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Der beste Freund des Menschen und kindliche Albträume

Der beste Freund des Menschen und kindliche Albträume

Meine erste bewusste Hundeerfahrung stellte sich wie folgt dar:
Ich war ca. 8 Jahre alt und zu meinem Schulkameraden Frank in den Garten zum Spielen eingeladen.
Bar jeden Wissens über eventuelle vierbeinige Gartenbewacher und in ausgeprägter Spiellaune erstürmte ich mit meinem Kinderfahrrad hoch motiviert das mir noch fremde Gelände. Mein Fehler, denn ich ahnte nicht, was mich erwartete! Ein großer schwarzer Schäferhund rannte, nachdem ich die Gartenpforte geöffnet und brav hinter mir geschlossen hatte, in vollem Galopp auf mich zu, bremste, kurz bevor er mich umriss, ab, legte in scheinbar(für ihn!) freundschaftlicher Geste seine Pfoten auf meine Schultern, ließ ein tiefes Grollen ertönen, welches in ein deutliches und unüberhörbares tiefes, grollendes „Wuff“ überging und damit auch endete.
Plötzlich war um mich herum überall nur großes, schwarzes Tier. Ich roch seinen heißen Atem, während er mich liebkoste und mir mit seiner Zunge eine ausgiebige Gesichtspflege angedeihen ließ. Angst und Panik, diese beiden Schlingel, legten sich plötzlich mächtig ins Zeug und sprangen fröhlich im Kreis. Seine Begrüßung war sicher ehrlichen Herzens und nett gemeint, aber wenn man mit so einem Überfall nicht rechnet, will man, als überraschtes und verängstigtes Kind, einfach nur weg.
Es ist wohl überflüssig, zu erwähnen, dass die besagte ausgeprägte Spiellaune, mit der ich anreiste, abrupt im Keller Platz nahm.
In dieser, für mich lebensbedrohlichen Situation erschlafften daher auch einige wichtige Muskeln meines Körpers auf die man normalerweise nicht bewusst achtet und es war für mich in dem Moment auch nicht sonderlich notwendig, seriös zu erscheinen.
Kurz gesagt, der warme dunkle Fleck im Reißverschlussbereich meiner Hose breitete sich in kürzester Zeit auf ein erstaunliches Maß aus.
Peinlich berührt, ob meiner Inkontinenz, schwang ich mich auf mein Fahrrad und verließ schleunigst und wortlos den schrecklichen Ort des Geschehens.
Der Mensch ist seit Urzeiten ein Fluchttier und meinem Urinstinkt wurde ich äußerst gerecht. Mit einem entsetzlichen Schamgefühl im Bauch, gleich dem, bei einer seltsamen Handlung erwischt worden zu sein, die man bis an sein Lebensende niemals würde erklären können (Meine Mutter erwischte mich einmal, hüpfend und ausgeprägt „headbangend“ auf meinem Kinderbett, Luftgitarre spielend. Und das alles bei voll aufgedrehter Stereoanlage. So etwas kann man nicht erklären.
Ich hatte nach diesem Erwischtwerden noch Tage später einen dicken Kloß im Bauch.), fuhr ich mit hochrotem Kopf, etliche Umwege nehmend, nach Hause.
Die Hose sollte trocknen.
Trotz allem hatte ich das Gefühl, Schwein gehabt zu haben. Ich lebte noch.
Die ganze Situation mal kurz aus einer anderen Perspektive: Die fleißige Hausfrau, Mutti von Frank, steht abwaschend hinter der Küchengardine.
„Frahank, komm, dein Besuch ist da.
Ach schau doch mal, wie lieb unser Blacky deinen Freund begrüßt.
Ist ja süß. Was issn jetzt?
Du, der fährt wieder! Jetzt isser weg. Und wie schnell…, komisch.“
Weitere Einladungen von Frank ließ ich aus allen möglichen erfundenen Gründen platzen. Nur der Hund und ich, wir hatten ein Geheimnis. So erlebte ich mein erstes persönliches Waterloo.
Solch quälende und unnötige Erlebnisse pflegten meine Kindheit treu zu begleiten. Wie folgende nette Anekdote.

Meine liebe Tante und ihr Mann hatten einen kleinen, feinen Garten. Ich war gelegentlich mit meinem Bruder zu Besuch dort, da man immer irgendwelche Abenteuer erleben konnte. An der hinteren Hauswand des Häuschens stand eine alte, ausrangierte Badewanne, ohne Wasser. In jener Badewanne befand sich eines Tages eine für Kinderaugen riesige, dicke, fette Spinne und schaute uns böse an.
Auf den Anblick waren wir nicht vorbereitet und wir machten uns dementsprechend, hilferufend bemerkbar.
Aufgrund der Wagner - ähnlichen Dramatik in unseren Kinderstimmen eilte unsere Tante „Mausi“, so ihr Spitzname, herbei und versetzte dem unheimlichen Wesen aus der Tiefe heroisch den Todesstoß in Form von „Bein-in-die-Wanne-und-auf-die-Spinne-stellen“.
Die Akustik, die das Ableben des Achtbeiners begleitete, war einfach nur schauderhaft. Durch den komfortablen gusseisernen Resonanzboden der Badewanne hörte es sich an, als setzte sich jemand auf eine Tüte Erdnussflips.
Krrrk!
Und nun ging es los; ich träumte nachts von Spinnen!
Von großen Spinnen!
Und von großen Spinnen in Badewannen.
Und ich wollte sie dort nicht haben.
Ich wollte sie nirgendwo, sie sollten weg, einfach nur weg.
Als ausgeprägter Pazifist und naturnah aufgewachsener Mensch waren mir Mordgedanken in jeglicher Form fremd, also spülte ich in meinen kindlichen Träumen die gruselige Spinne mit Wasser weg.
Sie ging nicht durch den Abfluss!
Im Traum erscheinen einem immer die jeweiligen Ideen als die besten.
Ich spülte also mit heißem Wasser nach, bis die Spinne durch passte.
Nachts allerdings kam sie dann durch den Traps wieder nach oben gekrabbelt.
Doppelt so groß und stinkewütend!
Meine Bettwäsche war nach diesen Träumen vom Angstschweiß immer so nass, als hätte ich in einer riesigen Pfütze geschlafen.
Man glaubt gar nicht, wie echt einem solche Träume erscheinen können, außerdem ist man als Kind deutlich toleranter gegenüber dem Unmöglichen.
Irgendwann verblassen die Träume, aber wie man sieht, erinnere ich mich auch jetzt, nach ca. 40 Jahren, noch sehr genau daran.
Bisher habe ich mich noch nicht ernsthaft um einen Therapieplatz bemüht, aber in nicht allzu weiter Ferne wird sicher in irgendeiner Selbsthilfegruppe unserer schönen Republik ein Platz im Stuhlkreis für mich frei.
Dann können wir darüber reden.

Lady

 

Lady



An einem heißen Sommertag im Jahr 1994 kam meine damalige Frau, ihres Zeichens Lehrerin, von der Schule nach Hause und erzählte mir von einer Schülerin, deren Eltern Schwierigkeiten hatten, den letzten Welpen aus ihrem Wurf los zu werden.
Auf meine Fragen, was das denn für ein Hund sei, sagte sie, es wäre ein Altdeutscher Schäferhund.
Aber wir wollen doch keinen Hund, oder?
Nein!
Sie wusste genau, dass, wenn ich einen Hund möchte, dann genau diese Rasse!
O.K., sagte ich, wir fahren mal hin und schauen uns den Welpen mal an.
In der Wohnung der Züchterin sind spontan unsere Brutpflegeinstinkte erwacht und ca. 3 Stunden später zog ein kleiner tapsiger Schäferhund bei uns ein.
Wir wollten ja nur mal Babys schauen fahren, mir war fast klar, das geht nicht ohne überraschenden Familienzuwachs.
Die Züchterin hatte ja auch schon die Erstausstattung, wie Halsband, Leine und Schlafkörbchen für uns vorbereitet.
Ich hatte bisher nie einen Hund, mir war nur klar, wenn ich mal einen haben sollte, musste er Lady heißen.
Als Kind las ich das Buch von James Street „Er nannte ihn Lady“ bestimmt zwanzig Mal und habe davon nie genug bekommen.
Selbst heute, mehr als 30 Jahre später lese ich es gelegentlich noch.
Es handelt von einem 14-jährigen Jungen der bei seinem Großvater in den Sümpfen des Mississipi aufwächst, dort einen freilaufenden Basenji, einen afrikanischen Jagdhund, sieht und beschließt, ihn zu fangen.
Diese außergewöhnliche Rasse ist nicht in der Lage zu bellen, es klingt eher wie ein Jodeln.
Eben ein richtiges Jungenbuch.
Mädchen haben Pferde, Jungen haben Hunde.

Lady beschloss, von Anfang an zu zeigen, dass sie, wenn sie alleine war, ihre eigene
Art von Humor hatte.
Sie las dann zum Beispiel sehr gerne … am liebsten wertvolle alte Bücher, jede einzelne Seite.
Oder sie sah sich die Fotoalben mit Kinderfotos an.
Nach der Bildungsphase blieben von ihren bevorzugten Objekten meist nur kleine Schnipsel übrig, genauso verhielt es sich mit den Fotos.
Sie feierte ein rauschendes Fest!
Alleine sein ist uncool, da gibt’s keine zweite Meinung, man muss sich beschäftigen!
Ein ganz tolles Spiel war: „Beute“ machen und diese anschließend irgendwo verstecken.
Das ging super mit Einkäufen, die ich im Flur stehen ließ, weil ich noch mal los musste.
Wie dumm von mir!
Da muss man doch als junger Hund die Gunst der Stunde nutzen und die Einkäufe ausgiebig auswerten.
Kann man vielleicht, für die Zukunft gesehen, davon etwas gebrauchen?
Ich war wieder zu Hause und irgendetwas war anders, wo sind denn bloß die Eier hin??? Die Verpackung war noch da, lag im Flur, aber leer!
Einige Tage später fand ich des Rätsels Lösung im Kleiderschrank zwischen meinen Jeans, alle Hühnerprodukte vollzählig!
Die Gute legte sich eben gerne Vorräte an.

Man verwöhnt ja gerne seinen geliebten Hund und kauft dann auch mal Sachen, die für eine Hundenase besonders lecker sind, wie zum Beispiel diesen leckeren Rinderschlund.
Dieser wurde hundesicher tagsüber in der Küche im Spülbecken gelagert.
Ich kam von der Arbeit und wollte das Hundeherz mit diesem tollen Leckerli erfreuen … nix mehr da!
Gut, dachte ich, die Lady hat sich selbst versorgt.
Mein lieber Hund konnte ja zu Hause auf dem Teppich nicht buddeln und somit nichts für schlechte Zeiten verstecken, also musste das Bett für die Lagerung von Nahrungsmitteln herhalten.
Wer weiß, wann es so etwas Leckeres wieder gibt?
Den Schlund ab ins Bett, ganz ordentlich die Decke drüber und für das Leib und Wohl der nächsten Tage ist gesorgt.
Leicht angetrocknet klebte das Fleisch furchtbar und mit Rinderschlund im Bett rechnet einfach keiner.
Der Erziehungseffekt setzte ein!
Sie erzog mich zur Ordnung!
Ab diesem Tag wurde alles aus bequemer Höhe entfernt, was zum Tatbestand des Diebstahls verführen könnte.
O.K., man kann es ja auch mal vergessen, wie an dem Abend, als ich bei meinen Eltern im Garten grillen wollte.
Die tiefgefrorenen T-Bone-Steaks lagen schon in der Spüle zum Auftauen und ich genoss die Nachmittagssonne auf dem Balkon, plötzlich kam ein sehr aufgeregter Hund zu mir und gab Bescheid, mal raus zu müssen.
Also schnell Schuhe an und raus.
„Warum hat Lady jetzt Durchfall?“
Die Auflösung kann sich jeder denken, es gab dann abends Grillwürstchen!

Wenn man mit Lady Stöckchen- oder Ballwerfen spielte, kannte Lady nur das Ziel an sich. In äußerster Konzentration rannte sie dem Objekt der Begierde hinterher und achtete auf nichts, was ihr eventuell im Weg stand.
Aus Erfahrungen von Spaziergängen mit befreundeten Hundebesitzern kann ich daher berichten, wenn einen „35kg Hund“ von den Beinen holen, nimmt man zwangsweise eine äußerst devote Haltung ein.
Ähnlich unerwartet und überraschend erging es während eines Waldspazierganges einer Ringelnatter, die zusammengerollt in der wärmenden Sonne lag und döste.
Lady lief, völlig ignorant, einfach über das kleine Reptil hinweg, welches sich nach dem Fußtritt verständlicherweise empfindlich gestört fühlte und daraufhin entrüstet fauchte. Sie nahm übel.
So auch die Bewohner eines Ameisenhaufens, über den mein verspielter Schäferhund in vollem Galopp tobte.
Umwelt- und Artenschutz waren ihr fremd.
Die fleißigen, sechsbeinigen Waldpolizisten traten in einer gewaltigen Fontaine empört eine Luftreise an, nachdem Lady quer durch den Haufen rannte.
Meine Lady allerdings, die stets als eine Quelle des Frohsinns agierte, bekam von all diesen kleinen Tragödien, die sie im Tierreich hinterließ, nichts mit.


Ich ging mit Lady auch regelmäßig zur Hundeschule, ein großer Hund muss erzogen sein und eine Führung haben.
Außerdem kann der Partner am anderen Ende der Leine in der Hundeschule auch sehr viel lernen. So war es dann auch.
Es war mit Lady nach der lehrreichen Zeit in der Hundeschule auch ein ungeheures Vertrauensverhältnis, wir verstanden uns schon alleine durch Augenkontakt und bei ihr brauchte ich auch nie eine Leine, sie war in jeder Situation absolut tiefenentspannt und souverän. Wir spazierten an Gärten vorbei, deren vierbeinige Bewacher ein höllengleiches Zeter und Mordio veranstalteten, die feine Dame aber rührte das wenig.
„Nö, mit denen will ich nicht, die sehen mir nicht fröhlich aus.“
Gewaltfantasien und jegliche Art von Aggressionen waren ihr fremd.

In ständigem Bestreben, die eigenen pädagogischen Fähigkeiten auszuloten, brachte ich meiner Lady ständig neue Sachen bei.
Dass dabei einiges mir selbst zum Verhängnis werden sollte, ahnte ich damals noch nicht.
Was war ich doch stolz darauf, dass Lady nach meinem Unterricht sogar Türen öffnen konnte.
Wenn man etwas Neues lernt, will man es natürlich auch im täglichen Leben anwenden.
Also hieß es, überall probieren: Klinke runter… Tür auf, klappt doch super!
Mein schlauer Hund öffnete fortan alle Türen, auch die, die er nicht sollte.
Tagsüber haben Hunde im Schlafzimmer nichts verloren.
Das ist Gesetz.
Also schloss ich morgens, auf dem Weg zur Arbeit, vor dem Verlassen der Wohnung, immer diese wichtige Tür zu.
Eines Tages hatte ich unerwartet einen freien Arbeitstag und konnte liegen bleiben.
Was für ein Leben!
Meine damalige Frau folgte ihren morgendlichen Ritualen und schloss in Gedanken natürlich die Schlafzimmertür mit ab.
Irgendwann wurde ich Ahnungsloser wach, weil mich das allmorgendliche menschliche Bedürfnis quälte.
Ich stand also auf und lief schlaftrunken zur Tür, nicht einmal ansatzweise damit rechnend, das diese mir nicht nachgeben würde.
Ich glaube, jeder kennt das Gefühl von kaltem Schweißausbruch vor Entsetzen und Ausschüttung von Unmengen von Adrenalin, wenn man sich das nun folgende Szenario vorstellt.
Gefangen im eigenen Schlafzimmer.
Nur wenige haben ein Klo im Schlafzimmer.
Der Werkzeugkasten befand sich im Flur zwar in komfortabler Rufweite, ließ sich aber auf keinerlei Konversation ein.
Die den Körper entlastenden Funktionen kämpften hartnäckig und mit aller Macht um ihre Daseinsberechtigung.
Schweißüberströmt, ich wollte schließlich eine menschlich einigermaßen würdige Lösung für das Problem finden, sah ich durch das Schlüsselloch.
Der Schlüssel steckte.
Neben mir der Kleiderschrank.
Was nun folgen sollte, war die hohe Kunst internationaler Agententätigkeit.
Im Fernsehen funktionieren solche Sachen immer!
Ich nahm mir einen Kleiderbügel aus dem Schrank.
Auf meinem Nachttisch hatte ich eine alte Tageszeitung zu liegen.
Mein Plan war recht simpel, da wir im Flur keinen Teppich hatten:
Die Zeitung unter dem Türspalt durchschieben, Schlüssel im Schloss in aufrechte Position bringen, Schlüssel durchstoßen… dieser fällt auf die Zeitung, Zeitung unterm Türspalt mit Schlüssel zurückziehen, von innen aufschließen… , als freier Mann freie Luft atmen, aufs Klo rennen.
Ich war mir so sicher, heute war DER Tag für Heldentaten.
Und ich würde jedem davon stolz berichten.
Ich war so clever.
Den Draht des Kleiderbügels gerade zu biegen war ein Kinderspiel.
Ich steckte ihn vorsichtig in das Türschloss und bewegte ihn so lange hin und her, bis der Bart des Schlüssels die gewünschte Position erreicht hatte und ich ihn durchstoßen konnte.
Ich war so gut.
Es lief alles nach Plan.
Die Freiheit war greifbar nahe.
Vorsichtig stieß ich, Millimeter für Millimeter den Schlüssel durch das Schloss.
Alles lief wunderbar, bis der Schlüssel hinunterfiel.
Ich werde das Geräusch nie vergessen: Bing-Bibing-Bing-Bing.

Das letzte „Bing“ war erschreckend leise, was vermutlich mit größerer Distanz zur Tür zu tun hatte.
Sämtliche Hoffnung war dahin und auch alle betroffenen Körperfunktionen klagten immer energischer ihr Recht ein, ihrem naturgegebenen Urinstinkt folgen zu dürfen.
Ich lief zum Fenster, um frische Luft zu atmen und meine Gedanken zu ordnen.
Ich wohnte derzeit in der 6. Etage und, auch bedingt durch eine ausgezeichnete Kinderstube, die ich genießen durfte, kam ich natürlich nicht ansatzweise auf den Gedanken, mir in dieser Richtung Erleichterung zu verschaffen.

Aber ein neuer Hoffnungsschimmer näherte sich auf zwei Beinen.
Es war ein guter Bekannter von mir, dem ich aus dem Fenster zurief, er möchte doch bitte in der Schule anrufen, Frau D. hätte mich eingesperrt und ich komme nicht aus dem Schlafzimmer.
Offensichtlich folgte nun ein Übermittlungsfehler.
Wenig später klingelte das Telefon und auf dem Anrufbeantworter im Wohnzimmer hörte ich:
„Schau doch noch mal richtig nach, ich habe deinen Schlüssel nicht.“
Klack! Aufgelegt!
Ich konnte alles deutlich hören.
Allerdings hinter verschlossener Tür im Schlafzimmer.
Zu allem Überfluss fing nun auch Lady an, unruhig zu werden, da sie raus musste.
Das war nun der Moment, wo ernsthaft Handlungsbedarf bestand. Ich kann sicher einiges aushalten, aber wenn es meinem Hund schlecht ging, musste ich etwas tun.
In mir keimte eine junge Pflanze, auf deren Blättern in ausgerolltem Zustand, das weiß man, das Wort „Gewalt“ stehen sollte.
Gewalt gegen Möbelstücke, Einrichtungsgegenstände und auch Türen ist völlig legitim, wenn kein lebendes Wesen weder physisch noch psychisch zu Schaden kommt und einem kein weiterer Ausweg offen steht.
Da ich wusste, dass die Zimmertüren in unserer Neubauwohnung nur aus gepresster Pappe bestanden, stellte ich mich mit dem Rücken gegen die Tür und probierte den „Hackentrick“. Ich trat erst ein kleines Loch in die Tür, das war recht einfach und über finanzielle Folgen, seitens des Vermieters, machte ich mir in diesem Moment die geringsten Sorgen. Mit den Händen brach ich anschließend Stück für Stück das Loch in der Tür immer größer. Als es so groß war, dass ich einen Arm hindurch stecken konnte, nahm ich den schon benutzten hölzernen Kleiderbügel als Armverlängerung zu Hilfe.
Und ich sah den Schlüssel auf der anderen Seite des Flurs.
Wie Goldstaub, mit einem engelsgleichen Heiligenschein umgeben schimmerte mich der Schlüssel flirtend an:
Nimm mich!
Vorsichtig tastend machte ich mich mit äußerster Konzentration daran, mit Hilfe des Bügels den Schlüssel Stück für Stück zu mir heran zu ziehen.
Plötzlich eine dunkelbraune, stark behaarte Pfote auf dem Holzbügel.
Lady!
Sie wollte jetzt nicht wirklich damit spielen, oder?
Sie wollte!
Nach einem kurzen, aber intensiven Gerangel zwischen einem großen Hund und einem aus der Tür schauenden Arm behielt ich, als der Besitzer des Armes, die Oberhand und war alsbald im Besitz des Schlüssels.
Ich öffnete die Tür und ein unbeschreibliches Glücksgefühl der Freiheit durchflutete jede Faser meines Körpers.
Ein anschließendes Lady-Knuddeln, einhergehend mit dem gewollten Verlust meines Beinkleides und einer fließenden Bewegung ins rettende Badezimmer war eine einzige Sporteinheit in bewundernswürdig kurzer Zeit, bei der jeder asiatische Kampfsportlehrer stolz auf seinen Schützling gewesen wäre.
Dankbar genoss ich sitzend den Augenblick der Erleichterung. Durch meine ganz eigene Art von Humor ließ ich es mir auch nicht nehmen, ihr allerlei Unfug beizubringen. Sie lag gerne auf dem Rücken und ließ sich den Bauch kraulen. Das genoss sie in vollen Zügen. Sie streckte alle viere von sich, damit ich möglichst großflächig kraulen kann. Und dies nahm ich zum Anlass, ihr einen ganz besonderen Trick zu anzutrainieren. Während ich sie kraulte, sagte ich immer wieder zu ihr: „Wie machen die Frauen am Hafen?“ Das festigte ich so sehr, dass ich, egal wo, nur zu ihr sagen musste: „Wie machen die Frauen am Hafen?“ und Lady schmiss sich auf den Rücken und machte die Beine breit.
Lady badete übrigens auch sehr gerne, keine Pfütze war ihr zu klein, kein See zu groß. Im Sommer war ich an den Wochenenden ständig mit ihr unterwegs, um neue Seen zu finden.
Da es nicht an jedem See gerne gesehen wird, dass Hunde dort baden, war ich immer auf der Suche nach neuen Bademöglichkeiten. Auf einem dieser Ausflüge suchte ich den Maxsee. Dieser war ca. 20km von Berlin entfernt. Der See war recht gut versteckt und viele Badegäste waren auch nicht dort.
Hier sollte Ladys Karriere als Diebin von Badesachen beginnen.
Bei Badegästen, die sich im Wasser vergnügten, konnte man sich gut das eine oder andere Souvenir sichern.
Mal kam sie mit einem fremden Badelatschen an, mal war es ein Ball.
Große bunte Badehandtücher waren aber auch sehr beliebt.
Selbstverständlich gab ich die Sachen den Besitzern zurück. Das war aber mitunter aber nicht ganz einfach, da ich gerne in der Sonne lag und döste und somit nicht sehen konnte, was die liebe Hündin nun wieder anstellte.
Meist nutzte Lady diese Zeit der Langeweile für ihre Raubzüge.
Wenn sie mir dann stolz ihre Beute zeigte, musste ich dann den ganzen Strand im Auge behalten, um zu sehen, welcher der Badegäste sich nach dem Bade suchend nach seinem Eigentum umschaute. Diesem gab ich dann mit entschuldigenden Worten seine Habseligkeiten zurück. Lady gab ihr Wissen über Eigentumsumwandlung auch gerne an ihre tierischen Freunde weiter.

Ich war mit Freunden auf Urlaub in Ungarn. Die beiden hatten eine Dobermannhündin namens Gina.
Gina war für jeden Schabernack zu haben und setzte Erlerntes umgehend in die Tat um.
Auf diesem Campingplatz in Ungarn kam einige Tage nach uns ein Mann in einem Wohnmobil an.
Dieser Herr war ein ausgesprochener Pedant, das merkte man sofort und solche Leute neckt man ganz gerne mal ein bisschen.
Und das nicht nur als Mensch.
Gina hatte die Lage gleich im Griff und wusste sofort über dessen Schwächen Bescheid.
Um den guten Teppich seines Campers sauber zu halten hatte er ein sehr schönes Paar Filzpantoffeln dabei.
Diese wurden zum Auslüften über Nacht vor seinem Wohnmobil platziert.
Dies sah auch Gina, wir aber nicht.
Unser neuer Freund kam uns dann am nächsten Morgen besuchen.
„Entschuldigung, aber kann das sein, dass nachts einer ihrer Hunde vielleicht einen meiner Pantoffeln gestohlen hat?“
Er sagte wirklich gestohlen!
Achtung, diebische Hunde, schließt die Tore, verdoppelt die Wachen!
Es erklärt sich von selbst, dass die Seriosität unseres Campingfreundes darunter sehr gelitten hat.

Gina war, was ihre Diebeszüge anging, etwas weniger vornehm als Lady.
Lady war ein Feingeist in Sachen Eigentumsdelikte.
Bei ihr ging es immer recht niveauvoll zur Sache, da hieß es anschleichen, unbeteiligt tun, wedeln, den richtigen Moment abpassen, Beute schnappen und schnell weg.
Gina war da etwas direkter.
Sie fremdelte keineswegs.
Ähnlich wie bei dem berüchtigten Gangsterpärchen Bonnie und Clyde ging das bei ihr in Wildwestmanier so:
Attacke!!!
In vollem Galopp direkt auf das Objekt der Begierde losrennen, zuschnappen und weg mit dem Diebesgut.
Zurück blieben, wen wundert´s, erschrockene Gesichter.
Und wieder einmal war eine Entschuldigung fällig.
Wir konnten diese Klauerei unseren Hunden nie abgewöhnen, vielleicht lag es auch daran, dass wir nie ernsthaft Ärger bekamen und mit dem Abgewöhnen nicht so hinterher waren. Wir ließen einfach dem Übermut der Jugend freien Lauf und hatten natürlich auch viel Spaß an diesen neckischen Spielchen unserer Hunde. Bis zum letzten Tag war es ein ständiges Hin und Her der Besitztümer.

 

***

Hunde altern natürlich schneller als wir Menschen, und jeder, der die Verantwortung für ein Tier übernimmt und es durchs Leben begleitet, weiß, dass irgendwann der Tag kommt, an dem es heißt Abschied zu nehmen.
Heiligabend bekam sie mittags plötzlich furchtbare epileptische Anfälle.
Ich lief zu unserem Tierarzt im Dorf, da ich wusste, dass an dem Eingangsschild auch eine Handynummer für Notfälle stand.
Es ist natürlich keine angenehme Situation, am Heiligen Abend jemanden im Kreise seiner Lieben zu stören, aber ich war völlig hilflos und wusste nicht weiter.
Dr. R. kam sofort zu mir nach Hause, hatte Lady untersucht und ihr erst einmal eine Beruhigungsspritze gegeben.
Am nächsten Tag wiederholten sich die Anfälle und ich rief wieder bei ihm an.
Der Arzt klärte mich sehr ausführlich auf:
"Die Anfälle haben das Gehirn irreparabel geschädigt, sie wird nie wieder werden, wie sie mal war. Sie werden ihren Hund nicht mehr kennen und er sie auch nicht."
Wir haben gegenüber dem, in unsere Obhut gegebenen Tier, eine Verantwortung!
Die Spritze hat schnell gewirkt, ein guter Freund hat mir geholfen, meine geliebte Lady im hartgefrorenen Boden im Garten zu beerdigen.

Inka

 

Inka



Es sollte erst einmal kein neuer Hund sein!
Aber etwas fehlte ... JEDEN TAG!
Ich wälzte nun Bücher über Hunderassen. Es sollte, bedingt durch meine körperlichen "Gebrechen", ein kleinerer Hund sein. Nach langem Hin und Her stand schon mal die Rasse fest, ich entschied mich für einen Tibet-Terrier. Auf den Namen kam ich eher durch Zufall. Ich war mal wieder im Internet in diesem bekannten Auktionshaus unterwegs und schaute nach Hundeleinen. Da fiel mir eine Leine ins Auge mit Inkamustern. Bei mir klingelte es sofort. Inka sollte der Hund heißen. Wiederum dem Internet sei Dank, wurde ich schnell fündig bei einer Züchterin im Süden unseres Landes, die ausschließlich Tibet Terrier züchtete.
Nach telefonischer Terminabsprache fuhr ich also Ende Januar bei Eiseskälte ca. 250 km ins Sachsenländle, ich habe die Adresse gleich gefunden, dort warteten die netten Züchter schon auf mich und ein riesiges Hundebabyknäuel wuselte im Wohnzimmer der Leute herum.
Das war nun eine Herausforderung für mich.
Welches Hündchen dieser ganzen Rasselbande sollte es sein?
Am liebsten ALLE ! ! !
Geht natürlich nicht.
Klar war nur für mich, dass ich ein Mädchen wollte.
Somit wurde erst einmal selektiert, Jungen und Mädchen getrennt. Ja, aber es standen immer noch 4 süße Babys zur Auswahl ... die mit der verrückten Zeichnung oder die Freche schwarze?
In dem Moment machte es auf meinem Arm "Wuff".
Aaaha! So ist das bei Tibet-Terriern ... SIE suchen sich ihr Herrchen aus.

Das erste Jahr mit ihr war sehr turbulent, sie wurde nicht ruhiger.
Kennt ihr Flipperautomaten???
Stellt euch einen solchen Automaten in ca. vierzig Quadratmeter Größe(Größe des Wohnzimmers) vor und statt der Kugel ein kleiner Hund, der in irrwitziger Geschwindigkeit von einer Ecke in die Nächste rennt, die ganze Stube musste vermessen werden, da lief sie zu olympischen Höchstleistungen auf. Durch die Geschwindigkeit hatte sie mitunter Navigationsprobleme und rannte dann auch mal gegen einen Schrank oder Tisch. Da schüttelte sie aber nur kurz den Kopf und das rasante Spiel ging weiter. Sie hielt sich nicht lange damit auf, ihr moralisches Tief zu pflegen. Da war richtig Stimmung in der Stube.
Plötzlich Stille!
Wo ist Inka?
Durch das Herumgerenne ist sie von einer Sekunde auf die andere müde geworden, umgefallen und schlief.
Mittlerweile geht es aber mit ihr, sie ist ruhiger geworden. Zwar immer noch sehr verrückt, aber ebenso liebenswert.
Bis auf dieses Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom …, manchmal, in einer besonders spannenden Fernsehsituation fliegt dann plötzlich ein Ball, oder ein anderes Spielzeug, zu dem ich noch kommen werde, quer durchs Fernsehbild,
HAAALLLOOO ICH BIN AUCH NOCH DA!!!
Apropos Spielzeug, man kann Bälle kaufen oder diese tollen Knochen aus Gummi, die so schön quietschen.
Das ist besonders nachts sehr angenehm wenn man mit solchen Geräuschen nicht im Geringsten rechnet!
All dieses ganze teure Zeugs, aber die größte Freude kann man ihr mit ausrangierten Socken machen, die riechen ganz toll nach Herrchen und man kann auch noch super darauf herum kauen. Die Socken mussten schön verknotet werden, wegen der Aerodynamik, sie haben dann hervorragende Flugeigenschaften. Diese Socken fliegen dann auch gelegentlich durchs Fernsehbild.
Kürzlich war mein Versicherungsmakler bei mir, um mit mir einiges zu besprechen. Wir kennen uns schon viele Jahre, ein wirklich netter Kerl. Irgendwann während des Gespräches muss Inka wohl aufgefallen sein, dass sie nicht im Mittelpunkt steht. In meiner Küche stand ein Korb mit Kartoffeln, welcher plötzlich ihr Interesse weckte. Der Plan war perfekt. Sie mopste sich eine der Kartoffeln aus dem Korb, kam wedelnd zu uns in die Stube gerannt und warf die Kartoffel mehrmals durchs Zimmer.
Herr T. sagte nur „Kann das sein, dass der Hund ein bisschen albern ist?“
Inka hat damit natürlich ihr Ziel erreicht und stand wieder im Mittelpunkt.
Ein sehr beliebtes, vor allem preiswertes Spielzeug sind auch Klopapierrollen.
Was meine Lady gerne mit frischen Rollen gemacht hat, das Papier ins Maul nehmen und losrennen bis die Rolle leer war, macht Inka auf ihre eigene Art gerne mit leeren Rollen.
Sie hat ein untrügliches Gehör dafür, wenn das letzte Blättchen abgerissen wird und klagt sofort ihr Recht ein, die leere Papprolle in die ewigen Jagdgründe aller Papprollen befördern zu dürfen. Dass die Schnipsel dann großflächig im Haus verteilt wurden, sei hier nur am Rande erwähnt.
Sie ist nun mal kein zum Gehorsam erzogener Schäferhund und das ist auch völlig okay so. Und auf einige Sachen kann man mit dem besten Training keinen Einfluss nehmen. Nein auch die beste Hundeschule gibt einem keine Tipps, dem Hund das Schnarchen abzugewöhnen. Sie liegt dann auf dem Rücken, die Beine breit und röhrt wie ein betrunkener Bauarbeiter.


Mit Inka spazieren zu gehen ist immer wieder aufs Neue eine sehr intensive Erfahrung, weil man nie weiß, welche Erlebnisse einem bevorstehen. Hinter jeder Ecke konnten Gefahren lauern. Ohne Zweifel ist das dominante Hündchen (ihrer maßgeblichen Meinung nach) die Chefin des Dorfes.
Im Gegensatz zur dauerhaft friedlich gestimmten Lady hinterlässt Inka immer wieder verbrannte Erde bei eifrig bellenden Gartenbewachern, denn sie hält ungemein selbstbewusst dagegen und erstickt deren offensichtlich kriegerischen Absichten sofort im Keim.
Minderwertigkeitskomplexe sind ihr absolut fremd.
Frei nach dem oft und gerne zitierten Vorbild der amerikanischen Ureinwohner:
„Viel Feind, viel Ehr“.
Gut, etwas kleinlaut muss ich zugeben, was den „Bellfaktor“ betrifft, ist sie auf dem Grundstück nicht viel anders, als ihre potenziellen Feinde und es gibt einfach keine bessere Alarmanlage.
Sie hat ihre genauen Vorstellungen davon, welcher Sicherheitsabstand zum Garten eingehalten werden muss, unabhängig von der Größe und gesellschaftlichen Stellung des passierenden „Feindhundes“.

Jedes Tier hat natürlich seine ganz besonderen Eigenheiten. Wenn zum Beispiel Inka sich hinlegt, in die „Platz“ Position, sieht das mitunter sehr sonderbar aus. Normale Hunde gehen vorne langsam runter, danach folgt langsam das Hinterteil. Bei der Kleinen ist alles anders.
Ein plötzliches Poltern ist zu hören und der Hund liegt auf der Seite.
Sie hält sich da nicht lange mit dem Hundeknigge auf und ihr liegt auch nichts daran, vornehm zu erscheinen, nein sie fällt einfach um.

Der Nachbarshund Lucy ist ein pudelgedackelter Windhundspitz, kurz, alles was die Natur hergab vereinte sich in ihr. Vom Dackel bis zum edlen Deutschen Schäferhund ist wahrscheinlich alles drin. Die Lucy befindet sich in einer permanent ausgeprägten heiteren Grundstimmung und hat eine besondere Eigenart.
Klar, kein Hund ist gerne allein, aber wenn „Lucy allein zu Haus“ ist, gestaltet sie ihre Umgebung gerne etwas um.
Sie hat ihren eigenen Geschmack, was Ordnung betrifft.
Das absolute Lieblingsspielzeug unseres Nachbarhundes ist … der gelbe Sack!
Wenn ich auf der Terrasse saß und merkte, dass die Nachbarn in Aufbruchsstimmung sind, drehte ich automatisch den Stuhl um. Das wird besser als Fernsehen, jetzt geht´s los!
Die Motorengeräusche sind kaum verklungen, lässt Lucy erst einmal ein wolfsgleiches Geheul ertönen, was erst die Vorbereitung auf ihren Theaterdonner sein sollte.
Ist im wegfahrenden Auto der Nachbarn, mit Radio an, natürlich nicht zu hören.
Sofort wird, da der Hund sich sicher ist, nicht gestört zu werden, Phase 2 eingeleitet. Nachbar Peter hat, um Müll im Haus zu vermeiden, ein Gestell gebaut, um den gelben Sack für Wiederverwertbares darin unterzubringen.
Das ist sehr ehrenwert, wenn man artig den Müll trennt.
Die Erfahrungen mit Lady lehrten aber, da vorsichtiger zu sein. Aus diesem Sack kommen die verführerischsten Düfte und alles was für die Entsorgung vorgesehen war, konnte man als Hund, wenn man alleine ist, noch ein letztes Mal ausgiebig beschnüffeln.
Also hieß es, den Sack ausräumen und auf eventuell brauchbaren Inhalt überprüfen.
Lass niemals den gelben Sack in Hundenähe stehen!
Lucys Vision einer heilen Welt war die einer mülltrennungsfreien Zone. Warum sollte man den Müll in solch einem dünnen Plastiksack komprimieren, wenn man ihn auch ganz toll auf dem ganzen Grundstück verteilen kann?
Gesagt, getan, der Plan muss sofort in die Tat umgesetzt werden.
Im Zirkus gibt es diese Schlangenmenschen, die ihren Körper zu außergewöhnlichen Verrenkungen überreden. In diesem Zirkus muss Lucy schon gewesen sein, woher sonst sollte sie wissen, wie man in die entlegensten Ecken eines sehr gut gebauten „Gelber Sack Aufbewahrungshäuschens“ kommen sollte.
Joghurtbecher, Tetrapack, Alufolie und Co. tummelten sich nach kürzester Zeit in einem, das Auge sehr ansprechendem Stillleben, auf Nachbars Hof.
Sie ist eben ein Ästhet.
Ähnlich wie bei mir verknotete Socken fanden Nachbars bei ihrer Heimkehr auf ihrem gesamten Grundstück jede Menge Wiederverwertbares.
Nur eines fanden sie nicht, ihren Hund!
Lucy muss irgendwie gespürt haben, dass ihre Fleißarbeit bei ihren zweibeinigen Mitbewohnern auf wenig Gegenliebe stieß.
Sie fanden Lucy nach einigem Suchen versteckt unter der Filteranlage ihres Teiches. Die Nachbarn nahmen es mit Humor und Peter baute ein neues Aufbewahrungshäuschen für das duale System!
Aber beim nächsten Ausflug der Beiden, das gleiche traurige Bild!
Peter tat mir leid, war doch die Lucy so hartnäckig und geschickt in ihrem Bemühen, ihre Vorstellungen umzusetzen, dass ihr alles gelang, was sie sich vornahm.
Sie ist eben nicht gerne allein.
Auch ihr Freiheitsdrang ist ausgesprochen ausgeprägt. Wenn es darum geht, mehr von der großen, weiten Welt zu sehen, ist ihr kein Loch zu klein, sie kommt überall durch. Und wenn es nicht sofort klappt, ist sie sehr erfinderisch.
So war es auch bei dem neuen Zaun, den Peter und ich neu gesetzt haben. Ein kleiner Hund mit großen Ideen und jeder Menge Ausdauer knüpperte Stück für Stück den neuen Maschendrahtzaun am unteren Ende auf und nachdem das Werk vollbracht war, lief sie stolz auf der anderen Seite des Zaunes auf und ab und zeigte somit den Nachbarn, was für ein pfiffiges Kerlchen sie doch ist.

Es ist noch nicht allzu lange her, da hat Inka für sich diese „post it´s“ entdeckt, das sind kleine bunte Blättchen mit Klebestreifen.
Im Allgemeinen auch Haftnotizen genannt.
Dummerweise habe ich mal wieder nicht aufgepasst und die Tür vom Arbeitszimmer offen gelassen. Ein Arbeitszimmer ist nun mal ein Arbeitszimmer und verpflichtet nicht zur Ordnung.
Auf der Schreibtischkante lag so ein Blöckchen „post it´s“ und für den Hund war es ein Einfaches, da heranzukommen.
Nach ausgiebiger Laboruntersuchung des neuen Spielzeugs sah unser Hund dann leicht verändert aus.
Der ganze Oberkörper, samt Kopf, von ihr war über und über mit diesen kleinen gelben Klebezetteln dekoriert.

















Aus Inkas Sicht, oder auch: Gegendarstellung

 

Aus Inkas Sicht, oder auch: Gegendarstellung

Wir sind eine Bande frisch geborener Tibet Terrier und noch alle namenlos.
Schon wieder sind Besucher da, die uns der Reihe nach auf den Arm nehmen.
Die Zweibeiner unterhielten sich doch dann tatsächlich darüber, mich mitzunehmen.
Was soll das denn?
Ich will doch bei meiner Mami und meinen Geschwistern bleiben.
Das geht nun wirklich nicht. Ich bin doch noch so klein mit meinen 5 Wochen.
Irgendwann musste es sicher sein, dass wir getrennt werden, das war klar, aber jetzt doch noch nicht.
Puh, der Mann ist doch ohne mich abgefahren, das war vielleicht ein Schreck!
Vier Wochen später, ich bin schon ganz schön gewachsen, lernte ich das Autofahren kennen. Leute, das macht vielleicht Spaß!
Das brummelt und schaukelt ganz toll und man kann dabei schön schlafen.
Abends kamen wir dann in der großen Stadt an und dort lernte ich meine Tante kennen.
Eine erwachsene Tibet Terrier Hündin, die selbst ich als Baby, ganz schön albern fand. Die machte vielleicht komische Sachen…
Sollte ich etwa später auch so albern werden? Man weiß ja nie was kommt.
Naja, jedenfalls kam nach kurzer Zeit mein neuer Besitzer und holte mich ab.
Große Freude, der hat auch ein Auto!
Ich war zwar ganz schön aufgeregt, bin aber gleich nachdem wir losgefahren sind eingeschlafen.
Ganz spät und im Dunkeln sind wir in meinem neuen Zuhause angekommen.
Da war schon alles für mich vorbereitet. Eine schöne kuschelige Hundedecke lag neben Herrchens Sessel und im Schlafzimmer, ein suuuper Schlafkörbchen.
Ich glaub, hier gefällt´s mir.
Er gab mir den Namen Inka, damit konnte ich gut leben.


Mittlerweile habe ich mich ganz gut eingelebt und hatte viel Spaß beim Herumtoben im Wohnzimmer. Da war sooo viel Platz, dass ich ordentlich rennen konnte. Das machte riesigen Spaß.
Klein und unerfahren, wie ich war, rannte ich in meinem Eifer schon mal gegen irgendwelche Möbel.
Wer stellt die denn auch mitten in den Weg?
Meistens kam ich bei der Toberei ziemlich schnell aus der Puste und die Müdigkeit ließ mich einfach umfallen. Das war vielleicht lustig, ich schlief ja nicht richtig tief und bekam schon mit, wenn man mich dann suchte.
Fast wie Verstecken spielen.
Was abends manchmal total doof ist, wenn mein Herrchen auf der Couch sitzt und wortlos in diesen komischen Flimmerkasten schaut.
Der spielt dann einfach nicht mit mir! Ich will aber.
Jetzt hieß es taktisch vorzugehen! Seit einiger Zeit bekomme ich ab und zu ganz tolles neues Spielzeug.
Diese komischen Dinger aus Stoff, die Herrchen sich morgens über die Füße zieht, die dann abends ganz toll nach ihm duften.
Aus irgendwelchen Gründen will er sie manchmal nicht mehr haben. Nachdem er einen dicken Knoten rein gemacht hat, kriegte ich die zum Spielen geschenkt.
Und nun kam mein großer Auftritt.
Mein Kampf gegen diesen blöden Flimmerkasten begann, ich lasse mich doch nicht von einem Möbelstück zur Nummer zwei machen.
Langsam robbte ich, mit einem dieser Socken(den Namen kannte ich jetzt) bewaffnet, vor diesen Flimmerkasten und warf ihn mit geschicktem Schwung immer wieder hoch.
Herrchen fing an zu lachen und ich war wieder die Nummer eins.
Wieder was gelernt.
Socken sind ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Vernachlässigung.
So fing ich an, die Socken zu sammeln und diese taktisch klug auf dem ganzen Grundstück zu platzieren.
Es war vielleicht eine etwas verwegene These, aber ich glaubte daran:
Socken waren eine Art Allheilmittel.
Irgendwann lernte ich ein neues, ganz tolles Spielzeug, kennen. Das waren kleine Papprollen, die ursprünglich mit dickem, weichem Papier umwickelt waren. Wenn mein Herrchen, nach langer Arbeit, die Rollen für mich ausgepackt hat, indem er das weiche Papier immer stückchenweise in eine weiße Schüssel warf, durfte ich damit spielen. Ich spielte so doll damit, dass die Schnipsel im ganzen Wohnzimmer zu finden waren. Nur schade, dass das immer weggeräumt wurde, sieht doch toll aus.
Nach so schönen Spieltagen ging es dann abends immer glücklich ins Bett.
„Ins Bett?“, werden hier einige fragen?
Jawoll!
In den ersten Tagen bei meinem neuen Herrchen sollte ich doch tatsächlich ohne Körperkontakt, ganz alleine in dem Schlafkörbchen schlafen und das war für mich natürlich keine ernsthafte Option.
Das war doch wohl nicht sein Ernst!
Ich hatte gehofft, nein erwartet, er kommt wenigstens mit ins Körbchen!
Das war für mich selbstverständlich nicht hinzunehmen.
Das Schlafkörbchen war sicher toll und gut gemeint …, aber alleine?
Niemals!
Schon in der ersten Nacht dachte ich mir daher eine List aus.
Ich fing an, tiefe Seufzer von mir zu geben.
Keine nennenswerte Reaktion.
O.K., er wollte es auf die harte Tour!
Ich fing an, zu fiepen, erst leise, dann etwas fordernder und schließlich …, volle Pulle, so laut ich konnte!!!
Das wirkte!
Herrchen nahm mich hoch und meinte: „Da kann man ja nicht schlafen, ich muss morgen arbeiten.“
Man kann sich sicher streiten, aber ich hatte das untrügliche Gefühl, einen wichtigen Sieg davongetragen zu haben.
Fortan schlief ich im Bett und nur, wenn ICH es wollte, im Schlafkörbchen.


Die Welt war voller Abenteuer und ich lernte immer mehr dazu.
Auch wenn ich mit meinem Dackelkumpel „Theo“ spazieren ging.
Theo konnte tolle Sachen machen und von ihm lernte ich eine ganz neue Puschmethode.
Ich dachte immer, alle Hunde gehen mit dem Ärschlein runter und puschen dann.
Ha!!! Weit gefehlt!
Bei den Jungs geht das ja viel einfacher. Einfach im Stand das Bein heben und Feuer frei!
Mach ich ab jetzt nur noch so.
Nur Herrchen schaut dann immer zur Seite. Warum nur?
Manchmal glaub ich sowieso, dass ich anders bin, als andere Hunde.
Zum Beispiel die Sache mit dem Kommando „Platz“.
Diese ganzen vornehmen hündischen Aristokraten machen ein Gewese darum, sich hinzulegen…, echte Spießer!
Da wird sich geziert, ein großes Trara, alles in Zeitlupe, bis die Kollegen liegen!
Ist doch viel einfacher und macht vor allem mehr Spaß, sich einfach fallen zu lassen.
Das nenne ich mal ein „Platz“ mit Stil!
Seit einiger Zeit habe ich ´ne neue Kumpeline, die heißt Lucy. Die ist bei unseren Nachbarn eingezogen.

Zuerst waren wir uns noch nicht ganz sicher, ob wir uns mögen, haben dann aber gegenseitig beschlossen, dass wir beide uns ganz cool finden.
Die ist vielleicht frech!
Wenn ihre Zweibeiner weg sind, macht die sooo tolle Sachen auf dem Hof!
Würd ich mich nie trauen, sowas.
Mein Herrchen nennt sie immer „Lucy, der Schrecken der Straße“, da gab´s wohl mal eine Serie im Fernsehen, die so hieß.
Die Lucy ist so ein bisschen die „Piratenbraut“ aller Hunde, eine echte Draufgängerin. Die hat zum Beispiel den ganzen Müllsack ausgeräumt und alles auf dem Grundstück verteilt.
Das sah toll aus und irgendwie bewunderte ich sie.

Was den Nerv-Faktor betrifft, ist mein Herrchen manchmal ganz schön spießig und nervt einfach.
Ich verstecke gerne Sachen, wie Knochen, Socken, oder alles was toll quietscht.
Er mir immer hinterher. … und das meine ich mit „Nerven“, …nirgendwo hat man seine Privatsphäre.
Büffelhautknochen zum Beispiel muss man verbuddeln!
Das ist nun mal Gesetz. Sonst entfaltet sich nicht ihr ganzes Aroma.
Aber was soll ich sagen? Null Verständnis.
Die sind jetzt so schön weich. Und erst dieser Duft…
Aber nö, ins Haus darf ich damit dann nicht.
Unfair!
An einigen Tagen macht der Alte echt komische Sachen.
Er nennt es Aufräumen. Ich finde das doof. Alle Nussschalen, Tempotaschentücher, Klopapierrollen und Socken, kurzum all mein Eigentum (!!!) wird weggeräumt und ich muss tatenlos zusehen. Anschließend geht Herrchen noch mit einem schrecklich fauchenden Ungeheuer durchs Haus und dieses Monster fährt über den Teppich und schaut mit seinem langen Hals in jede Ritze. Ein bisschen Schiss habe ich vor dem Ding schon, aber bevor ich als Feigling da stehe, renne ich dem Eindringling immer wieder mutig und frech vor der Nase herum.
Manchmal bekommt mein Menschlein auch Besuch.
Einer dieser Besucher kommt nur so drei bis vier Mal im Jahr, meistens mit einem dicken Motorrad und hat kein Fell auf dem Kopf.
Das ist ein netter Kerl, der anfangs auch schön mit mir spielt, aber schon bald lässt seine Konzentration nach und er unterhält sich nur noch mit meinem Herrchen.
Was issn das jetzt?
Erst große Freude heucheln und dann nicht mehr beachten?
Na denen werd ich´s zeigen.
Ich bin schließlich der Chef hier.
In einem Korb in der Küche lagen doch Kartoffeln, oder?
Gleich mal nachsehen.
Aaah ja.
Ich schnappte mir die dickste und flitzte damit in die Stube.
Mit einem geübten Nackenschwung warf ich die Kartoffel in´s Wohnzimmer, die knallte wie eine Bowlingkugel aufs Laminat, das war wirklich laut und die Aufmerksamkeit von allen beiden war mir wieder sicher.
Was muss man sich manchmal einfallen lassen, um ernst genommen und respektiert zu werden? Ich werde hoffentlich noch viel Spaß mit meinem Schätzchen haben und glaubt mir, bisher habe ich fast immer erreicht, was ich wollte. Ich bieg mir den schon zurecht. Ich habe noch ordentlich ein paar Spässken auf Lager und mein Pulver habe ich noch lange nicht verschossen.

Tschüssi, eure Inka.

Impressum

Texte: Jens Dräger,
Bildmaterialien: Jens Dräger
Lektorat: Alle Rechte liegen beim Autor. © 2016 by Jens Dräger Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
In Erinnerung an meine tierischen Freunde

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