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Da, wo Himmel und Meer sich treffen, zu einem schnurgeraden, dunkelblauen Strich, zum Horizont zusammenfinden, dahin ist der Blick gerichtet. Man hat den Fahrtwind in den Haaren, die Sonne im Nacken und Salz auf den Lippen. Man sitzt unterm Mast bei Windstärke 0, das Meer spiegelglatt, also Gott sei Dank kein Grund weit und breit sich schlecht fühlen zu müssen. Sonnencreme hat man dick aufgetragen und ahnt nicht, daß man sich trotzdem krebsrote Knöchel holen kann. Der Autopilot steuert die Jacht durch das glatte Wasser, schafft Distanz zum Festland mit all seinen überflüssigen Dingen, die klein und kleiner werden, entschwinden, und sollte man irgendwelchen ungelösten Ballast mitschleppen, so löst sich dieser freundlicherweise nach und nach im Meereswasser auf, vermischt sich mit dem Salz, taucht ab, ist weg, nicht mehr da, und man ruft selbstverständlich dem Skipper nicht zu, er solle den Kahn stoppen, man hätte etwas verloren. Außer es handelte sich um einen läppischen Sonnenhut. Man läßt den Blick über die unendliche Weite schweifen; Meer, Meer, Meer – was will man mehr. Vielleicht einen Blick auf einen abtauchenden Wal oder wenigstens einen auftauchenden Delphin. Mit wachsamem Auge blickt man in die gleißende Fläche – und, wahrhaftig: da ist was! Die Flosse eines Wals! Nur schwer läßt sich der skeptische Skipper vom Kurs abbringen, aber schließlich übernimmt er nun selbst das Ruder. Da vorne, leicht rechts, zehn nach zwölf, da war´s. Mutig steuert der Skipper die Stelle an. Ach, schau an, Treibholz… Na so was, man hätte schwören können… Ein Skipper hat in der Regel immer Recht. Das schreibt man sich fortan hinter die geröteten Ohren. Man ist jetzt vom rechten Kurs abgekommen, doch der Skipper kriegt das wieder hin.

Irgendwann ist der Punkt der absoluten Freiheit

erreicht: da, wo kein Land mehr in Sicht ist, da, wo die endlose Weite des Meeres wehrlosen Seereisenden die Sinne raubt. Sonne, Wind, Meer, freundliche Wellen, die sich unter dem Bug kräuseln. Man hängt jetzt trunken im Bug auf der äußersten Spitze wie eine nahezu graziöse Galionsfigur, man riecht und schmeckt das Meer.
Hier könnte man verweilen bis in alle, alle Ewigkeit. Auch Nietzsche würde das unterschreiben, man ist sich da sicher - ja, gut, halbwegs sicher - denn Lust will, wenn es nach ihm geht, tiefe, tiefe Ewigkeit, und das wiederum kann man ihm unterschreiben. Überhaupt hätte ihm, Nietzsche, so eine Seereise gut getan anstatt auf einsamen, idyllischen Engadiner Pfaden zu wandeln. Man hätte ihn bei der Hand genommen, komm Friedrich, laß uns in See stechen, und unter dem Mast hätte man über Freiheit und vieles mehr geredet. -
Aber der Bug pflügt durchs Wasser, Seemeile um Seemeile, und plötzlich ist wieder Land in Sicht. Plötzlich ist es da, erhebt sich in Form einer Schlange langsam aber stetig aus dem Nichts und reiht sich am Horizont ein. Eine unbekannte Insel mit einem unbekannten Hafen mit unbekannten Leuten und dazugehörigen Sorgen. Hoch oben auf einem Felsen unter blaustem Himmel schiebt sich ein weißer Leuchtturm ins Bild, zu seinen Füssen Häuser in pompeianischem Rot, das stahlblaue Meer der Rahmen. Man ist fasziniert von diesem pittoresken Gemälde und hält es im Geiste fest, um es an grauen Wintertagen aufzurufen.

Irgendwo, in einer Bilderbuch-Bucht, wirft der Skipper den Anker. Magisch lockt das türkise Wasser. Man wirft alles von sich und springt ins prickelnde Naß. Beim Auftauchen überdenkt man, wie man denn wieder an Bord komme, und eine verwirrte Meduse zieht vorbei.
Der zuverlässige Skipper ist natürlich zusammen mit der Leiter an Bord geblieben.

So vergehen mittlerweile namenslose Tage – wie soll man sie beschreiben, wie soll man in Worte fassen, was einen befällt; ein Zustand von allem losgelöster Leichtigkeit, ist es die Sonne, die sich sengend über die Gedanken legt und sie austrocknet, ist es der Wind, der sie mit sich nimmt oder ist es das Meerwasser, das sie wegwäscht. Jedenfalls fühlt man sich eins mit den Elementen, man taucht immer wieder ab ins Türkis, schwimmt mit den Fischen, man ist quasi einer von ihnen, man segelt im Wind, badet in der Sonne. Und wenn man zwischendurch träge auf dem Deck liegt im Schatten des Sonnendaches, die See spiegelglatt, und immer wieder diese Wolken, die vorbeiziehen und manchmal eine Möwe, mag man sich überflüssigerweise fragen, wann der Überdruß sich einstellen werde, denn er bleibt fern, stellt sich nicht ein, und die Wolken sind immer wieder andere und die Möwen – ein Kapitel für sich. Jedenfalls hat Morgenstern recht, sie sehen aus, als ob sie alle Emma hießen. Wie sie kreischen – bereits die jungen, noch braun gefiedert, können kaum fliegen – aber kreischen können sie, ganz große Klappe. Hämisch kommen sie rüber, wären sie keine Möwen würde man sagen diebisch. Vielleicht freuen sie sich diebisch, daß die Zeit unweigerlich kommen wird, wo die mediterranen Buchten und Felsen wieder ganz alleine ihnen und nur ihnen gehören werden, wenn all die Sonnen- und Meerhungrigen abziehen und wieder hinter Schreibtischen sitzen, über Schulbüchern brüten, sich in Büros ärgern oder sich sonst wo abrackern. Tuckert man mit dem Schlauchbötchen den Buchten entlang, kommt man auf Augenhöhe mit ihnen, sie sitzen in Gruppen auf dem Wasser und lassen sich nicht stören. Man ist erstaunt, wie groß sie sind, was für mächtige Schnäbel sie haben. Man wird argwöhnisch beäugt, und wenn sie sich dann kreischend in die Lüfte schwingen, lassen sie auch ungeniert was fallen – ein kleines Wort mit drei Buchstaben.

Zwischendurch an Land, wo man landkrank wird, der Boden hebt und senkt sich, unbekannte Läden, unbekannte Boutiquen, unbekannte Buchläden mit Büchern bekannter Autoren und bekannte rote Spaghettis in unbekanntem Ristorante

.

Nachts, vor Anker im sicheren Hafen, liegt man erledigt in der Koje, überläßt sich dem sanften Schaukeln des Bootes, es ist heiß, die Bullaugen sind offen, ab und zu streicht ein kühlendes Windstößchen durchs Schiff, man läßt sich einlullen, hin und wieder plätschert es unter dem Bug, die Geräusche des Hafens - das Klirren einer Ankerkette, das Hecheln einer Wasserpumpe, das Tuckern eines Motorbootes - begleiten das Einschlafen. Es wird ruhig, eine laue Nacht, gutes Wetter vorhergesagt.
Ein früher Morgen beginnt, wieder eine Ankerkette, nur weckt sie einen diesmal. Ein angefressener Seebär muß schon - wer weiß aus welchem Grund - in aller Herrgottsfrüh den Anker lichten und in See stechen. Ein wenig mag es einen stechen, daß man so früh dem Schlaf entrissen wurde. Aber so ist das im Hafen auf dem Schiff.

Und die Tage gleiten mit den Wolken dahin, wie viele, man weiß es nicht. Viele. Jedenfalls ist man, es war nicht zu verhindern, schon ganz schön braun, Milchschokolade, und sollte man jetzt beschleunigt dem faltigen Alter entgegenschreiten - es wird ja weiß Gott genug prophezeit, daß die Sonne vorzeitig altern läßt - könnte man es nun nicht mehr verhindern, und man wäre erst noch selber Schuld!

Dann, in einer Bucht vor Anker, starkes Windaufkommen, von einer Stunde auf die andere. Die Jacht schaukelt, das Meer, nun dunkelblau, unberechenbar, schäumt und spritzt bis an Bord. Man ist überrascht und merkt, dem Meer ist nie zu trauen, erst noch friedlich freundlich, und nun bringt es einen in diese Bedrängnis. Man ist nun nicht mehr eins mit den Elementen, sie sind allesamt gegen einen und spaßen nicht. Unter Deck gehen ist nicht ratsam. Jetzt wäre ein Grund da, daß es einem übel werden könnte. Sogar sehr übel. Leichte Hektik kommt auf an Bord. Sonnendach runter, Bullaugen zu, alles festgezurrt, Anker eilends gelichtet und um die Insel ins ruhigere Gewässer geschippert. Das Praktische an einer Insel: ist das Meer auf der einen Seite bewegt, ist es auf der andern Seite ruhig. Sämtliche Segeljachten und Motorboote drängen sich hier Schutz suchend.
Und die Möwen haben ihr Gaudi im Aufwind. Man gönnt es ihnen.
Später, im ruhigen Hafen, erst mal aufs Klo.

Irgendwann, wenn das Blau der Augen aus der Gesichtsbräune langsam unerträglich hervorsticht, lichtet der Skipper den letzten Anker und steuert das Land an, dem man den Rücken gekehrt hat, und je näher man ihm kommt, desto deutlicher erkennt man diese verdammte Höllenscheiße, die sich dem Meer wer weiß wie abgetrotzt hat und da am Ufer steht in unübersehbarer Importanz:
das Ballast-Empfangs-Komitee von A bis Z.
Ahoi denn.


Impressum

Texte: (c)Text und Bild by Jeanne GueschJuli 2011
Tag der Veröffentlichung: 23.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Serena und Pietro

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