Wir treffen uns vor dem Nationaltheater. Er sehr groß gewachsen, schwarze Locken, hohe Wangenknochen und Augen die glühen können wie Kohlen. Ich habe meinen neuen braunen Hosenanzug und eine romantisch verspielte Rüschenbluse dazu gewählt.
Wir warten auf einen Freund von ihm, der aber zunächst nicht kommt.
Marko hatte ganz spontan angerufen. Nachdem ich Monate immer wieder versucht hatte mich mit ihm zu verabreden und dabei den unentbehrlichen Anrufbeantworter über die Maßen strapazierte, klingelt eines Sonntagnachmittags plötzlich mein Handy. Ob ich Zeit hätte – eine Einladung zur Aufführung von Rigoletto.
Natürlich hatte ich Zeit, sogar für eine von diesen dämliche Kulturveranstaltungen kann ich mich interessieren.
Endlich sitzen wir auf unseren Plätzen. Ich hatte im Internet recherchiert um was es genau gehen würde und teile nun dem Mann an meiner Seite in kurzen Sätzen mit, was uns erwarten wird. Es stellt sich heraus, daß das Stück in italienisch aufgeführt wird. Auf der Wand ist die deutsche Fassung für Nichtitaliener nachzulesen. Leider habe ich meine Brille vergessen. Höflich bietet er an mich zu informieren, falls etwas wichtiges passiert.
Wir kommen uns näher. Markos Augen fangen an zu glimmen und mir wird immer wärmer. Auf der Seite auf der er sitzt ist es besonders warm und langsam fängt es auch genau auf dieser Seite an zu kribbeln. Wir sitzen ganz oben und die Luft scheint sich immer weiter zu erhitzen. Ich habe plötzlich den Impuls seine Hand zu nehmen, verbiete es mir aber und versuche statt dessen der Handlung zu folgen.
Meine Gedanken wandern zwei Jahre zurück.
Es war ein Wochenende im Spätsommer. Ich hatte ein kleines Häuschen auf dem Lande gemietet und Freunde eingeladen. Mein erstes Glücksseminar, das ich geben sollte. Bis auf eine Teilnehmerin kannte ich alle.
Denise war die Freundin meiner Freundin Sabine. Zuvor hatte ich erfahren, daß sie in einer Ehekrise steckte und nun schon fast seit drei Monaten nichts anderes tat als weinen. Was mich wunderte, denn sie sah nicht so aus. Ich hätte eher auf 6 Monate ununterbrochenes Weinen und drei Monate Essensentzug getippt. Die Augen lagen tief in den Höhlen und waren mit schwarzen Ringen unterlegt, der Blick - sehr hungrig.
Die paar anwesenden Männer waren wie hypnotisiert und von dem Wunsch beseelt Ihr ganz persönlich das Glück in dieser Nacht wieder näher zu bringen. Was das Motto des Wochenendes nicht ganz traf, aber immerhin ein netter Versuch war.
Unter den Anwesenden auch ein groß gewachsener, dunkelhaariger Mann, der sich nach eigener Aussage nichts mehr wünschte als die Frau seines Lebens zurück zu gewinnen und mit ihr Kinder zu bekommen. Das Glücksseminar sollte ihm Hilfestellung dabei geben ihn. Seine Auserwählte hatte Abstand genommen, als bekannt wurde, daß es parallel zu Ihr noch eine weitere Freundin gegeben hatte.
Vier Monate teilten sich die beiden Frauen, nichtsahnend, einen Mann. Er hatte sich dann für die Fernbeziehung entschieden und gehofft sie würde zu ihm ziehen und eine Familie gründen. Der Wunsch nach eigenen Kindern war stark, aber an diesem Wochenende siegte - ein weiteres Mal - das Abenteuer.
Denise und er fühlten sich zueinander hingezogen. Sie verbrachten eine verhängnisvolle Nacht miteinander, die Denise die Kraft gab sich von ihrem Mann zu trennen und mich zu der unglücklichsten Glücksseminarleiterin machte, die die Welt je gesehen hat.
Es war klar ersichtlich, daß sich Marko - mal wieder - für eine andere entschieden hatte. So wie nach den wunderbarsten 4 Monaten die ich jemals mit einem Mann geteilt hatte. Damals waren seine Worte. "Es war eine schöne Zeit mit Dir, aber nun ist sie zu ende.“
Ich brauchte 2 weitere Monate um heraus zu finden, daß der Trennungsgrund jene andere Frau war, die er in dieser Nacht mit Denise betrogen hatte.
Inzwischen ging das Stück auf der Bühne voran. Der Herzog verführt die Unschuld und der Zuschauer ahnt wie flüchtig das Glück ist. So viele Frauen, die er bereits in seinen Armen hielt. Sie ziehen an uns vorbei. Selbst die Abgebrühtesten glauben fest an seine Liebe. Marko lächelt unschuldig in sich hinein, als er mir die Handlung übersetzt. Was geht in diesen Frauen vor? Was befähigt diesen Mann sich derart ungeniert zu nehmen was ihm nicht gehört?
Er ist vollkommen bei der Sache. Ihn erfüllt ein Vergnügen das aus dem Augenblick heraus entsteht. Marko ist ganz und gar im hier und jetzt, mit kindlichem staunen verfolgt er die Handlung. Es gibt keine Zukunft und keine Vergangenheit in diesem Augenblick.
Später führt er mich in die Kantine hinter den Kulissen. Wir treffen doch noch seinen Freund. Marko sieht mich an und nimmt mich mit konzentrierter Aufmerksamkeit wahr. Er ist der einzige Mensch bei dem ich je das Gefühl hatte, er kann mich ganz und gar so nehmen wie ich bin. Er ist völlig präsent, während er mit mir spricht. Sein Freund möchte mich nach hause fahren, aber er sieht durch mich hindurch während er das sagt. Er sieht nicht mich. Vielleicht sucht er jemanden hinter mir, vielleicht ist es seine Traumfrau. Ich bin es nicht. Um so drängender sein Wunsch wird mich näher kennen zu lernen, um so mehr entziehe ich mich.
Marko begleitet mich an diesem Abend noch an die Straßenbahnhaltestelle. Es ist kalt, aber ich hätte um nichts auf der Welt meinen Begleiter für ein warmes Auto getauscht.
Es sind einige Jahre her seit dem Seminar und viele Frauen haben sich in dieser Zeit von ihm geliebt gefühlt. Vielen hat er für kurze Zeit das Gefühl vermittelt die Einzige zu sein – die schönste und wunderbarste Frau – für diese Nacht. Und sie haben es geglaubt, weil es für ihn in diesem Moment wahr war. Er ist ganz aufrichtig und unschuldig weil er in diesem Moment lebt. Eine Zukunft gibt es nicht – zumindest nicht mit dieser Frau. Was hindert ihn also daran sie jetzt in diesem Moment so zu lieben wie sie ist – ohne wenn und aber...
Die Straßenbahn kommt, wir umarmen uns zum Abschied. Ich fühle ihn und mir wird klar der Herzog von Mantua lebt in meinem Kopf und liegt in diesem Augenblick nicht in meinen Armen, auch wenn eine gewisse Ähnlichkeit besteht.
Tag der Veröffentlichung: 16.02.2009
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