Cover

Prolog

Es war DER Abend an der St. Franklin’s High School. Der jährliche Abschlussball für die Senior Year, das größte Ereignis an unserer Schule und wahrscheinlich auch im Umkreis von hundert Meilen. Denn etwas Interessanteres als Schulveranstaltungen gab es in einem Nest, Mitten im hintersten Lande von Tennessee, wirklich nicht, außer das jährliche Squaredance Festival. Und da es nun einmal hier nicht sehr viele Möglichkeiten für ein Mädchen mit fünfzehn Jahren gab sich richtige Schick zu machen – ohne gleich als vulgär beschimpft zu werden –, freuten sich alle auf diese Veranstaltung schon das ganze Jahr über.

Also stand ich nun schon seit einer geschlagenen Stunde vor dem Spiegel und versuchte möglichst perfekt auszusehen, auch wenn ich nur als Arbeiterin dort war, wollte ich nach meiner Schicht noch immer Spaß haben. Aber der wirkliche Grund für mein Outfit war nicht, dass ich mich so unbeschreiblich auf dieses Fest gefreut hatte. Nein, der wirkliche Grund hatte einen ganz bestimmten Namen. Ryan, mein unglaublich toller, liebevoller und vor allem total heißer Freund. Auch wenn wir mittlerweile schon sieben Monate zusammen waren, war ich dennoch unbeschreiblich nervös. Wie schon erwähnt, war es hier eben DAS Ereignis schlechthin und da war es mir wichtig nicht nur toll auszusehen, sondern unbeschreiblich, sagenhaft, traumhaft und noch unzählige Adjektive mehr, die mir im Moment nicht einfallen.

Ich hatte ein langes türkisblauschimmerndes Ballkleid aus dem Internet bestellt. Ein Traum aus Tüll und die Farben und kunstvoll angenähten Perlen erinnerten an die Farbenbracht eines Pfaus. Die Haare hatte ich gewaschen und mit einer ganzen Dose Schaumfestiger versehen, um sie schließlich auf große Lockenwickler aufrollen zu können, damit sie mir in geschmeidigen roten Locken über die Schultern fielen.

Da es nun einmal Tradition war, die Jüngeren die beim Ball arbeiten mussten, zu blamieren und schlecht gekleidet kommen zu lassen, musste meine Klasse und die Parallelklasse nun als Tiere verkleidet kommen und natürlich mit Maske. Da hatte ich überhaupt kein Problem, denn mit meinem Kleid war ich der totale Hingucker und als Maske klebte ich mir schwarzglitzernde Schmuckpflaster – oder wie auch immer die heißen – am Augenrand auf und vermied damit nicht zu dick aufzutragen.

Zufrieden duschte ich mir meine Wimpern, trug einen leicht, unauffälligen Lidschatten auf und zum Abschluss noch ein bisschen Lipgloss. Normalerweise hätte ich mich ja nicht so aufgebrezelt, aber tja die Senior Year ließ mir ja nichts anderes übrig und Demi – meine beste Freundin. Sie hatte mir nämlich geschickt den Floh ins Ohr gesetzt, dass ich doch bestimmt nicht wie ein Landei vor Ryan herumlaufen wollte. Ihr genauer Wortlaut – um ehrlich zu sein – lautet: „Ryan kommt nicht von hier, sondern aus New York. Der ist etwas anderes gewohnt.“

„Ryan kommt nicht aus New York, sondern aus New Jersey“, versuchte ich geschickt ihren Versuch zu unterbinden.

„New York. New Jersey. Papperlapapp! Wo ist da denn bitte der Unterschied? Du musst ihm etwas bieten und außerdem willst du doch bestimmt nicht vor ihm wie ein Dorftrottel herumlaufen, der nichts von Mode versteht, oder?“ Da hatte es bei mir einfach Klick gemacht und ich war Feuer und Flamme für die Idee den älteren Schülern eins auszuwischen.

 

Als ich so hinter dem Tresen stand und einen Tequila Sunrise mixte, hangen meine Gedanken bei Ryan und sein komisches Verhalten heute Abend, aber das lag vermutlich daran, dass der Todestag seiner Mutter kurz bevorstand. Außerdem konnte ich seine Wortkargheit wohl kaum als komisches Verhalten abtun. Er war sonst ja auch ruhiger, aber normalerweise nie wenn ich dabei war und das bereitete mir eine Menge Gedanken. Denn der einzige Satz den er mit mir wechselte war: „Das Kleid steht dir gut.“. Das war’s! Sonst hatte er nichts mehr gesagt! Weder bei der Hinfahrt noch beim Ball selbst. Nein, viel mehr schien er mich zu meiden.

 

„… Kiste Bier holen.“, riss mich Chelsey – meine Klassenkameradin – aus meinen Gedanken und ich warf ihr einen verwirrten Blick zu.

„Was hast du gesagt?“, schrie ich ihr entgegen und schüttelte dabei den Cocktail geschickt mit einer Hand.

„Ich fragte wo Ryan ist? Er ist schon eine dreiviertel Stunde Bier holen.“, brüllte sie, die laute Musik übertönend. Ich schüttelte stirnrunzelnd den Kopf und blickte nun über die Menge hinweg, aber wie zu erwarten fand ich ihn natürlich nicht.

„Hier nimm, der ist für dem Typ da“ Ich zeigte auf einen Jungen mit braunem Haar und einem hellgrauen Anzug, drückte ihr dann noch das Getränk in die Hand und marschierte einfach mit den Worten: „Ich geh ihn suchen“ von tannen.

Komischerweise kam ich relativ schnell voran und musste nur etwas die Leute beiseiteschieben um vorbei zu kommen, aber dennoch brauchte ich fünf Minuten bis ich bei dem Vorratsraum ankam. Relativ kurz, da man sonst eine viertel Stunde für eine Strecke bei dem Getümmel benötigte. Ich griff nach der Türklinke, drückte sie hinunter und öffnete die Tür, doch dann erstarrte ich und beobachtete das Schauspiel das sich mir bot.

Ryan hatte ein Mädchen an die Wand gedrückt, die Blondine umschlang geschickt seine Hüfte mit ihren langen Beinen, während er ihr seine Zunge in den Rachen steckte. Eine Hand von ihm hatte sich unter ihrem beinahe schon lächerlich kurzen Kleid verirrt, die andere zerwühlte wüst ihr Haar. Die Blondine war Caroline, die Schlampe an unserer Schule.

Mein Herz pumpte sich auf und ein grausamer Stich durchzuckte es.

Ich wusste nicht wieso ich nicht eingriff oder warum ich nicht auf mich aufmerksam gemacht hatte, aber mein Körper schien einfach nicht zu reagieren, obwohl in meinem inneren die Alarmglocken bunt schrillten.

Das was die beiden aufschrecken ließ war nicht ich, sondern die Tür, die scheppernd ins Schloss fiel. Nun starrte mich Ryan an und ich ihn. Seine Haare standen ihm zu Berge und seine Augen hatten das bestimmte Glitzern mit dem er mich immer angesehen hatte, wenn es nicht jugendfrei zwischen uns wurde.

Ein neuer Stich, ließ mich zusammenfahren. Es würde bald zerspringen vor Schmerz.

Doch statt dass er mir eine dämliche Ausrede auftischte oder Caroline stehen ließ, meinte er nur: „Könntest du bitte gehen? Du verdirbst mir die Stimmung“

Das war’s nun endgültig. Es war so als hörte ich die Scherben meines Herzens, wie sie auf dem imaginären Boden zerbarsten.

Wie vom Tod selbst gejagt, drängte ich mich durch die Menge und nahm die gerufenen ‚Heys‘ von den wütenden Schülern nicht einmal war. Es wäre mir auch egal gewesen, das einzige was ich jetzt wollte war weg. Weg von diesem Ball. Von den vielen Menschen. Weg von dem Jungen der mir das Herz gebrochen hatte. Am liebsten in die Vergangenheit, damit ich ihn erst gar nicht kennengelernt hätte…

Gott erschuf den Menschen damit wir ihm dienen – doch dass wir das untereinander auch tun sollen war nie die Rede.

„Cut my life into pieces. This is my last resort …“Verschlafen nahm ich den Songtext nur am Rande wahr. Genervt drehte ich meinen Kopf auf die andere Seite und versuchte, das Geräusch zu ignorieren. Immer lauter wurde die Musik, bis dann auch der die E-Gitarre loslegte. Erst nach ein paar Sekunden registrierte ich, dass das mein Wecker war, der mich noch eines Tages um den Verstand bringen würde.

Mit einer Hand suchend klopfte ich mein Nachttischchen ab, jedoch nicht wie in den ganzen Filmen, wo die Protagonisten einmal hart draufhauten, so dass der Wecker völlig im Eimer wäre. Nein, ich suchte lediglich die Knopfreihe um den dritten von links zu drücken, dann endlich trat die wohltuende Stille wieder ein.

Einmal atmete ich tief durch bevor ich mich mit einen Ruck auf den Rücken drehte und immer noch mit geschlossenen Augen bedauerte, dass mich das Leben dazu verdammt hatte um sechs Uhr früh aufzustehen. Meine Schule begann zwar erst um halb neun, aber davor musste ich noch mit dem Hund Gassi gehen und die Katzen füttern, nicht zu vergessen, musste ich auch noch das Pausenbrot für meinen sechs Jahre jüngeren Bruder Lucas machen. Tja ganz schön viel für den frühen Morgen, besonders wenn man eigentlich Langschläfer ist. Pf! Langschläfer war ja haushoch übertrieben, es hätte mir gereicht, wenn ich doch nur eine Stunde länger schlafen dürfte, aber das Leben meinte es wohl alles andere als gut mit mir.

So genug im Selbstmitleid gesuhlt. Jetzt ab an die Arbeit, ermahnte ich mich selbst und schwang meine Beine über den Bettrand.

Verschlafen ging ich Richtung Badezimmer und wusch mir mein Gesicht, putzte die Zähne, bevor ich mich an den schwierigsten Teil heranwagte, meine Haare. In alle möglichen Richtungen standen meine roten Locken ab und sahen postkoital aus, seufzend griff ich mir meinen Kamm und fuhr lediglich nur oberflächlich drüber, um die vereinzelten Korkenzieherlocken zu richten. Das würde genügen, schließlich konnte ich sie nicht jeden Tag waschen und wenn ich sie auskämmte sah ich aus wie aus „Die Wilden 70ger“ entsprungen. Jackie Nummero Zwei könnte man so schön sagen.

Schnell griff ich mir noch ein Sommerkleid und die Unterwäsche, während ich – wieder einmal – mein Handy suchte.

Verdammt! Wo steckt, das verdammte Ding!

Verzweifelt durchfühlte ich die Hosentaschen in der Schmutzwäsche und hatte sogar Erfolg, als ich in der Hose von gestern nachschaute.

„Endlich!“, entfuhr es mir erleichtert und genau das war der Grund warum ich auch so früh aufstand, ich war nämlich nicht für viel am frühen Morgen zu haben. Und naja Trödeln war einer meiner Lieblingseigenschaften. Schnell checkte ich, ob mir Dad eine Nachricht geschrieben hatte, als mein Blick auf die Uhrzeit fiel. Wie gebannt starrte ich darauf. 09:11 Uhr. „Dieser kleine Rotzlöffel!“, fauchte ich zornig.

Na warte. Das bekommst du noch zurück!

Mein kleiner Bruder war zurzeit in einer ganz beschissenen Phase und zwar in die wo er verzweifelt versuchte cool zu sein. Er gab sich mit älteren Schülern ab und versuchte in ihren Cliquen Halt zu finden. Eigentlich hatte ich ja nichts dagegen, wenn dazu nicht zählen würde gemein und hinterhältig zu seiner großen Schwester sein zu müssen. Das war nämlich richtig ätzend, wie man so schön merkte.

Als erstes würde ich einmal Dad anrufen, aber nicht um den Kleinen zu verpetzen. Nein, das wäre noch viel zu milde gewesen, denn wie ich George kannte würde er ihn zwar bestrafen, aber trotzdem darüber lachen. So gesehen war unser Vater eigentlich nicht allzu streng und ließ uns viele Freiheiten.

Heute war er wieder einmal früh losgefahren um seine Warenlieferung aus Nashville zu holen, wie jede zweite Woche. Dad besaß nämlich einen kleinen Laden in unserem Dorf, wo er mit Pferdeartikeln handelte, verkauft, und kaufte, ein All-Round-Geschäft sozusagen.

Wir selbst lebten in einem kleineren Haus am Waldrand außerhalb des kleinen Dorfes Jordan. Ein Ort wie in der Einöde. Mit einem Lebensmittelgeschäft, Dads All-Round Handel und natürlich auch eine kleine Bar, „Maggie’s“ genannt, war da schon das Interessanteste aufgezählt.

Zur Schule gingen mein Bruder und ich an der St. Franklins High School in der nächstgelegenen größeren Stadt, zwanzig Minuten entfernt.

 

Nach dem dritten Tuten ging mein Vater auch schon ran. „Hi Kleines. Alles in Ordnung?“, fragte er gutgelaunt und bei dem Gedanken, dass es ihm anscheinend nicht aufgefallen war, dass bereits Schule war und ich mit dem Haustelefon anrief, musste ich Schmunzeln.

„Na ja. Ich hab verschlafen und sitze jetzt zu Hause fest.“, gab ich niedergeschlagen zu.

„Ja und wo liegt da jetzt das Problem? Nimm doch einfach den Wagen.“, gab er seine logische Antwort, ich jedoch lachte nur gekünstelt auf. Ja, der hatte gut reden!

„Die Schlüssel sind in deiner Jackentasche.“, erwiderte ich genervt. Manchmal fragte ich mich, ob nicht doch mein Vater das Kind war und nicht umgekehrt.

„Dann ruf doch einfach David.“ Gut, das war eine Option. David, eigentlich David William Dearing III, war unser Nachbar und der Sohn von dem Freund meines Vaters und auch mein bester Freund. Wir waren schon länger befreundet als ich denken konnte, trotz des Altersunterschieds von zwei Jahren.

Als wir klein waren, hatten wir im Sandkasten gespielt, in der Grundschule hatte er mir dann das Reiten beigebracht und in der Pubertät hatte er mich wegen meiner ersten verflossene Beziehung – wenn man das als solche überhaupt bezeichnen konnte – getröstet, die gerade mal vier Tage gedauert hatte. Nun ging ich in die letzte Klasse und David auf‘s College, wo er irgendwas mit Wirtschaft studierte, so genau wusste ich das nicht. Es war mir allein schon unbegreiflich wie man überhaupt so einen Mist studieren konnte.

„Dad! David ist in Kalifornien.“, meinte ich anklagend und überdrehte genervt die Augen.

„Aber nein Schatz, David hat eine Woche Ferien und ist seit gestern wieder zuhause.“, klärte er mich locker auf und nun war ich wirklich kurz davor in die Luft zu gehen. Warum hatte er mir das nicht schon gestern gesagt?

„Und? Was soll ich in der Schule erzählen?“, fragte ich nun ganz unschuldig nach, ohne mich bei ihm über sein Verhalten zu beschweren. Sogleich hörte ihn am anderen Ende der Leitung seufzen.

„Sag einfach du warst beim Arzt. Sie können mich ruhig anrufen“, ließ er sich nun doch noch breitschlagen, wenn man das so überhaupt nennen konnte, schließlich hatte er mir ohne Widerworte einen Freifahrtschein gegeben.

„Danke Dad! Du bist einfach der Beste!“, meinte ich überschwänglich und er lachte am anderen Ende des Telefons. „Ist schon gut. Ich muss jetzt auflegen, sonst zahl ich noch Strafe. Tschau“ und bevor ich noch etwas erwidern konnte, hatte er schon aufgelegt. Tja mein Dad war einfach unbezahlbar. Pfeifend tippte ich schon die Nummer von David ein und wartete bis er ran ging.

„Hi David. Du musst mich zur Schule fahren.“ …

 

Als es endlich klingelte, lief ich freudestrahlend auf die Tür zu und schulterte nebenbei meine Tasche, die auf der Kommode in der Eingangshalle lag. Sofort schloss mich David in seine Arme und verwuschelte mir meine Haare. Ich schlug ihm auf die Hand und wand mich schnell aus der Umarmung, bevor ich ihm einen tödlichen Blick zuwarf und versuchte meine Haare wieder zu richten.

„Jetzt komm schon. Wir haben uns zwei Monate nicht gesehen.“, versuchte er auf mein weiches Herz zu plattieren. Falsche Adresse.

„Stimmt, doch das wäre nicht der Fall gewesen, wenn du nicht unbedingt die Welt der Ölbranche mit deiner Intelligenz versuchen würdest zu bereichern.“, meinte ich verärgert und sah ihn anklagend an.

„Nicht die Ölbranche. Sondern Solarenergie.“

„Öl oder Solar. Wo ist denn da schon ein großer Unterschied? Fest steht, dass du nun nicht mehr hier bist. Und Gott, wie ich dich vermisst habe unter all den Idioten hier. Du weißt was ich meine. Debby hat schon wieder eine Ehekriese, weil sie John mit dem Gärtner betrogen hat. Judie hat Brad geheiratet und die Schule abgebrochen, was natürlich alle erwartet hatten nachdem sie Schwanger geworden ist. Kate hat Doc Charton vorm Traualtar stehen lassen, weil sie sich in Santos verliebt hat, dem Gärtner von Debby. Woraufhin Debby Kate mit dem Gewähr von ihrem Vater bedroht hatte und Sheriff Dickson eingreifen musste. Man, war das vielleicht ein Chaos, aber irgendwie fand ich es einfach nur tierisch komisch! Und das waren nur noch die harmlosesten Geschichten.“, brachte ich ihn mal auf dem neuesten Stand. Das war der Nachteil, wenn man in so einem kleinen Dorf lebte, jeder wusste über alles Bescheid und wenn es noch so Privat war.

„Gott! Wie ich diese Stadt vermisst habe!“, seufzte er neben mir und hielt galant die Tür auf. Schnell schlüpfte ich über die Fahrerseite zum Beifahrersitz.

„Ich gebe dir zwei Tage, dann wünschst du dir sofort wieder verschwinden zu können, glaub mir.“ David lachte über meine zynische Antwort und meinte: „Und deine Ansagen habe ich am meisten vermisst.“ Wie als Bestätigung fuhr er mir wieder durch die Haare und verstrubbelte sie. „He! Lass das doch endlich mal!“, fuhr ich ihn an und gab ihm einen Schlag gegen die Brust. Sie war hart und fest. Mein Blick schweifte über ihn hinweg und ich stellte fest, dass nicht mehr viel von meinem ehemaligen Freund übrig geblieben war. Die Haare waren ausgeblichener von der stätigen Sonne in Kalifornien. Dine lange Jeanshose und ein dunkles T-Shirt mit Sonnenbrille hatten den karierten Hemden und den Cowboyhüten Platz gemacht. Er wirkte gar nicht mehr wie ein Landei, sondern wie ein richtiger Kalifornier.

„Oh Gott! Mein Freund ist unter die Angebern gegangen!“, neckte ich ihn und ließ meinen Kopf gespielt verzweifelt in die Hände fallen.

„Angeber also? Du bist doch nur eifersüchtig.“, rechtfertigte sich der blonde Sonnyboy.

„Ja das bin ich, aber auf dem Trainingsraum.“, erwiderte ich keck. „Jetzt weiß ich endlich was du getrieben hast, wenn du meintest du hättest keine Zeit zum Telefonieren. Das ist gemein von dir.“

Gemein war es tatsächlich, aber eher weil er nun von mir mit höchster Wahrscheinlichkeit fünfzig Dollar bekam. Denn ich hatte mit ihm gewettet, dass er es nicht schaffen würde mich bei einem Wettlauf zu schlagen, doch da schien ich wohl den Mund zu weit aufgerissen zu haben. Innerlich fluchte ich über seinen Ehrgeiz und verfluchte meine Faulheit. Ich hatte in letzter Zeit meine Joggingrunde ausfallen lassen. Ja letzte Zeit war gut! Ich war das letzte Mal vor einem halben Jahr Laufen gegangen. Nachdem mein Vater mich nicht mehr am Leichtathletikkurs in der Schule teilnehmen ließ – wegen meiner Noten – hatte ich mich ausschließlich auf andere Dinge konzentriert. Mein Dad war zwar ganz cool, aber als ich mich wirklich zu sehr gehen ließ und mit drei Fs nach Hause kam, ist sogar ihm der Kragen geplatzt.

David war nun fast ein ganzes Jahr nicht mehr hier gewesen, wenn man von dem einen Mal vor zwei Monaten absah und hatte dadurch nicht so viel von meinen Problemen mitbekommen.

„Fahr deine Krallen wieder ein Cat. Ich weiß sehr wohl, dass es dir um die fünfzig Dollar geht.“, schmunzelte er und warf mir nun ein siegessicheres Lächeln zu, was mich auch ungewollt zum Grinsen brachte. Er hatte mir ja so gefehlt.

„Jetzt willst du einer High School Schülerin fünfzig Dollar wegnehmen. Du solltest dich Schämen, wirklich Schämen!“, tadelte ich ihn gespielt, sowie es Carmen die mexikanische Hausdame bei den Dearings immer machte.

„Ich weiß bis heute nicht wie du den Akzent und Ton von Carmen so gut kannst.“ Er warf mir nun wieder dieses Lächeln zu und sah in seine strahlend blauen Augen.

Wir waren mittlerweile an meiner Schule angekommen, doch anstatt einzubiegen fuhr er einfach daran vorbei und drehte noch eine Runde. Sollte mir Recht sein.

„Tja, ich bin eben unschlagbar.“ und lächelte dabei arrogant, oder versuchte es zumindest.

„Wer ist jetzt der Angeber?“

„Du natürlich! Ich erkenn dich gar nicht wieder, in deinem engen Muskel-Shirt und hinter der Ray Ban Sonnenbrille.“, meinte ich leicht angewidert und total fassungslos, und deutete dabei auf sein Armaturenbrett, wo er stolz seine Markensonnenbrille positioniert hatte.

„Muskel-Shirt?“, fragte er belustigt nach und nun kam ich mir wirklich wie ein richtiges Landei vor, das von nichts eine Ahnung hatte.

„Du weißt was ich meine.“, fuhr ich ihn beleidigt an.

„Ach Kleine, ich bin immer noch der Gleiche.“ Wie als Beweis verwuschelte er mir meine Haare, schon wieder.

Empört schnaufte ich und versuchte mir meine Haare wieder – in seinem Rückspiegel guckend – zu richten. Ohne großen Erfolg, wie ich bedauernd feststellen musste.

Nebenbei bekam ich mit wie er schon wieder die falsche Richtung einschlug und stutzte schon etwas. „Schön langsam sollte ich aber wirklich in die Schule.“ Er tat das jedoch mit einer lässigen Handbewegung ab. „So interessant ist Schule nun auch wieder nicht.“, meinte David leichthin und ich war schon ziemlich nah dran darauf einzugehen, aber da stellte sich die Frage, was ich meinen Dad erzählen sollte. Außerdem hatte ich morgen eine Mathearbeit, die ich heute in der Freistunde mit meiner Freundin Mel durchgehen wollte. Noch ein F konnte ich wirklich nicht gebrauchen.

„Nein, tut mir Leid, aber ich muss noch Mathe lernen.“, erklärte ich ihn und beobachtet wie er kaum merklich die Lippen zusammenpresste und sich verstohlen die Brille packte und sie aufsetzte. Verwirrt beobachtete ich wie er das Lenkrad fester umklammerte.

„Lass uns frühstücken gehen. Was hältst du von der ‚Quater Bar‘?“ Seine Stimme hatte sich nicht verändert, tief, freundlich und rau, sein Griff um das Lenkrad lockerte sich jedoch nicht. Angespannt streckte er die Finger aus und ließ sie nun doch etwas entspannter wieder darauf sinken.

„David. Ich muss wirklich in die Schule.“, bekräftigte ich noch einmal meinen Standpunkt mit Nachdruck.

„Jetzt habe ich endlich meine kleine Cat wieder und sie versetzt mich.“, trotzte er weiter und wirkte dabei wirklich überzeugend, aber ich durchschaute ihn sofort. „Was soll das eigentlich?“ Vorwurfsvoll zog ich eine Augenbraue hoch und beugte mich zu ihm hinüber, aber ich starrte nicht in sein Gesicht, als er mir Antwortete sondern auf seine Finger, die zuckte nämlich immer nervös, wenn er log. Für einen Fremden oder einen Bekannten nicht merklich, aber ich kannte ihn und konnte seine Körpersprache perfekt deuten.

„Ich will doch nur etwas Zeit mit dir verbringen! Dafür muss ich mich doch nicht rechtfertigen!“, meinte er nun doch etwas empört von meiner Ablehnung ihm gegenüber.

„David, ich weiß, dass du mich anlügst. Also sag mir was los ist!“, forderte ich sofort, nicht auf sein Schauspiel eingehend.

„Es … Ach! Kannst du nicht einfach mit mir Essen gehen?”

„Nein kann ich nicht!“, meinte ich bestimmend. Resigniert seufzte David und stieß auch noch die Luft lautstark aus.

„Du wirst nicht nachgeben, oder?“ Da ich das als rhetorische Frage ansah, hielt ich es nicht für nötig darauf zu antworten.

„Na gut. Ich wollte es dir zwar nicht gleich sagen, aber du bist ja auch zu stur! Also schön, Ryan ist wieder da.“

Zuerst nahm ich die Worte nicht richtig wahr, aber dann Schlug der Name so richtig ein und mein gesamter Magen zog sich krampfhaft zusammen. Ryan. Was machte der denn hier? Die blauen Augen blitzten vor meinem inneren Auge auf und ein unverschämt gutes Lächeln setzte sich darunter, und genau so baute sich das Gesicht von ihm immer weiter Stück für Stück zusammen. Unglaublich gutaussehend mit den dunkeln Haaren und den herausstechenden Augen, starrte er mir nun entgegen.

Ryan war der kleine Halbbruder von David und das erfuhren erst alle vor zwei oder drei Jahren, da er der uneheliche Sohn von Dearing Senior war. Tja, nach diesem kleinen Skandal hatte sich Davids Mutter endgültig scheiden lassen und war jetzt irgendwo im Exil. Bei Nacht und Nebel ist sie abgehauen und hinterließ David einen Brief mit gerade mal drei Sätzen:

Es tut mir Leid. Bitte vergib mir undsuche nicht nach mir. Ich hab dich wirklichlieb!

Davids Vater, Dave wie er von allen immer genannt wurde, meinte dazu nur: „Sie war schon immer etwas labil“ und verlor ab da an nicht mehr viele Worte über sie. Davids Dad war eigentlich ein toller und führsorglicher Ehemann gewesen und war auch immer nett zu ihr – augenscheinlich –, aber dass er eine Affäre hatte, wusste keiner und als es dann mit seiner Ehe endgültig eskalierte, wollte er anscheinend kein Wort mehr darüber hören. Aus und Ende mit der Geschichte lautete seine Devise und so war es schlussendlich dann auch.

Wäre da nicht auch noch sein unehelicher Sohn Ryan, der nun bei ihm einzog, weil seine Mutter verstorben war und er nicht ins Heim wollte.

Auf alle Fälle ist Ryan bei den Dearings eingezogen und da ich eigentlich ständig bei David war, lernte ich ihn natürlich auch kennen. Es war alles andere als Liebe auf den Ersten Blick, aber er hatte mich schon immer fasziniert mit seiner verschlossenen Art und … Wie sollte ich es erklären? Er wirkte einfach unnahbar und dadurch war er noch anziehender für mich. Ich gebe zu, es hatte nicht lange gebraucht bis ich seinen Panzer durchbrochen hatte, aber ab da an waren wir zwei unzertrennlich, oder besser David, Ryan und ich? Ich wusste es nicht so genau, das einzig wobei ich mir sicher war, war, dass vor circa zwei Jahren nichts Wichtigeres in meinen Leben existiert hatte als Ryan. Er war einfach meine erste große Liebe und so etwas vergisst man nicht so schnell.

Seine letzten Worte als ich ihn mit Caroline erwischt hatte klangen mir wieder in den Ohren.

Könntest du bitte gehen? Du verdirbstmir die Stimmung.

Ja das waren die letzten Worte die ich von ihm gehört hatte, denn noch in der gleichen Woche ist er ins Internat gegangen – freiwillig, soweit ich wusste. Doch nicht nur Ryan ist gegangen, auch David trat sein Studium eine Wochen später an und ich war wieder alleine, auch wenn er die erste Woche vom College geschwenzt hatte um mich nicht alleine zu lassen, musste er doch wohl oder übel gehen. Wir waren eigentlich vorher schon die besten Freunde gewesen, aber in dieser kurzen Zeit sind wir noch dicker zusammengewachsen.

 

„Cat?“, fragte David neben mir vorsichtig, aber ich war noch zu verwirrt von den Erinnerungen.

„Es tut mir Leid .Ich wollte ni …“

„Schon gut. Ich habe gefragt.“

Konsequent verbannte ich sein Bild wieder und konzentrierte mich auf das hier und jetzt. Es gelang mir mittlerweile ganz gut, aber ich wüsste nicht was passieren würde, wenn er dann doch vor mir steht.

„Also gehen wir jetzt frühstücken.“, entschloss er ganz einfach und fuhr auch schon wieder weiter.

„Gott, ich hätte nie gedacht, dass ich dich dazu überreden müsste mich in die Schule zu bringen. Ausgerechnet dich! Den Streber schlechthin! David, ich habe morgen eine Mathearbeit und kann’s immer noch nicht. Also …“ Mit einer ausladenden Handbewegung in Richtung Schule, beendete ich meinen Vortrag und sah ihn auffordernd an.

„Mach dir keine Sorgen. Das in Mathe kann ich dir auch beibringen. Wahrscheinlich besser als der Lehrer.“, meinte er leichthin und fuhr weiter. Sageinmal, hackt’s bei ihm?

„Außerdem bin ich kein Streber, sondern nur pflichtbewusst.“, klärte er mich auf. Jaaaa genaaauu pflichtbewusst! Pf, wenn ich nicht lache! David war manchmal echt sowasvon langweilig und eine Spaßbremse, aber jetzt zurück zum Thema.

„Dearing! Fahr mich zur Schule! Sofort!“ Den verlangenden Befehlston konnte ich nur halb so viel Ernstigkeit verleihen wie ich sollte, denn irgendwie konnte ich mich für‘s in der Schule sitzen nicht so wirklich begeistern. Es wäre doch auch nichts dabei, wenn ich einmal blau machte und außerdem war David wirklich gut in Mathe. Aber es wunderte mich schon, dass der Einser Schüler neben mir mich zum Schwenzen überreden wollte. Früher als ich von der Schule abgehauen bin, war er derjenige der mich wieder zurückgebracht und in den Unterricht gesteckt hatte, geschweige denn selbst blau machte. Dafür gab es nur eine Erklärung und diese hatte natürlich auch einen Namen: Ryan.

„Er geht in meine Klasse, oder?“, fragte ich säuerlich und wusste doch eigentlich vorher schon die Antwort.

„Ja.“, meinte David schlicht und hielt genau vor der ‚Quater Bar‘.

 

David saß neben mir und studierte meine Gleichung. Keine Ahnung warum er so lange dafür brauchte, aber anscheinend war sie schon wieder falsch und nun suchte er meine Fehler. Es ist zum Verzweifeln! Ich wusste nicht woher meine Matheschwäche kam, denn von meinen Dad hatte ich sie nicht geerbt.

Das Matheass vor mir kaute auf meinen Bleistift herum und hatte eine neutrale Miene aufgesetzt, bevor er immer wieder Dinge durchstrich und etwas anderes darüber schrieb.

Nach einer endlosen Zeit schob er mir meinen Block rüber und meinte nur: „Du musst auf die Vorzeichen achten, aber ansonsten hast du’s verstanden.“ Na toll! Das sagte er mir bestimmt schon zum Fünften Mal und ich hatte es noch immer nicht kapiert, der einzige Unterschied bestand darin, dass ich am Anfang noch mehr Dinge falsch gemacht hatte.

Seufzend sah ich in mein Buch und schrieb die nächste Angabe ab. Es erschien mir ein endloser Tag zu werden. David erklärte mir noch ein paar andere Dinge, aber ansonsten hatte ich es nun doch endlich nach Stunden gecheckt. Hallelujah!

„Oh Gott! Ich hasse Mathe!”, jammerte ich und ließ meinen Kopf in die Hände fallen.

„Ist ja schon gut. Du warst schon immer eine Steißgeburt.“ Zur Bekräftigung tätschelte David mir auch noch den Rücken und ich musste ein Lachen unterdrücken.

„Ja und du hast eine Vollmeise.“, meinte ich immer noch schmunzelnd über seinen kranken Humor und sah in seine Augen. Doch plötzlich sah ich die, nur um eine Nuance dunklere, von Ryan. Obwohl Ryan sein Bruder war, schauten sich die Beiden nicht wirklich ähnlich. Ryan hatte dunkles Haar. David Blondes und immer einen freundlichen Zug im Gesicht, während Ryan der Stillere von Beiden war und eher ein ernsteres Gesicht hatte, außer wenn er lächelte, dann nämlich sah er unheimlich gefährlich und sexy aus. Seine Augen blitzten und sein Mund verzog sich meistens zu einem schiefen Lächeln. David der Sonnyboy und Ryan der Bad Guy. Ja so könnte man es wirklich sagen. Auch wenn Ryan nicht vom Äußeren so aussah, hatte er komischerweise ein so großes Herz, wenn man von seinem Betrug absah. Er war ruhig und still, aber wenn es darauf ankam, war er immer zum Richtigen Zeitpunkt laut, oder ließ Taten folgen. Jedoch bei mir war Ryan wie ausgewechselt, alberte herum, brachte mich zum Lachen – war auch selbst lustig –, er hatte mich wortwörtlich auf Händen getragen. Ich glaube das war das Schlimmste an allem, dass ich nichts gemerkt hatte. Wir waren glücklich gewesen und genau das war es warum ich so lange gebraucht hatte ihn vergessen können. Der Grund für seine Handlung hatte einfach gefehlt.

 

„Gott. Du hast fast die gleichen Augen wie er.“, murmelte ich und blickte ihn weiterhin unverfroren an.

Sein Lächeln erstarb und auf einmal nahm er mich in den Arm, strich über meinen Rücken und flüsterte neben meine Ohr: „Ich bin da, wenn du mich brauchst.“. Diese Umarmung schenkte mir so viel Kraft, dass ich mich fühlte wie ein riesiger Fels in einer Brandung.

„Du hast Recht.“, meinte ich und löste mich aus seinen Händen.

„Und womit?“, fragte er nun auch, sein Blick lag auf mir und er schien erleichtert zu sein, dass ich nicht in Tränen ausbrach.

„Das ich nicht alleine bin. Und das mir Ryan nicht mein Leben behindert. Er ist Vergangenheit und dort soll er auch bleiben. Ich werde mich nicht wegen ihm einschränken und mich von der Ranch fernhalten. Das ist praktisch mein zweites Zuhause. Und damit wird er wohl oder übel leben müssen und ich mit ihm genauso.“

„Ich muss dich wegen deiner Erkenntnis doch jetzt nicht zur Schule fahren, oder?“, fragte er bestürzt und setzte den Dackelblick auf. Leicht lachte ich auf und schüttelte über seine kindliche Art den Kopf – er hatte Recht, er war immer noch der Gleiche. „Würde ich wirklich freiwillig in der Schule sitzen?“

Zweimal ist einmal zu viel

Ich hatte die Schule konsequent gemieden, auch wenn ich dadurch darauf verzichten musste meinen Bruder eine Lektion zu erteilen. Um einmal ehrlich zu sein hatte ich weiß Gott besseres zu tun. Zum Beispiel Zeit mit David verbringen und versuchen keine wertvolle Zeit an Ryan zu verschwenden, ob gedanklich oder persönlich. Das war mir auch sehr leicht gefallen, als ich mit David ausreiten ging und wir ein volles Programm mit Spaß und Ablenkung hatten. David hatte mich zweimal zu einem Rennen aufgefordert und ich habe mich über sein mangelndes Durchhaltevermögen geärgert, denn bereits nach drei Stunden tat ihm der Hintern vom Sattel weh. Wahrlich, viel war nicht mehr von dem einstigen Cowboy übrig. Auf alle Fälle hatte ich dann vorgeschlagen zu unserem alten Schotterteich zu reiten und uns eine Abkühlung zu gönnen. Er war richtig begeistert von der Idee, aber vermutlich hätte ich ihm mit allem Erdenklichen locken können, wenn er dafür nur nicht noch weiter hätte reiten müssen.

Wir sprangen einfach in Unterwäsche in den See und tollten herum wie Kleinkinder, kosteten das kühle Nass in vollen Zügen aus. Vom Felsen springen, vom Felsen geschupft werden und auch vom Felsen hineingeworfen werden. Ja, David hatte mich vom Felsen geschupft, als ich nicht freiwillig sprang und als ich dann gar nicht mehr hinauf wollte, hatte er mich hinaufgetragen und hineingeworfen. Ich war so sauer auf ihn, denn meine Angst vor dem Springen war ihm unbegreiflich, er meinte dazu nur immer: „Vor dem Springen brauchst du doch keine Angst zu haben.“

„Vor dem Springen habe ich auch keine Angst, sondern, dass ich an den Felsen zerschelle.“, antwortete ich säuerlich.

Bei solchen Dingen war ich schon immer etwas feige gewesen, aber nur weil ich nicht wusste, wie tief das Wasser unter uns war und ich hatte auch ein kleines bisschen Angst, aber wirklich nur ein bisschen. Vielleicht war auch meine Höhenangst dafür verantwortlich. Als er dann auch noch nachgesprungen ist bin ich mit ihm das ABC durchgegangen. Natürlich auch unter Wasser, mit Druck sollten Kinder doch schneller lernen, oder wie war das noch gleich?

Es hatte ungefähr so ausgesehen. A. Tunk. B. Tunk. Er tauchte auf und kämpfte spielend leicht gegen meine Versuche ihn unter Wasser zu halten an und drehte den Spieß um. C. David drückte mich hinunter. D. Ich hatte gerade einmal Zeit kurz Luft zu schnappen. E und schon war ich wieder unten. So ging es dann weiter bis meine Lungen fast versagten und David bei R aufhören musste, weil ich sonst wohl nie mehr aufgetaucht wäre.

Jetzt lagen wir schnaufend auf dem warmen Felsen am Ufer, ich halb auf ihm liegend. Total fertig starrte ich die Wolken an und versuchte Dinge darin wiederzuerkennen, aber das einzige was ich erkannte war Onkel Earl mit seinem alten Gaul Olga. Verwirrt schloss ich die Augen und im nächsten Moment war das Bild auch schon wieder verschwunden. Es war wahrscheinlich nur eine Illusion gewesen, bei dem Versuch die Wolken zu deuten. Davids Brust hob und senkte sich, zuerst in kurzen und schnellen Abständen, nun in regelmäßigen und rhythmischen Bewegungen. Ich konnte mich so richtig toll entspannen, obwohl ich die Luft dagegen immer noch inhalierte, als würde meine Leben davon abhängen. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich lag auf David weil der Felsen so hart war, folglich müsste er nun mich auch noch mittragen. Schnell rutschte ich mit meinem Oberkörper von seiner Schulter hinunter und bettete stattdessen meinen Kopf darauf. Der harte Fels unter mir war brennend heiß und ich zuckte kurz zusammen, aber nach ein paar Sekunden gewöhnte ich mich daran und fühlte wie sich die wohltuende Hitze auf meinen Körper übertrug. Entzückt seufzte ich und vergrub meinen Kopf tiefer in Davids Halsbeuge und schloss zufrieden die Augen. Die Sonnen hatte noch eine Angenehme Wärme, da es Herbst war und fühlte sich wie ein leichtes streicheln auf meiner Haut an. Herrlich!

Schnell war ich eingenickt und döste vor mich hin. Ich träumte von der Vergangenheit. Von dem Moment wo ich mit Ryan das erste Mal hier war, es war kurz nach seiner Ankunft und wir beide gingen David tierisch auf die Nerven, denn ständig zankten wir uns wegen Kleinigkeiten. Einmal wegen dem Essen, dann wegen der Pferde, den Liegeplätzen oder wegen unseren Schwimmkünsten. Ja Ryan und ich konnten selbst darüber streiten ob der Himmel grün oder blau war und David musste dann immer streitschlichten. Aber an jenen Tag war etwas anders, es war der Tag an dem ich Ryan mit ganz anderen Augen sah. Nicht den kühlen, gemeinen und egoistischen Jungen, sondern den netten, witzigen Ryan. An diesem Tag hatte ich mich in ihn verliebt. In jeden Teil von ihm sowohl die Guten als auch die Schlechten.

Der Moment von dem ich als letztes träumte war der als Ryan uns stolz seinen Versuch des Eismachens präsentierte und ich skeptisch eine Augenbraue hob, da es so eine komische gräuliche Farbe hatte.

„Bist du sicher dass das nicht wiederverwertet wurde?“, fragte ich und warf ihm nun einen argwöhnischen Blick zu.

„Du verletzt meine Gefühle. Ich hab mir extra so viel Mühe gegeben.“ Irgendwie tat er mir Leid, also langte ich mit meinem Mund zu dem Eis, das in seinem Becher thronte und wollte einmal daran riechen. Genau in dem Moment hob er den Plastikbecher mit einem Ruck an und klatschte mir die Pampe ins Gesicht. Wie man sich denken kann war ich davon wenig begeistert und versuchte meinerseits ihm auch zu beschmieren. Naja … Im Endeffekt war wieder einmal David der Leidtragende mit einem riesigen Klumpen Eis im Gesicht und ich bin gerannt wie der Teufel. Tja damals war ich noch in Form und er nicht, also folglich auch schneller. Ich kann mich noch genau erinnern wie sich Ryan schützend vor mich gestellt hatte, als würde mir David etwas antun.

Geweckt wurde ich von lauten Motorgeräuschen, die ich geflissentlich versuchte zu ignorierte und mich nur noch enger an David heranschmiegte, damit sie leiser wurden. Als sie nach ein paar Minuten verebbten, stützte ich mich auf meine linke Handfläche ab und setzte mich halb auf. Herzhaft gähnte ich und fuhr mir über das Gesicht, während ich mich nach dem Übeltäter umsah. Ich musste ein paar Mal blinzeln bevor ich es erkennen konnte wer mich aus meinem Nickerchen gerissen hatte.

Ungläubig blickte ich in zwei dunkelblaue Augen die zuerst auf seinem Bruder gelegen hatten und nun auf mir lagen, von oben bis unten musterten sie mich mit Argusaugen. Währenddessen nahm ich mir ihn genau unter die Lupe. Er war mindestens um zehn Zentimeter gewachsen und sein Oberkörper wirkte breiter, den er unter einem dünnen roten Shirt versteckte. Die Beine steckten in einer kurzen grauen Cargo Hose, die er auch schon früher immer anhatte. Die größte Veränderung war aber dennoch in seinem Gesicht, das Kinn formte sich energischer und auch die Wangenknochen hoben sich markant hervor. Durch den kurzen Dreitagebart war sein jungenhaftes Gesicht erwachsen geworden, auch seine Haare hatte er einer Radikalveränderung unterzogen, von fast schulterlang auf Millimeter kurz an den Seiten und oben gerade einmal ein, eineinhalb Zentimeter lang. Ich musste mir eingestehen, dass er besser aussah als ich ihn in Erinnerung hatte. Was dachte ich denn da, er sah um Welten besser aus. Das war nicht gut! Nein, alles andere als gut!

Gott sei Dank riss mich David aus meiner Starre in der ich Ryan nur anglotzte. „Ryan! Sensibel wie immer.“, begrüßte David seinen Halbbruder sarkastisch und spielte darauf an, dass er nicht nur mich sondern auch David geweckt hatte.

Ryans Blick flog zwischen uns hin und her, erst da realisierte ich was für ein Bild wir abgeben mussten. David hatte einen Arm um meine Schultern gelegt und stützte sich ebenfalls auf seine Hand ab, so dass wir noch näher beieinander saßen, nur in Unterwäsche wohl gemerkt. Kurz blitzte es in seinen Augen auf und fragte mich automatisch: War das etwa Eifersucht?

Es war jedoch so schnell wieder verschwunden, dass es auch nur eine Sonnenreflektion gewesen sein könnte.

Außerdem wusste er doch dass wir wie Geschwister waren, da war noch nie etwas Romantisches und da wird auch nie etwas zwischen uns sein. Die alleinige Ansicht daran sprengte meine Vorstellungskraft. David und ich? Niemals! Und das war wirklich nicht abwertend gemeint. Ich liebte ihn zwar, aber als einen besten Freund, ja mehr sogar, wie einen Bruder.

Gerade wollte ich etwas zur Begrüßung von mir geben, da rauschte er auch schon mit den Worten: „Lasst euch von mir nicht stören“ vorbei. War er etwa sauer auf mich? Er hatte doch überhaupt kein Recht dazu, wenn dann müsste ich Diejenige sein die wütend auf ihn war.

Mit hochgezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn wandte ich mich an David und sah ihn verwirrt an. „Welche Laus ist dem denn über die Leber gelaufen?“

Der jedoch seufzte und winkte leichtfertig mit der Hand ab, wie als würde Ryan ihm gar nicht interessieren. Was wahrscheinlich auch stimmte, denn soweit ich wusste verpasste David seinem kleinen Bruder einen Kinnhacken, nachdem er erfahren hatte, dass und mit wem er mich betrogen hatte, soweit ich von Lou wusste.

Lou war die Tochter der Haushälterin bei den Dearings und drei Jahre jünger als ich, die Kleine war ganz niedlich und früher hatten David und ich öfters auf sie achtgegeben. Wenn sie mir bei meiner Arbeit auf der Ranch half, hatte sie mir erzählt, dass Mr. Dearing öfters mit David am Telefon stritt, da er sich nicht mit seinem Bruder verstand.

„Kaum der Rede wert. Er ist blos angepisst, weil Dad ihn dazu verdonnert hat hier den Abschluss zu machen.“, erklärte David sichtlich unwohl mit diesem Thema.

„Also ist er nicht freiwillig wieder hier?“, bohrte ich weiter, da ich ziemlich neugierig war.

„Freiwillig? Nein, er ist alles andere als freiwillig hier. Ryan hat sich mit Füßen und Händen dagegen gewehrt. Dad musste ihm damit drohen, dass er die Ranch nicht übernehmen darf, wenn er nicht seinen Abschluss hier machte.“, berichtete der Blonde neben mir, noch immer etwas schläfrig und zur Bestätigung gähnte er herzhaft.

„Er bekommt die Ranch?!? Und was ist mit dir?“, fragte ich total verdattert.

„Ach Süße, ich will die Ranch doch gar nicht. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich sie nicht nehmen muss, so kann ich mich voll und ganz auf meine Karriere konzentrieren.“, erwiderte David und ich kam mir schon wieder ganz schön blöd vor. Entweder verhielt ich mich wie ein Kind oder er schlug sowieso diesen tadelnden Ton an.

„Ist das dann nicht unfair? Ich meine mit dem ganzen Erbe und so. Schließlich geht es dabei nicht nur um ein paar Lappen.“ Das war gar nicht so ein unwichtiges Detail, die Dearing Ranch zählte sozusagen zu den besten Zuchtgestüten in ganz Tennessee. Folglich war Dave Millionen schwer, aber mit dem Öl, dass er förderte dürften es vielleicht sogar Milliarden sein.

„Du hast Recht es wäre unfair, wenn mir mein Vater nicht die Öl Rechte auf dem Land überlassen würde und auch das davon abgezweigte Öl ausbezahlen würde. Wir haben circa dreizehn Morgen Land, das mit den Gebäuden ungefähr sieben Millionen Dollar wert ist – Plus Minus eine paar Million. Da kommen dann noch die Einnahmen von der Zucht, den Einstellern und den Rennen. Minus den Angestellten … Naja es ist auf alle Fälle eine ganze Menge, aber bevor ich diesen Betrieb weiter führen müsste, würde ich auf mein Erbe verzichten.“, meinte er leichtfertig und das überraschte mich nicht sonderlich. David war nicht so jemand de besonders viel Wert auf Geld legte. Klar, er wusste nicht was es bedeutete ärmer zu sein, aber dennoch merkte man ihm seinen Reichtum nicht an.

„Ich vergesse immer dass du reich bist.“

Verschmitzt zerwuschelte er mir die Haare, doch dieses Mal regte ich mich nicht darüber auf, es würde doch nichts bringen. Davon abgesehen lag mein Blick auf Ryan der unter dem Baum mit einem Buch saß und die Natur genoss. Gott er hatte sich so verändert. Sein Bruder folgte meinem Blick und sah mich nun eher sorgenvoll an.

„Du bist doch über ihn hinweg, oder?“

Gezwungenermaßen riss ich mich von Ryan los und blickte nun zu David auf. Die Brauen schob er leicht zusammen und dazwischen entstand eine kleine Falte, sein Mund war ein gerader Strich und die Lippen leicht aufeinander gepresst. Er machte sich wirklich meinetwegen Sorgen. Süß.

„Natürlich. Er hat sich nur so verändert, fast hätte ich ihn nicht mehr wiedererkennt.“ Doch seine Stimmung verbesserte sich kein bisschen und ich schlug ihn mit der Faust gegen die Schulter. „Jetzt sei doch nicht so ein Griesgram!“

Schwer getroffen hielt er sich die Schulter. „Ich und ein Griesgram? Das lass ich mir von so einer halben Portion wie dir nicht sagen.“ Und mit seinen Worten hievte er mich auf seine Schulter. „Hey! Was hast du vor?“, verlangte ich überrascht zu wissen, doch die Antwort erübrigte sich von selbst, als er auf den See zusteuerte. „Nein! Oh Nein! Das wirst du nicht tun!!“, meinte ich panisch, doch David schaukelte mich schon seitlich vor und zurück, und zählte dabei mit: „Eins … Zwei …“ Mit Händen und Füßen wehrte ich mich gegen ihn, doch es schien zwecklos zu sein. „Und … Drei.“ Meine letzten Worte waren: „Das kannst du doch nicht TUUUUUUN!!!!!!!“ und patsch. Ich landete in das kalte Nass und tauchte wenig später wieder auf, mit wütenden Blicken versucht ich ihn zu töten, doch David merkte nicht einmal etwas davon. Er hatte genug Probleme damit sich nicht selbst ins Wasser zu katapultieren. Mit einem Ruck am Fußknöchel zog ich ihn zu mir rein und musste über sein verdattertes Gesicht herzhaft lachen.

„Wer ist jetzt die halbe Portion?“, meinte ich überlegend grinsend.

„Das wird dir noch leidtun, halbe Portion.“, meinte David und benutzte das „halbe Portion“ wie meinen Namen und ab da schwamm ich um mein Leben, dicht gefolgt von David. Kurz vor dem Ufer packte er mich bei meinem Bein und ich drehte mich auf den Rücken und strampelte so lange bis er ihn wieder los ließ. Wir veranstalteten dabei so einen Lärm, dass unsere Worte oder mein Schreie von den Felsen wiederhallten, da der Schotterteich kurz vor den Tonach Mountain lag. Als ich nun rückwärts aus dem Wasser flüchtete sah ich wie David den Schlamm vom Boden aufhob und auf mich zielte.

„Oh Nein! Das machst du nicht!“, wehrte ich mich und wich dem Dreck aus den er schon nach mir warf. Natürlich traf er mich und ich schnellte erschrocken zurück, als ich einen Wiederstand an meiner linken Ferse spürte und schneller als ich es realisierte, verlor ich den Halt und stürzte rückwärts in Ryans Arme.

Zuerst wusste ich gar nicht wie mir geschah, aber da wütete mein Ex mich schon an: „Kannst du nicht aufpassen?!“ und stieß mich grob von seinem Schoß. Zuerst war ich regelrecht sprachlos, aber das weilte nicht lange, denn dann funkelte ich ihn sauer an und zischte beleidigt: „Mach mal halblang!“ Sprang wie von der Tarantel gestochen auf, warf die Haare in den Nacken, drehte mich um und rauschte davon. Über den ganzen weg spürte ich seinen Blick wie er sich in meinen Rücken brannte und aus reinem Reflex ließ ich überschwänglich die Hüften schwingen und stellte mir dabei vor, wie Leid es ihm jetzt tun würde, dass er mich betrogen hatte. Vielleicht war ich damals noch nicht so erfahren wie Caroline, aber nach dem Tratsch an unserer Schule sollte sie eine Niete im Bett sein. Tja, leider sagten das die, die von Caroline abgeschossen wurden, also wusste ich nicht wie viel Glauben ich den Jungs wirklich schenken sollte.

Keine Minuten später hörte ich schon das Aufheulen des Motorrads und eine leichte Genugtuung breitete sich in meinen Inneren aus.

„Guter Auftritt. Dem kleine Mistkerl wären fast die Augen rausgefallen.“ Hämisch wandte ich mich David zu und das berauschende Gefühl das mich in Hochstimmung brachte wurde durch Davids Worte nur noch verstärkt. Ich fühlte mich überlegen und stark. Und ab da an wusste ich, dass ich mich nicht gleichgültig ihm gegenüber verhalten konnte und auch nicht wollte. Nein, Ryan musste büßen für das was er mir angetan hatte, bei jeder sich zu bietenden Gelegenheit. Meine Ideen kennten keine Grenzen und ich wusste, dass er es noch bereuen würde mich so behandelt zu haben.

„Das war auch der Sinn und Zweck dieser Aktion. Außerdem hat er es darauf angelegt.“, grinste ich fies und in Gedanken rieb ich mir teuflisch die Hände.

„Lass die Finger von ihm. Du verbrennst dich nur wieder.“, mahnte mich David und warf mir einen unergründlichen Blick zu. Vielleicht hatte er Recht, aber ich würde mir trotzdem nichts von diesem Arschloch gefallen lassen.

 

Als ich die Tür zu unserem Haus aufsperrte stolperte ich erst mal über die Schuhe von Lucas alias Lucifer. Im letzten Moment hielt ich mich noch an der Stange für die Kleidung fest und schaffte es so wenigstens mich nicht zu verletzten. Schnell rappelte ich mich wieder auf und blickte die Eingangshalle entlang.

Seine Schuhe lagen – eben – mitten im Weg, die Jacke hatte er achtlos fallen gelassen, den Schulranzen in die Ecke gepfeffert und ihn anscheinend nicht angerührt.

Unser Haus war zwar kein Luxusschuppen, aber dennoch brannten mir die Sachen in die Augen. Naja, wenigstens hat er die Schuhe ausgezogen,dachte ich ironisch.

„Lucifer?“, rief ich lächelnd durch das Haus, zeitgleich hörte ich wie etwas zu Boden fiel und im nächsten Momente hechtete er auch schon aus dem Wohnzimmer Richtung Treppe. Ich packte ihn ohne allzu viel Mühe am T-Shirt und zog ihn zu mir zurück.

„Wo willst du denn so schnell hin?“, fragte ich zuckersüß und sah in seine großen grünen Augen, die für einen Augenblick mich erschrocken musterten. Oh ja, er wusste was ihm blühte! Obwohl wäre auch zu schade diesen Zustand zu schnell zu verschwenden. Lucas wusste, dass ich ihm heimzahlen würde, dass er heute Morgen meinen Wecker umgestellt hatte und er war sich durchaus bewusst, dass es für ihn dabei kein gutes Ende gab. Tja, nur leider würde es dazu nie kommen, da David ihn ja dazu angestiftet hatte und Lucas somit auch keine Schuld traf.

„Äh … Ich … Ich hab mir nur was zu essen gemacht und wollte gerade meine Hausaufgaben fertig machen.“, stammelte er herum und blickte hilfesuchend durch den Raum. Lucas konnte manchmal wirklich süß mit seinen vierzehn Jahren sein, wenn er so hilflos dastand. Ich lächelte immer noch so scheinheilig und ließ ihn los, beugte mich zu meinen Füßen runter, hob seine Tasche auf und drückte sie ihm mit den Worten: „Dann solltest du DIE hier nicht vergessen.“ fest in seine Arme. Er sah zuerst mich an und dann den Ranzen, bevor er kehrtmachte und davon wollte.

Ich hielt ihn noch einmal zurück. „Warst du wenigstens mit Romeo spazieren? Ich hatte nämlich heute Morgen keine Zeit dazu.“ Seine Angst vor mir schien sich gelegt zu haben oder er versteckte sie nur gut, so wie ich das sonst immer handhabte.

„Er ist draußen und streunt durch die Gegend.“, antwortete er und ich blinzelte ein paar Mal ungläubig.

„Dir ist aber schon bewusst, dass Mr. Larons ihn erschießt, wenn er wieder seine Hühner jagt, oder?“ Gott, manchmal könnte ich ihn umbringen!

Er sah mich unbeirrt an und nicht einmal ein Fünkchen Reue konnte ich darin sehen.

„Wie kann man nur so verantwortungslos sein!? Schlimm genug, dass du unseren Hund entkommen lässt. Nein, du gehst ihn nicht einmal suchen, stattdessen sitzt du zu Hause herum und drehst Däumchen!“, wütete ich herum und sammelte seine am Boden liegenden Sachen auf.

Lucas stand daneben und beobachtete das Szenario belustigt und das brachte das Fass dann endgültig zum Überlaufen. „Du findest das wohl witzig. Versteh schon. Die große Schwester ärgern ist wohl gerade gaaanz cooool! Aber merk dir eins, das wird noch Konsequenzen nach sich ziehen!“, herrschte ich ihn an, der jedoch konnte sich noch immer nicht sein Lachen verkneifen. Normalerweise fand ich, dass Gewalt die falsche Kindererziehung ist, aber in diesem Moment war ich kurz davor einmal eine Ausnahme zu machen. Lucas provoziert es einfach zu sehr, so wie er vor mir stand. Die Arme verschränkt am Türrahmen lehnend, grinste er vor sich hin. Ich liebte meinen Bruder, aber seine Art war …

„Treib es nicht zu weit!“, drohte ich und nun erstarb sein Lächeln, denn er wusste, dass ich es ernst meinte. Er hatte definitiv zu viel von unserem Vater geerbt, genauso wie ich, wenn man vom äußerlichen mal absah. Und der Spruch ‚Gleich und gleich gesellt sich gern‘ ist doch wohl ein Witz!

Meine Augen waren zu Schlitzen verengt und meine Hand juckte gefährlich. Lucas hatte es verdient und das war mir durchaus bewusst. Romeo war mein Haustier und er wusste, dass ich bei ihm keinen Halt mehr kannte. Wenn er wollte, würde er nicht einmal mitbekommen, dass der Hund hier lebte. Ich ging mit ihm Gassi, ich fütterte ihn, ich spielte mit ihm, ich fuhr mit ihm zum Tierarzt und zahlte seine gesamte Verpflegung. Das Einzige worum ich ihn jemals gebeten hatte war, dass er ihn nicht vor die Tür ließ. Was war daran bitteschön so schwer zu verstehen?

Und obwohl ich nur seine Schwester war, war ich kurz davor Lucas eine Ohrfeige zu verpassen, jedoch machte mir das Klingeln der Hausglocke einen Strich durch die Rechnung.

„Du hast wirklich Glück.“, knurrte ich wütend.

Der kleine Taugenichts grinste mich spöttisch an: „Das sagst du immer, aber sei doch einmal ehrlich zu dir selbst. Du hast einfach nicht den Mumm dazu.“ Ich biss die Zähne aufeinander und drehte mich um, während ich Lucas Worte ignorierte.

Inzwischen klingelte es schon das zweite Mal an der Haustür und ich marschierte genervt auf sie zu, während ich den Schlüssel aus der Schublade nahm.

„Komm schon!“, rief ich als die Glocke ein weiteres Mal summte.

Ich drückte den Schlüssel ins Loch und fluchte leise, als er nicht passen wollte. Es war der richtige, da war ich mir sicher, nur leider war unser Schlüsselloch schon seit Wochen kaputt und klemmte manchmal. Es klingelte nun schon zum vierten Mal und als der Schlüssel nun auch noch stecken blieb, brüllte ich etwas zu scharf: „Gleich!“ Mit meinen rechten Fuß gegen die Tür gestemmt, versucht ich den Schlüssel wieder herauszuziehen.

„Verdammtes Ding!“, jammerte ich als er noch immer klemmte und fuchtelte wütend mit den Händen in der Luft herum. Ich riss an der Türklinke herum und merkte gar nicht, dass Lucas hinter mich getreten war und in der Zwischenzeit die Tür schon aufgesperrt hatte. Mit einem heftigen Ruck schnellte sie auf mein Gesicht zu und das nächste was ich wahrnahm war der dumpfe Schmerz. Verwirrt griff ich danach und landete bei meiner Nase, zuerst realisiert ich gar nicht was geschehen war, weder dass ich auf dem Boden lag noch wie genau das passiert ist.

„Alles in Ordnung?“

Verwirrt richtete ich nun meine Aufmerksamkeit auf unseren Besucher, der mir seine Hand entgegenstreckte. Es war Ryan der in unserer Türangel stand und ich dachte nur: „Will der Arsch mich umbringen?“ Nun wurde meine Aufmerksamkeit von meinen Bruder eingenommen, der hinter mir losprustete.

Oh Gott! Das hab ich doch jetzt nicht etwa laut gesagt?

„Keine Sorge, ich verbringe mein Leben nur ungern mit unmöglichen Aufträgen. Wie sagt man so schön: Unkraut vergeht nicht.“

Diese Bemerkung brachte mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Empört ignorierte ich seine Hand und zog mich stattdessen an der Tür wieder hoch. Ein stechen durchzuckte meine Nase, ich jedoch versuchte mich auf mein größeres, braunhaariges, blauäugiges, exfreundmäßiges Problem vor mir zu richten. Nun stand ich ihm gegenüber, aber mir wurde schnell bewusste, dass ich mit meiner Vermutung er sei gewachsen keines Wegs unrechte gehabt hatte. Denn wo er früher mich gerade einmal um ein paar lumpige Zentimeter überragt hatte, war es nun fast ein ganzer Kopf. Ich stand unmittelbar vor ihm und legte nun meinen Kopf in den Nacken um in seine Augen zu blicken, die mich erschrocken und besorgt musterten.

Der Kampf ist eröffnet!

„Leg den Kopf zurück und halt dir die Nase zu!“, herrschte er mich aus heiterem Himmel an und im ersten Moment wusste ich gar nicht was ich darauf antworten sollte. Doch dazu kam ich erst gar nicht, denn Ryan drückte meinen Kopf noch weiter in den Nacken und nun starrte ich in seine blauen Augen die ganz plötzlich nur noch ein paar Zentimeter von meinem Gesicht entfernt waren.

Aufmerksam musterte ich seine Mimik und stellte dabei fest, dass er sich kaum verändert hatte, er war immer noch der gleiche unter der äußerlichen Schicht. Konzentriert tupfte er mit einem Taschentuch Blut von meiner Nase, dabei waren seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen gepresst und eine Denkfalte bildete sich zwischen seinen dunklen Augenbrauen. Vom nahem fiel mir dann doch eine wesentliche Veränderung auf, die mich doch etwas stutzig machte, seine Nase war leicht krumm und das obwohl ich sie so nicht in Erinnerung hatte. Mein Blick wanderte wieder zu seinen Augen, dieses dunkle Ozeanblau, die drohten einen nahezu zu verschlingen, wie das Meer selbst. Solche Augen habe ich nie mehr gesehen …

„Der Nasenflügel ist nur etwas aufgeschlagen. Das hört bald auf zu bluten, press einfach das Taschentuch noch kurze Zeit auf deine Nase, dann wird das schon.“

Gut er sah vielleicht besser als früher aus und ein paar Erinnerungen sind in mir wieder aufgetreten. Doch jetzt wie er so vor mir stand und mich abschätzend musterte, spürte ich gar nichts. Keine Zuneigung, keine Sympathie, gut vielleicht etwas Verachtung und Hass, aber ansonsten empfand ich nichts mehr für ihn.

Ich wollte gerade ansetzen ihm zu fragen was er hier überhaupt wollte, als mein kleiner Bruder neben mir vorbei stürmte und aus dem Haus jagte, verwundert blickte ich ihm hinterher.

„Was …“, weiter kam ich nicht, denn nun sah ich wie Lucas hinter Romeo hinterherjagte und versuchte ihn einzufangen. Manchmal fragte ich mich wirklich ob mein kleiner Bruder nur so dumm tat oder es wirklich war. Schließlich würde der Hund vor ihm solange davonlaufen, wie er ihn jagte, das war für Romeo doch alles nur ein Spiel.

Belustigt lehnte ich mich an den Türrahmen und überlegte wie lange mein Bruder hinter ihm herlief, bevor er tot umfallen würde. Leicht schürzte ich die Lippen und beobachtete, dass mein Hund beinahe intelligenter als mein eigener Bruder war. Naja wäre nicht Lucas hier gewesen, könnte wohl ich den Dummen spielen und versuchen einen Hund einzufangen, für den das alles nur ein Heidenspaß war. Er ließ Lucas näher an sich herankommen, bevor er wie von der Tarantel gestochen davon preschte und das Spiel von neuem beginnen ließ.

„Wie lange willst du ihm noch dem Hund hinterherjagen lassen?“, riss mich Ryan aus meinen Gedanken und ich gab nur ein langgezogenes Hmmm von mir, bevor ich mich zu einer Antwort entschied, nahm das Taschentuch von der Nase und hoffte, dass die Blutung gestillt war.

„Ich weiß noch nicht so recht. Kommt ganz darauf an wie lange er da mitspielt.“, meinte ich mit einem kleinen Lächeln und sah mit Genugtuung, dass meine Rache für heute Morgen doch besser ausgefallen war als ich gedacht hatte. Tja da war wieder einmal der Beweis, man musste nur den richtigen Moment abwarten und dann handeln, das Schicksal hielt für jeden seine gerechte Strafe bereit und wenn man zu dumm war als Vollstrecker sie zu ergreifen, konnte man ihm auch nicht mehr helfen.

„Ich sehe schon, du hast dich nicht sonderlich verändert. Genauso wie früher.“, gab Ryan neben mir gedehnt von sich und irgendwie wusste ich nicht, ob er das positiv oder negativ gemeint hatte. „Und was willst du damit sagen?“, schoss es scharf aus meinen Mund und ich sah im Augenwinkel wie Ryan eine Augenbraue hob, sein typisches Gesicht, wenn er jemand anklagte oder wie ich es gern nannte ‚soll das dein Ernst sein‘ Gesicht mit einem leichten Hauch von Genervtheit oder Resignation?

Ich hatte keine Ahnung, ich wusste nur, dass er dieses Gesicht mir gegenüber noch nie aufgesetzt hatte, es war irgendwie von oben herablassend und das störte mich ungemein. Vielleicht reagierte ich auch einfach über. Aber desto länger ich ihn von der Seite betrachtete, desto schneller wollte ich ihn wieder loswerden und das bedeutete wohl schwer oder übel, dass ich meinen Bruder erlösen musste.

Ryan blickte mir in die Augen und meine Gefühle waren irgendwie aufgewühlt, da ich seine Emotionen nicht deuten konnte. Das hatte mich schon immer bei jedem argwöhnisch werden lassen, wenn ich nicht wusste wobei ich bei dem anderen war.

Seine Augen brannten sich in meine und sie waren kalt wie Eis, das fließende, dunkle blau wurde immer eisiger desto länger sie sich in meine fraßen. Es war als würden sie mich gefrieren lassen. Unbehagen ergriff mich und mir wurde schmerzlichst bewusst, dass diese Kälte mich verletzlich ihm gegenüber machte und das war etwas was ich mir nicht gestatten durfte. Er sollte nicht merken wie unangenehm ich mich in seiner Nähe fühlte, wenn er mir gegenüber so kalt wurde.

Ich atmete einmal tief ein, rührte mich jedoch keinen Zentimeter, keine Schwäche zeigend bewegten sich mein Zeigefinger und mein Daumen ganz von selbst zu meinen Mund. Mit einem kräftigen Pfiff bereitete ich nicht nur Romeos Spiel ein Ende, sondern auch Ryans Blick wanderte nun wieder von meinen Augen in die Richtung von Lucas. Romeo kam zu mir geschwänzelt und hechelte aufgeregt, er war sich keinen Fehler bewusst. Er ging mit dem Kopf zu Boden und streckte die Vorderbeine zu mir und sprang vor mir herum wie eine aufgeschreckte Henne. Das typische Verhalten wenn er spielen wollte.

„Ab ins Haus! sofort!“, herrschte ich ihn im strengen Ton an und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger in den Vorraum, als er nicht sofort reagierte befahl ich noch lauter: „Sofort!“

Beleidigt schwänzelte er hinein und ich bekam schon wieder ein schlechtes Gewissen, aber es ging nicht darum, dass er ausgebrochen war, sondern dass er nicht sofort auf mich gehört hatte. Hundeerziehung war wirklich keine leichte Aufgabe, vor allem nicht, wenn das Exemplar was man erziehen wollte faul und gleichzeitig so intelligent war wie Romeo.

„Ich sehe, dass du es endlich geschafft hast, ihn etwas abzurichten.“, stellte Ryan neben mir fest. Ich seufzte resigniert und wand mich ihm wieder zu und überwand meinen Stolz. „Danke, dass du ihn hergebracht hast.“, ging es mir schwer über die Lippen und er starrte mich nur lange Zeit an, während ich darauf wartete, dass er endlich wieder verschwand. Doch er schien daran gar nicht zu denken. „Gibt’s sonst noch was?“, fragte ich in die Stille hinein und sah wie Ryan kurz die Augen schloss, als müsste er den Kopf frei bekommen.

„Ja, ich soll dir von Dave ausrichten, dass er dich am Donnerstag gerne sehen würde.“

„Aber ich muss Donnerstag doch gar“, setzte ich schon unnötigerweise einen Protest an, aber Ryan machte mir einen Strich durch die Rechnung. „Spar’s dir. Es interessiert mich nicht. Ich sollte dir nur das ausrichten.“, teilte er mir mit und machte mich dadurch wütend über seine Arroganz. Doch er ließ mich erst gar nicht zu einer deftigen Antwort kommen, denn da schloss er auch schon auf: „Und das nächste Mal, passt du lieber besser auf deinem Hund auf. Er hat ganz schön Radau auf der Ranch gemacht, dass können wir nicht gebrauchen.“, erklärte er sachlich und drehte sich einfach um und marschierte Richtung Wagen.

Diesmal war ich diejenige die ihn hinterher lief und an seine Schulter packte und Ryan herumdrehte. Wütend funkelte ich ihn an und war kurz davor ihm meine Meinung zu geigen, doch Ryan schien das eher wenig zu interessieren, denn er nahm nur geflissentlich langsam meine Hand von seiner Schulter und blickte mir wieder kalt in die Augen.

„Was bildest du“

Weiter kam ich nicht, denn er unterbrach mich schon wieder.

„Ach ja, das hätte ich fast vergessen. Fahr am Donnerstag nicht mit dem Wagen, ich soll dich gleich nach der Schule mitnehmen. Und wenn wir schon dabei sind Cat. Das Problem bei dir ist, dass du anderen nicht zuhörst. Mir ist es egal was du über mich denkst oder von mir hältst, eigentlich alles was mit dir zu tun hat. Interessiert. mich. nicht. Also spar es dir einfach und nerv jemand anderen mit deinen Kinderein.“, sagte er mir doch dreist ins Gesicht und ich blinzelte zuerst ein paar Mal um auch sicher zu sein, dass das auch wirklich passiert war. Aber es war passiert. Ryan McRieve hatte mich zum Narren gehalten und das nicht nur einmal. Er hatte mich so was von fertig gemacht, dass es besser gar nicht mehr ging, aber das würde ich nicht so einfach auf mir sitzen lassen. Wenn er Krieg wollte, dann bekam er Krieg!

Lasziv trat ich so nah an Ryan heran wie es nur möglich war und stellte mich auf die Zehenspitzen um leicht in seinen Nacken zu atmen.

„McRieve, wir wissen beide, dass du mich noch immer willst. Und weißt du woher ich das weiß? Weil ich heute deine Blicke auf mir gespürt habe. Du willst mich!“, meinte ich mit Nachdruck und legte seine Hand auf meine Hüfte, seine Muskeln spannten sich merklich an und ich wusste, was ich tun musste um ihn noch mehr zu provozieren.

Ganz leicht und sachte blies ich in sein Ohr. Ich gebe zu, es war ein Wagnis was ich da machte, aber was sollte schon passieren? Selbst wenn er mich nicht wollte, war er immer noch ein Mann und als solcher konnte er einer solchen Verlockung nur schwer widerstehen. Vor allem da ich meine Geheimwaffe eingesetzt hatte, dass Ohrknabbern oder auch nur, dass ich hineingeblasen hatte, hatte er schon immer gemocht und darauf setzte ich nun. Langsam kam ich wieder zu seinem Gesicht und hielt nur ein paar Zentimeter vor seinem Mund inne. Leicht teilten sich meine Lippen und ich sah es in seinen Augen, dass er darauf hereinfiel und leider musste auch ich zu geben, dass mir vermutlich noch nichts schwerer gefallen war, als kurz bevor seine Lippen meine berührten zurückzuweichen und siegessicher zu lächeln.

Als ich meinen Trumpf auskostete starrte ich in ein verblüfftes und verwirrtes Gesicht von Ryan.

„All das“ Ich ließ meine Hände über meinen Körper seitlich lasziv hinunter wandern. „wirst du nie haben, denn es interessiert mich nicht.“, vollendete ich meinen Satz mit seinen Worten. Erhaschte nur einen kurzen Blick auf sein verblüfftes Gesicht, denn ich machte auf dem Absatz kehrt, warf die Haare zurück und marschierte Hüfte schwingend wieder ins Haus, genau so wie in den Tonach Mountains beim Schwimmen.

In mich hineinlächelnd machte ich mich nun an eine Arbeit die alles andere als genugtuend und lustig war. Ich musste nämlich meinen Bruder bestrafen und zwar sofort, sonst würde daraus nichts mehr werden.

Leichtfüßig ging ich ins Wohnzimmer und sah wie unsere Kuscheldecke halb auf dem Boden lag, daneben die Fernbedienung und irgendein Footballspiel lief. Was mich jedoch störte war die Popkornschüssel, die auf dem Boden verkehrt herum lag und daneben der Inhalt heiter herum kugelte, werden Juliet – Lucas Katze – ihnen hinterherjagte. Das erklärte auch das Scheppern, als ich nach Hause kam. Ich ignorierte den Saustall und marschierte weiter Richtung Küche, wo es eigentlich recht sauber war, außer dem verschmutzten Teller in der Spüle mit dem dazu passenden Besteck, woraus man schließen konnte, dass es heute Spaghetti gab, war das einzige Makel.

Resigniert seufzte ich und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen, was sich als äußerst schwierig ereignete, da meine Gedanken noch immer an den heutigen Tag hangen und ich es einfach nicht fassen konnte, wie abfällig mich Ryan behandelt hatte. So als wäre ich nur unerwünschter Dreck unter seinen Fingernägeln, den er immer wieder wegputzte, aber ärgerlicherweise genauso schnell wieder auftauchte. Ja genauso behandelte er mich und das kotzte mich an! Ich schien ihm wirklich egal geworden zu sein. Aber dennoch wollte ich das einfach nicht wahr haben!

… Mir ist es egal was du über mich denkst oder von mir hälst, eigentlich alles was mit dir zu tun hat. Interessiert. mich. nicht. …

Diese Worte klangen wieder in meinen Ohren. Was sollte das überhaupt bedeuten? Natürlich verstand ich den Subtext seiner Worte, aber dennoch war es mir unbegreiflich was er gegen mich hatte. Gut, wir hatten uns nicht im Guten getrennt, aber er war doch derjenige gewesen, der unsere Beziehung ein jähes Ende bereitet hatte! Aber das was mich wohl am meisten störte, war, dass es mir so nahe ging. Das sollte es nicht! Ich sollte ihn ansehen und gar nichts fühlen, aber der Hass und die Verachtung entfachten in mir ein Fegefeuer, das nichts sehnlicher wollte, als Ryan zu verschlucken und ihm Höllenqualen zu bereiten.

Und auf einmal wurde mir bewusst was mein Problem war. Wie eine Glühbirne die über meinen Kopf zu leuchten begann und ein Bling von sich gab, ordnete sich mein Chaos im Kopf. Rache, das war es, das ich mehr als alles andere an ihm verüben wollte und der Grund warum mir diese dämlichen zwei Sätze nicht aus dem Kopf gingen war ganz einfach. Es war der Beweis dafür, dass mein Bemühen nicht gefruchtet hatte.

Geschlagen seufzte ich und hatte die Befürchtung, dass dieser Krieg weitaus schwieriger zu gewinnen sein würde, als ich es hätte mir erträumen lassen. Ich hatte Ryan eindeutig unterschätzt. Nicht nur seine Intelligenz und Gewandtheit wie er mit Worten umging, nein sondern noch viel mehr wie er mich dennoch aus der Fassung brachte. Eingestehen musste ich es mir doch, seine Art schüchterte mich ein und gleichzeitig spürte ich wie die Faszination von mir besitz ergriff. Gefährlich, war eine Untertreibung des Jahrhunderts, dass Ryan beschrieb. Wenn ich ihn blos ansah, war es als würde ich ein Warnschild über seinem Kopf blinken sehen, mit dem Word GEFAHR darin geschrieben. Und genau dieses Wahnschild zog mich an, als wäre Magie im Spiel, oder als wären wir zwei Magneten. Es bedeutete eigentlich doch nur, dass ich nicht mit dem abgeschlossen hatte, was vor zwei Jahren passiert war.

Ich verachtete ihn. Ich argwöhnte ihn in jeder nur bedenklichen Beziehung. Und ich hasste ihn. Gott, es war mehr als hassen! Das Gefühl war gewaltiger als ich es mir überhaupt vorstellen konnte! Aber um ihn hinter mir lassen zu können, sollte er mir doch egal sein, oder? Ich sollte gar nichts mehr fühlen, wenn ich ihn ansah und schon gar nicht Faszination. Und bei Gott, wenn er eins getan hatte, dann mich fasziniert!

Erschöpft ließ ich mich auf die Couch im Wohnzimmer fallen und kippte meinen Kopf in meine Hände, in der Hoffnung vielleicht etwas zur Ruhe zu kommen.

… Mir ist es egal was du über mich denkst oder von mir haltest, eigentlich alles was mit dir zu tun hat. Interessiert. mich. nicht. …

Wütend schleuderte ich das Kissen durch das Wohnzimmer und sprang auf. Mein beschissenes Unterbewusstsein, brachte mich noch um den Verstand, ständig schweifte es wieder ab. Und wie eine Endlosschleife hallten mir seine bekackten Worte in Gedanken wieder.

Das Klingeln des Telefons ließ mich zusammenfahren, bevor ich in mäßigem Tempo zu unserem Haustelefon, das auf der Kommode im Flur stand, marschierte.

„Hier bei Standon“, sagte ich monoton und wartete auf die Antwort.

„Süße, was machst du zu Hause? Bei Danny steigt ‘ne fette Party.“, schrie Connors ins Telefon, während auch laute Musik zu hören war, musste ich den Hörer weiter weg halten. Als ich nicht sofort antwortete fuhr er einfach fort. „Also schwing deinen hübschen Hintern ins Auto und mach dich auf den Weg hierher.“, meinte er leichthin.

„Conners ich werde ganz sicher nicht zur Party kommen“, erklärte ich sachlich und so kurz angebunden wie nur möglich. Ich hatte wirklich keine Lust auf lauter gutgelaunte Jugendliche die sich anständig etwas hinter die Birne kippten und dachten das sei cool. Zumindest heute nicht.

„Cat, das kommt nicht in Frage! Ich erwarte dich in einer Stunde hier bei mir. Tschau“

„Conners! Warte … Connors! Conners!“, aber wie nicht anders zu erwarten kam keine Antwort mehr und ich blickte zornig auf das Telefon hinab.

„Idiot!“, schimpfte ich den Hörer und knallte das Ding in die Ladestation. Dabei war doch ich der Idiot, im Grunde genommen. Mittlerweile sollte ich Conners kennen, denn er war neben David mein bester Freund und Exfreund, was unsere Freundschaft nicht im Mindesten schmälerte. Nur manchmal war er nicht zu bremsen oder besser gesagt nie. Was sollte ich mir auch sonst von unserem Schulschwarm und Aufreißer erwarten?

Normalerweise ignorierte ich geflissentlich solche Anrufe von ihm, wenn ich keinen Bock darauf hatte. Das war zwar nicht oft der Fall, kam aber durchaus vor und dann war es ihm zwar immer aufgefallen, dass ich nicht da war, aber er war nicht wirklich davon enttäuscht oder versuchte mir deswegen ein schlechtes Gewissen zu machen. Meistens zog er mich dann auf, aber sonst war da nichts.

Das Telefon klingelte noch einmal und ich fuhr genervt zum Hörer herum. „Ja!“, blaffte ich hinein und war selbst etwas Erschrocken über meinen Ton.

„Ich bin’s nochmal. Ich will nur klarstellen, dass du dich diesmal nicht drücken kannst.“

Ich stieß genervt die Luft aus, auch dass er noch einmal anrief war nicht außergewöhnlich, denn wenn ich ehrlich war, sagte ich beim ersten Mal fast immer nein, aber diesmal würde ich mich nicht von ihm breit schlagen lassen.

„Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht kommen. Ich hab kein Auto“, versuchte ich es weiter und hoffte, dass er nun aufgeben würde. Nein, eigentlich war ich mir sicher, dass er mich nun endgültig in Ruhe ließ.

„Ich weiß… Und deswegen hab ich Demi zu dir geschickt. Sie ist heute der Fahrer.“ Beinahe könnte ich das Grinsen auf seinem Gesicht sehen, das er zweifelsohne aufgesetzt hatte. Und verdammt noch Mal! Woher wusste er, dass ich kein Auto hatte?

„Ryan wird nicht kommen“, meinte er nach einiger Zeit.

„Und das soll mich interessieren, weil …?“, fragte ich gedehnt und trommelte gespannt mit all meine Fingern auf der Kommode.

„Naja, ich dachte doch nur …“, setzte er an ohne jedoch den Satz zu beenden und nach ein paar Sekunden war meine Geduld am Ende.

„Du dachtest was?“, zischte ich ins Telefon.

„Ok, ich bin ehrlich. Du warst nicht in der Schule, bist aber nicht krank. Und nebenbei ist heute nur ganz zufällig Ryan wieder aufgetaucht. Verkauf mich nicht für dumm, Cat!“, mutmaßte er.

„Ich hab verschlafen!“, rechtfertigte ich mich spitz.

„Genau und das soll ich dir jetzt glauben“

„Conners mir ist egal was du glaubst oder nicht. Das einzige was ich von dir will ist, dass du mich in Ruhe lässt! Verstanden?“

Er seufzte laut auf und ich fragte mich willkürlich wo die laute Musik hingekommen war.

„Weißt du was? Wir klären das in einer Stunde – persönlich.“, entschloss er.

„Was willst du jetzt mit mir klären? Selbst wenn mich Demi abholt werde ich nicht mitfahren!“, vertrat ich konsequent meinen Standpunkt, wenn auch etwas zickig.

„Verrate mir doch einen triftigen Grund warum du nicht kommst, dann können wir noch einmal darüber reden.“, verlangte er stur zu wissen. Verzweifelt raufte ich mir die Haare und überlegte fieberhaft eine glaubwürdige Ausrede.

„Ehm, also …also“, stammelte ich unbeholfen ins Telefon.

„Also was?“, bohrte er weiter und ich klammerte mich an den Schrankknopf so fest, dass ich etwas knacken hörte, bevor ich ihn sofort wieder losließ.

„Conners, darüber will ich nicht mit DIR reden.“, lenkte ich wieder in eine andere Richtung und versuchte irgendwas Glaubwürdiges aus meinen Fingern zu ziehen, während ich den Knauf begutachtete.

„Entweder: Du gibst mir einen ernsthaften Grund nicht zu kommen oder ich schleife dich höchst Persönlich auf die Party.“, drohte er mir und ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er es wahr machen würde.

„Kann ich den Joker nehmen?“, erkundete ich mich kleinlaut.

Reden, ich musste reden und ihn hinhalten, bevor ich mich noch auf dieser dämlichen Feier blicken lassen musste. Manche würden sich jetzt denken: Was ist ihr Problem? Wenn sie nicht will, dann will sie eben nicht! Tja, wenn das bei solchen Freunden so einfach wäre. Wenn es um das Thema Ryan im Bezug mit mir ging, hatten sie eine ganz spezielle Art entwickelt mit mir umzugehen. Ich nannte es gerne das Versuchen-wir-Cat-mit-allen-Mitteln-zu-ihren-Glück-zu-zwingen-Syndrom. Und im vollen Ernst, wenn sie dieses Geschütz aufgefahren hatten, konnte sie nichts und niemand mehr daran hindern mich in irgendein Höllennest zu stecken, wo alle versuchten mit happyzu machen. Zum kotzen! Und darauf konnte ich gut verzichten, sonst würden sie auch noch dahinter kommen, dass mich Ryans Ankunft nicht so kalt ließ wie sie eigentlich sollte. Dann würden sie das Syndrom nicht nur heute Abend auffahren, sondern so lange wie sie es für nötig hielten auch beibehalten.

Und diese schreckliche Ahnung und Angst ließ mich total schusselig handeln, denn Conners hatte bestimmt schon dreimal meinen Namen gesagt.

„Ich hab ein Date.“, platzte es plötzlich aus mir heraus und wie ich es aus meinen Mund kommen hörte, wusste ich auch schon, dass ich gerade mein eigenes Grab geschaufelt hatte. Conners würde mich zwar verschonen – vielleicht – aber wenn es Demi erfuhr – was ich natürlich nicht mehr verhindern konnte – war alles verloren.

Wäre ja nicht so, als würde hier jeder jeden kennen. Schoss es mir zynisch durch den Kopf und verfluchte mich für meine Dummheit. Nun musste ich auch noch einen Jungen suchen, der sich dazu bereit erklärte mich zu decken. Dann musste ich nur noch versuchen zu erklären, dass das eine einmalige Sache gewesen ist. War wirklich die einfachste Sache auf der Welt. Yeah!

„Ich weiß, dass es mich nichts angeht, aber“, setzte Conners auch schon an, aber ich fuhr scharf dazwischen: „Genau es geht dich nichts an!“

„Ich bin doch nur neugierig!“, rechtfertigte er sich und um ehrlich zu sein, wusste ich seine Geste wirklich zu schätzen. Denn wenn es um Jungs ging war man bei Conners und Danny an der richtigen Adresse. Danny wusste ob sie nur Scheiße anstellten – klar, denn er war ja selbst immer dabei – und mein Ex bekam immer aus allen heraus, ob sie nur auf ein wildes Abendteuer aus waren, oder ob sie es wirklich ernst meinten.

„Wie dem auch sei … Viel Spaß bei deinem Date und stell ja nichts unanständiges an, sonst könnte man noch glauben, du bist leicht zu haben.“, scherzte er und endlockte mir tatsächlich ein kleines Grinsen.

„Und das ausgerechnet von jemanden der bereits die ganze Schule geknallt hat.“, schoss ich zurück und musste noch mehr über unser Wortgeplänkel schmunzeln.

„Also hör mal, wenn dann schon die ganze Stadt!“, meinte er inbrünstig und nun musste ich doch kichern.

„Darauf sollte man sich nichts einbilden, das ist dir doch bewusst, oder?“

„Du vielleicht nicht, aber ich schon.“, erklärte er mir leichthin und ich musste über seine Lebenseinstellung den Kopf schütteln. Er war wirklich zu schade für diese Weiber, die er manchmal anschleppte. Conners brauchte jemanden der ihm die Flausen aus dem Kopf trieb.

„Nein, jetzt im Ernst, wenn du willst nimm ich mir mal deinen Auserwählten unter die Lupe.“, schlug er nun doch etwas ernster vor.

„Nein, das ist nicht nötig. Glaub mir ich weiß ganz genau wobei ich bei ihm bin“ und ein schelmisches Grinsen breitete sich auf meinen Gesichtszügen aus.

„Wie du meinst. Also dann, viel Erfolg.“, wünschte er mir.

„Wir sehen uns morgen“, antwortete ich noch kurz bevor ich auflegte und überging seine Aussage. Es war einfach manchmal etwas komisch mit einem Ex über Beziehungen zu sprechen – für mich jedenfalls.

Menschen sind wie Hunde, die einen sabbern einem regelrecht hinterher, während die anderen einem nicht oft genug ans Bein pissen können – bei mir ist es eher Letzteres

Irgendetwas rüttelte an mir, aber irgendwie versuchte ich es dennoch zu ignorieren. Immer wieder schüttelte es mich durch und eine laute Stimme brüllte unaufhörlich meinen Namen.

„Lass mich doch einfach in Ruhe.“, jammerte ich gequält und hielt mir die Ohren zu und schlüpfte mit meinen Kopf unters Kissen.

„Du willst es nicht anders“, hörte ich über mir eine Stimme sagen und als das Rütteln und die Stimme verebbte seufzte ich erleichtert und vergrub meinen Kopf tiefer in das Kopfkissen.

Plötzlich war mein Kopfkissen weg und ich konnte das gar nicht so schnell realisieren, wie ich auch schon auf dem Boden lag.

Verärgert sah ich zu meinen kleinen Bruder auf und war schneller auf den Beinen als wir beide es mir zugetraut haben.

„Verpiss dich aus meinem Zimmer, sonst knallt‘s!“, fuhr ich ihn an und hatte als Bekräftigung die Hand schon erhoben.

„Ich hab dir Pfannkuchen gemacht“, verkündete er stolz und lieb zugleich. Willkürlich ließ ich meine Hand fallen und blinzelte ein paar Mal.

„Ernsthaft?“, fragte ich ungläubig nach und war schon minder wütend als noch vor ein paar Sekunden.

„Ja, ernsthaft“ und er lächelte dabei immer noch so scheinheilig.

„Also gut, was willst du?“, hakte ich nach und stemmte seufzend meine Hände in die Hüften.

„Kann ich denn nicht einmal nett zu meiner großen Schwester sein?“, stellte er mir eine Gegenfrage. Anklagend und zugleich skeptisch hob ich eine Augenbraue.

„Also gut“ seufzte er „Ich will dieses Wochenende Campen gehen.“

„Und warum machst du mir dann Frühstück?“, bohrte ich weiter, weil mir bewusst war, dass das nicht alles sein konnte.

„Ich hab dir sogar deinen Lieblingshonig besorgt“, trällerte er weiter „Und bin mit Romeo spazieren gegangen, hab die Katze gefüttert und dir Pausenbrot gemacht. Also hab ich deinen Wecker ausgeschaltet und dich länger schlafen lassen, aber wie ich sehe bist du gestern spät nach Hause gekommen.“, der letzte Satz war eher eine Feststellung und spielte wohl auf meinen heutigen ersten Satz, den ich zu ihm gesagt hatte, an. Genervt verdrehte ich die Augen und behielt einen weiteren bissigen Kommentar für mich.

„Also, was ist so besonders an dieser Campingtour, dass du sogar diese Geschütze auffährst …“, fragte ich argwöhnisch und sah auf diesen kleinen Kerl herab, „Lucifer?“, fügte ich dann noch hinzu.

„Lass uns das doch während dem Essen besprächen, sonst werden die Pfannkuchen noch kalt.“

Junge, Junge. Das würde bestimmt noch interessant werden …

 

Weitaus besser gelaunt und vor allem glücklich, schaufelte ich einen nach dem anderen, von Ahorn-Honig-Sirup-übergossenen Pfannkuchen in mich hinein und folgte Lucas Worten.

„Naja also, ich würde gerne mit ein paar Älteren in die Berge fahren. Natürlich wird dabei auch getrunken und vermutlich mehr als es sollte, aber keine Sorge ich halte mich fern von jeglichem Alkohol.“, versicherte er mir sofort und ich schluckte den Bissen schnell hinunter, sodass er gar nicht erst weiter reden konnte, fügte ich schnell hinzu: „Versprich nichts was du nicht halten kannst.“ Nun sah ich unabkömmlich in seine Augen und versuchte etwas daraus zu lesen, was mich schlauer machen würde, denn ich wusste zwar, dass mein kleiner Bruder kein Unschuldslamm war, aber Alkohol trank er normalerweise wirklich nicht. Ein zwei Bier die ihn unser Vater einmal gab waren schon das Höchste der Gefühle.

Bei uns auf dem Land gab es zwei verschiedene Sorten von Eltern. Nämlich die, die ihre Kinder so erzogen wie es unserer Zeit angemessen entsprach, sprich George Standon, unser Dad. Und dann waren da auch noch die, bei denen es zuging wie vor dem Sezessionskrieg, wo die Kinder nicht einmal alleine vor die Tür gehen durften. Gut, das war jetzt vielleicht etwas übertrieben, aber dennoch konnte ich diese Eltern beim besten Willen nicht verstehen. Was sollte es bringen seine Kinder wie Babys aufzuziehen und dann mit vierzehn oder auch erst fünfzehn und sechszehn sturzbetrunken unter den Älteren vorzufinden. Und das nur weil sie ihren Erziehungsberechtigten zeigen wollten, dass es ihnen egal ist was sie sagten und was sie davon hielten.

Das beste Beispiel war Lucas bester Freund Caleb, der sich auf unser jährliches Squaredance Festival so betrunken hatte, dass er nur mehr hinter der Drehbühne sich die Seele aus dem Leib kotzen konnte. Gott sei Dank, war Lucas so intelligent gewesen und hatte unseren Vater um Hilfe gebeten, der ziemlich gelassen und ruhig an die Sache herangegangen war und sich rührend um Caleb gekümmert hatte.

Des einen Leid war des anderen Glück, wie es so schön hieß, denn seit diesem Ereignis, vor einem Monat, würde Lucas ganz bestimmt die Finger von jeglichem Alkohol lassen. Hoffte ich zumindest.

Zweifelnd sah ich ihn an und wusste wirklich nicht ob das so eine gute Idee wäre ihn gehen zu lassen. Andererseits, was sollte schon groß passieren?

„Also gut, angenommen ich würde ja sagen.“ Lucas schloss bereits erleichtert die Augen und es bereitete sich automatisch ein Lächeln auf meinen Zügen aus. Egal was er anstellte und wie er sich mir gegenüber verhielt, ich liebte ihn einfach zu sehr, als dass ich ihm lange genug böse sein könnte.

„Da bleibt dann aber immer noch die Frage, um welche ‚Älteren‘ es sich dabei handelt.“, stellte ich klar und schlagartig verzog er wieder das Gesicht, was mich noch argwöhnischer werden ließ, als ich es ohnehin schon war. Das war doch bestimmt noch lange nicht alles.

„Josh, Conners und Danny.” Aha. Das war ja richtig interessant. Naja … Dann würde ich mir einmal die drei zur Brust nehmen und ihnen verklickern, dass sie auf meinen Bruder aufzupassen hatten, weil ich ihnen sonst die Ärsche aufreißen würde und das wortwörtlich.

„Also gut“, sagte ich nun sichtlich desinteressiert nach, dabei war ich wirklich gespannt, denn um ehrlich zu sein wusste ich nicht einmal, dass meine Freunde den Kleinen so ins Herz geschlossen hatten.

Danny war eigentlich erst ein paar Mal bei uns zu Hause gewesen, denn wir trafen uns meistens in der Stadt oder sonst bei Danny oder Connors, also kannte er meinen Bruder nicht sonderlich.

Josh war eher ruhig und der verschlossene Typ, außerdem hatte er meine vier Wände noch nie von innen gesehen.

Und Conners … Tja Conners kannte meinen Bruder zwar gut genug, dass er eine freundschaftliche Basis zu ihm aufbauen hätte können, aber mit seine speziellen Art hatten sie nicht wirklich viel gemeinsam zu tun gehabt. Es beschränkte sich immer nur auf die alltags Kommunikation und da er keine Geschwister hatte, wusste er auch nicht wirklich wie er mit solchen umzugehen hatte.

Außerdem hatte Lucas niemanden so richtig akzeptiert von meinen Freunden oder war mit niemanden so richtig warm geworden, außer mit … Nein. Das war jetzt nicht wahr! Entschieden schüttelte ich den Kopf, konnte jedoch nicht verhindern, dass sich eine ganz bestimmte Person in mein Gehirn fraß. Es passte einfach zu gut, als dass es nicht stimmen könnte.

„Kann es sein, dass du vielleicht jemanden vergessen hast?“, nun sah ich wieder auf und meine linke Augenbraue zuckte hoch, ein klares Zeichen von Argwohn und unterdrückter Wut.

„Was? Nein!“, wehrte er schnell mit gehobenen Händen ab. Okay Kleiner, irgendwann müssten wir einmal üben wie man am besten lügt oder so wie ich es nannte ‚die Wahrheit verdrehte‘. Die Kunst des Lügens bestand darin, bei der Wahrheit zu bleiben und zwar indem man Halbwahrheiten erzählte, so genannte Grauzonen. Man log erst dann, wenn es keine andere Auswegmöglichkeit mehr gab.

„Also gut“, seufzte ich, „Ich habe damit kein Problem, wenn du mit meinen Freunden abhängst. Doch trotzdem wäre es schön, wenn du mich nicht anlügen würdest. Also …?“ Demonstrativ hob ich die Augenbrauen an und betonte das „also“ speziell auf dem „o“. Betreten sah er zu Boden und meine Hoffnung schwand immer mehr, dass ich mich vielleicht doch irren könnte.

„Ryan“, nuschelte er undeutlich und als ich antwortete wurde das „Was?“ zu keiner Frage formuliert, sondern verlies wie das Zischen einer Kobra meinen Mund. Lucas vor mir rückte einen Schritt zurück, erhob sich langsam und sah mir nun in die Augen. Mein Blick sprach wohl Bänden, denn nun trat er den Rückzug an und versuchte so viele Meter zwischen uns zu bringen wie nur möglich. Und ich versuchte den Abstand so schnell wie möglich wieder zu verringern.

Mit den Endergebnis, dass ich nun vor seiner Zimmertür stand und unaufhörlich klopfte, mit kurzen Pausen zwischendurch wo ich so Phrasen brachte wie: „Mach doch jetzt endlich auf“ oder „Ich bin dir nicht böse, aber mach auf!“ oder mein Liebling „Wenn du jetzt nicht aufmachst, überfahre ich Julia!“ Für alle die es nicht wissen – Julia war unsere Katze oder besser Lucas Mieze.

Und nein, ich bin nicht auf die dämliche Idee gekommen sie so zu nennen. Romeo hatten wir vor Julia, aber dennoch hatte es einen gewissen Reiz wie fremde Leute darauf reagierten.

Als er einfach nicht aufmachte, marschierte ich fest entschlossen, mir den Eintritt zu ermöglichen, in mein Zimmer und suchte in der obersten Schublade nach meiner Nagelfeile.

Ich gab’s ja zu, mit fairen Mittel spielte ich nicht, aber seien wir mal ehrlich zu einander, wer ist denn heutzutage schon fair? Niemand! Oder zumindest verlangte ich es von niemandem. Wenn sie es trotzdem taten war es mir nur recht, aber ich erwartete es nicht und genau deswegen sollten sie es von mir auch nicht erwarten, basta!

Es dauerte keine Minute, als ich mit der Nagelfeile im Türloch herumstochernd dastand und versuchte den Schlüssel auf der anderen Seite hinauszuschieben. Mit ein paar geübten Handgriffen fiel der Schlüssel aus dem Loch – woraus man erkennen konnte, dass ich mir schon öfters so den Zutritt in sein Zimmer verschaffte hatte – und meiner steckte schon drinnen, bereit zum Umdrehen.

„Wieso machst du das immer?!“, zickte mich mein kleiner Bruder sofort an. „Hier hat man null Privatsphäre!“, schoss er wütend noch hinzu.

Da mag er schon Recht haben, aber die hatte hier sowieso niemand – und am wenigsten ich. Denn in mein Zimmer marschierten alle ein und aus wie es ihnen passte. Echt zum kotzen! Und warum das so war? Das hatte vielleicht damit zu tun, dass mein Zimmer eine Durchzugsstation war – wie ich es gerne nannte. Das so viel bedeutete wie, dass man erst in mein Zimmer gehen muss um in die Zimmer von Dad und Lucas zu kommen. Was so aussah, im ersten Stock gab es keinen Vorraum, sondern nur eine Tür die in mein Zimmer führte und dort zwei Türen vorhanden waren, hinter der sich unser Bad befand und hinter der anderen George’s Schlafzimmer und in seinem war dann noch eine Tür die in Lucas Zimmer führte. Echt schrecklich!

Und da waren wir wieder bei dem Thema schlechte Noten, denn vor einem Jahr bewohnte ich im Erdgeschoss ein gut zwanzig Quadratmeter großes Zimmer. Wo man aus dem Fenster bei Hausarrest abhauen konnte ohne sich fast alle Knochen zu brechen, bei dem Versuch vom Fenstersims aus zum nächstgelegen Ast zu kommen. Es war bei Gott alles andere als einfach, wenn einem gut drei Meter vom Boden trennten und ungefähr fast die Hälfte davon von dem genannten Ast und man Höhenangst hatte.

Soviel zu diesem Thema.

 

„Weil du dich hier einsperrst. Lass doch die Tür offen“, schlug ich äußerst klug vor und setzte mein höhnisches Lächeln auf, wo sich genau bis zum richtigen Grad meine Lippen kräuselten und die Zähne fast unscheinbar hervorblitzten.

„Haha. Sehr lustig!“, giftete er und ich hob zur Abwehr meine Handflächen in seine Richtung.

Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare, wie es David immer machte, wenn ihm etwas störte, nervte, er traurig war oder eigentlich immer – das war so eine Männerkrankheit, wenn man es so nennen wollte. Alle machten es von meinen Freunden außer Conners, und das weil er nicht seine Frisur zerstören wollte. Gott, manchmal war bei ihm wirklich eine Frau verloren gegangen, denn er war so was von eitel, dass es nicht ärger mehr ging. Eineinhalb Stunden am Morgen. Dann nach der Schule brauchte er wieder eine halbe bis eine Stunde um sich zu duschen und die Haare zu richten. Der Typ war schlimmer als Demi und die legte schon zu viel Wert auf ihr Äußeres.

„Lucas“ Ich schloss die Augen und zwang mich zur Ruhe. Es war nicht fair von mir ihm den Umgang mit Ryan zu verbieten, er hatte immer toll auf meinen Bruder achtgegeben und das was zwischen uns zweien war, hatte nichts mit ihnen zu tun.

Als ich meine Augen wieder öffnete, war ich schon etwas ruhiger und nicht mehr so aufgewühlt, wie noch vor ein paar Sekunden.

„Ich habe damit kein Problem, wenn du Ryan magst und dich mit ihm abgibst, dafür brauchst du dich nicht zu schämen.“, fuhr ich fort und war so dankbar dafür, dass ich es schaffte nicht hysterisch zu klingen, denn wenn ich ehrlich war, passte es mir überhaupt nicht.

„Ich weiß zwar nicht was genau zwischen dir und Ryan gelaufen ist, aber du hast ihm ganz schön weh getan.“, sagte er bedrückt und sah zu Boden. Plötzlich spielten meine Gedanken verrückt.

 

Könntest du bitte gehen? Du verdirbst mir die Stimmung

 

… Mir ist es egal was du über mich denkst oder von mir haltest, eigentlich alles was mit dir zu tun hat. Interessiert. mich. nicht. …

 

Ich hatte ihn verletzt? Glaubte Lucas wirklich, dass ich die Schuldige war? Wie kommt er blos darauf? Ryan wird doch wohl nicht … Warum eigentlich nicht? Er hat mir doch schon oft genug gezeigt, dass er nicht der Typ war für den ich ihn gehalten hatte.

„Was hat er dir erzählt?“, entfuhr es mir aufgebracht und ich wusste, dass ich schon wieder über das Ziel hinausgeschossen war. Schön langsam sollte ich wirklich lernen meine Gefühle im Zaum zu halten.

„Nichts! Nur dass es nicht toll gelaufen ist! Und dass es ihn eben verletzt hat, aber auch, dass er weiß, dass auch er Fehler gemacht hat und … und“, stammelte er hilflos und so schnell als würde mich das beruhigen, was irgendwie auch funktionierte. Denn ich machte mir wieder bewusste, dass mein kleiner Bruder nichts dafür konnte. Auch wenn ich verzweifelt einen Sündenbock suchte, fand ich den nicht in Lucas, da konnte er noch so oft für mich Lucifer sein.

„Lucas, dass was zwischen Ryan und mir läuft oder auch gelaufen ist, hat nichts mit dir zu tun und folglich geht es dich auch nichts!“, stellte ich nun noch immer angepisst klar, aber schon ruhiger.

„Ich habe aber das Recht es zu erfahren! Wenn meine Schwester meine Freunde weh tut, dann möchte ich auch wissen warum!“, fuhr er mich aufgebracht an und ich konnte es nicht fassen. Mein eigener Bruder war auf der Seite meines Ex-Freundes. Der mich betrogen hatte. Mit der Schulschlampe. Und noch die Frechheit besaß mich dabei zu demütigen, während er mir das Herz herausriss.

Ich konnte nicht verhindern, dass mir Tränen in den Augen traten, als ich wieder antwortete.

„Ich war nicht daran schuld, dass es zwischen uns aus ist, denn er hat mir das Herz gebrochen, nicht umgekehrt. Aber all das, Lucas, hat nichts mit dir zu tun oder mit deiner Freundschaft zu Ryan. Er war dir immer ein gutes Vorbild, dass soll er auch weiterhin bleiben. Da werde ich nicht dazwischen stehen.“, stellte ich traurig klar, darüber, dass er so etwas von mir dachte.

„Es tut mir Leid, dass ich so überreagiert habe.“, meinte ich nun und warf ihm einen entschuldigten Blick zu und verschwand dann im Bad. Meine Hände zitterten als ich die Tür hinter mir abschloss und mich im Spiegel betrachtete.

Ich sah erbärmlich aus. Meine Haare waren eine totale Katastrophe – ein anderes Wort konnte ich dafür nicht finden. Der Rest von mir hatte auch schon weitaus bessere Tage erlebt. Meine Haut wirkte blass und fahl. Dunkle Augenringe waren unter meinen sonst so strahlend grünen Augen, die heute stumpf und farblos wirkten, getreten. Meine ganze Körperhaltung war eingeknickt und man sah mir auf dem ersten Blick an, dass ich total übermüdet war.

Kein Wunder, ich hatte vielleicht grad einmal drei Stunden Schlaf abbekommen, die restliche Nacht hatte ich gegrübelt über Gott und die Welt. Wenn sie nur mit Ry anfing und an aufhörten. Und dass mich Lucas auch noch dafür verantwortlich machte und sich in unsere Angelegenheiten einmischte passte mir gar nicht. Er hatte mich nämlich mehr als verletzt mit seinen Anschuldigungen.

Das Leben ist Scheiße, hat einmal irgendein Philosoph gesagt und ich musste ihm rechte geben. Vor allem in so einen Dreckskaff wie Jordan, wo man zu weit von der Zivilisation entfernt war, um einen Starbucks überhaupt zu kennen. Und St. Franklin war da auch nicht besser. Wenn bei uns die Filme im Kino erst anliefen sind sie schon längst auf DVD erhältlich. Jedes Jahr aufs Neue spielten sie den Sezessionskrieg nach, als würde sich der Ausgang dadurch verändern. Die Familien blieben immer die gleichen und man könnte meinen Inzucht wäre hier alltäglich – gut ich übertrieb einmal wieder maßlos, aber es stimmte auf gewisse weiße doch.

Es war wie Mom immer gesagt hatte, es gab zwei verschiedene Menschen in Jordon und St. Franklin: die, die zu dumm sind um abzuhauen und die, die hier zu sehr festhingen. Ob ich zu den ersten oder den zweiten gehörte wusste ich selbst nicht so genau.

Ich musste mich beruhigen. Es war schon genug, dass mich Ryan noch immer verletzlich machte, da sollte ich mich wenigstens auf meinen kühlen Kopf verlassen können, falls der überhaupt vorhanden war.

Als erstes stellte ich mich unter die Dusche und stellte sie auf kalt, dass würde mich auf andere Gedanken bringen und tatsächlich was für ein Wunder, zitterte ich nun nicht mehr, weil ich mit den Nerven am Ende war, sondern weil ich mir den Arsch abfror. Als ich nun in den Spiegel sah, wirkte meine Haut immer noch fahl, aber dafür sah mein Blick schon etwas frischer aus. Mit ein paar Handgriffen steckte ich mir meine wirren Haare hoch und griff zu meinem Make-up-Täschchen. Dezent würde heute wohl schwer oder übel nicht reichen.

Meine Haut färbte ich mit einem leichten Beige Ton ein und verpasste mir noch etwas Rouge auf die Wangen, so dass es wirkte als hätte ich überhaupt noch Blut in meinem Gesicht. Die Augen umrandete ich mit meinem Kajal und versuchte sie größer wirken zu lassen um ausgeschlafener auszusehen. Als ich zum Schluss noch Lipgloss auftrug sah ich um ehrlich zu sein fast so fit aus wie an jedem anderen Tag, zwar noch immer etwas müde, aber das war ich sowie so immer.

 

Meine Schultasche in den Armen und um mich schauend, ging ich durch die Korridore und hing meinen Gedanken nach

Es war menschenleer. Was kein Wunder war, denn ich war eine viertel Stunde zu spät. Und Schuld an der ganzen Situation war wieder einmal mein Bruder, der dem Busfahrer anscheinend erzählt hatte, ich würde heute wieder nicht kommen. Dabei war ich gerade einmal eine Minute zu spät. Na gut, wahrscheinlich hatte Lucas dem Fahrer nichts erzählt, aber manchmal musste man einfach nichts sagen um anderen zu Schaden. Wow, das reimte sich sogar. Heute hatte ich mal wieder einen guten Lauf.

Jedenfalls hatte ich mir dann das Fahrrad genschnappt, um wenigstens noch rechtzeitig zur Matheprüfung da sein zu können. Ich war ganze dreizehn Meilen geradelt, wobei ich es hasste wie die Pest. Etwas Gutes hatte es jedenfalls. Müde war ich nun wirklich nicht mehr, aber dafür sah ich mit größter Wahrscheinlichkeit aus wie eine Vogelscheuche. Wäre es ein anderer Tag gewesen, hätte ich einfach geschwenzt.

Tja, was tat man nicht alles für Mathe?

Und während ich mich so aufregte, lief ich fast an meinem Klassenzimmer vorbei, im letzten Moment blieb ich stehen und musterte das Schild das auf der Tür hang.

 

Miss Camberlane

Französisch und Geschichte

 

Stand in dem Kästchen und ich seufzte resigniert. Das würde bestimmt eine Strafarbeit geben oder schlimmer noch, Nachsitzen.

Zaghaft griff ich nach der Türklinke und drückte sie hinunter. Kurz hielt ich noch einmal inne und schloss die Augen um mich vor dem Kommenden zu wappnen, dann stieß ich die Tür mit Schwung auf und starrte in das leere Klassenzimmer.

Vorsichtig trat ich einen Schritt hinein und blickte mich um, tatsächlich niemand hier. Verwirrt blickte ich noch einmal auf das Schild an der Tür. Nein, es war das richtige Klassenzimmer. Eigenartig, äußerst eigenartig.

Ich kramte nach meinem Handy und schrieb Danny eine SMS, da er der Einzige war der noch mit mir zusammen Geschichte hatte.

 

Wo bist du? Und warum ist keiner in unserer Klasse?

 

Tippte ich schnell und drückte auf senden, so wie ich Danny kannte würde er mir sofort zurückschreiben, da war ich fest davon überzeugt. Handysüchtig konnte ich nur dazu sagen.

Nach ein paar Minuten war ich dann doch nicht mehr so überzeugt davon und wählte dann seine Nummer. War mir doch egal ob mitten im Unterricht – falls der überhaupt stattfand – das Handy abging.

 

Ich wählte mittlerweile schon zum vierten Mal die Nummer, als es auf einmal Klack machte.

„Was verdammt nochmal ist dein Problem!?“, schrie jemand aufgebracht ins Telefon und ich hielt es kurz auf Abstand, da mein Ohr schmerzte und sah das Elektrogerät in meinen Händen argwöhnisch an.

Wow. Nette Begrüßung, dachte ich ironisch.

„Ich wünsche auch Ihnen einen guten Morgen, Mr. Harsen.“, gab ich angesäuert von mir und dippte mit meinen Fuß abwartend auf dem Boden, die Arme dabei verschränkt haltend.

Statt jedoch einer Antwort hörte ich schmerzliches Stöhnen und ein genervtes Seufzen.

„Cat, was willst du?“, fragte nun die Person am anderen Telefon, schon leiser, aber nicht minder genervt.

Ich stutze: „Conners?“, fragte ich ungläubig und starrte auf die Nummer die ich gewählt hatte. Es war Dannys Nummer.

„Bitte, sag doch einfach was du willst und lass mich weiter schlafen!“, jammerte er ins Telefon und hatte eine angeschlagene Stimme.

Okay.

„Ich möchte mit Danny reden.“, sagte ich ruhig ins Telefon und war schon gespannte auf die Geschichte zu diesem Ereignis, die garantiert wieder einmal einmalig sein würde.

„Der ist wie Tod. Nichts zu machen.“, meinte Conners nun, er hörte sich nicht ganz so wehleidig an, wie noch vor ein paar Sekunden. Die hatten es wohl anscheinend ganz schön krachen lassen.

„Es ist Schule.“, informierte ich den noch immer müden Jungen auf der anderen Leitung und musste ein Lachen unterdrücken.

„Quatsch. Es ist do …“, seine Stimme erstarb und ich hörte wie er plötzlich einen derben Fluch von sich gab, während die verschiedensten Geräusche am anderen Ende der Leitung zu hören waren.

„Danny! DANNY, WACH AUF! DU ARSCHLOCH!!!“, brüllte der wohl ein bisschen gestresste Junge und hörte wie irgendwas laut knallte.

„Sag mal spinnst du? Was fällt dir ein mich aus dem Bett zu schmeißen!!“, murrte jemand laut und nun konnte ich das Lachen einfach nicht mehr unterdrücken, zu lustig war die Situation.

„Ich spinne? Wer war denn so intelligent und hat vergessen den Wecker zu stellen, Idiot!“, fuhr Conners ihn an und ich konnte mir gut vorstellen, dass er ihm einen Klaps auf dem Hinterkopf gab.

„Was kann ich dafür, wenn meine erste Stunde gestrichen ist?“, fragte nun der andere Typ und ich glaubte mich verhört zu haben.

„Jungs! JUNGS!“, brüllte ich in das Telefon und versuchte ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, aber als dann plötzlich die Tür vor mir aufging und ein böse dreinblickender Mr. Jeffers mich anstarrte, hielt ich inne. Sein Blick landete auf meinem Handy, schnell drückte ich die Nummer weg und legte ein herzallerliebstes Lächeln auf.

„Tut mir Leid?“, fragte ich und nun fuhr sein Kopf wieder ruckartig zu meinem hoch. Seine Lippen hatte er zu einer dünnen Linie zusammen gepresst und die dicken, dunklen Augenbrauen zog er bis zur Mitte zusammen. Kein gutes Zeichen.

„Einmal noch und ich schick dich zum Direktor, Standon!“, donnerte er und bevor ich überhaupt noch etwas zu meiner Verteidigung hervor bringen konnte, hatte er schon die Tür scheppernd zugezogen.

Wichser, dachte ich und machte auf dem Absatz kehrt.

Naja einen Vorteil hatte die Sache schon, ich wusste, dass ich nicht zu spät war. Yippie!

Gott, wie ich diese zwei Idioten hasste, zuerst Conners mit seinem „Komm doch auf die Party“ Geplapper und jetzt auch noch Danny, der es nicht für nötig hielt, mir vielleichte mitzuteilen, dass unsere erste Stunde ausfiel.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.08.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle die das Problem mit der Liebe kennen. Also einen guten Rat: seit nicht zu streng mit unseren Liebsten, es sind doch auch nur Menschen mit viiieeelen Fehlern! LG eure MinaLeon

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