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Ich stehe mit beiden Füßen im Watt. Vor mir die Gruppe mit dem Führer, neben mir weitere Mitstreiter, die leise fluchend, versuchen mit zu halten. In meinen Händen, halte ich die Gummistiefel, die ich bis vor ein paar Sekunden an meinen Füßen getragen habe. Sie haben sich als Hindernis erwiesen, da sie dazu neigen, sich im Schlamm fest zu saugen. Die Kinder beklagen sich bei ihren Müttern. Wattwandern ist nicht immer angenehm, aber sie müssen mit, ob sie wollen oder nicht. Mutti lässt sie nicht alleine zurück gehen.

Ich bewege meine Füße vorsichtig. Sie schlingern bei jedem Schritt ein paar Millimeter nach rechts oder links. Auf meinem Rücken hängt der Rucksack mit meinen ganzen Ausweispapieren, dem Wohnungsschlüssel und meiner Brille. „Ich will nicht im Matsch damit landen.“ Mein Oberkörper versucht verzweifelt die Gruppe aufzuholen während der Unterkörper noch mit dem Schlick beschäftigt ist. Das reißt an mir und mir wird klar noch so ein ruckhaftes nach vorne streben genügt, um mich und meinen Rucksack zu Boden gehen zu lassen.

Ich bin nun 45 Jahre alt und habe in meinem Leben gelernt, dass es nicht immer gut ist, mithalten zu wollen. Ich bin erwachsen und kann selbst bestimmen wer mein Wegbegleiter ist, wie schnell ich laufe und wo ich lang gehe. Die Kinder in dieser Gruppe dürfen das noch nicht und auch wenn sie es eines Tages dürfen, kommt erst nach weiteren Jahren der kühne Gedanke auch zu tut, was man darf. Viele Jahre hatte ich Angst vor dem Alleingang mit mir, vor der Einsamkeit. Viele Kompromisse habe ich gemacht, vor allem in Partnerschaften. Ich habe mich selbst verleugnet. Irgendwann aber brach die Erkenntnis durch, dass Treue zu einer Gruppe sinnvoll ist, aber die Treue zu sich selbst notwendig.

Lange habe ich dazu gebraucht, aber nun ist es Routine. Ich rufe also meiner Freundin zu, dass ich zurück kehre und wechsele die Richtung hin zum Ufer.

Immer noch habe ich Mühe das Tempo für mich richtig zu machen. Ich will zu schnell zu viel, also langsam. Ich korrigiere mich, versuche einen Leitfaden zu finden. Ich suche nach einer Antwort in mir. Ich denke zurück und brauche nicht weit zu gehen. Konzentration auf jeden Schritt, Achtsamkeit, Einatmen, Ausatmen – Gehmeditation, etwas das ich seit Jahren praktiziere. Jetzt wird es zum praktischen Hilfsmittel in dieser Situation.

Es erinnert mich an meinen Aufenthalt in einem Kloster. Dort habe ich eine Woche geschwiegen und meditiert. Dort kam ich in Kontakt mit der ganzen Fülle an Erfahrungen, die im Stillsein greifbar wird. Es lag erst zwei Monate zurück. Ich war in Übung, ich schwieg. Im Umkreis von 10 Metern gab es keine Menschenseele. Das Wasser glitzerte in der Sonne, kleine Bäche kreuzten meinen Weg. Vom Strand her kamen die Geräusche lachender Kinder zu mir geflogen. Ich wusch mir die Hände in den wenigen Pfützen. Ganz sauber wurden sie nicht, da nicht viel Platz zwischen Oberfläche und schlammigem Grund war und ich immer wieder versehentlich zu tief ging. Der Wind spielte leise mit meinen Ohren. Plötzlich hatte ich ein wunderbares Gefühl, während meine Zehen mit dem Schlamm spielten. Die Zeit schien still zu stehen. Es roch nach frischer Meeresluft. In mir war es ganz ruhig und ich genoß es alleine zu sein.

Als ich näher an den Strand kam lag eine fröhliche Urlaubsstimmung in der Luft. Viele Menschen freuten sich gemeinsam an diesem Tag. Ich war froh, als ich die Dusche betätigen und mir den Sand von den Füßen und Schuhen spülen konnte. Dennoch, das Wattwandern hatte seine eigene Qualität. Es gefiel mir und sobald ich einmal heraus gefunden habe, wie man trotz flottem Tempo sein Gleichgewicht halten kann, mache ich eine Führung mit.

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Tag der Veröffentlichung: 22.10.2010

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