Je kürzer der Text, desto kniffliger das Basteln im Vorfeld. Kampf um jedes Wort, und ohne Pointe wär´s vergebene Müh. Dafür hat´s der Leser in 30 Sekunden gelesen, und hoffentlich darf er am Ende lachen - oder wenigstens schmunzeln.
Bedroht
Breitbeinig stellt sie sich mir bedrohlich in den Weg. Sie ist robust und läßt weder mit sich spaßen noch reden. Das ist mir sofort klar. Ihre Tätowierung ist unübersehbar, ihre Piercings furchterregend. Sie kaut irgend etwas, schiebt es dauernd im Mund hin und her. Wortlos mustert sie mich von oben bis unten mit einem gefährlichen „was- guckst- du-Blick“. Was will sie? Mein Handy? Sie läßt mich nicht aus den Augen. Sie ist äußerst gereizt - und hat alle Zeit der Welt.
Calm down, sit down und schnall den Rucksack ab, sag ich mir.
Irgendwann wird es der Kuh zu bunt.
In luftiger Höh
In meinem Hals würgt die Aussicht aus 2000 Meter Höhe auf bunte Wiesen, ockerfarbene Felder, dunkelgrüne Wälder, braune Aecker, graue Strassen, goldige Kirchturmspitzen, blaue Swimming-Pools, schimmernde Flüsse, weisse Bergketten, grüne Hügel, rote Dächer, hellbraune Feldwege, wehende Fahnen, blitzende Autos, gelbe Strohballen, glitzernde Seen, begleitet vom Bimmeln der Kuhglocken. Alles entschwindet, wird winzig und winziger; Strohballen werden zu Stecknadeln, Autos zu Ameisen. Ocker, Grün, Rot, Grau, Blau, Gelb und Weiss verschmelzen zu Farbklecksen im Malkasten.
Mir wird schlecht, ich habe feuchte Hände und verkrafte die Ansage des Ballonführers, er habe soeben den letzten Sandsack abgeworfen, Steigung um 80 Meter, nicht mehr…
Lavendelfeld im Blickwinkel
Da ist es, das blau-violette Lavendelfeld, eingerahmt von rotem Klatschmohn, gelben Getreidefeldern, dazwischen das Silbergrün der Olivenbäume. Mein Fotografenherz rast. Der betörende Lavendelduft raubt mir die Sinne. Wie in Trance schreite ich mit meiner Foto-Tasche ins Lavendelfeld, tauche ein in die blauen Wogen, tausend atemberaubende Blickwinkel entdeckend. In der Mitte steht ein mächtiger, Schatten spendender Olivenbaum. DAS Licht, konstatiert mein Fotoauge. Der Wind streicht durch mein Haar, wiegt die Lavendelhalme sacht. Die Hitze flirrt über dem blauen Wunder. Das Bild meiner Träume.
Ich öffne meine Foto-Tasche und…
ihr entsteigt ein feuriger Aladin; wir wälzen uns im Lavendelfeld bis zum Abendrot.
Texte: (c) Text und Cover by Jeanne Guesch
2010
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2011
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