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Prolog


Enttäuschung, Schmerz, Angst, Ungewissheit – alles Alltag. Jeder Mensch erlebt seine Tiefen und Höhen im Leben, jeder seine glücklichen und traurigen Momente. Doch bei allem was wir tun oder nicht tun, ist es wichtig, dass wir wissen, dass wir leben. Und dass es gut ist, dass wir leben. Jeden Tag, jede Stunde, jede verdammte Sekunde ist es wichtig an sich zu glauben. An sich und an die Anderen.

1. Kapitel


„Schatz, kommst du endlich? Wir wollen los!“, rief meine Mutter durch das Treppenhaus. In einer Stunde fing mein großes Konzert an. Dort spielte ich auf dem Klavier, während Andere auch mitspielten. Insgesamt gab es drei Orchester. Das Kinderorchester, das Übergangs- und das Jugendorchester. Alle waren sehr geschätzt und angesehen, wobei das Jugendorchester den meisten Ruhm verdient hatte. Der Leiter war toll. Und was auch toll war: Ich sah meinen Freund (mit dem ich seit einem halben Jahr zusammen war) wieder. Er spielte schon im Jugendorchester wobei ich kurz davor war ins Übergangsorchester zu wechseln. „Schatz, nun komm endlich! Wir wollen doch bei Miras Konzert nicht zu spät kommen!“, schrie meine Mutter nun zum zweiten Mal. Warum musste mein Vater auch immer so lange brauchen? Seit einer Stunde war er schon im Bad. Als er es geschafft hatte, endlich herauszukommen, war es eine dreiviertel Stunde vor Konzertanfang und ich sollte seit fünf Minuten schon da sein. Hektisch suchte mein Vater seinen Mantel, dann stieg er zu Mama und mir ins Auto und wir fuhren endlich zum Rosensaal.
„Bist du auch so aufgeregt wie ich?“, fragte meine beste Freundin Danny mich. Ich nickte nur abwesend. Danny merkte es nicht. „Es ist mein erster großer Auftritt!“, erzählte sie weiter, „Die letzten Male lag ich immer mit Grippe im Bett zu Hause. Das war ja so mies!“ Wieder nickte ich und murmelte eine kurze Entschuldigung, bevor ich auf Toilette verschwand. Manchmal konnte Danny echt nerven. Während sie aufgeregt durch die Gegend sprang, war ich die Ruhe selbst. Die meisten aus meiner Gruppe konnten mich nicht verstehen, aber es war so wesentlich angenehmer, als wenn alle die Ruhe selbst waren und nicht mehr gesprochen wurde. Das machte mich nämlich ganz verrückt. Während ich mir meine Hände wusch, ertönte die erste Glocke. Mist, ich musste schnell zurück. Alle standen schon, bereit um auf die Bühne zu gehen. Nur ich drängelte mich noch vor zur dritten Reihe. Tim grinste mich an: „Na, zu lange gebraucht, Mira.“ Ich ignorierte ihn einfach und konzentrierte mich auf die Rede, die Herr Gabriel draußen hielt. Er redete von schwieriger Arbeit in den letzten Wochen, der noch schwierigeren Songauswahl und der tollen Kulisse. Nichts von alledem stimmte. Die Arbeit in den letzten Wochen hatte sich kaum von den anderen Wochen unterschieden, nur die Hektik und der Stress waren größer geworden. Die Lieder, die wir singen sollten, standen schon seit einem Jahr fest und wir hatten auch keine eigenen Ideen eingeschoben und die Kulisse war schrecklich! In der letzten Reihe konnte man ohne Mikro nichts hören und da die Mikros gerade den Geist aufgegeben hatten, war die letzte Reihe dem Tode geweiht.
Endlich schickte Frau Dieb uns rein. Elegant gingen die Mädchen neben den Jungen, schnell setzten wir uns auf unsere Plätze. Wie geübt nahmen wir unsere Instrumente, stimmten sie noch einmal kurz und warteten dann auf das Zeichen des Dirigenten, der gerade hereinkam. Was Leute so toll daran fanden, dass der Dirigent reinkommt, das werde ich wohl nie verstehen. Trotzdem klatschte ich mit. Besonders schön war er nicht und jeder hätte ihn ersetzen können. Aber es war nicht meine Aufgabe zu entscheiden was wichtig war, ich hatte die Aufgabe zu spielen. Langsam fing ich an die ersten Töne aus einem Konzert von Vivaldi zu spielen, dann setzten die Geigen ein. Es klang wie in der Probe. Und irgendwie hatte ich die Schnauze voll. Warum sollte man immer eine Maschine sein? Immer perfekt spielen, immer lieb sein. Ich wollte urplötzlich ausbrechen, raus aus dem Rosensaal, mit meinem Freund (Jan) abhauen, die Welt erkunden, Freunde besuchen und keinen Vorgesetzten mehr haben. Aber was machte ich? Einfach weiterspielen als wäre nichts und den Geigern nett zunicken. Die ganze Zeit war es so, nett und freundlich sein und als wir wieder rausmarschierten, hatte ich eine ungeheure Wut auf diese ganze verlogene Freundlichkeit. Danny stand auf einmal neben mir und schwärmte vom Konzert: „Mira, ich habe keinen einzigen Fehler gemacht! Oliver neben mir hat sich dreimal verspielt. Dreimal! Das kann er nicht wieder gutmachen. Und Paula vor mir hat wunderschön gespielt. Bestimmt wird sie irgendwann die erste Geige. Das ist so schade. Aber trotzdem, ich fand es wundervoll. Und du?“ „Mmh, war ganz okay“, meinte ich und konzentrierte mich darauf, wie das Übergangsorchester seinen Auftritt machte. Manche von den Leuten kannte ich vom Sehen und mit anderen chattete ich oft und sprach auch oft in der Schule mit ihnen. „Ganz okay“, flippte Danny aus, „das war genial! So gut war das in den Proben nie!“ „Kann sein“, stimmte ich zu und betrachtete weiter das Orchester. „Sag mal, Mira, hörst du mir überhaupt zu?“, fragte Danny und die Enttäuschung stand auf ihrem Gesicht. „Klar!“ Eine Weile betrachtete sie mich noch kritisch, dann fing sie wieder an zu erzählen. Das Übergangsorchester fing derweil an das erste Stück zu spielen. Zwischendurch stampften sie mit einem Fuß auf, rappten kurz oder klatschten. Es war toll! „Schau mal, Danny, was die machen!“, flüsterte ich und zeigte meiner Freundin die ganzen Einlagen des Orchesters. „Ja, ist doch nichts außergewöhnliches“, sagte Danny in normaler Lautstärke und handelte sich einen bösen Blick von Frau Dieb ein. Trotzig schob sie die Unterlippe vor und biss die Zähne zusammen. In dieser Stellung lauschte sie dem Orchester und klatschte danach langsam Beifall. Danny hatte wirklich keinen Geschmack für schöne Musik! Das Orchester ging ab und das Jugendorchester kam. Sie hatten einen kleinen Chor aus 12 Leuten, die sich als Sopran, Sopran 2, Alt, Tenor, Bariton und Bass herausstellten. Toll! Sie hatten viel schönere Lieder als wir, Filmmusiken aus bekannten Filmen wie „StarWars“ und „Amelie“ oder „Titanic“. Es war wundervoll und ich konnte mich nicht satthören. Das allerbeste war, dass ich Jan sehen konnte. Für mich war er der netteste, coolste, süßeste und perfekteste Junge der Welt. Seine Noten wollte ich nicht kennen und egal wie gut oder schlecht er war, ich würde ihn weiter lieben. „Mira, träumst du?“, fragte Danny mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Fast wütend schaute ich sie an: „Nein, ich höre nur zu!“ „Dann wird es dich interessieren, dass jetzt gerade aufgehört wurde und alle Klatschen“, antwortete Danny und sah mich belustigt an. Verärgert kniff ich die Augen zusammen und fing an zu klatschen. Das Orchester verbeugte sich und die Sänger und Spieler kamen zurück. Jan ging wortlos an mir vorbei. Zwar wusste niemand von uns, aber so musste er mich doch nicht ignorieren. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag. Kopfschüttelnd holte ich meine schwarze Tasche und warf sie mir über die Schulter. Meine Mutter würde wohl schon draußen warten. Aber ich musste jetzt noch kurz Jan sprechen. Ich fand ihn wieder beim Ausgang. „Ihr habt gut gespielt“, gratulierte ich und schenkte ihm ein Lächeln. Er schaute die Decke an und fing an langsamer zu laufen. Verdutzt lief ich weiter nach draußen und stieg ins Auto zu meiner Mutter.

2. Kapitel


„Das hat er bestimmt nicht so gemeint!“, versicherte mir Danny. Nach längerem Zögern hatte ich sie angerufen und ihr mein Herz ausgeschüttet. Sie wusste seit Anfang der Beziehung zu Jan, dass wir zusammen waren. „Aber er hat mich nicht angeschaut und nicht mit mir geredet! Das ist doch nicht normal!“, meinte ich. „Na hast du dich mal umgeschaut“, fragte Danny, „ob vielleicht Leute aus seiner Klasse da waren. Du hast selbst gesagt, dass es für ihn bestimmt peinlich ist so eine junge Freundin zu haben. Nicht, dass er nicht stolz darauf sein kann“, verteidigte Danny mich. „Du hast Recht. Ich habe vergessen, mich umzusehen. Wahrscheinlich war sein bester Kumpel Luke in der Nähe“, gab ich mich geschlagen. „Ich dachte er weiß von dir!“, sagte Danny und klang ziemlich empört. Eine Weile überlegte ich: „Ja, ich dachte es auch. Na ja, wer weiß. Wir wollen es sowieso bald offiziell machen. Zumindest meinte er das, als wir von der Instrumentenschule zurückkamen. Du weißt ja, dass da manchmal kostenlos Vorstellungen gemacht werden.“ „Ja, weiß ich“, bestätigte Danny. „Na dann, schlafe gut. Es ist schon halb zehn“, verabschiedete sie sich und legte auf. Ich seufzte und stellte den Hörer zurück auf die Aufladestation. Danny hatte Recht. Wie immer. Trotzdem war ich enttäuscht und es überraschte mich. Schon oft hatte ich Jan nach einem Konzert gesagt, wie toll es war. Mmh...
„Schatz, ich habe gerade keine Zeit, tut mir Leid. Geh doch zu deiner Tante“, meinte meine Mutter und zog hektisch die Tischdecke grade. Heute war Abschlussessen vom Flötenquintett meiner Mutter. Vier ihrer Freundinnen kamen mit ihrem Mann und blieben zum Essen. Eigentlich hatte ich keine Lust, aber Danny war bei einer anderen Freundin eingeladen und Jan hatte ich nicht erreicht. Klingelingeling! Oh nein, die erste Freundin traf ein! Eine Dame Mitte 40, die ganz in Grün gekommen war. Auf ihrem Kopf saß ein dunkelgrüner Riesenhut und ihre kleine grüne Handtasche war einfach nur lächerlich. Höchstwahrscheinlich war das Brigitte. Als ich klein war, kam sie öfter vorbei um mich zu bestaunen und mit Mama zu quatschen. Hinter Brigitte und ihrem dicken Gatten kam eine jüngere Frau, vielleicht so um die 28. Sie sah sehr hübsch aus und ihr Freund war auch nicht gerade hässlich. „Mira, das sind Jana und Paul“, stellte meine Mutter mir das Paar vor. Höflich nickte ich und gab die Hand. „Jetzt lass die guten Manieren, Mira. Du kannst ruhig ein bisschen robuster sein“, sagte Jana lächelnd und drückte mich fest an sich. Dann gab sie Mama einen Kuss rechts und links und zog dann ihre Jacke aus. Drunter hatte sie ein Kleid versteckt, ein Gothic-Kleid. Es war schwarz und hatte silberne Steine und Rüschen drauf. Jana nahm ihren Freund an der Hand und zog ihn mit ins Wohnzimmer. Also Jana war nett. Brigitte und Mama fingen an über David Beckham zu reden und mein Vater unterhielt sich mit Brigittes Mann über Köln und den Dom. Langweilig. Da klingelte es zum dritten Mal. Schnell war ich an der Tür und machte zwei Paaren auf. Die Eine war Ende 30, die andere Anfang 40. Die Erstgenannte trug einen roten langen Rock und einen langen Mantel mit einem Pelzkragen. Sehr teuer! Die Andere hatte ein blaues Blumenkleid an obwohl sie ziemlich dick war und lange Stiefel, die schon bessere Tage gesehen hatten. Mama fiel ihnen gleich um den Hals und bat sie herein. Die Jüngere stellte sich als Anna vor und die Blümchenkleiddame hieß Franziska, wurde aber von allen „Franzi“ genannt.Für einen Abend war das auszuhalten, fand ich. Doch das meine ordentliche Mutter solche verrückten Freundinnen hatte, dass war selbst mir zu viel.
Im Wohnzimmer begrüßten sich alle auf herzlichste und Franzi meinte, dass man bei meinen langen braunen Haaren viele Frisuren machen könnte. Wie sich herausstellte, war sie Friseuse. Jana meinte, dass ich doch einen Haargummi holen könnte und einen Kamm. Begeistert stellten Brigitte und Anna einige Stühle hin und Jana kam mit einen Haargummi auszusuchen. Die Männer verkrümelten sich in Papas Arbeitszimmer um das neue „Flug Simulator“-Spiel in Augenschein zu nehmen. Von ihnen sah ich an diesem Abend nichts mehr. „Kopf schön gerade halten“, wies mich Franzi an und fing an meine Haare zu kämmen. Dann nahm sie den Haargummi und fummelte in meinen Haaren rum. Sie flocht und drehte meine Haare ein. Nach fünf Minuten hatte ich ein Kunstwerk auf dem Kopf, was ich nicht beschreiben kann. Ich hatte eine Art Französischen Zopf, einen Dutt um den sich geflochtene Zöpfe rankten und eine geflochtene Strähne an der rechten Seite. Franzi betrachtete es kritisch, doch Jana, Brigitte und meine Mutter klatschten. Anna verschwand in die Küche um das Essen zu holen. Während ich meine Frisur befühlte, holten sich alle einen Kartoffelauflauf und als ich in die Küche kam, war er schon alle. Anscheinend hatten auch die Männer sich schon geholt. Ich nahm mir ein Stück Baguette mit Kräuterfüllung und ein bisschen Kartoffelsalat und ging zurück zum Tisch. Dort wurde Wein eingeschenkt und Bier für Jana ausgegeben. Alle unterhielten sich über Flöten, Fußball oder ihre Männer. Brigitte fragte mich noch aus über die Schule, aber ich gab nur Kurzantworten und so ließ sie es sein. Eine Weile genoss ich das Dasein, dann wurde die Feier mir überdrüssig und ich flüchtete in mein Zimmer. Dort herrschte Ordnung wie nicht oft und ich machte es mir auf meinem Bett gemütlich. Mein Handy lag auf dem Regal und ich schnappte es mir. Eine Nachricht von Jan:
Liebe Mira, ich mache Schluss. Ich liebe dich NICHT mehr!!! Verstehe das. Es gibt noch viele andere Jungs... Du schaffst das. Jan


Mir blieb die Luft weg. Auf so einem Scheißweg musste Jan Schluss machen?! Das war doch zu viel! Seine Blicke zur Decke sollte ein Hinweis sein und ich hatte es als „schlechten Tag“ gedeutet. War ich noch zu retten? Das, was mich am meisten verletzte, war das große „nicht“. So war Jan nicht. Jan war gefühlsvoll, er verstand mich. Das hier, war nicht Jan. Oder versuchte ich mir unnötig Hoffnungen zu machen? Die Tränen, die ich zurückhalten wollte, flossen aus mir heraus. Es war gemein! Aber das war nicht er! Ich heulte und heulte. Schmerz und Verzweiflung flossen aus mir heraus. Es war schrecklich. Schrecklich gemein! Die Nacht schlief ich nicht gut. Tausend Albträume plagten mich und ich stöhnte im Schlaf wie verrückt. Als ich verzweifelt aufwachte, war es ein Uhr. Auf dem Handy rief ich Danny an. Nichts. Wenn man eine Freundin hatte, ließ sie einen fallen! Ich wusste nicht mehr weiter. Irgendwann schlief ich wieder ein. Genauso unruhig wie das letzte Mal.

Als ich aufwachte, schien die Welt gegen mich zu sein. Von Danny hatte ich eine SMS: Mira, können wir reden? Du musst mir helfen! Oliver spioniert mir nach. Hdl deine Danny


Wütend knallte ich das Handy weg. Sollte Danny doch froh sein, wenn jemand sie mochte. Dann ging ich in meinem Zimmer rum. Das Bild von Jan, als wir zusammen im Museum über Babylon waren, schmiss ich weg, den Anhänger den er mir geschenkt hatte, legte ich in einen Karton mit alten Sachen und die Zeitungen, die wir aus Spaß durchgegangen waren warf ich in die Altpapiertonne. Nichts sollte mehr an Jan erinnern. Das Telefon klingelte. „Mira hier.“ „Hi Mira“, hörte ich Danny, „du hast ja meine SMS gelesen. Das ist wirklich schrecklich! Oliver spioniert mir nach. Und er steckt mir Rosen in den Briefkasten. Rosen! Einen Brief habe ich zum Glück noch nicht bekommen.“ „Sei doch froh“, antwortete ich mürrisch und legte auf. Am gleichen Tag bekam ich eine E-mail von Danny:
Liebe Mira,
ich dachte wir wären Freundinnen. Du weißt, dass du dich fast vor Saskia gedrängt hättest. Ich dachte wirklich, du meinst es ernst. Aber jetzt bist du so blöd zu mir, schreist mich an und hörst mir nicht zu. Das ist keine Freundschaft für mich. Sorry, aber ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Versuch erst gar nicht dich zu entschuldigen, ich weiß, dass es nur ist, weil ich mein Instrument besser beherrsche als du. Aber weißt du, ich habe lange genug in deinem Schatten gestanden. Immer hieß es nur: Danny hier und Danny da! Ich habe darauf keine Lust mehr. Du verstehst mich nicht, das weiß ich, aber das will ich auch gar nicht.
Dir noch ein schönes Jahr. Danny
Jetzt hatte ich auch noch Danny verloren. Ich hockte mich auf mein Bett. Tränen liefen über mein Gesicht. Die Sonne schien in mein Fenster, aber ich ignorierte sie total. Danny hatte ja keine Ahnung. Sie ließ mich hier alleine sitzen und ich hatte niemanden mehr. Weil ich immer mit Danny rumgehangen hatte, hatte ich meinen Kindergartenfreund Kevin sehr vernachlässigt. Ich hatte es mit voller Absicht getan, aber ich hätte ja auch nicht ahnen können, dass meine zwei Bezugsperson mich beide verlassen müssen. War ich wirklich so schlimm? War ich das? Warum mussten so viele auf mir rumhacken. Bei den Klassensprecherwahlen hatte Danny blöde Gerüchte über mich verbreitet, aber sie hatte sich entschuldigt. Ihr hatte ich immer vertraut, wenn alle gegen mich waren. Jetzt hatte ich niemanden mehr. Kevin mochte mich wahrscheinlich auch nicht mehr. Warum jetzt noch sein? Niemand brauchte mich mehr, niemand wollte mit mir zu tun haben. Meine Klasse war auch nicht unbedingt auf meiner Seite, wie ich glaubte zu wissen. Wer brauchte mich noch? Jan... Ich rief mir seinen Namen ins Gedächtnis. Ich suchte nach Erinnerungen an ihn, Momenten mit ihm. Nichts. Kein Gedanke kam in meinen Kopf, ich konnte nur mit Fantasie mir einen Jungen erstellen, aber das Kapitel Jan schien meinen Kopf ziemlich verärgert zu haben. Nach Jan würde mein Kopf nicht mehr suchen wollen. Ich auch nicht.

3. Kapitel


„Gute Nacht, Schatz. Es tut mir leid, dass ich dich letzte Nacht nicht ins Bett bringen konnte“, entschuldigte sich meine Mutter. „Schon okay. Ich bin schließlich 13. Ich schaffe das super alleine“, lächelte ich tapfer und wartete, bis Mama aus dem Zimmer war. Da streifte mein Blick etwas Hellrotes. Es sah fast aus wie der Fahrradhelm, den Jan so oft trug. Doch sonst passierte nichts. Ich war leer. Leer und alleine. Total alleine.

Die anderen Wochen verliefen nicht anders. Nach einem Monat war ich nicht mehr ausgelaugt und auch nicht mehr alleine. Ich war umgesetzt worden und meine neue Banknachbarin hieß Gabi. Sie war sehr geschwätzig und malte oft im Unterricht Blumen auf ihre Hefter. Aber sie konnte gut zuhören und ermutigte mich Jan zu vergessen. Und sie erzählte mir die neuesten Gerüchte, die Danny über mich verbreitete. Danny erzählte von Jan und mir, sie sagte, dass ich ein Streber war, sagte, dass ich nicht singen konnte und keine ehrliche Freundin war. Gabi wurde für mich wie eine Trennwand zwischen mir und Danny. Es dauerte auch gar nicht lange, da lud ich Gabi ein, zu mir zu kommen.

„Oh ja, Mira, klar komme ich vorbei“, freute sich Gabi. Sie saß in der Küche und löffelte Müsli, hatte sie mir selber gesagt. „Super!“ Ich war auch glücklich. Dann beendete ich das Gespräch und bereitete alles für den morgigen Abend vor. Gabi würde übernachten und wir mussten auch noch ein Vortrag über Heinrich Heine zusammenbasteln. Weder Gabi noch ich hatten einen Hauch von Ahnung, wer dieser Mann war.
Der Abend kam und ich war gerade fertig alles an Ort und Stelle zu räumen, da fragte meine Mutter: „Mira, möchtest du auch „Willis Abenteuer“ schauen?“ „Ihr wollt wirklich „Willis Abenteuer“ sehen? Nee, lass mal bleiben“, sagte ich und verschwand in mein Zimmer. Dort überlegte ich was ich machen könnte. Mit Räumen war ich fertig, Gabi wollte ich nicht anrufen, das Internet war mir gesperrt und der Computer weggenommen, die Fotoalben hatte ich mir schon alle angesehen und die meisten Bücher hatte ich gelesen. Da drängte ein Gedanke sich mir auf: Jan. Alles kam auf einen Schlag zurück. Die Abschluss-SMS, was er alles je gesagt und getan hatte. Ich konnte sehen wie er mich küsste. Durch meine Augen. Es war, als wäre es gestern gewesen. Wieder versank ich in Erinnerungen aus denen ich nicht wieder wach werden wollte. Doch ich kam wieder in die Wirklichkeit zurück, als eine meiner Lampen plötzlich den Geist aufgab und es dunkler wurde. „Alle sind gegen mich“, dachte ich. Die Sachen, die auf den Boden lagen, schmiss ich gegen den Schrank. Ich hatte so eine Wut. Auf mich, auf Jan, auf Danny. „Du bist verrückt, Mira, total verrückt!“, sagte ich mir, doch es half nicht. Ich rutschte immer tiefer, fing an lautlos zu weinen, Sachen umher zu schmeißen, Papier vom Schreibtisch zu fegen, meine Bettwäsche auf den Boden zu werfen. Als ich außer Atem in meinem Zimmer stand war alles verwüstet. Ich erschrak über mich selber. Aus dem Spiegel an der Wand starrte mich ein trauriges, entsetztes und rotes Gesicht vor Anstrengung an. „Du stürzt dich jetzt in Arbeit, damit du den Schmerz nicht mehr spürst“, meinte ich zu mir und machte mich daran aufzuräumen. Das Radio schaltete ich an und traurige Musik von A fine frenzy mit „Almost lover“ kam. Ich ließ sie laufen, ohne auf sie zu achten. Die Sachen, die im Weg herumlagen, legte ich ordentlich zusammen und tat sie in den Schrank oder auf einen Stuhl. Schokoladenpapier und Bonbonfolie kamen in den Mülleimer in der Küche. „Warum räumst du denn auf, Schatz?“, wollte meine Mutter überrascht wissen als sie (ohne klopfen) ins Zimmer trat. „Ja, ähm, ich weiß nicht. Irgendwann muss man ja anfangen. Gabi kommt ja morgen“, begründete ich meine Aktivität und lächelte meine Mutter unschuldig an. Die flippte aus: „Gabi kommt? Warum denn? Wer ist denn Gabi?“ „Eine Freundin. Aber wirklich, Mum, ich habe dir doch vorhin in der Küche gesagt, dass sie kommt. Du hast genickt!“, erinnerte ich meine Mutter. „Das war auf Zuruf“, empörte sich meine Mutter. Ich hatte genug, nahm ein Buch vom Boden um es ins Regal zu stellen und schaute meine Mutter an: „Tut mir Leid, dass du Dinge auf Zuruf nicht behalten kannst. Aber daran bin ich garantiert nicht Schuld.“ „So redest du nicht mit deiner Mutter!“, wies mich Mum zurecht. Ich drehte mich um und hob ein altes Taschentuch auf. „Klar.“ „Sicher?“, hakte meine Mutter nach. „Natürlich nicht“, dachte ich. Doch ich sagte: „Ja klar, ist gegessen. Könnte ich eventuell aufräumen?“ „Ja, sofort, natürlich“, beeilte sich meine Mutter und verschwand. Sie vergaß glatt mich das zu fragen, weswegen sie wahrscheinlich reingekommen war. So waren Mütter halt. Auch die Mutter von Ja... „Nicht nachdenken“, befahl ich mir und räumte weiter. So ging es noch eine Weile bis das Abendessen war. „Hast du keinen Hunger, Mira?“, fragte meine Mutter besorgt. Ich aß genauso viel wie immer: eine halbe Scheibe Brot. „Nee, ich bin satt“, antwortete ich und stand auf. „Teller in die Geschirrspülmaschine räumen!“, sagte meine Mutter und murrend befolgte ich es. Meine Eltern unterhielten sich über einen neuen Föhn: „Wir könnten wirklich einen Neuen gebrauchen.“ „Aber der Alte föhnt doch noch“, verteidigte meine Mutter das alte Modell. „Schon, doch „gut föhnen“ kann man das nicht mehr nennen“, sagte mein Vater. Ich verließ die Küche endgültig. Im Zimmer zog ich mich um, wusch mich und putzte die Zähne. Dann setzte ich mich noch einmal an den Computer und loggte mich bei einem Chatroom ein.

Nachricht von „ich“:


Hey
Nachricht von „Inge“:


Hi
Nachricht von „ich“:


Wie geht’s?
Nachricht von „Inge“:


Gut und dir?
Nachricht von „ich“:


Bin immer noch traurig wegen ihm
Nachricht von „Inge“:


Du Arme! Der muss ja ein toller Typ sein, wenn du ihm noch so lange nachtrauerst.“
Nachricht von „Ich“:


Für mich ja. Aber viele verstehen mich nicht. Meine Ex-ABF fand ihn hässlich und blöd.
Nachricht von „Inge“:


Echt? Das ist hart. Kenne ich ihn?
Nachricht von „ich“:


Befürchte ja. Geht in unsere Schule. Genauer deine Klasse und...
Nachricht von „Inge“:


Meine Klasse? Mira, da ist er aber 2-3 Jahre älter als du.
Nachricht von „ich“:


Total egal! Noch ein Tipp, er wird von fast allen Klassenstufen gekannt.
Nachricht von „Inge“:


Jan? Ja, ihn kennen alle. Aber nur wegen Orchester und wegen den Freizeitclubs. Wusstest du, dass die sich öfter mal nachmittags treffen? Ist eigentlich ganz interessant dort. Wenn ich mich nicht irre, sind dort Tischkicker, Stühle, Musikboxen usw.
Nachricht von „ich“:


Welche Altersstufe?
Nachricht von „Inge“:


Ich glaube ab Klasse 5 oder 6 bis 25 (Jahre). Also auf jeden Fall schon für dich.
Nachricht von „ich“:


Warst du schon mal da?
Nachricht von „Inge“:


Ich nehme es mir immer vor, aber ich schaffe es nie.
Nachricht von „ich“:


OK. Kannst du mir noch was empfehlen für Nachmittage?
Nachricht von „Inge“:


Klar! Ein paar Jugendliche, so um die 7 haben sich zusammengeschlossen um die Bibel besser zu verstehen und kennen zu lernen.
Nachricht von „ich“:


Naja, wann ist das denn? Klingt nicht so wahnsinnig toll.
Nachricht von „Inge“:


Ist es aber, wirklich! Ich war schon zweimal bei einer Sitzung. Ist ganz gut. Komme doch auch mal dorthin. Ich lade dich ein. Am besten du kommst am Mittwoch um 16 Uhr zum Club. Du weißt schon, der an der Eisenbahnlinie. Wenn du eine Bibel hast, dann bringe sie mit.
Nachricht von „ich“:


Was macht ihr da?
Nachricht von „Inge“:


Wir singen, spielen Spiele, machen manchmal ein Quiz und lesen Geschichten aus der Bibel.
Nachricht von „ich“:


Bist du gläubig?
Nachricht von „Inge“:


Lange Geschichte. Also, zuerst habe ich nicht an Gott und den ganzen Kram gedacht. Dann hat mich Viola mit zur ersten Sitzung genommen und das zweite Mal kam ich auch. Allerdings ohne sie. Seitdem glaube ich schon an Gott. Wir haben die Erstehungsgeschichte gelesen und die von Adam und Eva, von Abraham und Sara und sind gerade dabei Isaak, deren Sohn zu behandeln. Es ist interessant und die Wunder sind Wahnsinn. Das musst du mitgehört haben, wirklich!
Nachricht von „ich“:


Mal schauen, ob ich komme. Klingt ganz vernünftig. Ich überlege es mir, okay? Vllt sehen wir uns ja noch mal vorher. Obwohl, morgen bin ich mit meiner Freundin unterwegs. Am Montag können wir uns vllt sehen. Gehst du eigentlich in die Kirche?
Nachricht von „Inge“:


Ich traue mich ehrlich gesagt nicht. Aber wenn du mitkommst, dann eventuell schon.
Nachricht von „ich“:


OK. Dann sehen wir uns in einer Woche am Sonntag in der Kirche. Meinst du, wir können da einfach rein gehen und uns setzen?
Nachricht von „Inge“:


Klar, Gott hat auch schon gesagt, dass alle zu ihm kommen können. Na dann, ich muss off. Wir sehen uns, Mira. Mach´s gut.
Nachricht von „ich“:


Ciao.

Inge war nett. Sie kannte ich auch aus dem Orchester und wir kannten uns auch schon im Kindergarten. Apropos Kindergarten, ich musste alles mit Kevin klären. Aber das mit Jan konnte ich nicht erzählen.
Ich lag im Bett und Jan kam schon wieder in meinen Kopf. Langsam wurde ich wütend und nahm mein Handy.
Liebe Danny, ich glaube dass Jan mich nie geliebt hat. Mira


Natürlich schickte ich die Nachricht nicht Danny, sondern Jan. Es war echt gemein, aber es musste sein. Das war es mir wert. Doch als ich es abgeschickt hatte, wollte ich es schon wieder rückgängig machen.

4. Kapitel


Die Tage vergingen schnell. Der Abend mit Gabi wurde schön: Wir schauten eine DVD („Pretty Woman“) und redeten noch ein bisschen über Jan und die DVD. Sonntag war öde und ich machte nur widerstrebend die Hausaufgaben für Englisch und Chemie. Da klingelte, wie fast jeden Tag, das Telefon. „Ja?“ „Hey Mira“, begrüßte mich Gabi fröhlich, „was machst du denn gerade?“ „Ich warte, dass mir die Welt auf den Kopf fällt.“ „Wie interessant!“, sagte Gabi sarkastisch und kicherte. „Nee, was machst du wirklich

“, fragte sie. „Leider Englisch- und Chemiehausaufgaben und du?“ „Ich sitze im Garten und trinke Tonicwater“, antwortete Gabi und lachte wieder. „Kannst du mir in Englisch und Chemie helfen?“, wollte ich wissen. „Nö“, kam die Antwort, „aber kannst du mir was zum neuesten Stand in Themen „Jan“ sagen?“ „Nur, wenn du mir bei den Hausaufgaben hilfst“, willigte ich ein. „Okay“, meinte Gabi und sagte mir sofort Chemie vor und Englisch kam auch hinterher. „Du bist dran!“, bemerkte Gabi und die Schadenfreude war nicht zu überhören. Ich setzte mich auf mein Bett, lehnte mich mit dem Rücken an der Wand an und fing an: „Irgendwie kann ich Jan nicht vergessen. Hoffnungen mache ich mir nicht, aber der Wunsch ist schon da. Erst Freitag habe ich ihn im Vorübergehen gesehen und er hat mich angeschaut. Mit diesem verhaltenem Ich-will-nicht-dass-du-mich-siehst-Blick. Der regt mich auf. Was soll ich davon halten? Jana, sie ist eine Klasse über uns, die meinte, dass wenn einmal der Funke übergesprungen ist, es nicht so schnell wieder rückgängig gemacht werden kann. Vor ein paar Tagen habe ich auch irgend so einen Psychotest gemacht, aber die sind nur dafür ausgelegt, dass du den Menschen kennst den du liebst oder dass er unbekannt ist. So was wie „ich war schon einmal mit dem zusammen“, das gibt es nicht.“ „Ist ja auch kompliziert“, meinte Gabi und in ihrer Stimme war viel Mitleid zu hören. „Ach, schon okay. Du, meine Mutter ruft zum Abendbrot. Wir hören uns, ja?“ „Natürlich. Dann guten Appetit und noch einen schönen Abend“, wünschte Gabi und ich legte auf. Gabi sollte sich keine Sorgen machen. Ich war okay, sie brauchte sich wirklich keine Gedanken zu machen. Na ja, doch, ein bisschen vielleicht. Egal. Komme doch auch mal dorthin. Ich lade dich ein. Am besten du kommst am Mittwoch um 16 Uhr zum Club.

Das Angebot war verlockend. Gabi sollte ich nichts davon erzählen. Es reichte, wenn Inge und ich davon wussten. Auch wenn ich Gabi nicht gerne anlog, es musste sein.

Mein Wecker klingelte. Es war 6 Uhr und ich war total verschlafen. Müde rieb ich mir die Augen. Ein Sonnenstrahl kam durch das Fenster rein. Schnell holte ich eine kurze Jeans und ein blaues Top mit einer Blume darauf aus dem Schrank, dann huschte ich ins Bad. „Mira, mach nicht so laut! Dein Vater und ich wollen schlafen!“, rief eine schwache Stimme durch die Tür. „Ist gut, Mum“, antwortete ich und zog mich leise um. Danach lief ich zurück in mein Zimmer, holte meinen roten Ranzen und ging mit ihm in die Küche. Verdammt, wo war der Lichtschalter? Nach einer Weile fand ich ihn. Auf dem Tisch stand schon meine Müslischüssel und der Löffel lag daneben. Die neu gefüllte Flasche für die Schule hatte auch auf dem Tisch Platz gefunden. Ein Apfel lag daneben und meine Essenskarte. Schon lange hatte Mum nicht mehr so viel für mich getan. Ich nahm die Müslis und schüttete sie in die Schüssel. Ein Tag wie jeder Andere.
„Ciao, Mum. Ich fahre los zur Schule“, rief ich noch in die Wohnung rein und dann holte ich meinen Schlüssel um die Tür aufzuschließen. „Hast du dein Handy?“, fragte Daddy, der gerade aus dem Schlafzimmer kam. „Ups, ich hole es schnell“, sagte ich und huschte noch einmal in mein Zimmer. Das Handy lag auf dem Boden und ich nahm es in die Hand. Eine SMS war eingegangen von „Unbekannt“: Vermisse dich!

Ja klar, vermisse dich auch Unbekannter. So ein Quatsch! Wer war das? Wer machte so was Dummes? Jan war es nicht, der war eingespeichert und Danny war es auch nicht. Kopfschüttelnd ging ich zur Tür, schloss sie auf und trat ins Freie. Aus der Garage holte ich mein Fahrrad und fuhr zur Schule. Die kalte Luft tat gut und die Sonne wärmte angenehm. Es roch nach Blumen, Kräutern und Frühling, obwohl es schon seit einer Weile Sommer war. Lächelnd schaute ich auf die schönen Blüten der Pflanzen und begann einen Gang höher zu schalten. Es war Sommer, es war Zeit zu Sein.

„Nein, Mira, nein“, flüsterte Gabi und stünde sie vor mir, sie wäre zurückgewichen. „Warum hast du schon wieder dein Zimmer verunstaltet? Warum hast du schon wieder einen deiner „Anfälle“ gehabt? Warum hältst du es nicht wie jeder Andere aus, Liebeskummer zu haben? Warum willst du dich selbst umbringen? Warum?“ „Ich weiß nicht“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Bitte, Mira, versprich mir, dich nie mehr selber umbringen zu wollen. Du bist meine allerbeste Freundin, auch wenn das kindisch klingen mag. Ohne dich wäre ich ganz schön aufgeschmissen und denke doch mal an deine Familie, wie die sich fühlen muss und Jan, der muss ja denken, er wäre dran Schuld“, erinnerte mich Gabi. „Ist er doch auch“, erwiderte ich. „Nein, Mira, das ist er nicht“, antwortete Gabi und ihre Stimme klang vorwurfsvoll, „du bist daran Schuld. Er hat etwas gemacht, was Millionen Menschen vor ihm auch schon gemacht haben: Er hat Schluss gemacht. Das heißt aber nicht, dass er etwas Verbotenes getan hat. Er konnte nicht ahnen, dass du ihm so lange nachtrauerst. Jan konnte nicht wissen, wie du reagieren würdest.“ Es war die Wahrheit. „Denkst du, ich bin verrückt?“, wollte ich wissen. „Nein“, widersprach Gabi, „du bist nicht verrückt und auch nicht psychisch krank. Du bist einfach nur verzweifelt. Und deine Verzweiflung lässt dich ängstlich werden und deine Angst macht, dass du auf böse Gedanken kommst.“ „Große Worte“, meinte ich. „Ja, große Worte für ein großes Mädchen“, erwiderte Gabi und ich sah sie durch den Hörer lächeln. „Danke“, sagte ich, „danke für Alles.“ „Keine Ursache“, lachte Gabi und beendete das Telefonat. Zwar war ich noch nicht überzeugt, aber sie hatte mir ein Stück geholfen. Ein Stück vom Abgrund weg, ein Stück entfernt vom Wahnsinn, der mich auffressen wollte.

5. Kapitel


„Ich wusste, dass du kommen würdest“, sagte Inge und strahlte mich an. Ich lächelte unsicher zurück. „Na komm schon, komm rein. Wie ich sehe, hast du eine Bibel mitgebracht“, stellte Inge fest und zog mich in den Club rein. Dort drin saßen acht Personen. Und unter anderem auch Jan. Entsetzt schaute er mich an, fasste sich aber schnell wieder. Dann kannte ich noch Lars, der zwei Klassen über mir war und einen Streitschlichterkurs mit mir besucht hatte. „Das sind Anna und Till“, erklärte Inge und zeigte mir die Beiden. Anna hatte schwarze dünne Haare und ihr Ursprung schien in China oder Japan zu liegen. Till war dünn und hatte strohblonde Haare. Sein T-Shirt war ihm viel zu groß und er sah ein bisschen überfordert aus mit all dem Stoff. „Neben Till sitzen Lars und Paula“, sagte Inge. Lars hatte einen Arm um Paula gelegt. Sie hatte kunstvoll hochgesteckte Haare und ihre Lippen waren mit Lippenstift nachgezogen. Außerdem war sie extrem dünn und hatte ein enges rotes Top an und riesige Ohrringe drin, die genauso schwarz waren wie die High Heels und der Minirock. Neben Paula sah Lars ziemlich ungepflegt aus: Er hatte eine ausgefranste Jeans an und ein Sweatshirt mit dem Aufdruck „I love Cars“. „Dort sind Katja, Erika und Friedi“, stellte Inge vor und die Drei nickten. Sie hatten alle die Haare zu einem Zopf gebunden und trugen auch alle dasselbe kurze Kleid. Der einzige Unterschied waren die Ohrringe und die Augenfarbe. „In der Ecke sitzt Jan“, lächelte Inge und warf mir einen kurzen bedeutsamen Blick zu. Jan schaute Katja an und nickte nur kurz in meine Richtung. Inge kicherte und meinte: „Er ist nicht in Katja verschossen, leider. Sie rennt ihm seit einer Ewigkeit hinterher.“ „Wollen wir anfangen?“, fragte Lars und griff hinter die Couch, auf der er saß um eine Gitarre hervorzuholen. „Ja, klar“, beeilte sich Erika zu sagen und fummelte an ihren schwarzen Armreifen rum die ich noch gar nicht bemerkt hatte. Anna teilte Liederbücher aus. „Nummer 73?“, schlug Friedi vor. Zustimmend nickte Paula, nur Katja verzog den Mund: „Haben wir das nicht erst gesungen?“ Keiner ging auf sie ein und deswegen seufzte sie nur laut und schlug auch die Seite auf. „Du bist meine Zuflucht“ stand über dem Lied. Versuchsweise sang ich mit. Anerkennend reckte Inge den Daumen nach oben und lächelte mich an. Unsicher hob ich den Kopf und erwiderte ihr Lächeln. Dabei merkte ich, wie Jan mich ansah. Schnell senkte ich wieder den Kopf. „So, nun ist ja bald Dreifaltigskeitsonntag“, begann Lars nach dem Lied und schaute in die Runde. Paula saß erwartungsvoll da, während Katja und die zwei Anderen die Stirn runzelten. „Das Hochfest der heiligsten Dreifaltigkeit feiern wir am Sonntag nach Pfingsten. Es wurde erst im Hochmittelalter in das liturgische Jahr aufgenommen: Papst Johannes XXII. führte es im Exil von Avignon 1334 für die ganze Kirche ein“, erklärte Lars. Er nahm ein Blatt aus seiner Bibel, die auf dem Tisch in der Mitte lag. Dann las er vor: „Besonders dieses Fest lenkt den Blick auf das Grundgeheimnis des Christentums, der „Dreifaltigkeit Gottes“. Die Dreifaltigkeit bzw. Dreieinigkeit Gottes bekennen Christen jedes Mal, wenn sie das Glaubensbekenntnis (325/381 n. Chr.) sprechen. Es ist das Ergebnis einer kontrovers diskutierten langjährigen Debatte über das christliche Gottesbild im 2. bzw. 3. Jahrhundert und gilt als das einzig wirklich ökumenische Glaubensbekenntnis, d. h. das von allen christlichen Kirchen akzeptiert ist: „Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, ... Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; ....Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten,....“ (vgl. Gotteslob Nr. 356). Auch die Gebete im Gottesdienst sind trinitarisch - durch Christus im Heiligen Geist an den Vater gerichtet. Und wenn Christen das Kreuzzeichen machen, bekennen sie sich ebenso zum dreifaltigen Gott, indem sie sprechen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.“ „Dieser „Gott in drei Personen“ bleibt ein Geheimnis, dem man sich nur mit ganzem Herzen gläubig und suchend nähern kann“, ergänzte Paula. „Glaubt ihr daran?“, fragte Lars und schaute jeden fragend an. „Ein Richtig und ein Falsch gibt es nicht“, fügte Lars hinzu. „Ich weiß nicht“, fing Erika an, „an Gott glaube ich ja, auch an Jesus, seinen Sohn, aber der heilige Geist ist so unerreichbar. Ich weiß nicht.“ „Der heilige Geist ist in uns, jeden Tag, jede Stunde“, meine Inge. „Aber was ist der heilige Geist?“, wollte Erika wissen. „Wie soll ich es mir vorstellen?“ „Lasst uns doch die Stelle in der Bibel mit dem heiligen Geist lesen“, schlug Lars vor und nahm seine Bibel. Jan fand die Stelle als Erster und las vor: „Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.
Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.
Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5):
»Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichter sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Und ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe der große Tag der Offenbarung des Herrn kommt. Und es soll geschehen: wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden.«
Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, von Gott unter euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst – diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahin gegeben war, habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Den hat Gott auferweckt und hat aufgelöst die Schmerzen des Todes, wie es denn unmöglich war, dass er vom Tode festgehalten werden konnte. Denn David spricht von ihm (Psalm 16,8-11): »Ich habe den Herrn allezeit vor Augen, denn er steht mir zur Rechten, damit ich nicht wanke. Darum ist mein Herz fröhlich, und meine Zunge frohlockt; auch mein Leib wird ruhen in Hoffnung. Denn du wirst mich nicht dem Tod überlassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe. Du hast mir kundgetan die Wege des Lebens; du wirst mich erfüllen mit Freude vor deinem Angesicht.«
Ihr Männer, liebe Brüder, lasst mich freimütig zu euch reden von dem Erzvater David. Er ist gestorben und begraben, und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag. Da er nun ein Prophet war und wusste, dass ihm Gott verheißen hatte mit einem Eid, dass ein Nachkomme von ihm auf seinem Thron sitzen sollte, hat er es vorausgesehen und von der Auferstehung des Christus gesagt: Er ist nicht dem Tod überlassen, und sein Leib hat die Verwesung nicht gesehen. Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen. Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist und empfangen hat den verheißenen Heiligen Geist vom Vater, hat er diesen ausgegossen, wie ihr hier seht und hört. Denn David ist nicht gen Himmel gefahren; sondern er sagt selbst (Psalm 110,1): »Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache.« So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat.
Als sie aber das hörten, ging es ihnen durchs Herz und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? Petrus sprach zu ihnen: „Tut Buße und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird.“
Auch mit vielen andern Worten bezeugte er das und ermahnte sie und sprach: Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht! Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen.
Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle Seelen und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.“ Schweigen trat ein. Ich hatte die ganze Zeit den Kopf gesenkt gehalten, einfach nur Jan gelauscht, doch jetzt hob ich den Kopf. Lars räusperte sich: „Zwar wollte ich Pfingsten nicht behandeln, aber wo wir es einmal haben. Erika, hast du genug vom heiligen Geist erfahren?“ Mechanisch nickte Erika und es war fast gespenstig. „Dann lasst uns beten“, warf Paula ein und alle falteten die Hände und schlossen die Augen. Bis auf Jan, der mich noch einmal kurz anschauen musste. „Lieber Gott, wir haben vom heiligen Geist gehört, von den Aposteln, die den heiligen Geist empfangen haben. Lass du uns auch den heiligen Geist leben und auf dich hören. Dass wir helfen wo wir können, in deinem Namen predigen und anderen Leute Lieben schenken. Heile die Kranken, zeige den Toten den Weg ins Paradies und behüte uns heute und morgen und bis in alle Ewigkeit. Vater unser im Himmel...“ Alle stimmten ein, auch ich, obwohl ich noch vom „...und anderen Leute Liebe schenken...“ irritiert war. Hatte Jan wirklich den Kopf gehoben und mich angesehen oder hatte ich es mir nur eingebildet. „Amen.“ Alle öffneten die Augen. Schon wieder sah Jan zu mir herüber. Na toll, wie sollte ich es deuten? „Was wollen wir noch singen?“, fragte Lars. „Wie wäre es mit der Nummer Eins?“, schlug Anna vor. „Dass du mich einstimmen lässt?“, wollte Friedi sichergehen. Anna nickte. „Klar“, freute sich Paula. Lars griff zur Gitarre und fing an zu spielen. Angestrengt sah ich in die Noten. So schwer sah es nicht aus und tatsächlich konnte ich mitsingen. „Dass du mich einstimmen lässt in deinen Jubel, oh Herr, deiner Engel und himmlischen Heere. Das erhebt meine Seele zu dir, oh mein Gott, großer König Lob sei dir und Ehre...“, sangen wir. Nach dem Lied meinte Lars zum Abschluss: „Also, heute war es doch wirklich schön. Wir treffen uns nächste Woche um dieselbe Zeit hier wieder, wenn das okay ist. Bringt ruhig ein paar Freunde mit, wenn ihr Lust habt. Mira, war schön, dass du mitgekommen bist. Hat es dir gefallen?“ „Ja, war schön“, sagte ich und lächelte Lars unsicher an. „Dann kommst du nächsten Mal wieder?“ „Ich denke schon“, meinte ich und vermied den Blick zu Jan. „Nächste Woche kann ich nicht“, sagte da plötzlich Jan und sah Lars an. „Oh, warum nicht? Ich dachte, deine Familie ist in den Ferien und du hast massenhaft Zeit!“, bemerkte Katja. „Ich bin bei einem Freund“, erklärte Jan. „Na dann, ciao“, sagte Inge und zog mich mit raus. Zwar hatte ich mich noch einmal mit Lars unterhalten wollen, aber Inge kannte keine Gnade. „Mira, es ist schon spät. Falls dich deine Eltern vermissen sollten, gehe jetzt lieber nach Hause“, drängelte Inge und schob mich zur Straßenbahn, die gerade kam. Verdattert stieg ich ein und quetschte mich auf einen Sitz am Fenster. Jan und Inge waren echt komisch. Was war nur los?

6. Kapitel


Liebes Tagebuch,
heute war es echt schräg: Ich war bei meiner ersten Bibelstunde im Club, hab ich dir gesagt und Inge hat mich auch supernett empfangen. Aber am Ende, als ich gesagt habe, dass ich nächstes Mal wiederkomme, meinte Jan, dass er nicht kann. Als sich die Situation zuspitzte, hat Inge mit einfach mit raus genommen, obwohl ich noch mit Lars (das ist eine Art Leiter bei der Bibelstunde) reden wollte. Komisch. Ob Inge und Jan zusammen sind und noch einen schönen Tag verbringen wollten und sie mich deshalb weggeschafft hat, um es mich nicht sehen zu lassen? Ich weiß es nicht.
Schule war langweilig. In Physik sind die Jungs vorne hinter dem Lehrer gerannt und haben sich geprügelt! Aber Herr Wind hat nichts gesagt, ob er es überhaupt bemerkt hat? Bei Geographie hat Max sieben Zusatzhausaufgaben bekommen, weil er ständig reingequatscht hat. Aber auf dem Zeugnis bekommt er die gleiche Note wie ich, obwohl ich meistens (hihi) zuhöre. Irgendwie ist das blöd.
Wie geht’s dir? Wir hören uns bald wieder. Deine Mira



Ich klappte das Tagebuch zu. „Gute Nacht, Schatz“, hörte ich Mama, die gerade reingekommen war. Ertappt legte ich das Tagebuch zur Seite und kuschelte mich in mein Kissen. „Na, wie war der Tag heute? Wo warst du eigentlich heute zwischen 15.30 Uhr und 17.30 Uhr? Ein Zettel lag ja in der Küche, aber du hast keine Adresse und auch sonst nichts liegen lassen. Das Handy hast du auch hier gelassen“, sagte Mum. Müde antwortete ich: „Ich habe mich im Park mit Gabi getroffen. Wir mussten mal wieder raus.“ „Na klar. Aber sag das nächste Mal Bescheid, okay mein Schatz?“, ging Mum sicher. „Natürlich“, lächelte ich und versank tiefer im Kissen. „Verstehe, du möchtest jetzt schlafen“, grinste Mum und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Bitte, Mum, nicht“, seufzte ich und Mum grinste mich immer noch an. „Schlaf gut, Mira“, verabschiedete sie sich und verließ das Zimmer. Endlich konnte ich nachdenken: Gott hatte den heiligen Geist geschickt. Er hatte es für die Jünger gemacht, seine Apostel. Anscheinend hatte er auch die anderen Menschen lieb. Darüber würde ich morgen noch einmal mit Inge oder Lars reden.

Und wirklich traf ich Lars nach der Schule am Haupttor. Lässig lehnte er am Zaun. „Hey Lars“, sagte ich und lächelte ihn spontan an. „Hi Mira“, grüßte er. „Du, ich hätte über Gott noch ein paar Fragen. Hättest du mal eine Sekunde?“, fragte ich vorsichtig. Ohne den Blick von der Tür der Schule zu nehmen, meinte er: „Klar, aber jetzt leider nicht. Einem aus unserer Gruppe geht es gerade nicht so gut und ich würde ihn gerne nach der Schule abfangen. Aber wie wäre es mit heute Nachmittag um vier? Wir könnten uns im Park am Spielplatz treffen, okay?“ „Ach so, ja, natürlich. Erzählst du mir von dem Problem aus unserer Gruppe?“, fragte ich Lars. „Mal sehen“, war die Antwort. Plötzlich hastete er über den Schulhof und verschwand im Schulhaus. Ja, danke Lars. Toller Abschied. „Mira, dein Fahrrad steht dort drüben“, bemerkte Elias. Er ging in meine Klasse und war auch ganz nett. „Haben wir Hausaufgaben auf?“, wollte ich wissen. „Nein“, erinnerte Elias mich. „Hast du was dagegen, wenn ich mit zu dir komme?“, schlug ich vor. Elias wurde ein bisschen rot, sagte aber: „Warum nicht? Hast du Langeweile?“ „Ja, leider“, gab ich zu und suchte mein Handy aus meinem Ranzen. „Kommst du noch mit zu meinem Fahrrad?“ „Okay“, lenkte Elias ein und während ich Mum auf die Mailbox quatschte, schloss er für mich das Rad auf. Als mein Blick über den Schulhof schweifte, sah ich Jan und neben ihm ging jemand. Aber von diesem sah ich nur die Schuhe. Auf jedem Fall kein Mädchen. Wahrscheinlich war es Luke. In diesem Moment sah Jan mich auch. Unsere Blicke begegneten sich und er schaute schnell weg. „Hier, das Schloss ist offen“, keuchte Elias. Für ihn war es eine Anstrengung ein etwas schwierigeres Fahrradschloss zu öffnen, für mich war es Alltag. Schnell wand ich das Schloss um den Sattel und den Fahrradkorb. Alle fanden mein großes Schloss komisch. Aber so war mein Fahrrad sehr sicher vor Dieben. „Was machst du heute noch so?“, fragte ich Elias, während wir auf dem Weg zu seinem Haus waren. „Ähm, mit dir den Nachmittag verbringen“, sagte er verdattert. „Oh, ja, natürlich.“ Mist, das war echt peinlich. Wie konnte ich nur? Na ja, die warme Luft die gerade war nebelte wohl mein Gehirn ein. Egal. Nein, nein, nein! Das Wort „egal“ durfte nicht mehr sein. Es durfte nicht existieren. Für mich war es tödlich.
Den Weg redeten wir nicht mehr und ich starrte die ganze Zeit auf die Straße. „Wann musst du eigentlich wieder nach Hause?“, eröffnete Elias ein neues Gespräch. „So in ein oder zwei Stunden. Um 16 Uhr habe ich beim Spielplatz im Park eine Verabredung.“ „Mit einem Jungen?“, fragte Elias misstrauisch. „Ja, er ist aber schon etwas älter. Wir müssen was klären wegen einem Weltthema“, erklärte ich. „Einem Weltthema?“, hakte Elias nach. „Na ja, einem Thema, dass jeden irgendwie beschäftigt.“ Langsam fing ich an die Unterhaltung abbrechen zu wollen. Wütend sah Elias mich an. Was hatte ich ihm getan. Oh nein, mein Kopf kapierte gerade etwas, was ich nicht kapierte. Mein Kopf wusste warum Elias wütend war, ich nicht. Egal. „Also, wir reden über die Religion. Genauer – über Gott.“ Jetzt war es raus und Elias beruhigte sich wieder. Was war denn los? Egal.
Bei Elias war es lustig. Wir hörten Radio (obwohl Elias lieber Klassik hörte) und spielten Skat. Er brachte mir Munchkin, ein Kartenspiel, bei und wir unterhielten uns über Schule, Bücher und Asterix. „Ein paar Hefte habe ich ja“, erzählte Elias. „Wollen wir sie in verteilten Rollen lesen?“, schlug ich vor. „Na gut, warum nicht“, willigte Elias ein und wir legten uns nebeneinander auf sein Bett und lasen die Geschichte. In der Mitte fragte ich: „Wie spät ist es eigentlich?“ „15.54 Uhr“, sagte Elias mit Blick auf seine Armbanduhr. „Scheiße, ich muss los.“ Hektisch nahm ich meine Tasche und die Schuhe und verabschiedete mich schnell: „Mach´s gut, Elias. War schön bei dir. Wir sehen uns morgen.“ „Ja, klar. Bis morgen“, sagte Elias und hielt mir die Tür auf. Kurz drückte ich ihn, worauf er knallrot anlief, aber ich bemerkte es nicht wirklich. Mein Fahrrad musste wirklich alles geben. „Oh, stopp mal, Mira. Nicht so schnell“, sagte Lars lässig. Der Spielplatz war voll und ich kam nur langsam zum Stehen. „Ganz langsam“, beruhigte mich Lars. Als ich mein Fahrrad angeschlossen hatte und mit Lars auf der Bank saß, sagte ich: „Ich hatte ein paar Fragen wegen Gott. Also, eher über Gott.“ „Verstehe, dann stell sie. Ich werde sie beantworten, wenn ich sie weiß“, meinte Lars. Ich fing einfach an zu fragen: „Gott liebt seine Apostel, liebt er alle Menschen?“ „Oh ja, er liebt alle Menschen. Er vergibt alle Sünden und wenn sie noch so schlimm sind. Wir Menschen würden einem Mörder nie vergeben, aber Gott vergibt, wenn man es aufrichtig bereut“, erklärte Lars. „Wie kann ich mit Gott sprechen?“, wollte ich wissen. Lars antwortete: „Nicht viele können mit Gott sprechen. Nur die Propheten. Aber in Gebeten kann man Gott schon ziemlich nah sein und ich denke, man kann auch mit ihm reden in Gebeten. Dafür sind ja Gebete da: Man soll mit Gott Kontakt aufnehmen und ihm danken, um etwas bitten oder für andere beten.“ „Hilft Gott jedem?“ „Ja, das macht er. Immer wird Gott versuchen zu helfen. Da gibt es einen Witz: Ein Pfarrer ist am Ertrinken. Da kommt ein Rettungsschwimmer und fragt >>Kann ich dir helfen?<<. Der Pfarrer sagt >>Nein, Gott hilft mir.<<. Darauf ertrinkt er wirklich und im Himmel fragt er Gott >>Warum hast du mir nicht geholfen?<<. Darauf meint Gott >>Mehr als einen Rettungsschwimmer kann ich dir auch nicht senden.<<. Verstehst du, Mira? Gott hilft indem er Andere sendet. Sogenannte Engel. Jeder hat seinen Schutzengel. Manche Schutzengel sind unsichtbar, andere Engel werden von Personen oder Tieren verkörpert. Schutzengel sind wichtig. Sie passen auf, dass der Beschützte keine Dummheit anstellt. Aber wenn der Beschützte den Schutzengel abwürgt, dann würgt er Gott ab“, erzählt Lars. Ich fragte: „Welche Leute würgen Schutzengel ab? Gibt es da konkrete Beispiele?“ „Ja, zum Beispiel, die Amokläufer. Wer hat es ihnen gesagt, dass sie morden sollen? Niemand. Der Schutzengel hat sie bestimmt auch noch versucht zu beschützen, aber er kam nicht weit. Oder wer Selbstmord begeht, tut niemandem damit einen Gefallen. Stell dir vor deine Mutter begeht Selbstmord, wie findest du es? Wie findet es dein Vater, wie finden es die Freundinnen deiner Mutter? Oder die Kollegen deiner Mutter? Keiner wird vor Freude in die Luft springen. Es ist schrecklich was Mörder anderen Menschen antun. Es ist nicht okay, es ist krank. Aber was erzähle ich.“ „Du wolltest mir noch von dem Problem heute erzählen. Warum warst du in der Schule?“, hakte ich nach. „Das ist nicht so wichtig. Aber willst du mir nicht mal was von dir erzählen? Von dir weiß ich gar nichts“, bemerkte Lars. Langsam senkte ich den Kopf. „Also ich bin 13 Jahre alt und wohne mit meinen Eltern in der Dorfstraße 3. Das ist nicht sehr weit von hier. In welche Schule ich gehe, weißt du. Meine beste Freundin ist Gabi. Am liebsten lese ist nachmittags oder unternehme was mit Gabi“, fing ich schüchtern an. „Nein, so was kann ich nachlesen, so was kann ich sehen. Ich will wissen wer du bist, ich will wissen, wie du bist“, widersprach Lars mir. „Dann weißt du ja doch was“, meinte ich und schaute ihn an. „Nein, ich kenne dich nicht. Ich sehe was du machst, sogar wie du mit anderen umgehst, aber was sind deine Träume? Wen liebst du? Bist du traurig? Wenn ja, warum?“, löcherte Lars mich. „Meine Träume...“ Traurig senkte ich wieder den Kopf. „Du hast Träume und die sind sehr persönlich und haben wahrscheinlich mit meiner zweiten Frage zu tun“, mutmaßte Lars. Ich nickte, was sollte ich auch sonst machen? Er schien mich doch zu kennen, mehr, als er zugab und eingestand. „Es gibt Jemanden, den ich mehr liebe als alles Andere. Er ist wie ein Bruder für mich. Nein, er ist mehr. Wir waren auch schon zusammen. Sozusagen, die erste große Liebe. Aber er hat Schluss gemacht und jetzt... Ich weiß nicht. Natürlich liebe ich ihn immer noch, aber ich weiß nicht wie er sich fühlt, weil er nicht mit mir redet. Zwar schaut er mich dauernd an, aber ich kann es nicht deuten. Früher hätte ich ihn überall wiedererkannt. Heute auch noch, aber ich stehe ihm gegenüber und er schließt sich und ich habe keine Chance etwas an ihn heranzukommen. Er ist wie mein eigenes Tagebuch, dass ich nicht lesen kann, weil ich den Schlüssel zum Schloss verloren habe und nicht einmal weiß, ob der Schlüssel überhaupt noch existiert. Es ist schrecklich.“ „Schrecklich, aber es ist nicht unmöglich den Schlüssel wiederzufinden, denn ich glaube, dass gerade er den Schlüssel hat. Weil er das verschlossene Tagebuch ist. Er kann über sich entscheiden und er kann entscheiden, ob er dich in ihm lesen lassen möchte. Es ist nicht deine Entscheidung oder deine Schuld dass der Schlüssel weg ist. Es ist natürlich“, erklärte Lars und sah mich an. Vorsichtig hob ich den Kopf und meinte: „Wie kannst du wissen, wen ich meine?“ „Siehst du, du kennst mich auch. Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn kenne und doch weißt du, dass ich ihn kenne. Das nennt sich Menschenkenntnis.“ „Das war nicht meine Frage“, widersprach ich. „Ich weiß es so genau, weil... Ich es mir denken kann“, sagte Lars und dann meinte er: „Den Schlüssel, den gibt es noch. Und zwar da drin.“ Er zeigte auf die Stelle, auf der mein Herz so ungefähr liegen musste. „Der Schlüssel ist eingefroren worden. Aber wenn du dich beeilst kannst du ihn wiederbekommen und in deinem Tagebucheinträgen lesen. Es ist noch nicht zu spät für dich, Mira. Es ist noch nicht zu spät, die Erinnerungen wieder lebendig zu machen.“ „Warum bist du dir so sicher?“, wollte ich wissen. Steckte hinter seinen Ermutigungen etwas? Wenn ja, was? „Warum ich mir so sicher bin? Weil viele Schlüssel zurück ins Schloss passen. Auch wenn aus der ehemaligen Liebe vielleicht nur noch eine gute Freundschaft wird, es ist wichtig, den Schlüssel zurückzustecken.“ „Danke, danke Lars. Danke für Alles“, verabschiedete ich mich und ging zurück zum Fahrrad. „Mira?“ Lars tauchte auf einmal neben mir auf, während ich mein Fahrradschloss löste. „Ja?“ „Du hältst mich auf dem Laufenden?“, wollte er sichergehen. Ein bisschen misstrauisch fragte ich: „Warum sollte ich das machen?“ „Weil du jetzt zu uns gehörst. Du gehörst zu unserer Gruppe und ich sorge dafür, dass es allen aus der Gruppe gut geht. Egal ob es um Elternprobleme geht oder Liebe, Freundschaft oder Schule, ich bin immer für dich da. Natürlich auch für die Anderen. Aber ganz besonders für dich, da du neu hier bist. Verstehst du, eine Gruppe funktioniert nur, wenn alle glücklich sind, wenn alle zusammenhalten. Und gerade ich bin das Verbindungsstück. Jede Gruppe braucht so etwas“, erklärte Lars und sah mich auffordernd an. Es stand noch eine Antwort aus. „Ähm, ich melde mich bei Neuigkeiten. Gibst du mir noch deine Handynummer?“ Grinsend reichte mir Lars einen Zettel, dann drehte er sich um und ging, Guter, lieber Lars. Warum sorgte er sich um alle? Solche Leute verdiente die Welt nicht. Aber Gott hatte ihn geschickt, gesandt, um für viele Leute den Schutzengel zu spielen. Nein, nicht zu spielen, er war ein Schutzengel und er würde mich bei jedem Wutanfall aufmuntern. Er kannte mich, weil irgendjemand ihm was erzählt haben musste. Nur, wer? War es Inge gewesen? Mmh... Mit der Zeit würde ich es schon herausfinden.

7. Kapitel


Zu Hause speicherte ich Lars ein. Dann schaute ich noch einmal in meinen Posteingang und... erschrak! Das Ich vermisse dich.

war von Lars gewesen. Aber zu diesem Zeitpunkt kannten wir uns kaum. Zwar hatten wir den Streitschlichterkurs besucht, aber mehr nicht. Lars war mit Paula zusammen und ich hatte auch keine Lust mich zwischen die Beiden zu drängen. Also rief ich Lars an. „Lars?“ „Oh, hey Mira. Ich wusste, dass du es bemerken würdest“, lachte Lars. „Was gibt es da zu lachen? Was ist mit der SMS? Warum hast du sie geschickt?“, fragte ich ein bisschen wütend. „Ganz ruhig, Mira. Die SMS ist zwar von meinem Handy verschickt worden, aber nicht von mir. Ich gebe mein Handy einmal zwei Wochen im Monat an alle rum, die es brauchen. Die es brauchen, um Sachen zu versenden, wo der richtige Schreiber nicht angegeben werden soll. Hätte derjenige nicht mit mir gesprochen und wüsste ich nicht Bescheid, ich könnte dir nicht sagen, wer es ist“, sagte Lars. „Das geht immer gut? Du bekommst dein Handy immer wieder zurück?“, wollte ich neugierig wissen und mein Unterkiefer hing herunter. Lars lächelte fast durch den Hörer: „Oh ja, ich bekomme es immer wieder zurück, weil ich weiß, dass ich den Leuten vertrauen kann und sie vertrauen mir. Sie wissen, dass ich es niemals weitersagen würde. Selbst, wenn der Empfänger mich – wie du – anruft und mich nach dem Absender fragt. Siehst du, ich schweige wie ein Grab.“ „Krass!“ Mehr konnte ich nicht sagen. „Na dann, wir hören und sehen uns. Noch schönen Donnerstag, Mira“, grüßte Lars und legte auf. „Abendbrot!“, schrie Mum. Schnell war ich in der Küche. Der Tisch war gedeckt, das Rührei und der Bärlauch standen auch auf dem Tisch, das frische Brot lag in der Mitte. Lecker!

Liebes Tagebuch,
heute war wieder ein schräger Tag: Ich war bei Elias (Daumen nach oben) und dann habe ich noch einmal mit Lars über Gott reden wollen. Das haben wir auch getan, aber dann wollte Lars etwas über mich wissen und nach anfänglichen Startschwierigkeiten habe ich ihm von Jan erzählt, ohne den Namen zu erwähnen. Lars hat mir Hoffnungen gemacht und er wusste, um wen es sich handelt. Komisch. Mir drängen sich diese Fragen auf: Warum weiß er das? Warum hat er mir Hoffnungen gemacht und mir geholfen? Warum sorgt er sich so gut um mich? Warum kann er so gut Schweigen, wenn er möchte? Warum scheint er keine Probleme zu haben?
Ich muss ihn nächstes Mal unbedingt danach fragen. Jetzt lerne ich erst einmal für Deutsch. Morgen schreiben wir die letzte Kurzkontrolle in Deutsch und ich möchte eine halbwegs gute Note haben. Wenn ich eine 1 schreibe, bekomme ich diese Note auch auf dem Zeugnis, wenn nicht dann nicht. Hdl deine Mira


Wieder ein Freitag wie jeder Andere. Dachte ich zumindest. Gleich Morgen ging eine Nachricht von Lars ein: Wir treffen uns heute noch einmal um 14 Uhr im Club um eine zusätzliche Stunde nur mit Liedern und einem Quiz zu machen. Bringe was zu Knabbern mit. Freue mich auf dich. Lars


Warum nicht!? Schnell packte ich noch eine Packung Waffeln ein und eine Packung Apfelsaft. Gleich nach der Schule würde ich in den Club gehen.

Die Deutscharbeit war ganz okay und ich konnte alles. Von weitem sah ich, wie Jan sich auf sein Rad schwang und fuhr. Ich machte mich auch schnell auf den Weg und fuhr kurz danach hinter Jan zum Club. Er bemühte sich schneller zu fahren als ich, aber ich konnte mit seinem Tempo mithalten. Bald waren wir am Club. Ich schloss mein Fahrrad an, er seines. Niemand war zu sehen, obwohl es schon fünf Minuten nach 14 Uhr war. „Wo bleiben denn die Anderen?“, murmelte ich leise und stellte mich vor die Tür. „Hat Lars das extra gemacht?“, flüsterte Jan fast überhörbar, aber ich hatte es mitbekommen. „Warum sollte Lars das extra gemacht haben? Was hat er eigentlich gemacht?“, wollte ich wissen. Ich ging kein Schritt weiter zu Jan, weil mein Herz jetzt schon raste. Er sollte es nicht merken. Eine Weile wartete ich auf eine Antwort, die aber ausblieb. Da kam Lars um die Ecke. „Hallo, ihr Beiden. Schön, dass ihr gekommen seid. Kommt, wir gehen in den Club“, begrüßte Lars Jan und mich. Lächelnd schloss Lars den Club auf und ließ uns beide rein. „Natürlich könnt ihr eure Knabbereien auf den Tisch legen. So ist es gemütlicher. Ich hole mal Tassen aus der Küche.“ Lars verschwand. Jan und ich packten unser Essen aus. Meinen Apfelsaft stellte ich langsam auf den Tisch. Durch einen Seitenblick auf Jan merkte ich, dass er ein bisschen zitterte. Am ganzen Körper. „Alles okay, Jan?“, fragte ich besorgt. „Ja, klar“, antwortete er und setzte sich auf die Couch. In diesem Augenblick kam Lars rein. „So Mira, setze dich doch mit auf die Couch. Ich gieße derweil uns allen etwas ein“, bot Lars an. Mit gesenktem Kopf setzte ich mich auf die Couch. Lars teilte die Becher aus. „So, und jetzt sagt ihr beide die Neuigkeiten, die sich bei eurem Thema ergeben haben“, ordnete Lars an. „Das kann ich doch nicht vor...“, fing ich an. Jan sah mich direkt an: „Sag nicht, du auch.“ Als nichts weiteres passierte, meinte Lars: „Ihr habt 15 Minuten. Wenn ich wiederkomme, wisst ihr beide, was Sache ist.“ Oh nein, wenn ich auch nur 5 Minuten auf der Couch mit Jan sitzen musste, würden die Pferde mit mir durchgehen. Lars verließ den Raum und vorsichtig sah ich Jan an: „Du denkst dasselbe wie ich?“ „Scheint so“, bemerkte Jan und schaute mich an. „Ich... Ich liebe dich, Mira“, murmelte er und senkte den Kopf. „Ich dich auch, Jan“, gestand ich, rutschte zu ihm rüber und umarmte ihn. Überrascht hielt er mich fest, als wollte er mich nie wieder loslassen. Ich sog gierig seinen Geruch ein. Er war das Beste, was mir je passiert war. Ich wollte ihn für mich haben, wieder mit ihm was unternehmen können und einfach nur glücklich sein. Aber halt, Lars ist auch noch zu danken. Ohne ihn säße ich immer noch zu Hause und würde mich langweilen. Und auch Gott ist zu danken. Durch ihn habe ich gelernt, dass jeder Mensch auf seine Weise wichtig ist und dass es wichtig ist, für sein Leben und seine Liebe zu kämpfen. Gott hatte es mir beigebracht. Danke!
Der Nachmittag wurde mein schönster Nachmittag in meinem bisherigen Leben. Und das alles nur, weil Inge mich in eine Bibelgruppe eingeladen hatte und ich mich überwunden hatte, dorthin zu gehen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch der Person, der ich den Namen "Jan" gegeben habe. In Wirklichkeit heißt diese Person natürlich anders. Und ich widme dieses Buch allen, die es schön finden und Spaß beim Lesen haben.

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