WORLD WIDE TIMES - WICHTIGE MELDUNG
Juli 2025 - Die Bevölkerung der Erde nimmt stetig ab. Es entschließen sich kaum noch Paare dazu, Kinder zu gebären. Dies wird in wenigen Jahren zu masssiven Problemen führen: es wird mehr alte als junge Menschen geben. Die Welt steht vor einer Vergreisung.
Dieses Problem resultiert einerseits aus der erhöhten Anzahl an gleichgeschlechtichen Paaren, die sich meist für eine Adoption entscheiden, und andererseits an der Entscheidung der meisten Paare nur ein Kind zu gebären. 47% der Paare bleiben sogar kinderlos. Wissenschaftler und Staatsoberhäupter arbeiten nun seit fünf Jahren an einem Konzept um dem Problem entgegenzuwirken. Viele mögliche Lösungen, die totale Kontrolle bedeuten würden, finden bei der Bevölkerung keine Zustimmung. Das Problem wird hinuntergespielt, dabei wächst das Ungleichgewicht an Alt und Jung stetig an.
In einem Testprogramm wurden deshalb fünf Länder weltweit ausgelost, in denen diese "totale Kontrolle" gegebenenfalls stattfinden wird. Diese fünf Länder sind: Frankreich, Argentinien, Nigeria, die USA und China. Die Teilnahme an dem Testprogramm ist Pflicht. Drei dieser fünf Länder werden endgültig teilnehmen, die Länder die sich schlechter eignen, werden aus dem Testprogramm genommen. Jeder der bis zum 12. August 2025 Staatsbürger dieser Länder ist, muss teilnehmen.
August 2025 - Alle Vorkehrungen für das Testprogramm wurden durchgeführt. Die endgültigen Teilnehmer sind: Frankreich, China und die USA. Innerhalb der nächsten Wochen wird das erste Mal das alljährige "Elegit Amoris"- Programm starten. Datiert ist der Beginn auf den 14.September. Es dauert drei Monate, und 160 Jugendliche werden teilnehmen müssen. Die Teilnehmer werden unter den 17-21 jährigen Mädchen und Jungen ausgelost - freiwillige Teilnahmen können ebenfalls eingereicht werden. Diese 160 Jugendlichen werden sich im Staatshaus des Landes eintreffen müssen. Ziel des Programms ist es, diese 160 Jugendlichen untereinander zu vermitteln, auch hier sind freiwillige Einreichungen erlaubt - diesen muss jedoch nicht zwingend stattgegeben werden. Nach dem Aufenthalt im Staatshaus müssen sich die 80 Paare alle sechs Jahre melden und nachweisen, dass sie an Familiennachwuchs arbeiten. Jedes Paar soll drei Kinder hervorbringen - sollte es wegen gesundheitlichen Problemen nicht funktionieren, wird eine Sondergenehmigung ausgesprochen. Allerdings müssen diese Probleme vom Staatsarzt bestätigt werden. Den Paaren wird zudem ein Haus zur Verfügung gestellt, sowie Berufsmöglichkeiten. Wir wünschen den drei Ländern viel Erfolg und hoffen auf ein positives Erlebnis, so dass in jedem Land das "Elegit Amoris"-Programm starten kann.
August 2025 - Sechs weitere Länder haben sich freiwillig dazu entschieden das "Elegit Amoris"-Programm einzuführen.
Juli 2043 - Inzwischen sind alle Länder der Welt bis auf wenige Ausnahmen (Schottland, Australien, Malta und Chile) dem Programm beigetreten. Die Population ist nun im Gleichgewicht. Die Anzahl der erwünschten Kinder ist nun von drei auf zwei gefallen. Wir wünschen der Welt weiterhin viel Erfolg mit dem Programm, und hoffen auf ein Bestehen der Lösung.
April 2060 - Alle Länder bis aus Australien sind am Programm beteiligt.
Es ist nun zwei Jahre her, seitdem mein großer Bruder Sebastian uns verlassen hat. Er ist nicht, wie die meisten, zurückgekehrt, er hat sich nie wieder gemeldet. Wir wissen nicht, wo er ist, mit wem er dort ist und wie es ihm geht. Jeder Versuch meiner Eltern mit einem Verantwortlichen darüber zu reden wurde abgelehnt. Sie bekamen immer die selbe Antwort : »Ihr Sohn ist jetzt ein verheirateter Mann, wie er sein Leben führt ist seine Entscheidung, genau wie es seine Entscheidung ist, sie dort nicht mit einzubinden.«
Er ist in seinem ersten wahlberechtigten Jahr ausgelost worden, und ist mit siebzehn ins Staatshaus gezogen. Dort haben wir ihn auch dreimal besucht, pro Monat einmal. Öfter war es uns nicht gestattet. Bei unseren Besuchen war er immer gut gelaunt, hat gelacht, ihm ging es gut. Er hat uns auch von dem ein oder anderem Mädchen erzählt, und, dass er einen Antrag stellen wird um mit einem Mädchen namens Thea zusammenleben zu können. Thea haben wir nicht kennengelernt, genau so wenig wie sein Endergebnis. Wir wissen nicht, wen und ob er geheiratet hat, ob er schon ein Kind vorweisen kann. Wir wissen nichts.
Jetzt sind nur noch mein Bruder Elias und ich übrig. Wir werden in drei Wochen siebzehn, gerade rechtzeitig genug, um bei der Auslosung berücksichtigt zu werden. Denn es zählt nicht, ob man am Tag der Auslosung siebzehn ist, sondern zu Beginn oder im Verlauf des Elegit Amoris Programms. Mein Bruder und ich haben genau zwei Tage nach dem Start des Programms unseren Geburtstag. Ich hoffe sehr, noch nicht gezogen zu werden, ich will nicht mit siebzehn heiraten, und noch weniger, will ich nicht gezwungen werden jemanden zu heiraten, den ich nicht liebe. Mein Tram war es auch immer nach Australien auszuwandern. Aber ich habe nicht genug Geld um an die Sondergenehmigung zu kommen. Deshalb werd ich wohl oder übel, früher oder später am Programm teilnehmen müssen. Mein Bruder ist da ganz anderse als ich, er kann es nicht abwarten ein Teil des Ganzen zu werden. »Es ist doch echt gut zu wissen, dass jeder seinen Deckel finden wird. Und das, ohne wirklich etwas dafür zu tun.«, sagt er immer wieder. Doch ich bezweifle, dass das der Sinn des Ganzen ist. Liebe sollte nicht aufgezwungen sein, es sollte das größte und tollste Gefühl sein, das jemand fühlen kann. Liebe fühlt man nicht nur, man sieht sie, schmeckt sie, riecht sie, man nimmt sie mit allen Sinnen wahr - und das kann ein Computer nicht wissen, so wird er niemandem dem zuordnen, den er wahrhaftig lieben kann. Denn Liebe ist genau so wenig berechenbar, wie schlüssig.
Aber hier hat niemand eine Wahl. Es gibt kein »Willst du teilnehmen?« sondern ein »Entweder du nimmst teil, oder du wirst exekutiert.« - wobei letzteres nicht seit Anfang Bestand hatte. Aber Systeme werden wohl mit der Zeit immer strenger.
Mein Spiegelbild heute gibt mein Innerstes eins zu eins wieder. Meine Haut ist blass, viel blasser als sonst. Unter meinen Augen haben sich leicht gräuliche Ringe gebildet, die meinen Augen ihr grün entzieht und sie grauer wirken lässt, als ich es jemals gesehen habe. Meine Lippen sind trocken, so trocken, dass man denken könnte, ich hätte seit Tagen weder etwas getrunken noch etwas gegessen. Nur meine Haare sind wie immer - sie fallen mir bis knapp unter die Brust, und wellen sich in den Spitzen. Auch die Farbe ist wie immer, ein braun so dunkel, dass es fast schwarz ist. Mein Bruder sieht mir nur dort ähnlich. Er hat wie ich braune Haare, die ebenfalls gewellt sind, aber sonst sehen wir uns kaum ähnlich.
Ich nehme meine Bürste und schaue sie an. Ich habe keine wirkliche Lust mich fertig zu machen. Nicht weil ich furchtbar aussehe, sondern weil heute Fotos aufgenommen werden, die für die Auslosung bereitgestellt werden müssen.
»Geht's dir nicht gut?« Mein Bruder steht an der Türschwelle. Seine hellbraunen Haare hat er ganz locker auf die Seite fallen lassen, seine braunen Augen wirken größer als sonst, und auch seine sonst eher schmalen Lippen sehen breiter aus. Seine Arme sind verschrenkt, aber sein Blick ist freundlich und er hat ein Lächeln auf seinem Gesicht. Er ist immer der fürsorgliche von uns dreien gewesen.
»Nein, mir geht es nicht gut.«
»Mach dir keinen Kopf, ich bin mir sicher, dass du auch selbst die Wahl haben kannst, du kannst immer einen Antrag stellen.«
»Toll. Kinder muss ich trotzdem kriegen, und das weder wann, noch wie viele ich will.«
Elias Blick weicht von mir ab, er holt tief Luft und guckt mich dann direkt an.
»Zoe, keiner will das Programm, aber wir können uns dem Programm nicht entziehen, da ist es besser soweit es geht, positive Gedanken zu fassen. Ich hab genau so wenig Lust mein Leben wie ein Stundenplan führen zu müssen.«
Das ist das erste Mal, dass sich mein Bruder negativ über das Programm äußert, aber jetzt weiß ich auch, warum. Er wollte mir das ganze so angenehm wie nur möglich gestallten.
»Danke, Elias.«
Beim Frühstück sitzen sowohl meine Mutter als auch mein Vater angespannt am Tisch. Sie haben Angst. Angst davor, dass einer - oder schlimmer, wir beide - sich dem Programm unterziehen muss. Das letzte Mal als ihr Kind ausgelost wurde, sahen sie es nach drei Monaten nicht mehr wieder, haben kein Lebenszeichen bekommen. Nichts. Sebastien fehlt uns. Ty - so hat ihn Elias seit klein auf immer genannt, fehlt uns. Er hat ein großes Loch in unser Leben gerissen.
»Wir fahren um drei Uhr los. Bis dahin seid ihr bitte fertig.«
Der Blick meiner Mutter fällt dabei auf mich. Meine Mutter sieht mir und Elias gar niht ähnlich, nur Ty ist nach ihr gekommen. Er hat ihre ihre dunkelblonden Haare, ihre stahlblauen Augen und hohen Wangenknochen geerbt. Ich hab lediglich meine vollen Lippen von ihr, Elias hat die eher schmalen Lippen meines Vaters.
»Würdest du mich für später schminken, Mom?«
Es ist nicht so, dass ich mich nicht selbst schminken kann, im Gegenteil, ich mag es sehr gern, aber ich weiß, dass meine Mama es immer schon einmal tun wollte. Und da ich mich heute wirklich kraftlos und müde fühle, bin ich bereit ihr heute einen Versuch zu gewähren. Ich will sie heute glücklich sehen, ihr für den Bruchteil einer Sekunde die Angst nehmen.
»Bist du dir sicher, dass du das willst?»
Ihr Blick ist immer noch starr, aber ein leichtes Zucken an ihrem Mundwinkel bestätigt meine Vermutung.
»Ich bin mir da ganz sicher, Mom.«
Wir sind im großen Badezimmer meiner Eltern. Ich war noch nicht oft hier, aber es ist ein sehr schönes und großes Bad. Die Fliesen sind hellblau, und geben einem das Gefühl man wäre unter Wasser. Meine Mutter hat mir die Haare gewaschen und mir meine Augenbrauen gezuckt, dabei war sie still und konzentriert. Und ich würde sie gerne Dinge fragen, aber ich weiß nicht, ob ich die Antworten darauf wissen möchte.
»Mom?«
»Was ist mein Schatz?«
Sie guckt mich an, und streichelt mir mit ihrer linken Hand über die Wange. Ihre stahlblauen Augen bohren ein Loch in mich, ich sehe ihre Trauer, und habe Angst, dass ich diese Trauer steigern könnte. Denn anders wie meine Eltern und mein Bruder, glaube ich nicht, dass sich Ty aus freiwilligen Stücken dazu entschieden hat, sich nicht mehr zu melden. Und was ist, wenn mir das selbe aufgetragen wird?
»Erzählst du mir von deiner Zeit beim Programm? Du hast immer gesagt, dass, wenn die Zeit reif ist, würdest du mir alles erzählen. Und ich denke es ist allmählich die Zeit gekommen.«
Meine Mutter nickt, und setzt sich vor mir auf die Klobrille. Ihre Arme legt sie in ihren Schoss, und bevor sie zu sprechen beginnt holt sie einmal tief Luft und guckt für kurze Zeit an die Decke.
»Ich war achtzehn, als meine Mutter mich freiwillig angemeldet hat. Weder ich, noch mein Vater wussten davon, bis wir es auf der Zeremonie der Elegit Amoris erfahren haben.«
Freiwillig.. Meine Oma, die ich nie kennengelernt habe, hat meine Mutter also freiwillig eingetragen.
»Ich hatte keine Wahl als teilzunehmen, du weißt ja was seit 2039 sonst passiert.. Also bin ich am 14.September 2040 ins Staatshaus gezogen. Am ersten Tag gab es eine große Zeremonie, in der wir über den Ablauf bestimmte Dinge erfahren haben. Auch über die Test, die innerhalb der drei Monate durchgeführt werden. Die nächsten zwei Wochen gab es keine wirklichen Kurse, in denen wir uns eintragen mussten, es gab nur Zeit Leute kennenzulernen. Ich hab den ein oder anderen Jungen kennengelernt, aber keiner hat mir zugesagt, keiner hat mich wirklich begeistert. Und auch bis kurz vor Schluss - selbst nach den Cope Tagen, in denen einem an drei Tagen drei bis fünf Jungs vorgestellt werden, die laut Computer zu einem passen, hatte ich mich noch zu keinem hingezogen gefühlt. Kein Stück.«
Cope Tagen.. Davon höre ich zum ersten Mal. Meine Mutter wendet ihren Blick endlich von der Decke ab, und schaut mir tief in die Augen und zwingt sich ein Lächeln auf. Irgendwas hat sie ausgelassen..
»Und weiter? Wann kam Dad ins Spiel?«
»Ich habe in den gesamten drei Monaten dort nur einen Kurs mit deinem Vater gehabt, und wir haben nicht ein einziges Mal miteinander gesprochen. Erst zwei Tage vor dem Programm-Ergebnis haben wir miteinander gesprochen. Und auch da, hatte ich genau so wenig Kribbeln im Bauch, wie bei all' den anderen Jungs. Aber er war schon anders, man sah ihm an, wie viel Mühe er sich gab, gut rüber zu kommen. Das fand ich süß.«
»Ich dachte immer du und Dad hättet euch im Programm verliebt..«
»Nein, Schatz. Dein Dad und ich haben uns erst ineinander verliebt, nachdem uns das Programm zusammengeführt hat. Erst in den zwei Wochen Probephase hat es gefunkt, und wir haben uns für ein gemeinsames Leben entschlossen. Nach sechs Jahren, also mit 24 hab ich dann Ty auf die Welt gebracht, gerade rechtzeitig genug um nicht in Schwierigkeiten zu geraten, wie Kate.«
Kate.. an sie hab ich seit Jahren nicht mehr gedacht. Sie war unsere Nachbarin, und ist schon mit siebzehn ins Programm gekommen. Sie und ihr Mann, Ethan, wirkten glücklich, sollen auch nicht zugeordnet worden sein, sondern durch ein Antrag. Aber als Kate auch nach sechs Jahren kein Nachwuchs hervorbringen konnte, wurde sie ins Staatshaus gebeten, dort hat man bei ihr keine gesundheitlichen Probleme festgestellt, und deshalb wurde sie zu dreijähriger Haft verurteilt. Ihr Mann Ethan jedoch, er hatte Probleme, die er aus Stolz nicht zugeben wollte. Erst kurz vor der Einhaftierung Kates meldete er sich beim Staatsarzt. Dort stellte man fest, dass er durch eine Infektion inpotent ist. Er musste eine hohe Geldstrafe zahlen, und Kate wurde künstlich befruchtet. Ethan und sie leben zwar immernoch zusammen, haben nun auch eine Familie, aber sie sind umgezogen. Nach Brasilien, wo die meisten Paare mit einem "kranken" Elter leben.
»Es gibt eine Probephase? Was geschieht, wenn man sie nicht erfolgreich übersteht?«
»Entweder man wird unter den anderen gescheiteten Ehen an Partner vermittelt, wenn der Computer keine Übereinstimmung findet, muss man ein Jahr später erneut ins Programm. Dein Vater war zum Beispiel zum zweiten Mal dort. Deshalb war er so bemüht alles richtig zu machen.«
Das erste Mal seit sie mir von ihrem Programm erzählt, lächelt sie. Und ich weiß, dass es an meinem Vater liegt. Sie liebt ihn wirklich, und auch er liebt sie. Sie haben sogar noch einen Antrag auf ein weiteres Kind gestellt, allerdings wurde bsiher noch keine Antwort gegeben. Mit zweiundvierzig ist sie aber bestimmt schon zu alt.
»Ich wusste gar nicht, dass man mehr als nur einmal am Programm teilnehmen kann.«
»Es ist auch keine öffentliche Information. Ohne deinen Vater wüsste ich auch nichts davon, Zoe.«
»Mom? Ich glaube du musst mich weiterschminken, naja, wohl eher anfangen.«
Ich zeige mit meinem rechten Zeigefinger auf die Uhr, es ist schon zwei Uhr. Und bis zum Staatshaus müssen wir zwanzig Minuten fahren, also haben wir nicht mehr viel Zeit.
»Okay, aber damit es spannender wird..«
Meine Mutter nimmt ein großes weißes Handtuch, und hängt es über den Spiegel. Ich schüttle lachend den Kopf und auch sie lacht. Ich schließe meine Augen und versuche zu erahnen was sie vorhat. Zuerst trägt sie eine Creme auf mein Gesicht auf. Dann trägt sie etwas mit einem Pinsel über mein Gesicht auf, dann schmiert sie mir etwas unter die Augen und um die Nase - Concealer. Danach erneut ein Pinsel übers Gesicht - Puder. Dann streicht ein Pinsel sanft über meine Schläfen und meine Kieferpartie - Bronzer. Ein weitere Pinsel streicht meine Wangenknochen und für einen kurzen Moment meine Nase - Rouge. Dann kämmt sie meine Augenbrauen, und trägt Lidschatten auf meine Augenlider auf, sowie Wimperntusche. Auf meine Lippen trägt sie entweder Lippenstift oder Lippenbalsam auf, alles außer Gloss, denn es klebt nicht.
»Ich mach dir jetzt deine Haare, lass deine Augen am besten geschlossen.«
Sie macht den Föhn an und wirbelt meine Haare damit herum. Dann nimmt sie eine Bürste und dreht sie ein und hält dann den Föhn drauf. Dann macht sie das selbe überall, nur vorne dreht sie die Bürste anders. Als letztes sprayt sie Haarlack auf meine Haare und wuschelt noch einmal durch meine Haare.
»Augen so lange zu lassen, bis ich dir sage, dass du sie öffnen kannst, ok?«
»Okay. Bis du sagst, dass ich s-«
»Aufmachen!«
Ich öffne meine Augen, und bin verblüfft. Obwohl sie nicht all zu viel gemacht hat, sehe ich aus wie ein neuer Mensch. Meine Haare sind voluminöser, und sind schon ab meinen Ohren gewellt, nicht nur in den Spitzen. Meine Augenbrauen sind viel definierter, und auch meine Augen strahlen durch das Gold auf ihnen viel grüner. Und auch mein Gesicht sieht viel markanter aus, meine Wangenknochen sehen ihren nun ähnlich. Ich sehe wie sich ein breites Grinsen auf meinem, aber auch ihrem Gesicht ausbreitet.
»Du siehst so wunderschön aus, Zoe.«
Tränen kullern meiner Mutter über die Wangen und ich kann nicht anders, als sie zu umarmen und meine Tränen zurückzuhalten. Ich flüster in ihr Ohr Ich liebe dich, vergiss das nie..
»Ich liebe dich auch, mein Schatz.«
Da es mit dem Zug viel schneller geht, als mit dem Auto, sitzen Elias, Mom, Dad und ich im Zug. Keiner spricht, weder wir noch sonst eine Familie. Alle sind angespannt. Wirklich freuen tut sich keiner, nur kleine Kinder hört man die Lebensfreude an. Der Rest wirkt halbtot. Zwanzig Minuten vergehen wie im Flug und wir sind im Staatshaus. Es ist nichtmehr lange bis zur Auslosung, noch fünf Tage. Zehn weitere und der 14.September ist da, und somit der Beginn des Programms.
Wir stehen vor einem großen runden Gebäude, das mindestens sieben Stockwerke hoch ist. Die Tage bis zur Auslosung werden wir gottseidank nicht hier verbringen, da wir nah an dem Gebäude wohnen. Viele Familien müssen ihre Zeit hier absitzen, da sie Stunden von hier entfernt wohnen. Das innere des Gebäudes ist zu meiner Verwunderung nicht rund, sondern eckig. Alles ist in Champagner Farben gehalten, bis auf rote und dunkelblaue Details, ist sonst keine andere Farbgebung zu finden.
»Und wir sind den ganzen Weg gekommen, nur um Fotos zu machen?«
»Nein, Zoe. Hat Mom dir das nicht erzählt? Du wirst heute einen Test durchlaufen.«, sagt mein Vater.
»Einen Test?!«
Elias fasst mich an der Hand, und versucht mich zu beruhigen, und zu meiner Verwunderung klappt es.
»Ja, ein Test. Es geht um deine Vorlieben, deine Fähigkeiten.. und ein oder zwei medizinische Test werden auch durchgeführt. Dafür müssen du und dein Bruder die nächsten drei Tage hier bleiben.«
»Hierbleiben? Dad! Ich dachte, nur Leute die nicht hier in der Nachbarschaft wohnen, müssen das.«
»Zoe, bitte, beruhig dich! Die ersten drei Tage bleiben alle Kinder hier, Eltern die weiter weg wohnen bleiben hier, und falls ihr Kind ausgelost wurde, bleiben sie zehn Tage. Ihr müsst, wenn ihr..«
Mein Vater schluckt, sein Blick füllt sich mit Trauer, und seine mandelförmigen Augen werden gläsrig.
»Wenn ihr ausgelost werdet, könnt ihr für die zehn Tage nach Hause, und müsst erst zu Beginn des ganzen wieder hier hin. Gegebenenfalls müsst ihr nochmal für Untersuchungen her, aber darüber machen wir uns jetzt keinen Kopf.«
Elias und ich müssen uns nun von unseren Eltern trennen, wenn auch nur für kurz. Und kurze Zeit später sind wir auch schon aufgeteilt, erst in Jungen in Mädchen und dann in die verschiedenen Altersklassen.
Die meisten Mädchen, mit denen ich jetzt in einem Zimmer auf weitere Anweisungen warte, kenne ich nicht. Ein paar Mädchen kenne ich aus der Schule. So wie Gina Fabiano. Wir gehen seit der Grundschule zusammen zur Schule, waren immer in einer Klasse, aber das hat uns nie dazu gebracht uns anzufreunden. Was auch gut daran liegen könnte, dass sie eher Elias' Nähe gesucht hat, und nicht meine. Auch, wenn sie kaum etwas tat, denn sie war sehr schüchtern, und las lieber Bücher. Ich war immer froh darüber, dass sie sich nie bemüht hat durch mich an ihn zu gelangen, wie Olivia, genannt Liv, Ferguson es versucht hatte. Liv ist der wahre Männertraum - blond, grüne Augen, groß und schlank, aber Elias hat an ihr nie viel Interesse gefunden. Aber Liv hat es trotzdem immer wieder versucht, und das obwohl Elias nie versucht hat bei irgendeinem Mädchen zu landen. Er hat sich noch nie jemandem geöffnet, und auch mir gegenüber zeigt er sich distanziert, und das obwohl wir Zwillinge sind - auch wenn man uns das nicht ansieht, aber das ist bei zweieiigen Zwillingen ja nicht so unüblich.
Aber es gibt auch Mädchen in meinem Alter, mit denen ich sehrwohl befreundet bin. Selena Lopez. Meine beste und längste Freundin. Es gibt niemanden wie sie. Sie ist einzigartig, und hält zu mir - immer. Aber heute müssen wir das ausblenden. Denn wir sitzen an Pulten, in einem großen weißen Raum und vor uns ist eine große Maschine, und neben ihr sitzt eine Frau.
»Guten Tag. Mein Name ist Thea Dalton-Hales. Ich bin achtzehn Jahre alt, und bin eure Tutorin. Sowohl für die Vorbereitungsphase, als auch für das engültige Programm.«
Hat sie gerade wirklich Hales gesagt? Hales wie in Zoe Hales, oder Sebastian Hales?
»Ihr seht vor euch ein Formular. Tragt dort alles ein, was von euch gefordert wird. Es geht um eure Stärken. Eure Schwächen. Um eure Wünsche für die Zukunft - sowohl, was den Beruf und den Partner betrifft. Dazu lässt sich sagen, dass - wie wenige wissen, beides durch dieses Programm ermittelt wird. Die Berufe lassen sich, wie ihr alle wisst in Berufsklassen einteilen. Von AA bis Q. Mein Beruf befindet sich in Klasse B, und ist somit hoch angesetzt, da er beamtet ist. Ich bin hier im Namen des Staats. Mein Mann hat einen Beruf in Klasse A. Meine hohe Stellung hab ich meinem Rang zu verdanken. Dieser bildet sich aus den Testergebniss im Programm. Die genauere Bestimmung ist nicht bekannt. Alles was ich euch raten kann ist, fallt nicht negativ auf.
Dass das Programm euren späteren Lebensgefährten ermitteln soll, ist sicherlich keine Überraschung, aber ich muss es dennoch einmal erwähnen. Die später durchgefühten Tests werden euch einstufen, und euch dann kompatibel machen für den ein oder anderen Mann. Auch diese Prozedur ist geheim, und ihr erfahrt nur das Ergebnis, nicht den Weg dahin. Natürlich könnt ihr auch Anträge stellen, und ja - einige werden durchaus angenommen, aber das gilt noch lange nicht für alle.«
Ein Mädchen zwei Sitze neben mir hebt die Hand.
»Entschuldigen sie Miss Dalton-Hales, meine Mutter meinte, dass Anträge nur angenommen werden, wenn sie sich auf die Teilnahme beziehen, nicht auf den Lebenspartner. Hat sie gelogen?«
»Ich muss dich leider enttäuschen, ja deine Mutter hat gelogen. Anträge werden sehrwohl stattgegeben, unter welchen Bedingungen, weiß ich nicht. Aber ich kann dir versichern, dass es durchaus eintrifft.«
»Warum sollte meine Mutter mich anlügen?«
»Ich erinnere dich noch einmal daran, nicht negativ aufzufallen. Aber damit du dir sicher sein kannst, es klappt. Ich und mein jetziger Ehemann haben damals einen Antrag gestellt. Ich habe seinen Namen beim letzten Testprogramm angegeben, und er meinen. Und nun leben wir zusammen, und sind glücklich. Beantwortet das deine Frage?«
Das Mädchen nickt eingeschüchtert, und zieht ihre Ärmel lang. Der erste Satz wird sie mehr eingeschüchtert haben, als ihr lieb ist.
»Ich bitte euch nun, den Bogen auszufüllen. Ihr habt vierzig Minuten Zeit. Danach werdet ihr in ein Raum geführt, dort werden Bilder und Fingerabdrücke von euch genommen. Viel Erfolg.«
Ich schaue mir den Bogen an, und habe die Hälfte nach zehn Minuten ausgefüllt. Alles zu meinem Namen, meiner Herkunft, meinem Wohnort, sowie meine schulischen Daten sind einwandfrei eingetragen. Als es um meine Familie geht, zucke ich kurz zusammen, entschließe mich dann jedoch dazu, ehrlich zu antworten. Ich schreibe alles auf. Dass meine Eltern fürsorglich waren, nie etwas verwerfliches gemacht haben und sich sehr lieben. Ich schreibe auch, dass ich mit meinem Bruder eine sehr gute Beziehung habe, und wir uns alles - fast alles, erzählen. Und ich schreibe auf, dass mein anderer Bruder sich dazu entschlossen hat, uns zu verlassen.
Bei der Stärken und Schwächen Tabelle bin ich wieder ehrlich, so dass meine Schwächen überwiegen, aber das stört mich nicht. Ich bin gerne ehrlich, auch wenn es vielleicht dumm ist.
Die letzten Fragen beanspruchen mich dann doch mehr. Was willst du beruflich machen? Ich wollte immer Künstlerin werden, irgendetwas mit meinem einzig wahren Talent anfangen, aber der Beruf gehört zu den unteren Klassen. Stattdessen schreibe ich Polizistin hin. Das wollte mein Vater immer. Er wollte mich als Polizistin, Sebastian als Arzt und Elias als Anwalt. Wie viele Kinder willst du? Ich würde am liebsten eine Gegenfrage stellen, nämlch, ob ich das wirklich zu entscheiden habe, aber ich will ja nicht negativ auffallen. Also schreibe ich drei auf.. und begründe es damit, dass es mir immer gefallen hat, zwei Geschwister zu haben. Und das einer zu wenig sei, ich mir aber durchaus denken kann, dass drei zu viele wären. Wie sollte dein Lebenspartner sein? Auch hier juckt es mich in den Fingern. Ich will das selbst bestimmen, und nicht auf das Ergebniss eines leblosen Objekts hoffen. Aber ich packe meinen Zorn in meine Taschen und schreibe hin, was ich gerne in Jungs sehe. Aufrichtigkeit, Intelligenz, Stolz, Fleiß und Ambitionen. Die Spalte zu Äußerlichkeiten lasse ich aus, das interssiert mich nun wirklich nicht. Und schon bin ich bei der letzten Frage Möchtest du dich freiwillig melden? Ich kreuze direkt das Kästchen an, das zur Antwort Nein gehört. Mich freiwillig zu melden, wäre das letzte, was ich tun möchte.
Nun werden wir in alphabetischer Reihenfolge in den Nebenraum gerufen. Ich bin eine der ersten, und folge Thea in den Nebenraum. Sie ist viel jünger, als sie wirkt. Ihre weiße gradlinige Kleidung macht sie ernster und älter. Auch ihr eher neutraler Gesichtsausdruck schmeichelt ihr nicht, und das, obwohl sie ein wunderschönes Mädchen ist. Lange braune Haare, strahlend grüne Augen und rundlich geformte Lippen.
»Bitte stelle dich vor den Computer auf die Markierung. Nach dem Countdown von fünf Sekunden wird ein Foto geschossen. Die Linse ist in der Mitte über dem Monitor des Computers. Danach drückst du deinen Daumen auf den Scanner.«
Ich begebe mich also auf die Markierung und schaue in die Linse, aber meine Gedanken sind ganz wo anders. Ist diese Frau, diese Thea wirklich die Frau meines Bruders? Weiß sie mehr als ich? Warum er sich nicht meldet? Oder ist sie der Grund? Bevor ich mir noch eine Frage stellen kann, ist das Bild geschossen, und ich muss näher an die Gerätschaft. Ich halte meinen Daumen auf die durchsichtige Platte, und folge dem blauen Strahl, der meine Fingerkuppe auf- und abfährt. Nach insgesammt zwei Minuten bin ich fertig.
»Hast du noch Fragen?«
»Ja.« Bevor ich denken kann, ist es aus mir rausgeschossen. »Ist Ihr Ehemann Sebastian Hales?«
»Du bist seine Schwester, stimmt's?« Sie lächelt mich an. Ich bin verwirrt.
»Ja, die Schwester, die seit zwei Jahren nichts mehr von ihm ge-«
Sie drückt ihre Handfläche auf meinen Mund, und schaut sich dann hastig um. Dann schüttelt sie den Kopf.
»Zoe, du musst vorsichtig sein, was du laut aussprichst, schon deine erste Frage ist grenzwertig.« Sie bückt sich nach vorn, und flüstert mir etwas ins Ohr. »Ich werde dir ein anderes Mal mehr sagen. Ich kann jetzt nicht darüber reden. Und jetzt tu so als ob ich dir gesagt habe, dass dein Schnürrsenkel oder Hosenstahl offen ist.«
Ich lächle und bücke mich um meinen geschlossenen Hosenstahl hochzuziehen. Dann bedanke ich mich und warte im Nebenzimmer darauf, bis auch das letzte Mädchen wieder da ist.
Nach ihr kommt dann auch Thea rein. Sie guckt auf ihr Klemmbrett und dann zu uns.
»Ihr seid 36 Mädchen. Von euch haben sich heute drei bereis freiwillig gemeldet. Ein paar weitere wurden von ihren Eltern freiwillig gemeldet, allerdings steht mir da nicht zu Namen zu nennen.«
Sie geht die drei Namen durch, und trägt alles als korrekt ein. Danach wendet sie ihren Blick wieder zu uns, ihr Blick ruht schließlich auf mir.
»Für heute habt ihr keine Tests mehr, morgen früh, werdet ihr medizinisch versorgt. Am Nachmittag folgt der erste Test, danach können einige von euch für ein paar Tage nach Hause, der Rest bleibt hier.«
»Also ist sie tatsächlich die Frau von Ty?«
»Pscht. Ich darf darüber gar nicht reden, aber ich musste. Und Elias ist nicht hier.«
»Ich bin also dein Elias Ersatz, nett.« Merkt Sel belustigt an, und schaut zu mir rüber.
Wir sind inzwischen im Nachtsaal und richten uns für die Nacht ein. Sel und ich haben uns nebeneinander gelegt und reden im Flüsterton. Auch, wenn ihr das schwer fällt.
»Zoe?«
»Ja, was ist?«
»Versprich mir bitte, dass wir immer Freunde bleiben. Lass mich nicht hängen.«
»Ich verspreche es. Du bist mir sehr wichtig, Sel. Ich werde dich nicht einfach so hängen lassen.«
»Gut, denn ich werde dich unter gar keinen Umständen hängen lassen.«
Sie erhebt ihre Stimme, und wird so laut, dass uns einige Mädchen dumm von der Seite angucken - darunter auch Liz. Sie liegt in der hinteren Ecke des Zimmers und schaut ununterbrochen auf ihren Becher. Sie sieht angespannt aus, so als ob sie genau so ungern hier ist, wie alle anderen.
»Guck mal Liz an, sie scheint auch nicht glücklich zu sein.«
»Warum wohl, Zoe? Morgen sind die Tests, und sie weiß, was bei ihren rauskommen wird.«
»Was meinst du?«
»Na der Fakt, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Das bringt einen nicht in Schwierigkeiten, aber es erschwert ungemein einen guten Rang zu erzielen. Warum, ist natürlich total schwachsinnig und sinnlos, aber so ist ja..«
»Pscht, Selena, reiß dich zusammen.« Ich reiße meine Augen weit auf und gebe ihr einen leichten Schlag.
»Wie gesagt, sie wird sich morgen einigen Fragen unterstellen müssen. Auch mit wem sie es getan hat. Ich schätze mal die Liste wird lang.«
Jungfrau. Ein schwerwiegendes Wort. Vor allem in Gesellschaften wie unseren, wo man zur Bruthenne aufgezogen wird. Wer sich vor dem Programm entjungfern lässt, hat durchaus Probleme. Wie Selena richtig klarstellt, bringt es keinen in direkte Gefahrt, aber es erschwert einiges. Auch das letztendliche Ergebnis soll dadurch stark beeinflusst werden. Das Ergebnis wird zweimal durchgeführt vor dem Programm, und dreimal währenddessen.
»Zoe? Ist alles in Ordnung?«
»Ist doch total unfair. Bei den Jungs kann man das doch gar nicht nachweisen.«
»Oh doch, mein Bruder war ja letztes Jahr bei der Untersuchung. Und er war noch eine. Hätte nicht gedacht, dass er das so brav durchhält.» Selena schneidet eine Grimasse, und ich muss dermaßen lachen, dass wir erneut von allen Seiten angestarrt werden.
»Sag mir nicht, er guckt immernoch so, wenn er schläft.«, brülle und lache ich zugleich.
»Ich weiß nicht, wie er so schlafen kann, aber er tut es. Zunge auf die linke Seite, Nase nach oben gerümpft. Er sieht aus wie ein Engel, wie ein wahrer Adonis. Vor allem mit seinem ganzen Gesabbere.«
»Aber du bist eine Göttin im Schlaf.«
»Besser als du, Zoe. Du nuckelst immer noch an deinem Daumen.« Gegen Ende des Satzes schießt Sels Stimme nach oben, und sie beginnt für eine Minute an zu lachen. Ich mache mir schon fast Sorgen, als sie sich endlich erholt und mich dann endlich in den Arm nimmt. Sie macht das immer, wenn sie Angst hat, ansonsten zeigt sie sich schwer vor anderen Leuten Gefühle zu zeigen. Und keiner kann leugnen, dass wir uns in einem Raum mit ganz vielen anderen Mädchen sind. Die allerdings auch alle Angst haben.
»Es ist alles in Ordnung, Sel. Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Habe ich nicht, Dummkopf.« Sie setzt ihr bestes falsches Lächeln auf, aber wir kennen es beide nur zu gut.
»Du kannst mir alles sagen, egal was ist. Ich bin deine beste Freundin, ich bin immer für dich da.«
Sel beugt sich nach vorne, immer näher an mein Ohr. Und dann flüstert sie mir fünf Worte in mein Ohr. Ich höre, wie sie zu weinen beginnt, und ich nehme sie ganz fest in den Arm. Ich bin keine Jungfrau mehr. Das waren ihre Worte, aber ich kann es immer noch nicht in meinen Kopf packen. Sel war immer die schüchterne von uns, erst zügellos, aber sobald es kurz davor war, Ernst zu werden, schreckte sie zurück.
»Das ist gar kein Problem, Sel. Mein Bruder, er war auch keine mehr, und du siehst ja wo er anscheinend gelandet ist. Er hat einen Beruf in der Klasse A. Also beruhig dich. Du bist siebzehn, die meisten sind es da schon längst. Keiner will unvorbereitet in das Programm, das gibt nur keiner zu.« Eine glatte Lüge..
»Woher weißt du das mit deinem Bruder?«
»Elias hat geschnüffelt, er hat es mir gesagt.« Eine weitere Lüge, aber ich setze mein bestes gefälschtes Lächeln auf, und da weder Sel, noch ich es kennen, klappt es. Sie glaubt mir.
»Danke, Zoe.«
»Das ist gar kein Problem. Und jetzt schlaf. Du willst ja schließlich morgen frisch aussehen.«
»Gute Nacht, Zoe.«
»Gute Nacht, Sel.«
Am nächsten Morgen werden wir um sieben Uhr geweckt, und wir werden in kleine Gruppen eingeteilt. Nacheinander begeben wir uns in den medizinischen Trakt des Staatshauses. Dort werden wir in alphabetischer Reihenfolge in die Untersuchungsräume geführt. Immer zwei Mädchen gehen in je einen Raum, und verbleiben dort. Mal länger, mal kürzer.
Nach eineinhalb Stunden ist mein Name auf der Liste und ich betrete Raum A17. Als ich den Raum betrete trifft mich ein grelles Licht, und meine Augen brennen. Nach kurzer Zeit gewöhnen sie sich daran, und mein Blickfeld wirkt klarer. Alles ist in weiß gehalten. Selbst die Klamotten, die sie mir gegeben haben sind weiß. Allerdings ist es meine Unterwäsche nicht, und man sieht meinen orangefarbenen BH durch das weiße lange Kleid.
»Du bist Zoe Hales? Siebzehn jahre jung? Mein Name ist Quentin Perkins. Der Frauenarzt im Haus, nun ja einer von zweien. Guten Morgen.« Der Mann der mich das fragt, ist recht jung und hat volles schwazes Haar. Seine große runde Brille lässt seine Augen überproportional groß wirken. Alles in allem sieht er aber nicht schlecht aus.
»Ja. Guten Morgen, Herr Perkins.« Ich denke an Theas Rat: nicht negativ auffallen. Aber hier habe ich darauf keinen Einfluss. Nicht einmal die Kenntnis darüber, was negativ auffallen sein könnte.
»Dr.Perkins, wenn ich bitten darf. Warst du schoneinmal bei einem Frauenarzt?«
Ich schüttle den Kopf, und denke an die Worte meiner Mutter. Ich solle mich entspannen, und an einen Ort ganz weit weg denken. Und daran, dass ich bin, wie jede andere Frau auch, also müsse ich mich nicht schämen.
»Wir führen Standarttests durch. Ob du jungfräulich bist, ob du Krankheiten in dir trägst und ob du Kinder austragen kannst. Lehn dich zurück, wir geben dir eine Injektion. Dann merkst du nichts von der Behandlung.«
Neben ihm erscheint eine weitere weiße kleine Gestalt und hält eine Spritze in der Hand. Die Flüßigkeit darin ist violett und schimmert. Ich würde mich am liebsten wehren, aber mir bleibt keine Wahl. Der kleine weiße Mann hebt meinen Arm und spritzt mir die Injektion. Schon nach ein paar Sekunden spüre ich ein Kribbeln, und meine Sinne fallen aus. Ich fühle mich als wäre ich in Transe. Irgendwo zwischen meinen Gedanken, und dem, was die Leute mir einpflanzen wollen.
Ich bin an einem Strand. Ich bin allein, und trage ein schwarzes Kleid. Das erste Mal, dass ich schwarz trage. Ich drehe mich um und blicke in ein bekanntes Gesicht. Es ist mein Bruder Ty.
Er sieht etwas älter aus, und seine Wangenknochen wirken noch prägnanter, aber ansonsten sieht er unverändert aus. Aber die Frage ist, ist er das auch?
»Ty?«
Er schaut mich an, gibt mir allerdings keine Antwort. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, aber im selben Moment macht er einen nach hinten. Ich mache erneut einen Schritt nach vorne, aber er geht wieder einen nach hinten. Ich schaue ihm in die Augen und bemerke noch eine Veränderung. Seine Augen sind leer. Weder die Iris noch die Pupille ist zu sehen. Seine beiden Augen sind komplett weiß, und leer. Er öffnet den Mund und spricht etwas unauslösliches aus.
»Melde dich freiwillig, Zoe. Sorge dafür, dass Elias es auch tut.«
Ich will auf ihn zu, ihm eine verpassen, ihm Fragen stellen, einfach irgendwas tun, aber ich sitze fest. Und auch mein Körper hört nicht auf das, was ich ihm befehle. Er ist versteift. Und dann wache ich auf.
»Die Ergebnisse kriegen deine Eltern die nächsten Tage. Da du noch siebzehn bist, müssen sie sie als erstes einsehen und entscheiden, ob du sie ebenfalls einsehen darfst.«
»In Ordnung. Kann ich jetzt gehen?«
»Ja. Allerdings solltest du dich hinlegen, wir haben dir zusätzlich etwas Blut abgezapft.«
Ich nicke ihm zu, und bemühe mich darum, so schnell es geht den Raum zu verlassen.
Wir haben nun drei Stunden Freizeit, in denen können wir auch die anderen Jugendlichen besuchen. Also ziehe ich eine graue Hose, und ein grünes Shirt an, welches uns vom Staatshaus zur Verfügung gestellt wurde, und mache mich auf die Suche nach Elias. Ich muss ihm sagen, was ich gesehen habe, denn ich bin mir sicher, dass das mein Bruder war. Er hat etwas mit dem Serum gemacht, er muss es einfach. Es war so echt, er war dort. Das kann und darf kein Zufall sein.
Als ich Elias endlich finde, sitzt er auf der Couch in der Lobby. Neben ihm sitzt Valentin, Sels Bruder. Beide staren mich belustigt an, und ich weiß nicht, was los ist, aber dann merke ich es. Ich habe mein Tshirt falsch rum an. Ich ziehe es aus, und drehe es einmal. Dann ziehe ich es wieder an.
»Zoe, du kannst dich doch nicht einfach hier umziehen.« Ich rolle mit den Augen und ignoriere seine Aussage.
»Kannst du kurz kommen?«
»Also mir hat die Vorstellung gefallen. Und sehr schön farbiger BH, Zoe.« Valentin zwinkert mir zu, und lacht dann kurz. Sowas kenn ich gar nicht von ihm, er ist sonst immer sehr still und urteilt für sich. Ich verpasse ihm ein leichten Schlag auf den Hinterkopf und ziehe Elias am Arm zu mir.
»Was ist denn los?«
»Ich habe Ty gesehen, während meiner Untersuchung.«
»Sag mir bitte nicht, er hat dich untersucht.« Ich balle meine Faust und presse sie gegen seine Brust.
»Schon gut, Zoe, tut mir leid. Was ist los?«
»Er war da, als ich unter dem Serum stand. Er meinte, wir sollen uns freiwillig melden. Du und ich, wir beide.«
»Bitte, Zoe, das war deine Einbildung.«
»Nein. Das war es nicht. Er war da, ich konnte ihn riechen, ihn sehen.. er war da.«
»Aber es ergibt keinen Sinn, das war ein Trick. Lass dich nicht einlullen.«
Er legt den Arm um mich und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Dann drückt er meine Schulter, und lässt mich dort stehen.
Aber ich werde den Gedanken einfach nicht los. Vielmehr das Gefühl. Das war mein Bruder, und er muss einen Grund haben, mich dazu drängen zu wollen. Und ich kenne jemanden der mir da eventuell helfen kann. Thea. Sie müsste wissen, ob es echt war oder nicht. Und ich hoffe wirklich, dass sie mir das sagen wird. Aber bis ich sie sehen würde, würden noch einige Stunden vergehen, also widmete ich mich anderen Problemen. Die von Sel. Sie hatte auch ihre Untersuchung heute. Und ich wusste auch nicht, wer es war mit dem sie mehr oder weniger eine Straftat begangen hat..
Ich muss noch eine Stunde warten, bevor Selena den Raum betritt. Sie sieht blass aus, und ihre Augen sind nass. Sie muss geweint haben. Ich gehe auf Sel zu und nehme sie in den Arm. Aber das ist keine gute Idee, denn sie schüttelt den Kopf und drückt mich weg. Dann zieht sie mich in die Ecke des Raums auf eine kleine Couch und beginnt mir etwas ins Ohr zu flüstern.
»Sie haben es festgestellt, und ich musste den Namen angeben, aber..«
»Aber was?«
»Ich wusste nicht, wie ich es ihnen sagen soll, Zoe.«
»Wieso? Wer war es überhaupt?«
»Tony..«
»Tony? Tony wer?«
»Anthony Stark, kennst du etwa noch einen Tony?«
»Er war doch letztes Jahr im Programm. Er müsste doch verheiratet sein.«
»Jein. Er hat kein Ergebnis bekommen, er wird erneut teilnehmen.«
Er hat ihr nur die halbe Wahrheit gesagt. Er war dort, hat ein Ergebnis bekommen, hat aber die Probephase nicht überstanden. Aber viel wichtiger ist, wie zum Teufel ist sie an ihn geraten? Und wie ist es soweit gekommen?
»Wie, woher kennt ihr euch?«
»Woher kennst du ihn denn? Aus der Schule natürlich.«
»Entschuldigung, aber ich habe nie mit ihm gesprochen, geschweige denn..«
»Psscht.. Ich möchte nicht, dass es jemand weiß. Es war.. ich wünschte, ich hätte es gelassen.«
»Bitte erzähl mir doch einfach, was passiert ist. Du hättest mir das schon viel früher sagen müssen.«
»Es war nach der jährlichen Feier in der Schule, du weißt schon, der MiaAmora-Schulball, in Ehren für die Frau, die das sagenreiche Programm hervorgebracht hat. Ich war an dem Abend nicht besonders gut drauf, ich fühlte mich schon seit längerem schlecht. Das war kurz nachdem Felix mit mir Schluss gemacht hat, ich war einfach down. Und du hattest an dem Tag kaum Zeit für mich, du warst ja für die Organisation eingeschrieben. Da bin ich nach dreiundzwanzig Uhr raus und da stand Tony. Er war nett, und wir sind zum Diner gefahren und haben etwas gegessen. Er erzählte mir von seinem Haus am See, und ich war dumm genug dem zu glauben. Wir sind natürlich nicht zu einem Haus am See gefahren. Es war letztendlich nur ein Baumhaus und eine Wand war mit einem Bild von einem Seeanblick tapeziert. Ich weiß gar nicht, warum ich nicht sofort abgehauen bin, aber es war schon ganz süß. Er wirkte auch viel netter als sonst. Dann hat er mir von seiner Schwester Mila erzählt. Diese hat, wie du weißt, Selbstmord begangen, nachdem sie ausgelost wurde. Er fing an zu weinen, ich nahm ihn in meinen Arm und dann kam halt eins nach dem anderen.«
»Und du bist einfach so auf's ganze gegangen?« Ich konnte spüren, wie sich schwere Falten in meine Stirn lagen, und sie wurden immer schwerer, aber ich konnte nicht anders, ich war komplett und total verwirrt.
»Und kurz danach war er immernoch recht süß zu mir. Er kam öfter vorbei, schmiss Steine ganz sacht an mein Fenster. So wie bei Romeo und Juliet, und ich bin schließlich auch nur ein Mädchen. Es war schön von jemandem gewollt zu werden, der so gefährlich schien, und so naja, besonders.«
»Wenn es dir so gefallen hat, warum sagst du dann, du bereust es?«
»Es ging ein paar Wochen so, er kam vorbei, wir naja, taten es, und danach ging er. Als ich dann mal reden wollte, einfach wissen, wo wir stehen, ist er ausgeflippt. Er meinte, dass es reicht von einem Computer herumgeschubst zu werden, da will er das ganze nicht noch erschweren. Ich war sauer, und hab ihm dann eine verpasst. Kurz danach ist er wortlos abgehauen, und seitdem haben wir kein einziges Wort mehr miteinander gesprochen.«
»Magst du ihn denn?« Erst jetzt fällt mir auf, wie daneben ich mich benehme. Sel erzählt mir von einem Jungen, den sie offensichtlich mag, und ich mache ihn schlecht und allgemein meine Reaktion ist ihr gegenüber nicht fair. Ich habe mich auch schon öfters daneben benommen, und sie hat mich nie so angesehen. So vorwurfsvoll und verständnisslos.
»Bitte lach' mich nicht aus, aber ja.«, dann bemerke ich, wie sich ihre Augen mit purer Lebensfreude füllen und auch ihre Mundwinkel nach oben schießen. »Er ist so geheimnisvoll, eigentlich, aber mir hat er soviele Dinge erzählt. Über sich, seine Schwester, seinen Vater und einfach alles. Auch, wie er sich immer Mühe gab düster aber dennoch süß zu wirken.. ich mochte dies doch schon sehr an ihm.«
»Mehr als du Felix mochtest?«
»Natürlich! Felix? Das war nur larifari. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass er niemanden mehr liebt außer sich selbst. Ich habe wirklich noch nie einen Jungen erlebt, der so lange im Bad gebraucht hat. Ne, ne, die Sache mit Tony war anders. Es war echt.«
»Sobald wir zuhause sind, redest du mit ihm. Wenn du wirklich etwas für ihn empfindest, dann muss er das auch von dir hören. Und an seiner Reaktion wirst du seine Antwort lesen können.« Ich nehme ihre Hand in meine, und halte sie ganz nah an mich, und küsse sie.
Sie schubst mich leicht zur Seite, und schüttelt mit dem Kopf. So ist sie immer, wenn man ihr ein bisschen Zuneigung zeigt. Sie ist da ganz sie selbst, und das auch bei mir.
»Danke Zoe. Du bist wirklich eine echte Freundin. Das wusste ich zwar schon lange, aber du zeigt es immer wieder.«
Der erste Test stand an. Wir hatten keine Informationen über ihn, oder sonst irgendwas. Man sagte nur, wir sollen uns in unsere bisherigen Prüfungsräume begeben und auf unsere Aufpasser warten. In meinem Fall ist das Thea.
»Guten Abend, Mädchen. Ihr seid hierhergekommen um am ersten und vorerst auch letzten Test teilzunehmen. Nur diejenigen von euch, die endgültig am Programm teilnehmen, werden schon bald erneut einen solchen Test duchlaufen. Es gibt keine Regeln, und ihr werdet schnell begreifen, was eure Aufgabe ist. Mehr darf ich euch auch gar nicht sagen. Ihr werdet in alphabetischer Reihenfolge von zwei Männern abgeholt. Diese begeleiten euch in ein kleines - nennen wir es, Labor. Dort bekommt ihr dann weitere Anweisungen. Ich wünsche euch ein gutes Gelingen.«
Kaum war Thea fertig, wurde schon eines der ersten Mädchen abgeholt. In ihrem Gesicht stand ganz groß und fett ANGST geschrieben. Aber keiner konnte, und wollte ihr helfen. Wir wussten ja schließlich auch selbst nicht, ob das nötig war. Wir wussten allgemein nichts. Als ob Unwissenheit irgendeinen Erfolg sichern würde, der durch die Wahrheit behindert würde. Ich hielt von all' dem nichts. Ich lügte zwar selbst oft, und ich bemühte mich auch nie darum, jedem alles zu sagen, aber das hier war was anders. Hier ging es um unsere gesamte Zukunft. Was nur als Verkupplungsmaschine begann, ist nun ein ausgekopeltes System, dass uns mehr oder weniger unser gesamtes Leben vorrechnet. Wann wir Kinder kriegen, mit wem wir es tun, wo wir arbeiten, wo wir leben. Deshalb bedeutet das Ende des Programms für viele auch Kontaktabbruch mit jeglichen Verwandten. Es kam nur sehr selten vor, dass Geschwister in die selbe Stadt geschickt wurden. Meine Eltern haben beide mehrere Geschwister, von denen wir allerdings nur die Schwester meines Vaters kennen. Sie und ihr Mann reisen viel, und haben uns jedes Jahr besucht, bis sie ihr erstes Kind bekamen und nur noch selten vorbeischauten. So würde es mir und Elias im besten Fall ergehen, im schlechtesten wäre es so wie zwischen Ty und uns.
Es vergingen nicht viele Minuten, da wurden die nächsten Mädchen abgeholt. Aber keiner der vorherigen kehrte zurück. Das machte uns allen die Sache nicht leichter, und das Geflüster im Raum wurde immer lauter, bis Thea eine Klingel leutete und uns bat still zu sein.
Aber Sel hielt sich nicht lange dran. Sie beugte sich zu mir und flüsterte etwas in mein Ohr. Aber sie tat dies so leise, dass ich nichts verstand. Bevor sie noch einmal den Versuch wagen konnte, kam Thea auf sie zu und heilt ihren Finger an den Mund von Sel. Uns war nun mehr als deutlich, dass reden hier keine gute Idee war.
Um mich abzulenken, schaute ich mir Thea nocheinmal genauer an. Sie war sehr ambivalent. Jung und alt, nett und streng, freundlich und unfreundlich - sie war kein leichtes Buch. Man konnte nur schwer entziffern, was in ihr vorging. Oder besser gesagt, was sie auch nur im geringsten für ein Mensch war. Sie war nicht schwarz weiß, sie wirkte wie ein Grauton. Irgendetwas zwischen Hilfe und Gefahr.
»Zoe Hales. Bitte folgen Sie den beiden Herren, weitere Anweisungen erhaöten sie im Labor.« Das erste Mal, dass Thea mich nicht gedutzt hatte. Aber das war mir nun auch egal, denn plötzlich bekam ich Panik. Was war dieses Labor? Was würden sie da tun?
Vor einer großen grünen Tür blieben die beiden Männer stehen, nachdem wir durch zwei Türen, und vier Gänge gelaufen waren. Sie zeigten auf die Tür, und warteten darauf, dass ich hinter der Tür verschwand.
Im Rauminneren befindet ein Mann, recht groß und dunkelblond. Er steht mit dem Rücken zu mir und bereitete etwas auf einem silbernen Tisch vor. Sein langer weißer Mantel reicht bis knapp über den Boden und verdeckte seine Silhouette. Er ist alleine und hat noch kein Wort gesagt. Angst kommt in mir auf, aber plötzlich paart sich diese mit Neugier. Und auch mit dem Drang, das hier hinter mich zu bringen.
»Guten Tag, mein Name ist Zoe Hale. Ich bin siebzehn Ja-«
»Seit wann denn so förmlich, junge Dame?« Diese Stimme. Tief, kratzig aber dennoch mit einer besonderen Wärme. Ich würde diese Stimme überall erkennen, und auch diese Haare. Ich hätte ihn schon viel früher erkennen müssen. Diesr Mann dort ist kein Fremder. Nein.
»Ty?«
Er dreht sich um und lächelt mich an. Sein Lächeln ist viel schwerer, als das aus meiner Erinnerung.
»Wohl eher Doktor Hales, junge Dame.«
»Nenn' mich nicht so!« Ich schrie so laut ich konnte. Mein Bruder rief mich so, aber jemand der sich nie meldete, nie auch nur irgendein Lebenszeichen von sich gab, dieser jemand durfte das ganz bestimmt nicht.
»Bitte beruhig dich, sonst schicken sie noch einen Aufpas-« Die Tür öffnet sich plötzlich und ein großer Mann fragt, ob alles in Ordnung sei. Mein Bruder nickt und der Mann geht wieder aus dem Raus.
»Ich dachte Thea hätte dir gesagt, dass negativ auffallen hier nicht drin ist.«
»Du wärst also nicht sauer?«
»Wenn du mir jetzt vertraust, werde ich dir Antworten geben.«, seine Stimme verlor immer an Lautstärke, so dass seine letzten paar Worte nur noch ein Bewegen von Lippen war. »Hier ist es nicht sicher zu reden. Aber woanders schon.«
»Dann bring mich dorthin.«
Er holt einen Spritze raus, deutet auf die Liege neben ihm. Ich lege mich hin und schaue in seine Augen. Sie sind müde. Er ist müde, und trotz seinem Bemühen so nett und freundlich zu gucken wie er nur kann, spüre ich seine Trauer. Ich würde ihn so gern in den Arm nehmen, aber mein Stolz spricht dagegen. Ich kann ihm nicht so einfach vergeben. Nicht ohne Antworten.
»Vertraue mir einfach, Zoe.«
Und da spüre ich schon, wie er die Nadel der Spritze in meine Haut sticht und mir die Flüssigkeit injeziert. Sie ist komischerweise warm, und es fühlt sich gar nicht komisch an. Ich beruhige mich, und schenke ihm soviel von meinem ertrauen wie noch übrig ist.
Ich merke wie sich meine Augen schließen und sich jeder Muskel entspannt. Ich spüre wie sich die Flüssigkeit der Spritze in mir ausbreitet und ich mich komplett entspanne.
»Das hier ist die Simulation, die du durchlaufen musst. Erst am Ende kann ich dir das geben, was ich dir versproche habe, junge Dame. Ab gleich werden bis zu einem gewissen Punkt alle deine Handlungen aufgezeichnet, und diese später gegebenenfalls verwertet. Je nachdem ob du meinem Rat folgst oder nicht.«
Seinem Rat? Etwa nicht.. er war es also wirklich. Er hat mir tatsächlich dazu geraten, mich freiwillig zu melden. Aber wieso? Was würde das zur Folge haben? Und wie kommt es dazu, dass ich seine Patientin bin? Sollte es nicht unmöglich sein, ein Familienmitglied zu untersuchen?
Bevor ich mich in Gedanken verlieren kann, überrascht mich eine Welle und trägt mich weit weg von meinem Bruder. Und ob ich es noch so sehr versuche, die Welle hat mich gepackt und trägt mich fort. Ich werde bewusstlos und wache erst gefühlte Tage später auf. Ich habe Schmerzen, und fühle mich dreckig. Ich öffne meine Augen, aber es bleibt dunkel.
»Hallo? Ist jemand hier?«
»Du bist also wach.« Ich höre ein kurzes Knacken, und dann ist auch schon das Licht an. Aus Reflex schließe ich erst meine Augen, und öffne sie langsam. Vor mir sehe ich einen alten Mann. Er hat helle Haut, grelle blaue Augen und kaum noch Haare. Er sieht aus wie die Männer, vor denen meine Eltern mich immer gewarnt hatten in Geschichten. Männer, die unzufrieden waren mit ihrem Leben. Männer, die unsittliche Begierden hatten. Männer, die junge Frauen liebten, so jung, dass es noch Mädchen waren.
»Lassen Sie mich sofort frei!«
Doch der alte Mann schüttelte nur seinen Kopf, und kam langsam auf mich zu. Ich wollte wegrennen, aber ich war angekettet. Und ich fühlte mich auch nicht besonders stark, so als hätte ich lange nichts mehr gegessen. Der Mann kam näher und öffnete seinen Gürtel und grinste finster. Ich sah weg, und mir fiel etwas auf. Es war ein länglicher Gegenstand, der nicht weit von mir entfernt war. Es war ein altes Eisenrohr. Meine Hände waren vorne zusammengekettet, ich konnte also sehr wohl ausholen. Also musste ich mir dieses Rohr so schnell wie möglich aneignen. Ich versuchte meinen Körper in seine Richtung zu bringen, so dass ich das Rohr nehmen konnte. Aber um kein Verdacht zu erregen, schaute ich den alten Mann an, und versuchte so verängstigend wie möglich zu wirken.
»Lauf doch nicht weg, Zoe. Ich will dir doch nichts böses tun.«
»Bitte tun Sie mir nichts.«
»Ich weiß, das erste Mal ist nichts schönes für so kleine Mädchen wie dich, aber das ist es, was mir gefällt.« Über sein Gesicht breitete sich ein ekelhaftes breites und gieriges Grinsen aus. Seine Augen wurden noch greller, und zogen mich förmlich aus. Gerade als er seine Hand an meine Brust legen wollte, schnappe ich mir das Rohr und schlage auf sein Ohr. Er verliert das Gleichgewicht und fällt zur Seite. Ich packe das Rohr fester und schlage ihm in seine Weichteile. Er schreit auf, und will auf mich los, doch ich schlage noch einmal kräftig zu. Einem jungen Mann würde das bestimmt nichts ausmachen, aber er ist nicht mehr jung. Ich hole noch ein letzes Mal aus, und treffe seinen Kopf. Er macht ein leises Geräusch und verstummt dann. Ich durchsuche seine Taschen, aber nirgendswo ist ein Schlüssel. Ich halte die Kette so gut es geht in das Licht und sehe auch, dass es kein Schloss gibt. Die Kette wurde zusammengeschweißt. Ich musste sie also aufbrechen, oder zum schmelzen bringen. Ich sah mich noch einmal im Raum um, und versuchte trotz der Dunkelheit brauchbare Gegenstände zu suchen. Es gab zwar einen Ofen, aber er war weit weg, und ich würde mir auch mehr schaden, als helfen. Ich suchte weiter, und sah in der Entfernung eine Zange. Sie war weder weit weg, noch nah dran. Ich kriechte in die Nähe der Zange und streckte mich so weit es geht, aber mir fehlte ein kleines Stück. Doch dann dachte ich an den Gürtel des Mannes. Ich zog ihn aus der Hose und holte damit aus. Ich berührte die Zange jedes Mal, aber ich konnte sie nicht dazu bringen näher hern zu kommen. Ich überlegte nocheinmal, und sah, dass die Zange neben einer Wand lag, also holte ich erneut mit dem Gürtel aus, aber diesmal so, dass ich ihn gegen die Wand schmettern würde. Ich beschwor meine ganze Kraft herauf und die Zange prallte ab. Ich versuchte mit meiner Hand ranzukommen, aber es half nichts. Ich holte mit dem Gürtel aus, und diesmal warf es die Zange so zurück, dass ich endlich dran kam. Ich nahm die Zange in beide Hände und versuchte an irgendein Ende der Kette zu gelangen. Doch, als ich dies endlich geschafft hatte, hatte ich ein neues Problem. Ich war zu schwach. Ich würde die Kette niemals aufbrechen können. Ich schaute mir die Kette nochmal an, und suche nach der Stelle, wo sie zusammengeschweißt worden war. Dann legte ich die Zange an der Stelle an und drückte nochmal. Ein leises Knacken war zu hören, aber die Kette schien unversehrt. Ich drückte immer wieder, knack, knack und knack. Es waren schon Schramen zu sehen, aber keinerlei Durchbruchstellen. Ich sah mich ein letzes Mal um, aber bis auf unnützes Zeug lag dort nichts rum. Ich suchte nach dem Ort, wo die Kette verbunden war. Die Stelle war hinter mir an der Wand, und sie schien machtbarer zu sein, als die Kette. Ich nahm die Kette in der Hand und zog kräftig. Um die Stelle herum bröckelten die Ziegelsteine ein wenig, aber mehr passiert nicht. Auch nach mehrmaligem dran rumrütteln. Ich nahm die Zange in die Hand und schlug um die Stelle ein. Immer wieder, mit voller Wucht. Und nach eintausendundeinen Versuchen hörte ich, wie sich die Befestigung löste. Ich stand sofort auf und rannte mit den Ketten an meinen Händen los. Doch der alte Mann war auch aufgestanden und hielt eine Waffe in seiner Hand - ein Messer.
»Tut mir leid, Zoe, aber du kannst nicht gehen.«
»Ich werde aber gehen.« Er hatte zwar ein Messer aber ich hatte sowohl die Ketten, als auch die Zange. Ich wirbelte also mit meinen Händen umher, und traf ihn mit der Kette am Auge. Er taumelte zurück und ich holte mit der Zange aus. Erneut auf sein Auge. Doch er fuchtelte mit dem Messer rum und traf mich leicht am Arm. Ich schrie auf, und sah wie ihn das erregte. Er fand es gut, mich getroffen zu haben. In mir stieg die Wut ins Unermessliche. Ich trete ihm in die Weichteile und schlage so heftig ich kann auf seine Hand. Und tatsächlich, er lässt das Messer fallen. Immernoch nur auf einem Auge sehend, bin ich im Vorteil und hole mir das Messer. Das er mich dabei tritt und an den Haaren packt, stört mich nicht weiter. Ich habe nun auch das Messer und steche volle Kanne in seine Brust und versuche das Messer nach unten zu ziehen. Er schaut mich verblüfft an, und nun bin ich es die grinst. Ich hole noch einmal mit der Zange aus, und er landet wie ein Sack Kartoffeln auf dem Boden. Das Blut, das aus seiner Wunde kommt, durchflutet den Raum und ich fühle wieder, wie mich eine Welle davonschwemmt.
Ich bin nun in der Schule, da bin ich mir ganz sicher. Ich würde diese trostlosen Räume überall wiedererkennen. Alles ist in grau gehalten, und nur einzelne Objekte weichen davon ab. Diese sind dann aber auch entweder schwarz oder weiß. Farben wird man also in diesen Räumen nicht finden. Außer mir ist niemand hier. Ich bin alleine, und setze mich einfach an einen der Pulte. Ich senke kurz meinen Kopf, und massiere mir den Nacken. Als ich den Kopf wieder hebe sehe ich ein bekanntes Gesicht. Es ist Valentin.
»Valentin? Was machst du hier?« Doch er antwortet nicht. Ich gehe auf ihn zu, aber er macht einen Schritt nach hinten. Ich bleibe stehen und sehe ihn mir an. Er ist wie immer, kein Lächeln im Gesicht, so als ob es ihn umbringen würde zu lachen, und auch seine Haltung ist wie immer. Aber seine Augen sind tiefschwarz. Ich renne auf ihn los, aber er weicht erneut zurück. Und ohne wirklich zu wissen wie, stehen wir plötzlich auf dem Dach. Er steht am Rande, und schaut mich an. Dann dreht er sich um, und ich ahne was er vorhat, also renne ich auf ihn zu, aber das war dumm. Er macht noch einen Schritt nach hinten, und stehte nur noch wie durch ein Wunder auf der Kante.
»Spring nicht, bitte.« Er drecht sich um und schaut mich an. Er lacht, und dann lässt er sich nach hinten fallen. Ich sprinte auf ihn zu und greife in seine Richtung und hoffe etwas erwischt zu haben, sein Hemd, seine Hand oder sonst irgendetwas. Und ich habe Glück, mit meiner linken Hand halte ich ihn am Kragen. Ich nehme meine rechte Hand und greife nach seiner Hand, aber er hat gar kein Intersse meine Hand zu greifen, stattdessen sieht er mich mit den leeren Augen an.
»Du kannst mir nicht helfen.« Seine Stimme klingt verzerrt, und seine Augen sind nun komplett schwarz. Er greift mit seiner Hand nach meiner und will meinen Griff lösen, aber ich packe seine Hand mit meiner und ziehe ihn hoch. Ich schließe meine Augen und als ich sie öffne, schrecke ich fast zurück. An meiner Hand hängt nun ein komplett fremder Junge. Er hat pechschwarze Haare und braune runde Augen. Seine Lippen sind voll und breit.
»Hilf mir! Lass mich nicht hängen.« Seine Stimme ist warm, und tief. So wie das Gefühl, das man kriegt, wenn man das erste Mal den Kamin anmacht. Ich nicke und packe seine Hände, und merke wie er seine fest um mich schlingt und mit seinen Füßen an der Wand hochklettert. Ich versuche durch Ziehen zu helfen, aber ich bin schwach. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist er mit mir auf dem Dach. Doch im selben Moment befinden wir uns ganz woanders.
Wir sind in einem Meer. Und normalerweise bin ich eine gute Schwimmerin, aber irgendwas hat sich um meine Füße gewickelt - wahrscheinlich Algen. Sie ziehen mich nach unten. Der Junge von eben ist auch dort.
»Komm, da hinten ist ein Boot!«
»Ich hänge fest, ich kann nicht.«
»Warte hier, ich habe eine Idee.«
Er schwimmt auf das kleine Boot zu, und versucht reinzusteigen. An mir ziehen immernoch die Algen. Nach dem zweiten Versuch ist er dann auch drin. Er holt kurz Luft und sucht dann nach etwas. Ich weiß zunächst nicht was, aber als er es dann herausholt ist es mir klar. Ein Ruder. Er muss sich beeilen, ich kann nur noch meinen Kopf über Wasser halten, und der Wasserspiegel ist schon fast so hoch, wie mein Mund. Er setzt es ins Wasser und lässt es in kreisenden Bewegungen durch das Wasser gleiten. Ich weiß, dass er sich beeilt, aber es sieht nicht gut aus. Ich bin nun soweit nach unten gezogen worden, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen muss um Luft zu kriegen. Er reicht mir das Ruder und ich halte mich daran fest. Dann zieht er, und mit einem Ruck spüre ich wie die Alge reißt und ich mich frei bewegen kann. Aber die Strömung lässt mir keine Möglichkeit auf das Schiff zu gelangen. Und mein Griff löst sich vom Ruder. Ich werde von Fischen gebissen, und kann mich nur mit Mühe von ihnen weg bewegen, aber dann verlässt mich meine Kraft, und ich werde von einer Welle weit weggerissen.
»Hilfe, ich, ich komme nicht gegen den Strom an!« Hilflos schreie ich um Hilfe, suche nach irgendetwas, aber es ist nichts da. Der Junge sieht zur mir rüber, und erkennt meine Misslage. Er zieht seine Schuhe aus, und auch seine Jacke. Er will ins Wasser springen, und dass, obwohl die Strömung immer stärker wird.
»Spring nicht rein, du wirst dich nur-« Eine große Welle reist mich nieder, und ich spüre, wie meine Muskeln erschlaffen, Luft in meine Lungen strömt, und ich mich nicht nach oben drücken kann. Ich sehe den Jungen aus der Ferne, er ist tatsächlich reingesprungen. Ich versuche in seine Richtung zu tauchen, aber mein Körper fühlt sich schwer an, ich kann ihn kaum bewegen. Noch mehr Wasser füllt meine Lungen. Ich brauche Luft. Viel länger kann ich meinen Atem bestimmt nicht anhalten. Der Junge ist schon fast bei mir, da spüre ich ein Stechen in der Lunge - es wird nicht mehr lange dauern, und ich werde ertrinken. Ich schließe meine Augen, und versuche mich zu entspannen, obwohl ich mir sicher bin, dass ich die Angst nicht loskriegen werde.Ich spüre wie mich starke Arme umklammern, und mich nach oben drücken, aber ich spüre, wie das Leben aus mir gleitet. Ich werde sterben.
»Wach auf!« Eine männliche Stimme brüllt auf mich ein, genau wie Hände auf mein Herz pressen, und sich in einem gleichbleibenden Rhytmus lösen und wieder pressen.
Das Wasser aus meiner Lunge rennt meine Luftröhre hoch und ich dränge alles aus mir heraus. Ich schnappe nach Luft, und kann mich nicht beruhigen. Angst packt mich immernoch, obwohl ich jetzt sicher auf dem Land bin. Neben mir hockt der Junge von vorhin. Er hat mich nicht allein gelassen, er hat mir geholfen.
»Gottseidank, du bist wach.« Ich richte mich auf, und lege meine Arme um ihn.
»Danke.« Er sagt für eine Zeit nichts, sondern legt einfach nur seine Arme um mich. Die Angst verfliegt, und ich fühle mich sicher.
»Ich bin N-«, bevor er eine Chance hat etwas zu sagen, reißt uns eine Welle davon.
Ich wache in einem weißen Raum auf. Es ist niemand hier, genauso wie kein einziges Möbelstück zu sehen ist. Ich fühle mich das erste Mal wieder komplett normal. Weder hungrig, dreckig noch ängstlich. Mir geht es gut.
»Du musst gut zuhören Zoe, wir haben nicht lange Zeit.« Ich höre Sebastians Stimme, aber er ist nirgends zu sehen. Ich nicke, und hoffe, dass ihm das reicht, dass er das irgendwie, irgendwo wahrnimmt.
»Ich weiß, es klingt völlig absurd von mir, dich und deinen Bruder davon überzeugen zu wollen, euch freiwillig zu melden, aber hier geht einiges vor sich, Zoe. Und ich weiß nicht, ob ich nochmals den Antrag durchbringen kann einen von euch zu betreuen, und den anderen zu verarzten. Du musst mir vertrauen. Wenn du willst, dass du ein gutes Leben führen kannst, ohne Ängste, dann musst du tun, was ich dir sage. Und du musst zu allem bereit sein.«
»Aber was ist mit Mom? Und mit Dad? Ich, Elias und ich können sie nicht alleine lassen. Du weißt gar nicht, was du für ein Riesenloch in unsere Familie gerissen hast. Ich kann dieses Loch nicht noch vergrößern, indem ich mich und Elias freiwillig melde. Ich kann das nicht tun.«
»Glaube mir, wenn Mom und Dad wüssten, vor was ich dich beschützen will, würden sie zustimmen.«
»Dann komm nach Hause! Erzähl es ihnen!!«
»Ich kann nicht, ich darf nicht negativ auffallen. Davon hängt vieles ab. Schon alleine diese Unterhaltung hier ist mehr als gefährlich. Vertraue mir einfach, vetraue mir.«
»Woher weiß ich, dass das hier echt ist? Und nicht eine Halluzination?«
»Daran, dass ich dir gleich etwas sage, such du dir aus was.«
»Dass du uns nicht verlassen wolltest.«
»Das ist zu gefä-«
»Das oder nichts.«
Adrenalin rast durch meinen Körper und mit einem Schlag bin ich zurück im Labor. Ich stehe auf und sehe mich um. Sebastian sitzt an seinem Computer und gibt verschiedene Dinge ein. Dann dreht er sich um und schaut mir in die Augen.
»Die Kameras sind für einen Moment aus, überall. Komm schnell her.«
Ohne auch nur nachzudenken renne ich in seine Arme und drücke ihn so fest ich nur kann. Egal, wie sehr ich ihn hassen will, wie sehr ich ihn Moms Trauer spüren lassen will, ich liebe ihn. Er ist mein großer Bruder. Er ist derjenige, der mir gezeigt hat, wie man kämpft, sich gegenüber anderen beweist. Er hat mir eine Menge Ärger erspart und eine Menge Ärger eingebracht. Denn zu wissen wie man kämpft, kann einen auch ihn Schwierigkeiten bringen.
»Du fehlst mir, Ty.« Ich löse mich aus seiner Umarmung und schaue ihn an. Er weint.
»Ich wollte euch nicht verlassen, aber ich musste.«
»Du musst es anders hinbiegen, ich kann es Mom nicht antun. Trage mich so ein, dass ich dabei bin, aber Mom darf nie wissen, dass ich es wusste. Und noch eins..«
»Naheliegende Idee, ich hab daran nicht gedacht. Gut, ich werde es machen.«
»Du musst auch meinen Freunden helfen. Selena und Valentin Lopez. Wenn hier Gefahr im Vollzug ist, müssen die beiden mit gerettet werden.«
»In Ordnung.
Nach den Tests gibt es Abendessen. Ich setze mich an einen freien Tisch und warte auf Sel, Elias und Valentin. Es vergehen fünf Minuten, und keiner der drei ist bisher aufgetaucht. Ich senke meinen Kopf und denke über Sebastians Aussagen nach. Was meinte er bloß? Und warum reden er und Thea ständig davon, dass man nicht negativ auffallen soll? Ich weiß gar nicht was das heißen soll, negativ auffallen. Inwiefern könnte einem das denn gelingen? Und was würde dann passieren? Ich hörte wie jemand sich auf den Stuhl gegenüber von mir setzte. Ich schaute auf, und sah ein bekanntes, aber unerwartetes Gesicht. Es war Gina.
»Kann ich mich zu dir setzen?« Ich nickte und nahm den ersten Bissen von meinem Brot.
»Wie war dein Test?«
»Furchtbar.«, sie wich meinem Blick aus, »erst war ich im Keller eines alten Sacks. Er hat seine Hose runtergezogen, und wollte mir näher kommen.«
»Genau so war es bei mir. Was hast du dann gemacht?«
»Ich habe einen Anfall vorgetäuscht, er war kurze Zeit geschockt, dann hab ich ihm in die Augen gestochen. Er ist nach hinten gefallen, dann habe ich nach einem Schlüssel gesucht. Es gab keinen. Ich hab nach einer Waffe gesucht. Ich fand einen alten Schraubenzieher und eine alte Zange. Damit hab ich mich befreit, und bin weggerannt.«
»Was war mit dem Mann? Ist er nochmal auf dich los?«
»Nein, ich hatte ihm seine Augen stark verletzt, er ist umhergeirrt, konnte eigentlich nicht reagieren. Wie war es bei dir?« Sie sah mich neugierig an, aber nicht, weil sie den Drang hatte, alles zu wissen, aber, weil sie merkte, dass ich die Situation anders gelöst hattev- brutaler.
»Ich hab immer wieder auf ihn eingeschlagen, und habe ihm am Ende einmal in die Brust gestochen.«
»So brutal kennt man dich ja gar nicht.« Sie versucht einen Witz zu machen, und ich war nett genug zu lachen.
»Daran ist mein Bruder schuld.«
»Elias? Er würde doch niemandem etwas zu Leide tun.« Mir fiel auf, wie sie den Namen meines Bruders aussprach. Die meisten machten nämlich einen kleinen aber entscheidenden Fehler, sie sprechen das "E" wie ein "E", aber man sprich es wie ein "I". Irgendwie beeindruckt mich das.
»Nein, nicht Elias. Wobei er auch so sein kann. Unser großer Bruder hat uns das beigebracht. Zu kämpfen meine ich.« Sie sah verwirrt aus, ihre Mundwinkel zuckten und ihre Augen wurden kleiner.
»Ihr habt noch einen Bruder? Das wusste ich gar nicht.«
»Wirklich? Du hast ihn bestimmt schon mal gesehen. Sebastian ist sein Name. Auch wenn Mom ihn eigentlich Sebastien nennen wollte, aber meinem Dad war das zu französisch.«
»Sebastian? Sebastian.. ahh, ich dachte immer, ihr seid eine der wenigen, die einen Cousin in der Nähe haben. Immerhin haben die meisten Paare mittlerweile zwei Kinder, nicht drei.«
»Das liegt eigentlich auch nur daran, dass Elias und ich Zwillinge sind, sonst hätte meine Familie ein Kind weniger.«, ich nahm noch einen Bissen von meinem Brot, und sprach direkt weiter, »Hast du eigentlich eine Schwester oder einen Bruder?«
»Eine Schwester. Sie ist erst zehn Jahre alt, deshalb hast du sie wahrscheinlich noch nie gesehen.«
»Wie heißt sie?« Irgendwie hatte mich Gina neugierig auf ihre Person gemacht.
»Ihr Name ist Louisa. Sie ist zuckersüß, wenn auch etwas nervig, aber ich liebe sie über alles.«
»Gina? Kann ich dich noch was fragen?« Sie nickt und beißt dabe das erste Mal in ihr Croissant.
»Wie sehr magst du meinen Bruder, Elias?«
»Wie meinst du das?« Sie wurde rot im Gesicht, und spielte nervös an ihren Haaren.
»Ich sehe, wie du ihn anschaust in der Schule. Und ich merke auch, wie du über ihn sprichst. Du bist mit eine der einzigen, die seinen Namen richtig ausspricht. Meinen auch, wenn wir schonmal dabei sind.«
Sie hob die Schultern, und brachte ein breites Grinsen hervor, sie war stolz.
»Naja, du wirst am Ende nur mit einem "e" geschrieben, da ist es doch einleuchtend, dass man es auch wie ein "e" spricht. Bei Elias habe ich irgendwann gemerkt, dass du, Valentin und Selena ihn anders gerufen habt. Da hab ich mir das abgeguckt.« Ich sah aus der Ferne, wie Elias durch die Tür trat und sich an der Theke anstellte.
»Soll ich dir einen Tipp geben?« , sie nickte, also fuhr ich fort, »Elias ist nicht sehr offen, er zeigt nicht wirklich, wenn er mag oder, wenn nicht. Aber er wird zu jedem nett sein. Habe keine Angst ihn anzusprechen.«
»Danke, aber in einer Welt wie dieser, wird mir das nichts bringen, Zoe. Er und ich werden niemals im selben Programmjahrgang sein, das wäre viel zu viel Glück aufeinmal. Und dann wären wir bestimmt immer noch nicht..«
Sie hört auf zu reden, und schaut nervös über mich. Ich begreife nicht sofort, was los ist. Aber dann höre ich seine Stimme. Elias stand hinter mir.
»Guten Abend, ich kann mich doch dazu setzen, oder?« Ich nickte, Gina sah ihn nur verängstigt an.
»Du kennst Gina? Gina Fabiano, sie ist in uns-«
»Klar kenne ich sie. Ich bin Elias. Freut mich.« Er reicht ihr seine Hand, und als sie ihre reicht, drückt er sie fest. Ich merke, wie ein nervöses, glückerfülltes Lächeln Ginas Gesicht erfüllt. Sie ist ganz anders als ich. Sie ist schüchtern, und zurückhaltend. Ich bin da ganz anders, wenn ich etwas, oder viel eher, jemanden, will, dann tue ich auch alles dafür.
»Freut mich auch, Elias.«
»Huch, hat da mal jemand nach tausend Jahren meinen Namen korrekt ausgesprochen? Ist ja unglaublich. Ich mag dich jetzt schon, Elias.« Gina lachte, und auch Elias wirkte glücklich. Irgendwie fühlte ich mich auf einmal fehl am Platz. Doch dann setze sich auch Valentin, sowie Sel, an unseren Tisch. Als er sich setzte sah er mir tief in die Augen. Ich dachte zurück an die Simulation. Dort waren seine Augen pechschwarz, jetzt waren sie wie immer hellbraun.
»Zoe, kann ich kurz alleine mit dir sprechen?« Es überrascht mich, aber ich folge ihm auf den Flur. Außer uns ist keiner dort, es sind inzwischen alle im Speisesaal.
»Was ist denn?«
»Du warst in meiner Simulation. Du warst dort.«
»Du warst auch in meiner, aber du warst nicht du.«
»Ich weiß, ich konnte mich nicht bewegen. Irgendwie konnte ich auch nichts sehen, aber ich habe deine Stimme erkannt.«
»Deine Augen, sie waren pechschwarz. Und auch wie du dich benommen hast, du konntest dich nicht kontrollieren.« Ich konnte nicht fassen, dass wir beide genau das selbe durchlebt haben.
»Als ich dann wieder sehen konnte, warst du weg. Ein anderes Mädchen hielt mich an der Hand, aber sie ließ los.« Schock kommt über mich, wie kann man jemanden loslassen?
»Was ist dann passiert?« In mir keimt Wut auf, und ich wünschte, ich könnte dem Mädchen eine verpassen.
»Wir waren im Meer, und sie brauchte meine Hilfe. Ich habe natürlich nicht gezögert.«
»Wer war das Mädchen? Kanntest du sie?«
»Noch nie gesehen in meinem Leben. Sie war sehr blass, hatte stahlblaue Augen und dunkle Haare. Besonders aufgefallen sind mir ihre Lippen. Ihre Lippen waren viel zu groß für ihr Gesicht.. Warum fragst du?«
»Sie muss echt sein, hier sein. Eine unter uns sein.«
»Es war doch nur eine Simulation, es ist bestimmt nur Zufall, dass wir in der jeweils anderen Simulation waren.«
»Ich bin mir sicher, dass sie echt ist. Genau so wie der Junge, der mich gerettet hat. Und ich finde, sie sollte nicht so einfach davon kommen. «
»Es ist schon in Ordnung.«
»Nein ist es nicht. Oder hast du während der Simulation gewusst, dass es eine war? Es hat sich echt angefühlt, sie hätte dich sterben lassen. Einfach so.«
»Die Hauptsache ist doch, das alles in Ordnung ist, wir sind alle unverletzt.« Er dreht sich um, und will in den Speisesaal gehen, da packe ich ihm am Arm und halte ihn zurück. Ich sehe einen blauen Fleck an seinem Nacken. Ich fasse ihn dort an, doch er schreit auf, und schubst mich leicht zur Seite.
»Tut mir leid, i-ich.. woher hast du den blauen Fleck?«
»Ich weiß es nicht. Aber an der Stelle wurde mir eins übergebtraten, Zoe.«
»Aber das kann schlecht echt gewesen sein..« Mir kommt eine Idee. Auch ich wurde von den Fischen gebissen, über all an meinem Bauch. Ich ziehe also mein Oberteil hoch, und sehe überall Kratzer und Abschürfungen.
»Oh mein Gott, Zoe. Was, was ist das?« Dario streicht kurz über meinen Bauch, ich weiß er will nur fühlen, wie tief die Wunden sind, aber ich fühle mich unwohl und ziehe das Oberteil runter.
»Entschuldigung.« Darios Gesicht läuft rot an, und er schaut beschämt zur Seite.
»Schon okay. Lass uns zu den anderen.«
Am Abend sitzen wir alle erneut in unseren Gruppen in den Lehrräumen. Thea ist da, aber diesmal ist sie in Begleitung von einer Frau. Sie hat kurze blonde Haare, fast schon zu blond für ihren hellen Hautton. Ihre blauen Augen untermalen ihre Blässe noch einmal. Sie trägt eine Rayfarer, und ihre Kleidung ist weiß.
»Guten Abend, Mädchen. Das hier ist Penelope Hambridge, die Leiterin des Programms.«
Ein paar Mädchen applaudieren, andere schauen nur stumm in der Gegend rum. Ich gehöre zu letzteren.
»Danke, Thea.«, ihre Stimme ist kalt und trocken, »Ich bin die Leiterin des Ganzen hier, und ich werde mit Hilfe des Programms Entscheidungen für euch treffen. Diese könnt und werdet ihr unmittelbar beeinflussen. Nicht alle, nur einige von euch werden den Weg bereits dieses Jahr gehen, der Rest folgt in den nächsten Jahren. Ich bin nur hierher gekommen, um mir ein eigenes Bild von euch zu machen.«
Ihr Blick läuft durch den Raum und sie mustert ein Mädchen nach dem anderen.
»Morgen früh werden einige von euch auf unbegrenzte Zeit zu eurer Familie zurückkehren. Der Rest wird hier bleiben. Aber ich bin sicher Thea wird euch das genau so gut erklären können.« Sie sieht zu Thea rüber und diese nickt ihr zu. Dann macht sie einen Schritt nach vorne.
»Ihr habt heute eure ersten Tests hinter euch gebracht. Die Ergebnisse werden in den nächsten Tagen ausgewertet. Nur diejenigen von euch, die am Programm teilnehmen werden, werden diese auch erfahren. Ihr habt keinerlei Tests mehr vor euch, morgen müsst ihr lediglich noch einmal zum Arzt gehen. Es ist eine kleine Vorsichtsmaßnahme, nichts weiter.«
Danach werden wir zu Bett geschickt. Ich und Sel teilen uns erneut ein Bett. Es ist schon sehr spät und der Großteil der Mädchen schläft bereits - aber nicht ich und Sel. Weder sie, noch ich reden, aber ich kann sie hören. Ich weiß einfach, dass sie wach ist.
»Sel, bist du noch wach?« Es dauert ein wenig, bis ich eine Antwort bekomme.
»Ja, ich mache mir nur Sorgen.«
»Was meinst du?«
»Naja, die meisten Jugendlichen sind nicht mehr die selben, sobald sie einmal das Programm durchlaufen haben. Ich will nicht jemand anders sein, ich will so bleiben, wie ich bin.«
»Du wirst die selbe bleiben, das verspreche ich dir.« Ich denke an meinen Bruder, und sein Versprechen, und ich glaube ihm. Vielleicht glaube ich ihm auch mehr, als ich sollte, aber es fühlt sich einfach richtig an.
»Wieso bist du dir da so sicher? Du kannst mir nicht sowas versprechen..«
»Das kann ich dir erst sagen, wenn wir wieder zu Hause sind, in Ordnung?«
»Okay, aber nur weil ich dir vertraue.«
»Danke, Sel. Das bedeutet mir wirklich viel.«
Am nächsten Morgen wurden wir früh geweckt, und alle noch einmal zu einer Untersuchung geschickt. Allerdings trafen wir dort keinen Arzt an, sondern nur eine Krankenschwester, die erneut Blut abnimmt, sowie Speichelproben und uns ein Haar rauszieht. Dann muss ein jeder von uns eine blaue Substanz trinken und sich in den Finger picksen lassen. Danach dürfen wir unsere Sachen im Schlafsaal zusammenräumen und in der Lobby auf unsere Familien warten.
»Zoe! Wir sind hier!« Ich sehe meine Mutter, die wild vor sich rum fuchtelt. Sie steht neben Elias, mein Vater ist nicht dabei. Ich bin verwirrt, aber das trübt meine Freude nicht, meine Mutter wiederzusehen.
»Ich habe dich so sehr vermisst.« Ich nehme sie fest in den Arm und rieche an ihr. Sie riecht nach Apfel und anderen süßen Früchten, so wie meine Mutter schon immer für mich riecht. Sie riecht nach Liebe und Geborgenheit. Auch sie freut sich mich wieder zu sehen und drückt mich feste am Arm.
»Wenn wir uns beeilen, kriegen wir den Mittagszug. Also, wenn ihr euch etwas beeilen könntet.«
Meine Mutter lässt von mir ab, und nimmt mir mein Gepäck am. Gemeinsam machen wir uns zu dritt auf den Weg zum Bahnhof. Es dauert doch noch einige Zeit bis der Zug kommt, also frage ich meine Mutter, ob ich nicht so lange nach Büchern im Buchladen gucken dürfte. Ich mach mich auf den Weg - auch Elias kommt mit, aber als wir dann in der Buchhandlung sind, trennen sich unsere Wege. Er ist viel mehr an Geschichte interessiert, ich hingegen bevorzuge fiktive Handlungen.
Auf dem Weg zur Jugendliteratur, begegnet mir ein Gesicht, das mir sowohl bekannt, als auch unbekannt ist. Ich schaue noch einmal, und sehe nur noch den Hinterkopf: pechschwarze Haare. Ich gehe auf ihn zu, und beobachte ihn vorsichtig. Dann dreht er sich um, und als sich unsere Augen treffen, bleibt die Zeit stehen. Das ist der Junge aus der Simulation. Er ist real.. heißt das er war auch wirklich dort? Es muss so sein, oder warum guckt er mich so an? Weder ich, noch er bringen ein Wort heraus, wir schauen uns nur an. Er wirkt angespannt, irgendwie ganz anders als in der Simulation - er wirkt kühl und zurückweisend. Im Test war er nett, und hilfsbereit, so sah er jetzt ganz und gar nicht aus. Auch seine Kleidung deutete mehr auf einen Rebellen, als auf einen netten Jungen von nebenan. Er trägt eine enge Röhre, ein graues Tshirt, dazu ein dunkelgrünes Flannelhemd, sowie eine Lederjacke. All' das, und auch seine markant buschigen Augenbrauen geben ihm ein eher unsympatisches Auftreten, aber ich sehe etwas in seinen Augen, irgendwas was mich fesselt.
»Bist du..?«, ich kriege keine Antwort, aber ich habe trotzdem das Bedürfnis etwas zu sagen, »Danke.«
Er antwortet nicht, sondern nickt nur kurz, und begibt sich mit einem Buch in der Hand an die Kasse.
»Ich wollte mich wirklich bedanken, das hätte nicht jeder gemacht.« Er guckt zu mir herab - immerhin ist er locker einen Kopf größer, und sieht mich fragend an.
»Das war nicht echt, du brauchst dich nicht bedanken.« Seine Worte sind ganz trocken, und die Kälte in ihm überträgt sich nach außen. Ich merke, dass es für ihn nichts besonderes war, er wusste auch nicht, dass sich andere Jugendliche anders entschieden haben, und dem anderen nicht geholfen haben. Er weiß das nicht, ich schon und deshalb fühle ich mich verpflichtet, ihm zu danken.
»Der Gedanke zählt.« Ich versuche auch etwas trocken zu klingen, er soll ja nicht denken, ich sei ein kleines verknalltes Mädchen - denn das war ich ganz bestimmt nicht. Ich hatte mich bisher nur einmal verliebt, und das war keine schöne Erfahrung, deshalb habe ich mich dazu aufgerungen wählerisch zu sein. Und irgendein Möchtegern Gangster würde meinen Ansprüchen ganz bestimmt nicht genügen. Jemand der nur dann nett zu mir ist, weil er sich dazu verdonnert fühlt, verdient meine Aufmerksamkeit nicht. So leicht hatte ich den Glanz in seinen Augen bereits verdrängt.
Er holt seinen Geldbeutel raus, und bezahlt sein Buch und eine kleine Schokolade. Dann dreht er sich um und gibt mir die Schokolade. Sein Gesicht bemüht sich um ein Lächeln, aber so wirklich klappt es nicht. Ich bin ihm trotzdem dankbar, aber zugleich bin ich auch verwirrt.
»Dann muss ich mich wohl auch bedanken.«
»Natürlich musst du das.« Er hatte mich wohl doch in seinen Bahn gezogen. Dann geht er an mir vorbei und verlässt den Buchladen, ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen. Ich bin ein wenig enttäuscht, ich hätte mir schon ein etwas längeres Gespräch gewünscht.
Weil auch Elias kein Buch gefunden hat, sind wir nach kurzer Zeit wieder am Bahngleis, wo unsere Mutter mit der Mutter von Sel und Valentin zusammen auf einer Bank sitzt. Also sind Sel und Valentin auch hier irgendwo, aber bevor ich Zeit habe zu suchen, entdecke ich auf der anderen Seite den Jungen von eben. Er steht dort mit einem älteren Mann, der kaum noch Haare hat, sowie einem kleinen Jungen der ihm sehr ähnelt. Der Junge setzt sich auf die Bank und nimmt den kleinen Jungen - das muss bestimmt sein Bruder sein, auf den Schoss und liest ihm das eben gekaufte Buch vor. Dann setzt auch der ältere Mann sich, und der kleine Junge besteht darauf, dass er weiterliest. Also setzt er sich auf den Schoss des etwas älteren Mannes. Der Junge aus meiner Simulation schaut die beiden an, und ich kann wieder diesen Glanz in seinen Augen vernehmen: es ist Liebe. Der ältere Mann muss sein Großvater sein. Ich starre den Jungen weiter an, und bin davon verblüfft, wie das äußere eines Menschen so gar nicht zum Inneren passen muss. Er sieht aus wie ein Draufgänger, aber er vollbringt schöne Gesten und scheint sich um andere zu bemühen. Sonst hätte er mich auch nie gerettet - Simulation hin, Simulation her.
Plötzlich treffen sich erneut unsere Blicke, und ich spüre wie meine Lippen ein breites Grinsen bilden, und meine Wangen sich leicht röten. Der Junge zwinkert mir zu und fuchtelt dann mit seinen Händen rum. Zunächst verstehe ich nicht ganz, aber dann erinnere ich mich an alte Tage zurück. Das ist Zeichensprache.
Er merkt, dass ich nicht ganz mitgekommen war, und wiederholt seinen Satz. D-E-I-N PAUSE N-A-M-E FRAGEZEICHEN. Ich überlege kurz, und lege dann sofort los. Ich zwirble die Haut auf meinem Handrücken: das ist das Z. Dann halte ich mir ein unsichtbares Fernrohr an mein Auge: ein O. Und zuguter letzt bilde ich aus Daumen und beiden Zeigefingern ein E. Er schenkt mir ein halbes Lächeln. Ich zeige auf ihn, und erwarte eine Antwort. Stattdessen zeigt er auf sich, und kneift sein Auge zu - er versucht lustig zu sein. Ich nicke und dann legt er auch schon los. Doch davor überlege ich mir mögliche Namen für ihn. Er sieht besonders aus, deshalb wird er keinen gewöhnlichen Namen haben. C-Y-R-I-L ist seine Antwort. Durchaus außergewöhnlich, aber auch schön. Danach starren wir uns einfach an, und ich bemerke lange Zeit nicht, dass jemand neben mir steht, bis Cyrils Blick auf die Person neben mir fällt.
»Wer ist das?« Es ist Valentin. Er klingt viel kühler als sonst, und auch sein Blick an Cyril ist eher böswillig.
»Das ist der Junge aus meiner Simulation. Der Junge der mich gerettet hat.«
»Zoe, das war eine Simulation, es war nicht echt.«
»Aber der Gedanke ist es doch, was zählt.« Er schaut immer noch böswillig zu Cryil, der den Blick erwidert.
»Irgendwas an ihm passt mir nicht, pass auf, Zoe.«
»Ich mache doch garnicht mit ihm!« Ich versuche daraus ein Scherz zu machen, aber ich bin ein wenig sauer, und man hört das klar und deutlich in meiner Antwort.
»Ich sehe wie du garnichts mit ihm machst. Ich bin nicht blind, Zoe.« Warum verhält er sich so?
»Was ist dein Problem?«
»Mein Problem ist, dass du fremde Typen anstarrst, anstatt.. ich muss mich nicht rechtfertigen.«
»Und ich werde nicht mit dir reden, wenn du dich so daneben benimmst, Valentin.«
»Gut, ich werde dir nämlich auch keine Antwort geben.« Beleidigt haut er wieder ab, und setzt sich zu meinem Bruder auf die Bank. Ich schaue zu Cyril, aber sein Zug kommt bereits, und er verschwindet im großen schwarzen Komplex.
Kurz darauf kommt auch unser Zug, und wir setzen uns in zwei Viererreihen, samt Koffer. Ich sitze neben Selena und gegenüber Valentin, der neben Elias sitzt. Unsere Mütter sitzen in der Viererreihe schräg gegenüber von uns. Valentin und ich haben immer noch nicht geredet, und auch Sel und Elias wechseln kaum ein Wort. Wir sind alle mit ganz anderen Sachen beschäftigt. Sel denkt wohl immernoch an ihr Jungfrauen-Dilemma - denn ihre Eltern werden davon sehr bald erfahren.
»Gefällt dir eigentliich Gina, Elias?« Sel stupst ihn mit am Knie an, und reist ihn aus seinen Träumerein.
»Gina? Sie ist nett, wieso?«
»Och, ich mein doch nicht so.«
»Sondern?«
»Als Mädchen.. wie gefällt sie dir? Du gefällst ihr zumindest sehr.«
»Ach quatsch.« Entweder war das meinem Bruder peinlich, oder er hat es tatsächlich nicht gemerkt.
»Sogar ein Blinder würde das sehen.«, entgegne ich.
»Das sieht wirklich jeder, Elias. Selbst ich.«, bestätigt auch Valentin.
»Sind wir doch ehrlich, es ist egal, wie ich sie finde, ich habe bei dem Thema genau so wenig Wahl, wie ihr.«
»Also ich werde mir meine Frau aussuchen.« Valentin schaut mir dabei tief in die Augen, und jetzt verstehe ich, was das eben zu bedeuten hatte. Er war eifersüchtig. Valentin, der Bruder von Sel, hatte Interesse an mir. Das war wirklich komisch, immerhin hatte ich vor zwei Jahren mal eine Phase, in der er mir sehr gut gefiel. Aber damals hatte er eine Freundin, und zeigt auch sonst keinerlei Interesse an mir. Deshalb gab ich die Idee sehr schnell wieder auf. Was ich für eine Meinung dazu haben soll, das weiß ich nun wirklich nicht.
»Damit wünsche ich dir viel Glück, aber ich will mir nicht unnötig wehtun.«
»Willst du denn keine Erfahrungen davor sammeln? Ich m-«
»Sel! Frag doch nicht meinen Bruder aus, er muss selber wissen, was er, wann, mit wem, macht.«
Zuhause angekommen mache ich mich direkt auf den Weg ins Wohnzimmer. Denn für gewöhnlich sitzt mein Vater auf der Couch und liest ein Buch um diese Uhrzeit. Aber nicht heute. Er ist nicht hier.
»Wo ist denn Papa?«
»Er ist noch auf der Arbeit, mein Schatz. Sie haben diese Woche mehr Kunden als üblich, aufgrund der vielen Besucher für das Programm. Aber du kennst das doch aus den vorherigen Jahren. Warum fragst du?«
»Ich habe es einfach vergessen.«
»Ist ja nicht schlimm. Packt eure Sachen aus.«
»Aber was, wenn wir den Koffer wieder benötigen?«, fragt Elias stirnrunzelnd.
»Wir gehen von der bestmöglichen Möglichkeit aus, und die ist, ihr bleibt vorerst hier.«
In dem Moment wird mir ganz schlecht, und ich muss daran denken, wie sehr unsere Eltern - allen voran unsere Mutter leiden wird. Sie wird ihre anderen beiden Kinder ebenfalls verlieren, beide auf einen Schlag, beide bei der ersten Gelegenheit. Und insgeheim wird es so vorbestimmt sein, aber im Gegensatz zu mir, weiß das keiner.
»Ich muss jetzt auch noch einmal zur Schule. Immerhin muss für euren Ball morgen alles vorbereitet sein. Es soll ein schöner Abschluss für euch werden, egal was danach kommt.«
Und schon sind Elias und ich völlig alleine im Haus, und der perfekte Zeitpunkt ist gekommen ihn in den Plan einzuweihen. Er muss von Ty wissen, davon, was er tun wird. Auch, wenn ich nicht weiß, warum er es tun will.
»Eli? Können wir kurz reden?«
»Natürlich, schieß los!«
»Ich habe dir ja von Ty erzählt. Er war in meiner Simulation und er hat m-«
»Du brauchst nicht weiter reden, ich weiß das alles. Er hat es nicht nur dir gesagt.«
»Du weißt es?« ich gucke ihn fragend an »Was hälst du davon?«
»Egal, was er gemacht hat, er ist unser Bruder. Er liebt uns, und wir ihn. Wir müssen ihm vertrauen.«
»Ich bin froh, dass wir da einer Meinung sind. Ich habe auch bei Sel und Valentin darum gebeten.«
»Ich auch, nur das ich Gina auch noch hinzugefügt habe.«
»Also magst du sie wohl?«
»Schon etwas länger, aber ich hab nie mitbekommen, dass es bei ihr auch so ist.«
»Wirklich? Bist du blind? Man sieht das auf hundert Metern!« Elias gibt mir einen leichtern Schlag und guckt mich kurz grimmig an. Aber ich weiß, dass das seine Art ist, sich zu schämen.
»Ich hab halt nicht gedacht, dass so eine intelligente Schülerin überhaupt an sowas denkt. Und das sie dann noch an mir Interesse zeigen würde. Das kam mir halt einfach nicht in den Sinn, Schwesterherz.«
»Gehst du mit ihr auf den Ball?«
»Falls du es vergessen hast, wir haben genau den Deal wie auf allen anderen Bällen auch.« Er sprach von dem Hales-Lopez Deal. Wenn es der Fall war, dass Schwester Lopez und Bruder Hales beziehungsweise Schwester Hales und Bruder Lopez Single waren, gingen wir immer zusammen auf den Ball. Das erspart peinliche Dates, sowie anhängliche Typen.
»Ich hab da eine Idee. Lass mich das regeln, frag du Gina einfach. In Ordnung?«
Eine halbe Stunde später wähle ich Sels Nummer. Es dauert bis jemand ran geht, und natürlich ist es nicht Sel, sondern Valentin.
»Lopez. Wer ist da?«
»Ich bin es, Zoe. Ich wollte mit -«
»Ich wollte gerade rüber kommen. Es tut mir wirklich leid, wie ich mich eben benommen habe, aber ich war halt pissig. Du brauchst dir nicht für morgen jemand anderes suchen, zumindest nicht von meiner Seite aus.«
»Danke, aber darum geht es nicht. Ich wollte mit Selena sprechen.«
»Sie ist gerade nicht so gut drauf. Frag mich nicht was los ist, aber wenn du sie sprechen willst, komm lieber rüber. Vielleicht könnten wir dann auch noch kurz etwas bereden.«
»In Ordnung, ich komme rüber. Wenn Zeit ist, können wir gerne reden.«
»Danke, Zoe. Bis gleich.«
»Bis gleich.«
Ich bin froh, dass Valentin seinen Fehler eingesehen hat, und das er sich entschuldigt hat. Aber worüber gab es jetzt noch etwas zu reden? Naja, das war vorerst egal. Ich muss so schnell es geht rüber zu Sel. Denn im Gegensatz zu Valentin, wusste ich ganz genau, was los war. Sel's Eltern wussten Bescheid. Der ärztliche Bescheid wurde natürlich schon versand, bevor wir zurückgekommen sind. Ich nehme also meine Jacke, meine Schlüssel, ziehe mir meine Schuhe wieder an, gebe Elias bescheid und springe auf mein Fahrrad. Familie Lopez wohnt zwar nur vier Straßen weiter, aber mit dem Fahrrad ist das ganze viel angenehmer, und auch sicherer. Immerhin liegen zwischen unseren Straßen ein etwas ärmlicheres Viertel, in dem es Taschendiebe und andere Kriminelle gibt. Sich dort zu Fuß aufzuhalten kann einem nicht zu Gute kommen.
Nach fünfminütiger Fahrradtour bin ich bei den Lopez angekommen. Sel's Vater macht mir auf. Er ist nie ein besonders freundlicher Mann gewesen, aber in seinen Augen sehe ich Wut. Und diese Wut hat sich auf Selena entladen. Natürlich reagiert ein Vater immer auf derartiger Ereignisse so, allerdings ist es in unserer Gesellschaft wie ein Schandfleck. Das kann sich im schlimmsten Fall auf jegliche Position im Leben ausüben. Das einzig gute ist, dass Sel mit nur einem Jungen sexuell aktiv war, das wird meistens nicht weiter beachtet. Wobei hier auch oft wichtig ist, aus welchen Gründen das Ganze geschehen ist. So ist ein Akt aus Liebe nicht so schändlich wie einer aus Lust, oder schlimmmer, aus Suff.
»Guten Tag, Mr.Lopez. Ich würde sehr gerne zu..« Ich überlege kurz, ob es schlau ist Selenas Namen zu sagen, oder doch auf Valentins umzuspringen. Da dürfte ich bestimmt viel eher hin. Aber da unterbricht er mich bereits.
»Selena ist in ihrem Bad. Wir wollten - ich wollte nur kurz mit ihr über ihre Ergebnisse reden, allerdings hat sie sich heulend im Bad verbarrikadiert. Du kennst das Ergebnis bestimmt auch, und ich bin mir sicher, du kannst dir vorstellen, was ich und wir alle jetzt noch durchmachen werden. In unserer Gesellschaft kennst du ja mögliche Folgen, das soll meiner kleinen Bambina doch nicht passieren.« Ich habe nie viel von ihm gehalten, für mich war er immer sehr kalt, aber in diesem Moment sehe ich ihm an, dass er nur Angst und Liebe in sich trägt. Er ist nicht wütend, beschämt oder sonst irgendwas in der Art, er will einfach nur nicht, dass Selena etwas schlechtes zustößt.
»Ich glaube Ihnen, ich werde versuchen mit ihr zu reden. Wenn Sie das wollen, natürlich.«
»Ich glaube, wenn einer mit ihr reden kann, dann du, Zoe.« Mr.Lopez fasst mich das erste Mal an - er klopft mir kurz auf die Schulter und lächelt mich an. Ich weiß nicht, ob die plötzliche Erkenntnis, dass beide seiner Kinder nun ins Programm könnten - und dank mir, werden, ihn bewusst gemacht haben, dass man Liebe sehrwohl ab und an zeigen muss. Liebe ist nicht selbstverständlich.
Ich renne die Treppen hoch, und höre Sel bereits hinter der Tür ihres Bads. Ich klopfe an, dreimal fest, einmal nur ganz leicht und ein letztes mal nur mit einem Finger. So haben wir früher immer geklopft, damit wir direkt wussten, wer auf der anderen Seite steht. Sie schließt auf, und fällt mir um die Arme. Ich drücke sie fest an mich und gebe ihr einen Kuss auf den Kopf. Ich höre, wie Valentin seine Tür öffnet, und kurz nach uns sieht. Er nickt kurz und schließt seine Tür dann direkt wieder. Er und Sel stehen sich nicht sehr nahe, aber wenn es hart auf hart kommt, ist der eine immer für den anderen da. Ich fande ds immer sehr schön, auch wenn ich froh bin, dass Elias und ich, und selbst Ty und wir - früher, eine sehr starke Beziehung zueinander hatten. Wir waren nicht nur Geschwister, nicht nur gezwungenermaßen Familie, sondern Freunde, die Familie die man sich wählt.
»Du brauchst wirklich nicht weinen, Selena. Dein Vater wird nichts tun, er ist nicht sauer. Er macht sich nur Sorgen. Aber das geht vorbei, es wird alles gut. Das war einmalig, das wird niemals negativ sich auswirken.«
»Zoe, du verstehst nicht. Es ist nicht.. ich bin krank.«
»Was meinst du mit krank?«
»Es ist nicht sicher, ob ich Kinder kriegen kann, Zoe.« Ich verstand ihre Panik. Frauen, die nicht gebähren konnten, galten als Unterklasse. Hinzu kommt, dass es Gerüchte gibt, dass solche Frauen umgebracht werden. Meine Mutter ist eine der Personen, die davon schwer überzeugt ist, dass nur eine reiche Frau unfruchtbar überleben kann, alle anderen werden sagt sie eliminiert. Aber was soll ich Selena jetzt sagen?
»Sie meinten mein Blut zeigt ein ungewöhnliches Blutbild auf, und dass nur ein Drittel der Frauen dieses Blutbildes schwanger werden.«
»Mach dir keine Sorgen, Sel. Du wirst auf jeden Fall Kinder haben können. Und selbst wenn nicht, du hast immer noch mich. Ich werde dein Kind austragen, i-ich..«
»Ich weiß, da gibt es Möglichkeiten, aber ich wollte das alles immer erleben.«
»Selena, glaub mir, ich weiß einfach, dass wir eines Tages zusammen mit einem runden Bauch durch die Mall schlendern werden. Du und ich, wir beide. Und jetzt hör auf darüber zu weinen, alles wird nämlich gut.«
Selena wischt sich ihre Tränen weg, und versucht zu lächeln. Natürlich ist das Problem jetzt nicht verschwunden, aber vorerst ist ihr die totale Angst genommen. Und das reicht mir, und auch ihr.
»Es ist jetzt vielleicht eher ungünstig, aber ich wollte dich fragen, ob du neben Elias eventuell noch eine andere Option für den Ball morgen hättest. Er steht nämlich sehr wohl auf Gina, wenn du verstehst.«
»Ich wusste es!« Selena strahlt triumphierend in meine Richtung und nickt dann.
»Also hast du eine Option, sonst wüsste ich da eventuell noch jemanden.«
»Ich könnte Tony fragen, der würde nur bestimmt nein sagen.. aber da ist ja auch noch Nic.« Nic war ein Freund von Valentin, weniger von Elias, aber oft hingen sie auch als Trio ab. Mittlerweile hatte Nic selten Zeit und arbeitet fleißig, um einen kleinen Geldvorrat vor dem Programm anzusammeln. Das ist so ziemlich das, was jeder Jugendliche macht, der auf seinen Platz im Programm wartet. Nic war zwar nett, aber er hatte auch einen sehr seltsamen Humor. Er ging immer auf die Kosten anderer,nicht auf gemeine Weise, aber es nervte schon ein wenig.
»Stimmt, er ist achtzehn. Das heißt er hatte seinen Abschlussball letztes Jahr. Der hat bestimmt nichts vor morgen, außer ängstlich zu Hause rumhocken, ob er nicht auch gelost wird.«
»Außer sich über irgendwen lustig zu machen, und dann ein Kompliment hinterher zu schieben. Aber für dich, oder eher Elias, mache ich das gerne. Ich hoffe nur er ist noch frei.«
»Ruf ihn einfach an, ich muss sowieso noch zu deinem Bruder. Wir müssen einige Dinge klären wegen morgen. Was wir machen, wann und so weiter.«
»Klar kein Ding. Ich ruf ihn direkt an, und dann rede ich mal mit meinem Vater. Der braucht bestimmt auch ein bisschen Kraft und Trost. Danke nochmal, Zoe.«
»Wozu hast du mich denn, die aller beste Freundin aller Jahrzehnte?«
Ich klopfe an die Tür von Valentin. Es dauert nicht lange und er hat sie bereits geöffnet. Er trägt nur ein Handtuch um die Hüfte, sein Oberkörper ist nackt, seine Haare sind nass. Ich halte mir eine Hand vor die Augen und kicher kurz. Mir ist selbst peinlich, wie kindisch ich reagiere, aber es ist einfach keine übliche Situation.
»Ich wusste nicht, dass du so schüchtern bist.«
Ich taste mich an ihm vorbei und setze mich aufs Bett. Ich schiebe meinen Mittel- von meinem Zeigefinger weg und spähe durch die Lücke. Valentin schließt die Tür und schaut mich grinsend an. Ich nehme die Hand von meinem Auge und schaue ihn einfach an. Ich mustere seinen Körper und stelle fest, dass er viel muskulöser ist, als ich erwartet hatte. Aber auch nicht so muskulös, dass er aussieht wie ein übertrainierter hormonnehmender Möchtegern aussieht.
»Ich wusste nicht, dass du Sport treibst.«
»Falls du es vergessen hast, ich arbeite seit zwei Jahren. Da passiert schonmal, dass man etwas muskulöser wird. Aber ich nehme das einfach mal als Kompliment, danke.« Er zwinkert mir zu und ich merke, dass er viel offener ist als sonst, und das trotz seiner Nacktheit. Er setzt sich zu mir aufs Bett und nimmt meine Hand. Ich wll sie erst wegziehen, aber es fühlt sich eigentlich schön an. Und ich mag ihn ja auch, nur habe ich nie überlegt, ob ich ihn doch mehr mag als den Bruder meiner besten Freundin oder den besten Freund meines Bruders. Ich schaue ihn an, doch seine Augen kleben an meiner Hand und er lächelt halb. Dann guckt er hoch und sagt für kurze Zeit nichts.
»Ich bin froh, dass du gekommen bist. Da ist etwas, was ich dir sagen wollte. Ich wollte es dir erst morgen sagen, aber ich weiß nicht, warum ich noch warten sollte.«
»Ich bin froh, dass du nicht mehr sauer bist. Oder eifersüchtig?« Er zuckt kurz zusammen, aber dann packt er meine Hand fester und legt sie auf sein Oberschenkel.
»Ich mag dich sehr, Zoe. Und ich würde dich sofort heiraten, wenn dieses Programm nicht wäre.«
»Aber seit wann? Du hast nie Interesse an mir gezeigt.«
»Wir sind zusammen groß geworden, Zoe. Ich kenne dich seit Ewigkeiten, und du hast mir so oft geholfen, ohne es zu wissen. So oft hast du mir nur ein Lächeln geschenkt, und mein Tag war gerettet. Und letzten Sommer, als wir im Sommercamp waren, und du gesungen hast.. ich habe noch nie so etwas gesehen. Du hast das mit so viel Herzblut und Leidenschaft gemacht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie attraktiv dich solche Dinge machen. Du hast so viel Talent. Auch deine Gemälde, deine Skizzen. Ich war immer schon begeistert, wie du alltägliche Dinge so schön verpacken konntest.« Er steht auf, lässt meine Hand los und greift unter sein Bett. Er zieht eine Kiste hervor und zeigt mir den Inhalt. Es sind alte Skizzen und frühere Arbeiten für Kunst. Sachen, die ausgestellt wurden, und man dann mitnehmen konnte. Mir war natürlich aufgefallen, dass jemand vor mir mein Zeug mitgenommen hat, aber ich sah das immer als Erfolg. Jemand wollte meine Sachen haben. Aber ich hätte nie gedacht, dass er das sein könnte. »Ich habe mich immer als erster an die Kiste gestellt und alles von dir genommen. Ich war erst neidisch auf dich, aber dann wusste ich, dass du einfach Talent hast. Es steckt einfach in dir, deine Gefühlt so auszudrücken. Das ist mehr als beeindruckend. Das ist atemberaubend.« Er sitzt wieder neben mit auf dem Bett. Diesmal ist er viel näher an mir und hält beide meine Hände. Mein Blick ist immernoch auf die Kiste gerichtet. Das alles hier fühlt sich so surreal an. Valentin war nie wortgewandt oder romantisch angelegt - nicht soweit ich wusste. Seine Reaktion, sein Geständnis verwirrte mich. Aber mir gefiel es. Ich mag ihn, sehr. Das weiß ich, das wusste ich auch früher. Aber das hier verstärkt das Ganze nochmal.
»Ich wusste nie, dass du so über all' das denkst.«
»Ich hab auch ein paar Skizzen gezeichnet, aber nichts kommt an deine heran. Du arbeitest so ungewollt unperfekt perfekt. Meine sehen alle gewollt aus. Deshalb habe ich mich schnell woanders versucht. Gedichte.«
»Gedichte? Würdest du mir ein paar zeigen?«
»Ja, aber erwarte nicht zu viel. Ich bin noch nicht so lange daran. Es ist ein Versuch mein Inneres zum Ausdruck zu bringen. So wie du durch deine Zeichnungen, aber auch deinen Gesang.«
Er holt eine weitere Box unter seinem Bett hervor. In ihr ist ein kleiner Block mit Blankoblättern. Auf einigen sind kleine Krizzelein. Kleine Vögel die um einen Kerzenständer fliegen in denen Blumen statt Kerzen sind. Oder ein Elefant der drei Rüssel hat, und keine Augen. Es sind nicht schlechte Skizzen, aber ich verstehe, was er mit gewollt meint. Die Linien sind klar, alles sauber mit dem Radiergummi ausgearbeitet. Meine Arbeiten bekommen ihren Charakter dadurch, dass ich unordentlich arbeite, und viel verwische und überzeichne. Auf den letzen drei Seiten finden sich kleinere Gedichte. Die ersten zwei gefallen mit nicht so sehr, aber das dritte finde ich sehr schön. Wobei es eher ein kleiner Text ist, und kein Gedicht.
»Ihre Augen waren schwer, so wie ihre Mundwinkel. Selbst ihre Haare fielen ihr ins Gesicht, und formten Risse in ihrem Gesicht. In ihr war etwas zerbrochen, und wie immer gab es nur einen Weg diesen Bruch nach außen zu tragen. Mit dem Stift aufs Papier zeigte sie sich der Welt, und doch nur sich selbst. Bereits nach kurzer Zeit legten sich ihre Haare magisch hinter ihr Ohr, ihre Mundwinkel wurden leichter, so wie auch ihre Augen. Sie strahlte Vertrauen in sich aus, Vertrauen in die Welt - Liebe. In ihr trug sie unendlich viel Liebe, die gerade dabei war den Weg nach draußen zu finden. Ich wollte diese Liebe auffangen, sie in ein Glas stecken und aufheben. Denn irgendwann würde sie diese Liebe brauchen. Denn wer Dinge rauslässt, muss diese Dinge wieder reinlassen, doch ohne Hilfe war das ein Ding der Unmöglichkeit. Und ich wollte derjenige sein, der ihr hilft. Ich würde diese Liebe so lange aufbewahren, bis sie wüsste, dass ich sie habe, und dass nur ich ihr diese wiedergeben konnte.«, laß ich vor mich hin. Ich wusste sofort, dass er mich meinte, und ich war gepackt. Er hatte so ein tiefes Verlangen, das mir nie aufgefallen war.
»Das ist wunderschön, Valentin.« Ich schaue zu ihm hoch, und er hatte ein halbes Lächeln auf den Lippen, und seine Augen fixierten meine Lippen. Ich löste meine Hand aus seinem Griff und streichelte seine Wange, er legte seine Hände auf meine Taille und zog mich an sich. Und dann saßen wir da erstmal so, so nah aneinander, und doch so fern. Ich spürte wie er meine Lippen ununterbrochen ansah, und wie ich auch dieses Verlangen hatte, was er schon so lange verspürte.
»Ich liebe dich, Zoe Hales. Schon so lange, und doch nicht lange genug.« Ich liebe dich.. Drei sehr schwere Worte, Worte die ich noch nicht rausbringen kann, aber ich wollte ihm zeigen, dass ich diesen Worten sehr nahe war. Und ich kannte darauf nur eine Antwort. Ich lehne mich nach vorne und lege meine Lippen sanft auf seine. Dann will ich mehr, und küsse ihn nicht mehr so vorsichtig. Und dann ist es nicht mehr weit, und wir sitzen da, küssen uns, fahren mit unseren Händen über unsere Körper und versuchen uns so nah zu sein, wie man jemandem nah sein kann.
»Dein Handtuch, es fällt runter.. W--w-«
»Ich hab eine Unterhose drunter, du Dummerchen.« Er streicht mir durch die Haare und grinst, dann küsst er meinen Nacken und ich spüre wie er mein Oberteil hochzieht. Und entgegen meinen Erwartungen lasse ich ihn. Fair ist fair, er ist immerhin auch halbnackt. Er drückt mich noch viel näher zu sich, und somit sitze ich auf seinem Schoss und streichle seinen Hinterkopf, während ich ihn immerwieder küsse. Mal sanfter, mal heftiger, mal kurz, mal lang. Bevor wir auch nur dran denken können einen Schritt weiter zu gehen, öffnet sich die Tür. Ich löse mich aus Valentins Griff und lege seine Decke um mich. Erst dann schaue ich in Richtung Tür. Dort steht mein Bruder, neben ihm Selena. Valentin leckt sich kurz die Lippen, fährt sich durch die Haare und steht auf.
»Schonmal was von Klopfen gehört?«
»Das haben wir. Wenn ihr zu beschäftigt seid, das zu hören.« witzelt Selena rum.
»Ist ja jetzt nicht wichtig. Was ist denn los?«
»Ich wollte nur vorbei kommen, bisschen rumhängen. Ich konnte ja nicht wissen, dass du meiner Schwester deine Zunge aufdrängst.« auch Elias witzelt rum, und kann sich vor Lachen nicht halten. Ich greife nach meinem Oberteil und ziehe es mir über. Dann schiebe ich die Decke von mir und stehe auf. Ich bleibe neben Valentin stehen, der miene Hand greift, und seine Finger in meinen verkreuzt. Es gefällt mir, dass er keinerlei Scham empfindet, aber mir ist es doch etwas peinlich, dass ich halbnackt beim Rummachen mit ihm erwischt worden bin. Nicht weil er es war, sondern weil die Umstände nicht die allerbesten waren.
»Ich dränge deiner Schwester nicht meine Zunge auf.« jetzt klingt auch Valentin nicht mehr so ernst.
»Das war so klar mit euch beiden. Es war ja schon gruselig, wie er deine Bilder unter seinem Bett hortet.«
»Sel! Du hast in meinem Zimmer nach Dingen unter meinem Bett geguckt?«
»Natürlich, du Edgar Allen Poe. Ich wusste nicht, dass du so wortgewandt bist, Bruderherz.« Selena ist wie immer auf ihre eigene Weise nett zu Valentin. Das klang zwar eher nach eine Beleidigung, aber es war ein Kompliment. Aber ich bin geschockt, dass sie mir nie von den Zeichnungen erzählt hat. Das war ein gängies Thema, und ich wollte immer gerne wissen, was damit passiert.
»Also ich melde mich mal ab. Wollte dir auch nur sagen, dass die Sache mit Nic klappt, Zoe.«
»Welche Sache mit Nic?« Valentin schaut verdutzt zu mir herunter.
»Elias soll mit Gina morgen zum Ball gehen, da brauchte deine Schwester jemand anderes als Begleiter.« entgegne ich belustigt. Denn jetzt sollte es um Elias und sein Liebesleben gehen.
»Also fährst du doch auf die Fabiano ab?« Valentin haut Elias leicht auf die Brust, und runzelt seine Nase. Das war seine Art ihm zu zeigen, dass er stolz war. Typischer Jungskram eben.
»Ich weiß nicht, ob das gerade das Thema ist, worüber wir reden sollten.«
»Oh doch, ich muss sowieso nach Hause. Mein Kleid und alles bereit legen.« Ich versuche mich gerade an Selena und Elias vorbeizudrängen, da zieht mich Valentin zurück und hält mich wie ein Tänzer im Arm.
»Du hast etwas vergessen, Dummerchen.« Und dann gibt er mir einen Kuss. Ich drücke ihn dabei fest an mich, und dann dränge ich mich neben Selena vorbei, so schnell ich kann. Ich will keinen doofen Kommentar hören, davon hatte ich heute echt genug.
Auf dem Nachhauseweg passiert mir das schrecklichste, das mir passieren kann. Mein Rad hat einen Platten, und ich muss laufen. Durch das Viertel, und mir schlottern die Knie. Denn es ist mittlerweile später Abend und alles ist dunkel. Ich sehe viele kleine Kinder, die mit einem Fußball spielen, den sie selbst aus alten Socken hergestellt haben. Etwas weiter stehen ein paar ältere Typen, die mir hinterherpfeiffen. Einer der Typen läuft dann auch noch neben mir her.
»Guten Abend, schöne Frau.«
»Abend.« Ich versuche gleichzeitig nett, aber auch abweisend zu klingen. Doch der Typ stört sich nicht daran seinen Arm um meine Schulter zu legen. und mich an sich zu ziehen.
»Mein Name ist Crash. Zumindest nennen mich alle so. Wie heißt du meine Schöne?«
»Zoe.« Ich bin echt dumm. Ich hätte ihm einen falschen Namen geben können, oder nichts sagen, jetzt würde er bestimmt nicht mehr aufhören.
»Nun gut, Zoe. Ich habe eine Frage an dich. Wie alt bist du?«
Ich gebe ihm keine Antwort und fange an schneller zu laufen. Aber er lässt sich nicht abschütteln und steht immer direkt neben mir. Dann hält er meinen Arm fest und steht hinter mir und flüstert mit halb ins Ohr, halb in den Nacken.
»Du siehst zumindest alt genug aus.«
In mir bricht Panik aus, und ich schlage um mich. Aber seine Hand packt mich immer wieder. Und alle meine Befreiungsversuche bleiben hoffnungslos. Nun stehen auch noch alle seine Kumpel - vier an der Zahl, um mich herum, und ich hab keine Chance. Ich könnte sicherlich einen kurzzeitig ausknocken, aber vier? Das konnte ich nun wirklich nicht.
»Hilfe! Ich brauche Hilfe!« Ich schreie so laut ich kann los. Mir fällt nichts besseres ein.
»Schrei doch nicht, Zoe. Wir wollen doch nur ein bisschen Spaß haben.« Er legt seine Hand auf meinen Arsch, und in mir steigt der Ekel. Ich bin so angewidert von ihm. Er riecht, als hätte er seit Wochen nicht mehr geduscht, seine Haare tropfen schon fast so ölig sind sie. Und auch seine Haut ist öliger als alles, das ich bisher gesehen habe. Sein Alter ist nur schwer zu erraten. Er ist bestimmt nicht viel älter, aber er sieht älter aus, als mein Vater.
»Lass mich los, du bist widerlich! HILFE!«
»Och, ein mutiges kleines Mädchen.« Er schaut mir tief in die Augen, und grinst - was seine schwarzen und verfaulten Zähne entblößt. »Aber sowas lasse ich mir garantiert nicht gefallen.« Er verpasst mir eine Ohrfeige, und da trete ich ihm in die Weichteile. Als er noch einmal zum Schlag ausholen will, höre ich eine bekannte Stimme sagen: »Lass sie los, Eugene. Oder Crash, wenn du dich dann besser fühlst.« Die vier seiner Freunde sind schon längst weggerannt und ich kann mich endlich von seinem Griff lösen und will ihm gerade noch eine verpassen da sehe ich wie der Typ ihm einen Kinnhacken verpasst und ihm dann den Arm verdreht.
»Sehe ich so etwas noch ein mal, Eugene.« Er dreht den Arm nocheinmal. »Dann reiße ich dir das nächste Mal deine Arme aus, undzwar alle.« Crash, Eugene, wie auch immer rennt sofort los, als der Typ ihn loslässt.
»Bist du in Ordnung; Zoe?« Der Typ dreht sich um, und meine Kinnlade fällt nach unten.
»Cyril.« Er packt mir an die Wange, und ich zucke zurück.
»Er hat dich schon erwischt. Komm mit, ich mach dir was drauf.«
»Ich muss wirklich nach Hause, ich muss noch für mor-«
»Ich erwarte keine Widerworte, komm.« Er packt meine Hand und zieht mich in ein halbherunter gekommenes Haus. Es gehört dem Viertel noch an, sieht aber schon noch ein Stück edler aus, als der Rest der Bauten.
»Ich weiß, hier ist nicht die schönste Gegend, in der man wohnen kann, aber mein Großvater kann zwei Jungen nunmal nicht mehr bieten. Er hat mehr Liebe als Geld, die er uns vermitteln kann.«
»Ich verurteile dich nicht, dass du hier wohnst. Dir braucht das nicht peinlich sein«
»Mir ist das nicht peinlich. Es ist nur ein Haus.« Er lacht kurz, und holt dann aus dem Küchenschrank eine Dose und ein Spray. Erst spüht er ein bisschen was auf mein Gesicht, salbst sie dann ein, und desinfeziert auch das Pflaster, bevor er mir es großflächig auf die Wange klebt.
»Ich hoffe es hat nichts gejuckt oder gebrannt.«
»Nein, ist wirklich nett von dir, dass du das überhaupt machst. Danke. Auch für eben, es sah wirklich nicht gut aus. Ich kann froh sein, dass ich nur das im Gesicht habe, und nicht..«
»Lass uns nicht darüber reden. Du meinstest eben, du müsstest morgen wohin. Aber die Auslosung ist doch erst in zwei Tagen.«
»Schon, das stimmt. Aber ich habe morgen meinen Abschluss.« Cyril hebt seine eine Braue leicht an.
»Abschluss. Du bist also siebzehn?«
»Noch Sechszehn, wieso? Ist das schlimm?«
»Nein, gar nicht, ich hatte dich nur älter eingeschätzt.«
»Da wärst du aber der erste. Alle denken ich sei vierzehn, weil ich so klein bin. Du siehst aber viel älter aus, als du bist. Du siehst aus wie über zwanzig, wenn du mich fragst. Liegt aber wohl eher an dem leichten Bart.«
»Ich bin über zwanzig Jahre alt.« Und erneut fällt mir die Kinnlade herunter.
»Aber.. wie bist du dann im Programm, es deckt nur Teenager bis einundzwanzig Jahren.«
»Ich bin nur zweiundzwanzig, das ist jetzt nicht so tragisch.«
»Aber selbst das geht nicht, wie..?« ich runzle die Stirn. Aber da fällt es mir ein. Es ist wie bei Tony. Er war schonmal drin, aber aus dem einen oder anderen Grund, hat es nicht funktioniert.
»Ich bin sogar das dritte Mal im Programm. Das erste Mal gab es ein Fehler im System, und ich hatte keinen Treffer bezüglich der Partnerwahl. Beim zweiten Mal gab es dann andere Probleme. Aber wenigstens mussten wir nur für das zweite Mal eine Geldsumme aufbringen. Sonst wären wir in einem noch viel schlimmeren Viertel gelandet.« Sein Blick erstarrt. Irgendwas schlimmes ist vorgefallen. Entweder hat die Hochzeit gar nicht erst stattgefunden, wobei das sehr selten der Fall ist. Weil man dann negativ auffallen würde, und das kaum einer in Kauf nimmt. Oder noch schlimmer, seine Partnerin ist gestorben. Da ich merke, es ist ein sensibles Thema, lasse ich es sein mit weiteren Fragen. Wobei es da doch eine Frage gibt, die mir auf der Zunge liegt.
»Kennst du meinen Bruder? Er heißt Sebastian Hales und war vor zwei Jahren im Programm.«
»Du bist also Zoe Hales. Das hätte ich direkt merken müssen.« Er fasst sich kurz an die Stirn und lacht erneut, wobei der Anblick seltsam ist. Diese düstere Gestalt zu sehen, wie sie lacht, einfach seltsam. »Ich kenne deinen Bruder sehr gut. Er war ein guter Freund. Aber da ich noch kein vollwertiger Mitbürger bin, dank der beiden gescheitereten Versuche, ist die Kontaktaufnahme etwas schwer. Und seine Position macht das nicht einfacher. Er ist bestimmt auch schwer für euch zu erreichen nicht?«
»Meine Eltern haben seit zwei Jahren nicht mit ihm gesprochen. Ich konnte die letzten Tage kurz mit ihm sprechen.« Bevor er antworten kann, öffnet sich die Haustür und ein kleines Kind stürmt herein. Es sieht Cyril sehr ähnlich, nur seine Augen sind nicht braun, sondern grün, so wie meine. Er schreit beim reingehen, aber sobald er mich sieht, wird er plötzlich still und schaut mich mit großen runden Augen an. Cyril hockt sich neben ihn und flüstert ihm etwas ins Ohr, daraufhin geht der kleine Junge auf mich zu und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
»Ich bin Ares.« Seine Stimme ist noch ganz pipsig und er spricht so leise, das es mir schwer fällt den Namen zu verstehen. Dann kommt er näher zu mir und hieft sich auf meinen Schoss.
»Willst du mir eine Geschichte erzählen?« Er schaut mich direkt an, und in seinen kleinen Augen steckt so viel Hoffnung und Lebensfreude, das es mich für einen Moment all' meine Sorgen vergessen lässt.
»Du hast das Mädchen gar nicht gefragt, wie es heißt, Ares.«, wirft Cyril ein.
»Wie heißt du?« dabei betont er das u in du so sehr, dass ich fast lachen muss.
»Ich heiße Zoe. Zoe Hales.« Ares lächelt, und ich nehme das als Zeichen, dass er meinen Namen mag.
»Kannst du mir eine Geschichte erzählen, Zoe?« Auch das e in meinem Namen zieht er so lang, es hört sich beinahe schon an wie ein I.
»Ich glaube Zoe muss langsam nach Hause. Es ist schon spät, und eben warst du noch in Eile.«
»Die Zeit..« ich schaue auf die Uhr. Es ist schon nach neun Uhr. Elias macht sich bestimmt Sorgen. Er hat bestimmt auch mein Fahrrad gefunden, und fragt sich wo ich bin. »Ich muss wirklich los..«
»Ich begleite dich aber. Ares, du gehst zu Opa ins Bett. Es ist bereits spät.« Ares nickt traurig und schleicht in eines der Zimmer, der kleinen Wohnung. Cyril hilft mir beim Jacke anziehen und nimmt auch einen Regenschirm mit. Denn es hat inzwischen angefangen zu regnen. Wir laufen ein kurzes Stück Weg zurück. Um zu sehen, ob mein Rad da noch liegt. Aber es ist weit und breit keine Spur mehr davon. Dann laufen Cyril und ich nahe nebeneinander, unter einen Regenschirm gepresst, auf dem kleinen Gehweg, bis wir schon fast mein Haus erreicht haben, da kommt mir Elias entgegen.
»Zoe!« Er rennt auf uns zu, und nimmt mich in den Arm. Sein Blick fällt direkt auf das Pflaster in meinem Gesicht. Und dann schaut er rüber zu Cyril. Ohne großartig nachzudenken, geht er auf ihn los. Ich meine, es ist zwar doof, warum sollte er mich nach Hause bringen, wenn er das war.. aber sein Äußeres passt sehr wohl zu einer solchen Aktion.
»Elias, lass das. Er hat mir geholfen. Ohne ihn wäre ich.. hätte man..« Ich ziehe Elias weg von Cyril. Dieser lacht kurz und reicht Elias die Hand.
»Mein Name ist Cyril Laskari. Ich kenne deine Schwester aus dem Programm. Als sie in Schwierigkeiten war, habe ich ihr geholfen. Da der Typ ihr bereits eine gescheuert hatte, musste ich das noch behandeln .. es ist spät geworden und ich dachte, ich bringe sie lieber nach Hause.« Elias Blick ist immer noch skeptisch, aber er erwidert den Handschlag, und schüttelt kräftig. Erst nach oben, dann nach unten.
»Ich bin Elias, ihr Zwillingsbruder. Danke, dass du da warst. Ich hätte sie nicht alleine gehen lassen dürfen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht, als ich dein Rad gefunden habe. Du kannst es dir gar nicht vorstellen.«
»Es tut mir leid, Elias. Aber es ist ja nichts passiert. Ich passe ab jetzt besser auf.« Dann drehe ich mich noch einmal zu Cyril und umarme ihn. In sein Ohr flüster ich ihm ein Dankeschön und gehe dann zusammen mit Elias ins Haus.
Zoe Alicia Hales (Danielle Campbell), fast 17
Elias "Eli" Theo Hales (Charlie Rowe), fast 17
Sebastian "Ty" Hales (Max Irons), 19
Selena "Sel" Lopez (Maia Mitchell), 17
Valentino "Tino" Lopez (Nick Robinson), 18
Gina Fabiano (Shelley Hennig), 17
Anthony "Tony" Stark (Louis Hunter), 21
Thea Hales (Willa Holland), 18
Olivia "Liv" Ferguson (Diana Argon), 17
Cyril Laskari (Jamie Blackley), 22
Stefane Valerien (Sergio Carvajall), 19
Nicolas "Nic" Arango (Billy Unger), 18
Nevada Loveless (Rachel Hilbert), 20
Isla-Aurora Verdin (India Elsey), 18
Tobias Farewell (Austin Butler), 19
Lewis Hemsworth (Issrael Boussard), 17
Ben Singer (Gabriel Basso), 19
Victoria "Vicky" Ferguson (Erin Moriarty), 18
Phoebe Attkinson (Odeya Rush), 17
Alessa Mazzini, 17
Quentin Perkins, 25
weitere folgen..
»Was du für ein Glück hattest.. warum bist du nicht zurück gekommen, nachdem das mit dem Reifen passiert ist? Es hätte sonst was passieren können.« Elias ist immer noch sauer, und ich bin immer noch genervt. Natürlich, ich hätte die Situation besser einschätzen sollen, und direkt umdrehen sollen, habe ich aber nun mal nicht. Das ist kein Grund mir das nach dreißig Minuten immer noch vorzuhalten. Ich habe es halt einfach nicht getan..
»Ist in Ordnung. Ich habe mich dumm verhalten.«
»Dumm?! Das ist lebensmüde gewesen, was dachtest du dir denn dabei?«
»Das ist doch jetzt nicht dein Ernst. Spiel dich nicht so auf. Mir geht es gut.«
Ich gehe in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir ab. Dann setze ich mich auf mein Bett und schließe die Augen. Ich spüre wie mein Körper nach hinten sackt, und ich jetzt auf dem Bett liege. Alles fühlt sich so gut an. Nichts tut weh. Selbst die Wunde in meinem Gesicht schmerzt kein Stück. Und auch sonst kann ich total abschalten. Es ist leise, weder Vögel singen, noch Autos sind zu hören. Rein gar nichts. Ich genieße die Stille und schlafe schließlich ein.
Mich weckt ein lautes Geräusch. Ich öffne meine Augen und sehe mich um. Es ist inzwischen stockfinster und nirgends brennt mehr Licht. Ich mache also meine Nachttischlampe an, und gehe zur Tür, aber als das Geräusch erneut ertönt, drehe ich mich um. Es kommt nicht von der Tür, sondern vom Fenster. Ich begebe mich nun vor das Fenster und schaue hinaus. Es ist schwer irgendwas zu erkennen, und der Schlafsand in meinen Augen ist da keine Erleichterung. Ich reibe mir die Augen und schaue nochmal nach draußen. Dort steht ein Junge.. Er ist relativ groß und muskulös, aber nicht breit wie ein Kanister. Es ist Valentin. Ich mache mein Fenster auf und lasse meinen Kopf raushängen.
»Guten Abend, schöne Frau.« Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen, aber zu meinem Glück lacht Valentin mit.
»Was machst du hier?«
»Ich wollte nach dir sehen.«
Ich nehme meine Strickjacke, die über meinem Stuhl hängt, und ziehe meine Hausschuhe an und renne runter zur Tür. Dort steht Valentin dann auch schon, und nimmt mich in seine starken Arme.
»Mir geht's gut.«
»Wir hätten dich nicht alleine gehen lassen sollen. Das war dumm von uns.«
»Es war dumm von mir, trotzdem den Weg zu nehmen, obwohl mein Fahrrad einen Platten hatte. Weder du, noch Elias sollten sich Vorwürfe machen.«
»Aber du hättest.. man hätte dich..«
»Psch..« Ich schaue ihn an, seine Mundwinkel zittern, seine Augenbrauen sind zusammengezogen und sein Blick weicht meinem. »Ich hatte Glück, ich weiß das. Aber bald, sind wir hier weg.« Ich küsse ihn vorsichtig, ehe ich ihm sanft durch die Haare streiche. Ich will ihm nicht weh tun. »Komm mit hoch.«
»Ich kann doch nicht einfach nach oben mit.« Seine Wangen röten sich leicht, und ich sehe ihm an, dass es ihm peinlich ist. Aber das stört mich nicht weiter, ich nehme seine Hand und ziehe ihn die Treppe hoch. Kurz bevor wir mein Zimmer betreten, ziehe ich ihn nocheinmal ganz nah an mich, und gucke ihm in die Augen. Seine sind auf meine Lippen gerichtet, und ich weiß, dass es vielleicht eine der letzten Male sein könnte, in denen ich sehe, wie mich jemand voller Liebe anguckt. Wie mich jemand aufrichtig liebt. Immerhin wird das Programm mich nicht wählen lassen, es wird mir jemanden zuteilen, von dem es denkt, es könnte klappen. Ich öffne die Tür zu meinem Zimmer und gehe rein. Valentin steht einfach nur am Türrahmen und guckt mich an. Sein Blick ist erneut auf den Boden gesenkt, und er kratzt sich am Hinterkopf. Irgendwas stört ihn.
»Ist alles in Ordnung?«
»Ja, es ist nur so unwirklich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich noch einmal die Chance hätte..« Er kommt auf mich zu, und küsst meinen Nacken, nachdem er die Tür geschlossen hat. Dann küsst er meine Wange und dreht mich zu sich. Dann umfasst er mit seinen Händen mein Gesicht und lächelt mich an, ehe er mich küsst. Diesmal nur ganz kurz. Dann schmeißt er sich auf mein Bett und schließt seine Augen.
»Ich würde am liebsten abhauen. Irgendwo, wo man immer noch einen freien Willen hat. Irgendwo, wo ich entscheiden kann, was ich will. Irgendwo, wo ich darum kämpfen muss jemandes Herz zu gewinnen. Irgendwo, wo ich entscheiden kann, ob und wann ich Kinder haben möchte. Ich will einfach das Leben führen, was früher mal möglich war. Ich habe lange nicht so gedacht, aber ich habe letztens ein Tagebuch gefunden. Von meinem Ur-ur-was weiß ich wie viel Ur-Großvater. Du hättest sehen sollen, was er alles erleben durfte, wozu wir nicht annähernd die Möglichkeit haben.« Er öffnet seine Augen und sieht mich an, er lässt einen Seufzer entweichen, und richtet sich auf. Nun ist sein Blick auf mich gerichtet, mit einer Intensität, die ich so noch nie gespürt habe. Ich setze mich zu ihm, und nimm seine Hand. Er schmunzelt kurz und fährt dann fort mit seiner Geschichte. »Er hieß Javier. Er lebte in Spanien und hat als er fünfundzwanzig Jahre alt war, ein Mädchen kennengelernt. Sie hieß Luisa. Sie war nicht besonders hübsch, schrieb er, aber sie hatte eine gewisse Austrahlung, die er nicht leugnen konnte. Allerdings war sie bereits verlobt. Aber das hielt Javier nicht auf. Er hat um ihre Aufmerksamkeit gekämpft, sie wissen und spüren lassen, wie sehr er sie liebte. Und eines Tages liefen die beiden Weg. Nach England, hierhin um genau zu sein. Sie lebten fünf Jahre ihre Liebe aus. Unternahmen viel, reisten um die Welt und erst mit dreißig Jahren haben die beiden beschlossen, es sei an der Zeit für Kinder. Und nicht zwei oder drei, weil irgendwer es ihnen vorgeschrieben hatte. Nein, es war nur eins. Ein kleines Mädchen namens Violetta. Sie haben es großgezogen, und durften ihr zusehen, wie sie selbst entschied was aus ihr wurde. Ob sie Arzt werden wollte, oder Schauspielerin oder Klofrau, es war ihre Entscheidung. Und auch ob sie den Jungen von nebenan heiraten würde, oder den älteren Jungen aus dem Urlaub oder doch einfach alleine bleiben würde. Sie hatte die Wahl.«
»Sowas werden wir leider nicht haben, Valentin. Das einzige Land, das immernoch ohne dieses Programm besteht, ist Australien. Und du weißt selber, dass wir hier niemals wegkommen werden. Und allen voran nicht nach Australien.« Valentin drückt meine Hand und küsst sie.
»Lass uns das beste draus machen. Wir haben noch zwei Tage Freiheit. Und danach werde ich alles dafür tun, dass wir auch nach dem Programm zusammen sein werden, wenn wir beide dieses Jahr ausgelost werden.« Ich sah ihm an, dass er das wollte, aber er wusste selbst, dass er das niemals schaffen würde. Ich will ihn trösten, ihm sagen, dass wenigstens etwas davon stimmt.
»Ich weiß ganz sicher, dass wir alle dieses Jahr ausgelost werden.«
»Das glaube ich nicht, Zoe. Das wäre doch wirklich zu viel verlangt.«
»Nein, ich weiß es.« Valentin sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an und schüttelt vorsichtig den Kopf.
»Du kannst das nicht wissen, außer.. hast du dich freiwillig gemeldet?«
»Versprich mir, dass du es niemanden sagst. Auch nicht Selena.« Er nickt, und nimmt meine Hände. Ich weiß, dass ich ihm vertrauen kann. Ich kann es daran sehen, wie er mich ansieht. Und ich kann es spüren, denn so wie er, so vorsichtig, und trotzdem bestimmt hat mich noch niemand angefasst. Mit ihm ist alles ganz anders. Und doch so vetraut. »Im Programm wurde ich von Sebastian behandelt. Meinem Bruder Sebastian. Von Ty.«
»Aus ihm ist also wirklich ein Arzt geworden.. hat er, hat er dir gesagt, warum er sich nicht meldet?«
»Er meint, es sei nicht sicher.« Ich ignoriere seine Frage. »Er meint, wir müssten jetzt in das Programm eintreten. Jetzt, wo er dabei ist. Wo er Einsicht hat in die Kartei, wo er helfen kann.«
»Helfen? Womit? Und weswegen überhaupt?«
»Ich weiß es nicht, Valentin. Aber ich vertraue ihm. Er ist und bleibt Ty, mein Bruder. Ich glaube ihm, und ich bin mir sicher, dass wir früh genug erfahren werden, was er meint.« Ich schaue ihn mir an. Man sieht ihm an, wie er über etwas nachdenkt. Man könnte meinen, ihm würde gleich Rauch aus den Ohren kommen.
»Er meinte, er muss uns alle reinbringen. Er meinte, wir müssten uns alle freiwillig melden, dann könnte er uns helfen. Ich habe ihm direkt gesagt, dass ich das unseren Eltern nicht antun kann. Er müsste dafür sorgen. Und er meinte er würde sich darum kümmern. Und ich wollte, dass er sich nicht nur um Elias und mich kümmert. Sondern uns alle. Ihn, mich, dich und Selena. Und Elias hat ihn auch um Gina gebeten. Wir alle werden übermorgen ins Staatshaus ziehen. Für die nächsten drei Monate.«
»Wenigstens werden wir uns einander haben, während wir da sind. Und wer weiß, vielleicht finden wir am Ende wirklich zusammen. Ich in sicher dein Bruder kann da auch helfen.«
»Ganz bestimmt.« Danach sprachen wir nicht mehr viel. Wir legten uns einfach nebeneinander, hielten uns im Arm und schliefen letztendlich ein.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, liegt er immer noch da. Er ist schön wie immer, und seine hellbraunen Haare erscheinen im Morgenlicht schon beinahe blond. Ich streichle seine Wange und will ihn gerade küssen, da reißt jemand meine Tür auf und stürmt herein. Es ist Elias.
»Steh auf, Zoe. Wir warten schon alle auf dich.« Erst dann fällt sein Blick auf die Person neben mir im Bett. Ich verdrehe meine Augen, während er sich halbtot lacht.
»Ich bin gespannt wie du das Mom und Dad erklären willst.«
»Ihnen was erklären?« Valentin ist aufgewacht, und richtet sich auf. Dann gibt er mir einen Kuss auf die Wange und zwinkert Elias zu. Elias zeigt ihm daraufhin den Mittelfinger und Valentin lacht herzhaft.
»Na, warum du hier bist, Spast.« Jetzt lacht auch Elias. Valentin steht auf und reicht Elias die Hand.
»Guten Morgen, Bruder. Hast du gut geschlafen? Ich habe ja nicht besonders viel geschlafen.« Natürlich weiß ich, dass Valentin nur rumblödelt, aber das erinnert mich wieder daran, warum es mir damals so einfach gefallen war, meine Verliebtheit auszustellen. Er ist zwei Jahre älter als ich, und benimmt sich manchmal wie ein präpubertärer Junge. Ich lasse mich in mein Bett fallen und versuche nichts von dem Gespräch - wenn man das so nennen kann, der beiden zu hören. Doch aufeinmal spüre ich wie jemand auf mir sitzt. Ich nehme meine Hände von meinen Augen und schaue die Person an. Es ist Valentin. Elias ist anscheinend wieder nach unten.
»Denkst du nicht, du bist dafür zu schwer?« Ich schubse ihn von mir runter, aber er hält mich fest, und so sitze ich letztendlich auf ihm.
»So gefällt mir das auch besser, glaube mir.« Ich verdrehe die Augen und will aufstehen, da hält er mich fest.
»So einfach geht das aber nicht, meine Schöne.« Aber ich bin gerade nicht wirklich in der Laune für dumme Spielchen, und reiße mich schließlich von ihm los.
»Was ist denn los, Zoe?«
»Du solltest noch ein wenig schlafen, findest du nicht? So viel geschlafen haben wir ja nicht.«
»Du bist doch nicht deshalb sauer, das ist doch echt k-«
»Kindisch? Ja, das warst du auch gerade.« Ich stehe vor meinem Spiegel und bürste mir die Haare. Ich kann neben meinem, auch sein Spiegelbild sehen. Er sitzt jetzt auf dem Bett und wirkt besorgt. Ja, ich überreagiere bestimmt, aber wer würde das nicht? Es ist früh am morgen, und ich konnte nichteinmal in Ruhe aufstehen.
»Tut mir leid.« Aber stattdessen entschuldigt er sich, und ich fühle, wie mich das stolz und glücklich macht.
»Es ist schon okay.« Aber ich weiß, dass auch ich etwas überreagiert habe. »Ich habe überreagiert, es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass das jetzt so eskaliert. Das war total dumm von mir.« Ich muss komischerweise lachen und kann erst nicht aufhören. Aber auch Valentin lacht und umarmt mich schließlich.
»Lass uns runter.«
Das Frühstück war nicht besonders unangenehm. Mein Vater war bereits auf der Arbeit, meine Mutter hat keine dummen Fragen gestellt, nichtmal zu der roten Stelle an meiner Wange - nur Elias fand es lustig immer mal wieder Andeutungen bezüglich Valentin zu machen. Aber nachdem ich Mom von Gina erzählt hatte, fand er es dann nichtmehr so lustig. Dann ist Valentin auch gegangen um sich für heute Abend fertig zu machen. Und auch ich habe die ersten Vorbereitungen getroffen: duschen, Haare waschen und Lockenwickler eindrehen, meine Mama dazu bringen mich zu schminken und letztendlich auch schonmal mein Unterkleid anziehen. Das war mehr oder weniger Tradition der Hales. Man zog das Ballkleid nicht ohne Unterkleid an. Meins war recht simpel. Ich wollte nichts spektakuläres, hatte immerhin auch nicht vor, dass das jemand sieht. Es war rosé und hatte Spitze am Rock in einem dunkleren Ton der Farbe. Das Kleid war sehr kurz, reichte knapp über meine Unterwäsche, was daran lag, das mein Ballkleid knielang war und es nicht in meinem Vorhaben war, dass man es sehen konnte. Das Ballkleid hatte ich mir seit ich klein war gewünscht. Ich wusste dass es knielang sein sollte, es sollte oben eng anliegen und dann explodieren. Ich wollte dass es viel Tüll hatte, und letztendlich war es kein Ballkleid sondern ein Cocktailkleid, aber ich fand es wunderschön. Es war oben schwarz mit einer dunkelroten Verzierung und der Tüll war bordeaux. Meine Mutter hatte mir dazu schwarze Plateauschuhe gekauft. Nachdem ich dann auch das Kleid angezogen hatte, weil der Ball nicht mehr weit war, nahm ich auch die Lockenwickler raus. Meine Haare fielen nicht sofort so wie sie sollten, aber nachdem sich die Locken einwenig ausgehangen hatten, saß alles so wie es sitzen sollte. Selbst mein dunkelroter Lippenstift hatte bis jetzt gut gehalten. Meine Augen hatte Mom nur ganz leicht geschminkt. Ich wollte den Fokus definitiv auf meine Lippen richten. Elias brauchte nur dreißig Minuten. Er zog sich seinen Anzug an, nachdem er geduscht hatte. Allerdings verschwand er nochmal kurz im Bad und als er raus kam, waren Mom und ich geschockt. Er hatte sich einfach seine Haare abrasiert. Er hatte keine Glatze, aber seine Haare waren nur noch ein paar Millimeter lang..
»Was hast du gemacht?«
»Ich dachte, es ist an der Zeit.«
»Zeit für was? Wie ein Vollspacken auszusehen? Das sieht furchtbar aus.«
»Also mir gefällt es.« Elias grinst mich an, und geht die Treppe runter, als unser Vater nach Hause kommt.
»Ich wollte euch beide unbedingt noch einmal sehen.« Er hält Elias an den Schultern und mustert ihn.
»Steht dir so, Sohn. Du siehst aus wie ein Mann.« Ich sehe puren Stolz in seinen Augen.
»Danke, Vater.« Und pure Erhfurcht, aber auch Liebe in Elias' Augen. Und dann war er auch schon verschwunden, um Gina abzuholen. Dann fiel der Blick meines Vaters auf mich. Und dann auf meine Mutter. Ich wusste schon immer, dass meine Eltern sich wirklich liebten, nicht wie andere,, aber erst seit kurzem kannte ich die Geschichte.
»Du siehst wunderschön aus, meine Kleine.« Er nimmt mich in den Arm und streichelt meine Wange. Er strahlt über das ganze Gesicht, genau wie auch meine Mutter. Die beiden stehen neben mir und gucken mich an, von oben bis unten. Meine Mama weint und mein Vater strahlt über beide Ohren.
»Hört auf, ich muss sonst auch noch weinen.«, schluchze ich.
»Es ist nur, gestern sind du und dein Bruder noch durch die Wohnung gekrabbelt, und jetzt seid ihr erwachsen. Und bald seid ihr auf euch gestellt. Genau wie Ty.« Ty.. Es ist lange her, dass sie den Namen genannt hat. Aber mich freut das sehr. Es ist wieder für einen kurzen Moment so wie früher, wir sind eine komplette Familie.
»Ty ist.. Er ist ein toller Junge gewesen, er hat über euch gehütet, wie es eigentlich nur eine Mutter tut. Ich glaube er hat niemanden mehr geliebt als dich und Elias, Schatz.«, bringt meine Mama unter Tränen raus.
»Ich weiß, dass er uns geliebt hat. Und ich weiß auch, dass er es immer noch tut.«
»Natürlich, er ist nicht herzlos, er ist einfach nur angepasst. Das ist alles, Zoe.«, tröstet mich mein Vater.
Aber bevor wir das Thema weiter auskauen können, klingelt es an der Tür. Und ich bin mir sicher, dass das Valentin ist.
Mein Vater öffnet die Tür und dort steht er. Stolz und sexy in seinem Anzug. Sein Anzug ist dunkelgrau und er trägt statt einer Krawatte eine dunkelrote Fliege. Er sieht atemberaubend aus, und ich frage mich das erste Mal, wie ich diesem Anblick so lange widerstehen konnte. Und als sein Blick auf mich fällt, ist er hin und weg.
»Wow.« Er grinst immernoch, selbst dann noch, als mein Vater ihn merkwürdig anguckt.
»Guten Abend, Mr.Hales.« Er reicht ihm seine Hand, und mein Vater schüttelt diese kräftig und flüstert ihm etwas zu. Währenddessen muss Valentin schmunzeln und sieht meinem Vater direkt in die Augen als er die nächsten Worte spricht. »Sie sollten wissen, dass es mir ernst ist. Dieses Mädchen dort oben, das wird mal meine Frau sein.«
Meine Eltern lachen beide kurz, nicht weil sie belustigt sind, aber, weil sie sich selbst wiedererkennen.
Dann steige ich die Treppenstufen hinunter, und fixiere Valentin dabei die ganze Zeit. Er ist perfekt. Und ich fühle mich das erste Mal seit ich denken kann, als ob auch ich perfekt aussehe. Perfekt in dem Sinne, dass ich bestimmt nicht besser aussehen könnte. Perfekt in dem Sinne, dass mich niemals jemand so angucken wird, wie es heute der Fall ist. Niemand wird das tun, aber das ist in Ordnung. Das Leben bietet einem oft nur eine Gelegenheit, die Frage ist immer nur die: Hast du den Abend genutzt? Hast du die Chance genutzt?
»Du siehst toll aus.« Flüster ich Valentin zu, als er mir eine Ansteckblume umbindet.
»Neben dir sehe ich wie ein Penner aus. Du bist.. perfekt.« Ich muss schmunzeln und nehme seine Hand.
In der Schule angekommen, sehen wir uns viele Gesichter. Auch Sel, die mit Nic gekommen ist.
»Du siehst umwerfend aus, Zoe.« sprudelt es aus Sel raus, und Nic nickt.
»Danke, Sel. Dein Kleid steht dir einmalig.« Ihr Kleid ist lang und ist enganliegend. Es ist violett und schmeichelt ihrem Teint ungemein. Auch ihre Haare hat sie aus dem Gesicht geflochten und hinten weggesteckt. Sie sieht schön aus, und ich wünsche mir das jemand ganz spezielles das sieht und eifersüchtig sein wird. Das jemand versteht, was er eigentlich hat gehen lassen. Er hat zwar keine Wahl was die Zukunft angeht, aber das Hier und Jetzt, das haben wir. Und ich für meinen Teil werde das nutzen. Nic hingegen trägt eine dunkle Jeans und ein Hemd mit einer Krawatte. Nichts besonderes, aber er sieht trotzdem nicht schlecht aus. Er hat leicht gebräunte Haut, hellbraune Haare und grünbraune Augen. Und ich muss zugeben ein umwerfendes Lächeln und die ein oder andere Sommersprosse die ihm auch das gewisse Etwas verleiht. Wäre er netter, hätte er bestimmt auch mal das ein oder andere Date, aber mit Mädchen kann er nicht wirklich umgehen. Mit Sel war das so eine Sache. Ich war mir sicher, dass er auf sie stand, aber sie hat das immer geleugnet. Sie war immerhin die einzige, über die er nie schlecht sprach, und auch wie er sie ansah, man konnte das eigentlich direkt ablesen. Aber heute, heute war er ganz still, und abwesend. Nickte ab und an, zwang sich ein Lächeln auf und lachte ein, zweimal.
Wir sitzen erst nur an unserem Tisch, essen ein wenig, spaßen herum und vergessen für einen Moment, dass wir uns alle so nie wieder sehen werden. Es wäre ein viel zu großer Zufall notwendig. Allgemein, die meisten der Kinder in diesem Raum werden bestimmt erst über die nächsten Jahre ins Programm ziehen, können bisdahin Geld sammeln um vielleicht doch noch abzuhauen, oder einfach um noch ein paar Jahre zu haben ohne Zwang.
»Also ich habe mich freiwillig gemeldet.« Wir schauen alle rüber zu Nic. Mir stockt der Atem und ich will ausrasten. Fragen, wie man so dämlich sein kann, wie man ein paar Jahre Freiheit einfach so weggibt. Aber dann merke ich, dass er den gesamten Abend keinen einzigen Witz gemacht hat, nichteinmal ein Wort gesprochen hat, bis jetzt. Und dann haut er so einen Knaller raus. Ich würde echt gern wissen warum, aber Sel war schneller.
»Darüber macht man keine Witze, Nic.« Sel sah ihn mit weitaufgerissenem Mund an und schüttelte den Kopf.
»Ich mache keine Witze. Ich habe mich heute morgen eingeschrieben.« Ich bin verwirrt, aber da kommt mir eine Idee. Ich schaue rüber zu Valentin, dieser schüttelt wie Selena den Kopf. Er hat ihm also nichts davon erzählt, was mir Ty anvertraut hat.
»Warum?« Ich muss diese Stille und das Rätselraten brechen.
»Ich will es hinter mich bringen. Wozu weitere Jahre vergeuden? Wozu noch länger warten?«
»Nic, du kannst das doch nicht deinen Eltern antun.« Selena redet bestimmt und beißt sich dabei fast auf die Lippe. Nic schaut zu ihr rüber und lächelt kurz. Dann steht er auf und geht raus.
»Ich geh da lieber mal mit, kümmert ihr euch nicht weiter drum.« Selena steht auf und rennt ihm hinter her. Ich kann sehen, wie er kurz davor ist zu weinen, und wie er ihr etwas sagt und dann geht. Selena bleibt stehen und sieht verwirrter aus, als jemals zuvor. Dann rennt sie in die Richtung, in die auch Nic eben gegangen ist.
»Was war das?« Ich bin immer noch unter Schock.
»Ich glaube ich weiß es.« Ich schaue Valentin an und siehe ihn fragend an.
»Er hat hier nichts. Du kennst seine Eltern nicht. Die benutzen ihn als Geldmaschine. Er darf sein verdientes Geld nicht behalten. Lediglich fünfzig Marken darf er behalten, den Rest muss er abgeben. Er hat hier kein Leben. Es ist für ihn an der Zeit ein neues Leben anzufangen. Er ist ja nichtmal das leibliche Kind der Arangos.«
»Nic ist adoptiert?«
»Du kennst seine Eltern wirklich nicht. Seine Mutter ist Asiatin, und sein Vater ist Spanier. Oder Franzose.. ich bin mir da nicht sicher. Auf jedenfall sieht man es sofort. Er ist auch das einzige Kind der beiden. Der Antrag auf das zweite ist noch nicht erteilt worden.« Valentin ballt seine Hände zu Fäusten. »Wobei ich nicht finde, dass die beiden ein weiteres Kind verdient hätten. Ich glaube echt, die Welt hat dem Vater nicht ohne Grund das Kinder kriegen nicht ermöglicht. Die Mutter hingegen, sie ist eine echt nette und fürsorgliche Frau, die sich leider nicht durchsetzen kann. Ich glaube deshalb hat Nic ein Jahr gewartet, wegen seiner Mutter.«
»Das wusste ich gar nicht. Der arme.«
»Ja, aber lass dir nicht den Abend verderben. Nic ist ein starker Kerl, der endlich das Ding in seine Hand genommen hat.« Valentin greift meine Hand und zieht mich hoch und ganz nah an sich. »Lass uns tanzen.«
Auf der Tanzfläche ist der Großteil der Leute. Selbst das ist ungewiss.. werden wir jemals wieder auf einen Ball gehen? Und nein, ich meine nicht den Abschlussball des Programms, darauf freut sich nun wirklich keiner. Viele sind engumschlungen. Man kann mir sagen, was man will, aber man kann sich auch mit fünfzehn, sechszehn oder siebzehn oder sonst was, verlieben. Das funktioniert. Und es ist keine Kindergartenliebe, es ist einfach Liebe. Mal hält sie, mal nicht. Aber das muss kein Indikator dafür sein, ob sie echt war. Echte Sachen können auch kaputt gehen. Vieles kann dazuführen. Oft ist es unüberlegtes Handeln, manchmal der Alltag und manchmal noch viel schlimmere Dinge.. Dinge, die man nicht aufhalten kann: der Tod.
Valentin und ich stehen uns gegenüber und hüpfen rum, es passt gar nicht zur Musik. Aber das Lied ist so schnell und voller Beats, das man dazu eigentlich gar nicht tanzen kann. Aber das ist egal. Als dann endlich ein langsames Lied anläuft, kniet sich Valentin vor mich nieder und streckt mir seinen Arm aus.
»Darf ich um diesen Tanz bitten?« Ich ziehe ihn hastig hoch und lege meine Hände auf seine Schultern. Er legt seine auf meine Taille. Ich lege meinen Kopf auf die Hand, die auf seiner linken Schulter ruht und schließe die Augen. Ich kann sein Herz hören, es schlägt etwas schneller, als ich normal einschätzen würde, aber das beruhigt mich. Zusätzlich spüre ich wie er seinen Kopf auf meinem abstützt und mir einen Kuss auf meine Stirn gibt.
»Wer hätte das einmal gedacht? Du und ich. Aber es macht mich unbegreiflich glücklich. Danke.«
»Ich muss mich bedanken, Valentin. Ich wollte dir übrigens sagen, dass ich schonmal Gefallen an dir hatte, und hiervon mehrmals geträumt habe, deshalb.. ich habe es nicht nur einmal, sondern mehrmals gedacht.«
»Wann? Wann warst du denn in mich verliebt?«
»Als du mit Vicky zusammen warst.«
»Vicky.. Vicky Ferguson? Die Vicky?«
»Ferguson? Ist das etwa.. die Schwester von Liz?«
»Ja, die sehen sich doch auch super ähnlich.«
»Das hätte mir auffallen müssen.. aber ja, die Vicky.«
»Das mit ihr war nun wirklich nichts ernstes, aber gut zu wissen, dass damals schon was war.«
Ich kneife Valentin leicht an der Schulter und schaue zu ihm hoch. Er grinst breit und küsst mich dann.
Bis ich meinen Bruder sehe, dauert es ein wenig. Aber als er dann endlich eintrifft, ist er überglücklich. Und der Grund ist an seiner rechten Hand. Und Gina sieht umwerfend aus. Es ist echt erstaunlich, was ein wenig Make-Up und das richtige Kleid so ausmachen kann. Ihr kleid ist vorne kürzer als hinter. Es ist pfirsichfarben und verläubt nach unten in einen lachsfarbenenton und schließlich in ein pink. Obwohl es oben eng anliegt, und ihren Busen umschmeichelt, ist es unten flättrig und fällt in leichten Wellen. Ihre Haare hat sie in einem etwas helleren und tieferen braun gefärbt und trägt ihre Haare in leichten Wellen, fast so wie das Kleid. Und es ist herzerwärmend zu sehen, wie Eli sie anschaut. Aber nicht nur er, alle starren sie an und ärgern sich, dass sie wohl nie netter zu ihr waren. Und das mein Bruder schneller war.
»Sie sieht wunderschön aus, das hatte ich echt nicht erwartet. Aber, wow.«
»Also ich konnte es sehen, und Eli ja gottseidank auch. Wobei seine Frisur echt ..« sagte Valentin, als er schon auf Elias zugeht.
»Hey, alter. Was hast du mit deinen Haaren gemacht?« Er packt Elias an den Kopf und streicht über diesen.
»Das ist viel zu kur, Alter. Das sieht echt.. und neben ihr siehst du aus wie ein Penner.« Valentin reicht Gina die Hand. »Du siehst wirklich umwerfend aus, aber mit dem hier, hast du dir echt keinen Gefallen getan.«
»Ha-Ha.« Elias gibt Valentin einen leichten Schlag auf seine Schulter.
»Also mir gefällt er auch so.« Sagt Gina als sie Elias anguckt, und nach seiner Hand greift. »Und Zoe, du bist bildhübsch, wie immer.«
»Neben dir sehen wir alle heute nach nichts aus. Du siehst umwerfend aus.«
»Danke, wirklich. Ihr seid alle so süß, danke..« Elias zwinkert uns zu und begibt sich auf die Tanzfläche, Gina ganz fest an seiner Hand. Dann legt er seine Hand auf ihren Rücken und sie legt ihre Arme um seinen Nacken und die beiden schauen sich mit großen Augen an, während sie sich langsam zum Beat bewegen.
»Die beiden sind echt niedlich. Gut, dass Elias auch mal in die Pötte kommt. Es war echt mal an der Zeit.«
»Valentin, sei nicht so gemein.«
»Dein Bruder hat bis gestern oder wann auch immer, noch nichteinmal ein Mädchen geküsst. Findest du das normal? Also ich finde es wichtig, dass man Erfahrung sammelt. Vor allem in so einer Welt wie unser.«
»Naja, was ist denn schon normal. Es war schon seltsam, immerhin ist er nicht gerade hässlich. Aber er wollte das halt nie, von daher.. ich weiß nicht, lass uns bitte über etwas anders reden.«
»Wir können ja über meine Schwester reden. Wo ist sie denn schon so lange?«
»Das ist eine sehr gute Frage.«
Wir suchen bereits seit dreißig Minuten, aber nirgends ist eine Spur von Selena, oder Nic. Wir haben die gesamte Schule durchsucht, Sporthalle, Chemieräume, Mensa und jede Ecke des Gebäudes. Erst dann kommen wir auf die Idee auch mal draußen nach ihr zu gucken. Dort treffen wir auf Tony. Er ist mit einem blonden Weib auf dem Schoss in seinem Truck. Aber statt sich von ihr küssen zu lassen, drückt er sie weg. Und als er mich und Valentin sieht, schubst er die Blondine von sich und steigt aus.
»Sagt Sel, sie soll das nächste Mal jemanden anderes benutzen, um mich eifersüchtig zu machen, das war echt lächerlich. Als ob sie auf diesen Nic Typen steht, pff.« Valentin ist verwirrt, ich bin sauer.
»Vielleicht solltest du einfach mal das ein oder andere dir eingestehen.«
»Vielleicht solltest du einfach mal wachsen, bevor du mit mir sprichst.« Er macht einen Schritt auf mich zu, aber Valentin schubst ihn von mir. Tony ist sauer, und will auf Valentin los, da verpasse ich ihm eine Schelle.
»Hör zu, Bitch. Ich kann vielleicht nicht dir eine verpassen, aber sehrwohl deinem Märchenprinzen hier.«
»Und ich kann sehrwohl deinen Arsch versohlen, Dumpfbacke.« Tony lacht, also verpasse ich ihm einen Schlag an den Hals, und er schnappt nach Luft. Dann trete ich ihm in die Weichteile und nehme seine Hände über Kreuz und übe Druck auf seinen Rücken aus. Ich spüre wie er sich befreien will, aber mein Bruder hat mir gezeigt wie das geht. Ich trete gegen seinen Arsch und drehe einen seine Arme leicht ein.
»Das war kein leeres Versprechen, Anthony.«
»Nenn mich nicht so.« Bringt er in seiner Rage lediglich raus. Ich drehe seinen Arm noch ein bisschen, aber bevor ich noch irgendwas machen kann, reißt mich jemand von ihm los. Es ist Selena. Neben ihr ist Nic.
»Was machst du da, Zoe? Seit wann.. was soll das?«
Als Tony Selena anguckt, fällt sein Blick für kurze Zeit auf den Boden. Als er hochschaut, rümpft er seine Nase, zieht seine Augen zusammen und seine Arme sind vor seiner Brust verschrenkt. Selena hingegen schuat ihn einfach nur noch verachtend an. Irgendwas muss geschehen sein. Etwas, von dem ich noch nichts weiß.
»Ich denke es ist an der Zeit, zu gehen, Tony.«
»Von dir lasse ich mir nichts sagen.« Tony macht einen Schritt auf Selena zu. Da will Valentin eingreifen, doch Selena weist ihn zurück und schüttelt den Kopf.
»Was willst du machen, Tony? Ich weiß, dass du mich niemals schlagen würdest. Also warum gehst du nicht einach?« Tony starrt auf Selenas Lippen, Selena hingegen starrt ihm in die Augen. Es ist komisch.
»Warum bist du dir da so sicher? Ich habe schon viel schli-«
»Nein, hast du nicht. Du willst, dass alle denken du seist ein Arsch. Bist du aber nicht.« Tony geht noch einen Schritt auf Selena zu, und steht nun unmittelbar vor ihr. Dann fasst er ihr Kinn an und hebt es an.
»Du willst das denken, Süße. Aber du irrst dich.«
»Ich habe mich zum Teil geirrt. Du bist ein Arsch, ja, aber nicht so ein rücksichtsloses und kaltherziges wie du gern sein würdest. Ich weiß ganz genau, dass du lieben kannst. Also lüg mich nicht an.« Tonys Griff um Selenas Kinn wird kräftiger, aber Selena wehrt sich nicht, sie schaut ihn regelrecht an. Was sie will, kann ich nicht sagen.
»Du bist unfassbar, Lopez.« Nun rutscht sein Griff und er umfasst ihren Hals. Valentin will auf ihn los gehen, als Nic bereits zum Schlag ausholt. Doch Tony weicht aus. Stattdessen kassiert Nic einen Kinnhacken, und einen Tritt in den Magen.
»Ich bin unfassbar? Hör auf ihm weh zutun.«
»Diesem Weichei. Du tröstet dich mit so einer Gurke von mir hinweg? Bei dir ist mehr kaputt als gedacht.« Tony hilft Nic auf, nur um ihm erneut ins Gesicht zu schlagen. Valentin steht neben mir. Ich schaue ihn verdutz an.
»Helf ihm doch. Er wird ihn noch halbtot schlagen.« Ich schreie solaut, dass meine Stimme sich beinahe überschlägt, aber Valentin steht nur da, und ballt seine Fäuste.
»Das ist sein Kampf. Er.. ich kann da nicht eingreifen, noch nicht, ich weiß, dass er das kann.« Ich verstehe ihn nicht, wie kann man bei so etwas nur zusehen? »Als Mädchen versteht man das nicht, aber jeder Junge muss seinen eigenen Kampf bestreiten.«
Und als hätte das etwas in Nic geweckt, duckt er sich das erste Mal und reißt Tony zu Boden. Er setzt sich auf ihn und gibt mehrere Schläge ab. Ins Gesicht, in die Brust und auch in die Magengrube. Als Tony anfängt aus der Nase zu bluten hilft er ihm auf und schubst ihn leicht zur Seite.
»Mal davon abgesehen, dass Gurke eine schlechte Beleidigung ist, bin ich keine.«
»Du hast sie trotzdem nicht verdient.«
»Aber du? Und denkst du nicht, sie sollte das entscheiden?« Selena steht immer noch da, wo sie seit mehreren Minuten steht und ballt ihre Faust. Dann geht sie auf Tony zu und verpasst ihm eine Schelle und dann einen Tritt in die Weichteile. Dann beugt sie sich runter und flüstert direkt in sein Ohr: Ich kann nicht glauben, dass ich meine Zeit mit dir vergeudet habe. Du wirst niemals ehrlich zu dir sein, warum also zu mir. Auf Wiedersehen.
Das weiß ich, weil sie es mir später gesagt hat, genau wie die Sache, die ihr Nic gesagt hat. Es ist egal, wann ich ins Programm gehe, keiner will mich und ich will nur eine. Und die bist du, und du willst mich nicht. Es ist also in jeder Hinsicht zwecklos. Sie hat ihn an diesem Abend nicht mit anderen Augen gesehen, auch wenn Tony da anderer Meinung ist. Er hat die beiden gesehen, wie sie am reden waren, und ist wutentbrannt abgehauen. Da ist Selena ihm hinter her um zu fragen, wo sein Problem liege. Sein Argument war natürlich, dass er nicht glauben könne, mit was sie sich wegtrösten würde, und Selena hat die Dinge direkt klargestellt, aber Tony hat nur rumgeschrien und ihr gar nicht zugehört. Als sie gehen wollte, hat er sie dann geküsst. Sie hat es zugelassen, immerhin ist es das was sie will - so ehrlich muss man da schon sein. Als sie dann wissen wolle, warum, hat Tony ihr keinen Grund genannt, und sie stattdessen beleidigt. Als Schlampe und, dass sich da doch jeder nehmen könnte, was er will. Und ihm war wohl danach. Als sie dann erneut unter Tränen abhauen wollte, hat er sie gepackt und meinte, dass ihm niemand so egal war, wie sie. Dann hat er sie erst gehen lassen.
»Ich verstehe das nicht, was hat er denn für ein Problem?«
»Eindeutig Mila. Er kann das nicht verarbeiten, und will anscheinend gar nicht mehr lieben. Und das soll jetzt nicht selbstverliebt klingen oder so, aber er liebt mich.. und das ist es, was ihn stört. Deshalb hasst er mich, weil ich seine dummen Pläne durchkreuze.«
»Und warum dachte er, dass zwischen dir und Nic was liefe?«
»Wir haben geredet, und Nic hat mich ab und an angefasst, und als er meine Wange gestreichelt hat, kam Tony.«
»Nic tut mir schon echt leid. Er wäre auch viel besser für dich.«
»Ist das dein Ernst? Ich habe bis auf heute noch nicht ein einziges ernsthaftes Gespräch mit ihm. Ich weiß gar nicht, wie er mich überhaupt mögen kann. Klar, er war oft bei uns, und wir waren oft zusammen auf irgendeinem Ball, aber wir haben nie getanzt oder geredet oder uns irgendetwas geteilt.«
»Er tut mir trotzdem leid, Sel. Ich mag ihn nicht besonders, sein Humor ist furchtbar, aber dir gegenüber hat er sich immer schon wie ein Gentleman benommen.«
»Du bist nur glücklich, dass du sagen kannst-«
»Dass ich Recht hatte? Das ist mir gerade echt egal, der tut mir einfach nur leid. Hast du sein Gesicht gesehen? Du solltest echt nochmal zu ihm. Ich finde er hat sich ein bisschen Zeit mit dir erkämpft.«
Nach dem Ball ist Selena mit zu Nic gefahren. Gina ist zu Elias und mir gefahren, wie auch Valentin und ich.
»Ich hoffe du hattest trotz allem Spaß.«
»Ja, ich hatte Spaß. Und ich bin immernoch froh, dass wir das zusammen erleben dürfen.«
»Ich wusste gar nicht, dass Ty euch so gute Skills gezeigt hat. Wie du Tony zusammengetrommelt hast, das war schon beängstigend. Aber auch sexy.« Valentin und ich sitzen nebeneinander auf dem Bett, wir haben uns bereits in unsere Pyjamas gegammelt und lassen den Abend ausklingen.
»Sexy?« Ich nehme einen seiner Arme und drehe ihn leicht ein, sein Mund zuckt kurz, aber er lässt sich den Schmerz nicht anmerken. »Ich würde eher gefährlich sagen, mein Lieber.« Er löst sich aus meinem Griff und wirft mich auf das Bett, dann kniet er sich über mich und hält meine Arme auf dem Bett fest.
»Ty hat nicht nur euch den ein oder anderen Trick gezeigt.« Ich versuche mich aufzurichten, aber Valentin drückt mich runter und küsst mich dann lang. Als er von mir ablässt, treffen sich unsere Blicke, dann grinsen wir uns an und Valentin küsst mich erneut. Diesmal fährt er mir dabei durch die Haare, und ich lege meine Hände auf seine Hände. Ich spüre den Saumen seines Oberteils und hebe sein Oberteil an und streife es ihm über seinen Kopf. Plötzlich liegt er unter mir, und ich knie auf ihm. Also nutze ich die Gelegenheit und ziehe mein Oberteil aus. Dann richtet sich Valentin auf und umarmt mich, während er meinen Hals, meine Brust und meinen Bauch vorsichtig küsst. Dann legt er eine meiner Haarsträhnen hinter mein Ohr und küsst mich auf die Wange.
»Ich liebe dich, Zoe.« Ich spüre, wie sich ein ungezähmtes Grinsen in meinem Gesicht breit macht.
»Ich liebe dich, Valentin.« Nun küsse ich ihn hart und fahre durch seine hinteren Haarbüschel im Nacken. Ich küsse ihn immer rücksichtsloser, und auch er, wird immer ungeduldiger.
»Ich kann nicht glauben, dass wir..« Valentin küsst mich auf den Kopf, der auf seiner Brust liegt.
»Ich hoffe du bereust es nicht schon, Zoe.«
»Nein, natürlich nicht. Ich habe entschieden, wie auch du.«
»Ich hoffe du bist glücklich mit deiner Entscheidung. Weil ich es bin, Zoe Hales. Du gibst mir das Gefühl von zu Hause. Das hatte ich noch nie bei einer Person. Mir ist egal, wo wir sind. Mit dir ist alles gut. Mit dir ist alles nicht ganz so kaputt, wie es mir vorkommt.«
»Langsam glaube ich immer mehr, dass du eines Tages ein großartiges Buch schreiben wirst, Valentin. Und ich hoffe, die Widmung gehört mir. Das musst du mir versprechen.«
»Ich verspreche es, Zoe Hales. Sollte der Tag kommen, werde ich das Buch dir widmen.«
»Ich freue mich jetzt schon, Valentin Lopez.«
Den letzten Tag zu Hause hatten Elias und ich mit unseren Eltern verbracht. Dad hatte sich sogar extra freigenommen. Wir sind zu einem Haus am See gefahren, dass wir früher jeden Sommer gemietet hatten. Früher, als Ty auch noch zur Familie gehörte. Nicht, dass er es nicht mehr tat - für uns würde er immer Ty bleiben. Aber vor dem Gesetz war er jetzt dabei selber eine Familie zu gründen. Er war irgendwo noch Teil, aber kein vollwertiges Mitglied, so der Staat. Und Elias und ich waren nun selbst kurz davor aus der Famlie auszutreten. Das ist kein leichter Schritt. Obwohl für viele, wie ja auch für Nic es eher Befreiung ist, als ein Zwang zu gehen. Ich hoffe sehr, dass mein Bruder und ich mit unseren Eltern weiterhin Kontakt halten können. Ich will ihn nicht antun, was Ty ihnen antun musste. Das haben sie nicht verdient.
Wir haben zusammen gekocht, alles, was Elias und ich gern aßen die letzen Jahre. Von Pfannkuchen, bis Reis mit Lachs über Gurkensalat, bis hin zu Steak mit Kräuterbutter war alles dabei. Meine Eltern geben sich viel Mühe, das haben sie immer schon. Auch früher wollten sie nur das Beste für uns. Ob es um Schuhe ging, um Essen, um Schultaschen oder sogar meine Haargummis. Alles sollte genau so sein, wie wir das wollten. Viele andere Eltern fanden das übertrieben, sagten, es sei nicht gut, seine Kinder so zu verwöhnen und ihnen alles, was man ihnen geben kann, und gut hält zu geben, gibt. Und sie hatten Recht, in sofern, dass es uns zu einer unglaublich verbundenen Familie gemacht hat. Viel zu verbunden. Und auch Eli und ich würden ab jetzt getrennte Wege gehen - zumindest bestand dazu die Möglichkeit. Und das war immer ein Gedanke, den ich schrecklich fande. Wir waren immerhin nicht einfach Geschwister, wir waren Zwillinge. Und man kann mir sagen, was man möchte, es war etwas anderes. Ich liebte Ty auch, über alles - aber zu Elias hatte ich einfach einen angeborenen Bezug. Wir waren die besten Freunde, die sich auch wie beste Freunde stritten und vertrugen. Ich liebte ihn einfach ein wenig mehr als den Rest meiner Familie, er war meine bessere Hälfte. Das war nicht zu leugnen. Er war immer netter, immer höflicher und wortgewandter, er war der erste von uns der sein Talent war. Ich konnte zeichnen, er kann unglaublich gut musizieren. Und das nicht nur an einem Instrument, aber an so vielen, und so seltsamen, dass ich den Überblick vor Jahren verloren hatte. Und trotz all'dem war ich nie eifersüchtig, ich war stolz. Ich hatte immerhin meine eigenen Dinge, ich war ja selber auch froh, etwas zu können, was vielleicht nicht jeder kann. Hätte ich das nicht entdeckt, wäre es vielleicht anders ausgegangen, aber das ist es einfach nicht.
»Ich kann nicht glauben, dass meine beiden kleinen Babies nun siebzehn Jahre alt sind.«
»Mutter, bitte.«
»Elias, lass deine Mutter sagen, was sie zu sagen hat, mein Sohn.« Dad gab ihm einen Klaps auf die Schulter.
»Das hier könnte das letzte Mal sein, dass wir hier sitzen. Dass wir als Familie hier sitzen.. und das macht mich traurig. Anders kann ich es nicht sagen, aber ich bin auch froh. Froh, weil ich euch kenne, und ich weiß, dass ihr euch nicht abwenden werdet. Und Ty, er wird auch wieder zu uns stoßen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir eines Tages alle fünf hier sitzen, und eine große Familie sind. Mit Enkeln, und all meinen drei Kindern und deren Partner. Ich weiß, dass wir stark genug sind um das zu schaffen.«
In ihren Augen ist Hoffnung und der Wille, alles und wirklich alles, zu überstehen. Ich weiß nun, dass ich mich nicht fürchten muss, dass ich nie alleine sein werde - nicht, dass ich es vorher nicht wusste, aber meine Familie ist unglaublich und mir das teuerste auf der Welt. Und es gibt nicht meine erste und meine eigene Familie, es gibt nur eine große, mit meinem Ehepartner, meinen Kindern und Eltern. Und ich sehe uns alle hier essen, tanzen, reden und einfach Zeit zusammen verbringen.
»Ich sehe uns auch, Mom.« Ich drücke ihre Hand, und wische mir eine Träne aus dem linken Auge.
»Wir lieben euch, vergesst das nicht.« Dad nickte uns zu, und Mom liefen Tränen die Wange entlang.
»Wir lieben euch auch, Zoe und ich, wir beide. Vergesst ihr das nie, bitte.« Elias klang ernst, und für einen kurzen Moment hatte ich bereits vergessen, dass es wichtiger war, ihnen klar zu machen, dass wir sie lieben. Denn wir würden sie verlassen, und das mehr oder weniger freiwillig, wenn auch auf den Rat unseres Bruders.
Die Fahrt nach Hause war still. Nach all' den Worten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft waren keine Worte mehr da. Alles war gesagt.. Erst zu Hause beschloss ich mich dazu, mich nicht in mein Zimmer, sondern zu Elias zu legen. Früher hatte ich das immer getan, wenn ich Angst hatte. Damals lebten Elias und Ty zusammen in einem Zimmer, und ich war immer eifersüchtig, dass ich alleine war. Ich legte mich in das Hochbett, mal zu Ty, mal zu Eli. Beide waren sehr gut darin, mir meine Ängste zu nehmen und mich abzuhärten. Und heute, war es kein Albtraum, es war die tragische Realität, die uns in einigen Stunden einholen würde. Ich wollte diese Stunden nicht alleine und schlaflos verbringen. Ich klopfte an Elias' Tür und stand eine lange Zeit im Türrahmen, ehe Elias verstand und mir das obere Bett anbot. Obwohl mein Bruder gegangen war, behielten meine Eltern das Doppelbett, daran hang zu viel Erinnerung. Und es war immernoch so praktisch, wie vor ein paar Jahren.
»Ich habe Angst, Elias.«
»Jeder hat Angst, das ist vollkommen normal.«
»Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl. Ich bin einfach nicht bereit, ich bin doch erst siebzehn.«
»Weißt du was mich wundert? Alle hassen dieses System, jeder. Nur ganz wenige Idioten freuen sich daran.. warum exisitiert das System denn noch? Und warum hört man nie von Attentaten? Das kann so nicht stimmen.«
Er hat meine Aussage einfach ignoriert, nicht, dass es besonders schlimm wäre, aber wie kam ihm der Gedanke? Warum stellte er sie mir? Ich wusste doch selbst nicht mehr als er.
»Natürlich hassen alle das System, aber was sollen sie großartig unternehmen? Mann kann so ein System nicht stürzen. Es wäre zu kompliziert, und wir haben gelernt bequem zu leben, Elias.«
»Ich verstehe es einfach nicht. Kennst du irgendwen der sich auf das Programm freut? Ich höre nur von Hass, Furcht.. nicht von Freude oder Liebe. Das Programm ist für den Arsch, und trotzdem existiert es.«
»Ich kenne niemanden, nein. Alle, die ich kenne, würden lieber frei wählen. Aber ist dir nicht aufgefallen, dass es immer nur Jugendliche sind?«
»Wie meinst du das?«
»Denk doch mal nach, Eli..« Plötzlich glaubte ich zu wissen, wovon Thea und Sebastian sprachen. Wovor sie uns warnten, wovor sie uns schützen wollten. »Alle Erwachsenen, nicht alle, aber die Mehrheit, hat sich mit dem Leben abgefunden. Aber alle, wirklich alle Jugendlichen hassen das System, und erst nach diesem Programm sind sie aufeinmal damit einverstanden. Wehren sich nicht, unternehmen nichts. Und die Gerüchte.. davon, dass bei den Tests mehr gemacht wird, als nur untersucht. Denkst du nicht, sie helfen dem Glück etwas nach? Als ob es eine Scheidungsrate von 2% geben kann, wenn die Liebe virtuell gefunden wurde.. da ist doch etwas faul.«
»Du glaubst also, dass die Ärzte uns was verabreichen werden, was uns verändern wird? Und uns Ty deshalb gebeten hat, jetzt einzutreten, wo er sein Jahr ableisten muss? Damit er es nicht tut, und es uns nicht passiert?«
»Natürlich, Elias. Genau das. Er will uns schützen. Er wird uns davon abhalten, dem Programm, diesem Gift, zu verfallen. Und wer weiß, vielleicht werden wir die Revolution. Der, nach der sich jeder einzelne in seinem tiefsten Inneren sehnt.«
»Falls es das ist, was Ty vorhat, kann er mit mir rechnen, Zoe.«
»Nicht nur mit dir.«
Der große Tag. Er war da. Wir waren alle früh aufgestanden, unsere Koffer in die Hand genommen, das letzte Mal unser Zimmer angeguckt und sind zusammen mit unseren Eltern in die Bahn gestiegen. Dort waren viele, wenn nicht alle, die ich kenne. Klassenkameraden, Nachbarn, die Kinder unseres Bäckers, das komische Kind aus dem Bus, es waren sogut wie alle hier. Wahrscheinlich waren hier auch ehemalige Klassenkameraden meiner Eltern, immerhin konnte man nur sehr selten weit weg ziehen.
»Und, wie habt ihr geschlafen?« Selena hatte es offensichtlich nicht besonders gut. Ihre Augen waren dunkel, ihr Blick war voller Angst, und sie hatte noch kein einziges Mal gelächelt. Auch Valentin war müde.
»Also wir haben geredet, und dann waren wir schon am schlafen.«
Die drei sprachen weiter, als ich in Gedanken verfiel. Ich würde jetzt drei Monate Zeit haben um erwachsen werden. Um mich darauf vorzubereiten, ein Leben als erfolgreiche Mutter zu führen. Ich müsste sehr bald schon arbeiten, einen Haushalt schmeißen, eine Beziehung führen - mit Gott weiß, wem.. und all' das müsste ich machen, und das, obwohl ich keinerlei Interesse hatte das in meinem Alter zu tun. Ich fühle mich nicht wie jemand, der das tun sollte. Ich bin das Kind jemandes, das kann ich. Aber die Mutter? Darauf war ich in keinster Weise vorbereitet, und ich meine nicht Windeln wechseln, ich meine von der Psyche her.
»Zoe? Ist alles in Ordnung?« Ich schaute hoch zu Valentin.
»Alles gut, ich bin nur müde und ich bin traurig. Ich will nicht gehen.« Valentin nimmt meine Hand und küsst sie. Ich weiß, er will helfen. Und ich spüre, dass er mir viel bedeutet, aber genau das ist mein Untergang. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Programm als Paar abschließen, war gleich null. Soviel Einfluss könnte mein Bruder nicht haben, dass er uns als Paar aus dem Programm zaubert. Er selbst hatte bestimmt Glück gehabt, oder Theas Vater hatte Geld. Anders konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Antrag durchging.
Keine halbe Stunde später saßen wir in einem großen Saal. Auf den Stühlen standen unsere Namen, und somit saßen Selena und Valentin hinten im Raum, während wir mittig plaziert waren. Zufall eben. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich der Raum füllte. Um mich herum saßen nun aber nicht mehr bekannte Gesichter, sondern mir unbekannte. Außer direkt neben mir. Neben mir saß Stefane Valerien. Dunkelbraune Haare, hellbraune Augen und ein wohlgeformter, voller Mund. Er war einer der wenigen, der vor dem Programm, als Model arbeiten durfte. Er sah genau so aus wie auf den Plakaten, die ich überall gesehen hatte. Er saß neben einem kleinen Mädchen, so um die neun, und ein etwas älterer Junge. Daneben saß dann ein Ehepaar, sicherlich seine Eltern. Alle in der Familie waren brünett und braunäugig, und leicht gebräunt. Es war eine Familie wie aus dem Bilderbuch. Einer schöner als der andere.
»Wie lange dauert das denn noch? Wann können wir denn endlich nach Hause?« Das kleine Mädchen wurde ungeduldig, und ich war es auch leid zu warten. Der Saal war jetzt auch voll, und das seit zehn Minuten. Aber trotzdem war noch niemand erschienen - oder zumindest das Hologram jemandes.
»Nicht mehr lange, dann können wir alle nach Hause.« Stefane hoffte also darauf, nicht reinzukommen, was auch verständlich war. Ich an seiner Stelle hätte es auch nicht eilig. Er war erfolgreich, und konnte mit jedem Mädchen, das er wollte, tun, was er wollte. Was würde ein junger Mann mehr wollen? Genau.. heiraten, eine Familie gründen, und einen anstrengenderen Job ausüben. Das klingt nach Spaß, zumindest stellt es sich der Staat so vor. Wer's glaubt..
Dann flackerte eine Flamme auf der Bühne auf, und der Blick aller richtete sich nach vorn, beziehungsweise in die Mitte des Raumes. Elias und ich waren noch nie auf der Zeremonie, anders als die Geschwister von Stefane, waren wir zuhause geblieben, wie auch unsere Mutter. Lediglich mein Vater und Ty waren ins Staatshaus gefahren. Als mein Vater dann ohne meinen Bruder zurückkehrte, waren wir alle unter Schock. Keiner wusste so wirklich, wie er reagieren sollte. Wir hatten nicht damit gerechnet, und uns deshalb nicht verabschiedet. Die Besuchstage sollten für lange Zeit, das letzte Mal sein, an dem wir ihn zu Gesicht bekamen.
Ein hellblaues, grelles Licht bestrahlte nun den gesamten Raum. Es war keine reele Person, die uns da als Holorgram erschien, zumindest sah sie eher aus wie eine Animation, als eine reele Person. Hinzu kam, dass sie sehr jung wirkte, und violettes Haar ihr Gesicht einrahmten. Ihre Augen waren mehr weiß als blau, und auch ihre Haut war sehr hell, und alles in allem wirkten ihre Bewegungen nicht natürlich. Aber dann fiel es mir auf. Es war eine Figur, eine fiktive Figur. Es war Amora Legitates. Sie hatte uns schon unser ganzes Leben lang begleitet, aber sie war nie so alt, sie war immer so alt wie wir, und das letzte Mal, als wir über sie gesprochen hatten, waren wir dreizehn.
»Guten Abend, meine Mitmenschen. Ich freue mich sehr in eurem Staatshaus zu sein. Mein Name ist Amora Legitates und ich werde euch nun erklären, wie die Zeremonie ablaufen wird, und euch die Leiter eures Bezirks nennen. Wir befinden uns heute im Bezirk 39a. Dazu gehören sechs Städte: Coventry, Leicester, Peterborough, Birmingham, Lowestoft und Derby. Die Städte sind nicht in unmittelbarer Nähe, aber nah genug um in diesem Staatshaus 39a unterzukommen. Ich begrüße die Bürger all' dieser Städte und heiße sie herzlich Willkommen beim diesjährigen Elegit Amores. Besonders heiße ich alle unter euch willkommen, die zwischen siebzehn und einundzwanzig Jahre alt sind. Ihr seid Grund für diese Zeremonie. Und falls euch die große Ehre zukommen sollte, heute ins Programm einzutreten, werdet ihr unverzüglich in das Staatshaus 39a ziehen. Ihr werdet drei bis fünf Monate - das hängt von mehreren Faktoren ab, hier wohnen und könnte pro Monat einmal Besuch von euren Familienmitgliedern erhalten, ehe ihr dann eure eigene Familie gründet.« Sie macht eine lange Pause, ich weiß nicht, ob man klatschen sollte, dazu ist allerdings keiner bereit. Da sie das nicht weiß, sind ihre nächsten Worte gewissermaßen lustig. »Heben Sie sich den Applaus für später auf. Bevor ich euch die Leiter dieses Bezirks vorstellen werde, ist es an der Zeit euch das Verfahren näher zu bringen, das uns helfen wird, die Glücklichen unter euch zu erwählen. Einhundertsechzig Jugendliche, davon achtzig Mädchen und ebensoviele Jungen, werden heute ausgelost werden. Auf der Leinwand hinter mir werden in wenigen Minuten die Namen, sowie Bilder der erwählten erscheinen. Zunächst erscheinen diejenigen unter euch, die sich freiwillig gemeldet haben, dann Nachrücker, und dann die ausgelosten. Das Bild erscheint für fünfzehn Sekunden, also bitten wir Sie um höchste Konzentration. Am Ende werden alle Namen noch einmal vorgelesen, sowie der Abteil, in dem diese sich melden müssen. Nun möchte ich das Wort an die Leiterin des Bezirks 39a weitergeben: Penelope Hambridge.«
Die Leinwand entpuppt sich als Tür, und somit öffnen sich beide Türflügel, und eine Frau mittleren Alters erscheint auf der Bühne. Ihre Haare sind schulterlang und hellblond. Ihre Augen sind blau und fast schon zu blau. Sie sieht aus wie die Eiskönigin aus Christian Andersens Geschichte. Und auch ihre Stimme sollte sich dem Thema zugehörig finden: kalt, trocken und bedacht. »Schönen guten Abend. Mein Name ist Penelope Hambride und ich leite wie bereits in den vorherigen Jahren das Programm für den Bezirk 39a. Ich heiße euch alle herzlcih Willkommen, und freue mich sehr, erneut dabei sein zu können, wenn einige von euch den Schritt ins Erwachsenenleben machen. Den Schritt der Einbürgerung und vollkommenen Akzeptanz in der Gesellschaft. Das Programm wurde vor vielen Jahren entwickelt, um einer nahenden Katastrophe entgegenzuwirken. Der große Erfolg hält bis heute an, und nach mehreren Verbesserungen, ist es nun nicht nur ein gutes, aber nahezu perfektes Programm. Diesem Programm stellen sich Jugendliche eures Alters, und soll euch helfen, einen Pfad für euer Leben zu wählen, welcher euch entspricht und euch ein erfülltes Leben bieten soll. Mit einer Erfolgsrate von 93% sind wir hier in England die dritterfolgreichste Nation. Lediglich 7% der Ehen werden aufgrund von Todesfällen oder Krankheiten gelöst, die anderen 93% leben glücklich und zufrieden, bis das Alter sie einholt.« Sie lässt ihren Blick zum fünfzigsten Mal durch den Raum fahren, und nickt ab und an, aber wirklich herzlich wirkt sie nicht. »Ich freue mich nun, Ihnen meine Partner für dieses Jahr vorzustellen.« Die Tür öffnet sich erneut, und ein mittelgroßer, eher junger Mann tritt auf die Bühne. Es ist mein Arzt: Quentin Jenkins. Sein Haar ist immer noch pechschwarz und sehr dicht für einen Mann. Erst jetzt fällt mir das Grün in seinen Augen auf. »Das ist unser medizinischer Leiter, der die meisten Untersuchungen durchführt. Sein Name ist Quentin Jenkins und er ist seit mehreren Jahren erfolgreicher Arzt im Bezirk 39a. Zu seinem Team gehören unter anderem: Sebastian Hales, Verena Block, Tom Guard und Cindy Perkins.« Mein Bruder, und die drei weiteren Ärzte stoßen auf die Bühne und bleiben neben Quentin stehen. Meine Mutter drückt meine Hand und will aufstehen, da ziehe ich sie runter. Negativ auffallen war immerhin nicht nur für mich ein No-Go. »Als nächstes die Leiterin der Organisation. Cynthia Jenkins.« Ein weiteres Mal öffnet sich die Tür und eine kleine, zierliche Frau mit langer braune Mähne und graublauen Augen betritt die bühne. Auf ihrer Nase sitzt eine Brille, die sie nun bereits zum dritten Mal hochschob. »Auch sie hat sich die letzten Jahre über bewiesen, und ein kompetentes Team zusammengestellt. Unter anderem Thea Hales, Will Burke, Oliver Samuels oder auch Inga Truman, die alle aus dem Bezirk 39a stammen.« Meine Mutter drückt erneut meine Hand und ich kann ihrem Gesicht die totale Verwirrung ablesen. Natürlich wusste sie nicht von Thea, aber ich konnte sehen, wie sie Thea von oben bis unten ansah und ihr ein kleines Lächeln entwich. Thea hatte ihre Haare leicht gelockt, und sie fielen ihr jetzt bis über die Schulter. Sie bemühte sich um ein Lächeln und anders als bei Mrs.Hambridge sah es unbekümmert und natürlich aus. »Als letzten Abteil haben wir noch unsere Justiz, diese wird von Paul Jenkins angeführt.« Und schon stand neben Cynthia ein großer, blonder Mann mit dunkelbraunen Augen und dichten Augenbrauen. Er sah sehr attraktiv aus, war allerdings etwas älter, so Mitte dreißig, während Cynthia nach Mitte zwanzig aussah. Ob es sich hier nun um Geschwister oder ein Ehepaar hielt, war mir nicht klar, erst als sie sich anguckten, war mir klar, dass letzteres zutraf. Wir sahen hier Mr. und. Mrs. Jenkins. »Zu seinem Abteil gehört eine Gefolgschaft ausgebildeter Polizisten, deren namentliche Aufzählung fast die der Zeremonie erreichen würde.« Man hörte wie einige aus Höflichkeit lachten, und auch ich zwang mir ein Lachen auf.
»Da wir nun alle vollzählig sind, alle beim Namen kennen, ist es an der Zeit mit dem eigentlichen Grund dieser Zusammenkunft zu beginnen. Der Zeremonie der Elegit Amores.« Sie und ihre gesamte Gefolgschaft, darunter auch mein Bruder, verließen nun die Bühne und nahmen im Podium Platz. Die Leinwand leuchtete auf, und spielte eine scheußliche Musik, die bestimmt mehrere Jahre überlebt hatte und keinem so wirklich gefiel. Selbst Mrs. Hambridge zuckte zusammen, aber sie war ja allgemein nicht die herlichste aller Personen.
»Willkommen.« Eine computererzeugte Stimme hallte im Raum auf und in mir keimte jetzt schon Hass, und Angst. »Zunächst die freiwillig beitretenden Jugendlichen unter euch. Dieses Jahr beträgt diese Zahl dreiundzwanzig Jugendliche, darunter dreizehn Mädchen und zehn Jungen.« Er klapperte viele Namen ab, von denen ich keinen einzigen kannte, bis auf einen. »Nicolas Arango. Achtzehn Jahre alt.« Als sein Name fiel, suchte ich den Raum nach ihm ab, aber konnte ihn nicht finden. Obwohl er es uns gesagt hatte, und auch einen guten Grund hatte, konnte ich es bis gerade eben nicht realisieren. »Nun folgen die Nachrücker. Somit die Jugendlichen, die im letztjährigen Programm keinen Erfolg erzielen konnten. Die Gesamtanzahl beträgt drei Jugendliche. Ein Mädchen und zwei Jungen. Nevada Loveless. Zwanzig Jahre alt. Cyril Laskari. Zwanzig Jahre alt. Und Anthony Stark. Einundzwanzig Jahre alt.« Beim Anblick von Cyrils Blick fühlte ich mich in die Simulation zurückversetzt und schreckte kurz auf. Meine Mutter bemerkte das und sah mich an, aber ich schüttelte nur den Kopf und richtete meinen Blick auf die Tribüne. »Dreiundzwanzig Freiwillige und drei Nachrücker sind bereits im Programm, es bleiben einhundertvierunddreißig frei Plätze. Davon werden sechsundsechsig an Mädchen und achtundsechzig an Jungen vergeben. Nun die ausgelosten Namen in zufälliger Reihenfolge. Gina Fabiano. Siebzehnjahre Alt.« Somit war der erste Name mit einem Gesicht verbunden. Gina würde also ins Programm gehen, so wie mein einer Bruder es wollte, und der andere es möglich gemacht haben muss. Es folgten viele unbekannte Namen, oder zumindest irrelevante Namen wie Olivia Ferguson zum Beispiel. Aber dann fiel der nächste Name, dessen zugehörige Person ich kannte. »Elias Theo Hales. Sechsehn Jahre alt.« Meine Mutter schluchzte, und nun drückte ich ihre Hand ganz fest, aber es half nichts. Sie fing an zu weinen, und selbst mein Vater musste mit den Tränen kämpfen. Elias selbst nahm die Hand meines Vaters und hielt sie nun fester denn je. Und als wäre alles ein schlechter Witz gewesen, fiel auch schon der nächste mir bekannte Name. »Valentino Lopez. Achtzehn Jahre alt.« Es war komisch seinen ganzen Namen zu hören, immerhin nannten wir ihn alle Valentin, und nicht Valentino, aber das war hier nicht wichtig. Und als wäre ein weiters Kind meiner Mutter betroffen, flossen weitere Tränen. »Stefane Valerien. Neunzehn Jahre alt.« Das Mädchen neben mir zeigte voller Stolz auf die Leinwand und freute sich, ihren Bruder zu sehen. Sie begriff noch nicht zu einhundertprozent, was das alles heißen würde. Er hingegen war blass im Gesicht, und seine Miene war ausdruckslos und seine Eltern waren fassungslos. Bis erneut ein mir bekannter Name fiel, verging sehr viel Zeit. »Selena Lopez. Siebzehn Jahre Alt.« Und meine Mutter stand nun kurz vor einem Zusammenbruch. Vielleicht hätten wir sie vorwarnen sollen, ihr sagen, dass Sebastian meinte, es wäre so besser. »Ich kann es nicht glauben, Zoe. Alle von euch in einer Zeremonie, das kann nicht sein. Ich hoffe, dass sie mir wenigstens mein kleines Mädchen da lassen.« Wenn meine Mutter nur wüsste, dass mein Name sehr wohl noch fallen würde. Und als wäre es nicht qualvoll genug, waren alle Namen bis auf einer gesprochen. Meine Mutter hatte sich schon damit angefreundet, wenigstens ihre Tochter wieder mit nach Hause zu nehmen, aber ich wusste es besser, denn der nächste Name würde meiner sein. »Zoe Alicia Hales. Sechszehn Jahre Alt.« Es war komisch mein Foto zu sehen, mich an den Moment zurückzuerinnern, wie meine geliebte Mutter den Aufwand betrieben hat, um mich so herzurichten. Ich fühlte mich aber nicht wie dieses Mädchen, und dass mein voller Name vorgelesen wurde, bestärkte das nur. Ich hatte meinen Zweitnamen für sehr lange Zeit nicht gehört. Und auch Elias Zweitname hatte einen ganz fremden Klang. Ich war so in meinen Gedanken gefangen, dass ich nicht mitbekam, wie meine Mutter nun einem Zusammenbruch nahe stand. Ich sah sie an, ihre Augen waren bereits rot und auch alles andere an ihr wirkte plötzlich älter und irgendwie angenutzter. Die Trauer hatte sie innerhalb von Sekunden zerfressen. »Ich werde immer deine Tochter sein, deine Zoe, Mom. Das verspreche ich dir, das schwöre ich dir.« Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und umarmte sie, und merkte wie selbst mir nun die Tränen runterliefen. Auch Elias konnte nur noch schwer seine Tränen verbergen, und legte eine Hand an den Kopf unserer Mutter.
»Es tut mir sehr leid, aber ich muss nun bitten die Eltern zu gehen, damit wir den Amoresern - wie Amora jetzt sagen würde, Regeln und weiteres mitteilen können. Sie haben noch drei Minuten, dann müssen alle nicht Teilnehmer den Raum verlassen.« Es war inzwischen im ganzen Raum zu Heulanfällen gekommen, aber auch zu erleichterten Menschen. Es war total komisch und verrückt - und ich war mittendrin. Meine Mutter weinte nun nicht mehr, aber sie sagte auch nichts mehr. Was sollte man da auch sagen? Sie hatte uns alles, was wir wissen sollten, bereits mitgeteilt. Lediglich bevor sie mit unserem Vater verschwand, sagte sie es noch einmal. »Ich liebe euch beide, und auch euren Bruder. Bitte, bitte sagt ihm das. Er soll nicht denken, dass wir ihn hassen. Und seine Frau, sie sieht nach einer sehr netten und lieben Person aus. Ich hoffe, dass auch ihr an sojemanden geratet. Ich liebe euch so unglaublich.« Und selbst unser Vater teilte uns noch etwas mit, allerdings so, dass meine Mutter es nicht hören konnte. »Ich liebe euch. Ihr tut das richtige. Dafür liebe ich euch noch mehr.« Und dann verschwand er zusammen mit unserer Mutter als einer der letzten durch die große Tür des Saals.
Nun gab es keinen Raum mehr für Angst oder fürs Verleugnen der Tatsache: Wir waren im Programm erfasst. Wir mussten teilnehmen. Wir mussten schnellstmöglichst erwachsen werden. Wir würden keine eigenen Entscheidungen mehr treffen können.
»Ich würde euch bitten, euch nach vorne zu setzten. Wir müssen einige Regeln mit euch durchgehen, sowie auch einige Erneurungen. Außerdem werdet ihr euren Häusern zugeordnet, sowie euren Aufpassern. Ich gebe nun das Wort an Cynthia Jenkins.« Mrs Hamrbridge verließ den Raum - alle bis auf Mrs Jenkins und ihre Gefolgschaft, darunter Thea - folgten ihr. Und Mrs Jenkins trat an das Mikrofon heran. Bevor sie zu reden begann, räusperte sie sich, und rückte ihre Brille zurecht.
»Guten Tag, Absolventen des diesjährigen Amores Elegit-Programms. Ich bin auf jeden einzelnen von euch sehr stolz, und ich hoffe, ihr schätzt es dabei zu sein.« Sie holte eine Fernbedienung heraus, und drückte den großen orangenen Knopf am unteren Ende. Auf der Leinwand erschien ein Bild von Amora Legitates, die ein Schild hielt mit den Worten "Willkommen diesjährige Teilnehmer, jetzt erfahrt ihr alles, was ihr wissen müsst. Viel Spaß!" und einem breiten Grinsen im Gesicht. »Wie ihr seht, haben wir eine Präsentation für euch vorbereitet. In dieser erklärt euch die allseits bekannte Amora alle Regeln und auch Maßnahmen bei Verstoß jener, von denen ihr jetzt wissen könnt. Fragen könnt ihr am Ende stellen, bitte wartet bis zum Ende der Präsentation.«
»Guten Tag meine Freunde. Ich bin Amora, aber ihr kennt mich bereits.« Obwohl sie mittlerweile aussah wie eine Jugendliche, benahm sie sich, wie ein Kind. Es war schon lächerlich anzusehen, was unsere Regierung als angemessen für uns ansah. Keiner hier war jünger als siebzehn, aber das Video war locker an siebenjährige gerichtet. »Die meisten Regeln kennt ihr bereits. Einhundertachtzig Jugendliche, darunter neunzig Jungen und neunzig Mädchen, dürfen teilnehmen. Darunter können sowohl ehemalige Teilnehmer, als auch freiwillige Teilnehmer ihren Platz sichern. Ihr werdet fünf Monate hier sein, die bisherige Zeit von drei Monaten ist nach hinreichenden Tests als zu kurz erachtet worden. In denen können eure Eltern euch fünf Mal besuchen. Immer am zehnten Tag jeden Monats. Auch Geschwister können euch besuchen. Ihr werdet in vier Gruppen aufgeteilt, diese vier Gruppen erhalten je einen Aufpasser, oder auch Leader genannt. Die diesjährigen Leader sind: Thea Hales, Will Burke, Oliver Samuels und Inga Truman.« Auf der Leinwand erscheinen nun Bilder und Namen dieser Personen. »Bevor wir euch euren Leadern zuteilen, möchten wir euch weitere Regeln mitteilen. Obwohl wir hier erstrangig nach einem Lebenspartner für euch suchen, ist es auch unsere Aufgabe euch einen Beruf zuzuteilen. Dafür werden wir weitere Tests durchführen. Danach werdet ihr Kursen zugeteilt und die entscheiden über euren weiteren Werdegang. Bezüglich des Partners: Am Ende des vierten Monats werdet ihr drei Partnern zugeteilt, einer davon wird euer endgütliger Partner. Der letzte Monat soll euch, und natürlich uns dabei helfen euch einen Partner zu erwählen, der euch gerecht wird. Anträge können nur gestellt werden, wenn euer Wunschpartner in der Auswahl der letzten drei für euch sind. Um an diese TOP DREI zu gelangen, werdet ihr viele Dates durchlaufen, viele Formulare ausfüllen, aber auch viele Aktivitäten in größeren Gruppen durchführen. Bezüglich des Arbeitsplatzes kann kein Antrag gestellt werden. Nachdem euch ein Partner zugeteilt wurde, verbringt ihr einen Monat in eurem potentiellen Leben zu zweit - das heißt, in einer Wohnung die eurem Gehalt entspricht, in eurem Beruf und mit eurem Partner. Für das Zusammenleben gelten die Gesetze eines Bürgers - nicht die eines Absolventen. Eine Auflistung dieser Regeln hängen in eurem Zimmer aus, die ihr euch später bitte durchlest. Das sind die wichtigsten informationen.« Die Leinwand wechselt das Bild. Theas Bild erscheint und ihr Bild wird kleiner und ist jetzt nur noch in der Ecke des Bildes vorzufinden. »Das ist unsere erste Leaderin Thea Hales. Es ist ihr erstes Jahr, aber sie ist eine vielversprechende Mitarbeiterin des Staatshaus. Nun nenne ichNamen, diese folgen Mrs.Hales in Raum A025.« Eine Liste von Namen erscheint, darunter auch meiner. Also stehe ich auf und laufe zusammen mit allen anderen zu Thea. Ich schaue mich um und entdecke Selena. Sie steht bei Gina und ich stelle mich dazu. »Das ist doch schonmal ein sehr gutes Zeichen. Wir alle zusammen bei Thea.« »Du weißt gar nicht, wie froh ich bin, dass wir uns gegenseitig haben, Zoe.« Selena wirkte angespannt, Gina war wie in Trance - sie hatte immer noch nicht verarbeiten können, was hier geschah.
»Hallo meine Lieben, ich freu mich sehr euch alle in meiner Gruppe begrüßen zu dürfen. Ich werde ab jetzt eure Bezugsperson sein und euch bei allen Dingen helfen, bei denen ihr meint, ihr benötigt meine Hilfe.« Thea steht nicht wie Mrs Hambridge oder Mrs Jenkins hinter einem Pult, sondern auf einem Stuhl in unserem Stuhlkreis. »Ich bin übrigens Thea Hales, aber ihr könnt mich einfach Thea nennen. Bevor wir uns ernsten Dingen widmen, möchte ich, dass ihr euch alle vorstellt. Alle vierzig.« Thea lächelt in die Runde. Ihr Blick haftet an mir, und ich lächle zurück. Ich kenne sie kaum, aber ich vertraue ihr.. »Ich möchte, dass ihr euch vorstellt. Mit eurem Namen, Alter und einer Tatsache über euch, von der ihr denkt, sie macht euch aus.« Es war offensichtlich, dass das letzte wichtig war für das Staatshaus, denn vielleicht würde das unseren Beruf einschränken. Das Mädchen rechts neben Thea sollte als erste sprechen. Jeder hier kannte sie aber bereits, sie war Nevada Loveless, eine junge Schauspielerin und die Tochter von Jules Loveless - einer der größten Schauspielerinnen unserer Zeit. »Mein Name ist Nevada Loveless, ich bin zwanzig Jahre alt und zum zweiten Mal im Programm erfasst. Ich würde gerne weiterhin als Schauspielerin arbeiten, weil es eine unglaublich gute Möglichkeit ist, sich auszudrücken und so zu tun als ob man jemand anderes wäre.« Selbst so jemand wie sie, war glücklich mal ein bisschen Auszeit von sich zu haben - das hätte ich nicht gedacht. Dann waren viele weitere Mädchen dran, die meisten logen und erfanden sich Hobbys, die sie in gewisse Berufe drängen könnten. Viele mochten zum Beispiel Biologie, Chemie und Anatomie - ganz zufällig - oder Wirtschaft, oder sonstige absurde Dinge, die niemals das wichtigste waren, was man über sich sagen konnten. Dann war ein mir bekanntes Gesicht an der Reihe. »Ich bin Elizabeth Ferguson, ich bin siebzehn Jahre alt und ich bin sehr interessiert in Mode und dem Anfertigen von Looks.« Sie zwang sich ein breites aber kurzes Grinsen auf und gab dann das Wort weiter. »Ich bin Isla-Aurora Verdin. Ich bin vor zwei Tagen achtzehn Jahre alt geworden.« Sie ließ sich Zeit beim Nennen ihrer einzigartigen Fähigkeit, weshalb ich unbedingt hören wollte, was sie zu sagen hatte. Ich war mir sicher, ihre Antwort war keine alltägliche. »Ich glaube an die Liebe.« Sie sah mit ihren blauen Augen rüber zu Thea und legte eine lange braune Haarsträhne hinters Ohr und fuhr fort: »Und deshalb werde ich für die Liebe kämpfen.« Das war zwar nicht einzigartig in der Hinsicht, dass nur sie das dachte, aber nur sie hatte das ausgesprochen.
Thea war nicht sauer, oder schien anders zu empfinden, aber ich erinnerte mich an ihre Worte nicht negativ auffallen. »Liebe Isla, ich weiß, dass es schwer sein kann das Programm zu akzeptieren, aber gib der Sache eine Chance. Und ich rate dir, solche Gedanken zu unterdrücken.« Ich wusste, dass Thea sie nur schützen wollte, und nicht aus einem Regelwerk vorlaß, und das schien auch jeder andere zu merken, denn keiner sprach so etwas noch einmal. »Ich bin Zoe Alicia Hales, ich bin siebzehn Jahre alt und am besten entfalten kann ich mich beim Zeichnen. Da merke ich erst, worauf es im Leben ankommt.« Ich wollte zeigen, dass Isla nicht die einzige war, die so dachte, wollte mich aber nicht direkt ins Abseits katapultieren. »Ich bin Gina Fabiano und ebenfalls siebzehn Jahre alt. Ich habe mich kürzlich verliebt, und hoffe, dass halten kann.« Auch Gina schien ein Zeichen setzen zu wollen, blieb aber wie ich relativ subtil. »Ich freue mich, dass ihr alle so offen mit mir darüber geredet habt. Für heute habt ihr Freizeit und könnt euch mit dem Gebäude vertraut machen. Ich werde jedem von euch einen Schlüssel austeilen sowie ein Set. Das öffnet ihr dann in eurem Zimmer. Ich hoffe ihr findet, was ihr zu finden erhofft.« Bevor ich aus dem Raum trat, kam Thea nocheinmal zu mir.
»Hey Zoe, wie geht es dir hiermit? Ist alles in Ordnung?«
»Danke, mir geht es gut.«
»Dein Bruder hat sein Wort gehalten, und er wird dir bald mehr verraten.«
»Ich glaube ich habe eine Vorahnung, was kommt.«
»Wir werden euch alle heil hier raus verhelfen. Nun geh lieber, wie du weißt..«
»Dürfen wir nicht negativ auffallen.«
Ich war leider nicht mit Selena auf einem Zimmer, sie war mit Gina und einem Mädchen namens Loretta auf einem Zimmer. Ich hingegen war in einem Doppelzimmer - meine Zimmergenossin war Isla. So stand es zumindest auf meinem Zettel. Allerdings war noch niemand im Raum, als ich ankam. Erst eine halbe Stunde später kam Isla dann auch im Zimmer an.
»Hey, ich bin Isla-Aurora.« Isla reichte wohl nicht aus, sie nannte sich Isla-Aurora.
»Ich bin Zoe.« Ich reichte ihr die Hand, und schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln, so wie sie mir auch.
»Ich weiß, hab mir eben deinen Namen bereits gemerkt.«
»Hoffentlich ist es in Ordnung, dass ich deine Zimmergenossin bin.«
»Natürlich, ich kenne sowieso niemanden hier. Außer einen Freund, aber mit dem kann ich schlecht in ein Zimmer. Denn obwohl wir hier halb gezüchtet werden, dürfen wir nicht mit einem Jungen auf ein Zimmer.«
»Woher weißt du das?«
»Na, die Regeln. Hast du sie noch nicht gelesen? Anträge auf Zimmeränderung sind begrenzt, sehr begrenzt. Selbst auf das Geschlecht bezogen. Und andere Regeln sind auch seltsam - das kann ich nicht anders sagen.«
»Ich glaube wirklich, du solltest aufpassen, ich bin mir sicher, die Zucht wird überwacht, und du sollst ja nicht in Schwierigkeiten geraten.«
»Jemand mit Humor, aber Vorsicht. Wir werden uns bestimmt gut verstehen.. Und keine Sorge, ich halte mich zurück, aber noch nicht. Heute ist mein Frusttag, und du solltest auch Frust auslassen. Ich habe Frust gerochen eben in der Vorstellungsrunde.«
»Wir wissen alle, dass so gut wie keiner das Programm.. du weißt schon.«
»Befürwortet?« Meine Antwort war ein bloßes Nicken, ich konnte mich nicht zu mehr aufraffen - ich fühlte mich beobachtet, einfach nicht sicher. »Natürlich nicht. Außer alle hässligen Weiber und Typen, die sonst niemanden abkriegen würden.« Ich konnte nicht anders, als zu lachen. Denn es war die traurige Wahrheit. Das einzig gute, was das Programm hervorgebracht hat? Eine Versicherung auf die Liebe. Jeder würde einen Partner haben, ein Leben, eine Familie. Und irgendwie war spätestens damit jeder zufrieden. Die Frage war nur, wie? Es war kein Geheimnis, jeder mochte das System nicht, manche sprachen es sogar aus - aber, sobald jemand aus dem Programm zurückgekehrt war, gab es diesen Hass und diese Zweifel nicht mehr.
»Hast du Geschwister?«
»Was denkst du?« Die Frage war dämlich, immerhin war sie in meinem Alter, es war mehr oder weniger gesetzlich vorgeschrieben, dass ihr Geschwisterkind nicht mehr als drei Jahre älter beziehungsweise jünger sein könnte, also musste sie zumindest ein Geschwisterkind besitzen. Mehr ginge natürlich, sofern der Antrag gestellt und akzeptiert wurde.
»Ich habe eine jüngere Schwester, Rhiannon. Sie ist fünfzehn.« Genau drei Jahre also, so wie es das Gesetz geregelt hat, natürlich. »Sie ist mir sehr ähnlich, man könnte meinen, wir sind Zwillinge.« Dann kramte sie in ihrer Tasche rum und hielt mir ein Bild vor die Nase. Darauf waren sie und ein Mädchen, das ihr ohne Zweifel glich. Sie war einfach nur etwas jünger.
»Sie sieht dir wirklich unfassbar ähnlich.«
»Ja, sonst kommt sie aber gar nicht nach mir.« Isla-Aurora verdrehte die Augen und legte sich auf ihr Bett. »Hast du Geschwister?«
»Ja, ich habe zwei Brüder.«
»Zwei? Da ist wohl ein Antrag durchgekommen.«
»Nicht ganz. Meine Mutter war schwanger, und mein Bruder Sebastian kam auf die Welt. Ein paar Jahre später war sie erneut schwanger - diesmal mit Zwillingen. Mit Elias und mir. Deshalb musste sie keinen Antrag stellen, der Arzt musste lediglich eine Geldstrafe abgeben, da er zu spät erkannt hatte, was los war und es nicht gemeldet hatte.«
»Unglaublich, was der Staat alles so erfahren darf. Ich kann mir gar nicht vorstellen wie es ist frei zu sein. Ohne Regeln zu leben, die mein Privatleben betreffen. Und trotzdem spüre ich, dass das die Art und Weise ist, wie es sein sollte.«
Zusammen mit Isla-Aurora begaben wir uns in den Gemeinschaftsraum - dort konnte ich auch direkt meinen Bruder ausfindig machen. Ich lief zu ihm, und zerrte Isla-Aurora hinter mir her.
»Also, das ist mein Bruder Elias.« Daraufhin gab er mir einen Kuss und Isla-Aurora die Hand.
»Freut mich, wie schon gesagt, ich bin Elias.« Isla-Aurora lachte stumm.
»Ich bin Isla-Aurora.« Elias sah verwundert aus, wahrscheinlich fand er - genau wie ich, es seltsam, dass sie sich mit ihrem vollen Namen vorstellte.
»Das ist ein recht außergewöhnlicher Name. Aber trotzdem schön.«
»Danke, schätze ich.«
Bevor wir weiter reden konnten, kam jemand, auf den ich mich ebenfalls freute: Valentin.
»Na, meine Schöne?« Er gab mir einen langen Kuss und fuhr mir dabei durch die Haare.
»Da hat mich wohl jemand ein bisschen vermisst.«
»Nur ein klitze'kleines bisschen.« Mit seinem Daumen und seinem Zeigefinger demonstrierte er mir, was er als solches definierte.
»Ich muss dir jemand vorstellen, das ist Isla-Aurora, meine Zimmer.. wie sagt man das, Genossin?«
Valentin reicht ihr die Hand und gibt Elias eine lange Umarmung.
»Ich heiße Valentin, wenige, aber manche, nennen mich auch Tino.«
»Mich nennt man nur Isla-Aurora.«
»Ein langer Brocken an Name.«, witzelte Valentin rum. »Wo ist denn Selena? Oder auch Gina?«
»Das ist eine gute Frage.«
Es dauerte eine halbe Stunde, bis Selena zu uns kam. Aber sie sollte nicht lange bleiben.
»Eli! Wie hälst du es bloß mit Gina aus? Das ist ja ein Nervenbündel.« Selena sah total fertig aus. Ihre Haare waren in einen Zopf hochgebunden, aus denen überall Strähnen raushingen.
»Eigentlich ist sie das ganz und gar nicht. Ich sollte mal lieber zu ihr gehen.«
»Mach das. Unser Zimmer ist im vierten Haus, Zimmer D.«
Daraufhin verließ Elias eilig den Aufenthaltsraum und es blieben Isla-Aurora, Selena und ich zurück - Valentin hatte sich wieder auf den Weg in sein Zimmer gemacht um seine Zimmergenossen kennenzulernen und sich einzurichten. Selena schaute sich nervös im Raum um - ihre Finger versteckte sie dabei immer in ihren Hosentaschen am Po und bewegte nur ihren Kopf. Es sah immer sehr eigen aus, aber solche Dinge mochte ich an ihr immer besonders.
»Was suchst du?« Doch da begriff ich erst. »Oder eher wen? Sag mir bitte nicht, dass du Tony suchst.«
»Doch, der Arsch schuldet mir noch eine Entschuldigung.«
»Wer ist denn Tony?«
»Ach, nur ein Typ. Die Frage ist wer bist du?« Sels Blick scannte Isla-Aurora von oben bis unten ab.
»Isla-Aurora. Ich bin mit deiner Freundin für das selbe Zimmer eingeteilt.« Isla-Aurora reichte Selena die Hand, und diese schüttelte diese kräftig. Dabei setzte sie ihr bestes Lächeln auf - es stand also fest: Selena mochte sie nicht besonders. Die Frage war nur, warum?
»Freut mich, ich bin Selena. Zoes älteste Freundin, Schwester ihres Freundes, bla bla.«
»Ich lasse euch dann mal am besten alleine, und schaue mich mal um. Man muss sich ja gutes Material sichern, nicht?« Isla-Aurora zwinkerte uns zu, und stellte sich zu einer Gruppe von Jungen hinzu.
»Da hast du aber einen ganz tollen Fang gemacht, Zoe. Viel Spaß.«
»Also ich finde sie ja nett.«
»Und ich sage dir, sei nicht zu eng mit ihr. Sie sieht wie jemand aus, der kein Problem hat, andere zu verletzen. Das kann ich direkt sehen.«
»Nimm mir das nicht böse, aber allein die Tatsache, dass du etwas mit Tony hattest, zeigt nicht von deiner hohen Menschenkenntnis.« Es kam etwas harscher rüber, als ich es wollte, aber was ausgesprochen war, war auch gehört worden.
Selena hob ihre Augenbrauen und schüttelte dann ihren Kopf.
»Ich wusste, wie Tony war, ich wollte sehen, ob ich es ändern kann - denn in ihm ist jemand ganz außergewöhnliches, aber das würdest du nicht verstehen. Du machst es dir immer leicht. Immer die netten Typen, ohne große Geheimnisse, ohne die schwarze Aura. Von daher, kann ich nicht erwarten, dass du mich verstehst, Zoe. Aber, danke für deine netten Worte.« Sel haute sich auf eine leere Couch und schüttelte abermals ihren Kopf. Ich hatte wohl einen wunden Punkt getroffen, und das hätte mir klar sein müssen, noch bevor ich es ausspreche. Ich setzte mich neben sie und nahm ihre Hand.
»Tut mir leid, ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Ich kann es nur wirklich verstehen, warum jemand wie du Interesse an sojemandem wie ihm hast. Er hat das ganz und gar nicht verdient.«
»Lass mich raten, jemand wie ich sollte Interesse zeigen, an jemandem wie Nic - den du selbst nicht magst, mal so nebenbei. Das wollen wir nun wirklich nicht vergessen, Madame.« Die Ironie könnte tatsächlich nicht größer sein. Ich mochte Nic nicht besonders, aber zu sehen, wie er sich für Selena eingesetzt hatte, hat mir gezeigt, dass er sie sehr mögen musste, und das aufrichtig. Und ob ich ihn mag oder nicht, das sollte keine Rolle spielen, immerhin war das ihr Leben. Aber hinzukommt, dass es so oder so, keine Rolle spielen würde. Wir können nichts entscheiden, das stand fest.
»Ich denke nur, er hat gezeigt, wie viel ihm an dir liegt, und, dass du das nicht unbeobachtet lassen solltest.«
»Du hast gut reden, du hast jemanden gefunden, der perfekt zu dir passt. Sei es auch mein Bruder.«
Bis dahin kam mir das nie wirklich in den Sinn. Ich vergaß oft - und gern, dass Valentin der Bruder von Selena war. Somit wusste ich auch garnicht, ob Selena vielleicht ein Problem damit hat, was da zwischen ihm un mir läuft. Dabei war es eine sehr naheliegende Frage.
»Stört es dich eigentlich, dass zwischen Valentin und mir etwas läuft?«
»Es stört mich nicht, nein. Aber ich finde es komisch, dass es doch noch passiert ist. Immerhin hattest du nie wirklich Interesse gezeigt.« Das stimmt, ich hatte niemandem erzählt, dass ich auf Valentin stand, und danach hatte ich es nichteinmal mehr mir selbst gesagt. Selena wusste davon nichts. »Ich wusste immer, dass Valentin auf dich stand. Oder sagen wir so: Ich hatte immer eine Vorahnung, dass er auf dich steht. Als ich dann eines Tages die Bilder fand, wusste ich, ich kann mir sicher sein. Aber ich wusste auch, dass es nicht mein Geheimnis war, und ich es somit nicht weitersagen konnte. Auch dir nicht, tut mir leid, Zoe.«
»Schon ok, ich hätte es an deiner Stelle auch nicht gesagt. Das wäre nicht fair gewesen. Aber ich kann mir das immer noch nicht vorstellen, immerhin hatte Valentin auch so viele Freundinnen.«
»Er war immer der Ansicht, man müsste seine Erfahrungen sammeln. Und da nie etwas zwischen euch gelaufen war, oder sich etwas angedeutet hatte.. mussten andere herhalten.«
»Und was genau waren diese Erfahrungen?« In mir breitete sich ein grünes Monster namens Eifersucht aus - ich wollte die erste sein, die mit ihm gewisse Dinge erlebt.
»Also, wenn du die Frage stellst, ob er bereits Sex hatte - ich habe keine Ahnung. Das kannst du ihn aber bestimmt fragen. Ich d-« Selena stoppte mitten im Satz. Ihr Blick fiel hinter mich, also drehte ich mich um und sah Tony. Er war nicht alleine, sondern stand bei ein paar Jungs, die umgeben von Mädchen waren, darunter auch Isla-Aurora. Sie stand bei Tony und unterhielt sich mit ihm. Tonys Blick war dabei stets auf ihren Ausschnitt gerichtet - was für mich genug über ihn aussagte, um ihn nicht zu mögen.
»Unglaublich.«
»Ich hab dir doch gesagt, mit der hat es nichts gutes auf sich. Das ist kein Zufall, an sowas glaube ich nicht.«
»Sie kennt ihn doch gar nicht, woher soll sie das gewusst haben?«
»Das ist ein Zeichen, vertraue mir.« Selena stand auf, und ging auf Tony zu. Ich konnte erst zu spät reagieren, und zwar dann, als Tony eine von Selena verpasst bekommen hat. Nicht negativ auffallen. Ich würde mal sagen, Selena hatte diese Regel eventuell schon gebrochen. Ich war mir sicher, jemand wichtiges hatte das gesehen, und würde das nicht unvermerkt lassen.
»Das ist also Tony, gut zu wissen.« lachte Isla-Aurora vor sich hin. Ich warf ihr einen bösen Blick zu und ging zu Selena um sie von Tony loszureißen.
»Was ist nur in dich gefahren, Lopez?« Tony packte Selena am Arm und zog sie zu sich. Sein Blick war auf ihre Augen gerichtet, und war voller Wut. Aber auch Selena zeigte soetwas wie Hass in ihren Augen.
»Lass sie los, und komm mit.« Ich zog die beiden aus dem Raum, den Flur entlang bis in mein Zimmer und setzte die beiden auf mein Bett.
»Ihr müsst euch mal aussprechen. Es kann nicht angehen, dass ihr immer verbal oder körperlich aufeinander losgeht, sobald ihr euch mit jemandem anderen seht. Bisher war das bestimmt kein Problem, aber hier ist es wichtig, nicht negativ aufzufallen. Es geht um unsere Zukunft, um eure Zukunft.« Ich spielte zwar die Moralapostel, und bestimmt würde Selena sauer sein, aber ich war es leid. Die beiden mussten sich aussprechen, das war nochmal deutlich geworden. »Ich gehe vor die Tür, und ihr redet hier, wenn ich jemanden rumschreien höre, komme ich rein, und Tony du weißt am besten, wie schmerzhaft meine Präsenz sein kann.« Ich ging aus der Tür und hielt mein Ohr an die Tür - ich war zwar nicht im Raum, wollte aber alles hören können.
»Unglaublich, was du für Freunde hast.«
»Unglaublich, wie du dich aufführst.«
»Ach, wie führe ich mich den auf, Lopez?«
»Wie ein Arschloch.«
»Ich dachte, das ist, was ich bin.«
»Aber du könntest es nicht sein. Du bist es nicht immer.«
Für kurze Zeit sprach keiner der beiden.
»Es tut mir leid, wenn ich Dinge gesagt oder getan habe, die dich verletzt haben. Aber ich war von Anfang an deutlich, ich möchte nichts festes.«
»Natürlich hast du das gesagt, aber das war vor dem, was wir hatten. Ich habe gedacht, es hat auch für dich die Dinge geändert.«
»Ich mag dich, Lopez, wirklich - aber ich kann diese Gefühle nicht gebrauchen.«
»Aber wieso?« Selena hatte angefangen zu weinen, das konnte ich sofort hören.
»Hast du dich mal umgeschaut? Wir leben in einer Welt, wo Gefühle dich umbringen können.«
»Sprichst du von Mila?«
»Sie war verliebt, wollte ihr Leben mit ihm führen. Aber dann wurde sie ausgelost, und er nicht. Er wollte sich nachträglich freiwillig melden, aber wurde abgelehnt. Er hat einen riesen Aufstand gemacht, und dann war er verschwunden.«
»Verschwunden?«
»Ja, er war weg. Sie haben ihn umgesiedelt. Und als meine Schwester das erfahren hat, hat sie sich das Leben genommen. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits ein paar Wochen im Programm und wir hatten sie noch am selben Tag besucht, als sie sich das Leben genommen hat. Und ich war derjenige, der ihr von Zacs Vorfall erzählt hatte. Ich hab es ihr das erzählt, was sie zum Suizid getrieben hat.«
»Aber das hier ist doch was anderes. Wir sind beide hier, wir haben die Chance zueinander zu finden.«
»Wir sind einhunderachtzig Personen, davon könntest du an neunzig Jungs geraten, von denen einer ich sein könnte. Die Chance ist da, aber sie ist gering.«
»Ja und? Ich würde auch einen Antrag stellen.«
»Du würdet wirklich mit jemandem wir mir zusammen leben wollen? Kinder kriegen, alt werden?«
»Ja.«
»Das verstehe ich nicht. Ich behandle dich wie Dreck, und du willst trotzdem mit mir zusammen sein.«
»Das nennt man Liebe. Wenn du dafür eine Erklärung willst, die kann ich dir nicht geben.«
Danach war es erneut still, diesmal für bestimmt fünf Minuten.
»Du musst wissen, dass ich dich sehrwohl mag, Lopez. Aber ich möchte weder mir, noch dir Hoffnung machen, für etwas, auf das wir keinerlei Einfluss haben. Wäre unsere Welt anders - vielleicht würde ich dich sofort heiraten, mit dir mehr Kinder kriegen, als wir zählen können, und einfach unser Leben genießen, aber das kann ich dir nicht versprechen. Ich möchte dir nichts schönes geben, an dem du festhalten kannst, du sollst von mir denken, ich sei das größte Arschloch, damit du ohne mich klarkommen kannst.«
»Du tust mir doch schon weh.«
»Glaub mir, du würdest nicht mit dem Schmerz klarkommen. Dem Verlust von etwas wunderschönem, das mal war, so hast du nur das hätte, und das vielleicht. Das tut auch weh, aber man kommt klar.«
»Du labberst so eine scheiße, du bist einfach ein riesengroßes Weichei! Nichts weiter. Von wegen du willst mich schützen, du hast du Angst vor dem, was dir dabei passieren könnte. Wie du dich verändern würdest, wie du..«
Plötzlich fasst mir jemand an den Rücken und ich zucke zusammen. Es ist Isla-Aurora.
»Was machst du denn hier, warum gehst du nicht rein?«
Und erneut, bevor ich reagieren kann, öffnet Isla-Aurora die Tür. Ich spähe rein, und sehe wie Tony seine Hände an Sels Wange hält und ihr einen Kuss gibt. Ich bin verwirrt, und versuche zusammenzupuzzeln, was ich verpasst haben könnte. Immerhin hat er eben wieder abgeblockt, und sie hat ihn mehr oder weniger angeschrien.
»Die beiden führen also eine Hass-Liebe, interessant.« stellte Isla-Aurora fest.
»Vielleicht sollten wir die Türe schließen, und die beiden alleine lassen.« Aber es war zu spät, die beiden hatten uns gesehen. Ich grinste und hoffte, dass keiner der beiden sauer sein würde. Aber da lief Selena bereits wutentbrannt an mir vorbei, und ließ nicht nur mich, aber auch Tony zurück.
»Was ist passiert?«
»Klär' das mit ihr, ich brauche jetzt erstmal meine Ruhe.«
»Ist das dein Ernst, du haust einfach so ab, Tony?«
»Bye, Zoe.« Und somit lief auch er an mir vorbei.
Ich überlegte den gesamten Restabend, ob ich noch zu Selena gehen sollte, oder ob ich ihr Zeit geben sollte, sich zu beruhigen und dann auf mich zu zukommen, sobald sie dazu bereit war. Und als dann auch Valentin vorbeikam, wurde mir die Entscheidung abgenommen.
Wir lagen zusammen auf dem Bett und unterhielten uns über diverse Themen und aßen zusammen eine Tüte Nüsse, die Valentin eben gekauft und mitgebracht hatte.
»Also hab ich die beiden in das Zimmer hier gebracht und reden lassen. Ich habe ein wenig gelauscht und dann kam Isla und hat die Tür geöffnet. Dann waren die beiden da, haben sich geküsst - dann ist Selena wütend abgehauen, und Tony hinterher. Willst du mir das erklären?«
»Wenn du mir sagst, was du mitgelauscht hast, vielleicht.«
Ich deutete mit einem Blick an, dass das nicht ging, da Isla auch im Zimmer war. Valentin verstand das Zeichen aber nicht, stattdessen war es Isla die es verstand und ging.
»Und ich wiederhole, mein Name wird nicht abgekürzt. Und wenn schon, dann auf Aurora, nicht auf Isla.« Sie zwinkerte uns zu, und ließ uns zurück.
»Also Tony hat Selena von seiner Schwester erzählt. Sie hieß Mila und war siebzehnjahre alt, als sie ausgelost wurde - und wie du weißt, hat sie Selbstmord begangen. Aber das war keine direkte Rebellion gegen das Programm ohne spezifischen Grund, denn es hatte sehr wohl einen. Mila war verliebt in einen Jungen, und dieser Junger wurde nicht mitgelost, und hatte versucht nach Start des Programms reinzukommen, allerdings bricht das mit den Regeln und es wurde ihm verboten. Daraufhin machte er einen Haufen Stress und war sauer. Der Staat reagierte, und siedelte ihn um. Als Mila davon erfuhr, brachte sie sich um. Und das schlimmste war, sie hatte es von Tony erfahren. Er gibt sich bestimmt die Schuld.. jedenfalls nahm er das als Entschuldigung, warum er sich nicht verlieben wollte. Als Selena zu ihm meinte, dass es jetzt anders sei, sie beide hier waren, und beide einen Antrag stellen könnten, redete er sich raus.. entweder weiß er mehr, oder alles ist eine groß aufgeblasene Lüge. Aufjedenfall meinte er zu ihr, dass er sie lieber schlecht behandelt und er ihr die Erlaubnis gibt ihn zu hassen, als mit ihr eine schöne Zeit zu verbringen, und am Ende getrennte Wege gehen zu müssen. Irgendwas von wegen, Verlust täte mehr weh als Hass. Oder so..«
»Der Typ hat sie doch nicht mehr alle. Man kämpft für das was man will. Man gibt nicht einfach auf.«
»Wir haben selber das Problem, Valentin. Wir werden bestimmt nicht ausgelost. Und für einen Antrag..«
»Dein Bruder wird da bestimmt etwas richten können. Und selbst wenn nicht, ich habe Geld angelegt, ich kann das benutzen, ich kriege das hin, Zoe. Glaub mir. Vertraue mir.«
Ich wollte ihm vertrauen, ihm glauben, aber ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl.
»Kann ich dich etwas fragen?«
»Alles kannst du mich fragen.« Er streichte mir über mein Gesicht und gab mir einen Kuss.
»Hast du vor unserer Nacht.. hast du da schon mal-«
»Ja.«
»Ja? J-ja? M-mit wem?« Die direkte Antwort schockte mich, und die Antwort an sich noch mehr. Er war also keine Jungfrau mehr gewesen, und das trotz allem was man gesagt bekommt. Ich dachte das zwischen uns wäre ein Akt aus Liebe - und einbisschen Rebellion, gewesen. Aber für ihn schien das nichts besonders gewesen sein, oder.. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich seine halbe Antwort nicht mitbekommen hatte.
».. keine Liebe. Du musst wissen mit dir war es ganz anders, viel persönlicher, viel intimer. Ich kannte es so gar nicht, Zoe.«
»Tut mir leid, ich.. kannst du es bitte noch einmal sagen?«
»Mein erstes Mal war mit Vicky. Es war kurz vor meiner ersten Auslosung, kurz vor meinem vielleicht-Freiheitsentzug. Ich wollte so etwas mitjemandem erleben, den ich mir selber aussuche. Nicht mit jemandem, der mit zugeteilt wird. Es ging einfach nur darum, mir selbst ein bisschen Freiheit zu geben, bei meinen Entscheidungen. Nicht darum Sex zu haben, eher darum ein Zeichen zu setzen. Für mich, und ein bisschen für den Staat. Immerhin würden sie davon ja erfahren, und das würde ihnen zeigen, wie ich drauf bin, was ich denke - zumindest so ein bisschen. Dachte ich jedenfalls.«
»Es ging dir nur um Freiheit? Und darum, den Staat ein wenig zu ärgern? Warum hast du es denn dann mit Vicky getan?«
»Sie wollte es auch getan haben, und sie war nicht nur hübsch, sondern auch extrem witzig. Und witzig ist durchaus sexy, weißt du.«
»Kann ich mir gar nicht vorstellen. Dazu muss sie ganz anders gewesen sein als Liv.«
»Sie ist auch ganz anders. Sie ist nicht hinterhältig oder so. Sie nimmt sich zwar auch was sie will, aber sie weiß wann Schluss ist. Sie hat auch verstanden, dass ich mit ihr Schluss mache, weil ich mich so nur selbst angelogen hab. Sie hatte mir nämlich gesagt, dass sie mich liebt, und als ich es zurück gesagt habe, kam ich mir vor wie ein Lügner.«
»Du hast also wegen mir Schluss gemacht?« Und schon verabschiedete sich das grüne Monster, und eine rosarote Brille auf meiner Nase nahm ihren Platz ein.
»Irgendwie ja, aber sie hat nie erfahren, wer das Mädchen war, das ich wirklich geliebt hatte.«
»Ist sie eigentlich bereits ins Programm gegangen? Ich habe sie lange nicht mehr gesehen.«
»Hast du sie nicht gesehen? Sie ist mit uns im Programm.«
»Nein, ich habe nur Liv gesehen.«
»Die beiden wurden gezogen, das stimmt. Arme Familie.. genau wie unsere.«
Nach einer halben Stunde kam Isla-Aurora wieder, und drängte darauf, dass Valentin gehen müsste, weil alles andere gegen die Regeln wäre, und somit war ich nun alleine mit ihr.
»Also kann ich dich doch abkürzen.. Aurora also.«
»Ja klar, als ob mich jemand Isla-Aurora nennt, das ist doch viel zu lang. War aber lustig so zu tun als ob, sorry.«
»Schon okay, hat sich ja schnell aufgeklärt.«
»Hat sich den auch das mit deiner Freundin und ihrem Typen geklärt?«
»Das ist eine sehr gute Frage, ich weiß die Antwort darauf leider genau so wenig wie die beiden. Zwischen den beiden war viel los, und es gab immer wieder solche Streits. Sie beleidigen sich, danach küssen sich, beleidigen sich direkt wieder.. also für mich ergibt das keinen Sinn.«
»Manchmal ist Liebe so. Es gibt ja nicht nur eine Art - und ich meine nicht, Freundschaft, Geschwisternliebe und so weiter.. Liebe ist facettenreich. Für manche ist es ein Spaziergang und alles ist perfekt, und für andere ist es voll mit Konflikten und genauso perfekt.«
»Aber ich sehe in ihm nicht die Fähigkeit zu lieben. Er kann dazu nicht fähig sein.«
»Glaub mir, er liebt sie sogar mehr als sie ihn liebt, deshalb macht er das, was er macht. In einer Welt wie unseren ist es nicht immer einfach, was Liebe angeht.. und manchmal muss man sich dagegen entscheiden und zeigt dabei dem anderen mehr Liebe als man es auf irgendeine andere Weise könnte, Zoe.«
»Willst du mir etwa sagen, dass Valentin mich lieber abschieben sollte, statt jetzt mit mir eine schöne Zeit zu haben? Ich bevorzuge die schöne Zeit.«
»Vielleicht verstehst du es dann, wenn ihr euch trennen müsst, und keiner das will, aber es trotzdem keinen Weg daran vorbei gibt. Die Chancen das hier zusammen abzuschließen stehen nicht gut. Und ich denke weder du, noch er haben besonders viel Geld um den Antrag gegebenenfalls durchzubringen.«
»Ich möchte nicht über sowas reden, irgendwie wird das schon klappen.«
»Ich wünsche dir das, wikrlich. Nur glauben tue ich das nicht.«
Ich auch nicht, und das war das Problem. Ich hatte Vertrauen in Valentin, aber nicht in das Programm, den Staat oder den Computer. Und diese bilden die Instanzen für die Wahl meines Lebens - und Valentin hatte nur eine sehr geringe Rate darin weiterhin vorzukommen.
»Steh auf, Schlafmütze!« Ein Kissen flog auf meinen Kopf und ich wurde aus meinen tiefen Träumen gezerrt.
»Dir auch einen Guten Morgen, Aurora.« Sie saß auf meiner Bettkante und putzte sich die Zähne.
»Mach dich fertig, ab unter die Dusche, ab in die wunderschönen Klamotten des Prorgramms. Du hast die Auswahl: weiß oder weiß? Oder doch lieber das andere weiß?« Ich hatte wirklich keinerlei Lust mich fertig zu machen oder gar überhaupt aus dem Bett zu kriechen. Als ich auf die Uhr schaute, und diese nichtmals sieben Uhr anzeigte, wuchs mein Wunsch im Bett zu bleiben nur unerbitterlich - aber ich hatte wie immer keine Wahl.
Unter der Dusche plagte mich nochmal das Gespräch von gestern. Valentin und ich hielten an etwas fest, dass es sehr bald schon gar nicht mehr geben durfte. Denn in den Regeln des Programms gelten alle Teilnehmer als Single, bis sie am Ende ihren Parnter zugeteilt bekommen. Keiner darf Anspruch auf jemand anderes erheben.
»Beeil dich, Zoe! Wir müssen in zehn Minuten in Raum A025 sein.«
»Ich komme sofort.« Aber das war eine Lüge, ich duschte bereits seit vierzig Minuten, und stand danach nochmal fünf Minuten vor dem Spiegel. Ich dachte an meine Mutter und an mein Haus. Ich wollte dorthin zurück, ich wollte nicht hier sein. Ich wollte nicht hören, was uns heute gesagt wird. Noch weniger, wollte ich wissen, was die nächsten Tage brachten.
»Ich gehe gleich ohne dich, Zoe! Jetzt komm!« Auroras Stimme wurde lauter, aber nie aggressiver. Als ich die Tür vom Bad ins Zimmer öffnete, stand sie ungeduldig davor.
»Du bist ja nichtmal angezogen, jetzt nimm das Handtuch ab und zieh dir was an. Wir können ja schlecht am ersten Tag zu spät kommen.«
Ich schlüpfte in die lange enge weiße Hose und ein weißes Top. Dann föhnte ich mir noch kurz die Haare an, damit sie nicht tropften und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu Raum A025. Alle waren bereits da, auch Selena. Als sie zu mir rüber lächelte, und sogar auf den Platz neben sich zeigte, war ich erleichtert. Sie war nicht sauer.
»Tut mir leid, ich wollte nur helfen.«
»Ich weiß.«
»Guten Morgen, Mädchen.« Thea hatte ihre Haare hochgebunden, und einen roten Lippenstift aufgetragen. Sie sah gleich viel reifer und erwachsener aus - aber immernoch genauso schön und jung wie sie war. »Tut mir leid, euch so früh wecken zu müssen. Allerdings finden heute die ersten medizinischen Tests statt. Ihr werdet nacheinander untersucht - wer nicht untersucht wird, muss Protokolle ausfüllen und sich für Kurse eintragen. Am Abend bekommt ihr euren ersten potentiellen Partner zugeteilt. Ihr werdet noch heute am späten Abend, die Möglichkeit haben euch kennenzulernen, und trefft euch für eine Woche jeden Abend. Danach füllt ihr ein Zeugnis aus. Von den fünf Monaten werdet ihr die ersten beiden Monate je Woche einen Partner zugeteilt werden. In den Folgemonaten habt ihr insgesammt drei Partner zugewiesen bekommen, einer davon wird euer endgültger Partner sein. Ich wünsche euch einen schönen Tag. Die ersten drei Mädchen sind Cassandra Vo, Ronja Thelloma und Selena Lopez. Ihr kriegt eure Krankenakte, dort stehen alle Informationen, die wichtig sind. Der Raum und der Arzt der euch und euren Untersuchungen zugeteilt wurde.«
»Tja, ich denke wir müssen uns dann später aussprechen. Ich wünsche viel Spaß.«
»Danke, ich werde den bestimmt haben, beim Ausfüllen von Papierkram.«
Und ich sollte Recht behalten - es sollte so einen großen Nicht-Spaß machen. Die Protokolle waren alle oberflächlich, und die Fragen bezogen sich auf äußerliche Merkmale und einige wenige inneren Qualitäten. Meiner war am Ende nicht vielaussagend. Wie beim ersten Mal gab ich auch jetzt öfter eine "mir egal" Antwort als ein "ja" oder ein "nein". Mir war nicht besonders wichtig, wie mein Partner aussah, mir war wichtig, dass wir einen Draht zueinander hatten. So wie ich zu Valentin einen hatte. Wir waren beide artistisch, beide begeistert von unserer Umwelt und wollten nichts sehnlicher, als diese Gedanken auf Papier zu bringen.
Auch die Kurse für die man sich einteilen musste waren total eindeutig. Alle lenkten auf eine bestimmte Richtung. Wollte ich den Kurs Gesundheit? Recht und Ordnung? Hauswirtschafft? Oder doch Mülltrennung? Ich schrieb mich letztendlich bei Recht und Ordnung ein, sowie Kunst und Kochen. Damit hatte ich die Anzahl an Pflichtkursen erfüllt und könnte vor allem mal kochen lernen. Kunst sollte mich daran erinnern, was ich bin und Recht und Ordnung, was ich immer schon sein wollte: Polizistin. Mein Vater hatte einen großen Teil an dem Wunsche, weshalb ich es jetzt um so sehnlicher erfüllen wollte.
»Die nächsten drei Mädchen sind Chloe Grace, Willa Deraux und Zoe Alicia Hales.«
Ich bekam meine Unterlagen, und war verwirrt. Mein Bruder war nicht als mein Arzt aufgelistet. Sondern Quentin Perkins - der Leiter der Medizin. Plötzlich war mir nicht mehr ganz wohl dabei, gleich untersucht zu werden. Dabei sollte es mir unangenehmer sein, von meinem Bruder untersucht zu werden. Aber das war es nicht. Ich hatte Vertrauen in ihn, in Quentin hingegen hatte ich kein Vertrauen. Trotzdem öffnete ich die Tür zu seinem Untersuchungsraum und setzte mich auf den Stuhl in der Mitte des Raumes. Von ihm oder einer Helferin war weit und breit keine Spur. Erst drei Minuten später - ich zählte die Sekunden, war er endlich da.
Seine grüne Augen bohrten ein Loch in mich, so unwohl hatte ich mich schon länger nicht mehr gefühlt, und das, obwohl er eigentlich recht nett rüber kam. Er reichte mir sogar die Hand zur Begrüßung.
»Tag. Ich bin Dr. Quentin Perkins, dein zugeteilter Arzt. Ich werde mir jetzt ein genaueres Bild von dir und deiner Gesundheit machen - und ob sich etwas verändert hat. Gibst du mir bitte deine Akte?«
»Bitte.« Ich reichte sie ihm, und sah zu wie er sie durchblätterte, und jedes Bild nur für ein paar Sekunden fokussierte und dann weiter blätterte.
»Normales Blutbild, etwas hoher Zuckerspiegel..« murmelte er dabei, und ich fragte mich, wie er so schnell schlau wurde aus den paar Sekunden die er jeder Seite widmete.
»Wie machen Sie das? Sie haben sich die Akte kaum angeguckt.«
»Fotografisches Gedächtniss, kann ganz nützlich sein.« Er lächelte kurz und schlug dann die Akte zu. »Zoe Alicia Hales. Das hätte ich vorher wissen müssen.«
»Entschuldigung?«
»Du bist die Schwester von Sebastian.«
»Ja, das bin ich. Ich hätte ehrlich gesagt erwartet, dass er mich untersuchen darf.«
»Das geht leider nicht. Aber ich bin ein sehr guter Freund von Sebastian. Du kannst mir auch vertrauen.«
Er führte ein paar Standardtests durch - Stetoskop auf die Brust, ein Röntgen, ein Allergietest und zu allerletzt machte er einen sogenannten V-Scann. Das war der Test, wo rauskommen würde, dass ich seit der letzten Untersuchungen meine Unschuld verloren habe - und aufeinmal war ich froh, dass nicht mein Bruder, sondern ein fremder und unbeteiligter Mann mich untersuchte. Sebastian war irgendwo immer noch mein großer Bruder, solche Dinge musste er nicht unbedingt wissen.
»Anders als beim letzten Mal, werten wir die Ergebnisse sofort aus, das wird fünf Minuten dauern. Es ist echt unglaublich, wie schnell diese Tests mittlerweile durchgeführt werden können. Früher haben manche ganze Tage in Anspruch genommen.«
»Vielleicht sollte ich Ihnen das vorher sagen, dann erspare ich mir gleich den peinlichen Moment. Ich bin keine Jungfrau mehr.«
»Laut deiner Akte warst du es aber vor dem Programm noch.«
»Das stimmt. Es war nach der letzten Untersuchung.«
»Gut, dass du es mir gesagt hast. Ich kann das manuell eingeben, und dann bist du offiziell immer noch eine. Alles andere würde nur deine Entwicklung hier erschweren.«
»Sie würden das machen?« Er gab ein paar Zahlen und Ziffern in eine der vielen Spalten der Liste und wandte sich mir dann wieder zu.
»Ich sagte doch ich bin ein Freund deines Bruders. Dein Bruder hätte das selbe für meine Schwester gemacht, naja, er hat sie stattdessen zwar geheiratet, aber das ist schon gut so.«
»Thea ist ihre Schwester? Aber sie heißt nicht Perkins mit Nachnamen, zumindest hieß sie meine ich Dalton.«
»Wir sind nur Halbgeschwister, sind aber zusammen aufgewachsen.«
»Halbgeschwister, dass es sowas heutzutage noch gibt.«
»Mein Vater Hector Perkins wurde eines Tages tot aufgefunden, und meine Mutter wurde neu vermittelt. An Gregor Dalton. Und Thea ist halt seine Tochter.« Ich war überrascht wie viel persönliches er mit mir teilte, aber da wir genaugenommen, mehr oder weniger, Familie waren, musste das wohl so sein.
»Deine Ergebnisse sind fertig. Alles ist in Ordnung, du solltest nur keine Erdnüsse mehr essen. Außer du möchtest Hautausschlag. Ansonsten gibt es keine Probleme. Nicht mehr.«
»Danke nochmal.«
»Bis zu deiner nächsten Untersuchung in vier Wochen.«
Bis zum Abend waren es noch ein paar Stunden, also machte ich mich auf die Suche nach Valentin. Ich ging in Haus 1 und klopfte an der Tür mit dem großen "O" dran. Es dauerte ein wenig, bis mir dann ein großer Junge mit dunkelroten Haaren aufmachte. Durch sein rotes Haare wirkte selbst seine Augenfarbe eher rot als braun.
»Hallo, ich bin Zoe.«
»Ben.« Er wirkte ziemlich dessinteressiert. Aus dem Hintergrund drängte sich ein blonder großer und muskulöser Typ in den Vordergrund. Er hatte ein langes aber markantes Gesicht und den Schlafzimmerblick eingespeichert.
»Ich bin Tobias.« Ben geht zurück ins Zimmer und setzt sich auf sein Bett. Er gibt mir seine Hand, und ich schüttle sie lasch und will mich an ihm vorbeidrängen. Doch..
»Hey, hey, hey. Du kannst doch nicht einfach in unser Zimmer, egal wie schön du bist.«
»Ist Valentin hier?«
»Ist es nicht. Er ist noch in Behandlung. Was darf ich ausrichten?«
»Dass ich, Zoe, ihn gern noch vor heute Abend sehen würde.«
»Bist du seine Freundin?« Er fragte mit so einem unverschämten Unterton, dass ich mich entschied nicht zu antworten, sondern einfach zu gehen.
»Also für ihn, bist du doch definitiv eine Nummer zu groß.«
Zurück in meinem Zimmer saß Aurora auf ihrem Bett und starrte an die leere Decke. Ich legte mich auf mein Bett und tat das selbe. Ich war irgendwie am Boden. Ich hatte keine Lust auf den Rest des Abends.
»Wie war deine Untersuchung, Zoe?«
»Naja, war eine Untersuchung. Deine?«
»Ich habe deinen Bruder kennengelernt. Er ist mein Arzt.«
»Wirklich?« Ich richtete mich auf und sah zu ihr rüber, auch sie saß jetzt auf der Bettkante.
»Ja. Er meinte, ich sollte dir sagen, dass du ihm vertrauen kannst.« Um "ihn" machte sie Gänsefüße. »Wer das sein soll, weiß ich nicht. Er meinte, du würdest das wissen - und selbst merken.«
»Er meint Valentin.« Ich log. Er meinte eindeutig Quentin, aber das ging Aurora nichts an.
»Da ist und bleibt jemand wohl großer Bruder, nichts hier eigene Familie.«
»Bald muss er damit aber wohl oder übel anfangen.«
Es klopfte an der Tür, und ich sprang auf um sie zu öffnen. Valentin stand dort und gab mir einen Kuss.
»Tut mir leid, dass du meine tollen Zimmergenossen kennenlernen durftest.«
»Schon okay. Dieser Ben war doch in Ordnung - Tobias hingegen.. ich nehme die Entschuldigung an.«
»Ben ist auch seltsam, lass dich nicht täuschen. Aber Tobias - ich habe noch nie sojemanden selbstverliebtes kennengelernt. Das ist unglaublich. Der hat ein Fotoalbum von sich, nur von sich.«
»So sieht der auch aus. Aber sag mal.. wie war deine Untersuchung, Valentin?«
»Mein Arzt ist mit deinem Bruder befreundet, und er hat die Ergebnisse etwas aufgebessert.«
Ich nickte zustimmend, und hackte mich bei ihm ein.
»Wir gehen kurz ein bisschen raus, bis später Aurora.«
»Geht ihr nur, ich stelle mich der schweren Outfitentscheidung - weiß oder weiß..«
»Heute ist vielleicht das erste Mal, dass wir mit jemanden ausgehen müssen.. aber leider nicht das letzte Mal.«
»Ich weiß.« Mir tat der Gedanke weh, und ich konnte hören, wie es ihn nicht weniger schmerzte.
»Zoe?« Er streichelte meine Wange und küsste dann meine Hand. »Ich bleibe dir treu.«
»Ich weiß.« Ich konnte ihn nicht ansehen.. die Chancen standen so schlecht, wie konnte ich da nur weiter hoffen? Das war doch wie eine große und einzige Lüge. Ob das alles irgendeinen Nutzen hatte?
»Was ist los? Ich merke doch, dass dich etwas bedrückt.«
»Es ist nur, Aurora hat ein paar Dinge gesagt, darüber musste ich einfach nachdenken.«
»Was für Dinge?« Er küsste wieder meine Hand und streichelte dann meinen Handrücken. Und jemandem so nah zu sein, ist so unglaublich schön. Ich war noch nie jemandem so nah.
»Es besteht die Möglichkeit, dass wir uns trennen müssen, Valentin. Genau genommen sind wir schon getrennt.«
»Meinst du die Protokolle? Das ist nur ein Stück Papier! Wir wissen doch beide besser, was wir füreinander empfinden, und wie wir zueinander stehen!«
»Ich habe einfach Angst. Was, wenn einer stärker an dem festhält, als der andere? Dann zerbricht einer von uns. Und ich möchte das nicht miterleben.«
»Vertraust du mir?« Valentins Blick war gleichzeitig warm und kalt. Voller Hoffnung und Angst.
»Natürlich.« Da war ich mir sicher. Ich hatte Vertrauen in ihn, aber nicht in mein Glück.
»Und ich vertraue dir. Ich verspreche dir, dass ich dir das unmögliche Versprechen machen kann: Ich liebe dich heute, morgen und auch alle Tage die darauf folgen.« Er streichelte mir über die Wange und sah mich direkt an. Mein Magen schnürrte sich zusammen, mir wurde warm und mir stockte kurz der Atem. Jedes Mal, wenn er mich so berührte, wusste ich einfach, dass es so sein soll. Liebe soll mir genau dieses Gefühl geben. Dieses und kein anderes. Und ich war mir sicher, dass ich das nur mit ihm haben könnte. Mit ihm ganz allein.
»Ich liebe dich auch, Valentin.« Ich kam mir doof vor. »Es tut mir leid, ich bin nur so durcheinander, und das alles hier ist einfach so viel aufeinmal.. und es hat nichteinmal begonnen.«
»Ich nehme es dir nich übel, Zoe. Das hier ist keine alltägliche Situation, keiner ist hier er selbst.«
Diese Worte waren viel schwerwiegender als es mir lieb war - das wusste ich nur noch nicht. Die Zeit verging wie im Flug, und wir mussten uns schon sehr bald trennen. Jeder musste zu seinem Mentor - zu seinem ersten Partner.
(FORM)
»Guten Abend, meine Mädchen. Wir haben eure Ergebnisse zusammengetragen, euch Kursen zugeordnet, und euren ersten Partner zugeteilt. Genauer gesagt, eure ersten sieben Partner - sprich, für die gesamte Woche. Wir teilen euch Blätter aus. Ihr findet ein Blatt mit euren drei Kursen, und zwei weiteren euch zugeteilten Kursen. Dann findet ihr sieben Blätter - ein Blatt zu je einem Jungen, und dazu noch ein Zeugnis, dass ihr nach eurem Treffen auszufüllen habt. Diese Zettel sind jeweils am Abend nach dem gemeinsamen Treffen bei mir einzureichen. Das Formular muss ausgefüllt werden, ansonsten wirkt sich das negativ auf euer Ergebnis aus.« Thea sitzt wieder mitten in einem Stuhlkreis, und wir umgeben sie - wie am ersten Tag.
»Bevor wir euch länger auf die Folter spannen, hier eure Unterlagen.« Eine nach der anderen erhielt ihre Zettel, und blätterte alle durch. Manche freuten sich, andere sahen voller Entsetzen auf ihre zugeteilten Partner und Kurse. Ich hatte seit zwei Minuten meine Unterlagen, aber den Mut reinzuschauen hatte ich noch nicht. Erst Selena und ihre Neugier reitete mich dazu, einen Blick hineinzuwagen.
»Und?«
»Nur, weil du noch nicht dein Formular hast, heißt das nicht, dass du mich jetzt dazu drängen musst.«
»Ach, komm Zoe!!! Ließ es einfach laut vor, ich möchte es wissen.« Sel setzte ihren besten Hundeblick auf und ich konnte nicht anders, als ihr das geben, was sie von mir verlangt hatte.
»Zoe Alicia Hales. Sechszehn Jahre, bla bla.. Die Ihnen zugeteilten Kurse sind: Kochen, Kunst, Musik, Recht und Ordnung, sowie Sport. Sport und Musik sind mir also noch zugeteilt worden, herrlich.«
»Weiterlesen! Jetzt kommt doch erst der wichtige Teil, und halt die Unterlagen so, dass ich sie sehen kann.«
»Na gut..« Ich blätterte um, und sah mir den ersten Zettel an; ich wusste nicht, wie ich reagieren hätte können oder sollen oder müssen.
»Anthony Stark. Ist das deren Ernst? Anthony? Mein erster Partner ist Anthony?«
»Dann muss ich ihn wenigstens nicht sehen, und er hat am ersten Abend keine Schlampe am Hals, die etwas von ihm will. Also für mich ist das ein gutes Ergebnis, weiter!« Sie log, aber ich log mit und blätterte um.
»Olivier Theroux. Neunzehn Jahre alt. Den Jungen habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.« Die Infomationen zu ihm waren sehr knapp gehalten - allgemein waren es die Informationen zu den jeweiligen Leuten. Sein Name, Alter, Geburtstag, Wohnort und seine Ziele standen auf dem Blatt, daneben ein Bild. Er hatte braunes gelocktes Haar, einige Muttermale im Gesicht und eine sehr markante Nase so wie sehr dicht bewachsene Augenbrauen. Er sah weder schlecht noch gut aus, er war einfach ein Junge wie jeder andere.
»Besonders gut aussehen tut der aber nicht.. Oh, mein Ordner kommt.« Thea reichte ihr den Ordner, aber ich schnappte ihr den weg und schüttelte mit dem Kopf. Sie hatte mich gezwungen reinzugucken, jetzt musste sie mit mir hierdurch. Erst danach konnte sie ihren Ordner einsehen.
»Blättern wir weiter..« Die nächste Seite war ohne Zweifel die schönste, und nahm mir eine große Angst. »Valentino Lopez. Auch noch an meinem Geburtstag.« Ich konnte es nicht glauben, Valentin war dabei, mein dritter Partner war er. Es war jetzt klar, wer am besten abschneiden würde. Daran gab es keinen Zweifel.
»Die anderen sind mir nun wirklich egal, Sel.«
»Mir aber nicht, blätter schon weiter.«
»Tobias Farewell. Na toll, das ist Valentins furchtbarer Mitbewohner.«
»Aber der ist ja mal mega scharf. Ich hoffe der taucht in meiner Mappe auf.« Ich rollte nur mit den Augen, und blätterte weiter. Der fünfte, so wie der sechste Junge sprach weder meinen, noch Sel zu. Der siebte jedoch war ein bekanntes Gesicht, jemand, den ich bereits längst verdrängt hatte.
»Cyril Laskari.« Ich schaute mir seine Seite an. Es interessierte mich schon, was er geschrieben hatte. Und auch sein Bild, seine durchtrainierten Arme und seine markanten Züge traten gut hervor. Er war unumstritten von Schönheit gesegnet. Soviel konnte ich sagen, und ich war mir sicher, dass daran nichts verwerflich war. Valentin durfte immerhin auch andere Mädchen attraktiv finden, solange da nichts lief, war das vollkommen in Ordnung.
»Der ist ja heiß! Zoe! Aber wo der herkommt.. ein besonders guter Fang wäre er nicht.«
»Dafür hat er hohe Ziele: Politisch aktiv werden. Oder Rockstar werden. Also ich finde das schon irgendwie interessant, wie unterschiedlich seine Interessen sind.«
»Auf sowas kannst auch nur du achten, jetzt gib mir meine Mappe!« Bevor ich ihr sie auch nur geben konnte, riss sie mir diese aus der Hand. Und schlug sie gierig auf.
»Schauspielkurs. Tanzkurs. Kochkurs. Bügelkurs und Babysitten? Wirklich? Egal, jetzt zu den wichtigen Dingen.«
»Ich bin ja mal auf deinen Fang gespannt, Sel.« Ich kniff sie kurz und ließ sie dann weiter blättern.
»Elias Theo Hales. Gut, es ist wahrscheinlich nur fair, wenn ich jetzt deinen Bruder date.«
»Oh Gott, Selena!« Wir brachen kurz in Gelächter aus, beruhigten uns aber wieder schnell, als wir merkten wie man uns anschaute.
»Tobias Farewell. Gut, einen Hottie haben wir also schonmal dabei. Charles Benson. Oh mein Gott,der aus unserem Chemiekurs. Wunderbar. Anthony Stark. Er ist also tatsächlich dabei..« Sie machte eine Pause und musterte das Blatt, dann ohne ein weiteres Wort zu sprechen, blätterte sie um.
»Paul Burkley. Der sollte wirklich mal über eine Diät nachdenken. Gesund sieht das nicht mehr aus. Stefane Valerien. Oh mein Gott! Zoe! Das ist der Stefane! Das Model!!!«
»Du hast Recht. Wenn das nicht mal ein Grund zur Freude ist.« Es klang sarchastischer, als ich es urspünglich vor hatte, aber Selena hatte das gar nicht bemerkt.
»Und der letzte ist.. Olivier Theroux. Das ist der olle Franzose mit der großen Nase, den du auch hast. Aber ich habe Stefane, Zoe!« Sels Stimme erfüllte den Saal und erneut schaute man uns aus allen Richtungen an. Ich versuchte sie zu beruhigen, aber ihre Freude über ihren ersten Partner war einfach zu groß.
Ich machte mich auf den Weg zu Gina. Ich hatte sie noch gar nicht gesehen gehabt, seit wir hier waren. Sie war blass und unglücklich. Sie lächelte mich auch nicht wie sonst an, sie schaute mich mit leerem Blick an.
»Hey.«
»Was willst du, Zoe?« Ihr Blick war finster, und auch ihre Worter waren schwerer.
»Ist irgendwas? Ich will einfach nur wissen, wie es dir geht.«
»Das ist nichts, was dich noch etwas angeht. Zwischen Elias und mir ist es vorbei. Und mit dir möchte ich auch kein Wort mehr wechseln. Du und dein Bruder, ihr seid der Grund warum ich hier bin.«
»Mein Bruder hat das aus Liebe getan, Gina.«
»Meine Familie braucht mich, Zoe. Sie hätten Geld gut gebrauchen können, das hier bringt niemandem von uns etwas.«
»Jetzt beruhige dich! Das hier bringt sehr wohl was, unser Bruder hat uns gewarnt. Meinte, es wäre nicht sicher, wenn wir nicht jetzt alle zusammen ins Programm eintreten. Hier geht es um Sicherheit. Habe einfach ein bisschen Vertrauen.«
»Das hatte ich, Elias hat das ausgenutzt. Ich liebe ihn, ja, aber das heißt nicht, dass er machen kann, was er will und ich vergebe ihm das dann blind.«
»Ich hoffe du erkennst sehr schnell, wie dumm dein Verhalten ist, Gina. Elias hat das gemacht um dich zu schützen, um bei dir sein zu können. Ist das nicht das, was du willst?«
»Ja, aber er hätte es mit mir vorher abklären müssen.«
»Vergrab deinen verletzten Stolz. Er liebt dich, du liebst ihn. Nutzt eure Zeit, es könnte die letzte sein.«
Dann zog ich ab, ohne ein weiters Wort zu verlieren. Hinzu kommt, dass ich noch ein Date vor mir hatte, auf das ich zu gehen hatte. Ich hatte zwar wenig Lust darauf, allerdings konnte ich auch schlecht wie ein Penner dort hin. Ich brauchte eine gute Bewertung, nur so konnte ich meine Ziele erreichen. Ob diese guten Ergebnisse von Tony kamen oder nicht - das spielte keine Rolle.
»Und, zeig mal dein erstes Date!« Aurora griff nach meiner Mappe und schlug sie auf. Ich hätte natürlich rummotzen können, aber diese Unterlagen hüteten kein Geheimnis, warum sollte sie es also nicht lesen können. Im Gegenzug nahm ich ihre: Stefane Valerien. Nicolas Arango. Lewis Hemsworth. Cyril Laskari. Erik Norman. Philip Attkinson und Elias Theo Hales.
»Du hast ja meinen Bruder miterwischt. Und Nicolas und Cyril kenne ich auch.«
»Ich kenne Olivier, pass auf bei dem. Der hat flinke Finger der kleine Franzose. Und Daniel Lahey ist mir auch bekannt, der ist allerdings eher schüchtern. Aber cool, dass dein Freund auf deiner Liste ist! Und wir haben ja beide diesen Cyril. Wem er wohl ein besseres Zeugnis ausstellt.«
»Wir kriegen die Ergebnisse?«
»Natürlich? Hat da jemand immer noch keine Regeln gelesen?«
»Anscheinend nicht gut genug.« Das war halb gelogen, ich hatte sie kurz überflogen. Ich musste mich langsam echt mal vertraut damit machen. Aber dafür war keine Zeit.
»Gut, dass wir wenigstens jetzt anziehen können, was wir wollen.«
»Stimmt, das erweitert die Möglichkeiten. Nichts mehr vonwegen weiß oder weiß.«
Ich hatte keine Ahnung davon, bis sie es erwähnt hatte, aber zustimmen war das einzige wozu ich jetzt Kraft hatte
.»Ich gehe mich nocheinmal duschen, wenn Stefane kommen sollte, einfach hier warten lassen.« Sie zeigte auf ihr Bett und zwinkerte mir zu.
»Alles klar!« Bevor sie mich noch hören konnte, war sie bereits im Bad verschwunden. Hätte ich wie sie ein Model, dem ich gleich begegnen würde, hätte ich wahrscheinlich auch mehr Aufwand betrieben. Aber es war nur Tony. Ich zog also mein schlichtes schwarzes Kleid über und hohe Schuhe. Meine Haare habe ich vorne einfach zurück geflochten und meine Haare wellig gelassen. In Sachen Schminke entschied ich mich für ein sehr dezentes Make-Up. Ein bisschen Wimperntusche, ein bisschen Rouge und ein wenig Lippenbalsam. Dennoch gefiel mir sehr gut, wie das alles zusammen wirkte.
Dann klopfte es an der Tür und ich öffnete. Dort stand nicht Tony, sondern Stefane.
»Du siehst nicht aus wie I-Isla?«
»Ja, die ist gerade unter der Dusche.«
»Soll ich später noch einmal kommen?«
»Nein, du kannst ruhig hier warten, ich bin auch fertig.«
»Wenn es dir nichts ausmacht, dann warte ich einfach hier.« Er setzte sich vorsichtig auf das eine Bett, und schaute sich unruhig um. Dann sah er nochmal zu mir, stand auf und reichte mir seine Hand.
»Komplett vergessen mich vorzustellen. Ich bin Stefane. Stefane Valerien.«
»Ich weiß. Man kennt dich. Ich bin Zoe Hales.« Ich drückte seine Hand kräftig und setzte mich gegenüber von ihm auf mein Bett.
»Du wirkst nervös.«
»Bin ich auch, ich hatte noch nie eine Verabredung.«
»Das ist doch nichts schlimmes. Ich hatte auch noch nicht viele Verabredungen. Du musst einfach nur du selbst sein, aber nicht nur von dir reden. Immer Fragen stellen, gucken, dass der andere sich in irgendeiner Form wichtig fühlt.. Du musst nicht viel beachten..« Ich log schon wieder, ich hatte viele Verabredungen, aber ich wollte nicht, dass er sich seltsam fühlte. Denn anders als erwartet, war er sehr nett.
»Danke, Zoe. Du siehst übrigens sehr schön aus.«
»Danke. Das solltest du hier besser deinem Date gleich sagen.«
»Wollte ich dir nur gesagt haben, falls es dir dein Partner nicht sagen sollte.« Er war wirklich nett. Und ich hatte tatsächlich von einem Model ein Kompliment bekommen. Also, wenn mich das nicht vorerst glücklich machen würde, was dann?
»Du siehst auch schick aus.«
»Nicht zu leger?«
»Genau richtig. Nicht zu schick, nicht zu leger.« Er trug keinen Anzug, aber eine dunkelgraue enge Hose mit einer Bügelfalte und darüber ein Hemd mit einer dunkelroten Fliege. Bevor wir weiter reden konnten, klopfte es an der Tür. Es konnte nur Tony sein, und es war auch er.
»Hey, Zoe. Ich denke, du bist genau so begeistert wie ich.«
»Du kannst es dir nicht vorstellen. Das ist genauso wie im Lotto zu gewinnen.« Er hatte eine dunkle Jeans und ein dunkles Hemd an. Und jetzt bereute ich, das ich nicht einfach eine Jogginghose und einen Pullover angezogen hatte. Ich ging zurück zu meinem Bett und holte meine Tasche, und gab Stefane die Hand zum Abschied.
»Hat mich gefreut, Stefane.«
»Mich auch, Zoe.« Dann flüsterte er in mein Ohr: »Viel Spaß mit der Spaßbremse.«
»Wenn du wüsstest.« Das war die einzig mir mögliche Antwort. Dann war ich bereits mit Tony unterwegs.
»Wohin gehen wir überhaupt?«»Wir haben wie jedes andere.. Paar einen Tisch in einem kleinen Restaurant. Danach können wir uns direkt trennen.«
»Und, wen hast du noch so auf deiner Lister außer mir und Selena?«
»Das geht dich nichts an.«
»Alles klar, wird wohl ein ganz toller Abend heute.«
»Hast du etwas anderes erwartet?«
»Mit deiner Anwesenheit? Oh, nein.«
»Danke.«
»Danke? Für was?«
»Du weißt genau für was. Das Treffen für Selena und mich.«
»Das Treffen? Das hat doch niemandem etwas gebracht.«
»Natürlich hat es das. Sie weiß, dass sie etwas wert ist. Ich bin einfach nicht derjenige, der das was sie ist, verdient hat. Sie braucht jemand anderes. Jemand, der ihr mehr bieten kann.«
»Aber wenn sie dich will, und du sie auch willst.. wo ist da das Problem?«
»Ich möchte das einfach nicht. Das ist nur das Hinauszögern des Unvermeindlichen. Ich möchte ihr keine Hoffnung auf eine Beziehung machen. Wir können nicht bestimmen, mit wem wir zusammen kommen. Ich würde sie direkt aussuchen, aber so? Ich möchte ihr das nicht antun.«
»Valentin und ich sind doch auch zusammen.«
»Ihr werdet danach auch leiden, falls es nicht klappt. Falls doch, dann hattet ihr einfach Glück.«
»Es wird klappen.«
»Das hoffe ich. Ihr seht glücklich aus - wenn das zwischen euch keine Liebe ist, dann weiß ich auch nicht.«
»Danke?« Selbst Tony konnte nett sein, und das zu mir. Viel verwirrter als jetzt, konnte ich jetzt nicht mehr sein.
»Ich weiß, wie ich für dich rüberkommen muss, aber so bin ich nicht. So zeige ich mich, so sollen mich die Leute sehen. Selena war die einzige, die das angezweifelt hat. Die einzige, die mich dran erinnert hat, dass ich auch anderes sein kann. Sie zeigt mir das Gute der Welt. Sowas kann nicht jedes Mädchen. Sie ist was besonderes. Ich hoffe, dass sie an jemanden kommt, der ihr das jeden Tag zeigt.«
»Was passiert, wenn ihr doch zusammenkommt? Wenn euch der PC zusammenführt? Wird sie dich dann nicht hassen?«
»Ich werde kämpfen. Sie zurückgewinnen, ihr all' das geben, was sie verdient hat. Aber erst, wenn das für immer gesichert ist. Keinen Moment früher.«
In meinem Zimmer angekommen, lege ich mich aufs Bett und lasse den Abend revu passieren. Tony ist also doch nett, und er mag Selena wirklich. Das ist mir jetzt oft genug demonstriert worden. Und irgendwie will ich ihm danken. Ich hole das Protokoll und schaue es mir zum ersten Mal an. Es gibt mehrere Themengebiete, bei denen man lediglich in Form von ankreuzen bewerten kann. Es sind immer drei Möglichkeiten gegeben: Ja, Nein oder Vielleicht/Manchmal. Fragen von "Gefällt dir das Erscheinungsbild?" bis hin zu "Würdest du dich nochmal treffen?", oder auch "Konntest du dich mit ihm/ihr identifizieren?"- sind alle gegeben. Ich will nett sein, aber nicht zu nett. Also kreuze ich meistens "Vielleicht/Manchmal" an und schaue mir die letzte Seite an. Dort kann man wahlweise einen Kommentar hinterlassen. Da ich nicht weiß, was ich großartig schreiben sollte, schreibe ich gar nichts. Dann werfe ich das ausgefüllte Protokoll in einen Kasten, der an unserer Wand befestigt ist. Dort steht drauf "Protokolle", und als ich mein Protokoll einwerfe, höre ich eine kurze vier Noten Melodie gefolgt von einem virtuell gesprochenen "Danke".
»Gar nicht gruselig..« Dann klopft es an der Tür, und ich öffne sie. Ich erwarte Valentin oder vielleicht auch Selena, aber dort steht Stefane. Ich hebe eine Augenbraue an und mustere ihn. Er sieht genau so aus wie eben, nur noch mehr verängstigt.
»Guten Abend.«
»Hey, wenn du Isla suchst, sie ist nicht hier.«
»Ich wollte mich nur nochmal bei dir bedanken, Isla ist nochmal kurz auf die Terasse gegangen. Sie wollte dort das Protokoll ausfüllen.«
»Bedanken? Wofür?«
»Du hast mir einen guten Tipp gegeben: Sei du selbst. Das hat besser funktioniert, als ich gedacht hätte. Und da von diesen Dates meine Zukunft abhängt, wollte ich mich bedanken.« Er macht einen Schritt auf mich zu und umarmt mich fest. Ich bin verwirrt, aber ich kann es ihm nicht verübeln. Das alles ist so viel Druck und so voller Angst, da nimmt man jede Hilfe an. Und diese erwartet man nicht von einem wildfremden Mädchen.
»Übrigens, eine sehr gute Bewertung hast du schon mal.«
»Was meinst du?« Stefanes Augen werden ganz groß und schauen voller Verwunderung zu mir runter.
»Meine beste Freundin, Selena, sie ist total ausgeflippt als sie deinen Namen auf ihrer Liste gesehen hat. Sag ihr das aber nicht, das wäre ihr bestimmt peinlich. Dabei hat bestimmt jedes Mädchen so reagiert.«
Stefane und ich reden noch ein wenig, bis er aus Zeitgründen in das Abteil der Jungs muss. Aber das ändert nichts daran, dass wir bereits durch dieses eine Gespräch zu Freunden geworden sind. Stefane hat mir soviel anvertraut, mir so viel von seinen Ängsten erzählt. Er kennt immerhin nur das Leben bis jetzt, und es war immer zu schön um wahr zu sein. Ein guter Teilzeitberuf, eine wunderbare und herzensgute Familie, sowie das Glück erst jetzt ins Programm gehen zu müssen. Anders als mein Bruder und ich, die direkt einziehen mussten - wenn auch auf Wunsch unseres Bruders mehr oder weniger freiwillig. Ich hätte ihm schon beinahe davon erzählt, aber dazu ist es einfach zu früh - und bestimmt viel zu gefährlich, ich weiß ja selbst nicht, was Ty eigentlich von uns erwartet.
Am nächsten Morgen bleibt nicht viel Zeit, bis ich zum ersten meiner Kurse antreten muss. Ich springe kurz unter die Dusche und lass mich von den kalten und harten Wasserstrahlen der Dusche wecken. Bereits nach drei Minuten bin ich hellwach und schalte das Wasser aus. Auch das Anziehen stellt hier keine große Herausforderung da, denn die Entscheidung wird mir mehr oder weniger abgenommen. Weißes Top, weißes T-Shirt, weiße Hose, weißer Rock.. außerhalb der Dates ist das unsere zugeordnete Kleidung. Die Farben ändern sich alle paar Jahre. Mein Bruder musste zu seiner Zeit nicht weiß, sondern rot tragen.
»Und, was ist dein erster Kurs?«
»Kunst. Deiner?«
»Backen. Und ich weiß nicht, wie man auf die Idee kommt mich dort einzuteilen, aber ich werde wohl oder übel daran teilnehmen müssen, nicht?«
Ich nicke nur, und ziehe schließlich eines der weißes Tops an und dazu eine kurze weiße Hose. Meine Haare flechte ich aus meinem Gesicht weg, so dass ein Kranz um mein Kopf entsteht. Meine Mutter hat mir als kleines Kind die Haare so geflochten und meinte, dass das eine Frisur ist, die einer Künsterlin würdig sei. Seitdem trage ich sie immer, wenn ich zeichne, male oder mit Ton arbeite.
»Willkommen im Kurs Kunst 02. Ich freue mich sehr euch herzlich Willkommen zu heißen. Mein Name ist Catherine. Nachnamen brauchen wir nicht.« Ihre Stimme ist sehr angenehm und warm und ich freue mich jetzt schon auf den Kurs. »Eure erste Aufgabe ist es, euren Traumpartner darzustellen. Ob in Ton, als Skizze oder als Gemälde spielt keine Rolle.« Die Freude verfliegt bereits und ich setze mich vor eine leere Leinwand und entscheide mich für drei Farben: orange, violett und rot, nicht weil es meine Lieblingsfarben sind, aber wenn ich meine Gefühle für Valentin in Farben umdenke, dann sind es diese drei Farben, die ich fühlen würde.
Ich fange an die Farben wahllos auf die Leinwand zu schmieren, und einen Hintergrund zu erschaffen, der sich durch Farbverläufe dieser drei Farben definiert. Erst dann entscheide ich mich dafür gelb hinzuzuziehen und durch Aneinanderküpfen von Strichen ein Gesicht zu kreieren. Ohne es zu wollen, ist bereits nach einigen Strichen klar, wer sich dahinter verbirgt: Valentin. Dieses Lächeln und Strahlen der Augen erkenne ich überall wieder, auch in schlecht gemalten Umrissen die meiner Hand entspringen.
»Das sieht sehr schön aus, Zoe. Willst du es mir erläutern?«
»Das ist mein jetz-« Ich erinnerre mich, dass es hier wohl nicht unbedingt schlaue ist jetziger Freund zu sagen, denn offiziell sind jetzt alle Singles. »Das ist meine erste Liebe, und ich denke das reicht, um ihn als meinen Traummann zu sehen. Die Farben stellen das dar, was ich innerlich gespührt habe, wenn er mich angeguckt hat, angefasst oder einfach, wenn ich an ihn gedacht habe. Die Farben repräsentieren die Wärme, die in mir ausgelöst wird.«
»Das ist wirklich sehr schön.« Aber irgendwas in ihrer Stimme klingt anders. Irgendetwas verbirgt sich in ihrem Ton, das bisher nicht dort gewesen war. War es Ehrfurcht? Stolz? Oder einfach Angst?
Da pro Tag nur je ein Kurs stattfindet, bin ich nach vier Stunden harter Arbeit erlöst und kann mich nun in den Aufenthaltsraum begeben. Zuerst ist keiner dort, den ich kenne. Lediglich Cyril ist dort, aber ich weiß nicht, ob ich mit ihm reden sollte. Als dann auch nach fünfzehn Minuten keiner zu sehen ist, mit dem ich mich sonst unterhalten könnte, gehe ich auf ihn zu.
»Hey.«
»Zoe, hey. Gehst du mir nicht eigentlch aus dem Weg?« Ich hebe wie üblich eine Augenbraue, und Cyril stört sich nicht daran es nachzuahmen. Dann lacht er auf und verschrenkt seine Arme.
»Nein, ich bin dir nicht aus dem Weg gegangen. Ich habe dich bisher gar nicht gesehen.«
»Warum reden wir dann nur, wenn gerade kein anderer da ist?«
»Warum sollte ich dir aus dem Weg gehen?«
»Hauptsächlich, weil du einen Freund hast.« Ich halte ihm meine Hand auf den Mund und schaue ihn grimmig an. Er weiß doch am besten, dass solche Dinge mittlerweile geheim sein sollten. Er löst meine Hand schnell von seinen Lippen und hält sie fest. Ich merke wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Jetzt sollte der Moment sein, in dem ich meine Hand aus seinem Griff löse, aber mein Körper hört nicht auf mich. Er weigert sich das zu tun was ich will, oder besser, was er sollte.
»Lass das.«
»Was?« Erneut zieht er seine Braue hoch und ahmt mich damit nach. Er entlockt mir ein Lachen und ich ziehe meine Hand endlich aus seinem Griff, jedoch legt er seine Hand dann schon auf meine Wange. Jetzt werde ich allerdings nicht rot, sondern wütend. Was denkt er sich? Ich schubse ihn leicht von mir und schaue verärgert zu ihm hoch.
»Cyril, bitte.«
»Du solltest besser an deiner Tarnung arbeiten.«
»An meiner was?«
»Es ist egal, ob ich es ausspreche oder nicht. Jeder hier sieht, dass du und dein Loverboy zusammen seid. Ich wollte nur helfen.« Dann lehnt sich Cyril näher zu mir, und flüstert: »Es ist gefährlich so offen damit umzugehen, liebe Zoe. Die Leute hier mögen alle nett wirken, aber nicht jeder ist der, für den er sich vorgibt. Dein Bruder wird dir darüber noch genug sagen. Aber glaub mir, du und auch Valentin sollten zumindest so tun, als ob ihr auch an anderen Interesse habt.« Mein Bruder? Wusste Cyril etwas davon? Wusste er mehr als ich?
»Was weißt du, was ich nicht weiß?«
»Ich bin das dritte Mal dabei. Dein Bruder hat mich alle Male auf irgendeine Art und Weise begleitet. Ob als Zimmergenosse oder Praktikant.«
»Ihr war zusammen auf einem Zimmer?« Anstatt mir zu antworten, hält er mich kurz an den Schultern und schaut links an mir vorbei, dann nickt er und geht. Ich bleibe stumm zurück und schaue ihm zu, wie er auf ein Mädchen zugeht. Ein sehr hübsches Mädchen, mit kurzen braunschwarzen Haaren, die sich leicht locken. Sie umarmt ihn und lacht ihn an. Dieses Bild sollte mich keineswegs stören, aber das tut es. Erst tut er so, als ob er mich mag und dann geht er direkt auf das nächstbeste Mädchen zu? Das lasse ich so nicht mit mir machen. Ich gehe auf die beiden zu.
»Hey, warum bist du einfach gegangen?« Das Mädchen schaut mich herablassend an und auch Cyril wirkt genervt - so, als ob ich ihm seine Pläne vermassle.
»Zoe, bitte.«
»Wie er bereits sagt, ich bin Zoe. Freut mich.« Ich strecke dem Mädchen meine Hand aus. Nach anfänglichem Zögern, zwingt sie sich ein Lächeln auf und reicht mir ebenfalls die Hand.
»Alessa.« Dann schaut sie genervt zu Cyril. »Ich dachte hier geht man eifersüchtigen Freundinnen aus dem Weg.«
»Oh, nein! Oh Gott, wir sind nicht.. ich bin nicht..« Von einem lauten Aufschrei wandelt sich meine Stimme in Sekunden in ein leises Rauschen. Das ganze hier war eine dumme Aktion. Und Alessa hört nicht auf mich zu mustern.
»Glaub mir, Zoe ist nicht gerade von mir angetan.« Er lacht wieder, aber nicht wegen mir.
»Klär' das, dann können wir gern wieder reden.« Für einen Moment setzt sie sich ein charmantes Lächeln auf, dieses verfällt jedoch als sie mich ansieht und schließlich geht. Ich schaue ihr nach und merke wie ich ihr selbst einen verhassten Blick zuwerfe. Was ist das für ein dummes Mädchen? Oder war ich die Dumme? Wohlmöglich waren wir beide dumm, denn wir stritten uns um Cyril. Wobei, nein, das taten wir nicht. Sie dachte wir würden das tun, und ich.. was wollte ich eigentlich?
»Zufrieden?« Cyril klingt verärgert und mustert mich. Dann schüttelt er den Kopf und will gehen. Doch ich greife ihn am Arm und schaue ihm in seine braunen Augen. Braune Augen waren für mich nie etwas besonderes, aber seine sind es. Sie sind so ungewiss und trotzdem so vielversprechend. In ihnen steckt ein liebevoller Mensch, den ich schon mal kennengelernt hatte. Ob in der Simulation, wo er mich gerettet hat, oder in seinem Viertel, wo er mich ebenfalls gerettet hat. Bewunderung für ihn keimt in mir auf - und obwohl ich das gar nicht gebrauchen kann, spüre ich, wie ich mehr für ihn übrig hab, als ich sollte. Da ich das auf keinen Fall zulassen konnte, musste ich diese Gefühle ersticken. Und deshalb musste ich Cyril hassen lernen, irgendwas an ihm musste mich doch dazu bringen können, oder?
»Lass mich bitte los, Zoe. Du weißt ganz genau, dass ich mir diesmal Mühe geben muss. Alessa ist vielleicht nicht die Netteste, aber sie wird durch ihre Kontakte zu einer guten Position kommen. Ich muss bei ihr punkten, also..« Ich lasse ihn noch nicht los, er soll ausrasten. Er soll mir zeigen, dass er anders ist, dass in ihm das Arsch steckt, das man auf den ersten Blick vernimmt.
»Was ist dein Problem, Zoe?« Er sollte schreien, aber er ist ganz leise.
»Mein Problem? Kannst du bitte aufhören?«
»Aufhören? Womit denn aufhören?«
»All' dem.« Ich drehe mich um, und gehe.
Aber ich weiß, dass in ihm kein Arsch steckt. Statt ihn zu hassen, muss ich mich erinnern, warum ich Valentin liebe. Warum ich bei ihm an Farben wie orange, rot und violett denken muss.
Der Abend vergeht schnell. Mein Date mit Olivier ist irgendwie angespannt und komisch, aber ich bleibe charmant und denke daran, dass er mich bewerten wird. Den ganzen Abend lang lache ich über seine schlechten Witze, rede ich darüber, wie sein hässliches Hemd mich an eine Ananas erinnert - die ich auch hasse, was er aber nicht wissen kann und bin nett. Lediglich am Schluss bin ich etwas angespannt, denn ich glaube ich habe mehr Eindruck hinterlassen, als ich wollte, aber auch daraus kann ich mich charmant befreien.
Geburtstag. Heute ist mein siebzehnter Geburtstag. Heute ist mein Date mit Valentin. Heute ist einfach mein Tag, ich kann es spüren. Und da heute mein Geburtstag ist, möchte ich besonders gut aussehen. Und da ich mich bei den Klamotten lediglich für das etwas schickere weiße Kleid entscheiden kann, lege ich den Fokus auf meine Haare. Und erneut richte ich mich nach meiner Mama. Jedes Jahr hat sie mir dazu meine Haare glatt geföhnt und meine Haare an einer Seite an meinem Kopf geflochten. Ich ziehe mir einen Seitenscheitel und föhne meine Haare mit einer großen Rundbürste glatt. Dann nehme ich die Seite, auf der weniger Haare liegen und flechte die vordere Partie an meinem Kopf an und befestige das Ende hinter meinem Ohr. Darüber lege ich mein Haupthaar. Als ich mich im Spiegel betrachte, sehe ich mir mein Glück an. Es sind nur kleine Dinge, die mich an meine Mutter erinnern, aber das reicht mir.
»Du siehst aber schick aus heute. Gibt es einen besonderen Anlass?«
»Ich werde heute siebzehnjahre alt.« Isla rennt auf mich zu und gibt mir eine feste Umarmung.
»Alles Gute, Zoe. Herzlichen Glückwunsch. Hätte ich das gewusst, ich hätte dir was gekauft.. bestimmt hast du es mir gesagt, aber ich kann mir Sachen echt schlecht merken.«
»Das ist nicht schlimm. Ich muss jetzt auch los.«
Heute ist mein einziger Kurs Kochen. Ich weiß, dass Selena auch dort sein wird und das freut mich. In dem Moment als sie mich sieht, singt sie und bringt die anderen dazu mitzusingen. Dann umarmt sie mich und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Auch viele der anderen Mädchen, von denen ich kaum welche kenne, umarmen mich. Nur Liv, die leider auch hier ist, steht in einer Ecke und schaut mich nichteinmal an. Aber was kümmert mich das?
»Ich kann gar nicht glauben, dass du heute siebzehn Jahre alt wirst, Zoe.«
»Ich glaube das selbst noch gar nicht. Es fühlt sich auch nicht an wie ein Geburtstag.«
»Wird es aber noch, Valentin hat was ganz großes für heute geplant.«
Und das reichte mir, um noch glücklicher zu sein als ich bereits schon war. Und das erinnerte mich auch, wie gewollt, daran wie sehr ich Valentin liebe und wie viel ich ihm bedeute. Ich wusste zwar noch nicht, was er mir zeigen wollte oder geben, oder keine Ahnung, aber ich wusste jetzt schon, dass es was ganz großes sein muss. Vor allem, wenn er vor Selena damit prahlt und sie es gut findet.
Den ganzen Tag konnte ich nichts anderes machen, als mich auf den heutigen Abend freuen. Das einzige, was ich noch erledigen musste, war Elias gratulieren. Also machte ich mich auf den Weg in sein Zimmer. Ich freute mich auf ihn, hätte ihn aber lieber woanders getroffen. Seine Mitbewohner sind mir nämlich eher ungeheuer, als lieb. Auf der einen Seite hatten wir Cyril, auf der anderen Tony. Beide waren nicht unbedingt die allerschlimmsten Menschen, die ich kannte, aber ich hatte wenig Interesse die beiden zu sehen. Zu meinem Glück musste ich nur einen ertragen, Cyril. Zu meinem Pech, war aber auch nur er anwesend.
»Wo ist Elias?«
»Dein Bruder hat ihn abgeholt, er wollte irgendwas bereden.«
Stille füllt den Raum an der Türschwelle. Ich kann nicht verleugnen, dass mich seine Nähe irgendwie fesselt - mich aber genau das stört. Ich will keines der Mädchen sein, dass dumm genug ist, sich in mehr als einen Typen zu vergucken, vor allem, wenn an dem einen nichts auszusetzen ist.
»Ich habe gehört du hast heute Geburtstag.« Er lächelt. War er nicht sauer?
»Ja, ich werde siebzehn.«
»Siebzehn.. ist das lange her, dass ich siebzeh war.« Er schweift kurz ab, dann jedoch beugt er sich zu mir und nimmt mich in seine starken Arme. Und obwohl sein Griff sehr fest ist, tut es nicht weh. Im Gegenteil, ich fühle mich sicher. Geborgen. Und ich muss zugeben, dass ich das Gefühl lange vermisst habe. »Alles Gute, Zoe. Ich wünsche dir das Beste der Welt.«
»Danke. Aber.. ich dachte du bist sauer auf mich.«
»Komm rein, ich sollte dir da was erzählen. Als dein Bruder hier war, hat er mir erlaubt, es dir zu sagen.«
»Mir was zu sagen?«
»Warum du hier bist.« Also weiß er tatsächlich mehr. Und mein Bruder vertraut ihm - so sehr, dass Cyril mir das große Geheimnis anvertrauen wird. Also folge ich ihm in das Zimmer und setzte mich auf den Teppich. Erst schaut er runter, schüttelt seinen Kopf und lacht laut auf - aber dann setzt er sich zu mir.
»Zoe, du musst wissen, ich kann dir nicht alles sagen. Manche Dinge musst du von deinem Bruder erfahren.«
»Du meinst während der..« Ich will es nicht aussprechen: Simulation. Es werden noch einige folgen. Nicht so viele, wie ich erwartet habe. Pro Monat erfolgt eine Simulation, eine Untersuchung und ein weiterer Test.
»Genau, du weißt auch warum, dazu muss ich dir nichts sagen.«
»Aber was genau kannst du mir dann jetzt schon sagen?«
»Das Mädchen, Alessa. Sie gehört zur sogenannten Elite.« Ich verstehe nicht ganz. Inwiefern kann es bei so einem Programm eine Elite geben? Inwiefern kann man den Prozess manipulieren? Die Antwort kommt schnell. Der Computer macht die Arbeit - Computer kann und muss man programmieren.
»Die Elite hat also gute Standpunkte bezüglich Arbeit, Haus und Partner?«
»Genau, deshalb will ich mich gut stellen mit einer von ihr. Ich muss dieses Mal erfolgreich abschließen.«
»Du sagst das schon zum zweiten Mal, was meinst du?«
»Ich bin der erste Jugendliche, der zum dritten Mal antreten darf. Normalerweise gehen zweimal. Wer danach geschieden ist, oder nicht durch die Reifephase kommt, der bleibt nicht einfach Partnerlos. Dazu kann ich dir jetzt nicht mehr sagen.« Das brauchte er nicht. Seine Augen sprachen die Worte bereits aus: Tod. Ihn erwartete der Tod, wenn er keinen Partner finden würde, mit dem es klappt.
»Warum setzt du dir dann so hohe Ziele?«
»Dein Bruder sagt dir mehr dazu. Aber ein weiterer Grund ist, wenn mich Alessa, oder eine der anderen Mädchen will, dann werde ich auf jeden Fall vermittelt. Ich werde ein gutes Leben haben, und werde keine Wahl haben als sie zu lieben. Zusätzlich könnte ich meinem Großvater Geld geben. Er und Ares brauchen wirklich dringend Geld.«
Ares. Cyril hatte mehr zurück gelasen, als ich. Einen kleinen Bruder, der viel Zuwendung und Liebe brauchte. Sicherlich auch Schutz. Denn der Gedanke an Ares machte Cyril zwar glücklich, aber auch ängstlich.
»Mein Bruder kann doch bestimmt helfen.«
»Das tut er, Zoe. Ty ist so nett und hilft uns seit er kann. Wir sind der Grund, warum er euch nicht kontaktieren kann. Zumindest einer davon.«
»Was meinst du?«
»Er hat uns eingetragen als seine nächsten Bezugspersonen. Deshalb wart ihr unter uns auf der Liste. Er wusste ihr würdet kein Geld brauchen, anders als wir. Ich wollte es dir damals schon sagen, bei mir. Aber ich wusste nicht, ob Ty das gut gehießen hätte.«
»Warum sagst du es mir dann jetzt?«
»Ganz einfach, ich vertraue dir.«
Elias brauchte noch eine Stunde, bis er endlich auftauchte. Inzwischen war auch Tony gekommen. Als Elias in den Raum trat, rannte ich auf ihn zu und umarmte ihn. Ich gab ihm auch einen Kuss auf die Wange. Er schämte sich zu meiner Verwunderung nicht. Im Gegenteil, er freute sich mich zu sehen.
»Herzlichen Glückwunsch, du schlechte Kopie von mir!«
»Ich von dir?« Er hob seine Braue kurz, dann umarmte er mich erneut. »Herzlichen Glückwunsch, Schwesterherz. Ich könnte nicht glücklicher sein, dich zu sehen.«
»Wieso denn das?«
»Gina. Du hast mit ihr geredet, und du hast ihr die Augen geöffnet, meinte sie.«
»Hab ich gern getan.« Ich gab ihm noch einen Kuss auf die Wange und brachte ihn dazu sich zu mir und Cyril auf den Teppich zu setzen. Wir redeten über alte Geburtstage, erzählten Cyril, was wir damals alles erlebt haben. Wie wir jedes Jahr uns darum gestritten haben, wer den schöneren Geburtstag hatte. Wir waren nie wirklich neidisch aufeinander, außer an diesem Tag des Jahres. Da kam wohl der Zwilling in uns durch. Wir wollten den anderen übertrumphen. Natürlich haben wir uns jedes Jahr auf Unentschieden einigen müssen. Oder besser gesagt, uns von Ty anhören müssen, dass er den schöneren Geburtstag hat, weil er ihm allein gehört. Insgeheim waren Elias und ich aber immer froh, dass wir ein Packet waren. Ob Geburtstag, Arzttermine, Schultermine oder jegliche Art von Terminen, wir waren immer zusammen. Konnten uns gegenseitig die Angst nehmen. Nachdem Ty gegangen war, war das extremer. Elias fühlte sich nun nämlich als großer Bruder. Er passte ab und an immer mal wieder auf, wer in meiner Umgebung war.
Ich kann nicht sagen, dass ich ein undankbarer Mensch bin, aber ich merke erst jetzt, um wie viel mehr ich alles hätte schätzen müssen. Allen voran die Tage am Strandhaus. Von denen bleiben die meisten geheim und als Erinnerungen tief in unseren Gedächtnis gebunkert, aber von einem Tag erzählen wir Cyril. Es war das letzte Mal, dass wir alle in dem Strandhaus waren. Zuerst war es wie immer, ich zeichnete auf meinen Blöcken, Elias schrieb auf einer alten Schreibmaschine und Ty laß Bücher über die Anatomie des Menschen. Aber dann kamen meine Eltern mit einer Überraschung. Sie hatten uns allen eine individuelle Sache gegeben. Ty bekam ein Buch eines Vorfahrens, ich glaube es war ein Tagebuch. Elias bekam eine wunderschöne alte Schreibmaschine, die meine Mutter geerbt hatte - mehr oder weniger. Und ich bekam zwei Dinge: ein Medaillon und ein altes Gemälde von einer meiner Vorfahrin. Das Gemälde hängt in meinem alten Zimmer, das Medaillon traue ich mich nicht zu tragen, deshalb lege ich es unter mein Kissen. Es gab mir früher immer das Gefühl von Sicherheit. Mittlerweile liegt es in meiner Tasche rum und wartet darauf, dass ich es endlich mal trage.
»An deiner Stelle würde ich das Medaillon tragen, Zoe. Es ist ein Stück Vergangenheit. Und nicht von irgendwem, von deiner Familie.«
Cyrils Worte prägen sich in mein Hirn, denn noch am selben Abend lege ich es um. Genau wie mein Lieblingskleid. Es ist ein altes Kleid meiner Mutter. Es ist knielang und enganliegend. Die Farbe ist nicht einfach zu bestimmen. Es ist eine Mischung aus lila und pink, und verblasst in den Längen. Ich ziehe es an und setze mich vor den Spiegel neben der Tür. Ich suche den perfekten Lippenstift, irgendwas in Richtung Beere. Nach langer Suche finde ich einen, und trage ihn auf. Viel mehr an Make-Up mache ich nicht. Ein heller braunton umschmeichelt meine Augen und ein wenig Rouge zaubert mir Frische ins Gesicht. Meine Haare lasse ich natürlich als Wellen um mein Gesicht fallen. Ich stecke keine Strähne weg, sondern entscheide mich für den wilden Look. Dann endlich klopft es an der Tür.
»Alles Gute zum Geburtstag, meine Süße.« Valentin lehnt sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Wir wollen ja nicht den Lippenstift verschmieren, wollen wir? Leider konnte ich für das Date kein anderen Ort buchen. Das wäre besser gewesen, aber so wird es auch gehen.« Er sieht unwiderstehlich aus. Er trägt eine dunkelgraue Jeans mit italienischen schwarzen Schuhen und obenrum ein hellgraues Hemd. Darüber trägt er eine Weste, die der Farbe der Hose gleicht und dazu noch eine dunkelrot, fast lilafarbene, Krawatte.
»Du siehst wirklich gut aus.«
»Ach, sonst tue ich es also nur unwirklich?« Er grinst mich an, und ich verfalle ihm von vorn. Ich spüre wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht bildet.
»Du hast ja das Medaillon an, es steht dir unheimlich gut. Warum trägst du es doch?« Das Lächeln, dass sich eben erst manifestiert hat, verschwindet wieder. Denn Cyril taucht in meiner Gedankenwelt auf und ich kann den Gedanken an ihn nicht abschütteln. Und das, obwohl ein unverschämt gutaussehender Valentin vor mir steht.
»Lass uns gehen, du siehst wirklich hungrig aus.« Ich nicke, und folge ihm in das Restaurant, in dem ich auch die letzten beiden Abende verbracht habe. Und da das bedeutet, dass alle Verabredungen hier stattfinden, dauert es nicht lang, bis ich ein bekanntes Gesicht sehe.
Ich sehe Selena zusammen mit einem blonden Jungen, Elias mit einem blonden Mädchen, das mir leider nicht unbekannt ist: Liv. Und schließlich sehe ich auch Cyril. Er ist zusammen mit einem wunderschnen brünetten Mädchen hier. Es ist nicht Alessa, aber sie ist mindestens genau so schön. Sie hat lange braune Haare, die sich locken und den Blauton ihrer Augen intensivieren. Und auch ihre vollen rosa Lippen stechen hervor. Und ich muss sagen, sie sieht nicht besonders geschminkt aus - sie ist also von Natur aus so schön.
»Ist alles in Ordnung?«
»Ja, ich schaue mich nur das erste Mal um.«
»Was hast du die letzten beiden Abende getan?«
»Ich schätze mal, gegessen. Du?«
»Mich gut verkauft, ich brauche schließlich gute Bewertungen. So würde ich dir keine geben, wenn du nicht mich, sondern..« Er dreht sich in die Richtung, in die ich schaue und erkennt Cyril. »Willst du mir bitte deine Manie mit diesem Typen erklären?« Er wirkt leicht sauer, und ich fühle mich total respektlos. Dass ich jetzt mehr oder weniger lügen werde, verbessert mein Selbstwertgefühl für den Moment nicht. Wobei, was heißt lügen? Ich lasse nur aus, dass er mich nervös macht und mir irgendwie gefällt..
»Ich habe heute mit ihm geredet, er war traurig. Er hat einen kleinen Bruder, Ares. Er macht sich Sorgen, dass sein Großvater ihn nicht ernähren kann ohne seine Hilfe.«
»Zoe, du musst nicht jedem helfen und dich für alles schlecht fühlen.« Er nimmt meine Hand und streichelt sie, während er mir dabei charmant in die Augen guckt. Seine Augen sind braun, wie die von Cyril - aber würde ich damit keine schönen Momente verbinden, wären sie nichts außergewöhnliches. Sie sind die Art von braun, die mir nicht viel sagen. Und irgendwie bringt das in mir Panik hervor. Aber ich versuche, ruhig zu bleiben. Ich will das hier nicht zerstören, den Abend nicht ruinieren.
»Hast du dich nicht gefragt, was ich dir schenke?«
»Doch, ich würde das sehr gerne wissen.«
Er sucht in seiner Hosentasche nach einem Objekt und legt es mir auf den Tisch. Es ist eine mittelgroße Schachtel. Das Geschenkpapier ist silber und glänzt. Ich setze ein Lächeln auf - das muss ich, denn ich kann mich nicht wirklich freuen. Ich fühle mich als hätte ich ihn betrogen, nur, weil ich solche Gedanken über Cyril habe. Und mit Selena konnte ich heute nicht darüber reden, aber ich hätte so gern.
»Keine Sorge, unter dem Papier sieht es schöner aus. Pack es ruhig aus!" Er ist so nett, so charmant und zuvorkommend. Er hat sich mir geöffnet, wir hatten so viele kleine, aber auch große Momente miteinander. Ich hatte mein erstes Mal mit ihm, hab fast jeden Ball mit ihm an meiner Seite verbracht. Es gibt so viele Fotos von uns beiden, und wir sehen immer glücklich aus. Wir waren immer glücklich.
»Ich überlege nur, was es sein könnte.« Durch seine Freude benebelt, merkt er nicht, wie es mir wirklich hierbei geht. Ich reiße das Geschenkpapier endlich auf, und hebe den Deckel der Box an. Ganz oben liegt eine silberfarbene Kette, mit einem kleinen Anhänger. Ich nehme den Anhänger zwischen zwei Finger und mustere ihn. Es dauert, bis ich erkenne, was er darstellen soll. Es ist ein kleiner Vogel. Aber es ist kein normaler Vogel, ich habe genau diesen Vogel mehrmals gezeichnet. Und Valentin hat ihn nachbilden lassen als Anhänger. Die Freude packt mich schließlich doch und ich fühle wie mir warme Tränen die Wange entlanglaufen.
»Valentin, das ist.. ich habe noch nie so etwas bekommen. Danke.« Ich stehe auf und umarme ihn, und gebe ihm einen langen Kuss auf den Mund. Mir ist egal, dass dies heißen könnte ich bin negativ aufgefallen. Das ist mir egal. Ich muss mich hierfür nunmal bedanken, denn das war mehr als ich erwartet oder gar verdient hatte.
»Das ist nicht das einzige.«
Ich setze mich wieder hin und greife nochmal in die Box. Als nächstes halte ich ein Stück Papier in der Hand. Er hat etwas für mich geschrieben. Ich lese es, und lasse die Worte in mich eindringen:
Es hat lange gedauert, bis ich wusste was grün bedeutet.
Es hat lange gedauert, bis sich grün als Hoffnung offenbarte.
Es hat lange gedauert, bis ich das Glück zu definieren wusste.
Es hat lange gedauert, bis ich mich dem Glück aneignen, und mich von ihm verzaubern lassen konnte.
Es hat lange gedauert, bis ich wusste, was Hoffnung und Glück erschaffen.
Es hat lange gedauert, bis ich die Intensivität eines Kusses zu spüren bekam.
Es hat lange gedauert, bis ich bereit war, das alles anzunehmen, mich zu öffnen und dankbar zu sein.
Es hat lange gedauert, bis ich mutig war, dass auszusprechen, was lange gefühlt wurde.
Es hat aber nicht lange gedauert, bis ich völligst - und das meine ich in der Intensität des Wortes, wusste, dass es für mich nur das eine Mädchen geben würde.
Das Mädchen, dass Glück und Hoffnung in dem Grün ihrer Augen trägt.
Das Mädchen, dass Liebe und Fürsorge in ihren Adern trägt.
Das Mädchen, dass in ihrer Stimme einen Engel trägt.
Das Mädchen, dass die Schönheit in all ihrer Pragt in sich trägt.
Das Mädchen, dass ich in meinem Herzen trage, und für immer tragen werde.
Und jetzt fallen die Tränen schneller, und es werden mehr, und ich kann nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Wie sehr ich sowas gebraucht habe. Denn auch ich weiß, dass es nur einen Jungen gibt für mich. Und er heißt nicht Cyril. Sein Name ist Valentino Lopez, in all der Pracht, die der Name in sich trägt.
»Du hast so ein großes Talent, Valentin. Egal, was passiert. Versprich mir nur das: Hör nicht auf zu schreiben, hör' niemals auf. Du musst schreiben. Du hast ein großes Talent.« Meine Stimme überschlägt sich fast, aber die Worte kommen an. Valentin nimmt meine Hand und küsst sie. Auch ihm sind Trauer und Freude zugleich, anzusehen.
»Ich verspreche es dir, Zoe. Aber du musst mir versprechen, dass du dein Talent auch nicht verkommen lässt. Deal?«
»Deal.« Ich drücke seine Hand ganz fest und lasse keine negativen Gedanken in mir aufkeimen. Valentin und ich, wir werden das schaffen. Im Notfall werden wir halt abhauen müssen. Untertauchen. Wir werden ein Leben zu zweit führen, werden zusammen Kinder haben, zusammen alt werden und zusammen aufbauen, was ein Leben noch so alles ausmacht.
Ich hätte Valentin gern noch mit in mein Zimmer genommen, aber er war müde und ich kann es ihm nicht verübeln, und ich war ehrlich gesagt auch müde. Nach zwei Minuten in meinem Zimmer, war ich schon ungeschminkt und in meinem Schlafanzug geschlüpft. Und ich wäre auch schlafen gegangen, hätte es nicht an der Tür geklopft.
»Ich wollte dir noch etwas schenken.« Cyril stand dort. In einem Anzug, der mir sehr bekannt vorkam. Und dann erkannte ich ihn: Ty's alter Anzug. Mein Blick war sehr lange auf den Anzug gerichtet, bis ich mich Cyril als Person wieder widmen konnte.
»Du musst mir nichts schenken. Wir kennen uns kaum. Und wir sind auch keine Freunde.«
»Noch nicht. Ich will das ändern.« Er machte mich immer noch nervös, aber es war besser, als heute Vormittag. Und für den Moment, reichte mir das.
»Na gut, aber nur, weil mein Bruder in dir einen Freund sieht.«
»Das reicht mir.« Er lacht erneut, und holt einen kleinen Gegenstand aus seiner Jacketjacke. Er hebt meinen Arm an und legt mir das Geschenk in die Hand. Dabei schaut er mir in die Augen, und ich bewundere erneut, die Dunkelheit in seinen Augen. Sie sind immer noch schön, aber ich kann mich überzeugen, dass Augen lügen können. Und das die Dunkelheit nichts Gutes mit sich bringt.
»Soll ich es jetzt aufmachen?« Er nickt, und schaut mich gespannt an. Ich öffne meine Hand und schaue mir das Packet an. Es ist sehr klein und ich überlege, ob ich es wirklich öffnen soll, aber ich habe keine Wahl. Ich nehme den Deckel der Dose herab und finde einen kleinen Zettel. Dein Bruder hat mir erzählt, du malst gerne. Ich weiß nicht, ob das dein Ding ist, aber hier ist Musik von mir drauf. Es würde mich freuen, wenn du meine Song in Kunst verwandelst. Ich schaue verwirrt zu ihm hoch und schüttle meinen Kopf.
»Das ist ein Stück Papier, wie soll ich damit Musik hören?«
»Ist das dein Ernst?« Er umfasst meine Hand, und hebt sie samt Papier an. Darunter ist ein Mp3-Player zu erkennen. Er nimmt die Kopfhörer und steckt mir einen der Hörer in mein Ohr, dann macht er ihn an. Zuerst höre ich nur ein Rauschen, aber dann höre ich die ersten Melodien, die ersten Umrisse seiner Stimme in Form von Summen und Lachen. Dann fängt er an zu singen, und ich kann die ersten Bilder sehen, die aus meiner Feder entspringen. Es ist das Meer, an das ich denke. Die Tiefen des Ozeanes, die Geheimnisse, aber auch die Schönheit. Er singt von Hoffnung, von Schmerz, von Angst. Ich schaue ihm in die Augen, und sehe, dass er den anderen Stöpsel im Ohr trägt. Cyril hält meine Hand immer noch und schaut sie sich auch an, während sich in seinem Gesicht ein Lächeln bildet. Aber es ist nicht wie die anderen, die ich von ihm kenne. Das hier ist irgendwie pur. Es ist pure Freude, vielleicht Stolz. Er schaut zu mir hoch und ich sehe dieses Lachen in voller Blüte.
»Gefällt es dir?«
»Deshalb willst du also Rockstar werden.«
»Du hast meinen Bogen gelesen.« Ich nicke nur, und erwarte eine Erklärung, aber es kommt nichts.
»Von all' den Berufen, willst du Musik machen?«
»Ich hab schon immer Interesse gehabt, und mein Vater hatte ein kleines ranziges Gerät, mit dem man aufnehmen kann. Mittlerweile habe ich es verkauft, aber ich habe früher Stunden damit verbracht, Musik zu machen. Erst als meine Eltern umgekommen sind, musste ich kürzer treten. Das war, als ich unglücklich wurde. Musik gibt mir Kraft. Musik macht mich glücklich. Macht dich Kunst nicht glücklich?«
»Nicht zwingend. Es zeigt mir nur, was ich sonst nicht ausdrücken kann.«
»Ist das nicht glücklich sein?«
Wir halten immer noch Hände, hören uns seine wunderschönen Rockbaladen an, und ich beschließe einen großen Fehler zu machen. Ich entschließe mich dazu für einen kurzen Moment zu vergessen, dass ich jemanden habe, den ich liebe und der mich liebt. Für einen Moment, nur für einen einzigen, soll es nur Cyril und mich geben.
Ich ziehe Cyril in das Zimmer und schließe die Tür, dann drücke ich ihn sanft an die Tür und fasse an sein Gesicht, bevor ich meinen Lippen das gebe, wonach sie sich sehnen: einen Kuss. Doch dieser kleine Moment, er beendet nicht meinen Wunsch, er fordert mehr. Ich küsse ihn erneut, nochmal, immer öfter, immer länger und wundere mich, dass er das Ganze nicht abbricht. Ich bin verrückt, aber er wirkt immer so kontrolliert. Sollte er dem hier nicht ein Ende setzen können? Oder auch wollen? Nein. Das schlussfolgere ich daraus, wie er seine Arme auf meinem Rücken hat und mich nah an sich drückt, während er jeden meiner Küsse erwidert.
Erst als sich die Tür öffnet, landen wir beide in der Realität und Blicke voller Schuld stehen sich gegen über. Isla, die total müde in das Zimmer tritt, scheint Cyril nicht genau angeguckt zu haben.
»Nehmt euch ein Zimmer. Jeder weiß, dass ihr verrückt nacheinander seid. Also wirklich, Zoe.« Dann läuft sie ins Bad und schließt die Tür.
Obwohl wir uns nicht mehr Küssen, halten wir uns immer noch aneinander fest. So als ob der jeweils andere sonst umfallen würde. Doch, als hätten wir irgendwas gesagt, lösen wir unseren Griff voneinander und treten einen Schritt zurück. Ich stehe mit dem Rücken an der Tür, klebe förmlich an ihr. Er steht vor mir und fasst sich an die Lippen. Er schaut zu mir, fasst sich dann an den Kopf und schaut kurz zur Decke hinauf, bevor er dann rauslaufen möchte, aber ich halte ihn fest. Statt etwas zu sagen, äußer ich mit meinen Augen das, was ich nicht wahrhaben will. Ich muss von ihm hören, dass es ein Fehler war, ich muss die Worte augesprochen hören, muss es hören. Die Worte selbst zu sagen, dass kann ich nicht.
»Zoe, es tut mir leid. Ich weiß nicht..« Er schaut mich verzweifelt an, aber ich sehe auch Verlangen in seinen Augen, die viel wärmer wirken als noch vorhin.
»Du hast nichts getan, ich habe..«
»Ich bin der ältere, ich hätte das hier sofort abbrechen müssen. Ich hab dir falsche Signale geschickt, es tut mir leid.« Falsche Signale? Mochte er mich jetzt, oder war das einfach nur im Gefecht des Geschehens? Ich will verhindern, ihn das zu fragen, aber..
»Was meinst du mit falschen Signalen?« Sein Blick senkt sich, und ich fühle mich aufeinmal, als hätte ich ihn zu etwas gedrängt, von dem ich dachte er würde es wollen, dabei wollte er es nicht.
»Zoe, ich mag dich, wirklich. Aber du hast etwas, du hast schon die Liebe gefunden. Es war nie meine Absicht, das zu gefährden, aber ich hätte nicht gedacht, dass ich..«
»Dass du was?«
»Dass ich dich so mögen würde.« Er hebt seinen Blick langsam wieder. »Vergessen wir, dass das hier passiert ist. Ich hätte dir einfach nicht solche Signale geben dürfen. Es tut mir leid.« Und dann war er auch schon verschwunden.
Ich lege mich auf mein Bett und weine. Ich weine ganze Wasserfälle, heule mein Kissen feucht und kann mir nicht weiterhelfen. Auf Islas Fragen, was denn los sei mit mir, kann ich nicht antworten. Ich schäme mich so, ich hasse mich so. Ich würde mir selbst eine verpassen, wenn ich könnte. Ich hab nicht nur scheiße gebaut, ich hab Cyril in dem Glauben gelassen, es sei seine Schuld. Dabei habe ich den ersten Schritt gemacht. Wahrscheinlich hätte kein Junge das nicht für den Moment genossen, ihm ist kein Vorwurf zu machen. Nur mir kann man den machen. Mich kann man hassen. Und ich werde mich wohl oder übel morgen Valentin stellen müssen und ihm beichten, dass ich der schrecklichste Mensch aller Zeiten bin. Dass ich die Liebe nicht verdiene, vor allem nicht so eine, wie seine. Eine Liebe, die niemals enden wird. Eine Liebe, die alles hätte erträglich machen können, wäre ich bereit gewesen, sie anzunehmen.
Ich frage mich immer mehr, warum ich unfähig war, sie einfach anzunehmen, Valentin und mir eine reele Chance zu geben. Aber die Angst hatte mich gepackt. Die Prophezeiung der anderen hatte mir soviel Angst gemacht, dass ich sie selbst verwirklicht habe. Hätte ich das auch getan, wenn es diese Angst nicht gegeben hätte? Wenn sicher wäre, dass die Liebe zwischen uns genug wäre? Habe ich es mit Absicht zerstört? Die Hoffnung in meinen Augen getötet, weil kein anderer außer Valentin sie sehen konnte?
Ich wollte diese Hoffnung wirklich sehen, aber ich tat es nicht - nicht genug. Aber das würde keine Rolle mehr spielen, denn es gab nun keinen mehr, der dieses grün als Hoffnung wahrnehmen würde. Das Grün stand ab jetzt für ein Monster, ein totales Miststück, das nicht weiß, wann es aufzuhören hat.
Am nächsten Tag hatten wir keine Kurse, da es nun Halbzeit der Woche war, wollte man uns wohl eine Pause gönnen, aber konnte man das so nennen? Denn statt dem Kurs hatten wir eine Simulation. Ich würde also gleich Ty sehen.
»Guten Morgen, Zoe.«
»Guten Morgen, Ty.« Er sah müde aus. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
»Läuft alles wie beim letzen Mal ab?«
Die Geräusche um uns herum machten mich nervös. Es war nichts, woran ich gewohnt war, oder woran ich mich hätte gewöhnen können. Ty machte mich auch nervös, weil ich so viel Respekt und Ehrfurcht vor ihm hatte. Er war zwar kaum älter als ich, aber er wirkte irgendwie so weise. Seine ganze Statue und sein gesamtes Wesen.
»Hat Elias dir es schon gezeigt?«
»Es? Worüber spricht ihr? Nein.« Ich wurde wütend. »Und warum weiß Cyril irgendwas?«
»Er muss dabei sein, sagt Quentin. Und ihm können wir vertrauen.« Ty schenkte mir ein hoffnungsvolles Lächeln, mit dem ich mich nicht zufrieden gab, aber eine Nadel riss mich aus der Realität und ich fand mich in einer unbekannten Umgebung vor.
Ich stand diesmal auf einer Platte. Ich wollte mich bewegen, aber ich dachte daran, wie genau das immer mein Fehler war. Ich war zu voreilig. Ein wenig geduld musste her.
Ich sah um mich und suchte nach meinem Partner für die heutige Simulation. Oder war diesmal keiner hier? War es diesmal mehr als einer? Nur einer? Hatte es was zu bedeuten, wer mit mir hier sein würde? Oder, wer bereits mit mir hier war?
Meine Gedanken hielten mich davon ab, die Umgebung zu ergründen, und als ich durch Zufall runter sah, wäre ich vor Schock fast reingefallen. Lava. Um mich herum war sie überall klar und deutlich zu erkennen.
»Nicht bewegen!«
Die Stimme war in meiner Nähe, aber weder links noch rechts konnte ich jemanden sehen. Hinzu kam, das mir die Stimme bekannt vor kam, aber woher? Ich schaute nochmal um mich, aber niemand war zu sehen. Ich beschloss mich nicht meiner Angst hinzugeben. Ich atmete tief ein, und dann wieder aus. Ich schloss meine Augen und bewegte mich nicht, doch als ein Zischen und Blubbern lauter wurde, konnte ich meine Angst nicht zurück halten. Ich öffnete meine Augen, und konnte das Chaos um mich herum nicht erfassen. Rote Lava? Das wäre noch schön gewesen, um mich herum waren meterhohe Flammen und ich konnte hören, wie irgendwo eine Lavaquelle immer noch vorsich hin blubberte, sehen konnte ich sie nicht.
»Zoe! Beweg dich nicht, ich bin gleich da.«
»Wo bist du? Ich kann dich nicht sehen.«
»Über dir.«
Ich sah auf, und erkannte einen gutgebauten jungen Mann mit dunkelbraunen, beinahe schwarzen Haaren. Es war Stefane. Er hang sich an einem Seil hinab von einem Helikopter. Er hatte Mühe mit dem Seil, wollte aber trotzdem nicht flüchten, sondern mir helfen. Wenn ich mir nicht im Klaren wäre, dass es sich um eine Simulation handeln würde, hätte ich ihn weggeschickt. Niemand sollte wegen mir in den halbsicheren Tod stürzen. Soweit reichte mein Egoismus nicht.
Während die Flammen näher auf mich zu kamen, und mich immer enger umkesselten, stieg meine Panik wieder, und diesmal beschloss ich, mich an mein Versprechen zu halten. Keine Angst haben, Zoe. Echt ist es nicht, dir kann nichts passieren, nichts. Ich wollte am liebsten in die Flammen greifen, ich war schon fast mit meiner Hand in der Flamme, da riss mich eine dritte Hand nach oben.
»Was machst du da?«
»E-Es..« Ich dachte an meinen Bruder, er wollte nicht, dass ich solche Dinge von mir gab. »Entschuldige.«
»Lass uns schnell von hier weg.«
Er hielt mich mit einem Arm nah an sich, und hielt sich - oder auch uns, mit dem anderen Arm am Seil fest. In dem Moment fiel mir auf, dass ich trotz seiner Heldentat, seinem starken Griff und seinem unbestreitbar makellosen Aussehens keinerlei romantische Gefühle hegte. Es war bestimmt nicht einer der normalsten Gedanken die man jetzt fassen würde, aber nach der Sache mit Cyril musste ich feststellen, woran es lag. Lag es an Cyril, dass ich mich ihm hingegeben hab? Lag es an meiner Natur, nicht das Gute in meinem Leben zu schätzen? Lag es an Valentin? Hatte ich mich doch geirrt? War ich in ihn verliebt?
Ich konnte ausschließen, dass ich es mit sonst wem getan hätte. An Cyril fesselte mich etwas, irgendwas gab es da. Bei Jungs wie Stefane - der sogar nett und gutaussehend war, oder Tobias - der zwar attraktiv, aber ein Arsch war, hatte ich soetwas nicht. Aber ich konnte nicht so einfach akzeptieren, dass in meinem Herzen ein Wettstreit losgebrochen war. Aber ich konnte es auch nicht so einfach ignorieren, konnte ich?
Erneut hatten mich meine Gedanken vom wesentlichen abgebracht..
»Danke, Stefane. Ich wäre da unten sonst draufgegangen.«
»Keine Ursache, ich..«
Er konnte nicht zu Ende sprechen, denn für einen Moment schalteten sich alle meine Sinne aus. Als Gehör und Sicht wieder in meinem Repertoir zu finden waren, stand er nicht mehr neben mir. Ein rothaarige, sehr schlacksiger Junge stand neben mir. Diesmal war er umgeben von einer Gefahr: Schlangen.
War ich jetzt an der Reihe zu helfen? Sollte ich jetzt eingreifen? Aber, wie?
Um mich herum gab es ein paar Hinweise, ein paar Möglichkeiten, aber der Junge gab mir keine Ruhe zum Nachdenken. Er schrie laut, dass er jetzt Hilfe bräuchte.
»Hast du eben dem Mädchen geholfen?«
»Ich..« Er schaute ratlos zu mir, und gab keine Antwort. Er hatte nicht geholfen, wollte aber meine Hilfe? Ich würde ihm meine Hilfe geben, ob Simulation oder nicht, ich durfte nicht negativ auffallen, stimmt's Thea? Deshalb sah ich um mich und griff nach dem Wasserschlauch, und konnte feststellen, dass aus dem Schlauch ein Gas entwich, dass die Schlangen lähmte. Ich winkte den Jungen zu mir rüber und blickte auf ihn herab. Er war zwar zwei Köpfe größer als ich, aber er war kein guter Mensch. Und ja, das schloss ich aus einer Handlung.
Ich weiß nicht, ob den anderen bewusst ist, dass es hier nicht echt ist, aber ich vermute nein. Die Art und Weise, wie die meisten sich fürchten, oder wie ich mich selbst in der Angst verloren hatte.. Wie konnte man einem Mädchen in Not nicht helfen? Ach, vergiss, dass es ein Mädchen war. Wie konnte man einem anderen Menschen nicht helfen?
»Das nächste Mal hilfst du dem Mädchen, verstehst du?«
»Wie? Ich bin nicht stark genug für sowas.«
»Man versucht es.«
»Das habe ich.«
»Dafür siehst du aber ziemlich intakt aus.«
Er blieb stumm, denn im Gegensatz zu ihm war an mir Ruß. Und auch an Stefane klebte bestimmt Ruß von mir, oder der Umgebung. Der rothaarige Junge war bestimmt direkt in dem Helikopter abgehauen. Und ich wollte, dass er sich dafür schlecht fühlte, aber erneut war meine Zeit abgelaufen.
»Die hübsche Brünnette.«
Neben mir hörte ich eine gequälte Stimme, und ich wollte rüber sehen, aber ich konnte meinen Kopf nicht bewegen. Und nicht nur mein Kopf war steif, alles war angekettet an einen Stuhl. Wie konnte er sehen? War er nicht angekettet? Und wer war das, der mich so nennen würde?
»Du weißt, du kannst mich sehen, wenn du in den Spiegel rechts neben dir schielst.«
Es war Tobias. Dafür brauchte ich keinen Blick in den Spiegel riskieren. Stattdessen suchte ich vergebens nach einer Möglichkeit mich zu befreien. Aber es schien hoffnungslos. Meine Arme, Beine und mein Hals waren durch Metalbögen an den Stuhl gebunden.
»Das ist doch unglaublich, wie sie uns hier quälen, nicht?«
Ich antwortete nicht. Die gesamte Situation war genug für mich. Ich hatte keine Lust mehr, und es würde bestimmt keinen Ausweg geben, zumindest sah ich keinen. Und ich hatte einfach keine Lust mehr, wirklich keine Lust mehr. Ich schloss meine Augen, und versuchte alles um mich herum abzuschalten, aber Tobias hallte in meinem Kopf.
»Bist du taub? Bist du stumm?«
»Haben sie dir den Mund zugeklebt?«
»Zoe? Bist es gar nicht du? Wer ist da?«
Irgendwann klang er so verzweifelt, dass ich meine Augen öffnete und endlich antwortete.
»Ich bin es, Zoe.«
»Warum antwortest du erst jetzt?«
Ich beschloss zu lügen. »Mein Mund war zugeklebt, bist doch selbst noch drauf gekommen.«
»Du bist also eine freche kleine Lügnerin.«
»Und du ein verzogener Knabe, nicht?«
Wir stritten uns noch ein wenig, bis wir beide hörten, wie eine Tür aufgerissen wurde und Licht in das Zimmer herantrug. Es war nicht stockfinster gewesen, aber es war schon sehr dunkel. Als das Licht das Zimmer durchflutete, stockte mir der Atem und dann überkam mich Panik.
Um uns herum waren Regale, auf denen Einmachgläser standen. In ihnen waren die unterschiedlichsten Organe drin, von Ohren bis Augen über Zungen bis Herzen war alles bei. Mir entwich ein kleiner Schrei, und entgegen meiner Erwartung, gab Tobias keinen dummen Kommentar, sondern schwieg endlich.
Auch der Mann - abermals ohne Gesicht, nur ein schwarzer Schatten umgab seine Kopfregion - schwieg und glotzte uns an. Erst mich, da ich mit dem Gesicht zur Tür stand, dann ging er neben mich und inspektierte Tobias. Als er lächelte, entblößte er sein grausam hässliches Lächeln. Er hatte nur noch eine handvoll Zähne, sofern man die kleinen Zapfen so nennen konnte. Die Farbe war einem schwarz nahe und in mir keimte Ekel auf. Als er mich dann im Gesicht fasste, reagierte ich prompt: ich spuckte ihn an.
Wie ein kleines Kind sprang er zurück und sah mich ängstlich an. Dann verließ er den Raum, die Tür immer noch offen.
»Hast du ihn echt angespuckt?«
»Ich lass mich nicht von so einem anfassen.«
»Du weißt, dass wir hier raus müssen, sonst endet das nicht.«
»Du weißt es?«
»Ich habe es gemerkt, ja.«
»Wie?«
»Die Angst, man kann sie zu leicht abstellen. Und diese plötzlichen Wendungen.«
»Und wie retten wir uns hierraus?«
Er sagte nichts, und ich schaute umher - oder eher schielte nach links, dann nach rechts. Links war nichts zu sehen, woran wir auch nur irgendwie hätten gelangen können, und auch vor uns war nichts, aber rechts. Rechts war der Spiegel. Und in ihm erkannte ich etwas wichtiges. Auf dessen Rahmen lag ein Schlüssel.
»Der Spiegel. Der Schlüssel darauf, wir müssen ihn in die Finger bekommen.«
»Und wie willst du das machen? Soll ich einfach so aufstehen?«
»Mit all' deiner Kraft musst du den Sitz in Bewegung bringen.«
Er sah runter und erkannte, dass der Stuhl aus Stahl und großen Teilen Holz bestand. Keiner musste mehr ein Wort sagen. Wir beide schaukelten von rechts nach links, immer stärker nach rechts um den Spiegel zu zerschlagen. Es dauerte, bis sich etwas rührte, aber dann ging es sehr schnell. Anders als erwartet, knallte Tobias nicht gegen den Spiegel, er konnte laufen - oder eher kriechen. Sein Stuhl hatte sich vom Boden gelöst. Er rannte gegen den Spiegel und der Schlüssel landete auf seiner Außenlehne.
Auch mein Stuhl hatte sich größtenteils gelöst, und ich beugte mich nach vorn um an den Schlüssel zu gelangen, aber ich war zu klein.
»Nimm ihn schon!«
»Du bist zu groß.«
Er schmiss sich auf den Boden, der Schlüssel rutschte schon herab, aber ich hatte ihn ergriffen. Nun kam Tobias näher und ich löste seine Handfessel. Die weiteren löste er dann mit seiner freien Hand. Statt mir danach zu helfen, sah er sprachlos zur Tür.
Der Mann von eben war mit Verstärkung zweier Männer zurück gekommen. Tobias löste meine Handfessel und drückte mir den Schlüssel in die Hand. Dann warf er die Scherben des Spiegels in die Weite und traf einen der drei Männer am Auge. Dieser ließ sich davon aber eher ermutigen - er stürmte auf mich zu. Und eher ich einen Schlag befürchten konnte, hörte ich ein Stöhnen und sah eine Menge Blut.
Tobias hatte eine Scherbe in die Seite des Halses gesteckt. Der Mann versuchte verzweifelt die Blutung zu stoppen, aber der Verlust an Blut riss in schließlich in den endgütligen Schlaf.
Die anderen beiden Männer standen sprachlos an der Tür und sahen zu uns, der eine verängstigt, der andere mit einem perversen Lächeln auf seinen Lippen, die er aber diesmal geschlossen hielt.
»Jetzt befrei' dich, ich brauche Hilfe.«
Ich war erneut nutzlos - ich löste schnell die Griffe, allerdings bekam ich Probleme bei dem an dem Nacken. Der Schlüssel wollte sich nicht drehen lassen, aber ich beschloss, dass die Schnalle kein großes Problem sein würde. Aber da hatte mich schon die Kugel gestreift. Der Mann vor mir hatte seine Waffe gezückt und auf mich geschossen - zu meinem Glück nahm die Kugel einen seltsamen Verlauf und verfehlte mich zum Großteil. Lediglich mein Oberarm war leicht betroffen, aber das störte mich nicht. Ich schlug ihm mit meiner Hand in den Hals und er ließ die Waffe fallen, also stürzte ich mich auf sie, während er nach Luft schnappte.
Ich feuerte die erste Kugel - sie traf ihn nicht, sie verfehlte ihn knapp. Dann feuerte ich die zweite Kugel - diesmal hielt ich die Waffe ein paar Zentimeter weiter nach links, und sie traf ihn links an der Stirn. Er fiel direkt zu Boden und war tot.
Ich sah neben mich, und sah wie Tobias mit dem stärkeren Mann kämpfte. Sie waren beide auf dem Boden, und ich konnte nicht riskieren Tobias zu treffen. Mögen tat ich ihn nicht, aber töten könnte ich ihn auch nicht. Ob Simulation oder nicht. Also warf ich einen Gegenstand in das Gewusel und brachte die beiden auseinander, dann sah Tobias die Waffe und floh in meiner Richtung, während ich den dritten und erneut tötlichen Schuss feuerte. Dann wachte ich auf.
»Seid ihr verrückt? Wie oft soll ich noch in Gefahr raten? Wie oft soll ich Menschen töten? Wozu soll das dienen?«
»Ich werde es dir sagen, Zoe. Aber wir haben nicht viel Zeit. Keine Fragen stellen, einfach zuhören, ok?«
Ich nickte, und war schon ganz aufgeregt.
»Dad, er hat mir ein Buch gezeigt. Es ist von unserer Vorfahrin, Ava Hales. Sie hat zu der Zeit gelebt, als die Tests eingeführt wurden. Sie schreibt, dass sie jemanden kennengelernt hat, der sie gewarnt hat. Sie spricht von Diktatur. Jemand nimmt uns unseren freien Willen. Das ist natürlich nichts neues für dich, aber das Problem ist, dass man da nicht nur bei Worten bleibt. Am Ende des Programms, dieses Jahr sogar auch in der Mitte, wird allen ein Serum verabreicht. Das soll wahre Gefühle unterdrücken. Liebe, Hass.. Gefühle, die Probleme auslösen können. Am liebsten würde man das schon vorher einführen, dieses Serum, aber es gibt ein Problem. Bei Jugendlichen unter siebzehn Jahren zeigt es keine Wirkung. Auch behaupten viele Mediziner, dass Jugendliche bis zu dem Alter nicht gefährdet sind solchen Gefühlen zu verfallen.«
»Aber was ist so schlimm an Liebe?«
»Zoe, zuhören. Was entsteht oft aus Liebe? Streit, Eifersucht.. und oft genug Mord. Die Welt lag im Chaos, vor dem Programm. Aber Ava sagt, dass durch das Programm nichts besser wird. Und mittlerweile wissen wir, sie hat Recht. Du weißt wie viele Absolventen verschwinden, nicht? Entweder werden sie getötet, oder man führt an ihnen Tests durch für verbesserte Formeln des Serums. Mittlerweile bieten die Forscher sogar gedankensteuernde und -studierende Sera an. Ich will das verhindern, auf den Rat unserer Vorfahrin. Sie schreibt, dass sie will, dass wir uns dem Programm wiedersetzen. Sie selbst sei verliebt, und will fliehen, aber es ist aussichtslos. So viele vor ihr sind tot aufgefunden worden. Deshalb muss jemand mit mehr Macht, mit mehr Mut es wagen. Und wir, Zoe. Wir sind so viele, und mit Quentin an unserer Seite sitzen wir an der Quelle. Er leitet die medizinische Abteilung und wird sich um ein Austauschserum bemühen, dass den Effekt verhindern wird. Dann können wir viele Generationen sammeln, und starten in einigen Jahren eine Revolution. Ich weiß, du denkst jetzt, dass es nicht klappen wird, dass es auffallen wird, aber Quentin sagt, das Serum würde davor schützen. Und ich vertraue ihm.«
»Wieso? Kennst du ihn?«
»Er ist Theas Bruder. Er hat unsere Liebe ermöglicht, er hat meinen Traum ermöglicht. Mir gegeben, was ich immer schon wollte. Er selbst war irgendwie immun gegen das Serum. Er sagt, davon gibt es genug Leute. Mom und Dad sind es zum Beispiel. Aber darüber offen reden können sie natürlich nicht.«
»Wo ist mein Part bei der Sache?«
»Du bist Teil der Zukunft. Bemühe dich um eine gute Stelle. Bei der Polizei. Und dann wirst du mehr Infos erhalten. Auf jeden Fall brauchen wir Leute in allen Gebieten. Deshalb ist Cyril auch dabei. Er ist ein guter Freund von mir, und ist immun gegen das Serum. Er wird in die Politik gehen, dass streben wir zumindest an.«
»Und wo soll Elias hin?«
»Am besten zur Presse. Er schreibt gerne, also sollte das passen. Es ist nicht genau das, was er will, aber es ist für uns am nützlichsten.«
Dann wache ich erst wirklich auf, liege auf dem Stuhl und starre in die warmen Augen meines Bruders, der mir mit einem Lächeln auf den Lippen die Hand hält. Dann küsst er sanft meine Stirn.
»Du bist so ein starkes Mädchen, Zoe.«
»Deshalb werde ich auch helfen. Und ich freue mich jetzt schon drauf.«
»Elias hat das Buch, falls du es lesen willst. Aber zeige es keinem, bitte. Cyril könnte sich vielleicht interessieren, aber zeig es ihm nur, gib' es ihm bitte nicht.«
»Keine Sorge.« Ich zwang mir ein Lächeln auf, und verließ den Raum.
Ich lief zu Valentins Zimmer. Ich wollte ihm beichten, was los war, aber in seinem Zimmer traf ich nur auf Tobias. Er ließ mich rein und legte sich dann auf sein Bett, beachtete mich kaum.
»Kein dummer Kommentar?«
»Dazu habe ich keine Kraft mehr.«
»Das verstehe ich.« Er tat auf tough, aber er war nur ein Kind, genau wie wir alle. »Wo ist er?«
»Er ist noch nicht zurück. Selbst Ben war schon hier, aber er wollte direkt wieder raus. Er mag meine Gesellschaft nicht besonders. Naja, ich seine auch nicht, zu meiner Verteidigung.«
Auch nach zwei Stunden war noch nichts von Valentin zu sehen. Langsam machte ich mir Sorgen, aber wen sollte ich um Rat bitten? Sel würde mir nicht helfen können, auch Elias würde keine Hilfe sein. Also suchte ich Thea auf.
»Valentin ist noch nicht zurück.«
»Zoe, ich weiß.« Thea war ganz ruhig, aber in ihren Augen sah ich Gefahr. In mir brach die Panik aus, und ich konnte es nicht aufhalten, dass ich schwer zu atmen begann.
»Ich muss ihn sehen, jetzt!«
»Bitte, sei ruhig. Wir konnten es bei ihm nicht verhindern, wir wussten zu spät davon, zwing mich nicht.« Sie hielt eine Spritze hoch und sah mich an - nicht böse oder gemein, aber mitleidig. Was war hier los?
»Was konntet ihr nicht verhindern? Was machen sie mit ihm?« Ich spüre, wie meine Stimme aus mir heraus bricht, und ich zu schreien beginne, mit meinen Händen um mich werfe und mich die Panik voll packt.
»Sag mir wo er ist! Wo ist er! Was machen sie! Sag mir bitte, dass sie ihn nicht tö-« Ich spüre nichts, und dann für einen Moment spüre ich alles, ich spüre wie die Spritze meinen Arm trifft, und die gelbe Flüßigkeit in meine Adern läuft und mich jetzt durchflutet. Ich schaue Thea an und versuche zu schreien, aber mein Gesicht verkrümmt sich nur - kein einziger Laut kommt heraus. Thea nimmt mich in den Arm und streichelt meine Haare, dann drückt sie mich fester zu sich und küsst mich auf den Kopf.
Erst dann nehme ich die Leute um uns herum wahr, und verstehe, warum sie das getan hat. Überall sind Kameras, und Zeugen und.. so viele Leute, die noch nichts wissen dürfen, und ein paar, die nichts wissen dürfen. Sie schützt unseren Plan, und ich hätte ihn fast versaut.
Aber was war mit Valentin? War er tot?
Ich forme mit meinen Lippen die Wörter, möchte eine Antwort, aber es verlangt mir fünf Versuche ab, bis auch tatsächlich Worte meinen Mund verlassen. Und ich kann es selbst kaum fragen, als ich es frage.
»Ist er tot?«
»I-ich« , doch Theas Stimme wird unterbrochen von einer kalten, berechnenden Stimme. Wessen Stimme es war? Es gab nur eine Person, die so eine Kälte in ihrer Stimme tragen konnte. Es war die Stimme von Penelope Hambridge. Ich erschrack, und schaute um mich. Sie war nirgends zu sehen, aber überall zu hören.
»Guten Abend, liebe Teilnehmer. Hier spricht Penelope Hambridge. Ich melde mich zu Wort, um euch erneut daran zu erinnern, dass man sehr großen Wert auf Regeln legt. Bezüglich der Aufenthaltszeiten, sowie auch den Regeln bezüglich der Partnerwahl. Ab diesem Zeitpunkt sind keine festen Liaisons mehr erlaubt. Diese würden eine einwandfreie Auflösung des Computers erschweren. Auch die Regeln bezüglich des Abschickens eurer Unterlagen, eurer Bewertungen und alles verbindliche, muss eingehalten werden. Einen schönen Rest Abend.«
Es waren die Lautsprecher, sie hatte eine Durchsage gemacht, so dass alle es hören konnten. Und ich wusste, dass diese Nachricht explizit an mich gerichtet war. Und was auch immer sie mit Valentin gemacht hatten, war eine weitere Warnung. Ich war mir sicher, dass ich nur Glück hatte.
»Zoe, nimm diese Warnung ernst. Gehe nicht heute zu Valentin, gehe erst morgen.«
»Aber-«
»Nichts aber! Du musst auch an dich denken, ich werde mich informieren, und komme später vobei.«
Es vergingen zwei Stunden, bis Thea endlich an der Tür klopfte. Ich hatte so viel Angst, so viel in mir glaubte an das größte Unglück, aber so viel von mir wollte das nicht. Hätte es sowieso nicht akzeptiert.
»Ihm geht es gut. Er ist in seinem Zimmer, ich konnte nicht lange mit ihm reden, aber er sah nicht verletzt aus. Du kannst also beruhigt schlafen gehen.« Nicht nur mir fiel ein Stein vom Herzen, auch Thea wirkte erleichtert, und nahm mich schließlich in dem Arm.
»Danke, Thea.«
»Das ist kein Problem, dafür hat man doch Familie!«
Sie hatte Rech. Ich vergaß zu oft und irgendwie auch zu "gerne", dass sie mittlerweile sowas wie Familie war. Ohne sie, wäre ich aufgeschmissen. Ohne sie, hätte ich schon so viele Fehler gemacht.
»Danke für alles.«
Ich ließ nicht von ihr, die Umarmung nahm mir die Angst der letzen Stunden. Das hatte ich gebraucht. Ich brauchte ein wenig Rückhalt, ein wenig Zuneigung. Ein bisschen von dem, was ich zu Hause bei so einer Situation bekommen hätte. Zuhause wäre es meine Mutter gewesen, nicht meine Schwägerin.
Am nächsten Morgen musste ich früh zu meinem Sportkurs. Aber meine Gedanken schwirrten die ganze Zeit um Valentino, der leider nicht im selben Kurs mit mir war - und nicht sein könnte. Die Stunden trugen sich schwer ab, und ich hatte das Gefühl, ich war bereits seit Wochen in diesem kleinen Traininsraum. Ich wollte nicht, ich musste jetzt zu ihm.
Deshalb stand ich schon vor seiner Tür, als er endlich in den Flur bog. Jedoch formte sich in seinem Gesicht kein Lächeln wie in meinem, sondern eine verzerrte Miene, die ich so nicht kannte. Er war sauer. Seine Mundwinkel waren nach unten geneigt, und seine Brauen zogen sich in der Mitte zusammen und er sah mich missmutig an. Hatte er von Cyril erfahren? Aber wie..
»Val-« Aber ich konnte nichts sagen, als ich sah, mit wem er um die Ecke kam. Er war nicht alleine, an seiner Seite war eine Brünette. Sie war wunderschön. Porzellanweiße Haut, eine schmale Stupsnase, volle herzförmge Lippen und strahlend blaugrüne Augen. Irgendwie sah sie mir ähnlich, aber irgendwie auch nicht. Sie war wie eine bessere Version von mir. Wer war das?
»Zoe, was machst du hier?«
»Ich wollte sehen, wie es dir geht.«
»Gut, danke.« In seiner Stimme zeichnete sich eine Kälte aus, die ich so selten gesehen hatte.
»Können wir kurz reden?« Er sah rüber zu dem Mädchen, das ihm kurz zunickte und sich abseits hinstelle und mich von oben bis unten anguckte.
»Wer ist das?«
»Geht dich das etwas an?«
»Entschuldigung?«
»Komm' mir nicht so. Du hast doch angefangen. Du hast mich nie wirklich geliebt. Von Anfang an war es Cyril.« Und als ich dachte, er würde rumschreien, verschwand der ernste Blick aus seinem Gesicht und er umarmte mich. »Das ist schon okay. Ich bin nicht böse, ich war es, aber irgendwie bin ich es nicht mehr.« Die letzten Worte kamen zögerlich aus seinem Mund, und sie wirkten aufgezwungen. Am Ende war er sogar abgedrifftet, und ich stand dort und verstand nichts mehr. Warum soll ich ihn nie geliebt haben? Ich liebe ihn doch jetzt auch. Und wie hätte er diesen Gedanken bitte ertragen können? Was war hier los..
»Valentin, ich habe keine Gefühle für Cyril. Deshalb bin ich gekommen, ich wollte dir davon erzählen. Nachdem du gestern so lange noch weg warst, hab ich mir Sorgen gemacht. Ich hatte Angst, dass dir etwas passiert ist.«
»Ich hab gestern mit Phoebe gesprochen, dem Mädchen, das du gesehen hast.«
»Jedenfalls liegst du falsch, ich liebe dich immernoch. Die Sache mit Cyril, ich weiß nicht was das war. Aber als ich gestern fürchten musste, dich für immer zu verlieren..«
»Ich glaube dir nicht.«
Ich starrte ihn nur noch an, und wusste mir nicht zu helfen.
»Wie kann ich es dir zeigen?« Tränen flossen meine Wangen hinunter.
»Zoe..« Er nahm mich in dem Arm, und ich begann hemmungslos an zu weinen. Das war keine, ich-gebe-dir-eine-Chance-Umarmung, das war eine Es-tut-mir-leid-aber-Umarmung. »Es tut mir leid, aber du hast es selbst gehört heute. Wir können das nicht länger durchziehen. Das will ich auch gar nicht.«
»Du kannst uns doch nicht einfach so vergessen!« Ich schrie so laut, dass mich einige Leute aus dem Flur schief anguckten, darunter auch Phoebe - die ich jetzt schon hasste.
»Zoe, ich brauche meine Zeit. Und die werde ich dem Programm angemessen nutzen.«
»Aber du hasst das alles hier!« Ich versuchte leiser zu sein, aber das hatte nicht geklappt.
Ohne ein weiteres Wort, ging er zusammen mit Phoebe in sein Zimmer und ließ mich vor der Tür stehen. Und ich konnte an keinen Moment in meinem Leben denken, in dem ich so einsam gewesen war.
»Sel, erkläre es mir bitte.«
»Du sagst, er war gestern noch länger weg? Und dann der "Zufall" mit der Durchsage?« Selena, und teilweise auch Gina versuchten mit mir das Rätsel zu lösen, aber beide waren unterschiedlicher Meinung, und ich hatte keine. Oder hatte ich eine, der ich mich nicht stellen wollte?
»Also ich wäre sauer, wenn mich jemand betrügen würde. Vor allem mit so einem Typen.«
»Cyril ist..«
»Vielleicht doch mehr, als du dir zugestehen willst?« Gina sprach Dinge aus, die ich wusste, aber nicht wissen wollte. Dinge, die mir nur einen Schlag in den Magen gaben. »In unserem Alter ist es normal verwirrt zu sein, und hier wird man auch nicht schräg angesehen, wenn man sich für mehrere Jungs interessiert. Genau das wollen sie doch.«
»Und was hilft mir das?«
»Du wirst keine Probleme haben in Zukunft, das bringt dir das.«
»Ach, Gina.. Zoe hat eine Dummheit begangen, aber damit würde mein Bruder niemals so umgehen!«
»Was meinst du?«
»Ja, Selena, was meinst du?« Gina klang genervt, aber wenigstens gab sie sich Mühe.
»Na, Valentino ist ein Kämpfer, ein Lopez eben. Er würde sich nie so unterstellen jemandem. Und er würde nicht an eurer Beziehung zweifeln. Zoe, er hatte sich nicht einfach nur verguckt in dich. Er war schon so lange verliebt in dich. Das zwischen euch, das.. ich kann dir nicht sagen, wie sehr ihn das positiv geändert hat. Wie sehr es ihn gefreut hat. Glaub mir, da ist was faul. Und wenn er so lange weg war gestern..«
»Aber was sollen sie den gemacht haben, Sel?«
»Zoe, hör' nicht auf sie. Selena denkt zu weit. Was sollten sie denn gemacht haben? Hypnose?«
»Irgendwas in der Richtung wird es sein! Genau!« Gina sah genervt zur Seite und atmete tief aus.
»Aber Quentin würde das nie befürworten.«
»Er ist zwar hier leitender Arzt, aber das heißt nicht, dass er der hochgestellteste Arzt ist. Es gibt bestimmt Ärzte mit höhrerer Positiion.«
»Denkst du wirklich, Gina?«
»Ich weiß es. Der Arzt von Hambridge zum Beispiel ist ein älterer Mann mit einer Glatze. Nicht, dass ich denke das würde etwas ändern, aber ich wollte es gesagt haben.«
Die nächsten Stunden kam nichts bei rum. Sobald einer einen Vorschlag hatte, verriss eine von uns ihn direkt und am Ende kam nicht wirlich was bei rum, aber Selenas Worte bedeuten etwas. Sie waren der Beweis, dass Valentin nicht alleine - nicht wirklich, so fühlte.
Es war Donnerstag, als ich mich erneut zu einem Date aufraffen musste. Diesmal war es mit Tobias, und anders als erwartet, war ich darüber ganz froh. Ich wollte mit ihm über Valentin reden. Was er mir dazu sagen kann, ob er nicht vielleicht mehr weiß.
»Und, wer ist heute Abend dein Date, Zoe?«
»Tobias..« Wie hieß er denn mit Nachnamen? »Ich weiß gar nicht, wie er weiter heißt.«
Ich nahm also meine Unterlagen, und laß es vor: »Farewell. Tobias Farewell.«
»Und wie sieht er aus?« Sie riss mir meine Unterlagen aus der Hand und sah sich ihn genau an.
»Nicht schlecht, der ist ja echt ganz schuckelig.«
Ich antwortete nicht, stattdesen war ich bereit, ihr eine wichtige Frage zu stellen.
»Hast du letztens erkannt, dass es nicht Valentin war?«
Sie lächelte mich stumm an und wandte sich von mir ab.
»Also ja?«
»Ich bin ja nicht blind. Aber was ist da schon bei? Es war sowieso gegen die Regeln, an die ich dich gerne erinner'.«
»Wir können ja nicht alle so sein wie du.«
»Wie bitte?«
»Ich bin ja nicht blind.« Ich lächelte sie stumm an, genau so, wie sie es eben getan hatte. Ich würde mich doch nicht für dumm verkaufen lassen. Außerdem war es jetzt klar, wer es wusste und es verraten hatte.
Ich hatte noch Zeit bis zu meinem Date, also machte ich mich auf die Suche nach Valentin. Ich würde nicht aufgeben, nicht einfach so.
Ich rannte also zu seinem Zimmer, und klopfte an der Tür. Diesmal öffnete mir nicht Tobias, sondern Ben die Tür.
»Was willst du?«
»Ich will zu Valentin, ist er hier?«
»Er ist nicht hier. Und ich würde an deiner Stelle aufgeben.«
»Was meinst du?«
»Er ist nicht mehr der Junge, der in dich verliebt war.«
»Woher willst du das wissen? Du kennst ihn doch gar nicht!«
»Vielleicht nicht, aber die letzten paar Stunden, waren einige Mädchen hier. Und er hat dich in keinem einzigen Wort erwähnt. Den ganzen Tag über nicht. Und glaub mir, er hat uns sonst die Ohren voll gelabert. Er hat heute nichtmal was in sein komisches Heft geschrieben.«
»Welches Heft?« Meine Augen scannen seine Ecke im Zimmer, und bleiben an einem heften. Ich laufe dorthin und schnappe es mir. »Das hier?«
»Ja, aber ich denke nicht, dass du das lesen darfst.«
»Ist mir egal, ich muss es wissen.«
»Wie du meinst.« Ben setzt sich auf sein Bett und starrt an die Decke, während er einen Ball auf die Decke wirft und ihn fängt. Er ist bestimmt einer der Typen, die dankbar sind für das Programm.
Ich hielt das Heft in meinen Händen und blätterte auf die letzte Seite. Und konnte nicht fassen, was ich dort lesen würde:
»Dieses ganze Programm hier macht mich verrückt. Die ganzen sinnlosen Kurse, diese dummen Dates. Was ist der Zweck dahinter? Was soll ich damit? Ich weiß doch ganz genau, wo mein Herz hingehört. Und ich weiß, dass mein Herz dort sicher ist. Ich liebe Zoe. Und ich kann spüren, dass sie das auch tut. Und desshalb muss ich etwas unternehmen! Ich muss den Computer hacken. Ich werde bestimmt Hilfe brauchen, aber das ist mein Ziel. Und was ich mir vornehme, das wird auch klappen. Und ich könnte auch für Elias, oder Selena eintragen, wen sie wollen. Ich könnte so viel Gutes tun. Und deshalb muss ich jetzt eine Person aufsuchen. Sein Name ist Lewis. Ich kenne ihn nur flüchtig, er ist mit Nic auf einem Zimmer, aber er wird mir helfen. Sein Vater ist Teil dieser Organisation. Ich könnte auch Sebastian fragen, aber ich möchte ihm nicht noch mehr zumuten.«
»Kann ich dich etwas fragen, Ben?«
»Wenn es sein muss.« Definitiv einer der Jungen, der hierfür dankbar sein sollte..
»Wann hat Valentin das letzte mal geschrieben?«
»An deinem Geburtstag. Und am Tag der Simulation war er noch bei so 'nem Typen. Er hat uns vorgelabbert, dass er uns allen helfen könnte. Und das der Typ die Lösung sei.«
»Hieß der Typ Lewis?«
»Ja, ich meine schon. Aber wieso ist das wichtig?«
Ich rannte aus dem Zimmer und musste zu diesem Lewis. Er könnte die Antwort sein auf all' meine Probleme.
Ich lief nun also zu Nics Zimmer und klopfte an die Tür des Zimmers. Es dauerte nicht lang und ich bekam eine Antwort. Ein mittelgroßer Junge öffnete die Tür. Er war nicht besonders attraktiv. Er war eher der Durchschnittstyp. Braunes Haare, kleine braune Augen, Sommersprossen und ein eher kramphaftes Lächeln. Trotzdem schien er sehr von sich überzeugt, denn er trat auf wie einer der bildhübschen aus den Fantasien vieler Mädchen.
Er schaute mich nur an, nickte kurz und sprach dann ein »ja?«
»Ich suche Lewis, also dich.«
»Und du bist wer?«
»Zoe Hales, ich bin die Freundin von Valentin. Also ich war seine Freundin.«
»Du bist Zoe, interessant.« Sein Blick wurde enger, und seine Stimme tiefer.. Was war hier los? Wer war er?
»Wie darf ich das verstehen?« Ich warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
»Valentin wollte meine Hilfe wegen dir. Ich frage mich nur, warum er denkt, ich würde ihm helfen.. Ich bin Befürworter des Programms.«
»Hast du ihn verraten?«
»Ja.« Er grinste mich an. Ich hätte ihm am liebsten die Augen ausgekratzt. Stattdessen verpasste ich ihm eine Ohrfeige. Wie konnte er nur so denken? Und noch schlimmer.. sowas tun!?
»Entschuldige, aber für was war das?«
»Dank dir ist Valentin nun ein komplett anderer Mensch.«
»Wo ist dein Problem?«
»Kein Wunder, dass du das hier befürwortest. Immerhin hättest du sonst keine Chance auf eine Beziehung. Was ist das denn für eine Frage? Valentin und ich haben uns geliebt, und dank dir ist es vorbei.«
»Mich wundert eher, dass dich jemand lieben würde. Hübsch bist du, aber alles andere ist echt..« Er schüttelt seinen Kopf und drückt mich aus der Türschwelle.
»Hast du gar kein schlechtes Gewissen?«
»Hast du denn keins? Hier gibt es nun mal Regeln, an die wir uns alle halten müssen. Wer das nicht tut, wird halt dazu gebracht.« Und dann schließt er die Tür.
Auf dem Weg in mein Zimmer läuft mir Nic entgegen. Er scheint meine Laune erkannt zu haben, denn er nimmt mich direkt in den Arm. Etwas, was ich normalerweise nicht von ihm erwartet hätte.
»Zoe.. was ist los?«
Ich wusste nicht wo ich anfangen sollte.. Ich will gar nicht hier sein. Ich will nach Hause. Ich fühle mich schlecht wegen meinen Gefühlen für Cyril. Ich trauere Valentin nach - ich hasse alle, die ihn zu einer völlig neuen Person gemacht haben.. Ich.. und.. Einfach alles stand gegen mich. Genau das erzählte ich Nic auch, und nochmals wusste ich nicht weshalb..
»Das ist natürlich viel. Aber du musst das beste hierdraus machen. Wir werden nie was ändern können, egal wie sehr wir es wollen.«
»Wieso? Wieso sagen das alle?«
»Wir sind nur eine von vielen Gruppen. Überall auf der Welt läuft das Programm.. es müsste alle Nationen der Welt erreichen. Das ist leichter gesagt, als getan.«
»Du wirst sehen, ich werde es hinbekommen.«
Isla war nicht in unserem Zimmer, deshalb lag ich alleine auf meinem Bett und tat nichts. Nichts außer Nachdenken und Bereuen. Nichts neues, also. Ich hatte das Notizbuch von Valentin immer noch bei mir. Ich wollte es eigentlich nicht lesen, aber ich konnte nicht anders. Ich las alles. Und das gab mir nur noch mehr Grund zum Heulen.
Niemand würde mich jemals so lieben können wie er. Mit dieser Intensität, diesem Vertrauen, diesem Stolz, mit dieser Aufrichtigkeit. Jetzt war auch klar, dass sie ihm etwas genommen hatten. Wie? Das weiß ich nicht, aber sie müssen ihm das genommen haben, was mich für ihn ausgemacht hat. Wenn er mich so gesehen hat, konnte er niemals von diesem liebevollen Jungen zu dem lieblosen Jungen werden, der er mir gegenüber ist heute.
Ein lauter Knall riss mich aus meinem Selbstmitleid. Ich richtete mich auf und schaute zur Tür. Dort stand Cyril. Und obwohl er nicht als erster auf der Liste der Schuldigen stand, entlud sich mein Ärger an ihm.
»Was willst du hier?« Wut, Trauer, Freude, einfach alle Emotionen mischten sich zu einer einzigen.
Ich ging auf ihn zu und verpasste ihm die Ohrfeige seines Lebens - hätte ich diese mal Lewis gegeben. Und bevor er dann noch etwas sagen konnte, drängte ich ihm meine Lippen auf.
»Z-Zoe, lass das.« Er hielt mich an den Armen und schob mich von sich. Aber ich küsste ihn erneut und diesmal dauerte es länger, allerdings schob er mich erneut von sich.
Ich war erneut vieles: gekränkt, sauer, verletzt, verwirrt, aber auch erleichtert.
»Zoe, ich weiß für dich ist das alles nicht leicht, aber ich will nicht dein Ersatz sein. Ich bin wegen etwas anderem hier.«
Ich wollte etwas sagen, stattdessen sagte ich nichts.
»Du warst bei Lewis. Du bist negativ aufgefallen. Dein Bruder hat sich viel Mühe gegeben, damit sich das nicht negativ auswirkt auf dich. Du musst aufpassen. Und noch wichtiger, du musst auf gewisse Dinge warten.«
Er sprach bestimmt von Anweisungen meines Bruders. Immerhin war er derjenige mit einem Plan. Und ich musste aufpassen, dass ich diesen nicht gefährden würde. Das dürfte nicht passieren.
»Morgen kann ich dir auch etwas vorbeibringen. Etwas, dass dir helfen wird.«
»Du kannst mir auch jetzt helfen.« Mir war egal, ob Ersatz oder nicht - ich brauchte das. Und Egoismus war nun mal einer meiner Schwächen.
Ich warf ihn auf mein Bett und sezt mich auf sein Schoss. Ich schaute ihn an, er schaute allerdings an die Decke und atmete tief ein und aus. Meine Finger umfassten sein Kinn und ich lenkte sein Gesicht zu mir. Seine Augen schauten mich allerdings immer noch nicht an.
»Sieh mich an.«
»Zoe, bitte, l-« in diesem Moment schaute er mich direkt an, und ich lächelte. Ich hatte die Hoffnung, dass er es erwidern würde. Und tatsächlich, für eine Milisekunde sah er mich mit einem leichten Schmunzeln an.
»Zoe, was? Was soll ich tun?« Ich massierte mit einer Hand leicht seinen Nacken, während ich mit dem Daumen der anderen Hand seine Lippe abzeichnete. Er wollte etwas sagen, entschied sich dann aber doch dazu, seinen Mund anderweilig zu benutzen. Er küsste mich, und ich spürte wie all' meine Gedanken, die mich eben noch so bedrückt hatten, verschwanden. Vielleicht nicht "verschwanden", aber sie waren für einen Moment nicht da. Und deshalb musste ich den Moment hinauszögern, indem sie sich wieder anschleichen würden.
Unsere Lippen ließen lange Zeit nicht voneinander ab, erst als er meinen Hals küsste, brach der heilige Bund unserer Lippen.
Seine Lippen waren schön warm und weich. Diesmal fühlte ich aber auch seinen schnellen Herzschlag, und seine sanften Berührungen. Ich merkte auch, wie sich die Intensität unserer Berührungen erhöhte und wir kurz davor waren die Regeln zu brechen.
Sein Tshirt lag schon längst auf dem Boden, als er meins anhob und es ebenfalls auf den Boden warf. Das Gefühl von meiner Haut auf seiner war aber ein völlig neues. Eines, das ich so nie erlebt hatte. Es war nicht so, als ob es besser oder schlechter war als mit Valentin - es war einfach anders.
Kurz bevor noch mehr hätte passieren können, öffnete sich die Tür. Es war Valentin. Ich schloss kurz meine Augen, und hoffte das ich aufwachen würde - am besten in meinem Bett zu Hause.
»So so, keine Gefühle für Cyril?«
»Als ob dich das plötzlich interessieren würde.« Ich stand auf und stellte mich selbstbewusst vor ihn. Mir war egal, dass ich obenrum nur noch einen dunkelblauen BH trug. Es war ja nicht so, als ob er das nicht alles schon mal gesehen hätte. Oder nicht?
»Zieh' dir bitte was an.«
»Nein. Ich fühle mich so wohl.« Ich verschrenkte meine Arme nicht länger, sondern ließ sie lässig neben meinem Körper hängen. Wenn es ihn so störte, würde ich das ausnutzen.
Er schaute allerdings auf nichts anderes als meine Augen - aber mit einer Leere, die ich niemals von ihm erwartet hätte. War ich ihm gleichgültig geworden?
»Ich möchte mein Notizbuch wieder haben. Ich werde auch nichts sagen, wenn du es mir einfach gibst.«
Ich lief zum Bett, auf dem nun ein angezogener Cyril saß und seinen Blick auf den Boden senkte. Ich griff an ihm vorbei in die Kommode. Und holte Valentins Buch.
»Hier.«
»Hast du es gelesen?«
»Ja. Vielleicht solltest du das auch mal. Dich an das ein oder andere erinnern.«
»Zoe, ich habe dir doch ges-« Dann knallte ich die Tür vor seiner Nase zu.
Ich hatte mir genug gefallen lassen. Je schneller ich mich hiermit abfinden würde, desto besser. War das nicht auch das, was alle von mir wollten? Alles vergessen. Alles, was mir wichtig war und am Herzen lag.
Cyril saß immer noch auf meinem Bett als ich aus dem Bad zurückkam. Ich hatte mich geduscht und auch ein wenig geweint, aber das spielte keine Rolle. Nichts tat das. Alles war sinn- und zwecklos.
»Du bist noch hier?«
Er nickte, schaute mich aber nicht an. Dann stand er plötzlich auf und wollte aus der Tür raus, als ich seinen Namen rief. Er drehte sich um und schaute mich an. Seine Augen reflektierten Enttäuschung.
»Du musst dir ab jetzt jemand anderes hierfür suchen.«
»Wofür?«
»Dein Gefühlschaos. Daran will ich nicht teilhaben.«
Und dann knallte erneut die Tür. Es war das letzte Mal für diesen Abend.
»Unglaublich, dass wir inzwischen seit fast vier Monaten hier sind, nicht Zoe?«
»Ja, unglaublich.«
Das war es ganz und gar nicht. Jede Woche wiederholte sich das Spiel. Immer gab es Dates, Kurse, Dinge auszufüllen, andere Dinge zu beachten, andere Dinge zu tun gab es nie.
»Bald werden wir unsere Top3 zugeteilt bekommen. Ich bin so aufgeregt.« Sel hatte sich längst mit all' dem angefreudet, und während ich mich damit abgefunden hatte, hasste ich es immer noch.
Die Dinge liefen die letzten Wochen nicht so gut für mich. Valentin und ich sprachen gar nicht mehr miteinander. Man konnte fast behaupten, dass wir uns inwzischen hassten. (Man konnte auch behaupten, dass er sehr gut ankam, und er dies auch auszunutzen wusste.) Mit Cyril lief es nicht viel besser - wir trafen uns nur, wenn er mir etwas weitergeben musste, was Ty ihm gegeben hatte. Wie zum Beispiel das Tagebuch unserer Vorfahren.
In dem Buch standen viele Dinge. Unteranderem, dass das Programm unmenschlich sei und alle Freiheiten vorenthalten würde. Genau genommen stand das auf mehreren Seiten verteilt dort. Die letzten paar Seiten erzählten von einer Welt vor meiner. Eine Welt, in der es jedem frei stand zu lieben wen wer wollte, zu wohnen, wo er wollte, zu sagen, was er wollte. Beschrieben wurde einer Welt, die ich meine nennen wollte.
Mein Bruder und Quentin hatten einen Plan - das wusste ich, aber den Plan kannte ich nicht. Ich war mir nicht mal sicher, ob Thea oder auch Cyril mehr wussten als ich.
Ich wusste jedenfalls kaum etwas, und selbst diese kleinen Dinge durfte ich niemandem verraten. Nicht einmal Sel. Und ich hätte sehr gern mit ihr gesprochen. Denn Quentin, Ty und Thea waren zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt. Und mit Cyril wollte ich nicht mehr reden als nötig - dieser Wunsch beruhte sogar auf Gegenseitigkeit.
»Ich würde echt gerne mit Selena drüber sprechen, Ty.«
Er schloss mich an die Kabel an, die mich gleich abermals in eine Simulation versetzen würden. Die letzten Wochen war ich immer alleine. Es gab keine andere Person vorhanden, die mir helfen konnte. Ich musste mich immmer wieder selbst auch den gefährlichsten Situationen befreien. Angst hatte ich allerdings nie.
Ich wusste, dass es nicht echt war. Ich wusste es, und Ty wusste es. Aber nicht jeder wusste es, und das wäre entscheidend. Wer es nicht merkt, wird keine hohe Stellung zugeteilt bekommen. Man braucht Personal in hohen Bereichen, die Schwindel aufdecken können.
Aber man durfte auch nicht zu gut sein, sagte mir Ty immer. Denn, wer zu viel aufzudecken wusste, war dem Programm ein Dorn im Auge.
»Zoe, das ist zu gefährlich. Du kannst doch mit Cyril reden, ich bin mir sicher-«
»Ich bin mir sicher, dass ich das nicht kann.«
»Wieso?«
»Darüber kann ich nicht mir dir sprechen.«
Ty entwich ein Lachen, und er schüttelte kurz den Kopf.
»Warum lachst du?«
»Du hast dich doch wohl nicht in den alten Zyniker verguckt, oder?«
Warum dachten das alle?
»Nur, weil ihr das alle so wollt passiert das nicht.«
»Ich will nur, dass du glücklich bist. Deshalb tue ich das alles.«
»Was soll "das" sein? Und inwiefern hilfst du mir? Du hast es nicht aufgehalten!«
Ty guckt mich mit großen Augen an. War er überrascht? Verletzt?
»Ich konnte es nicht aufhalten, was sie mit V-«
»Wieso nicht?« Ich wurde leicht hysterisch, und mir flossen Tränen die Wange herunter.
»Ich hätte alles riskiert, alles verraten, wenn ich ihm geholfen hätte. Manchmal muss man Opfer lassen, Zoe.«
»Du willst eine Welt, wo man lieben kann? Wen soll ich lieben? Wer soll mich lieben? Er hasst mich. Und ich hasse, was aus ihm geworden ist.«
Er legt seine Hand auf meine Stirn und küsst mich sanft auf die Wange.
»Es tut mir wirklich leid, Zoe. Ich hatte ihm gesagt, er muss sich zurückhalten. Er hat nicht auf mich gehört, mehr konnte ich nicht tun.«
Ich wollte nicht ihm die Schuld geben - sie lag ja nicht mal bei ihm - aber ich war sauer auf ihn, weil er die Macht hatte es zu verhindern. Aber ich konnte nichts mehr sagen. Die Zeit war gekommmen - ich musste die nächste Simulation antreten.
Ich stand mitten in der Wüste. Überall war Sand, nichts außer Sand. Es gab weit und breit nichts anderes. Es war traurig mit anzusehen, aber ich war darüber glücklich. Es fühlte sich frei an. Irgendwie so ruhig und schön einsam. Vielleicht war allein sein doch nicht so schlimm.
In dem Moment, als ich mich mit dem Gedanken anfreunden konnte, holte der Wind eine Gestalt herbei.
Bei näherem Betrachten, war sie mir gleichzeitig unbekannt, sowie auch bekannt. Ich konnte nicht sagen, was es war, was mich denken ließ ich würde diese Person kennen, aber mir gleichzeitig das Gefühl vermittelte, ich kannte sie noch nicht.
Die Person näherte sich und legte seine muskulöse Hand auf meine Wange.
Angst. Das war es, was ich als erstes spürte.
Wärme. Das war es, was mich als nächstes durchflutete.
»Wer bist du?« Diese Simulation war eine mir völlig neue Situation. Ich vergaß sogar für einen Moment, dass es sich nur um eine Illusion handelte.
Der junge Mann sah mich nur an. Seine tiefbraunen Augen bohrten ein Loch in mich. Diese Intensität, mit der er mich ansah. Ich verlor mich in den Augen.
Als ich wieder zur Fassung gekommen war, stellte sich heraus, dass wir nun auf einer kleinen Insel standen. So klein, dass man direkt ins Wasser fallen würde, wenn man sich auch nur bewegte.
»Wer bist du?« meine Stimme brachte nich rüber, wie ängstlich ich war. Jemand der einfach nur da steht und einen anstarrt, hat einen viel höheren Angstfaktor als man zunächst meinen könnte.
»Hör' auf mich so anzustarren.« Die Person zeigte mir ihr Lächeln, und ich verharrte. Dieses Lächeln, ich kannte es. Dieses Lächeln - dieses ein Mundwinkel nach oben ziehen Lachen, das war Valentins.
Und die Augen, diese tiefbraunen, dunklen, aber so anziehenden Augen - sie waren Cyrils.
Und diese großen, starken aber liebevollen Hände? Nun ja, diese hatten mich die letzten Wochen über getröstet - sie gehörten Stefane.
Vor mir stand also ein Gebilde, was sowohl Cyril, Valentin als auch Stefane verkörperte. Drei Jungs. Drei an der Zahl. Genau wie die Anzahl an Jungs, die im letzten Monat mir zugewiesen werden sollen. Und als hätte er meine Gedanken gehört, sprach er das erste Mal.
»Du weißt also wer ich bin?« Die Stmme wäre mir aber lieber ersparrt. Es war als sprächen drei Personen gleichzeitig. Und man könnte meinen, man fände das toll, allerdings war es das ganz und gar nicht.
Natürlich, es waren drei Männer, die mir mehr als nur zusprachen - wobei das bei den meisten in der Vegangenheit lag - aber ich wollte nicht alle drei. Das war doch krank. Was sollte das?
»Hab keine Angst.« Er kam näher und schaute mir tief in die Augen. Ohne Zweifel, das waren Cyrils Augen. Und ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung. Dort hatte er mir die Angst genommen. Doch dann lächelte er, und Valentin schoss in meine Gedanken. Mich plagten direkt tausend Schuldgefühle. Denn das war sein altes Lächeln. Und dank mir, gab es das nicht mehr. Als er mich dann noch berührte, war mein Selbstbild kaputt.
Die letzten Wochen lenkte ich mich ab. Erst waren es die Jungs, die mich bei den Dates nicht all' zu sehr genervt hatten. Aber irgendwann merkte ich, dass es so nicht richtig war. Ich hätte mich sonst dem Programm hingegeben. Das wollte ich nicht. Ich bemühte mich also wieder einen Jungen zu finden, der mich gefiel.
Die Antwort war vor meine Nase: Stefane. Er und ich hatten uns sehr gut angefreundet, und wir verstanden uns sehr gut. Deswegen war es wohl etwas unangebracht, als ich ihn eines Tages einfach küsste. Und dafür gab es viele Gründe: ich war immer noch nicht über Valentin hinweg (ich hatte Hoffnung, er würde wieder er selbst werden), und ja - vielleicht gab es auch ungeklärte Gefühle für Cyril und letztendlich war Sel nicht gerade abgetan von Stefane.
Doch Stefane schien kein Problem damit zu haben, seine kurze Jugend im Programm auszuleben. Ich war ja nicht die einzige die sich mit ihm traf. Es ging nie so weit, dass wir ein Bett teilten, aber es war schon wie ein Freundschaft Plus Paket. Als ich Sel davon erzählte, war sie nicht sauer, weil es mit ihm war, sondern sauer, dass ich mich zu solchen Dingen herab ließ, wie sie sagte. Ich wäre dabei zu werden wie Tony. Und sie hatte nicht Unrecht - der einzige Unterschied war, dass Tony es mit mehreren tat, während ich nur mit Stefane.
Denn obwohl ich ihn mochte, und ich auch angetan war von seinen Qualitäten als Liebhaber, war es nie mehr als ein kleiner Realitätsaustritt.
»Sei nicht ängstlich. Nicht ängstlich sein.«
»Ich habe keine Angst.«
Doch dann fiel mein Blick nach unten, und ich schrie kurz auf. Dann schaute ich zu ihm, bevor er mich an sich drückte. Das nahm mit nicht die Angst. Nicht sein Griff, nicht sein Lächeln, sondern erst seine Augen. Als ich ihn anschaute, vergaß ich die wilden Tiere am Boden, die nur durch eine Glasscheibe von uns getrennt waren. Ich sah ihn an, und wusste wieder, es war sowieso nicht echt. Es war nur ein Test.
»Hast du wirklich keine Angst?« Cyrils Stimme übertünchte die anderen beiden.
Ich schüttelte den Kopf.
»Das ist..«
Meine Augen öffneten sich und ich sah ein mir bekanntes Gesicht: Ty. Er stand neben meinem Bett und schaute zu mir runter. Es war der Blick, mit dem einen nur stolze Eltern anguckten.
Aber wieso war er stolz?
»Du hast es also gemerkt.«
»Natürlich, wie könnte ich das nicht?« Ich richtete mich auf, und löste die Schläuche von mir.
»Die meisten brauchen mehr als eine Sitzung. Die Ergebnisse für die Top3 kommen auch erst in drei Tagen. Normalerweise soll es eine Überraschung sein - man soll erst im Nachhinein merken, dass man die Person sehr wohl kannte.«
»Und inwiefern ist das jetzt gut?«
»Erhöht deine Chancen auf eine hohe Stellung.«
»Aber willst du nich dafür sorgen, dass -«
»Wir müssen auch den Fall bedenken, dass es nicht klappt, Zoe.«
In meinem Zimmer angekommen, wartete Stefane schon. Er saß auf meinem Bett und schaute sich ein Bild an. Es war das Bild, dass neben meinem Bett auf der Kommode stand. Meine ganze Familie war dort zu sehen.
»Ist Sebastian Hales dein Bruder?«
»Ja. Wieso?«
»Er betreut meine Simulationen.«
»Wirklich?«
»Ja.« Er stand auf und lächelt sein ich-bin-ein-Model-Lächeln. »Wirklich.«
Dann legt er seine Hände um meine Taille und küsst mich an meinem Nacken. Dabei fährt seine linke Hand in mein Gesicht. Sein Daumen liegt auf meiner Wange, und streichelt sie sanft. Dann schaut er mich an und lächelt erneut, diesmal ein aufrichtiges Lachen, und küsst mich auf den Mund.
Normalerweise wäre es genau das, was ich brauche, aber heute, nach dieser Simulation, fühlte ich mich nicht wohl hierbei.
»St-Stefane, bitte.«
Er schaute mich an, hob eine Braue und sah mich fragend an.
»Ich hatte gerade eine der seltsamsten Simulationen.«
»Die, wo drei Leute eine Person verkörpern?«
Nun war ich diejenige, die ihn fragend ansah.
»Du hast es gemerkt?«
»Natürlich. Ich merke doch, wenn jemand solch' schönen Lippen besitzt.«
Er legte seinen Daumen auf meine Lippen und küsste sie erneut. Diesmal ganz sanft.
»Wer waren die anderen beiden?«
»Eifersüchtig?«
Ich schlängelte mich an ihm vorbei und legte mich in mein Bett.
»Nein, wieso sollte ich?«
Er legte sich zu mir und hielt dabei meine Hand fest.
»Kennst du Alessa? Es waren definitiv ihre Augen. Und wie soll ich sagen, die Art und Weise, wie diese Person zu mir war, die Berührungen, das war definitv Liv, die müsstest du ja kennen.«
Ich sprach erstmal nicht. Stefane hatte es also ebenfalls durchschaut.
»Wer waren deine anderen beiden?« Diese Frage bohrte sich schnell in meine Ohren.
»Valentin. Und Cyril.«
»Wirklich?« Er fing wieder an meinen Nacken zu küssen, und ich hätte ihn bestimmt stoppen müssen, aber ich brauchte jetzt ein wenig Ablenkung. Also küsste ich ihn zurück und massierte mit meinen Händen seinen Nacken, weil ich wusste, dass ihm das gefällt. Und so kam eins zum anderen, und wir küssten uns und lenkten uns gegenseitig ab, bis jemand die Tür öffnete.
Ich sah zur Tür und war verwirrt. Es war nicht Isla, die durchaus Recht hatte in dieses Zimmer zu kommen, ohne zu klopfen oder sonst wie zu fragen, ob sie rein kann. Es war Valentin.
»Valentin?«
Er sah zu mir, und war mehr als verwirrt, als er mich mit Stefane sah.
»Können wir reden?«
»Jetzt? Du willst mit mir reden?«
Er schwieg mich an, sprach aber mit seinen Augen zu mir. Irgendwas bedrückte ihn. Und ich musste ihm die Chance geben, es mir zu sagen. Vielleicht war hier die Lösung all' meiner Probleme.
»Ich komme gleich wieder.« Ich ließ Stefane auf dem Bett sitzen und ging mit Valentin in den Flur.
»Ich wollte mich entschuldigen.«
Ich schwieg ihn an. Für mich war das definitiv nicht genug, um ihm zu verzeihen.
»Ich hätte anders umgehen sollen damit.«
»Womit?« Ich sah ihn nicht mehr direkt an. Ich konnte es einfach nicht.
»Dir sagen, dass es keinen Zweck hat.«
»Glaub mir, den hätte es gehabt.« Meine Simulation hatte es mir ja gezeigt, die Chanche stand eins zu zwei.
»Zoe, bitte, ich versuche mich zu entschuldigen. Ich kann doch nichts dafür, dass ich dich nicht mehr l-«
»Wirklich?« Meine Stimme wurde plötzlich ganz laut - so laut, dass uns der halbe Flur anstarrte.
»Natürlich nicht. Gefühle kann man nicht kontrollieren.«
Ich weiß, es war nicht seine Schuld, es wurde ihm angetan, aber wie blind war er?
»Findest du es nicht merkwürdig, dass du uns abgeschrieben hast, nachdem du einen Unfall hattest?«
»Warum machst du Anführungszeichen um Unfall?«
»Valentin, du bist doch ein intelligenter Junge, finde es selbst raus!«
»Was wollte er?«
Ich war wieder in meinem Zimmer, und Stefane lag dort immer noch auf meinem Bett.
»Sich entschuldigen.«
»Einfach so?«
Das war eine gute Frage. Was hatte ihn dazu gebracht, sich entschuldigen zu wollen?
»Ich weiß nicht, vielleicht. Vielleicht gibt es auch einen Grund, den ich aber nicht kenne.«
Stefane und ich hatten seit langem mal wieder ein ernstes Gespräch, welches mir aufzeigte, dass nicht nur ich Probleme habe. Und meine Probleme vielleicht auch gar nicht so ernst waren, wie die anderer.
»Mein Bruder, Mael, er ist anders als Jungs in seinem Alter. Er ist zu schnell erwachsen geworden. Sorgen machen - das ist sein Ding. Jetzt, da ich in dem Programm bin, meint er Geld verdienen zu müssen.. Er hat mit dem Modeln angefangen. Das ist ja nichts schlechtes, würde man meinen, aber in Wahrheit sieht es anders aus.«
»Wie meinst du das?«
»Es geht darum gut auszusehen, dafür muss man viel tun. Ich durfte nicht essen was ich wollte, und nie machen was ich wollte. Entweder es war zu gefährlich, es hieß ich könne mir ja mein schönes Gesicht verletzen oder es war nicht gut für mein Image.«
»Weiß man das denn nicht vorher?«
»Schon, aber es war viel schlimmer, Zoe. Für mich gottseidank nicht, aber andere hat es schlimmer getroffen. Du kennst doch Nevada?« Ich nickte. »Sie war ja Schauspielerin und Model. Vielleicht war das der Fehler, aber sie wurde oft erpresst für Rollen. Da ihre Mutter auch nicht mehr so viele Angebote wahrnehmen kann, da sie sich mehr um Drogen scherrt, musste sie die guten Rollen bekommen. Die großen Leute wussten das, und ließen sich mit ihr ein.«
Für einen kurzen Moment sagte keiner etwas, aber ich verstand was er befürchtete.
»Für sie muss es so schwer sein, Zoe. Das alles hier, das ist ja nicht so sehr anders. Wenn ich könnte, würde ich es ändern. Das hier bietet viel zu vielen perversen Leuten die Gelegenheit zu tun und zu lassen was sie wollen. Selbst hier haben die höheren Leute bestimmt kein Problem, dem ein oder anderen Mädchen was vorzulügen, von wegen er könne ihnen helfen, wenn sie nur..«
Ich küsste ihn. Diesmal war es ganz sanft und auch kurz, aber ich wusste, dass er das brauchte. Er brauchte diese Ablenkung. Nicht nur ich sah in uns eine Zuflucht.
Er lächelte mich stumm an und legte mich dann sanft hin, streichelte mir dabei über meine Wange und gab mir einen liebevollen, warmen und einfach unbeschreiblichen Kuss.
Meine Hand massierte seinen Nacken, meine Beine umschlungen seinen Rücken und drückten ihn ganz nah an mich.
Vorsichtig küsste er meinen Nacken. Erst ganz unschuldig, aber mit jedem Kuss spürte ich, er wollte mehr. Und die Art und Weise wie er mich küsste - ich wusste, ich wollte auch mehr. Ich ließ meine Hände nach unten gleiten und zog ihm sein Shirt aus.
»Wow.« Für einen Moment war ich vor Respekt erstarrt. Sein Körper war makellos. Nicht, dass er sonst irgendwelche Makel hätte, aber diese Perfektion hatte ich nicht erwartet. Irgendwo musste doch auch er einen Makel haben.
»Shh..« Er hob mein Oberteil an und küsste meinen Bauch. Für einen Moment wollte ich aufhören, hatte ich Angst ich war nicht perfekt genug, aber wie immer ließ er mich vergessen. Er wusste genau mit welchem Kuss er an welcher Stelle welches Problem zu lösen hatte. Und es gefiel mir.
Seine Hand lag nun auf meiner Brust, und für einen Moment war es unangenehm, aber als er diese dann auch küsste, gab es kein Problem mehr. Und ehe ich mich versah, hatte ich obenrum auch nur noch den BH an.
»Wunderschön.« Ich hatte es fast nicht gehört, aber er wiederholte es so oft, dass ich es irgendwann hören musste. Ich küsste ihn auf den Mund und war endlch bereit für mehr. Aber die Frage war, war er es?
»Stefane?«
»Ja?« Seine Lippen ließen nicht von mir, und es kitzelte, während er sprach.
»Bist du s-«
Er stand auf, und für einen kurzen Moment war ich gekränkt, aber schnell sah ich was er getan hatte.
»Abschließen wäre vielleicht ganz gut.«
Mit einem breiten Grinsen legte er sich erneut auf mich, und es dauerte nicht lang, bis es dann doch passiert war. Bis wir beide uns näher waren als all' die Male davor.
Später am Abend ging ich zu Selena. Ich wollte wissen, ob sie ihre Simulation auch entschlüsselt hatte.
»Ist dir aufgefallen, was bei der Simulation los war?«
»Ich hatte da so eine Vermutung, aber ich war mir nicht sicher.«
»Also hast du es auch gemerkt.« Ich war glücklich darüber, Sel brauchte eine gute Bewertung. Man konnte ja nie wissen, wie Ty's Plan ausgehen würde.
»Ja. Es war seltsam, irgendwie schon gruselig.«
»Nur? Es war angsteinflößend.«
»Wer war es bei dir, Zoe?«
»Dein Bruder.« Sels Augen wurden ganz groß. »Stefane und Cyril.«
»Du hast ja nur attraktive Gestalten abbekommen. Du Glückliche.«
»Wieso, wer war es bei dir?«
»Nic. Es war tatsächlich Nic. Und ich war wirklich in der Lage das festzustellen.«
»Ehrlich gesagt, wäre er doch keine schlechte Wahl.«
»Er ist auch nicht mein Problem. Eigentlich wäre er wahrscheinlich die beste Wahl.«
»Also ist Tony nicht dabei?«
»Doch. Aber ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass ich ihm sein Verhalten jemals verzeihen könnte. Liebe sollte in der Lage sein Ängste zu überwinden. Und sie sollte so stark sein, dass nichts sie brechen kann.«
Das sackte. Ich stellte mir plötzlich die Frage, ob ich Valentin mehr oder weniger abgewimmelt habe, weil ich ihm das nicht verzeihen konnte. Hätte er mich geliebt, so wie es schien, hätte er nicht in der Lage sein sollen sich neu in mich zu verlieben? Oder sich trotzdem erinnern, trotzdem das selbe fühlen?
»Ich verstehe das.«
»Der andere Typ ist noch besser. Er heißt Ben. Ich hatte mit ihm zwei oder drei Verabredungen. Er hat null Interesse gezeigt. Ich hab ihm auch eine schlechte Bewertung gegeben. Ich verstehe das gar nicht.«
»Weißt du denn auch, was diese drei Leute bedeuten?«
»Natürlich, ich kann eins und eins zusammenzählen.« Sel lachte und warf ein Kissen auf mich. »Nicht nur du bist schlau genug, Zoe.«
»Und was kam bei Gina raus?«
Sels Blick senkte sich, und sie zeigte Mitgefühl. Und ich hatte mir schon halb gedacht, was das zu heißen hatte. Und ich fühlte mich schon schlecht und schuldig, bevor sie es ausgesprochen hatte.
»Elias ist nicht dabei. Dafür auch Nic, und auch Tony und ein seltsamer Lewis.«
Lewis? Na, toll. Ich hoffte auf Tony oder Nic, wobei das wiederum rausfiel, wegen Selena.
»Das schlimmste war, dass ich es ihr gesagt habe, Zoe. Sie hatte es erkannt, aber nicht verstanden. Gina, die schlauste von uns allen, hat nicht gemerkt was das war, wer das war, ich musste es im Prinzip aus ihr raus fischen.«
Es war unangenehm, es war irgendwie seltsam mit ihm dort zu sitzen.
»Was willst du?«
»Ich muss mit dir reden, es muss einfach sein.«
Er nahm meine Hand, aber er schien nicht zu merken, dass es unangebracht war. Erst als ich meine Hand wegzog, merkte er es. Was mich wunderte, er sah verletzt aus.
Warum es mich wunderte? Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass er mich gelernt hatte zu hassen. Das Problem war, ich hatte das nicht. Ich konnte ihn nicht hassen. Er war dafür zu schön. Es war so ein guter Mensch, so ein unglaublich schöner Mensch. Schön nicht im Sinne von attraktiv, dass war er auch, aber schön in seinem Wesen.
Ich nahm also diesmal seine Hand und drückte sie ganz fest. Er wollte es nicht, aber ein kleines Schmunzeln war auf seinem Gesicht zu erkennen. Und auch ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht schoss.
Zwischen uns war es seltsam, aber dennoch schön. Es fühlte sich so richtig an. So gut.
»Ich bin froh, dass wir mal wieder ein Date zusammen haben.«
Ich wollte nur zuhören, ich wollte nichts sagen. Ich verstand ihn nämlich nicht immer, er war ein Geheimnis. Und ich konnte so ziemlich jeden Menschen lesen, aber er war ein Rätsel.
»Es ist komisch, aber du hast mir gefehlt. Die ganzen letzten Wochen ohne dich, ich..«
Er hörte auf zu reden und sah mich mit seinen tiefbraunen Augen an. Die Augen die mir mehr Sicherheit gegeben hatten, als alles andere jemals zuvor.
Wie konnte ein Mensch mir nur so viel geben, ohne dass ich ihn zuordnen konnte? Ohne dass ich wissen konnte, wer er war, wie er war in seiner Gänze? Wie war das möglich?
»Ich bin froh, dass du in meiner Top 3 dabei bist.«
Nun war sie also offiziell, und ich hatte meine erste Verabredung. Nicht mit Valentin, nicht mit Stefane, aber mit Cyril, dem ich lange aus dem Weg gegangen war. Und erst in dem Moment in den ich ihn gesehen hatte, wusste ich, dass er mir mehr gefehlt hat, als mir vielleicht lieb war.
Auch hatte ich Angst, dass er es anders emfpunden hat, aber wir konnten es nicht leugnen, zwischen uns gab es etwas. Zwischen und wütete ein Feuer, und es war gewachsen.
Das Problem war nur, dass ich mittlerweile verwirrende Gefühle für Stefane hatte. Gefühle, die ich nicht zuordnen konnte. Sie war gleich, aber dennoch anders. Und ich konnte nicht sagen, für wen sie stärker waren.
Cyril war immer stark, immer hart - gegenüber anderen, aber mit mir war er so liebevoll, das gab mir nicht nur Sicherheit, sondern auch das Gefühl, ich sei was ganz besonderes.
Leider war dies nicht wie unser Date tatsächlich ablief. So war es in meinem Kopf gewesen. In echt lief es anders, er war abweisender, hatte eine härtere Schale um seinen so weichen Kern bekommen.
»Also..« Ich brach das Schweigen.
Wir saßen in dem üblichen Restaurant wie immer, dabei hätte Cyril ab heute eine eigene Location wählen können. Wahrscheinlich hatte er dafür keinen Anlass gesehen.
Das Schweigen hielt an, bis der Kellner kam und unsere Bestellung entgegennahm. Danach sprachen wir wieder kein Wort, schauten uns nicht einmal an. Es war irgendwie seltsam, einfach falsch.
Er konnte sagen und machen was er wollte, ich wusste ganz genau, dass er was für mich übrig hat. Und ich musste mir auch selbst eingestehen, dass ich Gefallen an ihm gefunden habe. Zu meinem Erstaunen nicht nur für ihn. Auch Stefane hat mir in den letzten Tagen ein paar Minuten bereitet, wo ich mich erwischt habe über ihn auf eine neue Art und Weise zu denken.
»Können wir bitte über irgendwas reden? Das-«
»Worüber sollen wir denn reden?« Seine Stimme klang vertraut, sie war schön tief und trug ein kleines Kratzen nach sich. Allerdings klang sein Ton um einiges abweisender und kühler als sowieso schon.
Vielleicht hatte ich ihn tatsächlich gekränkt, ihm wirklich wehgetan. Meine Eltern waren zwar nicht mehr hier, aber ich hatte gelernt, mich angemessen und gut zu benehmen. Ich wusste ich musste mich entschuldigen.
»Es tut mir leid, wie ich mit dir umgegangen bin. Ich wollte dir nie wehtun. Ob ich es will oder nicht, ich mag dich, Cyril. Ich will nicht, dass es so seltsam zwischen uns ist.«
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er überhaupt seine Lippen bewegte. Noch länger dauerte es, bis er etwas sagte. Aber ich war umso dankbarer, dass er es tat.
»Wer sagt denn, dass ich verletzt bin?« Eines seiner schiefen, aber typischen Cyril Lachen kam zum Vorschein. Für einen Moment, wollte ich weinen, weil ich so glücklich war, stattdessen entschied ich mich dafür, zu lachen.
»Und das hier ist also ein Date, für das du viele Punkte haben willst?«
»Ich dachte es wäre schön hier, weil keiner sonst hier sein würde. Und damit hatte ich ja nicht Unrecht.«
Er hatte wirklich Recht. Es war mir noch gar nicht aufgefallen, aber wir waren die einzigen Gäste im gesamten Restaurant. Es hatte durchaus seinen Charme.
»Sag mal, Cyril, wer gehört zu deinen Top 3?«
»Das wird dir nicht gefallen. Alessa, Phoebe und du - aber das wusstest du ja bereits, nicht?«
»Dann hast du dich ja diesmal gut geschlagen.«
»Kann man so sagen.« Er greift nach meiner Hand und streichelt sie vorsichtig. Ich gebe es nicht gerne zu, aber es hat mir gefehlt. Seine sanften Berührungen haben mir gefehlt. Ein Teil von mir hat sich gewünscht, dass wir uns näher kommen, aber ein anderer Teil wusste, dass es nicht richtig gewesen wäre. Ich konnte ihm nicht das selbe antun, wofür ich mich gerade erst entschuldigt hatte.
»Ich will wirklich nicht aufdringlich wirken, Zoe, aber wer ist in deiner Top 3?«
»Du, Stefane und Valentin.« Diese drei Worte verlassen meine Lippen nur zaghaft, aber sie kommen an.«
»Ich verstehe. Man erzählt, dass Stefane und du..«
Ich nicke - wieder nur zaghaft und weiche ihm mit meinem Blick aus. Wahrscheinlich tut ihm das genauso weh.
»Ist es was ernstes? Oder?« Er weiß, dass er manche Dinge nicht laut äußern kann, aber ich verstehe seine Frage. Ist die Sache mit Stefane etwas, dass existiert, weil ich es will, oder weil es schlauer ist, sich dem Programm so hinzugeben, wie es von mir erwartet wird? Das Seltsame ist, diese Frage hätte ich mir längst selbst stellen müssen, habe es aber nie.
»Ich mag Stefane. Ich weiß nicht wie weit meine Gefühle reichen.«
»Danke, dass du ehrlich mit mir bist.« Dennoch lässt er meine Hand los, und wirkt wieder ein wenig distanzierter als zu Beginn. Vielleicht hätte ich lügen sollen, aber es von mir zu erfahren ist eindeutig besser.
»Und wie stehst du zu Alessa und Phoebe?«
»Du kennst mich. Ich bin eher distanziert, als offen und..«
»Du kannst auch anders.« Uns beiden entweicht ein kurzes und vorsichtiges Lachen.
»Ich denke du verstehst mich.«
Natürlich tue ich das. Cyril ist nunmal kein Womanizer, er geht alles sehr langsam und durchdacht an, bis er vor Emotionen und Gefühlen explodiert. Anscheinend hat weder Alessa, noch Phoebe das nötige Etwas um dies bei ihm auszulösen, und das erfüllt mich durchaus mit Glück.
Nachdem wir gegessen haben, begleitet mich Cyril zur Tür. Wir stehen eine ganze Weile schweigend an der Türschwelle und schauen uns in die Augen. Wir wissen beide, was wir wollen, und wir wissen beide, dass es dumm wäre sich dem hinzugeben. Deshalb schweigen wir, keiner traut sich etwas zu tun oder zu sagen.
Nach einer Weile legt er dann seine Hand auf meine Wänge und streichelt sie. Seine andere Hand legt er auf meine Hüfte und drückt mich fest an sich. Ich genieße den Moment, bevor ich es rational überdenke.
»Du wolltest das nicht. Nicht so.«
Ich versuche seinen Griff zu lösen, allerdings schüttelt er nur seinen Kopf und lehnt sich nach vorne und küsst mich. Seine Lippen sind ein wenig rau, und schmecken nach süßer Limo. Aber das stört mich nicht, ich versuche so viel aus diesem Moment zu erhaschen, wie nur möglich. Ich fürchte, dass es unser letzter Kuss sein könnte. Und für den Fall das, möchte ich ihn abspeichern.
Langsam löst sich unsere innige Umarmung und er schaut zu mir runter und strahlt über beide Ohren. Ich habe ihn selten so glücklich gesehen - mit so einem breiten Grinsen. Mir fällt das erste Mal auf, was für strahlendweiße Zähne er doch besitzt. Na toll, als gäbe es nicht schon genug Gründe ihm zu verfallen.
»Wir sehen uns.«
Am nächsten Morgen lief ich zu Sel ins Zimmer um mit ihr über alles zu reden. Ich klopfte also an ihrer Tür und wartete.
»Zoe. Guten Morgen.«
»Guten Morgen. Lass uns zusammen frühstücken und über gestern reden.«
Sie nickt kurz und streift sich eine Strickjacke über, und folgt mir in die Cafeteria. Sie ist ungewöhnlich leise für ihre Verhältnisse. Ich frage mich, was bei ihr gestern los war. Und wer war nochmal ihr erstes Date? War es Nic? Es muss Nic gewesen sein.
»Also, jetzt wo wir sitzen, erzähl' mir alles.«
»Ich habe mich noch nie so sehr geschämt in meinem Leben.«
Geschämt? Wieso Scham? Was ist denn passiert? Plötzlich fixiert sich Sels Blick auf die Tür und ihre Augen sind auf einmal ganz weit aufgerissen. Ich drehe mich zur Tür und sehe Nic. Er sieht Sel erst nicht, als sein Blick auf sie fällt, verzieht er eine Miene. Dann dreht er sich um und verlässt den Saal. Ich schaue verwirrt zu Sel, die ihm verletzt hinterherschaut.
»Das musst du sofort erklären!«
»Er hat mich gestern aufs Dach eingeladen. Wir haben geredet, etwas gegessen, und ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist, aber ich habe ihn geküsst. Aus dem Kuss hat sich dann das eine entwickelt, daraus wieder das andere. Irgendwann waren wir in meinem Zimmer. Da sollte immerhin keiner sein, stimmt's? Wir waren also dort, und es sind halt gewisse Dinge abgelaufen. Aufeinmal hören wir wie die Tür aufgeht und Gina steht dort. Allerdings ist sie nicht alleine. Tony ist auch bei ihr.«
»W-wieso sind die b-«
»Gina ging es nicht gut, da wollte sie Tony ins Zimmer begleiten.«
»Und was ist dann passiert?«
»Tony war erst ganz leise, hat nur auf uns gestarrt, dann hat er mich gefragt, was bei mir im Kopf so abgeht. Und ich habe ihn nicht verstanden, immerhin hat er auch seinen Spaß, man hört so Dinge ja..«
»Und warum ist Nic eben so rausgestürmt?«
»Tony hat mich gefragt, was ich mir bei ihm gedacht habe. Und hat mir vorgeworfen, dass das schon länger geht. Er hat Nic wirklich fertig gemacht, hat ihn sogar halbnackt auf den Flur geschickt und ich habe nichts dagegen getan. Er muss wohl denken, ich teile Tonys Meinung.«
»Vielleicht solltest du dann mit ihm darüber reden? Ich kann auch mitkommen. Es gibt auch eine Sache, die ich mit Stefane klären muss.«
Wir klopfen also an die Tür und warten. Stefane öffnet uns die Tür und nimmt mich in den Arm.
»Hey. Ich hab dich gestern vermisst.« Dann gibt er mir einen Kuss auf die Stirn.
»Sel muss mit Nic reden, ist er hier?«
»Ja, ich bin hier.« Ein aufgewühlter Nic sitzt auf seiner Bettkante und schaut zu uns hoch. Erst jetzt bemerke ich sein blaues Auge.
»Hat Tony ihn geschlagen?«
Nic schaut beschämt zu Boden, und ich merke, dass ich Sel ab jetzt das reden überlasen sollte. Ich ziehe Stefane mit mir vor die Tür und schließe sie. Dann halte ich mein Ohr an die Tür um zu lauschen. Neugier ist und bleibt einer meiner Schwächen, dafür werde ich mich auch nicht schämen.
»Ich wollte mich entschuldigen.«
»Wofür? Dass du so dumm warst, und dich auf mich eingelassen hast?«
»Sag sowas nicht. Tony ist eifersüchtig, er weiß nicht was er sagt. Und ich teile seine Meinung nicht.«
»Sicher? Das kam gestern nicht so rüber.«
»Das tut mir wirklich leid, Nic. Du solltest selbst wissen, dass du ein einzigartiger Junge bist. Jemand, der so freundlich und zuvorkommend ist wie du, der hat was besseres verdient als mich.«
»Du brauchst nicht lügen. Wir wissen alle, dass du Tony liebst. Er sieht ja auch besser aus als ich, ist älter und erfahrener und«
»Wieso sollte ich lügen?«
»Falls du mich als Ehemann zugewiesen bekommst, sollten wir uns verstehen, da kannst du es nicht gebrauchen, wenn ich dich hasse.«
»Ich habe mich gestern dazu entschieden dich zu küssen, weil ich es so wollte. Nicht, weil wir es irgendwann vielleicht müssten.«
Ich kann nichts mehr verstehen, und wende mich nun an Stefane. Er steht gegenüber von mir und lehnt sich an eine Wand. Er hat nicht gelauscht. Dafür hat er meinen Respekt, aber sowas könnte ich mir nicht nicht anhören. Meine Neugier wird mich eines Tages bestimmt in den Tod reiten, aber heute ist nicht dieser Tag.
»Ich wollte auch mit dir reden.«
»Wirklich?«
»Können wir dafür vielleicht woanders hin?«
Wir sitzen auf einer Bank im Garten. Es ist lange her, dass ich an der frischen Luft war. Deshalb überwältigt mich die Frische und ich brauche ein wenig, bis ich mich im Garten zurecht finden kann.
»Ich wollte fragen, was das zwischen uns eigentlich ist.«
Er nimmt meine Hand und massiert sie sanft. Ich kann spüren, wie sein Herz pocht - immer ein bisschen schneller. Dann dreht er sich zu mir und schenkt mir ein vorsichtiges Lächeln.
»Darüber denke ich schon länger nach. Ich glaube es ist mir erst seit ein paar Tagen bewusst.« Ich spüre, wie sich ein Lächeln in meinem Gesicht breit macht. Als er es merkt, folgt auch eins in seinem Gesicht. Ich lege meine Hand auf seine Gesicht und mustere ihn. Wenn man ihn so anschaut, kann man gar nicht glauben, dass er tatsächlich ein Mensch sein soll wie jeder andere. Sein Gesicht ist pure Perfektion - und entgegen aller meiner Erwartungen strahlt er diese Perfektin auch von innen heraus.
»Ich glaube ich mag dich ein wenig zu sehr, Zoe Hales.«
»Du bedeutest mir auch mehr, als ich vorhatte.«
Er lehnt sich zu mir und küsst mich. Seine Lippen sind weich, aber kalt. Genau wie die Luft, zaubert er Frische in mein Leben. Ich brauche wieder ein wenig, bis ich damit umgehen kann, aber dann fühlt sich alles so vertraut an, dass ich es nicht glauben kann. Ich küsse ihn immer wieder und fühle mich frei. Aber dann kommt mir das Gesicht in den Kopf, mit dem ich sonst Sicherheit und Freiheit verbunden habe: Cyril.
Ich höre auf Stefane zu küssen und schaue ihn nochmal an. Ich fühle mich immernoch sicher, aber Cyril ist immernoch anwesend in Kopf und Herz. Ich komme mir so fremd vor - gleich zwei Jungen schwirren in meinem Kopf, und keiner davon ist der Junge, der vor ein paar Wochen noch mein Freund gewesen ist.
»Ist alles in Ordnung?«
»Ich muss dir da was sagen, aber ich weiß nicht wie ich es richtig rüber bringen soll. Ich weiß vor allem selbst nicht, was alles zu bedeuten hat.«
»Geht es um Cyril?«
»Stefane.. Woher..?«
»Ich wollte gestern noch zu dir, da habe ich euch gesehen. Ich weiß, dass das alles hier nicht einfach ist. Ich bin dir wirklich nicht böse.«
»Aber ich komme mir so schlecht vor. Ich bin..«
»Das bist du nicht. Du bist ein ganz normales Mädchen.«
»Wie kannst du nur so ein guter Mensch sein? Solltest du nicht ein wenig sauer sein?«
»Wäre das nicht ein wenig heuchlerisch? Du bist nicht die einzige, die etwas verwirrt ist.«
Es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass es nicht nur mir so geht. Immerhin verbringt man viel Zeit mit vielen verschiedenen Leuten - und einem wird eingeredet, dass es okay ist, ein bisschen zu experimentieren. Ein wenig offener zu sein als sonst. Wirklich einfach tut sich damit anscheinend trotzdem keiner.
»Bitte sag mir, dass es nicht Liv ist.«
»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie sie in meine Top 3 geraten ist. Ich kenne sie kaum.«
»Also ist es Alessa? Oder jemand außerhalb deiner Top 3?«
»Es ist Alessa. Wir kennen uns schon länger, und man hat viel gemeinsam..«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie ist.«
»Ihr würdet euch gut verstehen, ihr seid euch in vielen Dingen ähnlich.«
»Das würde erklären, warum sie auch bei Cyril in der näheren Auswahl ist.«
»Du brauchst dich wirklich nicht schlecht fühlen. Wir sollten uns beide mit unserer Top 3 anfreunden, immerhin können wir nicht viel daran ändern, was kommt.«
Dieser Satz bleibt lange Zeit in meinem Gedächtnis. So lange, bis es an der Tür klopft und ich Valentin die Tür öffne. Er ist lässig angezogen. Er trägt eine dunkle Jeans, ein dunkelrotes Oberteil und weiße Schuhe. Ich hingegen trage ein Kleid.
»Sollte ich mich umziehen?«
»Das wäre besser, ich warte dann-«
»Komm, du kannst komisch sein wie du willst, du hast alles schon gesehen.«
Ich schlage die Tür zu, ziehe das Kleid aus und hänge es an den Kleiderbügel. Dann ziehe ich eine helle Jeans an, dazu streife ich mir dann ein hellblaues Oberteil über und ziehe meine einzigen sauberen Turnschuhe an.
»Gut so?«
Valentins Blick mustert mich, und er trägt für einen kurzen Moment das Lachen, was ich so vermisst habe.
»Das sieht gut aus.«
»Dann können wir ja los.«
»Zoe, ich will mich wirklich bei dir entschuldigen.«
»Nein, ich will mich entschuldigen. Du kannst nichts dafür, was passiert ist.«
Ich laufe zur Tür und will raus, doch er sitzt immer noch auf meinem Bett und starrt an die Decke.
»Was ist los?« Ich schließe die Tür vorsichtig und setze mich neben ihn.
»Ich habe geträumt von uns. Wie wir auf einer Veranda sitzen - wir waren vierzig Jahre älter und sahen glücklich aus. Und das kam mir so bekannt vor, also habe ich mein Zimmer durchsucht, und das gefunden.«
Er reicht mir ein kleines Notizbuch. Ich öffne es und lese Gedichte über Gedichte, die von mir handeln. Sie handeln davon, wie sehr er mich schätzt, was er schätzt und wie er hofft, dass dieses Gefühl auf ewig andauern wird. Dann folgen ein paar Zeichnungen - ich weiß nicht ob ich das dartsellen soll, aber sie haben was. Sie spiegeln Verlangen wieder, aber auch Zuversicht.
»Wieso zeigst du mir das?«
»Du musst dir die letzte Seite angucken.« Er schaut mich das erste Mal seit Minuten an. Seine Augen sind wässrig, und ich weiß, dass auf der Seite etwas enorm wichtiges stehen muss, nur was?
»Ließ es laut vor. Ich muss es nochmal hören.«
»Vergiss nie, warum du liebst. Vergiss noch weniger, wen du liebst. Vergiss nicht in der Unendlichkeit der Emotionen, wie du liebst. Liebe reicht über alles, sie geht über alles. Sie muss nicht ewig dauern, um wahrhaftig zu sein, aber sie muss ewig dauern, um einzigartig zu sein. Meine Liebe soll beides sein - wahrhaftig und einzigartig. Meine Liebe geht an das goldene Mädchen, welches mir das wen, wie und warum erleichtert. Die Antwort ist ganz einfach: ich liebe Zoe Hales, hier und jetzt, genau wie dort und morgen, und nicht weniger als da und gestern. Die Gründe sind folgende: Liebe hat keine Gründe, die man spricht, sie hat Gründe, die man fühlt. Und ich fühle Zoe Hales, ich fühle so sehr, dass ich Angst habe, ich fühle nie wieder etwas anderes. Meine wahrhafte Liebe soll einzigartig sein - aber wahrhaftig bleiben, genau wie Zoe einzigartig und wahrhaftig ist.«
Ich erinnere mich an einen Valentin zurück, der aus den Träumen jedes Mädchens entsprungen ist. An einen Valentin, der mich zu seinem Traum erklärt hat. Doch im selben Moment, denke ich an den Valentin, der mich zu seinem Albtraum erklärt hat.
Ich habe nich gemerkt, dass ich weine, aber meine Tränen fließen wie die Gewässer eines Bachs. Und auch Valentin weint, aber so wirkich verstehen, was ihm das gezeigt haben soll, weiß ich nicht.
»Ich bin nicht mehr dieser Junge, ich bin nicht mehr ich. Und ich verstehe mich nicht. Ich will wieder dieser Junge sein. Der Junge, der lieben konnte, der daran geglaubt hat. So etwas kann doch nicht einfach weg sein, das kann nicht sein.«
Ich würde ihm gerne sagen, dass alles viel einfacher gewesen wäre, wenn er geblieben wäre, wie er war, aber inwiefern würde ihm das helfen? Er ist ein anderer Valentin. Dass er dies jetzt auch weiß, ändert nichts.
»Ich weiß, dass irgendwas schief gelaufen ist. Ich weiß, dass mit mir etwas passiert ist. Hilf mir bitte der Alte zu werden. Du kannst mir doch bestimmt helfen.«
»Wenn ich könnte, würde ich sofort. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr du mir fehlst. Aber ich fürchte, ich kann dir nicht helfen. Ich konnte es nicht verhindern, das war mein Fehler, den ich mir nicht verzeihen werde. Dass ich es nicht in Ordnung bringen kann, verzeihe ich mir auch nicht, aber das ist keiner meiner Fehler.«
Er weint nun wie ein kleines Kind, und mein Herz zerbricht dabei ihn so zu sehen, aber ich kann ihm nicht helfen. Keiner kann ihm jetzt noch helfen. Was auch immer geschehen ist, ist geschehen. Das einzige was ich tun kann, ist für ihn da zu sein. Also lege ich meine Arme um ihm und drücke ihn fest an mich. Für einen Moment, glaube ich, dass er so zurück kommen wird, allerdings weiß ich, das es aussichtslos ist.
»Ich werde dich trotzdem immer im Herzen haben, auch wenn du mich hasst.«
»Ich hasse dich nicht. Ich hasse mich, dass ich dich nicht mehr lieben kann. All' diese Gedichte, alles was dich ausmacht, was mir gefallen hat, was mir immer noch gefallen sollte, es ruft nichts. Ich fühle mich wie eine kaputte Kamera. Ich kann Bilder machen, aber ich kann sie nicht speichern. Ich habe so viel gelesen, darüber wie ich mit dir ein Leben führen wollte, wie du alles und mehr warst für mich, und dabei fühle nichts. Da ist doch irgendas kaputt.« Er fasst sich an den Kopf und zieht an seinen Haaren. Er rauft sie sich, als er schreit und weint. »Mach, dass alles wieder in Ordnung ist! Ich will doch nur was fühlen! Ich will mich erinnern, wie es war!«
Sie haben ihn gebrochen, und alles nur, weil er mich geliebt hat und mir etwas Gutes tun wollte. Ich will alles um mich herum kaputt schlagen, will allen, die das Programm unterstützen meine Faust ins Gesicht rammen. Sie sollen leiden, so wie wir alle gelitten haben und leiden werden.
Doch genau die Leute stehen plötzlich im Zimmer und wollen Valentin einsammeln. Doch diesmal werde ich es nicht zulassen. Positiv oder negativ auffallen, mir ist alles egal.
»Sie können ihn nicht mitnehmen. Ich lasse das nicht zu!«
»Bitte treten Sie zur Seite, junge Dame. Der junge Herr muss sofort in medizinische Obhut.«
»Holen sie meinen Bruder, ich will ihn nicht alleine lassen.«
Es braucht einige Versuche, bis sie Ty in das Zimmer schicken. Er wiederum schickt alle raus.
»Es tut mir so leid, das ist alles meine Schuld, Valentin.«
»Wie ist das deine Schuld?«
»Ich hätte es verhindern können. Ich hätte..«
Ty hockt sich vor Valentin hin und sieht sich das Häufchen Ehlend an, das von ihm übrig ist.
»Sebastian, kannst du mir nicht helfen?«
»Dazu müsste ich wissen, was genau wie getan wurde. Ich werde mein bestes tun. Versprochen.«
»Ty, es ist nicht deine Schuld, ich hoffe du weißt das. Aber vielen Dank, dass du an einer Lösung arbeitest!«
»Nachdem was heute vorgefallen ist, muss ich das. Es liegt nicht nur dir etwas an ihm.«
Sollte ich Selena erzählen, was mit Valentin gestern los war? Und, wenn ja, musste ich ihr dann auch erzählen, was mein Bruder vor hat? Inwiefern soll ich sie daran beteilgen? Würe es ihr nicht unnötig Kummer bereiten?
»Willst du mir nicht mal langsam sagen, weshalb gestern Offizielle in unserem Zimmer waren?«
»Nein, danke.«
Isla schien mir zu Beginn wirklich ein nettes Mädchen zu sein, allerdings hatte Sel Recht. Sie war nicht die, die sie zu sein schien. Sie war ein Biest. Und ihr Umgang mit mir ist auch immer schlechter geworden, also habe ich mich dem angepasst.
»Ich erinnere dich noch mal gern daran, dass das hier mein und dein Zimmer ist.«
»Isla, bitte, ich habe gerade andere Probleme als deine Neugier.«
»Weißt du, alle mögen denken, du bist klein und unschuldig, aber ich weiß es be-«
»Du willst mir etwas von falschem Image sagen?«
Ich konnte es nicht glauben. Immerhin hat sie sich erst als meine Freundin aufgespielt, und dann dabei geholfen, dass ich Valentin für immer verliere. Inwiefern macht mich meine Reaktion darauf, zu einem schlechten Menschen? Das muss mir jemand erklären.
Bevor ich zu Selena ging, hielt ich bei Valentins Zimmer und klopfte. Es dauerte ein wenig, bis Valentin schließlich die Tür öffnete und mich das erste Mal seit Wochen anlächelte. Sein makelloses Lächeln tat es mir immer an, diesmal war ich einfach nur froh. Wenn er einen Grund zum Lachen gefunden hatte, konnte alles nur gut werden. Hat mein Bruder bereits erste Erfolge erziehlt? Wie?
»Ich kann mich erinnern.«
Er sieht mich mit großen Augen an und dann setzen wir uns zusammen auf den Boden. Es fühlt sich ein wenig an wie früher, auch wenn ich mir selbst verbiete dorthin zurückzugehen. Was der Grund für das Verbot meinerseits ist? Das weiß ich noch nicht so genau, aber irgendwas sagt mir, es wäre eine sehr schlechte Idee.
»Es ist nicht viel, aber ich erinnere mich an uns.«
Er greift nach meiner Hand und streichelt sie sanft. Für einen Moment halte ich inne, doch dann kann ich nicht anders als seine Hand wegzuschlagen. Sein Lächeln zerbricht.
»Tut mir leid, aber ich..«
»Dir tut es leid? Mir tut es leid, ich habe so viel falsch gemacht.«
»Du weißt nicht wieder.. oder doch?«
»Ich bin schuld, dass man mir das angetan hat, Zoe. Ich habe unüberlegt handeln wollen. Eigentlich habe ich es sogar getan. Ich habe Leuten Vertrauen geschenkt, denen ich keines hätte schenken dürfen.«
»Sei nicht so. Es war alles ein dummer Zufall. Ich weiß zu schätzen was du für uns tun wolltest.«
»Aber?«
»Die letzten Wochen waren für mich sehr hart. Du hast mich nicht gerade sehr nett behandelt. Das kann und will ich nicht so einfach vergessen.«
Für eine kurze Zeit herscht Schweigen, doch dann bricht er es schnell.
»Dein Bruder ist ein Genie. Er hat mithilfe von Hirnstimulation und Hypnose so viel aus mir heraus gekitzelt, das ist unglaublich.«
»Er ist ein wirklich toller Bruder, ich weiß. Ich weiß nicht wie mein Leben verlaufen wäre ohne ihn an meiner Seite. Das selbe gilt für Elias.«
Valentin bat mich darum ihm Selena die frohe Botschaft überbringen zu können. Deshalb dachte ich an einen Besuch. Vor dem Zimmer vergaß ich vor lauter Aufregung zu klopfen und stürmte in das Zimmer.
»Zoe?!«
Ich sah verwirrt auf das Bett. Cyril war nicht alleine. Er saß auf dem Fußende des Betts und Alessa saß auf seinem Schoß. Sie hatte ihre Arme um ihn geschlungen und man sah den beiden an, was sie gerade taten. Und vielleicht sollte ich nicht so überascht sein, aber irgendwie hatte ich höhere Erwartungen an Cyril. Ich dachte er würde sich trotz allem nicht mit mehreren Mädchen vergnügen. Da hatte ich mich wohl geirrt
»Es tut mir leid, ich wollte eigentlich mit dir reden, aber.. komm einfach sobald du fertig bist.«
Bevor ich den Raum verlassen konnte, hörte ich noch etwas aus Alessas Mund.
»Das nächste Mal würde ich ja klopfen. Sowas lernt man jawohl früh genug.«
Als mein Blick auf die beiden fällt lehnt sich Alessa zu Cyril um ihn zu küssen. Gegen meine Erwartungen wartet Cyril nicht bis ich gehe, sondern vergnügt sich weiter mit Alessa.
Im Affekt renne ich zu Stefanes Zimmer und stürme hinein. Ich schaue mich kurz um, ich sehe weder Lewis, noch Nic. Nur Stefane liegt in seinem Bett und schaut mich mit großen Augen an.
»Sind wir alleine?«
Er nickt und ich schließe die Tür ab und stürme aufs Bett. Ich schmeiße das Buch, das er gerade noch in den Händen hielt runter und küsse ihn so verführerisch ich nur kann. Dabei beiße ich ihm leicht in die Unterlippe. Währenddessen hebe ich sein Oberteil und streife es ihm über seinen Kopf. Auch er zieht mir mein Oberteil aus und legt mich vorsichtig aufs Bett und küsst ganz sanft meine Bauch.
»Ich liebe dich.«
Ich tue so, als hätte ich es nicht gehört, denn es zurück zu sagen würde mir schwer fallen. Ich weiß nicht, ob ich ihn liebe. Ich weiß auch nicht ob ich Cyril liebe, oder ob ich einfach nur den Gedanken an die Liebe liebe. Er streichelt mir das Gesicht und schaut mir direkt in die Augen.
»Ich liebe dich, Zoe Hales. Das tue ich wirklich.«
Und nun habe ich ein Problem. Ich mag ihn, sehr sogar. Aber ich will diese Worte nicht sagen, ich weiß auch nicht ob ich kann. Andererseits kann ich Stefane einfach nicht glauben. Oder gar Cyril. Wenn beide so ein schönes Mädchen wie Alessa haben können, wieso würde man sich dann für mich entscheiden? Das war mir einfach ein Rätsel. Während ich die ganze Zeit so nachdenke, merke ich gar nicht, dass Stefane nun aufrecht sitzt und mich erwartungsvoll anschaut.
»Ich sollte es zurück sagen, ich weiß. Aber ich kann diese Worte nicht sprechen, bevor ich nicht weiß, was kommt.«
»Du brauchst nichts sagen, was du nicht fühlst.«
Er zwingt sich ein Lächeln auf, aber ich weiß, dass er verletzt ist. Ich setze mich näher zu ihm und nehme seine Hand und lege sie auf meine Brust.
»Kannst du es fühlen? Das ist mein Herz. Wenn ich mit dir bin, schlägt es viel unregelmäßiger und schneller. Du machst mich nervös, aber so glücklich.«
»Aber?«
»Naja, du bist nicht der einzige, bei dem das so ist. Deshalb..«
»Ist es, weil ich dir von Alessa erzählt habe?«
Ihr Name macht mich wütend. Reicht nicht, dass Stefane Gefallen an ihr hat, nun hat es anscheinend auch noch Cyril. Entweder sind wir quasi die selbe Person, oder das alles ist ein ganz komischer Zufall.
»Nein. Das wäre ja total heuchlerisch. Aber wie kannst du mir sagen, dass du mich liebst, wenn es sie auch noch gibt? Oder sagst du ihr es etwa auch?«
»Ehrlich gesagt liebe ich euch beide. Und ich habe es ihr auch gesagt.«
Obwohl ich kein Recht dazu habe, bin ich total sauer und ziehe mich so schnell ich kann an und setzte mich auf das andere Bett.
»Sei bitte nicht sauer, aber das kann ich nicht steuern. Ich hatte auch nicht geplannt es euch zu sagen, aber wenn ich.. Eure Nähe lässt mich nicht klar denken.«
»Es ist einfach nicht schön sowas zu hören.«
»Es ist auch nicht schön dich mit Cyril zu sehen. Aber so laufen die Dinge hier nunmal.«
»Und genau das hasse ich!«
»Zoe, bitte. Du musst vorsichtig sein. Ich würde dich nie verraten, aber solche Dinge darfst du nicht einfach aussprechen.«
Nachdem ich mich beruhigt habe, kuschel ich mich an Stefane ran und schlafe ein. Es ist ein sehr entspannter Schlaf. Hinzu kommt, dass ich seit langem mal wieder träume.
Ich bin wieder in meinem alten Zimmer. Ich stehe am Fenster und schaue einfach nur raus. Musik und Stimmen durchfluten das Haus. Obwohl ich mich sonst immer wohl und sicher gefühlt habe, ist es mehr Anspannung die ich spüre. Ich drehe mich um und öffne die Tür. Ich steuere auf die Treppe zu und schaue nach unten. Ich sehe meine Familie. Mom, Dad, Elias und Sebastian. Sie sehen mich nicht. Auffällig ist auch, dass alle ein paar Jahre jünger sind. Mir bekannte Szenen laufen vor meinen Augen ab. Es ist so, als würde ich ein altes Video anschauen, aus dem ich allerdings verbannt wurde. Ich will die Treppe hinunter steigen, doch eine unsichtbare Wand hält mich auf. Und als ich gegen diese Wand stoße, schauen Mom, Dad, Elias und Sebastian zu mir hoch. Sie stehen dort und starren mich an. Elias zeigt auf mich, und in dem Moment spüre ich eine Hitze. Ich schaue nach unten und sehe, dass meine Füße in Flammen stehen. Bald stehen auch meine Beine in Flammen. Meine Hüfte, mein Bauch, meine Arme, mein Hals, mein Gesicht, meine Haare - ich stehe in Flammen. Ich kann mich nicht bewegen. Stattdessen schreie ich. Doch keiner versucht mir zu helfen. Ich habe schon längst aufgegeben, da spüre ich eine Hand auf mir. Ich schaue mit letzter Kraft nach oben und sehe Valentin. Er sieht verbrannt aus. Er reicht mir seine Hand und ich lasse mir von ihm helfen. Ich bini vollkommen auf ihn fokussiert. Er öffnet seinen Mund..
»Zoe.. du solltest besser gehen. Langsam ist die erlaubte Besucherzeit vorbei.«
Ich rappel mich auf und muss kurz realisieren, was ich geträumt habe. Was ich geträumt haben muss. Denn ich bin nicht zuhause, ich bin immernoch in Stefanes Zimmer. Ich stehe auf und gehe aus dem Zimmer ohne ein Wort zu sagen. Ich muss Valentin sehen. Ich muss ihm sagen, dass ich ihm verzeihe. Ich muss es. Es wird zwar nichts daran ändern, dass ich wirklich hoffe, dass wir nicht gelost werden, aber er soll wissen, dass er mir wichtig ist. Und, dass ich immer da sein werde, wenn er eine helfende Hand benötigt.
Ich klopfe an seiner Tür. Es dauert ein wenig bis jemand die Tür öffnet. Zu meinem Glück ist es Valentin. Ich lege meine Arme um ihn und drücke ihn so fest ich kann. Er zögert zunächst, doch dann erwidert er die Umarmung. Ein kleiner Teil in mir wünscht sich, dass ich die Zeit zurück drehen kann. Ich will den Zeitpunkt zurück als es für mich nur Valentin gab. Als es niemanden anderen gab, der mich glücklich gemacht hat. Allerdings ist das nicht mehr der Fall. Und die Ruinen dieser Liebe stehen auf dem Fundament dieses Programms.
»Ich möchte, dass du es weißt.«
Er schaut mich erwartungsvoll an.
»Du bist mir wichtig. DU wirst mir immer wichtig sein. Du warst der erste Junge, den ich je geliebt habe. Und ich weiß, dass es für immer hätte sein können. Ich verstehe immer noch nicht ganz, wie diese Gefühle einfach nicht mehr existieren. Aber es ist auch so viel passiert. Ich hoffe du verstehst, was ich dir sagen will. Du wirst mich immer als Freundin haben. Ich bin immer da für dich, egal was du brauchst, was dich bedrückt.«
»Danke. Ich weiß, dass es zwischen uns kein normal mehr gibt, aber ich möchte dich nicht missen. Ich mag nicht mehr verliebt in dich sein, aber ich werde dich immer schätzen und lieben.«
Ich umarme ihn nocheinmal und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. Dann kann ich endlich schlafen gehen ohne nocheinmal einen solchen Traum durchlaufen zu müssen.
Am nächsten Tag stelle ich mich seit langem wieder der Simulation. Neben Sebastian ist auch Thea anwesend. Sebastian ist nervös, und ich brauche ihn nicht zu fragen wieso. Es stehen nicht mehr viele Termine an, bis die terminale und finale Simulation ansteht, die über unser Schicksal entscheiden wird.
»Ich weiß nicht, ob ich das schon einmal gefragt habe, aber wieso hat Quentin einen anderen Nachnamen?«
»Genau genommen sind Quentin und ich nur sogenannte Stiefgeschwister.« Sie injiziert mir das Serum und erzählt weiter, allerdings kann ich ihr ab da nicht mehr folgen.
Ich liege auf einem kalten Boden. Meine Arme und Beine sind taub, ich kann sie nicht bewegen. Alles ist zudem dunkel, und ich bekomme kurz Panik, bevor ich mich dran erinnere, dass es dazu keinen Grund gibt. Ich schließe meine Augen, und öffne sie. Nun ist es sehr hell. Ich befinde mich in einem weißen Zimmer und schaue mich um. Drei Gestalten kommen auf mich zu. Und ich muss nicht lange überlegen, bis ich sehe, wer es ist. Valentin ist ganz links, Stefane in der Mitte und Cyril ist rechts von mir. Alle laufen sie auf mich zu und halten verschiedene Gegenstände in der Hand. Bei Valentin ist es ein Buch. Stefane hält eine Rose in der Hand, und Cyril hält ein Foto in der Hand.
Der Raum blendet nun alles aus außer Valentin. Mein Herz bleibt stehen. Ist er etwa mein Partner? Er reicht mir seine Hand und hilft mir aufzustehen. Er zeigt mir das Buch und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
Nun ist es wieder dunkel. Als es wieder hell ist, sind die Lichter auf Stefane gerichtet. Dieser gibt mir seine Rose und legt sie auf den Boden vor mich. Dann schaut er hoch und küsst meine Hand.
Erneut kehrt Dunkelheit in den Raum. Und dann steht Cyril vor mir. Er zeigt mir das Foto, es ist komplett schwarz aber er besteht darauf, dass ich es mir anschaue. Nach längerem Hinschauen sehe ich seinen kleinen Bruder Ares. Er gibt mir einen Kuss auf den Mund. Es ist nur ein kleiner und hastiger Kuss, aber er fühlt sich echt an. Es wird dunkel und als das Licht wieder angeht stehe ich nur noch neben zwei Jungen. Cyril und Valentin.
»Zoe? Bist du wach?«
Ich liege im Untersuchungszimmer. Es ist nur noch Thea da, die mir die Stirn streichelt. Man sieht ihr inzwischen an, dass sie und Sebastian ein Kind erwarten. Ich weiß, dass beide sich drauf freuen, trotz all'dem was los ist. Und auch ich bin mehr als nur glücklich darüber. Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.
»Ja, ich bin nur.. etwas überrumpelt.«
Immerhin wäre nach der Simulation Stefane nicht in meiner Top 2.
»Ich weiß, Zoe, dass alles hier etwas schwierig sein kann. Aber es kann auch was ganz besonderes werden.«
»Thea, kann ich mit dir sprechen?«
»Natürlich, allerdings muss ich deinem Bruder noch bei einigen Simulationen helfen. Gehe in den Aufenthaltsraum, dort hole ich dich später ab. In Ordnung?«
Im Aufenthaltsraum treffe ich auf Selena. Ich frage mich, ob sie ihre Simulation bereits hinter sich hat. Aber genau das scheint der Fall zu sein. Denn sie starrt auf die Wand gegenüber von ihr - dabei in Gedanken versunken.
»Sel?«
»Zoe!!! Endlich bist du hier.«
Sie umarmt mich und setzt sich wieder hin. Ich setze mich zu ihr und halte ihre Hand.
»Was ist los??«
»Die Simulation war so kurz. Aber, wenn ich sie richtig verstanden habe..«
»Bei mir ist Stefane am Ende weg gewesen. Somit ist mir wohl eine Entscheidung abgenommen worden.«
»Bei mir ist es Tony. Ich dachte ich wäre damit glücklich, aber irgendwie ist es auch ein Schlag ins Gesicht.«
»Weil er somit quasi Recht hatte?«
»Genau. Er hat Recht gehabt.. und jetzt ist es nur noch eine Woche bis..«
Mein Kopf setzte aus. Wie verpeilt war ich gewesen? Es war nur noch eine Woche bis zur finalen Simulation. Es war nicht mehr lange, und ich hätte Gewissheit..
»Ich kenne diesen Ben kaum, wie soll er meine Top 2 geschafft haben?«
»Aber ihr hattet doch ein Date.. wenn nicht sogar mehrere.«
»Nur damit du es weißt. So lief das erste Date: Ich war in meinem Zimmer. Es war schon kurz nach sieben. Ich hatte mich sogar extra etwas hübsch gemacht, immerhin ist eine gute Bewertung wirklich wichtig. Dann öffne ich die Tür, als es endlich klingelt. Und da steht er. In Hemd und dunkler Hose. Im Vergleich zum Foto sah er auch wirklich besser aus. Und für einen rothaarigen hat er definitiv gute Arme und ein schönes Gesicht. Nur.. er spricht nicht so viel.
»Abend.«
»Abend. Was hast du dir überlegt?«
Ich hatte nicht mit etwas großem gerechnet, aber er hatte einen Anrag gestellt. Wir durften ans Meer fahren. Na ja, du weißt. Das Meer, was mehr oder weniger zum Gebäude dazu gehört. Dort angekommen hat er kaum mit mir gesprochen, aber er war trotzdem ganz höflich. Er hat mich eingecremt, ist mit mir weit hinaus geschwommen. Du weißt ja wie ich das liebe. Und alles war in Ordnung. Aber am Ende hat er versucht mich zu küssen. Und ich wollte nicht unhöflich sein, oder du weißt.. Also habe ich ihn gelassen. Es war auch komischerweise schön, aber ja, seitdem versucht er nur noch das. Er redet kaum.«
»Hast du ihm das denn gesagt? Das du gerne reden würdest? Ihn mal kennenlernen?«
»Nein.«
»Dann weißt du ja, was du zu tun hast.«
Das Warten ist unerträglich. Inzwischen ist auch Gina gekommen und hat berichtet. Bei ihr sind Tony und Lewis noch im Rennen. Sie ist immer noch sehr mitgenommen darüber, dass Elias es nicht einmal in ihre Top3 geschafft hat.
»Ich wüsste einfach gern woran es liegt.. Lewis? Ich kenne ihn nicht und ehrlich gesagt finde ich ihn abstoßend. Und Tony ist auch so gar nicht mein Fall. Das ist doch eindeutig ein Fehler im Programm.«
»Wenn es dich tröstet, meine Top 2 ist auch anders als gewünscht.«
»Komm du nicht mit deinen Luxusproblemen. DU könntest mit allen drein ein gutes Leben führen. Ich hatte zwei Unbekannte und einen Psychopathen - nichts für Ungut Sel.«
Normalerweise wäre ich sauer, allerdings kann ich Gina sehr gut verstehen. Sie kannte Lewis nicht vor dem Programm, und auch Nic kannte sie eher sperrlich. Und Tony wäre nach normalen Richtlinien Tabu.
»Tut mir leid, Gina. Ich wünschte auch, dass du Elias zur Seite stehen würdest. Du bist mir lieber als.. wer ist in seiner Top3?«
»Na wer wohl? Liv. Die anderen beiden kenne ich gar nicht.«
Mein Blick wandert zur Tür und ich fühle wie mein Körper erstarrt. Stefane ist nun hier, und ich weiß nicht wieso, aber aufeinmal renne ich los. Ich renne in seine Arme und lege sie um ihn, vergrabe mein Gesicht in seiner Brust und weine. Seine starken Arme legen sich fest um meine Taille und greifen nach mir, als ob das meinen Drang zum Weinen stoppen könnte. Und es dauert, bis ich merke, dass es keine Tränen der Trauer sind, sondern Tränen der Wut. Wut darüber, dass ich nicht selbst entscheiden darf, ob ich lieber eine Zukunft mit Stefane, Cyril oder jeglicher Person auf dieser Welt gehabt hätte.
»Du brauchst nicht weinen.«
Er küsst meinen Kopf und ich spüre wie ihm selbst Tränen das Gesicht runter laufen. Er weint. Er weint um mich. Ein Junge wie Stefane weint um ein Mädchen wie mich. Hätte mir jemand vor ein paar Wochen gesagt, dass ein Model sich in mich und ich mich in ein Model verlieben würde, hätte ich ihm kein einziges Wort geglaubt. Und ich glaube mich hat am meisten überrascht, dass der Junge, den ich von all den Plakaten kenne, aus den Werbesports - das hinter diesem Jungen eine Persönlichkeit steckt, ist es, was mich am meisten überrascht.
»Es wird alles gut. Wir .. wir können immernoch Freunde sein. Wir waren gut als Freunde.«
Ich befreie mich aus seinen Armen und schaue zu ihm hoch. Er zwingt sich ein Lachen auf, aber es bricht schnell. Nun ist er es, der eine Umarmung braucht. Und ich bin mehr als gewollt ihm diese zu geben.
»Ein Platz in meinem Herzen wird für immer dir gehören, Stefane.«
Und dann küsst er mich. Es wird unser letzer Kuss sein. Das weiß ich so sicher, wie der Tod uns allen sicher ist. Den der Kuss trägt seinen Beigeschmack. Und in dem Moment in dem ich mich von ihm löse, weiß ich, dass es vorerst das Ende ist. Das es das Ende sein muss.
Sel schaut empathisch zu uns rüber und breitet ihre Arme aus, bereit mich in den Arm zu nehmen.
»Ich wusste nicht, wie sehr ihr euch tatsächlich mögt.«
»Ich weiß nicht, ob ich mir selbst bewusst bin, wie wichig mir einige Personen sind. Ich hasse..«
Sel hält ihre Hand vor meinen Mund. Und ich will erst sauer sein, aber ich begreife schnell: Sie weiß genau was ich sagen wollte, und genau diese Worte hätten meinen Untergang bedeuten können.
»Danke. Es ist nur so, ich wollte niemandem näher kommen, der mir nicht zusteht.«
»Zoe, Schatz. Es wäre auch sonst nicht anders verlaufen. Das Leben testet einen auch ohne das hier.«
»Du wolltest mit mir reden?«
Thea ist nun endlich auch im Aufenthaltsraum. Es ist bereits spät am Abend und es ist kaum noch einer hier.
»Ja, ich wollte dich einige Dinge fragen. Es g-«
Thea schaut nach links und rechts und lächelt mich dann an und neigt dabei ihren Kopf leicht nach links. Sie hält ihre Hand an ihre Stirn und verdeckt so ihr Gesicht vor der Kamera und beginnt schnell aber leise zu reden, was es schwer verständlich macht.
»Zoe, es gibt Dinge, die du nicht wissen wirst. Auch Elias wird das nicht. Ty hat euch, genau wie mich darum gebeten, nichts zu unternehmen. So kann uns in keinem Fall was passieren. Und wir sollen genau das in jedem Fall tun.«
»Aber ich dachte er braucht unsere Hilfe?«
»Die wird er zu einem anderen Zeitpunkt brauchen. Wobei ich hoffe, dass es ohne eure Hilfe geht.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Das wirst du noch. Ty liebt dich, und mir liegt auch was an dieser großen Familie, deshalb versprich es mir bitte. Ich habe es auch schon Elias gesagt, und er hat mir sein Wort gegeben.«
»In Ordnung.«
Ich will Elias sehen. Ich möchte wissen, ob er doch mehr weiß, als Thea es scheinen ließ. Ich frage in seinem Zimmer nach ihm. Mir wird gesagt, er ist im Garten. Wobei Garten der falsche Ausdruck ist. Es ist ein kleines bewachsenes Stück Land, auf dem eine Bank steht.
Als ich dort ankomme, ist er nicht allein. Liv ist bei ihm. Sie sitzen nicht direkt nebeneinander, genau genommen sitzt jeder am anderen Ende der Bank.
»Mir tut leid, dass ich nicht zu den Mädchen gehöre, die du..«
»Das muss dir nicht leid tun.«
»Ich weiß nicht, ob es dir wirklich bewusst war, aber ich mag dich Elias. Ich mag dich schon seit langer Zeit. Es war immer einfach da. Ich kann es nicht kontrollieren. Zu wissen, dass du immernoch jemand anderen liebst, macht es mir schwer weiterhin glücklich zu sein, dass wir eventuell unser Leben zusammen verbringen werden.«
»Ich würde gern sagen, dass ich dich auch schon mal mochte, aber um ehrlich zu sein, fande ich, dass du immer einfach unnötig gemein warst, Liv. So oft hast du Leute runter gemacht. Und zu mir warst du auch nie besonders nett. Es tut mir leid, aber ich möchte ehrlich mit dir sein.«
»Das ist schon in Ordnung. Ich schätze das mag ich an dir mit am liebsten. Egal wie hart, du sagst einem immer die Wahrheit. Das ist nicht das erste Mal, dass du mir sagst, ich sei ein schlechter Mensch.«
Mich überrascht es zu hören, dass Elias Liv mal die Stirn geboten haben soll.
»Damals habe ich das peinliche Bild von deiner Schwester gemacht. Ich hatte es schon einigen Leuten gezeigt, aber als ich sie ausdrucken wollte, warst du da und hast mir die Stirn geboten. Da habe ich es gelassen.«
Ich hatte mich immer schon gefragt, was aus diesen Fotos geworden ist. Nie hätte ich gedacht, dass ich Elias danken musste dafür, dass die Bilder von mir in meinem verrutschten Bikini nie irgendwo aufgetaucht sind.
»Ich liebe meine Schwester. Sie ist mir wichtig. Und ich kenne deine Meinung zu ihr, und wenn wir eines Tages wirklich Mann und Frau sein sollten, musst du sie akzeptieren wie sie ist.«
»Glaub mir, Elias, wenn wir wirklich heiraten sollten, werde ich dir beweisen, dass ich sehr wohl jemand bin, der dich verdient hat und den du dich verlieben kannst.«
Dann rückt Liv näher und zieht Elias' Gesicht zu sich und gibt ihm ein Kuss. Elias Augen bleiben eine kurze Zeit weit offen, als ob er nicht verarbeiten kann, was gerade passiert, doch dann schließt er die Augen und küsst Liv. Zugegebenermaßen mochte ich Liv nie besonders, aber sie klang eben das erste Mal in ihrem Leben aufrichtig. Dann steht Liv auf, und geht Richtung Ausgang. Ich will nicht, dass sie mich sieht, deshalb verstecke ich mich.
Ich warte ein paar Minuten bis ich mich zu Elias setze. Immerhin soll er weder denken ich spioniere, noch möchte ich darüber reden, was ich gesehen habe.
»Hey Bruderherz.«
»Zoe..« Er fühlt sich ertappt, und ich kann nicht anders als ein wenig zu schmunzeln.
»Ich würde gern mit dir über etwas reden.«
»Ich wollte auch noch mit dir reden.«
»Darf ich zuerst?«
Er nickt mir zu. Er lächelt sogar ein wenig.
»Mir wurde gesagt, dass wir uns aus gewissen Angelegenheiten raushalten sollen. Das wir noch keine Rolle spielen. Und es lieber nicht sollten, ich verstehe das nicht und wollte fragen-«
»Darüber wollte ich reden. Ty hat mir gesagt, dass er uns morgen beide erwartet. Um drei Uhr sollen wir in sein Apartment kommen. Dazu hat er uns auch eine Ausgeherlaubnis verschafft.«
Er drückt mir einen kleinen, harten Zettel in die Hand.
»In Ordnung. Dann bin ich mal gespannt.«
»Ich werde dich dann abholen morgen. Ich bin müde und gehe jetzt schlafen, ok?«
Ich weiß genau, warum er sich hinlegen will. Er muss nachdenken und ich will ihm die Zeit geben, das so ausgiebig zu tun, wie es nur nötig ist. Ich nicke und siehe zu wie er gehen will.
»Ich hab dich lieb, Elias. Vergiss das nie.«
»Ich hab dich auch lieb, Zoe. Man hat im Leben nur einen Zwilling.«
Er fängt an zu kichern, während ich in Lachen ausbreche.
»Du sollst intelligent sein? Eher in einem anderen Leben. Gute Nacht.«
»Nacht, Schwesterherz.«
Elias holt mich wie besprochen ab. Auf dem Weg nach draußen werden wir mehrfach durchsucht. Allerdings haben weder Elias irgendwas mitgenommen außer ein Jacke. Der Moment in dem wir dann endlich an der frischen Luft sind, erfüllt uns beide mit mehr Freude als gedacht. Ich nehme Elias' Hand und drücke sie ganz fest.
»Der Geruch von Freiheit.«
Elias ist allerdings zu sehr damit beschäftigt sich das Auto anzusehen, das uns abholt. Es ist ein großes weißes Auto. Wir steigen auch beide schnell ein, und werden durch die Stadt chauffiert.
»Ich dachte ehrlich gesagt, dass Thea und Ty hier im Gebäude wohnen.«
»Ich glaube sie leben nur während des Programms hier, Zoe.«
Es dauert ein wenig, bis wir endlich angekommen sind. Der Fahrer wünscht uns einen schönen Tag und lässt uns aussteigen. Ty und Thea erwarten uns beide vor ihrem großen Haus. Und ich weiß nicht, ob groß eine Untertreibung ist. Das Haus hat zwar nur zwei Stockwerke, aber es ist einfach gigantisch.
»Endlich seid ihr hier.«
Thea umarmt Elias und mich herzhaft. Man merkt sofort, dass sie sich hier wohler fühlt. Es ist ihr Eigenheim und keiner schaut ihr über die Schulter. Und auch Ty scheint hier mehr der Junge zu sein, den wir zum Bruder hatten. Ich sehe ihm an, dass er nicht weiß, wie er uns begrüßen soll. Also nehme ich ihm die Entscheidung ab und umarme ihn. Es dauert, aber auch er legt die Arme um mich und drückt mich ganz fest. So wie damals, als ich immer zu ihm gekommen bin, nachdem ich geweint habe.
»Ich habe dich so vermisst, Ty.«
»Ich habe euch auch vermisst. Aber wir werden uns nie wieder missen müssen.«
»Thea hat euch hergebeten um euch in gewisse Dinge einzuweihen.«
»Also ihr habt beide das Buch gelesen?«
Elias und ich nicken.
»Ihr wisst also wofür wir kämpfen? Warum?«
Wir nicken beide erneut.
»Es ist wichtig, dass ihr nie vergesst, für was wir das tun, in Ordnung?«
»Und was ist es, was wir tun?«
Thea unterbricht Ty, bevor er wirklich etwas sagen kann.
»Also es ist so, meine Lieben. Wenn wir alle bescheid wissen, kann man unseren Plan vereiteln. Ihr werdet, eher gesagt, wir werden kaum wissen, was abläuft.«
»Es ist noch viel schlimmer, man könnte uns alle einsperren. Quentin und ich sind die einzigen, die den Plan kennen. Wir sind es auch, die belangt werden können. Wir wollen euch schützen.«
»Aber Ty! Wir sind Geschwister, wir sollten uns helfen, immer!«
Ich habe Elias noch nie so erlebt. Er ist zwar laut geworden, aber nicht aus Wut, sondern aus Angst. Und diese Angst trage ich auch in mir. Was ist, wenn Ty etwas zustößt? Wie sollen wir das unseren Eltern sagen? Können wir es überhaupt unseren Eltern sagen? Alles ist so ungewiss..
»Elias, ich liebe euch mehr als alles andere. Ihr drei seid mein Leben, mir kann nichts zustoßen, wenn ihr sicher seid, verstehst du das? Wenn euch was passiert, das könnte ich mir nie verzeihen.«
»Es hat auch bei mir lange gedauert, bis ich eingesehen habe, dass es so am besten ist.«
»Wieso mussten wir hierher kommen um das mit euch zu bereden? Warum habt ihr es uns nicht in einer Simulation gesagt?«
»Da die Simulationen inzwischen anders sein werden. Ich kann nicht mehr eingreifen. Ab jetzt ist alles geplant, frühere Simulationen waren von euch abhängig. Nun ist der Verlauf genau festgeschrieben.«
»Es steht also schon fest, was das Ergebnis ist?«
Ich klinge naiver als ich sollte. Natürlich steht alles fest. Wir liegen keinem am Herzen.
Am frühen Abend werden wir zurückgefahren. Elias und ich sind beide mit gemischten Gefühlen aus dem Haus gegangen. Einerseits wollen wir die Revolution. Wir wollen unseren Vorfahren das geben, das von ihnen keiner geschafft hat. Oder was vielleicht keiner versucht hat. Andererseits fürchten wir um unseren Bruder.
»Ich kann es nicht fassen. Er will unsere Hilfe und dann doch nicht?«
»Sei nich sauer, Eli. Ty hat gute Gründe genannt.«
»Aber wir sind doch nicht mehr wert als er? Und was ist mit Thea, wenn ihm was zustößt? Erwartet sie keinen Nachwuchs? Wie soll sie das denn alleine regeln?«
»Sie hat uns. Sie ist genauso sehr Familie wie Ty.«
»Glaubst du das weiß ich nicht?«
»Vielleicht sollten wir über etwas anderes reden.«
Elias und ich haben total vergessen, dass wir nicht alleine sind. Es sieht zwar so aus, der der Frontraum des Autos von uns abgeschottet ist, aber vorne sitzt der Fahrer. Und dieser sollte das bestimmt nicht mithören. Ich zucke kurz zusammen, als sich vor uns eine Wand wie ein Fenster öffnet und wir freie Sicht nach vorn haben.
»Gut, dass ich den Fahrer abgelöst habe.«
Wir schauen auf Quentin, der gelassen das große Auto fährt.
»Es ist nur so, dass wir..«
»Ihr braucht euch nicht entschuldigen. Ich habe ja mitgedacht, allerdings seid ihr ab jetzt deskret. Ich möchte nichts mehr hören darüber, in Ordnung? Sonst ist der Teil, dass wir euch in Sicherheit wägen, schon gelaufen.«
»Ich möchte das sowieso nicht.«
Das Auto bleibt ruckartig stehen und wir fallen leicht nach vorn. Nachdem wir den Schock bewältigt haben, dreht sich Quentin um.
»Sei kein Egoist, Elias. Hier geht es nicht um dich, mich, Ty oder Thea. Hier geht es um alle Menschen die leben und noch leben werden. Wir tun das für sie. Und wenn du nicht aufhörst darüber zu reden, gefährdes du den ganzen Plan. Also unterstehe dich auch nur irgendwem außer dir selbst in Gedanken was darüber zu verraten.«
Dann fährt Quentin weiter und keiner spricht mehr ein Wort. Selbst als wir aussteigen, rast Elias ins Gebäude un lässt mich zurück. Ich hoffe er hat sich Quentins Worte zu Herzen genommen.
Inzwischen sind es keine Wochen, sondern Tage. Nur noch wenige Tage, bis wir alle Antworten haben, die für unser Leben eine Rolle spielen werden.
Seit letzer Woche sind alle Kurse abgeschlossen. Die einzigen Aktivitäten die stattfinden, sind Simulationen und Verabredungen. Außer heute, heute steht eine Befragung an. Genau genommen sind es zwei Befragungen. Eine mit jedem potentiellen Partner.
»Ich bin ja wirklich gespannt, wie das ablaufen wird.«
»Sel, kann ich dich mal was fragen?«
»Natürlich.«
»Glaubst du daran, dass wir auf ewig Freunde bleiben?«
»Das fragst du noch? Wenn wir nicht Freunde bleiben, wer dann? Also ich werde dich nie im Stich lassen.«
»Ich habe nur so Angst. Es scheint mir, als ob auf uns alle ein komplett neues Leben wartet. Wie soll ich da noch wissen, was ich aus dem alten mitnehmen darf und was nicht?«
»Du Dummerchen, wir bleiben Freunde, basta. Das verspreche ich!«
Sie legt den Arm um mich und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Und ich weiß, dass sie gerade nichts versprochen hat, was sie nicht auch versuchen wird zu halten. Denn nicht nur ist sie mir wichtig, sondern ich bin ihr genauso wichtig.
»Sag mal, waren deine letzten Simulationen auch ein wenig seltsam?«
»Sie waren anders. Und ich war froh, als ich wach war.«
Und das war wirklich keine Untertreibung.
»Erzähl mir bitte etwas. Ich komme mir so verrückt vor.«
»Also in meiner letzten Simulation war ich in einer Kirche. Diese stand plötzlich in Flammen und ich musste zusehen, wie alle Personen die ich liebe verbrannt sind. Meine gesamte Familie. Mum, Dad, Elias, Ty, Thea. Und dann warst du da, Cyril, Stefane, Valentin und Gina. Jeder Mensch, der mir etwas bedeutet hat. Dann konnte ich fühlen wie ich selbst in Flammen aufging. Und plötzlich waren alle munter und heiter wieder in der Kirche. Ich stand vorne. Ich hatte ein weißes Kleid an und zwei Jungs kamen auf mich zu. Cyril, der einen weißen Anzug trug und Valentin, der einen schwarzen Anzug trug. Und die beiden fingen an sich zu prügeln. Und ich wollte was unternehmen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Dann sind alle Gäste aufgestanden und einer nach dem anderen ist gegangen bis nur noch Cyril, Valentin und ich in der Kirche standen. Und dann stand die Kirche wieder in Flammen. Allerdings stand nun keiner mehr von uns in Flammen. Wir waren ganz ruhig.«
»Unglaublich. Meine Simulation war so ähnlich, allerdings waren wir auf einem hohen Gebäude. Und aufeinmal sprangen alle runter. Ich musste zusehen, wie alle die ich liebe sich in den Tod reißen. Und am Ende stieg das Gebäude in die Lüfte, aber wir waren auch ganz ruhig.«
»Ich verstehe diese Simulationen nicht. Was soll das denn bedeuten?«
»Das wüsste ich auch gern.«
Die erste Befragung stand an. Meine erste Befragung hatte ich mit Valentin. Er schien genau so wie ich überfordert mit der ganzen Situation. Das konnte man vor allem bei unseren Verabredungen spüren. Wir waren beide immer angespannt, und trauten uns nicht wirklich etwas zu sagen. Einmal hatte er etwas gesagt, was die Situation nur noch unangenehmer machte. Ich glaube ich werde nie jemanden so lieben wie dich. Du warst meine große Liebe. Einfach so hatte er es gesagt. Und ich wusste nicht was ich machen sollte. Seitdem er sich mit meinem Bruder traf um Dinge wieder hinzubiegen, war er der Valentin, den ich kannte. Zumindest in Ansätzen. Er hatte sogar wieder angefangen zu schreiben.
Valentin und ich sitzen in einem kleinen weißen Raum. Dort ist ein roter Tisch. Rechts und links ist ein Stuhl neben diesem Tisch. Ich setze mich rechts, er setzt sich links. Der verantwortliche Arzt, den ich nicht kenne und der mich vorher nie untersucht hat, verbindet uns mit einer kleinen Maschine die er auf den Tisch stellt. Je einer unserer Arme liegt neben dieser Maschine und man hört ein Rattern. Ich versuche Valentin nicht anzusehen, denn sein Geständnis hat mich total aus dem Konzept geworfen. Ich kann nicht anders als mich für alles und nichts schuldig zu fühlen. Ich fühle mich schuldig, weil ich nicht weiß, ob ich ihn mehr geliebt habe als ich jemand anderes lieben werde.
»Guten Tag Miss Hales, guten Tag Mister Lopez. Ich bin Paul Jenkins, Leiter der Justiz im Bezirk 39a. Ich werde eure Befragung durchführen.«
Er ist also gar kein Arzt, das erkläert einiges und lässt mich aufatmen. Ein neuer Arzt hätte bedeuten können, dass Quentin oder meinem Bruder etwas zugestoßen ist.
»Ich werde immer eine Frage stellen, die ihr beide beantworten sollt. Der jenige der links sitzt, in dem Fall Mr Lopez wird immer als erster antworten. Bereit?«
Wir beiden nicken. Doch Paul schaut leicht gereizt.
»Ihr müsst mir immer Antworten in Form von Worten geben.«
»Ja..«
»Woher kennen Sie sich?«
»Ich kenne Zoe aus der Schule. Wobei man sagen muss, ich kenne sie durch ihren Bruder Elias.«
»Ich kenne Valentin durch meinen Bruder.«
»Da eine Bekanntschaft vor dem Programm besteht, was war Ihr Verhältnis?«
»Zoe und ich waren ein Paar.«
»Wir waren ein Paar.«
»Haben Sie sich während des Programms näher kennengelernt?«
»Wir kannten uns bereits sehr gut.«
»Das haben wir bereits vorher.«
»Was war die Bewertung die Sie dem anderen in der Regel gegeben haben?«
»Bei den Dates? Ich habe ihr anfänglich gute Bewertungen gegeben, dann eher schlechte. Zuletzt habe ich ihr immer die volle Bewertung gegeben.«
»Zunächst gab ich ihm immer die volle Bewertung. Inwzischen waren es immer 7.«
Valentin schaut zu mir und ich sehe, dass er verletzt ist. Aber ich kann nichts dafür. Für ihn ist es leicht. Er hat einfach seine alten Gefühle wieder. Ich habe allerdings viel durch gemacht. Er hat mir viel an den Kopf geworfen. Das kann ich nicht so einfach vergessen.
»Sind Sie geneigt den anwesenden Partner auch tatsächlich zum Partner zu nehmen?«
»Ja. Für mich ist Zoe meine große Liebe.«
Ich schweige. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Paul schaut mich erwartungsvoll an, genau wie auch Valentin.
»Ich glaube eher nicht.«
Plötzlich ertönt ein lautes Piepen. Und ich sehe wie das Gerät auf dem Tisch aufleuchtet.
»Miss Hales, sie waren nicht ehrlich zu uns.«
Wir sind also an einen Lügendetektor gehangen, nicht an eine Aufzeichnungsmaschine.
»Dann war es das, ohne mein Wissen.«
»Beantworten sie die Frage erneut, diesmal ehrlich.«
»Ich würde Valentin bestimmt heiraten, allerdings ist es nicht so einfach, wie es am Anfang hätte sein können.«
Es ertönt nichts und ich atme auf.
»Lieben Sie den anwesenden Partner?«
»Natürlich. Ich habe das vielleicht nicht immer gezeigt wie ich sollte, aber ich liebe Zoe.«
Und erneutes Schweigen. Was sage ich nur? Was ist die Wahrheit? Was fühle ich wirkich?
»Ehm. Ich liebe Valentin. Ich werde ihn immer lieben. Er ist ein Teil von mir. Allerdings weiß ich, dass ich nicht in ihn verliebt bin, wie ich es mal war. Ich dachte ich würde dies immer tun.«
Ich warte auf ein Piepen, allerdings bleibt alles stumm.
»Vielen Dank. Das war die Befragung. Bis zur nächsten Befragung. Informieren Sie sich rechtzeitig und erscheinen Sie pünktlich. Auf Wiedersehen.«
Wir warten beide vor dem Raum. Wahrscheinlich haben wir beide schon bald den nächsten Termin. Meiner ist in fünfzehn Minuten. Ich schaue zu Valentin und sehe, dass er versucht nicht zu weinen. Ich lege meine Hand auf seine Schulter aber er tritt einen Schritt von mir zurück.
»Zoe, du musst ehrlich zu mir sein. Denkst du, dass du mich jemals wieder so lieben wirst wie vor dem hier?«
Ich schaue ihm in die Augen und sehe unsere Vergangenheit. Ich sehe wie er mich geküsst hat, wie er mir meine Bilder gezeigt hat, wie er für mich gedichtet hat. Doch dann sehe ich auch einen vorwurfsvollen Valentin. Nur, war es nie Valentin. Und ich muss es langsam begreifen. Das war nicht er. Er wollte und hätte mir nie weh getan. Er hat so viel riskiert für mich. Und nachdem mein Bruder ihm nun endlich helfen kann, und es tut, wird er immer mehr zu dem Valentin, der mir so am Herzen lag und für den ich nichts anderes als Liebe übrig hatte.
Ich fahre mit meiner Hand durch seine Haare und ziehe ihn dabei zu mir herunter. Mein Gesicht ist nun ganz nah an seinem und ich spüre seinen Atem auf meiner Haut. Nun schaue ich ihn direkt an und nicke. Dann lehne ich mich weiter nach vorne und küsse ihn. Und jetzt bin ich mir ganz sicher, dass er der selbe Junge ist, den ich so sehr geliebt habe. Der Junge, der mich verzaubert hat.
»Ich möchte aber nichts versprechen. Nichts von dem hier liegt in meiner Hand. Und ich kann nicht leugnen, dass ich mehr als verwirrst bin. Vor ein paar Wochen war ich von zwei Typen hin und weg, von denen keiner du warst. Für Stefane und mich gibt es kein Happy-End, womit ich mich inzwischen abgefunden habe. Es hat sich gezeigt, dass mir viel an ihm lag, aber auf eine andere Art und Weise, als wir beide lange Zeit dachten. Allerdings gibt es da noch Cyril, und ohne das ich es will bedeuet er mir mehr als ich will. Er gibt mir das Gefühl von Sicherheit. Es wäre nicht fair, dir das vorzuenthalten.«
»Das ist okay. Ich weiß, dass alles hier noch verwirrender sein kann, als sowieso schon. Du sollst wissen, dass es für mich aber nur dich gibt, Zoe. Ich liebe nur dich, ich habe nur dich geliebt, und ich werde nur dich lieben.«
Jedes andere Mädchen wäre über so ein Geständis glücklich, allerdings macht es mir Sorgen. Denn ich weiß, dass er es ernst meint. Und ich weiß auch, dass die Chancen, dass er sich in jemand anderes verlieben muss, gut stehen.
»Valentin, wer ist das andere Mädchen in deiner Top2?«
»Es ist Phoebe.«
Das bereitet mir Sorgen. Doch dann erinere ich mich daran, dass ich ihr ähnlicher sein soll, als ich denke.
»Versprich mir, dass du versuchen wirst sie zu lieben. Du darfst nicht alleine enden. Versprich mir das.«
»Ich kann n-«
»Versprich mir, dass du es versuchen wirst.«
Ich darf mir nicht vorstellen, was passiert, wenn er Phoebe nicht annimmt und erneut in das Programm muss. Ich sollte darauf hoffen, dass die Pläne meines Bruders funktionieren.
»Guten Tag, Miss Hales und Mister Laskari. Wissen Sie beide bescheid, wie das abläuft?«
»Ja.«
»Woher kennen Sie sich?«
»Ich kenne Zoe seit dem Vorbereitungstag. Wir haben uns kurz unterhalten.«
»Ich kenne Cyril seit dem Vorbereitungstag.«
»Da Sie vor dem Programm in Kontakt standen, was war Ihr Verhältnis?«
»Wir haben uns einmal vor dem Programm gesehen. Da habe ich Zoe geholfen. Wir hatten kein richtiges Verhältnis. Wir waren flüchtige Bekannte.«
»Cyril hat mich verarztet und mir geholfen. Ich würde auch flüchtige Bekannte sagen.«
»Haben Sie sich während des Programms näher kennengelernt?«
»Ja.«
»Ja, ich habe Cyril näher kennengelernt.«
»Was war die Bewertung die Sie dem anderen in der Regel gegeben haben?«
»Ich habe Zoe immer eine neun gegeben außer einmal, da war es eine zehn.«
»Es waren immer eine acht oder neun. Einmal habe ich ihm eine null gegeben.«
Cyril lacht und ich muss auch kurz lachen.
»Wann war das denn?«
»Entschuldigen Sie, ich bitte Sie darum solche Fragen später zu stellen. Sind Sie geneigt den anwesenden Partner auch tatsächlich zum Partner zu nehmen?«
Cyril schaut zu mir, schmunzelt kurz und wartet seine Antwort ab.
»Ja.«
»Ja.
Diesmal brauche ich nicht zögern.
»Lieben Sie den anwesenden Partner?«
»Kann man so sagen.«
»Leider ja.«
Und erneut lacht Cyril, und diesmal laufe ich rot an.
»Vielen Dank. Auf Wiedersehen.«M
»Leider ja? Null Punkte? Sicher, dass du mich zum Mann willst?«
Cyril läuft neben mir zum Ausgang.
»Es ist kein Geheimnis. Ich hätte es gern vermieden mich in dich zu verlieben.«
»Und ich hab mir die Schwester meines besten Freundes ausgesucht?«
»Ehrlich gesagt habe ich bis eben gezweifelt, dass du mich wirklich liebst.«
Ich gehe weiter, aber Cyril bleibt stehen und hält mich am Arm. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen und seine Mundwinkel sind nach unten geneigt. Er sieht verletzt aus.
»Warum glaubst du das?«
»Ehrlich gesagt wirkst du nicht wie jemand, der wirklich lieben konnte. Was auch ein Grund ist, warum ich mich nicht verlieben möchte, ich meine ich wollte nicht.«
Cyril lacht wieder, diesmal aber da er nicht fassen kann, was ich gesagt habe.
»Hör mir zu Zoe, ich mag vielleicht nicht der Sonnenschein in Person sein. Aber ich dachte eigentlich, dass du mich verstehst! Das du weißt, dass ich dir nicht ohne Grund gewisse Sachen anvertraut habe!«
»Wieso hast du dann Alessa geküsst?«
Meine Stimme bricht, und ich spüre, dass mir Tränen die Wange herunterlaufen.
»Immerhin wusste ich immer, wen ich wirklich will.«
Cyril lässt meine Hand los, die er die ganze Zeit hält und will gehen.
»Cyril..«
Er dreht sich um, und ich sehe, dass nicht nur mir die Tränen kommen.
»Ich weiß es genau. Erst war es Valentin. Dann war es Stefane. Nun ist es wieder Valentin? Mache mir keine Schuldgefühle, weil ich Ablenkung gebraucht habe. Vielleicht habe ich es so durchscheinen lassen, als läge mir etwas an Alessa. Aber das stimmt nicht. Dir hingegen reiche ich wohl nicht. Du brauchst immer jemand anderen.. Und seitdem ich das gemerkt habe, habe ich mir gewünscht, mich nie in dich zu verlieben..«
»Ich war mir unsicher, das stimmt! Aber was erwartest du?! Alle sagen mir das sei normal, dass man manchmal nicht weiß, was man will.«
»Für mich sind das Ausreden. Man weiß immer genau was man will, aber du wünscht dir so sehr, dass du mich nicht liebst, dass du dich selbst anlügst. Sei ehrlich zu dir selbst, wenn du willst.«
Und dann geht er weg und schlägt die Tür hinter sich zu.
»Zoe, was ist denn los? Du siehst furchtbar aus, setz' dich erstmal.«
»Ich bin eine Schlampe, Sel.«
»Wer hat das gesagt?! Derjenige bekommt meinen Fuß in seiner Weichteile.«
Ich schluchze, weine und kann kaum reden, also lege ich mich in Sels Bett und weine in ihr Kissen. Sie setzt sich zu mir und streichelt mich um mich zu beruihigen. Es dauert ein wenig bis ich soweit bin um endlich reden zu können.
»Keiner hat das gesagt. Also nicht direkt.«
»Ich verstehe gar nichts, Zoe. Du musst mit mir Klartext sprechen.«
»Cyril hat mir eben etwas gesagt. Ich frage mich ob er Recht hat. Er hat gesagt, dass ich es so sehr hasse in ihn verliebt zu sein, dass ich mir einrede, ich sei in andere verliebt.«
»Das mit Stefane oder was?«
»Genau. Er sagt, dass er deshalb sich wünscht nie in mich verliebt gewesen zu sein.«
»Wie wir uns alle Probleme selber machen.«
»Was meinst du?«
»Na du bist verliebt in jemanden, und dieser jemand liebt dich auch, und beide sucht ihr jetzt nach irgendwelchen Problemen.«
»Ich habe ihm sogar gesagt, dass ich mich lieber nicht in ihn verliebt hätte. Und ich habe gesagt, dass ich nicht gedacht hätte, dass er sich wirklich in mich verliebt hat.«
»Bist du doof? Alles was du mir so erzählt hast, deutet doch darauf hin, dass du ihm sehr viel bedeutest. Du woltest mir nichtmal genau sagen, was er dir alles anvertraut hat. Und du hast mir immer alles erzählt sonst.«
»Und was soll ich jetzt tun? Ich glaube er ist nichtmal wirklich sauer, sondern verletzt.«
»Ich glaube du musst einfach mal mutig sein, und erstmal dir selbst eingestehen was du willst.«
»Erstmal will ich mich ablenken. Wie waren deine Befragungen?«
»Möchten wir darüber wirklich reden? Es hat ungefähr bei jeder Frage gepiept.«
Sel lacht und auch ich kann mich zu einem kleinen Kichern hinreißen.
»Ich habe mich immer so unschlüssig ausgedrückt. Ich hatte sogar vergessen, dass ich Nic bereits vor dem Programm kannte. Kannst du das glauben?«
»Und dann soll ich die doofe von uns sein?«
»Oder als man gefragt wurde, ob man den anderen liebt. Uch, das war auch mehr als peinlich.«
Ich schaue sie erwartungsvoll an.
»Also Ben und ich haben beide gelogen. Wir haben gewisse Dinge schön geredet. Aber wirlich lieben tun wir uns wirklich nicht. Naja, mit Nic.. da hatte ich schon ein wenig Angst davor etwas falsches zu sagen. Aber ich wollte ehrich sein, dachte ich. Also habe ich gesagt, dass ich ihn noch nicht wirklich kenne um ihm lieben zu können. Und er sah so am Boden zerstört aus, und dann hat es gepiept. Und ich war total verwirrt. Meine neue Antwort "Dann schätze ich mal, dass ich ihn liebe" kam ohne ein Piepen weg, aber ich hätte es wirklich schöner formulieren können.«
»Ich hab deinen Bruder geküsst.«
Völlig aus dem Kontext losgerissen, platzt es aus mir heraus. Und genau so schaut mit Sel auch an. Ihre Augen mustern mich und sie zieht argwöhnisch die Brauen hoch.
»Zoe, ich weiß, dass es schwierig ist mit ihm. Vor allem jetzt, wo er wieder der Alte wird, aber tu das bitte nicht. Mach ihm keine Hoffnungen, mach ihm das hier nicht noch schwerer. Vielleicht ist Cyril nicht besonders einfühlsam, aber glaub mir, er hat Recht. Du weißt ganz genau wem dein Herz gehört. Jeder hier weiß das.«
Der Tag ist noch nicht zu Ende als ich endlich Selena in ihrem Zimmer zurücklasse. Ich will mich noch bei jemandem entschuldigen. Und nein, nicht bei Valentin. Ich wollte ihm keine falsche Hoffnungen machen, und das habe ich auch nicht. Nachdem ich Sel den gesamten Ablauf geschildert hatte, stimmte sie mir da sogar zu. Ich klopfe also an Cyrils Zimmer. Es dauert bis mir jemand die Tür öffnet. Es ist Tony. Er stellt sich quer vor die Tür und mustert mich.
»Kann ich was für dich tun?«
»Ich möchte mit Cyril reden.«
»Er ist unter der Dusche.«
Ich quetsche mich an ihm vorbei und setze mich auf Cyrils Bett.
»Dann warte ich eben.« Ich schaue mich um. »Ist Elias nicht hier?«
»Er hat noch seine letzte Befragung.«
»Hattest du deine beiden schon?«
Er nickt nur und setzt sich gelangweilt auf sein Bett.
»Darf ich dich was fragen? Ich wollte das nicht Elias fragen.«
»Ich denke schon. Schieß los!«
»Gina ist ein echt nettes Mädchen, sie scheint viel im Leben zu wollen. Ich frage mich auch, wie so jemand ambitioniertes wie sie unter meine engere Auswahl gekommen ist. Ich wollte fragen, ob du denkst, das wir, falls wir.. du weißt schon, dass wir überhaupt eine Chance haben? Sie klang heute sehr abweisend. Und ich will ehrlich gesagt nicht nocheinmal in das Programm, aber ich will nicht ihr Leben ruinieren.«
»Inwiefern ihr Leben ruinieren?«
»Naja, ist es besser, sie abzulehnen, damit sie jemand besseren im nächsten Versuch abkriegt oder wäre es besser, ihr dieses Programm nicht noch ein zweites Mal zuzumuten?«
»Ich kann dir nicht sagen, was besser wäre. Viellecht passt ihr im Endeffekt doch besser zusammen als man denkt. Vielleicht erlebt ihr auch eine schreckliche Zeit zusammen und hasst euch dann.«
»Ja genau das ist mein Problem. Sie wird mich bestimmt hassen. Sie wird ihr schlechtes Leben mir vorwerfen, das will ich nicht. Ich will nicht der Grund sein, warum ihr Leben nicht das ist, was sie verdient hat.«
»Sag mal, geht es hier darum, dass du keine Lust auf Stress hast oder geht es dir hier um Gina?«
»Ich gebe zu, ich habe Gefallen an Gina gefunden. Und du weißt nicht, wie schlecht ich mich fühle. Immerhin ist sie Selenas Freundin und die Exfreundin von Elias. Ich will beide nicht verletzen, aber es lag nicht in meiner Hand. Gina ist nunmal dieses kluge, aufgeweckte Mädchen mit dem unverschämt schönen Gesamtpacket.«
»Ich muss zugeben, du bist wohl doch zu mehr Gefühl fähig als gedacht. Aber wenn dir etwas an Gina liegt, würde ich zu ihr gehen und das mit ihr regeln. Sie fragen, was sie denn will.«
»Danke. Ich weiß, ich war nicht immer nett zu dir oder auch Selena.«
Und kaum habe ich ihm den Tipp gegeben, steht er auf und verlässt das Zimmer.
Ich warte noch sehr lange, bis Cyril endlich aus dem Bad kommt. Er hat seine Haare an den Seiten rasiert und sieht gegen meine Erwartungen noch besser aus als er es sowieso schon tat.
»Was tust du hier?«
»Ich wollte ein paar Dinge klarstellen.«
Ich lehne mich vor und küsse ihn.
»Ich bin es leid, dass du mir ein Problem bist. Du bist vielleicht etwas spezieller, und erst auf den zweiten Blick liebevoll, aber ich weiß, dass du mich liebst. Und ich war dumm, ich war so dumm, dass ich das nicht wahrhaben wollte. Ich will keinen Stefane. Ich will keinen Valentin. Ich will dich, Cyril. Ich liebe dich. Ohne leider. Das einzige worauf ich noch warte ist, dass wir das bekommen, was uns zusteht: eine gemeinsame Zukunft.«
»Das hoffe ich auch.«
Allerdings wirkt er nicht glücklich. Er geht zu seinem Schrank und legt sich eine Hose und ein Oberteil, sowie Socken und eine Unterhose raus und zieht diese vor mir an. Ihm scheint es egal zu sein, dass ich ihn nackt sehe. Irgendwas bedrückt ihn, und ich wüsste gern was das ist.
»Dich bedrückt etwas. Willst du reden?«
Er zieht sich zu Ende an und legt sich neben mich aufs Bett und starrt an die Decke.
»Es ist mein Opa. Ihm geht es immer schlechter. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wo soll Ares hin?«
»In ein paar Tagen ist das hier alles vorbei, dann kannst du ihn zu dir nehmen. Ty kann dir dabei bestimmt helfen. Um Ares brauchst du dir wirklich keine Gedanken machen.«
Er nimmt meine Hand und sagt nichts mehr.
Der Tag ist gekommen. Heute ist meine letzte Simulation angesetzt. Heute erfahre ich und der Rest endlich, wer unser Partner ist. Für mich gibt es nur noch einen, der das sein sollte: Cyril.
»Bist du bereit für deine letzte Simulation, Zoe?«
»Ich denke schon. Ich hoffe ich bin glücklich mit dem Ergebnis.«
Thea tritt in den Raum und nimmt meine Hand in ihre und drückt sie ganz leicht.
»Ich wünsche dir viel Erfolg, Süße.«
»Ich stimme meiner Schwester da nur zu. Gib alles!«
Meine Augen werden schwer und ich bin für einen Moment ohne meine Sinne. Ich kann weder etwas sehen, fühlen, riechen noch hören.
Ich habe ein langes weißes Kleid an und meine Haare sind hochgesteckt. Ich stehe vor einem Altar. Bis auf meine Wenigkeit befindet sich nur eine weitere Person im Raum. Diese steht direkt vor mir, allerdings hat sie den Rücken zu mir gekehrt. Die Person trägt einen ebenfalls weißen Anzug und ist sehr groß. Die Haare sind kurz und dunkel. Eine Mischung aus braun und schwarz. Die Person dreht sich um. Es ist erneut eine Mischung aus Cyril und Valentin, wie bereits in den vorherigen Simulationen. Cyrils dunkle Augen gucken mich an, während Valentins gebrochenes Lächeln mich begrüßt, dabei überschlagen sich die Stimmen der beiden. Die Person läuft um den Altar und steht nun neben mir. Sie überreicht mir einen Blumenstrauß und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
Nun stehe ich in einer mir unbekannten Wohnung. Sie ist simpel eingerichtet und in der Küche steht die Person. Immernoch kann ich sowohl Valentin, als auch Cyril in ihr erkennen. Noch immer sind es also beide. Ich mache einen Schritt nach vorn und befinde mich nun in einem Kinderzimmer. Zwei Kleinkinder spielen dort zusammen. Sie schauen zu mir hoch und nennen mich "Mama". Die Person steht neben mir und lächelt mir freundlich zu. Als ich meinen Blick von ihr nehme befinde ich mich am Strand. Die beiden Kinder von eben sind auch da, beide jetzt um einige Jahre älter. Die Person steht mit ihnen im Wasser und zeigt ihnen, wie man schwimmt. Als ich ins Wasser springe und wieder hochtauche, stehe ich in einem großen Saal. Es ist der Abschluss eines der Kinder. Ich sitze im Publikum, das andere Kind zu meiner Rechten, und die Person zu meiner Linken. Ein Licht blendet mich und ich stehe nun in einem weißen Raum. Ich kann beide Namen hören: Valentin, Cyril, Valentin, Cyril.. Und ich sehe aufeinmal überall Dinge, die jeweils für Valentin und jeweils für Cyril stehen. Die Namen werden immer lauter und schneller gesprochen, und der Raum beginnt sich zu drehen. Ich halte mir die Ohren zu und schreie auf. Ich schreie so laut ich kann. Als ich mich beruhige stehe ich wieder am Alter. Vor mir steht erneut die Person. Doch als sie sich dieses Mal umdreht, hat sie nur ein Gesicht.
»Du..«
»Hast du jemand anderes erwartet?«
Alle Szenarien bekommen nun dieses Gesicht. Es ist als würde unser gemeinsames Leben vor meinen Augen Gestalt annehmen. Der Mann in der Wohnung, der Mann bei den Kindern, der, der ihnen das Schwimmen lehrt, der, der ihnen Liebe schenkt und auch mir Liebe schenkt, dieser Mann ist Cyril. Und ich könnte nicht glücklicher sein. Gerade als ich in küssen will, holt mich erneut ein grelles Licht aus der Simualtion.
»Zoe? Und?«
Quentin und Thea schauen mich grinsend an.
»Ihr wusstet es bereits, oder?«
»Natürlich.« , gibt Quentin preis.
»Ich freue mich so für dich, Zoe. Ich wünsche euch alles alles Liebe.«
»Es ist tatsächlich Cyril.«
Ich strahle über beide Ohren und kann es kaum erwarten Cyril zu sehen. Ich renne also aus dem Labor und suche den Weg zum Aufenthaltsraum. Dort sehe ich Cyril schon, der nervös auf und ab geht. Als er mich sieht, sehe ich ihn das erste Mal über beide Ohren strahlen.
»Zoe!«
Er kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Er drückt mich so fest, dass ich für einen Moment keine Luft bekomme, aber ich verzeiehe ihm schnell, als er mir einen Kuss gibt.
»Ich kann es gar nicht glauben.«
»Ich liebe dich, Zoe. Ich bin gerade der glücklichste Mensch auf Erden.«
»Ich liebe dich auch, Cyril.«
Und dann gebe ich mich seiner starken Umarmung hin. In seinen Armen spüre ich mich wie immer am sichersten, und deshalb bin ich froh, dass ich bei einer gescheiterten Revolution immerhin mit meiner wahren Liebe meine Tage absitzen kann.
»Zoe! Du wirst es nicht glauben.«
»Sel.. wer ist es geworden?«
»Es ist tatsächlich Nic. Und ich bin tatsächlich glücklich darüber. Das würde mir vor ein paar Wochen doch keiner glauben! Aber..«
Sie sieht Nic und rennt auf ihn zu. Sie umarmen sich für einen langen Zeitraum, lassen kurz von sich um sich anzuschauen und nehmen sich dann wieder in die Arme. Sel dreht sich um und schaut mich fragend an.
»Es ist Cyril.« Das Grinsen, das keine Sekunde später folgt, ist unvermeidbar.
Nicht so glücklich sieht Gina hingegen aus. Ich denke sie hat immernoch nicht verarbeitet, dass es leider nicht mein Bruder geworden ist.
»Tony?! Wirklich? Wie soll jemand mit ihm sein Leben verbringen?«
»Hat er nicht mit dir gesprochen?«
»Mit mir gesprochen? Worüber denn?«
»Er mag dich wirklich. Er überlegt dich abzulehnen, damit du im zweiten Anlauf jemand besseres findest.«
»Das würde er tun? Er war doch schon zweimal dabei..«
»Wie gesagt, er mag dich wirklich.«
Gina setzt sich nachdenklich hin und schaut in die Ferne. Es ist bestimmt nicht leicht in ihrer Situation zu wissen, was richtig ist. Aber ich hoffe, dass sie Tony eine Chance gibt. Er scheint einen weicheren Kern zu haben, als ich dachte. Vielleicht ist er genau das, was sie braucht.
Es dauert eine Weile bis ich meinen Bruder entdecke. Er sitzt in einer Ecke auf dem Boden und schaut dumm in die Wäsche. Ich frage mich, was bei ihm los ist. Ich setze mich zu ihm und lehne meinen Kopf an die Schulter.
»Meinen kleinen Bruder so zu sehen, macht mich traurig, was ist denn los?«
»Erstmal bin ich nur drei Minuten jünger als du, und zweitens hat das Programm sich für Liv entschieden.«
Ich weiß nicht genau, was ich sagen soll, immerhin mochte ich Liv nie, aber ich kann nicht verleugnen, dass ihre einzigen aufrichtigen Gefühle für meinen Bruder waren.
»Vielleicht sollte ich dir da was erzählen.«
»Ich verstehe nicht..«
»Hör einfach zu, Dümmerchen. Ich mag Liv nicht, das tue ich wirklich nicht, aber sie hat viel für dich getan. Weißt du wie oft sie Schläger und Mobber zurückgerufen hat? Weißt du wie oft ich sie in der Kabine über dich sprechen hören habe? Sie hat dich wie einen Heiligen dargestellt. Sie hat immer wieder gesagt, dass du der liebevollste, attraktiveste und lustigste Junge bist, den sie jemals kennengelernt hat. Und sie meinte, sie würde nie vergessen, wie du ihr einmal geholfen hast, wobei ich wirklich nicht weiß, was sie da gemeint hat. Jedenfalls solltest du ihr eine Chance geben. Manchmal verliebt man sich in die Person, die man früher niemals in Betracht gezogen hätte. Ich weiß, sie ist keine Gina, aber das Leben ist kein Wunschkonzert.«
»Ich weiß genau, was sie meint.«
»Was meinst du, Eli?«
»Sie war eines Abends allein in dem Viertel, du weißt schon. Sie war so sauer und traurig, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, wo sie war. Und du kennst die Leute da ja. Sie haben Liv bedrängt und wollten ihr an die Wäsche. Sie meinten immer wieder zu ihr, dass sie nur eine dumme und billige Schlampe sei und sie sich dementsprechend anziehe. Liv hat Rotz und Wasser geheult, sie hat geschrien und um sich geschlagen. So ein Typ hatte sie schon gegen eine Wand gedrückt, als ich mit zwei Freunden davon mitbekommen habe. Die anderen beiden sind einfach abgehauen, aber ich habe ihr geholfen. Ich habe den Typen die Ärsche vermöbelt. Und dann habe ich sie zu uns gebracht. Ihr habt alle geschlafen und nichts mitbekommen. Ich habe ihr Klamotten von mir gegeben, weil ich dich nicht wecken wollte, auch Liv wollte dich nicht wecken. Sie meinte, sie will nicht, dass jemand sie so sieht. Ich habe sie auch duschen lassen, sie hat sich immerhin echt dreckig gefühlt. Als sie fertig war, hat sie kein Wort gesprochen, nur weiter geweint. Ich habe sie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass alles wieder gut wird. Ich konnte sie beruhigen und wir sind Arm in Arm eingeschlafen. Als ich aufgewacht bin, war sie weg. In der Schule kam sie dann zu mir, tat so, als wären wir ein Paar. Ich habe ihr erklärt, dass ich das nicht will. Ich möchte mich nicht binden. Sie hat es nur so halb verstanden. Sie hat immer wieder mal versucht mir näher zu kommen, und einmal habe ich es sogar zugelassen.«
»Elias! Warum weiß ich davon nichts?«
»Es war mir peinlich. Alle haben mich aufgezogen, weil sie auf mich stand. Alle meinten, dass sie nur eine dumme Kuh ist, und ich denke ich habe den Leute zu sehr geglaubt. Ich habe mich ihr gegenüber scheiße benommen. Außer das eine Mal, als ich getrunken hatte und zu ihr gefahren bin. Ich habe sie nur geküsst und bin direkt wieder gegangen, aber ich habe es geleugnet. Ich wollte es nicht wahrhaben. Keiner mochte sie, und ich wollte meine Freunde nicht verlieren. Und genaugenommen kannte ich sie kaum. Ich weiß nichtmal wieso ich zu ihr bin.«
»Ehrlich gesagt klingt es so, als ob du sie mochtest, dich geschämt hast und die Meinungen anderer über deine eigene gestellt hast.. und Elias, das bist nicht du!«
»Ich weiß doch auch nicht. Immerhin war sie ja nicht nur dieses nette Mädchen, sie war auch eine falsche Schlange, die Leute gemobbt hat, unteranderem auch Gina. Sie hat so oft Leute fertig gemacht, dich auch.«
»Ja gut.. aber gib ihr eine faire Chance, versprichst du mr das?«
»Das sollte ich schaffen!«
Danach wollte ich komischerweise erstmal für mich allein sein. Ich wollte niemanden hören oder sehen, ich wollte mich auf mein Leben vorbereiten, denn heute Abend würde ich auch endlich erfahren welchen Beruf ich ausüben dürfte. Und ich wollte unbedingt Polizistin werden. Das war mein Traum - wobei er auch von meinem Vater eingepflanzt worden ist.
»Selten dich hier anzutreffen.«
»Das ist mein Zimmer, daher ..«
»Also meistens bist du bei einem deiner Toyboys oder du bist bei deinen dummen Freundinnen.«
»Warum warst du eigentlich nicht von Anfang schon so wie du bist, unverschämt und verzogen?«
»Du hättest ja auch von Anfang an eine Schlampe sein können, und nicht auf ewige Liebe spielen m-«
Ich holte aus, und verpasste ihr die Ohrfeige ihres Lebens. Ihre Wange schwellte sofort rot an und ich konnte sehen, wie sie sich die Tränen zurück hielt.
»Das hättest du nicht tun sollen!«
Sie öffnete wütend die Tür und rannte aus dem Zimmer und ich wusste sofort, wo ich hin musste.
»Thea? Ich habe scheiße gebaut, du musst mir helfen!«
»Was hast du denn getan?«
Aber es war wohl zu spät.
»Zoe Alicia Hales, bitte zu Penelope Hambridge. UNVERZÜGLICH!« , ertönte es aus den Lautsprechern.
»Mach dir keine Sorgen, Zoe, ich komme mit.«
Sie nahm sanftmütig meine Hand und drückte sie, um mir etwas Kraft und Mut zu geben.
»Ich bin sehr enttäuscht dich wieder hier zu sehen, Miss Hales.«
Ich wollte gerade etwas sagen, da nahm mir Thea die Aufgabe ab.
»Misses Hambridge, ich bürge für Zoe. Ich glaube nicht, dass sie sich noch einmal gegen die Regeln verhalten hat. Was für ein Vorwurf liegt überhaupt im Raum?«
»Miss Isla-Aurora Verdin meldete einen äußerst verwerflichen Vorfall. Sie behauptet, dass Miss Hales sie geschlagen habe.«
»Haben Sie irgendwelche Beweise? Ich zweifle sehr daran, dass Miss Hales so etwas tun würde.«
»Was sagen Sie denn selbst zu den Vorwürfen, Miss Hales?«
Ich musste genau überlegen. Würde ich lügen? Würde ich es einfach zugeben?
»Ich habe Isla tatsächlich eine Ohrfeige gegeben, es war aus Affekt, da sie sehr beleidigend wurde.«
»Beleidigend? Inwiefern?«
»Sie nannte mich eine Schlampe. Hinzu kommt, dass sie meine Freunde beleidigt hat.«
»Und da haben sie so reagiert?« Sie kramt in Ihren Unterlagen und schaut dann hoch, nachdem sie sich einem Paragraphen gewidmet hat. »Hier steht sie würden gern zur Polizei, stimmt das?«
»Ja, das stimmt.. Ich möchte für Recht und Ordnung stehen. Ich weiß, dass mir dafür einiges noch fehlt, allerdings ist das mein Traum seit ich denken kann!«
»Der genannte Vorfall ist nicht tragbar. Ich müsste sie genau genommen aus fast allen hohen Stellen streichen..«
In meinem Hals bildete sich ein Knoten und ich wusste nicht, ob ich den so schnell wieder lösen könnte.
»Misses Hambridge, ich bitte Sie, das Programm fordert viel von einem, und die ganzen Emotionen die in der Jugend noch sprühen sind der Grund für solche Reaktionen, und sobald Miss Hales erwachsen ist, werden die fort sein. Sie hat außerdem für den Gemeinsinn gehandelt. Sie hat ihre Freundinnen und ihre Ehre verteidigt, genau das, was hohe Positionen brauchen. Aufoperungsvole Menschen, die alles geben, tagtäglich. Die richtigen Methoden, wie sie das anzugehen hat, muss sie noch lernen, das stimmt. Aber ich bin sicher, sie werden kaum bessere Leute finden als Miss Hales.«
»Was Sie sagen ist nicht ganz falsch, Thea. Ich werde mir die Entscheidung offen halten. In wenigen Stunden erfahren sie ja dann weiteres. Aber noch ein Vorfall und sie werden eine ganz neue Zukunft vor sich haben.«
Ich nicke und verlasse nachdem ich mich bedankt habe den Raum.
»Du darfst dich nicht zu solchen Taten hinreißen lassen, Zoe. Viele Leute hier sind Neider, sie wollen dir nur schlechtes. Ermögliche Ihnen das bitte nicht auch noch!!!«
»Es tut mir ja leid, aber ich war einfach so sauer. Und ich hätte sie nicht so feige eingeschätzt.«
»Feige? Das war mehr als intelligent. Genau das richtige um jemanden, den man nicht mag, leiden zu lassen.«
»Ich werde mich den letzen Tag zusammenreißen. Das kriege ich auf jeden Fall hin.«
»Unglaublich, dass man uns in Gruppen eingeteilt hat um uns zu verkünden, wer welchen Beruf ausüben darf.«
»Wirklich, Sel? Darüber machst du dir Sorgen? Ich finde es viel schlimmer, dass ich den Beruf ohne wenn und aber ausführen muss. Was, wenn ich den Beruf nicht einmal ansatzweise ausüben möchte?«
»Gibt es einen Beruf der dir nicht zusagt? Von deinen Fähigkeiten kommt nunmal viel in Frage, Gina. Selbst schuld, würde ich sagen.«
»Also ich bete dafür, dass ich Polizistin werden darf.«
»Och, Zoe, du bist so ein untypisches Mädchen..«
»Ich bitte euch um Eure Aufmerksamkeit. Ihr kennt mich ja, für all' die jenigen die nicht mehr wissen wer ich bin, mein Name ist Thea Hales.« Sie macht eine kurze Pause und wartet bis es leise ist. »Ich werde euch nach und nach mitteilen, in welchem Bereich man euch angesetzt hat. Vorerst absolviert ihr dort ein Praktikum, welches so lange andauert wie eure Initiation. Sobald ihr euch zusammen mit eurem Partner als Paar behauptet habt, werdet ihr einer genaueren Richtung zugeteilt und erhaltet eure Berufsbezeichnung.«
»Nevada Loveless, Schauspielkunst. Holly J Sinclair, Jura. Selena Lopez, Schauspielkunst..«
»Ich und Schauspielerin? Das überrascht mich ehrlich gesagt ein wenig..«
»Gina Fabiano, Politik. Olivia Ferguson, Strafrecht.«
»Oliva hat mal wieder das, was ich wollte. Wenn das nicht schön ist.«
»Isla-Aurora Verdin, Modebranche. Helena Odeur, Erziehung. Zoe Alicia Hales, Strafrecht.«
»Und bist du jetzt zufrieden?«
»Ich bin mehr als nur zufrieden. Aber ich bin auch wirklich überrascht.«
»Wegen dem Vorfall von vorhin? Diese Isla darf froh sein, dass ich ihr keine verpassen darf, während des Programms.«
»Sel! Es ist schon okay, sie hat bestimmt keinen guten Partner abbekommen.«
»Ehrlich gesagt, hat sie Tobias bekommen.«
»Wirklich? Das ist doch scheiße. Gegen meine Erwartungen war er echt ein netter Kerl.«
»Jetzt fehlt nur noch unsere Bezirkszuteilung.« höre ich Gina murmeln
»Ich dachte wir bleiben in 39a.«
»Jedes Jahr gibt es einige die in andere Länder ziehen. So soll genetische Vielfalt erhalten sein. Frag mich nicht.« erklärt Sel mir weiter..
»Ich hoffe, dass wir alle hier bleiben dürfen. Ich möchte euch wirkich nicht missen. Ihr beide seid so gute Freundinnen für mich geworden.«
»Selbst wenn ich nach Afrika ziehe, ihr bleibt meine besten Besten.«
Selena zwinkert uns zu, legt ihre Arme um uns und drückt uns nah an sich.
»Ich stimme Selena zu. Es gibt ja immerhin Telefone die bei solchen Problemen helfen sollen, habe ich gehört.«
Es war schön beide so glücklich zu sehen. Alle drei von uns sind nicht mit der Person zusammen, die wir uns am Anfang der Reise erhofft hatten. Und bei Gina ist es nichtmal jemand geworden, dem sie sich nahe fühlt. Sel und ich haben wenigstens das Glück unsere Person wirklich zu schätzen. Ich für meinen Teil gehe auch soweit und sage, dass ich Cyril liebe. Es ist eine andere Liebe als die zu Valentin - er war meine erste Liebe, die Person, die ich immer lieben werde, komme was wolle. Aber verliebt bin ich nur in Cyril und das mit vollem Herzen.
Nun war auch schon der letzte Morgen angebrochen. Wir mussten alles bereits gepackt haben und bereit zur Abreise sein. Uns würde zu einer gewissen Zeit ein Mitarbeiter abholen und rausführen. Dann würde man uns in unsere Wohnungen fahren. Dort würden wir dann einen Monat mit der Person verbringen müssen, die uns zugeteilt wurde. Danach würde sich entscheiden ob man zusammen bleibe und dann heiraten würde. Zu meiner Überraschung lag die Erfolgschance bei 88%, welcher ein sehr guter Wert ist. Die Scheidungsrate lag bei 3%, allerdings denke ich liegt es hier daran, dass ein Scheidungsgrund entweder wiederholtes Betrügen (der Partner würde dann ins Gefägnis gehen müssen) oder Gewalt bzw ein Mordversuch sein muss.
Es war komisch mit Isla in einem Raum zu sein. Mich hatte es auch gewundert, dass man uns nicht versetzt hatte, allerdings war das wohl zu viel verlangt für einen Tag, bzw eine Nacht. Und ich wusste jetzt, dass ich stark bleiben musste. Immerhin ging es hier um alles!
»Ich bin so froh dich nicht mehr sehen zu müssen.«
»Beruht auf Gegenseitigkeit, keine Sorge.«
»Ich kann gar nicht glauben, dass du Cyril tatsächlich zugeordnet worden bist. Noch unglaublicher ist, dass er darüber froh ist. Ich meine, er ist schon ein gutaussehender Typ.«
»Wenigtens ist mein Partner zufrieden.«
Ich wusste nichts darüber, ob Tobias Gefallen an Isla hatte, aber ich ging davon aus, dass er es nicht tat. Und ihr Schweigen schien der Beweis dafür zu sein, dass meine Intuition genau richtig lag.
Plötzlich öffnete sich die Tür und Thea stand dort.
»Zoe, du kannst mit mir kommen.«
»Ich möchte ja nichts sagen, Thea, aber ich frage mich was-« wie umschreibe ich Revolution denn am besten.. »die Wende gewesen sein soll. Und was war so gefährlich, dass ich es nicht lesen durfte.«
Thea schaut mich erst verwirrt an, aber dann scheint sie es verstanden zu haben.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es schon vorgelesen wurde. Sobald du es lesen kannst, wirst du es auch.«
Also hat die Revolution bereits statt gefunden? Warum ziehe ich dann in ein neues Leben.
»Es ist allerdings nicht die Erstausgabe, die ich gelesen habe. Und ich habe das Gefühl die wäre anders gewesen.«
»Gut zu wissen, danke.«
Also musste ein Plan B herhalten.. was wohl Plan A von Plan B unterscheidet. Werde ich es noch früh genug erfahren? Oder muss ich mich gedulden.
»Du und Cyril bleibt in Bezirk 39a wohnen. Cyril wird in der Politik tätig sein, du im Strafrecht. Ihr werdet somit in der Stadtmitte wohnhaft sein. Dein Bruder und eine deiner Freundinnen wohnen ebenfalls dort. Selena wohnt etwas abseits. Aber keiner deiner Freunde wird den Bezirk verlassen. Dieses Jahr hat es eine Ferguson getroffen, die ältere. Nevada soll auch umziehen, allerdings lässt sie sich nicht finden.«
Gerade als ich nach draußen laufen will, erleuchten überall rote Leuchten und eine Sirene ertönt.
»Nein..«
»Thea, was ist hier los?«
»Nein.. Nein..«
Thea wirkt angespannt und schaut sich überall um. Sie scheint kleine Hinweise zu suchen.
»Geh raus, der Wagen wartet. Schau einfach wo Cyril sitzt.«
Sie will gehen, aber ich halte sie fest.
»Was ist hier los? Hat es mit Ty zu tun?«
»Ich weiß es nicht, das versuche ich rauszufinden.«
Sie rennt los, und ich renne ihr hinterher. Sie läuft über alle Gänge bis sie an Tys Zimmer angekommen ist.
»Er ist nicht hier..«
»Beruhige dich, Thea. Du musst doch wissen, wo er ist, wenn was ist.«
»Was ist hier los, warum rennt ihr zu Ty's Zimmer?«
Cyril muss uns gefolgt sein. Ich nehme ihn erstmal in den Arm.
»Du hörst doch die Sirenen, ein Notfall.. ich habe Angst, dass es um Ty geht.«
Wir sind direkt zu Miss Hambridges Büro gelaufen. Thea läuft in den Raum ohne zu klopfen.
»Misses Hales, Sie können nicht so einfach hier rein.«
Im Raum ist mein Bruder nicht zu finden. Im Gegenteil, dort steht die Familie von Nevada Loveless.
»Es tut mir leid, ich dachte nur ich hätte meine Wehen und war auf der Suche nach Ty. Ich dachte aufgrund der Sirene, er könnte als ärztlicher Beistand hier sein.«
Lügen war auf jeden Fall eines der Talente, das Thea besaß. Ich hätte mich nicht so schnell rausreden können. Cyril nahm mich am Arm und wollte mit mir gehen, da hörte ich entscheidende Worte.
»Es ist ein äußerst seltener Fall eingetreten, jemand hat sich das Leben genommen.«
»Ich kann nicht glauben, dass sie sich umgebracht haben soll. Ihr Leben schien doch gut. Sie war sogar wieder im Schauspielbuisness.«
»Hat Stefane dir nie gewisse Dinge über die Branche erzählt? Als Jugendlicher dort tätig zu sein, kann einen sehr kaputt machen. Nicht jeder sieht in dir das unschuldige Kind, manche sehen etwas anderes..«
»Denkst du, sie wurde..?«
»Ich hatte eine Verabredung mit ihr, sie klang nicht sehr positiv. Ich glaube irgendwas muss dort vorgefallen sein, was genau kann ich natürlich nicht sagen. Vielliecht lag es auch an ihrer Partnerwahl.«
»Wem wurde sie zugelost?«
»Lewis. Und ihn mag genaugenommen keiner. Er ist einfach kein guter Mensch.«
»Ich möchte Sie beide nicht stören, aber wir sind an ihrem Haus angekommen.«
Wir stehen vor einem großen Komplexgebäude. Es ist sehr kahl und schlicht. Ich weiß, dass Cyril und ich dank unserer Jobs in Stadtnähe bleiben müssen, und in der Stadt gibt es nunmal keiner Häuer, aber ein wenig enttäuscht darüber bin ich doch. Ich wollte immer in einem Haus wohnen, in dem ich auch aufgewachsen bin, aber ich sehe in Cyrils Augen, dass das hier mehr ist, als er jemals hatte und gedacht hatte haben zu können.
»Sie finden Ihr Apartment auf Ebene 13, Nummer 7.«
»Vielen Dank.«
Und nun standen wir vor dem riesengroßen Gebäude, je einen Schlüssel in der Hand und eine Tasche mit all' unseren Sachen in der anderen.
Das Apartment konnten wir gottseidank über einen Lift erreichen. Und das Apartment an sich war riesig. Es gab erstmal eine sehr geräumige Eingangshalle. Dann standen wir in dem größten Raum, dem Wohnzimmer, welches nicht von der Küche abgetrennt war. Im weiteren gab es zwei Bäder, ein WC, drei Schlafzimmer und ein Arbeitsraum. Es war mehr als genug Platz für uns, und um alles war sich bereits gekümmert worden.
»Du musst zugeben, es gibt auch gute Seiten an dem Programm.«
Ich musste zugeben, es gab tatsächlich auch gute Seiten an dem Programm, allerdings wollte ich diese Gedanken nicht laut aussprechen. Es gab für mich immernoch nur die Frage, was die Revolution denn gewesen sein soll. Und wo war Ty?
»Glaubst du Ty geht es gut?«
»Wir können Thea und Ty bestimmt bald bei sich zu Hause besuchen. Das Programm ist ja vorbei.«
»Wir müssen sowieso noch mit Ty sprechen, damit Ares zu uns kommen kann.«
»Ehrlich gesagt, habe ich bereits mit ihm darüber gesprochen.«
»Und?«
»Wir können ihn zu uns holen. Und wir müssen das auch, er soll in einem besseren Haus aufwachsen, als ich.«
Da musste ich ihm zustimmen. Ares war sein Bruder, und man sorgt sich um seine Geschwister. Und da frage ich mich etwas ganz wichtiges. Elias. Wo wohnt er? Wird man mir die Information bereitgestellt haben, wie angefordert? Oder werde ich mich durch die Systeme jagen müssen um ihn zu finden?
»Hast du irgendwo ein Notizbuch gesehen? Irgendwas wo man Adressen finden könnte?«
»Ich denke mal, du kannst auf deinem Smartphone gucken. Da soll zumindest wichtiges wie Arbeitsort, Arbeitszeit und weiteres stehen. Wozu brauchst du eine Adresse?«
»Ich muss doch wissen wo Elias wohnt. Und Selena. Und Gina. Und Valentin. Sie sind mir ja nicht egal.«
Cyril hatte Recht. Alles um was ich gebeten hatte, war in meinem Smartphone eingespeichert. Auch Dinge wie Arbeitsort und -zeit. Zu meiner Überraschungen würden Cyril und ich erst nächste Woche anfangen mit unserer Arbeit. Wahrscheinlich sollte man sich erst einleben, allerdings ist es so, dass es nichts gab, um was man sich hätte kümmern können. Die Wohnung war eingerichtet. Im Kühlschrank waren genug Lebensmittel. Und auch sonst war alles im Haushalt da, was man so gebrauchen könnte.
»Und was machen wir jetzt?«
»Also ich weiß ja nicht, wie es dir so geht, aber ich habe wirklich Hunger.«
Cyril hatte auch hier eine wichtige und richtige Anmerkung getätigt. Es war Zeit um zu kochen. Wobei es erst darum ging zu entscheiden, was wir überhaupt essen wollten. Als das dann entschieden war, war es an der Zeit sich alles zu Recht zu legen und das zusammen zu meistern.
»Ich kann gar nicht glauben, dass das Programm so gut wie vorbei ist. Noch weniger kann ich glauben, dass tatsächlich du mein Partner bist.«
»Glaubst du ich kann das so einfach glauben? Es macht mich aber umso mehr glücklich.«
Wir liegen das erste Mal nebeneinander in einem Bett, ohne das es verboten ist.
»Was glaubst du ist Ty's Plan?«
»Ich weiß nur, dass er ganz genau weiß, was er tun muss, um zu erreichen, was er will.«
»Ich hoffe ich erreiche Elias und die anderen morgen endlich. Ich muss wissen, wie es ihnen geht.«
»Unglaublich wie viel Liebe du in dir trägst. Und trotzdem bleibt etwas für mich übrig.«
Ich lege meinen Kopf auf seine Brust und schlinge meine beiden Arme um seinen Körper. Ich versuche ihm so nah wie möglich zu sein. Ich habe unfassbar große Angst, dass jemand das hier noch zerstören könnte. Es scheint alles einfach viel zu gut zu sein. Zu gut um wahr zu sein, um genau zu sein.
»Morgen kümmere ich mich um meinen Bruder, und du dich um deinen. Dann haben wir auch was zu tun.«
»Das hört sich sehr gut an.«
Er küsst meinen Hinterkopf und legt seine Arme endlich um mich, so dass mein Gefühl nach Sicherheit gestillt ist. Sein Tshirt riecht nach gerösteten Mandeln, genau wie sein Haar. Früher habe ich den Geruch gehasst, aber seit ich Cyril kenne, gibt es für mich keinen schöneren Geruch. Ich schlafe also mit meinem neuen Lieblingsgeruch und dem Gefühl nach endloser Sicherheit ein.
Es vergehen Wochen ohne irgendein spektakuläres Ereignis. Auch unsere Bemühungen Ares zu uns zu holen, werden aufgehalten. Man möchte erst abwarten bis Cyrils Großvater auch tatsächlich verschieden ist. Cyril macht dies wütend, vor allem da er Ares nicht besuchen kann. Er und ich sind beide noch sehr mit einleben beschäftigt. Es ist schon eine große Umstellung für alle. Zu Selena, Gina und auch zu Valentin, sowie Stefane und zu meinen Brüdern halte ich regelmäßig Kontakt. Aber wirklich jemanden persönlich gesehen von ihnen habe ich leider nicht.
»Zoe steh auf! Es ist etwas mit deinem Bruder passiert.«
Es ist mitten in der Nacht, als mich Cyrils Stimme aus meinen Träumen reißt. Ich schaue mich um und sehe Chaos. Was auch immer hier passiert ist.. wie konnte ich all' das nur verschlafen? Ich schaue hoch zu Cyril und kratze mir dabei den Schlafsand aus den Augen.
»Zoe, komm! Wir haben keine Zeit.«
Ich verstehe gar nichts. Wirklich bewegen, nachdenken oder irgendetwas gescheites scheint gerade nicht in meinen Möglichkeiten zu liegen. Ich richte mich langsam auf, während ich sehe wie Cyril mir Klamotten aufs Bett schmeißt. Dann schaut er mich an und ich habe langsam eine Ahnung, was hier eigentlich los ist. Er setzt sich nochmal kurz vor mich auf die Bettkante und atmet tief aus. Dann nimmt er sanft meine Hand und spricht.
»Thea hat mich angerufen. Dein Bruder ist verschwunden. Und Quentin ist auch nicht aufzufinden.«
»Ty ist weg?«
Auf einen Schlag bin ich hellwach und voller Angst. Was ist mit ihm passiert?
»Ja, Zoe. Dein Bruder und Quentin sind weg. Und mir haben sie gesagt, dass dies der Anfang sein wird. Und wir beide, du und ich, wir haben eine Aufgabe bekommen.«
Er zieht einen großen silberfarbenen Koffer aus dem Bett hervor und legt ihn aufs Bett.
»Quentin hat mir diesen Koffer gegeben und mir gesagt, dass das hier der letzte Ausweg ist. Ich sollte dich an dem Tag einweihen, wenn Ty und Quentin aufbrechen. Thea soll hiervon nichts wissen, vor allem jetzt wo die Zwillinge da sind.« Das hatte ich auch schon beinahe vergessen. Thea hatte längst die beiden Zwillinge geboren. Zwei wunderschöne kleine Jungen hatte Thea auf die Welt gebracht. Milo und Trevor hießen die beiden Goldstücke unserer Familie.
»Moment mal. Ty hat Thea ganz alleine gelassen mit den beiden Jungen?«
»Lass mich bitte ausreden. Wenn alles nach Plan läuft sind die beiden bald wieder da, wenn nicht, müssen wir den Koffer benutzen. Und Thea weiß zu ihrem Schutz nichts. Man könnte sie sonst wegen Hochverrats belangen. Wir beide gelten noch als junge Mitglieder, weshalb unsere Strafe mild ausfallen könnte, wenn wir es richtig anstellen. Dazu aber mehr, falls es dazu kommen sollte. Jedenfalls will Ty sich mit uns treffen. Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit. Also zieh' dich schnell an und lass uns dann endlich los.«
»Okay..«
Eine halbe Stunde befanden wir uns am alten Strandhaus meiner Eltern. Dort warteten Elias, Ty und Quentin auf uns. Sie sahen alle sehr gestresst aus - Elias knibbelte an seinen Fingernägeln rum, Ty kaute an ihnen und Quentin schmiss einen Stein nach dem anderen in den Fluss.
»Da seid ihr ja endlich.«
Ty rannte auf mich zu und nahm mich ganz fest in den Arm. Auch Elias nahm mich fester als gewöhnlich in den Arm. Und als ich begriff, wie lange ich das erste Mal von ihm getrennt gewesen war, wollte ich gar nicht mehr loslassen.
»Ihr habt mir so gefehlt. Ich will euch wirklich nicht länger als nötig missen müssen.«
Elias schaut betroffen rüber zu Ty und schaut dann in den leeren Himmel. Und auch Ty muss schlucken, und ich spüre, dass hier etwas in der Luft liegt: Abschied.
»Du wirst mich eine Weile nicht sehen können. Ich muss gewisse Dinge regeln. Offiziell sind Quentin und ich auf einer Reise um Forschungen anzustellen. Das ist es auch, was du Thea erzählen willst. Alles klar? Ich möchte, dass du stark bist, und dass du immer an Elias und Cyril glaubst. Selbst dann, wenn du das Gefühl hast, du solltest es nicht tun. Versprich mir das.«
»Was heißt eine Weile? Du kannst Thea nicht alleine lassen. Nicht jetzt, wo ihr eine große Familie seid. Und was ist mit Elias und mir? Wir haben dich doch auch gerade erst wieder!«
Mir rennen die ersten Tränen runter und ich weiß, dass alles was ich sage egoistisch ist. Mein Bruder tut das alles für seine Familie, für seine beiden Söhne, für seine Frau, für Elias, für mich, für Cyril, für Ares, für Selina, für jeden einzelnen der in dieser Welt gefangen ist. Deshalb muss ich jetzt selbstlos sein.
»Es.. es tut mir leid, aber es fällt mir nicht leicht.«
Ty nimmt mich nochmals in den Arm und küsst mich auf den Kopf.
»Vergiss nie, was ich dir gesagt und beigebracht habe. Du, dein Bruder, Thea und die kleinen, ihr seid das beste was ich mir jemals hätte vorstellen können. Ich hatte nie hohe Ansprüche an dieses Leben gestellt. Mir war immer bewusst, dass ich mehr hatte als ich brauchte und als ich jemals verdienen würde. Und dieses Gefühl musst du meinen kleinen Söhnen vermitteln, falls ich es nicht kann. Deshalb musst du ihnen eine gute Tante sein, und du musst das große Ganze weiterführen, falls ich scheiter. Und mach dir keine Sorgen über das wieso, du wirst schon einen Weg finden!«
Zwei Stunden später waren nur noch Elias, Cyril und ich am Haus und sahen uns um. Elias und ich erinnerten und an viele Stunden mit unseren Eltern zurück. Cyril sehnte sich sicherlich nach seinem Bruder. Es muss für ihn schwer sein mich jetzt mit meinem zu sehen.
»Ich kann immernoch nicht glauben, was die beiden vorhaben.«
»Kann mir mal jemand sagen, was "das" ist?«
»Zoe..«
»Ach, komm Cyril! Sie weiß doch fast alles, wieso nicht das?«
Cyril schaut Elias an und ich sehe Wut.
»Ich möchte sie schützen. Ich hätte sie auch hiervor geschützt, aber ich wüsste das sie mir nie verzeiht hätte, hätte sie sich nicht verabschieden können.«
»Sie ist meine Schwester, und ich kenne sie, sie braucht keinen Schutz. Sie ist intelligent und stark genug um selbst alles für sich regeln zu können.«
Cyril schaut zu mir rüber. In seinen Augen sehe ich Sorge. Er hat wirklich Angst um mich. Aber ich weiß, dass diese Angst unbegründet ist, denn mein Bruder hat Recht.
»Ich will es wissen. Also, bitte.«
»Dein Bruder reist zusammen mit Quentin um die Welt. Er sucht nach Anhängern. In einem Heft, das er dir nicht gezeigt hatte, stand etwas von mehreren Organisationen drinnen, die es früher einmal gegeben hat. Er ist auf der Suche nach Verbündeten. Er will den Kreis erweitern um irgendwann einen großen Schlag auszuholen.. Er wird uns Briefe und Nachrichten zukommen lassen. Falls er währenddessen, scheitert.. dann werden wir nicht nur keine Nachriten mehr erhalten, sondern diese Aufgaben übernehmen müssen. Und ich hatte ehrlich gesagt vor, dich nich mitzunehmen. Du sollst dein Leben leben können.«
»Für mich gibt es aber kein Leben mehr ohne Freiheit. Und genauso gibt es auch kein Leben ohne dich. Oder ohne meine Brüder. Und für euch alle, würde ich mein Leben in gewissermaßen aufgeben um dann endlich eines nach meinem Bild haben zu können. Und ich warne dich, wage es nicht mir solche Entscheidungen abzunehmen.«
»Das werde ich in Zukunft unterlassen.«
Und so war es also, dass ich warten müsste. Ich musste auch Thea anlügen. Und ich musste mehr warten. Warten darauf, dass ich Nachrichten bekommen würde. Und die erste kam schneller als gedacht. Und die zweite kam auch, dann kam die dritte.. und es ging so weiter. Es ging über Wochen, über Monate, über Jahre. Zu jedem Geburtstag kam neben einer Nachricht ein Geschenk. Er vergaß keinen. Thea, Milo, Trevor, Elias, ich, Cyril und selbst Ares, der nach einem Jahr endlich zu uns kommen durfte, bekamen Geschenke. Und irgendwann war es soweit, dass drei Jahre vergangen waren, und wir immernoch Nachrichten bekamen, aber eines Tages, da kam die Nachricht mit einem süßlichbitteren Beigeschmack:
"Hey, Zoe. Es wird bald soweit sein. Nach drei Jahren harter Arbeit steht alles bereit. Bald wird nichts mehr so sein, wie du es gekannt hast. Drück uns die Daumen, dass wir alles genau richtig abgeschätzt haben. Das große Ganze wird endlich eine größere Bedeutung haben. Und ich hoffe sehr, dass du nicht vergessen hast, was ich dir damals gesagt habe: Vertrauen! Ich bin sehr stolz auf dich. Ihr fehlt mir sehr, und ich hoffe wir sehen uns bald. Ich hoffe ich kann bei euch sein, wenn es passiert."
Texte: All rights reserve to me.
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Tag der Veröffentlichung: 24.08.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An die wahre Liebe, die ich noch kennenlernen will.