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1. Tag:

Die Palmfächer schaukelten leicht im Wind und zeichneten ein feines Muster auf eine blasse, nackte Männerbrust, die auf einem Liegestuhl lag. Es handelte sich um Armin Müllers Brust.
Er hatte die Augen halb geschlossen und betrachtete aus dieser halben Sicht den glitzernden Meeresstreifen. Ab und zu döste er wohlig vor sich hin. Die Sonne schaffte es, zwischen den wippenden Palmwedeln den einen oder anderen Körperteil zu bestrahlen, und Armin Müller ließ es genüßlich geschehen.
Etwas Bräune würde nicht schaden. Hinter dem Schreibtisch käme sie gut zur Geltung. 6 Tage Meer, Sand, Strand und Nichtstun. Herrlich!

Plötzlich warf sich ein Schatten über ihn, und ein feiner Sandregen rieselte auf den Liegestuhl verursacht durch ein paar energisch auftretende Flip-flops.
Sie gehörten zu Therese.

„Armin, hier bist du“ ertönte es schrill, so daß der Namensträger aus dem Dämmerzustand aufschreckte.

„Ich hab doch gesagt, ich möchte an den Pool, nicht an den Strand! Der Sand ist unerträglich, er ist überall!“

Armin Müller öffnete etwas weniger entspannt die Augen. „Ja, also, ich glaube, wir finden hier keinen Strand ohne Sand.“

Therese schraubte ihre Stimme zwei Töne höher: „Armin, ich will zum Pool, komm jetzt!“

Armin Müller gab nach, und sie legten sich in der Menge auf die beiden letzten Liegestühle am Pool.

„Armin, könntest du mal?“

Therese reichte ihm die Sonnencreme und legte sich bäuchlings auf die Liege.
Er salbte die verschiedenen Körperteile wie gewünscht ein und ließ sich anschließend erschöpft neben ihr nieder. Es war hier bedeutend heißer als am Strand, und vom Pool her hörte man die Stimme des Animators, der seine Aqua-Gym-Truppe trimmte. Armin Müller unterdrückte sein aufsteigendes Bedauern über den Szenenwechsel und versuchte, in ein Nickerchen abzutauchen.

„Armin, hast du den Kellner gesehen?“

Der Angesprochene zuckte kurz mit den Augenlidern.
„Nein, hab ich nicht.“

„Meinst du, er kommt? Ich hätte gerne was Kühles“, Therese fand keine Ruh.

„Wird schon kommen.“

Doch der Service ließ zu wünschen übrig, und der Kellner kam nicht.
Armin Müller gab nach und besorgte den Drink. Erneut schloß er die Augen, um endlich in den angenehmen Dämmerzustand zurückzufinden.

„Armin, jetzt hab ich mein Buch im Zimmer vergessen.“

Armin Müller trocknete sich den Schweiß von der Stirn und gab nach: „Ich hol’s dir.“

Zeit fürs Dinner. Armin Müller hatte sich ein frisches Hemd übergezogen, Therese stöckelte herausgeputzt auf ihren High Heels daher. Der Speisesaal war schon recht besetzt mit hungrigen Urlaubern. Armin Müller suchte nach ihrem Zimmer-Nummer-Schildchen und fand es auch gleich auf einem Tisch nahe dem Eingang. Er freute sich auf die im Menu angekündigte Fischsuppe.

„Armin, das ist jetzt aber ein ungünstiger Tisch – so nahe am Eingang“. Therese zog
fröstelnd ihren Seidenschal über die nackten Schultern. „Es zieht wie Hechtsuppe!"

Der Kellner servierte eben die Fischsuppe und Armin Müller griff ohne Verzug nach dem Löffel.

„Dann habe ich es wieder im Rücken, Armin!“

Armin Müller schnaubte leicht in die Fischsuppe, so daß sie vom Löffel plätscherte und ein paar Spritzer auf seinem Hemd landeten.

„Ja, Theres“ gab er resigniert nach und winkte den Kellner herbei, der jedoch bedauernd den Kopf schüttelte, denn alle Tische wären belegt.
Armin Müller löffelte die inzwischen erkaltete Fischsuppe zu Ende und aß sich durchs Menu über die gereizte Stimmung hinweg.

Der anschließende Schlummertrunk an der lauschigen Pool-Bar vermochte Therese zu besänftigen, und sie fand Muße, ein aktuelles Thema anzuschneiden:

„Armin, für den 10. Mai müssen wir noch die Gästeliste durchgehen“.

Armin Müller, der den Vollmond über den Palmen betrachtete, fand in die Wirklichkeit zurück. Ja, der stand an, der 10. Mai 2010. Der Hochzeitstermin. Therese hatte die Vorbereitungen im Griff. Seit 6 1/2 Jahren lebten sie schon zusammen, und jetzt wollte sie endlich die berühmten Nägel mit Köpfen machen, denn die ebenso bekannte Bio-Uhr tickte…
Armin Müller bestellte sich noch einen Absacker. Klar, eine Familie, irgendwann sollte es sein. –

„Armin, was denkst du?“ Therese legte ihre Wange an die seine, und er roch ihr Parfum, das er eigentlich schon lange nicht mehr wahr nahm, so sehr hatte er sich daran gewöhnt.


2. Tag:

„Armin, die Kleinen wollen nach draußen zum Ballspielen, gehst du mal?“
Lautes Kindergeplärre ertönte.
Er versuchte, die beiden Kinder an der Hand zu nehmen, aber sie warfen sich brüllend auf den Boden, und Thereses Stimme übertönte das ganze Szenario:
„Armin!“

Das Kindergeschrei schwoll an und Sandklumpen flogen auf Armin Müllers leicht gerötete Brust, was ihn glücklicherweise aus seinem Alptraum riß.

Zwei balgende, in den höchsten Tönen plärrende Kleinkinder bewarfen sich gegenseitig mit Sand, der in alle Richtungen flog.

Armin Müller schüttelte sich den Sand von der Brust, und ihm wurde dabei glasklar:
es war seine letzte Chance, um aus dieser Chose rauszukommen: keine Heirat!

„Armin“, zwei Flip-flops näherten sich.

Nur, wie sollte er das Therese beibringen?


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.11.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Beitrag zum Wortspiel

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