Tränen. Jammern.
Frauen brechen zusammen, junge Männer in Soldatenuniformen erbrechen sich.
Es stinkt zum Himmel.
Nicht nur die Leichen in der Grube, nein, die ganze Sache stinkt zum Himmel.
Männer in weißen Plastikoveralls holen eine Leiche nach der anderen aus der Grube.
Behutsam legen sie die toten Männer, jung und alt, nebeneinander auf den Boden.
Wenigstens im Tod ein wenig Würde.
Alte Frauen mit Kopftüchern und vielen Sorgenfalten im Gesicht, fangen an zu schreien, müssen von Soldaten aus fremden Ländern gehalten werden.
Irgendwo im Hintergrund hört man die leise Stimme eines alten Mannes, der das Schlachten überlebt hat. Er singt Suren aus dem Koran, die jungen deutschen Soldaten fallen leise mit dem Vater-Unser ein, eine junge Helferin murmelt leise Talmud-Verse. Sie ist Jüdin und fühlt sich um Jahrzehnte zurückgeworfen in eine Zeit, die sie selber nur aus Erzählungen kennt.
Warum lernen die Menschen nicht?
Ein Schrei unterbricht alle Gebete. Ein heller, spitzer Schrei. Eine junge Frau stürzt nach vorne durch die Menschenmenge, fällt von einem der Männer in Weiß auf die Knie.
Er hält einen kleinen Jungen auf dem Arm. Der kleine Körper ist schon am verwesen, aber das Grün der Cordhose sieht man noch deutlich genug.
Es ist ihr Sohn, fünf Jahre alt.
Er ist tot.
Der Grund ist seine Religion und sein Geschlecht.
Die junge Frau schreit, zittert, Tränen fließen in Strömen über ihr Gesicht. Sie entreißt dem Mann ihr Kind, legt es sich auf den Schoß und wiegt es hin und her.
Stumm vor Entsetzen sehen die Menschen zu ihr hin. Einige der jungen Männer haben Tränen in den Augen, einer sieht seine Waffe angewidert an, ein anderer übergibt sich hinter einem Strauch.
Die Frau weint stumm vor sich hin. Wiegt noch immer ihr totes Kind. Warum lebt sie noch? Ihr Lebenssinn liegt tot in ihrem Schoß. All die Demütigungen, all die Vergewaltigungen, die Folter hat sie über sich ergehen lassen. In der Hoffnung ihren Sohn wiederzusehen. Lebend, nicht tot!
Alle sehen zu ihr, es ist still, nur ab und zu ist die Stille vom Schluchzen einer alten Frau unterbrochen. Dann steht sie auf, beobachtet von zahlreichen Augenpaaren. Zärtlich sieht sie ihren toten Sohn an, dankbar die Männer in Weiß und den fremden Soldaten, die gekommen waren um zu helfen. Zu spät für ihren Sohn, aber nicht zu spät für die Menschlichkeit.
Dann dreht sie sich um, geht auf ein Feld, das abgesperrt ist.
Minengefahr!
Ein junger Soldat will sie aufhalten, doch der alte Mann hindert ihn. Kopfschütteln des Alten, Verstehen des Jungen.
Man versteht sich ohne Worte. Ach, könnte es doch immer so sein.
Die Männer in Weiß gehen wieder ihrer Arbeit nach, die Menschen konzentrieren sich wieder auf das Geschehen.
Nur noch einmal kehrt Ruhe ein.
In dem Moment als eine der Minen explodiert. Die Menschen zucken nicht einmal, aber die Gebete in fremden Sprachen werden wieder lauter...
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2010
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