Ich saß, wie so oft, auf der Bank am Meer. Meine Haare wehten mir ins Gesicht und mein rotes Abendkleid umtanzte meine Beine. Die Augen geschlossen und die letzten Sonnenstrahlen spürend, mit verschränkten Armen und rosa Wangen, genoss ich die Stille. Hier, an diesem Ort, konnte man in Ruhe denken. Ein Spatz zwitscherte. Lächelnd blieb ich sitzen und blinzelte in die Sonne. Am Horizont fuhr gerade ein Schiff, welches in einer Stunde beim Hafen sein würde. Langsam schloss ich wieder die Augen. Nun war ich weit weg. Weit weg von zu Hause, der Schule und meiner schrecklichen Theater AG. Niemand machte mir meinen Platz auf der Bank am Meer streitig. Nicht einmal meine Mutter kam, um mich zu holen, denn sie war weg. Nur ich war mit Papa hier, aber der angelte bis die Finsternis anbrach. "Mathilda, nun komm!" Oh nein, warum wollte Papa heut früher, als sonst, weg? Traurig blickte ich noch einmal in die Sonne und auf das azurblaue Meer und erhob mich. Erst wurden meine Füße wach, dann meine Arme, mein Ober- und Unterkörper und zum Schluss mein Kopf. Auch die Sonne verschwand hinter einer schwarzen Wolke und ich hörte schon Papa kommen. Sein schneller Schritt war unverkennbar und seine blonden Haare wehten auch ihm um den Kopf. Langsam machte ich mich auf den Weg. Es war sehr steinig, aber ich trug meine Sandalen trotzdem. "Na endlich, Mathi. Das wurde aber auch Zeit!", meinte mein Papa. Zusammen mit ihm ging ich den Hügel hoch und dann die kleine Dorfstraße entlang. Papa war der Einzige, der meine Träumerei verstand und mich nicht darin unterbrach. Manchmal dachte ich, dass Papa mir besser tat, als Mama. Als sie Beide damals, im Streit auseinandergingen, war ich das größte Problem. Beide wollten mich haben und zuerst wohnten sie noch im gleichen Miethaus. Aber als Papa dann die Fischerei anfing und seinen Malerberuf wieder intensiv wahrnahm und auch berühmt wurde, hatte er keine Zeit mehr für mich. Dann war er weggezogen. Meine Mutter lenkte mich jeden Tag mit etwas anderem ab, aber als Papa mich in den Ferien wiedersehen wollte, heulte sie. Ob aus verbleibendem Liebeskummer oder Angst um mich, bei Papa bleiben zu wollen, weiß ich bis heute nicht. Wahrscheinlich wegen ihrer Angst. Dabei wäre ich wirklich lieber bei Papa gewesen, denn als ich klein war, hatte er sogar seinen Beruf für mich aufgegeben. Na gut, Mama war auch nicht verkehrt, aber sie weinte so schnell. Redete ich von Papa, heulte sie auf und manchmal erzählte sie von neuen Typen. Wenn ich dann wieder mit Papa anfing, drehte sie sich um und ein Weinkrampf schüttelte sie. Vielleicht war es doch noch ein bisschen Liebeskummer. "Darf ich dich unterbrechen?" Papas Stimme holte mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Nur zögerlich antwortete ich: "Ja, vielleicht. Du, ach vergiss es." Mit einem Seufzer brach ich ab. Eigentlich hatte ich ihn nach Mama fragen wollen. Fröhlich hakte mein Papa nach: "Was ist, Mathi? Heute dachte ich, dass du wieder einmal drei Stunden in das Hotel darfst. Nun sag mir erst mal, was du fragen wolltest." "Nun gut, es ist so", ich brach wieder kurz ab, nahm den Faden dann doch auf, "Mama weint immer, wenn ich von dir spreche. Weißt du, warum?" Sofort drehte mein Papa mir den Rücken zu und räusperte sich: "Nun, keine Ahnung. Ja, vielleicht weil sie Angst hat." Wütend und auch traurig sah ich Papa an. Er wollte nicht weiter darauf eingehen. Es kam mir vor, als ob auch er Mama immer noch mögen würde. Nicht so, wie damals, aber Etwas in ihm, wollte Mama unbedingt wiedersehen. Der Rest des Weges verlief schweigend. Mein Blick schweifte in die Landschaft. Unten lag das Meer und gerade fuhr ein Schiff ein. Wieder einmal fantasierte ich: Das Schiff gehört Papa und er lässt Mama damit kommen. Dann steigt Mama mit blauem wehenden Kleid aus und Papa läuft mit schwarzem Anzug und Blumenstrauß auf sie zu. Beide fallen sich in die Arme und freuen sich. Danach macht Mama ihre eigene Modemarke und Papa malt nun die schönsten Liebesbilder. Die Hochzeit findet dann auch statt und alle sind glücklich. Nie mehr alleine würden sie dann sein und ich könnte endlich aufhören mich auf mein Zimmer zu verkriechen, weil Mama auch keine Weinkrämpfe bekommt.
Leider lebe ich nicht in dieser heilen Welt. Nein, ich habe immer noch Ferien und laufe barfuß über die glatte Straße. An meiner Seite ist immer noch Papa, obwohl ich lieber dort den Freund meines Lebens hätte. Mit 15 Jahren ist das nicht zuviel verlangt. Noch nie hatte ich einen Freund, geschweige denn, einen guten Kumpel. Nach 5 Minuten schalte ich wieder meine Augen auf Betrieb. Auf der gegenüberliegenden Seite laufen zwei Jungen. Einer davon sieht Hammer aus und der andere ergänzt sich. "Hey, Alex, das ist ein guter Deal! Das Mädchen musst du nur küssen und dann bekommst du 1000 Mäuse! Hallo?!" "Mann Kai, wann kapierst du, dass ich nicht alle Mädels küsse, nur weil sie IN sind. Nein!" Das Gespräch zwischen den Jungen war ja sehr interessant. Alex war schöner als Kai, aber sie schienen gute Kumpel zu sein. Dieser Alex schien sehr beliebt zu sein, aber nicht alle an sich ran zu lassen, im Gegensatz zu Kai. Die Beiden waren sehr gegensetzlich, aber waren gut befreundet. So eine Freundschaft hatte ich noch nie! "Ach Alex!" Nein, ich dachte auch schon an diesen Typen! Entsetzlich, ich hatte mich verliebt, mein Herz verloren! An diesem Abend ging ich nicht irgendwo hin, nein, ich ging die Straße nach unten und sah ein Licht. Eine Disko. Alles blendet! Als sich meine Augen an das Licht gewöhnen, sehe ich links eine Bar mit 5 Hockern und eine schwere Diskokugel an der Decke. Ganz hinten ist der DJ. Gerade johlen ein paar Mädels und die Jungs machen die Welle. Interessiert schaue ich auf die Tanzflächenmitte. Da steht doch tatsächlich Alex und macht Breakdance und noch andere coole Moves. Zwischendurch kommen HipHop-Einlagen und die Menge ist begeistert. Erst als Alex eine Pause machen will, fordern die anderen Jungs Mädchen zum Tanz auf. Drei Mädchen umschwärmen immer noch Alex und Kai hängt auch an Alex Seite. Doch die werden mit einer ungeduldigen Handbewegung weggeschickt. Mein Hirn spielt verrückt: Ich laufe mir nicht, dir nicht, auf Alex zu und frage: "ist da noch frei?" Kurz sieht Alex auf und lächelt: "Dich habe ich doch schon mal gesehen. Kann das sein?" "Nein, ich bin hier zum ersten Mal", lüge ich. Die Cola von Alex kommt und ich bestelle ein Wasser. "Wie", will Alex wissen, "gefällt dir die Disko? Ich gehe hier immer Montags bis Mittwochs hin und tanze oder singe. Davon lebe ich." "Ah." Mehr bekomme ich nicht raus. Noch ein bisschen läuft der Smalltalk und dann fordere ich ihn zum tanzen auf. Zusammen mit ihm kann ich richtig tanzen. Sofort bewege ich mich im Takte der Musik und Alex ergänzt sich super. Ich weiß nicht wie mir passiert und Alex hat mich geküsst. Wir müssen beide lächeln, aber da zerstört Kai schon die schöne Szene. "Na siehst du, Alex, es ist total leicht, einfach ein Mädchen zu küssen. Äh", er schaut zu mir, "dich haben wir doch heute Nachmittag gesehen. Kann das sein?" "Nein", antworte ich spontan. Stirnrunzelnd fährt er fort: "Also, kommst du nun, um Janin zu küssen?" Alex Gesicht wird rot: "Kai, ich küsse nicht Jede! Hier, dieses Mädchen ist eine klare Ausnahme, kapiert?" Erschrocken dreht sich Kai um und läuft mitten ins Gedränge. Beruhigend lege ich meine Hand auf Alex Schulter, aber Alex schüttelt die Hand ab und wird immer röter. Er atmet schnell und ich mache nichts mehr. Verlegen fahre ich mir durch das Haar und weiß nicht ganz was ich machen soll. Schließlich frage ich nach einem Bogen Papier. Dieses wird mir sofort überreicht.
Lieber Alex,
bitte beruhige dich und schere dich nicht um Kai. Er weiß es einfach nicht gut genug. Ich hingegen kann dich verstehen und hoffe, du kannst es auch. Manchmal mache ich mir Gedanken über meine Zukunft, aber jetzt muss ich mir diese Gedanken nicht mehr machen, denn du bist meine Zukunft.
Ich werde nicht wieder hierher kommen, da ich hier nicht lebe. Mein Vater wohnt in der Hollenstraße Nummer 34a. Wenn du willst, hinterlasse dort einen Brief für mich oder komme vorbei.
In Liebe Mathi
Mit dem Zipfel meines Abendkleides wische ich mir die Tränen ab und gehe aus der Disko. Meine Augen sind rot und als ich zu Hause ankomme, ist Papa immer noch nicht da. Heulend werfe ich mich auf das Bett. Alles verloren. Keiner kann mir helfen. Doch dann denke ich nach: "Es ist dumm nur zu weinen. Da wird es nicht besser. Mmh...Wozu bin ich eigentlich da? Um zu leben. Auch um zu lernen? Ja, bestimmt. Schließlich soll der Mensch lernen. Manchmal denke ich, ich bin geboren, damit Mama und Papa mich liebhaben können. Es ist der Beweis, dass ich aus Liebe zwischen den Beiden entstannt." Mit diesen Gedanken schlafe ich ein. Meine Augenlieder sind schwer und ich kann sie kaum aufhalten. Langsam stehe ich auf. Ein Verlangen, wie ich es nicht kannte, zog mich. Eine unbekannte Stimme rief nach mir. Ich ging darauf zu und die Gestalt dreht sich um und geht. Lockt mich. Während ich durch diesen langen und schmalen Gang ging, sah ich viele Menschen mir zuwinken. Mama, Papa, Oma, Opa und Alex. Neben ihm standen zwei kleine Kinder. Ein Junge und ein Mädchen. Sie gehören auch zu mir. Ich will sie greifen und an mich ziehen, doch es geht nicht.
Erschrocken wache ich auf. Niemand ist zu hören. Nur eine Nachtigall singt in der Stille. Nun kann ich wieder nachdenken: "Nun, warum bin ich da? Niemand braucht mich, oder doch? Doch, Alex braucht mich! Nur wie kann ich ihn zurückerobern? Genau, ich mache Kaierre, singe oder so was Ähnliches. Aber ich kann weder singen noch tanzen!" Beunruhigt falle ich wieder in den Schlaf. "Mathilda, jemand verlangt dich an der Tür", weckt mich mein Papa. "Alex", fährt es durch meinen Kopf. Doch an der Tür erwartet mich eine Überraschung. Kai steht vor der Tür mit einem Rosenstrauß. Er kniet sich hin und fragt mit verklärtem Blick: "Willst du meine Frau werden?" Entgeistert schaue ich ihn an, doch dann durchfährt mich ein Gedankenblitz. "Du Fiesling", fange ich wütend an, "erst willst du Alex und mich auseinander bringen und dann erscheinst du hier? Du hast den Brief gelesen und Alex nicht. Nimm deinen dummen Blumenstrauß doch für deine Liebste und verschwinde von hier!" Traurig sieht Kai mich an: "Aber du bist meine Liebste." Ich bin wütend! So wütend, dass ich die Tür vor seiner Nase zuschlage und mich dann auf mein Bett werfe. Dieser Typ hat eine Schraube locker! "Mathilda, hast du ein Problem! Dieser Junge war nett zu dir und was machst du mit ihm?! Wegwerfen wie...wie ein altes Stück Papier! Ich bin enttäuscht!" So eine tolle Predigt darf ich mir von meinem eigenen Papa anhören. Ziemlich aufgeregt ist er und seine Stimme überschlägt sich fast. Warum ist Alex nicht da? Ich brauche ihn doch! Zum zweiten Mal klingelt es. Wieder ist Papa schneller. "Hallo, ich bin Alexander. Ist eventuell Ihre Tochter Mathilda da?", höre ich Alex sagen. "Nein", meint mein Papa, doch weiter kommt er nicht, denn ich falle Alex schon um den Hals. Nun habe ich ihn wieder! Alex hat den Brief auch gelesen! So glücklich wie noch nie! Das wäre der passende Titel von dieser Story. Wir herzen und küssen und über und über! Im Hintergrund steht traurig Kai mit seinem Blumenstrauß. Kai steht nur da. Nicht ein bisschen tut er mir Leid. "Mathilda muss noch zu einer wichtigen Besprechung", lügt mein Papa. Entrüstet schaue ich meinen Papa an. Der hat wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wie kann er nicht das Beste für mich wollen? Verlegen sieht Alex auf seine Fußspitzen und murmelt: "Dann Tschüss, Mathi." Wieder laufen die Tränen runter, als er geht. Dafür rede ich sofort mit Papa: "Was soll das, du...du...Papa? Alex und ich sind wie Geschwister und du bringst uns mir nicht, dir nicht, auseinander! Hallo!?" "Mathilda, du sowieso nicht mehr zurück. Warum schreist du mich so an?" Bei diesen Worten blieb mir die Luft weg. Freudentränen schossen mir in die Augen und ich umarme Papa. Es war zu schön um wahr zu sein! Plötzlich schien auch die Sonne rein und viele bunte Farben glitzern über die Mattscheibe von Papas Fernseher. Draußen blühen die Blumen schöner als sonst. Keine Wolke zeigt sich am Himmel. Ich fliege einmal durch die Milchstraße und zurück zur Erde! Es ist ein so emotionaler Moment.
Nach der Umarmung springe ich ein bisschen übermütig aus dem Haus und pflücke gleich einen Korb voll Erdbeeren, bevor ich zum Meerufer gehe und die Sonne anlache. Keiner kann behaupten, dass ich nicht sorgenfrei wäre. Toll, schön, herrlich! Super, ja das ist die richtige Bezeichnung für diesen Moment!
Tag der Veröffentlichung: 08.06.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich den Mädchen, die die Gefühle, die in diesem Buch vorkommen, schon einmal hatten.