dass Ray die Last auf seinen Schultern trug, damit Lora ein halbwegs normales Leben führen konnte. Sie hatte es in der Vergangenheit schwer genug gehabt.

Schon als sie zu ihm und ihrem Vater gestoßen war, hatte Ray gewusst, dass er für seine Schwester alles tun würde. Sie konnte nichts dafür, dass das Leben unfair spielte.

Rays Sicht klärte sich. Der Song war gespielt, das Outro verklungen. Er nahm den Raum mit all den Einrichtungsgegenständen wahr, ließ den Blick schweifen. An der Tür blieb er hängen. Eine kleine Gestalt lehnte im Türrahmen, die Arme verschränkt, ein Lächeln auf den Lippen. Lora. Das Mädchen, das ihm verdammt ans Herz gewachsen war. Für sie hätte er sogar seine Leidenschaft zur Musik aufgegeben.

 

Kapitel 1 – Nero

 

Gelangweilt hörte Nero dem Agenten zu. Seine Aufmerksamkeit gebührte längst nicht mehr dem Typen, der ihm irgendwelche Werbeverträge andrehen wollte. Er wusste Besseres mit seiner Zeit anzufangen. Zudem hatte er ohnehin einen straffen Terminplan und konnte diese Unterbrechung nicht gebrauchen.

„Nein“, wiederholte Nero wie ein Mantra, sobald der Kerl eine Zustimmung haben wollte. Es war ätzend. Ein Türklinkenputzer, mit dem er sich bereits zehn Minuten herumärgerte. Normalerweise kümmerte sich Neo um solche Angelegenheiten, nicht er. Aber sein Bruder war derzeit mal wieder wie vom Erdboden verschluckt.

„Wären wir dann endlich fertig?“, fauchte er, als der Agent Anstalten machte, zu einer neuen ausgiebigen Rede anzusetzen.

„Äh ...“

„Ja, das freut mich. Schönen Tag noch.“

Damit erhob sich Nero, der Frontsänger von ´Silvermind`. Eine Band, die sich ganz dem Dark-Rock gewidmet hatte und seit jeher durch die Clubs tingelte.

Mit einer fahrigen Handbewegung strich sich Nero das lange, blonde Haar aus der Stirn und marschierte zu den anderen Bandmitgliedern, die gerade Vorbereitungen für den Abend trafen.

„Wo ist Neo?“, fragte er in die Runde, zog aus der Manteltasche eine Zigarettenpackung und steckte  eine Kippe an. Das ´Rauchen verboten` Schild ignorierte er dabei geflissentlich.

„Keine Ahnung. Hab deine bessere Hälfte seit zwei, drei Stunden nicht mehr gesehen“, meinte Mark, der Bassist der Gruppe. Dabei band der seine schwarzen Haare zu einem Zopf. Nero fluchte verhalten. Auf seinen Zwilling konnte er sich nie verlassen.

„Aber bei dir läuft alles soweit?“, erkundigte er sich mürrisch. Mark nickte.

„Klar. Wir sollten später noch einmal die Setlist durchgehen. Mir gefällt die Reihenfolge der Songs noch nicht. Aber bringt wohl erst was, wenn Neo da ist, oder?“

Nero lächelte spöttisch, nahm sogleich einen tiefen Zug von der Zigarette. Das Duo „Neo-Nero“ würde es wohl bald nicht mehr geben, wenn es weiter so ging.

„Du sagst es. Bin nur gespannt, welches Groupie der jetzt schon wieder flachgelegt hat“, knurrte Nero und wandte sich ab. Wäre der Taugenichts nicht ausgerechnet sein Bruder, hätte Nero ihn schon längst aus der Band geschmissen. Aber Blut war bekanntlich dicker als Wasser, somit hatte er bis jetzt immer ein Auge zugedrückt.

Er verließ den Bühnenbereich, ging aus dem Club und zückte sein Handy. Nachdem er die Nummer gewählt hatte, wartete er. Aber natürlich nahm auch nach dem sechsten Tuten keiner ab. Hervorragend. Sie würden nur in wenigen Stunden auftreten müssen!

„Ich bringe ihn um!“, fluchte Nero gereizt. Er trat die Zigarette aus und nahm sich eine neue. Schon lange spielte er mit dem Gedanken, seinen Bruder einfach raus zu schmeißen. Allerdings sah er sich  mit dem Problem konfrontiert, sich einen neuen Gitarristen und Sänger suchen zu müssen. Nero sang einige Songs mit Neo. Einige Titel bedurften einer Zweitstimme. Die Hälfte der Lieder würde demnach wegfallen, wenn Nero den Schritt wagte und keine Zweitbesetzung fand. Neo hatte sich damals von Stimmfarbe und vom Können an der Gitarre gut angeboten.

Noch einmal versuchte er, Neo zu erreichen, scheiterte wie beim ersten Mal. Wütend tippte er eine SMS und ging zurück in den Club.

„Nicht erreicht?“, fragte Mark. Neros tödlicher Blick war ihm Antwort genug.

„Wie lange Spielzeit haben wir heute Abend?“, wollte dieser wissen. Mark legte den Bass beiseite und schaut in die Unterlagen.

„Wenn ich mich nicht irre, haben wir zwei Durchläufe. Einmal dreißig Minuten, danach fünfzehn. Dazwischen ist eine einstündige Pause.“

„Was bietet unser Repertoire? Seid ihr auf alle Lieder eingespielt?“

„Nicht ganz. Wir hatten uns eigentlich auf die Songs konzentriert, die ihr zusammen singt, da die am besten ankamen und vom Rhythmus her auch passender für den heutigen Abend sind.“

„Dann haben wir ein Problem“, meinte Nero tonlos. Er hatte das unglaublich schlechte Gefühl, dass Neo heute überhaupt nicht erscheinen würde. „Schafft ihr es, die anderen noch einmal durchzugehen? In vier Stunden haben wir den Auftritt. Probe und Check stehen noch aus. Wir können nicht absagen. Aber Neo wird nicht pünktlich kommen, also brauchen wir eine Alternative.“

„Wenn du die Titel ausnahmsweise alleine singst?“, warf Mark ein und sah ihn an.

„Mark, du weißt, wie das klingt.“

„Klar, aber danach könntest du einen Aufruf starten, dass du Unterstützung für ´Silvermind` suchst, oder nicht? So schlimm wird es nicht werden. Schließlich bist du die Hauptstimme. Neo war immer nur Begleitung. Bis zu dem Auftritt nächste Woche haben wir die Gelegenheit, vielleicht Ersatz zu finden.“

Nachdenklich runzelte Nero die Stirn. Mark hatte nicht ganz Unrecht. Das wäre eine gute Gelegenheit. Auch wenn er seinen Bruder damit vor vollendete Tatsachen stellte. Aber Chancen hatte der genug gehabt.

„Nicht schlecht, Mark.“

 

***

 

Der erste Auftritt lag hinter ihnen. Nero griff nach einem Handtuch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Von Mark bekam er ein Bier gereicht, das er dankend annahm. Zeno, der Drummer und der Keyboarder Blair kamen ebenfalls backstage. Nero nickte ihnen zu. Obwohl Neo nicht da war, hatten sie die erste halbe Stunde erstaunlich gut gemeistert. Der Club war brechend voll gewesen, die Stimmung fantastisch. Ein gelungener Auftritt.

„Eine Stunde frei, oder?“, fragte er und lehnte sich schwer atmend zurück. Das war eine verdammt gute Show gewesen ...

„Ja“, nickte Zeno und griff ebenfalls nach einem Bier. Sie redeten ein wenig über den Auftritt, über die Songs, die sie später in den fünfzehn Minuten spielen wollten. Zudem besprachen sie, welcher der Titel als Zugabe dienen sollte. Letztlich einigten sie sich auf ´Fight`.

„Ich will ´Green Power`“, meinte Nero nach einer Weile und stellte die halb leere Flasche Bier  beiseite. Er erhob sich und zog ein Shirt an.

„Bist du wahnsinnig? Wenn du da raus gehst, hatten wir dich mal als Sänger“, entgegnete Blair. Auch von Mark erntete er einen verständnislosen Blick. Nero zuckte gleichgültig mit den Schultern. Es spielte gerade eine andere Band, demnach würden nicht viele an der Bar sein. Außerdem stand er auf Wodka mit Waldmeister. Ohne noch etwas zu antworten, verließ Nero den Backstage Bereich.

Über Umwege, um nicht gerade direkt durch die tanzende Menge zu gehen, gelangte er schließlich an die Bar und bestellte sich das gewünschte Getränk.

Nero nickte dem Barkeeper zu, als dieser ihm einen Drink reichte. Er stand nicht lange da, als sich jemand direkt neben ihm platzierte und ebenfalls eine Bestellung aufgab. Gerade hob Nero das Glas an die Lippen, als sich der Mann umdrehte. Unsanft stieß dieser ihn mit dem Ellenbogen an. Ihm rutschte das Getränk aus der Hand und die grüne Flüssigkeit ergoss sich auf sein Shirt.

„Verdammt, hättest du nicht aufpassen können?!“, stieß er wütend aus. Das Zeug durchtränkte nicht nur sein Oberteil, sondern ebenso seine Hose. Zudem klebte es verheerend. Mit dem Wissen, dass es nichts bringen würde, griff er nach einer Serviette.

„Entschuldigung“, kam es von einer rauchig warmen Stimme. Nero drehte den Kopf. Neben ihm stand ein Goth mit intensiv blau leuchtenden Haaren, die ihm ungefähr bis auf die Schultern fielen. Ein Blick aus nebelgrauen Augen traf ihn.

„Die bringt mir rein gar nichts!“, knurrte Nero. Finster vor sich hin starrend rieb er mit dem Zellstoff über seinen Schritt.

„Kann ich …?“

„Halte einfach die Klappe, okay?!“

„Aber ...“

„Nichts ´aber`! … “

Just in dem Moment wurde Nero nicht von dem hünenhaften Goth unterbrochen, sondern von seinem Ebenbild.

„Bruderherz, ranze deine Fans nicht so an.“

Ruckartig fuhr Nero herum. Sein Bruder stand breit grinsend vor ihm, wirkte völlig stoned. Neos Pupillen waren geweitet, verdeckten das sonst gut erkennbare Schokoladenbraun der Augen.

„Wo warst du verdammt nochmal? Wir haben bereits den ersten Part gespielt!“

„Oh“, stieß Neo aus. Nero ballte die Hand zur Faust. Am liebsten hätte er den Kopf auf die Tresenplatte geschlagen. Noch besser wäre der seines Bruders gewesen.

„So läuft das nicht, Neo. Disziplin, Verantwortung und Selbstständigkeit sind Fremdwörter für dich!“

„Nero … die Leute.“

„Ist mir egal, was die Leute denken. Es geht ums Prinzip!“

„Jungs, das solltet ihr wirklich nicht hier ausmachen“, mischte sich der Fremde ein. Nero stieß einen abfälligen Zischlaut aus. Leider hatte der Kerl, wie auch sein Zwilling, Recht. Sämtliche Köpfe hatten sich zu ihnen umgedreht und schienen auf die weitere Auseinandersetzung zu warten. Verdammt.

„Komm mit, Neo. Wir besprechen das hinten … Und he, Entschuldigung, wenn auch widerwillig, angenommen. Allerdings schuldest du mir einen ´Green Power`“, rief Nero dem Typen über die Schulter zu, als er sich mit Neo bereits ein wenig entfernt hatte. Der Goth deutete ein Nicken an und ein feines Lächeln zierte dessen Lippen. Nero wandte sich um, zog seinen Bruder weiter durch die Menge. Mit seinem Zwilling war er noch lange nicht fertig ...

 

***

Kapitel 2 – Ray

 

Einen Moment schaute er den Zwillingen hinterher. Rays Blick glitt über die breiten Schultern von Nero, der schmalen Taille, die langen Beine. Unbewusst leckte er sich die Lippen. Die blonden, langen Haare, die für den Auftritt leicht angegraut worden waren, sahen an diesem Kerl wirklich fantastisch aus.

Ray schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war das dritte Konzert, das er von der Band besuchte, doch bisher hatte er nie direkten Kontakt mit einem der Mitglieder gehabt. Ausgerechnet heute musste er das nicht nur nachholen, sondern dem Frontsänger gleich das Shirt tränken. Es war eine Erfahrung wert gewesen.

„Ray!“

Er drehte sich um, erkannte Dean, seinen Kumpel, der sich durch die Menge zu ihm drängelte und außer Atem vor ihm stehen blieb.

„Hast du das gehört?“

„Was?“, fragte Ray und nippte an dem Whiskey, den er sich bestellt hatte.

„Ich habe gerade mit Zeno geredet. Der Drummer von ´Silvermind`. Die suchen für Neo einen Ersatz.“

„Aha.“

Ray interessierte das nicht. Dean wusste, dass er gerne Songs schrieb, Gitarre spielen konnte und eine gute Stimme hatte, aber Ray war nie jemand gewesen, der mit diesem scheinbaren Talent etwas anfangen wollte. Es war nicht sein Traum, irgendwann einmal auf der Bühne zu stehen. Er verlor sich in der Musik, wenn er es brauchte, nicht, wenn es jemand von ihm verlangte.

Vor einer Woche hatte er es einmal versucht, da ihn Dean dazu überredet hatte. In einer zwielichtigen Bar, die Nachwuchstalenten die Chance bot, ihr Können vor einem Publikum zu beweisen. Aber das war nicht Rays Leben. Er hatte Verantwortung zu tragen und das funktionierte nicht, wenn er sein Hobby zum Beruf machte. Obwohl ihm die Musik alles bedeutete. Nur war es ihm herrlich egal, dass ´Silvermind` einen Ersatz suchte.

„Ray, jetzt komm schon. Das wäre die Gelegenheit.“

„Wofür?“

„Auszubrechen.“

„Die Flucht ist immer das Einfachste, Dean. So läuft das nicht.“

„Aber willst du dein Talent einfach rigoros ignorieren?“

Ja, das wollte er. Ray sah sein Talent nicht. Wenn Menschen ihm sagten, dass er ein solches hatte, fragte er sich immerzu, wo diese es sahen. Die meisten Meinungen waren für ihn leeres Geschwätz. Er glaubte Dean, weil der Goth sein bester Freund war, überzeugt war Ray jedoch nicht.

„Ich hab keines“, meinte er deswegen schlicht und nahm einen Schluck. Ob der  Antwort erntete Ray einen schmerzhaften Boxhieb in den Magen. Daraufhin hätte er beinahe den Whiskey wieder ausgespuckt. 

„Man Alter! Musste das sein?“

„Ja. Vielleicht merkst du irgendwann, dass du einen Schuss hast. Habe einmal im Leben nicht so viele Selbstzweifel! Jetzt komm, die Band fängt gleich wieder an zu spielen.“

Ray nickte mechanisch. Irgendwo hatte Dean Recht. Ray war förmlich zerfressen von seinen Selbstzweifeln. Aber das hatte gute Gründe. Nur wer würde die jemals verstehen? Selbst er hatte Probleme, den Ursprung dieser genau zu benennen. Vielleicht wollte er das auch einfach nicht.

 

Die Band spielte länger als die geplanten fünfzehn Minuten. Ray und Dean standen in der zweiten Reihe, hatten ihren Spaß beim Head-Banging und machten alles mit, was die Band vom Publikum forderte. Die Musik war ohrenbetäubend laut, aber genau nach Rays Geschmack. Er tanzte mit Dean, sprang auf der Stelle und grölte bei jedem Song mit. Die Zugabe war klasse, aber leider viel zu schnell vorbei.

Später hatte Ray allerdings nicht mehr großartig auf die Musik geachtet. Vielmehr hing sein Blick an Nero, der eine wirklich heiße Show auf der Bühne ablieferte. Der Anblick des Körpers, der mit einem leichten Schweißfilm überzogen war, in den Spotlights verführerisch glänzte, trieb sein Blut heiß durch die Adern.

Als auch die Solos des Keyboarders, des Drummers und des Bassisten beendet waren, verkündete Nero das, was Dean ihm bereits mitgeteilt hatte. ´Silvermind` suchte ein neues Bandmitglied. Die Voraussetzungen waren eine gute Stimme und die Fähigkeit, Gitarre spielen zu können. Dean hatte recht gehabt. Ray wäre durchaus geeignet gewesen.

Für einen Moment schaute er hoch zur Band, hatte den Gedanken, dass diese Formation, diese Kerle unerreichbar waren und ganz gewiss nicht in seiner Liga spielten. Unterschiedliche Leben. Er schüttelte den Kopf, vertrieb die gedanklichen Fetzen. Das würde nie seine Welt sein. Just in dem Augenblick riss ihn Dean am Arm und zog ihn durch die Menge.

„Mach mal langsam, wo willst du hin?“, rief Ray und stolperte hinter dem schwarzhaarigen Kerl hinterher.

„Zu Zeno. Der Typ ist geil. Außerdem brauche ich unbedingt noch ein Autogramm auf diesem Shirt hier.“

Grinsend hielt Dean den Fanartikel hoch. Ray verdrehte belustigt die Augen. Sein Kumpel war verrückt. Während der sich einen Platz vor dem Tisch reservierte, an den sich die Band in den nächsten Minuten setzen würde, lehnte sich Ray an einen Pfeiler und beobachtete das Geschehen aus der Ferne. Erstaunlich friedlich reihten sich die Fans ein, warteten ungeduldig darauf, dass die Mitglieder  von ´Silvermind`  erschienen.

Dean trat von einem Bein aufs andere. Ray lachte leise, neigte den Kopf und verbarg das Gesicht hinter dem Vorhang aus blauen Haaren. Die Jungs der Band kamen gerade an den Tisch, schnappten sich ein paar Stifte und fingen an, die Artikel zu signieren.

Dean beugte sich breit grinsend zu Zeno, flüsterte dem Kerl etwas ins Ohr, woraufhin dieser lachte. Sie unterhielten sich eine Weile, sein Kumpel bekam das heiß ersehnte Autogramm und schließlich verabschiedete er sich, nachdem er auch von den anderen drei eine Unterschrift kassiert hatte. Beschwingt kam Dean auf ihn zu, ein verräterisches Grinsen im Gesicht.

„Ray … diese grünen Augen, die nicht wirklich grün sind, sondern ein Gemisch aus … hach, der Typ ist heiß. Und der riecht verdammt gut“, schwärmte er.

Ray seufzte. Sein Kumpel verguckte sich viel zu schnell in irgendwelche Kerle. Mit Grauen dachte er an die unzähligen Abende, die Ray als Tröster hatte fungieren müssen. Ihm machte es zwar an sich nichts aus, nur hätte er Dean gerne unnötige Schmerzen erspart. Unglückliches Verliebt sein war die schlimmste Krankheit, die es gab. Leider war sein Kumpel eine verdammte Augenweide. Ein kleiner süßer Twink, dem die schwulen Männerherzen zuflogen. Nur brach Deans immerzu, nie die der anderen. Deswegen war Ray gegenüber der Sache mit Zeno mehr als skeptisch eingestellt. Sein Kumpel sollte nicht als Groupie enden, der einmal benutzt und anschließend weggeschmissen wurde.

„Was ist?“, riss ihn genau dieser aus den Gedanken und sah ihn von unten an. Strahlend blaue Augen brannten sich in seine. Ray schüttelte den Kopf.

„Nichts. Schon gut.“

Er hob den Blick, schaute an dem Vorhang blauen Haares vorbei und begegnete über die Entfernung hinweg drei Augenpaaren. Nero, Mark und Zeno starrten ihn regelrecht an. Ein ungewohntes Kribbeln rann Ray kalt über den Rücken.

„Dean … verrate mir mal, warum die Typen aussehen, als wenn sie mich fressen wollen“, knurrte Ray dunkel. Sein Kumpel zuckte zusammen.

„Ach, ich hab denen nur gesagt, dass du mein Freund bist“, nuschelte Dean und wich ihm aus.

„Aha“, meinte Ray tonlos. Beide wussten, dass Ray diese Aussage nicht schluckte.

 

***

 

Der Wecker klingelte viel zu früh. Verschlafen tastete Ray nach dem Handy und schmiss es glatt vom Nachttisch. Scheißteil. Er ließ den Titel dudeln, wischte sich müde über das Gesicht und öffnete blinzelnd die Augen. Er wollte nicht aufstehen. Die Nacht war zu kurz gewesen, der Schlaf hing ihm in den Knochen, der Alkohol immer noch fest im Kopf. Ray gähnte herzhaft, zog die Decke höher und schloss wieder die Augen. Nur noch fünf Minuten …

„Mist!“

Resigniert sah er auf die Uhr. Er hatte die Schicht verpasst. Die Pflegedienstleitung würde ihn umbringen. Ray rappelte sich auf, schob die Decke beiseite und ging ins Bad. Nachdem er sich seiner Shorts entledigt hatte, stieg er unter die Dusche, die Reste der Nacht beseitigend. Er würde bestimmt aussehen wie ein Waschbär, wenn er in den Spiegel guckte. Grummelnd griff er nach dem Duschgel, seifte sich ein, wusch den Schaum anschließend zügig ab. Danach schlang er sich ein Handtuch um die Hüften. Der Spiegel war beschlagen vom Wasserdunst. Mit einer fahrigen Bewegung wischte Ray das Glas frei.

„Hätte ich lassen sollen“, nuschelte er in den nicht vorhandenen Bart. Ein Waschbär sah im Vergleich zu ihm wirklich gut aus. Die Schminke war verlaufen, sein Nasenrücken angeschwärzt, die Augen waren kaum noch zu erkennen. Fluchend griff Ray nach Creme und einem Wattepad, versuchte das Gesicht halbwegs zu retten. Natürlich war dieses Unterfangen zwecklos. Ray sah genauso mies aus wie vorher, wenn auch die Spuren vom Kajal weitgehend beseitigt worden waren.

Er zog seine Arbeitskleidung an, machte einen Abstecher in die Küche und schaute ins Wohnzimmer. Ihm bot sich ein vertrautes Bild. Sein Vater saß mit einer Schnapsflasche auf dem Sofa, der Fernseher lief, die Zigarette qualmte. Nichts Besonderes.

„Ist Lora pünktlich in die Schule gekommen?“, informierte er sich, aber Roger zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Wie immer.

„Keine Ahnung. Musst du nicht arbeiten?“, meinte der abfällig. Ray ballte hinter dem Türrahmen die Faust.

„Sag ihr, dass sie nachher auf mich warten soll“, erwiderte Ray, schlüpfte in seine Schuhe und verließ die Wohnung. Ihm fehlten wie so oft die Worte.

Hätte Ray nicht Lora, seine dreizehnjährige Halbschwester, wäre er längst ausgezogen. Aber er konnte es nicht. Ray hatte keinen Kontakt zu seiner Mutter, Loras war gestorben, übrig blieben also nur noch er selbst und sein Vater. Er wollte die Kleine nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reißen. Wenn sie zu Hause schon keinen Halt fand, dann wenigstens bei ihren Freunden. Ray konnte so zumindest auf sie achtgeben.

Er hatte einmal versucht das Sorgerecht zu bekommen, war allerdings gescheitert. Laut Behörden bestand keine Notwendigkeit, dieses abändern zu lassen. In eine Pflegefamilie wollte er Lora nicht stecken, ein Heim kam nicht einmal annähernd infrage. Demnach blieb ihm nur die unbefriedigende Option, sie bei ihrem Vater wohnen zu lassen.

Ray schüttelte den Kopf, stieg die Treppen zur U-Bahn hinunter und legte sich eine Ausrede für seinen Chef zurecht. Der wusste zwar von den häuslichen Umständen, allerdings erwartete der dennoch Pünktlichkeit und Disziplin. Etwas, das Ray in letzter Zeit nicht mehr aufweisen konnte. Er gab sein Bestes. Aber die Ansprüche, die an ihn gestellt wurden, waren definitiv zu hoch.

Die Bahn fuhr ein, er setzte sich auf einen der leeren Plätze und holte sein Handy aus der Tasche. Ray steckte sich die Stöpsel ins Ohr, wählte einen seiner Lieblingstitel aus, lehnte sich zurück. Es musste sich etwas ändern, das wusste er. Nur diesen Schritt zu gehen war verdammt schwer.

 

***

 

Der Arbeitstag hatte sich schleppend dahin gezogen. Ray war mit einer Abmahnung davon gekommen, durfte aber vorerst den Arbeitsplatz behalten. Ja, er spielte mit dem Feuer und wusste, dass er sich irgendwann verbrennen würde.

Ray ging durch die leere Straße, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, auf dem Weg zur Bar, in der er mit Dean verabredet war. Eigentlich hatte er den Abend mit Lora verbringen wollen, allerdings gab es eine Planänderung. Kurzfristig war sie bei einer Freundin untergekommen und würde dort übernachten. Ray hatte nichts dagegen.

Eine Nacht mehr, die Lora nicht daheim verbringen musste. Er traute seinem Vater nicht über den Weg. Seine Zweifel waren begründet. Ray wusste aus eigener Erfahrung, wie Roger austicken konnte, wenn dieser betrunken war. Er lebte mit der ständigen Angst, dass seiner Schwester irgendwann etwas passieren könnte.

Ray betrat die zwielichtige Kneipe, hielt Ausschau nach seinem Kumpel, der bereits an der Bar lungerte.

„Hey!“

Mit einem Handschlag begrüßte er Dean und ließ sich neben diesen auf einem Hocker nieder.

„Heute ganz in zivil? Kommst gerade vom Krankenhaus, oder?“, fragte sein Freund. Ray nickte. Er war Krankenpfleger im städtischen Hospital. Jetzt trug er schlichte, schwarze Kleidung.

„Gibt´s was Neues?“, erkundigte er sich. Dean grinste ihn verräterisch an.

„Zeno hat sich gemeldet.“

„Ihr habt Nummern getauscht?“

„Nein. Ich habe ihm meine einfach zugesteckt.“

Ray verdrehte die Augen. Klar, damit hätte er rechnen sollen. Egal wie oft Dean benutzt worden war, er ließ nichts anbrennen.

„Du weißt, dass du dich ins nächste Unglück stürzt?“

„Dafür habe ich dann dich, Ray.“

„Toll“, meinte er wenig begeistert und bestellte eine Coke. Wäre ja nicht so, dass er selbst immer unweigerlich mitlitt. Scheiß Empathie. Manchmal wünschte er, sein Freund würde einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Aus rein egoistischen Gründen.

„Weißt du was?“

„Ne“, entgegnete Ray und nippte an der Cola.

„Die wollen dich noch mal haben.“

„Wer?“

„Na die Typen, bei denen du letztes Mal aufgetreten bist. Ich habe dir doch gesagt, dass du Talent hast.“

„Bezahlen die mich? Ich verliere nämlich demnächst meinen Job“, stieß er tonlos aus und richtete den Blick auf den Barkeeper, der gerade einen Cocktail mixte.

„Was?“

„Ärger mit dem Chef. Hab heute die zweite Abmahnung kassiert. Beim dritten Mal fliege ich.“

„Stress mit dem Alten?“

„Klar, wie immer. Aber es geht mir weniger um mich, vielmehr um Lora. Die hat es schwer genug. Ohne Job wäre ich ziemlich am Arsch.“

„Oh Mann. Aber du weißt, dass du jederzeit zu mir kommen kannst.“

„Klar, in deine Zweiraumwohnung, in der du kaum Platz hast. Jetzt, wo du was mit Zeno am Laufen hast, wäre das ja perfektes Timing.“

„Zynismus steht dir nicht“, meinte Dean finster.

Ray zuckte gleichgültig mit den Schultern. Er nahm noch einen Schluck.

„Also? Bezahlen die?“

Verwirrt sah Dean ihn an. Dann schaltete er.

„Klar. Die wollen, dass du denselben Song singst. Das Publikum war begeistert gewesen.“

„Na dann. Hoffen wir mal, dass ich an dem Tag keine Spät- oder Nachtschicht habe.“

Dean grinste breit, klopfte Ray auf die Schulter und bald darauf wandten sie sich belangloseren Themen zu. Die Zeit verflog rasch. Gegen Mitternacht trennten sie sich voneinander. Ray hoffte, dass er am nächsten Tag nicht wieder verschlief.

 

***

Kapitel 3 – Nero

 

Er hatte die Augen geschlossen, lehnte mit dem Rücken an der Wand und lauschte dem Demo, das sie heute aufgenommen hatten. Neros Züge waren angespannt, die Lippen aufeinander gepresst, die Brauen zusammengezogen. Ihn störte etwas.

„Das klingt dissonant. Irgendein Akkord stimmt nicht.“

„Sicher?“

Mit einer eleganten Bewegung stieß sich Nero von der Wand ab. Er ging zu Mark, schaute auf den Monitor und verfolgte den Verlauf der Tonspur.

„Spule mal zurück.“

Sein Bandkollege und guter Freund tat, wie ihm geheißen. Nero stützte sich vor dem Mischpult ab, ließ den Kopf zwischen den Armen hängen und lauschte wieder angespannt.

„Da. Stopp.“

Es war eine Stelle, an der von der Strophe zur Bridge gewechselt wurde.

„Verstehe ich nicht, Nero. Du hast vor der Aufnahme strikt darauf geachtet.“

„Eigentlich schon. Aber wenn alle Tonspuren auf einmal laufen, hörst du, dass sich da etwas beißt.“

Grübelnd schaute er zu Mark, der ratlos neben ihm auf einem Stuhl saß. Dessen braune Augen waren konzentriert auf den Bildschirm gerichtet.

„Wenn wir das Ganze abmischen, wird man es nicht hören“, wandte Mark ein und Nero nickte.

„Das schon. Aber auf der Bühne.“

„Meinst du ehrlich, dass die das heraushören würden? Ich bezweifle das.“

„Reicht, wenn ich es weiß, Mark. Ich will Perfektion. Vor allem in der Musik. Ich werde mir die Noten nachher schnappen und die Akkorde durchgehen. Vielleicht nehmen wir die E-Gitarre an dieser Stelle raus ...“

„Das würde das Stück kaputt machen.“

Nero richtete sich auf, tippte sich nachdenklich ans Kinn und nickte schließlich.

„Ich überlege mir was, Mark. Sag mal, hat sich eigentlich schon irgendjemand wegen dem Casting am Freitag gemeldet?“

„Ja. Zugegeben zu viele. Wird nicht einfach werden, den Richtigen zu finden. Aber einen Ersatz, bevor wir den nächsten Auftritt haben, werden wir wohl nicht arrangieren können.“

„Ich weiß. Es geht nicht anders. Den Auftritt werde ich wieder alleine machen müssen. Zeno und Blair proben derzeit die alten Stücke. ´Stranger` und ´Hurt` werden wieder ins Programm aufgenommen.“

Mark nickte. Nero hatte alles gründlich durchgeplant. Seit Neo nicht mehr da war, blieb noch mehr an ihm hängen. Wobei das relativ war. Auch vorher hatte er die ganze Arbeit getan, da man sich auf seinen Zwilling nie hatte verlassen können. Der hatte ihm eine Szene gemacht, nachdem Nero den Aufruf gestartet hatte, dass ´Silvermind` ein neues Bandmitglied suchte. Er hatte Neo ins offene Messer laufen lassen. Mit voller Absicht. Nero fand, dass es irgendwann genug war. Sein Bruder hatte den Bogen definitiv überspannt.

„Du … Zeno hat uns doch diesen blauhaarigen Typen gezeigt. Nach dem kleinen Twink zu urteilen, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, entspricht der eigentlich genau dem, was wir suchen.“

Nero zuckte gleichgültig mit der Schulter. Der Goth schuldete ihm erstens einen Drink, zweitens hatte der ihm das Shirt versaut und drittens musste der Kerl ihn überzeugen.

„Ich höre nicht auf das, was andere mir sagen. Soll er sein Glück versuchen. Ich lasse mich gerne überraschen. Allerdings muss er uns vom Hocker hauen.“

„Ich hab in der Kneipe angerufen, in der er aufgetreten ist. Laut Besitzer war das Publikum noch nie so begeistert gewesen“, meinte Mark nachdenklich.

„Dann hoffe, dass der Kerl kommt.“ Der leicht spöttische Unterton Neros entging Mark nicht. Aber der sagte nichts dazu, sondern ging wieder an die Arbeit. Nach einer weiteren guten Stunde packte Nero die Sachen zusammen. Wurde Zeit, dass er nach Hause kam.

„Bin vorerst weg“, verabschiedete er sich mit einem Wink und verließ das Tonstudio.

Er musste dringend nachschauen, ob Neo die Wohnung ganz gelassen hatte …

 

***

 

„Du hast mich bloßgestellt!“, fauchte Neo. Gelangweilt kaute Nero Kaugummi, schaute auf den Monitor und ignorierte seinen Zwilling.

„Nero! Drehe dich um, wenn ich mir dir rede!“

„Nein.“

Ruckartig wurde er an der Schulter herumgerissen. Neo stand wütend vor ihm, die Augen geweitet. Die Wohnung war heile geblieben, was einzig der Abwesenheit seines Bruders zu verdanken gewesen war. Seit knappen zehn Minuten hatte sich das geändert. Neros Ruhe war eindeutig gestört.

„Das kannst du nicht machen!“

Neos Stimme zitterte gefährlich, aber das kümmerte Nero nicht. Sein Bruder hatte unzählige Chancen gehabt. Seit Tagen musste er sich das gleiche Theater anhören. Manchmal wünschte er, Neo hätte sein Hirn nicht durch Drogen zum Sterben gebracht, sondern wäre einfach der kleine vernünftige Junge von damals geblieben.

„Ich kann und ich hab es bereits. Dein Bier, Neo.“

„Aber wir haben ´Silvermind` zusammen gegründet, aufgebaut.“

„Du vergisst, dass ich die treibende Kraft war. Es sind meine Songs, mein Engagement, meine Organisation. Du hast nur deine Stimme, deine Gitarre mit eingebracht. Nicht zu vergessen die ganzen Probleme, Exzesse und Eskapaden von dir.“

„Aber …“

„Jetzt hör auf zu diskutieren, verdammt noch mal! Akzeptiere es einfach, okay?“, stieß Nero wütend aus und löste sich aus dem Griff. Mit einem Schnauben wandte er sich wieder dem Monitor zu. Er aktualisierte gerade die Homepage der Band, trug ihre Tourdaten ein und beantwortete Fanpost.

„Du bist ein mieses Schwein!“, fauchte Neo und zischte ab.

„Ich weiß!“, rief ihm Nero hinterher. Kurze Zeit später hörte er heftig die Tür zuschlagen.

Neo verkraftete den Rauswurf nicht sonderlich gut. Einerseits konnte Nero es verstehen, andererseits war es Eigenverschulden von seinem Bruder. Er hatte die Predigten satt, die er immer und immer wieder mit dem Kerl führen musste. Schluss mit lustig. Aus die Maus. Das Leben war unfair. Nero auch.

 

***

 

Nach einer weiteren Stunde am PC beschloss er, sich dem verhunzten Stück zu widmen und kramte die Noten heraus. Aus der Ecke des Wohnzimmers holte Nero eine Gitarre, stimmte sie kurz und spielte den Song. Er stolperte bei jedem Mal über die eine bestimmte Stelle, aber er kam nicht darauf, was störte. Immer wieder versuchte Nero neue Varianten. Nur brachte ihm das rein gar nichts.

„Scheiße!“, fluchte er und stellte das Instrument zurück in den Ständer. Noten waren nicht sein Ding. Gitarre spielen konnte er mittelmäßig, mit Blick auf das Griffbrett, damit er die Bünde nicht verfehlte. Bühnentauglich war das nicht. Deswegen hatte er einen Gitarristen. Neros Stärke war die Stimme, sein Auftreten, die Shows.

´Silvermind` hatten sein Bruder und er gegründet, als sie daheim bei ihren Eltern gewohnt hatten. In der Garage hatte es angefangen, bis sie irgendwann bei einem Label vorspielten und ihren ersten Plattenvertrag bekamen. Seit damals waren fünf Jahre vergangen. Den Sprung bis nach ganz oben hatten sie nicht ganz geschafft, aber sie hatten bereits Einiges erreicht. Zeno und Mark waren alte Schulfreunde von ihnen, Blair war später aus einer anderen Band mit hinzugekommen. Es hatte drei Jahre gut geklappt, bis Neo Starallüren bekam. Die Band hatte schwer darunter gelitten. Mark war kurz vorm Aussteigen gewesen, Zeno hatte keinen Bock mehr gehabt. Letztlich war es Nero zu verdanken, dass sie heute noch immer in dieser Formation existierten.

Es war an der Zeit gewesen, dass Neo ging. Das hätte viel früher passieren sollen. In gewisser Weise tat es Nero leid, aber es war nicht ohne Grund passiert. Er war nicht dafür verantwortlich, dass sein Bruder das Leben auf die Reihe bekam. Das musste jeder selbst schaffen. Er würde Neo  weiterhin unterstützen, nur wäre dieser nicht mehr Teil der Band.

„Du hast einen Anruf“, riss ihn genau dieser aus den Gedanken. Neo warf ihm das Telefon zu, das Nero gerade haarscharf auffangen konnte.

„Vielen Dank, Bruderherz“, knurrte er und hielt sich den Hörer ans Ohr. Er würdigte Neo keines weiteren Blickes.

„Ja?“

„Hier ist Dean.“

Verwirrt zog er eine Augenbraue in die Höhe. Wie viele Leute kannte er, die Dean hießen?

„Kenne ich nicht.“Am anderen Ende erklang ein schweres Seufzen.

„Doch. Zeno, klingelt es da bei dir?“

„Ja, kann sein. Was gibt’s?“

„Ich wollte fragen, wann das Casting ist … Ich hätte jemanden, den ihr mit Kusshand nehmen würdet. Er ist Autodidakt.“

„Ich will Können hören und sehen. Dabei ist es mir egal, ob autodidaktisch oder nicht.“

„Aber es wäre von Vorteil.“

„Sicherlich. Überzeugt mich aber nicht.“

„Nero, Ray ist einsame Spitze. Du hast ihn gesehen, als ich zu ihm gegangen bin. Diese eins fünfundachtzig Meter große Erscheinung vergisst man nicht.“

Klar wusste Nero, dass von dem blauhaarigen Fremden die Rede war, natürlich wusste er auch, welchen Dean er an der Strippe hatte. Nur würde das alles nichts nützen. Genauso wenig, wie es Mark versucht hatte.

„Wenn er in die Band will, soll er am Freitag kommen. Dann kann er vorspielen.“

„Verdammt. Gibt es einen anderen Termin?“

„Nein. Das Auswahlverfahren ist an dem Abend.“

Es blieb kurz still, bis er Dean tief einatmen hörte.

„Also gut. Wann ist Deadline?“

„Null Uhr. Ich hoffe nicht, dass wir so lange brauchen werden.“

„Ist das ein Scherz?“

„Nein. Es haben sich viele gemeldet.“

„Okay, na dann. Man sieht sich.“

„Jap.“

Damit legte Nero auf. Es war verrückt, dass zwei unterschiedliche Personen am gleichen Tag sagten, dass der Goth für die Band geeignet war. Demonstrativ fand Nero, dass das nicht der Fall war. Er hatte das ungute Gefühl, das ihm der Kerl auf irgendeine Weise gefährlich werden konnte ...

 

***

Kapitel 4 – Ray

 

Musik war Gefühl. Musik war Leben. Pulsierend, ausdrucksstark. Mitreißend in den Sog unterschiedlicher Klänge. Musik war Trost. 

 

 

Leseprobe Ende!


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Impressum

Texte: Copyrights obliegen T.S. Nightsoul. Verwendung, Vervielfältigung und/oder Abspeicherung, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Genehmigung des Autors nicht gestattet!
Bildmaterialien: Coypright obliegt T.S. Nightsoul.
Lektorat: Sappho Sonne, Gerry Stratmann
Tag der Veröffentlichung: 04.07.2013

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