Prolog
Jennifer Parker - groß, schlank, blondes Haar, braune Augen.
Ihr Gang war imposant und beschwingt. Sie war nicht die Draufgänerin, wie man auf den ersten Blick vielleicht vermutet hätte. Sie ist nicht das Mädchen mit tausenden von Freunden, deren Namen sie immer vergaß. Nein, sie hatte genau eine Freundin - und das war ihre Schwester Hanna. Nun ja, wenn man diese als "Schwester" überhaupt bezeichnen konnte: Im Alter von vierzehn Jahren hatten Hannas Eltern Jenny adoptiert. Woher ich das weiß? Es gehört eben zum Allgemeinwissen (oder besser gesagt zum allgemeinen Tratsch).
Doch damals wusste ich noch nicht, wer Jennifer Parker wirklich ist
1. Kapitel
Ich ging die Strasse zu der Geistervilla mit provokant langsamen Schritten hinauf. Mein Freund Henry Cooks war bereits vier Meter vor mir. Immerwieder drehte er sich um und drängte mich zur Eile.
"Lass uns doch einmal nicht die Letzten sein!" war sein Argument. Dann setzte er noch ein "Bitte, Jo" hinten dran und lief ein klein wengig schneller.
Henry war in solchen Situationen wie ein kleines, ungeduldiges Kind. Warum gerade ich, Jonston Creeg, ruhig, unauffällig, ernst, mit einem so überdrehten, lauten und aufgeweckten Typen befreundet war, ist mir immerwieder ein Rätsel. Aber Henry und ich waren schon seit dem Kindergarten befreundet und das war auch gut so.
Ich hasste Halloween, dieses realitätsferne, kindische Fest, an dem sich alle theoretisch gruseln sollen, doch praktisch rennen die Mädchen kreischend in die Arme der Jungen, die sich als "der große Beschützer" aufspielen können. Im Grunde ging ich jedes Jahr nur Henry zuliebe mit auf dieses Fest. Doch dieses Jahr war es das erste Mal, an dem ich mir wirklich ernsthaft wünschte, ich hätte es nicht getan.
Im Inneren der Geistervilla war es laut und stickig. Es lag ein leichter Hauch von Erbrochenen in der Luft. Mir wurde übel.
Henry verzog sich - keine Ahnung wohin. Und ich? Ich stand allein herum.
Plötzlich schlug mir eine Hand freundschaftlich auf die Schulter.
"Hey, Mann." sagt die dazugehörige Stimme.
Mir kam die Stimme vertraut vor.
"Erkennst du mich denn nicht, Jo?! Ich bin's, Erik!"
In seiner Stimme war Empörung mit einem Hauch Ironie zu hören. Ihn konnte man doch nicht vergessen!
"Natürlich erinnere ich mich an dich! Du bist der, der in Bio immer von mir abschreiben will."
Jetzt sah er gekünselt gekränkt aus. Erik und ausnutzen - "Niemals".
"Bist du allein hier?" fragte er -vermutlich um vom Thema abzulenken.
"Nein, ich bin nur wegen Henry hier - er mag solche Feste. Hast du ihn gesehen, Erik?"
"Er ist hinten bei der Bowle. Er unterhält sich, Jo."
"Danke" sagte ich noch, bevor ich mich durch die Masse zu Henry kämpfte.
Und da stand er. Die Arme um die Hüften eines Mädchens, die ihrerseits die Arme um seinen Nacken gelegt hatte. Sie standen nahe beieinander, als würden sie sich jeden Moment küssen.
Vorsichtig ging ich näher heran, um das Mädchen zu erkennen. Warum hatte mir Henry nichts von ihr erzählt - schließlich sieht das nicht nach der ersten Begegnung aus. Plötzlich wurde mir klar, warum Erik dieses " Er unterhält sich, Jo." so seltsam betont hatte!
Ich blieb abrubt stehen, als ich das Mädchen erkannte. Es war die unnahbare Jennifer Parker.
2.Kapitel
Jetzt hatte er mich bemerkt! Verdammt!
In einem Bruchteil von Sekunden löste er sich von ihr und bedeutete mir, ihm zu folgen. Ich war viel zu benommen, als das ich ihm hätte widersprechen können. Jennifer Parker folgte uns nicht.
Ich sog die klare Abendluft ein.
"Seit wann?" fragt ich kühl.
"Seit zwei Monaten, Jo."
"Wieso diese Heimlichtuerei?"
"Jo, du verstehst das nicht... Unsere Beziehung war ...ist ...verboten!"
"Wie meinst du das?"
"Sie DARF nicht mit mir zusammen sein - verdammt!"
"Wenn eure Beziehung so geheim ist, wieso knutscht ihr dann auf einer Party rum, auf der die halbe Schule versammelt ist. Du hättest es mir sagen sollen! Du hättest mir vertrauen sollen!"
"Mensch, Jo, du verstehst das nicht! Wir konnten uns einfach nicht länger voneinander fernhalten. Wir mussten..."
"Henry, hör' auf!"
Wie ein störriges Kind presste ich die Hände auf die Ohren. Trotzdem kamen seine Worte gedämpft in meinem Kopf an.
"Jo, auch wenn du das nicht verstehst: Ich liebe Jenny, wie ich noch niemals ein Mädchen geliebt habe. Wir dürfen nicht zusammen sein, hast du eine Ahnung, wie qualvoll die Trennung von der großen Liebe ist?!"
Ohne ein weiteres Wort an Henry zu richten ging ich hinein. Für mich war es ein grausamer Vertrauensbruch. Wieso konnte er mir nicht vertrauen? Warum?
Ich hielt die Augen nach Jennifer Parker offen. Doch auf einmal war sie wie vom Erdboden verschwunden.
Plötzlich tat mir Henry furchtbar leid. Ich hätte ihm einfach beglückwünschen sollen, mich für ihn freuen. Schließlich war er mein Freund. Mein bester Freund.
Ich drehte mich augenblicklich um, ging wieder durch die Tür hinaus und wartete einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
"Henry!?" hauchte ich in die Dunkelheit.
Mein Atem war weiß und ich zitterte - vor Kälte und Unbehagen. Ich ging ein paar Schritte weiter. Inzwischen breitete sich ein leichtes Angstgefühl in mir aus, mein Herz raste.
"Henry, bitte, es tut mir leid! Ich habe dir Unrecht getan!" sagte ich mit angsterfüllter Stimme in die stille Dunkelheit und lauschte.
Keine Antwort. Kein Atemzug. Keine Bewegung. Nichts.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und ging weiter. Wusste nicht einmal wohin ich ging, doch ich bemerkte wie ich auf den Wald zusteuerte. Henry wäre niemals bei Nacht in den Wald gegangen. Niemals.
Die Äste knackten unter meinen Füßen und das Laub raschelte. Jetzt hatte sich meine Angst in hemmungslose Panik verwandelt. Doch ich musst Henry finden. Wieso hatte ich ihn nur allein gelassen?
Auf einmal stolperte ich und viel auf den kalten, weichen, bemoosten Waldboden. Zuerst dachte ich, es sei eine Wurzel gewesen. Doch es hatte sich weicher angefühlt.
Ich richtete mich auf. Mein Atem war hektisch, mein Herz raste und ich glaubte, jeden Moment zu kolabieren.
Ich dreht mich um und schnappte nach Luft.
Henry lag am Waldboden und starrte mich mit angsterfüllten, leblosen Augen an.
Ich fiel zurück auf den Waldboden, vorlings auf meinen toten, besten Freund.
3.Kapitel
"Jo!"
Jemand rief meinen Namen. Die Stimme war zart, die eines Engels. Ich war im Himmel, endlich.
"Jo!"
Wunderschön diese Stimme. Bezeubernd, einfach nur bezaubernd. Zärtlich schlug die Hand des Engels gegen meine Wange.
"Jo!"
Ja, mein Engel, ich bin hier! Warum klingst du denn so besorgt?
"Jo!"
Ich schlug die Augen auf.
"Du lebst!"
Die Stimme klang erleichtert. Ich war deprimiert. Ich schaute neben mich. Henry starrte immer noch in den Himmel. Langsam ließ ich die Hand über sein Gesicht streifen und schloss somi sein Augen. Tränen rannen über mein Gesicht. Verstohlen wischte ich sie von meiner Wange.
"Jo", sagte das Mädchen.
Jetzt sah ich sie direkt an.
Mich überkam auf einmal eine Panik, die ich mir nicht erklären konnte.
Jennifer Parker saß zusammen mit mir auf dem kalten Waldboden und weinte neben Henry Leiche, währende sie versuchte, dass ich meine Aufmerksamkeit auf sie richtete, indem sie immerzu meinen Namen sagte.
"Woher kennst du meinen Namen?" fragte ich.
"Henry hat viel von dir erzählt, Jo. Er hat dich so sehr gemocht."
"Hast du die Polizei gerufen?"
"Hör zu, Jo, du musst die Polizei rufen. Ich werde verschwinden. Ich darf nicht hier sein. Meine Eltern würden herausbekommen, dass ich mich mir Henry getroffen habe. Und dann..."
Sie verstummte.
"Was tust du hier? Hast du ihn umgebracht?"
"Nein, ich wollte ihn suchen. Du bist mit ihm verschwunden und er kam nicht wieder. Ich machte mir Sorgen. Und dann habe ich gesehen, wie du auf den Waldrand zugingst. Ich bin dir gefolgt."
"Hast du einen Verdacht wer das getan haben könnte?"
Zögernd schüttelte sie den Kopf. Doch ich wusste, dass sie mehr wusste, als sie sagte. Viel mehr.
"Ich werde jetzt die Polizei rufen"
"Bitte, Jo, du darfst ihnen nichts von mir erzählen. Und auch nicht von meiner Beziehung zu Henry. Bitte, Jo, Henry hätte es auch so gewollt. Bitte..."
"Okay"
"Danke!"
Sie fiel mir um den Hals. Ihr Körper war warm und unglaublich zart. Ja, ich konnte Henry verstehen...
"Nun geh' schon."
Sie ließ mich nicht los, ich ließ sie nicht los.
"Danke" hauchte sie zärtlich und strich sanft über meine Wange. Eine Träne lief über die ihre.
Dann rannte sie weiter in den Wald. Wo wollte sie nur hin? Am liebsten wäre ich ihr nachgelaufen, doch das hier war ich Henry schuldig. Denn ich hatte mich in seine Freundin verliebt, dabei war er noch nicht einmal offiziel tot. Das hatte er nicht verdient. Ich würde mich von Jennifer Parker fernhalten müssen. Doch jetzt musste ich die Polizei anrufen.
4.Kapitel
Irgendwie schaffte ich es am folgenden Montag in die Schule zu kommen. Mir ging's schlecht: Immerzu musste ich an Henry denken - jedesmal war mir zum Heulen, aber Jungs weinen nicht. Jennifer Parker hatte sich zurückgezogen, stand immer in Ecken, allein, ohne ihre Schwester. Ich glaube, sie weint sehr viel. Es hat ihr das Herz gebrochen. Armes Mädchen.
"Alter, das war 'ne Aktion von die am Samstag. Findest einfach so die Leiche deines besten Freundes!"
Erik kam zu mir, als ich an die Schließfächer gelehnt heimlich Jenny beobachtete. Ich wandte augenblicklich meinen Blick von ihr. Das was ich da tat war noch taktloser als Eriks Bemerkung.
"Du hast das Feingefühl von einem Elefanten!" sagte ich.
"'Tschuldigung. Ist aber schon seltsam. Ich meine, du bist mit ihm raußgegangen kurz bevor er umgebracht wurde - du warst der Letzte, der ihn lebend sah und der Erste, der in tot sah. Ironie des Schicksals, oder?"
"Halt deine Klappe, Erik!"
Ich ging an ihm vorbei.
"Du willst doch sicher wissen, wer das getan hat, oder?" rief Erik mir nach.
Ich wusste, dass er grinste, auch ohne mich umzudrehen.
Er fuhr fort:"Ich kenne da jemanden, der dir helfen könnte!"
Schnell ging ich zu ihm zurück.
"Wen?" fragte ich.
"Angelina Johns - die Tratschtante. Die weiß alles über jeder Person unserer Schule."
"Ich geh' heute Nachmittag zu ihr."
"WIR gehen heute Nachmittag zu ihr!" verbesserte er mich.
Mit einem Seufzer und einem ergebenden Nicken willigte ich ein. Was hatte ich schon für ein Wahl?
Ich sah nocheinmal in die Ecke, in der Henrys Freundin weinte: Jennifer Parker starrte mich hinter ihrem Tränenschleier an.
Erik läutete an der Tür.
Angelina öffnete selbst. Sie war recht hübsch, fiel mir auf: Schokobraunes Haar, treue rehbraune augen und eine sanfte Stimme.
Der Blick, den sich Erik und Angelina gegenseitig zuwarfen war unergründlich. Auch sie teilten ein Geheimnis - wie Henry und Jenny. Bestand die Welt nur noch aus Geheimnissen?
"Kommt rein." sagte sie, als der Blickkontakt mit Erik beendet war.
"Was wollt ihr wissen?" fragte sie, als sie die Zimmertür geschlossen und sich auf ihr Bett gesetzt hatte.
"Wir wollen den Mord an Henry Cooks aufklären."
Ich klang wie in Polizeiinspektor.
"Und du bist...?" fragte sie freundlich.
"Oh, mein Name ist Jonston Creeg, aber meine Freunde nennen mich Jo."
"Ach, ich hab' schon viel von dir in der Zeitung gelesen. Du hast Henry Cooks gefunden, stimmt's? Er war dein bester Freund. Tut mir leid, dass er gestorben ist!"
"Ja, er war ein netter Junge gewesen, immer witzig. Wir wollen seinen Mörder finden."
Verdammt, jetzt sprach auch ich schon in der Wir-Form!
"Ja, soweit habe ich verstanden. Aber wie kann ich euch helfen?"
Hilfesuchend sah sie Erik an.
"Du könntest uns erstmal ein paar Informationen geben", meinte Erik,"zum Beispiel über Jennifer Parker."
"Glaubst du Jenny hat Henry umgebracht?! Ihren eigenen Freund?!" meine Stimme war dröhnend, Erik perplex.
"Die beiden waren ein Paar?" fragte Angelina erstaunt.
"Ja",antwortete ich, "seit zwei Monaten. Wieso wundert dich das?"
"Um dir das zu erklären, musst du Jennys Geschichte kennen: Wie du sicherlich weißt, ist sie von den Parkers adoptiert worden. Damals war sie vierzehn. Wir gingen auf dieselbe Schule, waren bester Freundinnen seit dem Kindergarten. Doch als Jennys Eltern ums Leben kamen, versank sie in ihrer Trauer. Vor deren Tod hatte sie viele Freunde, jetzt redete sie nur noch mit mir. Wir wuchsen zusammen wie Schwestern. Sie wohnte bei mir und meinen Eltern - bis zu dem Tag, an dem die Parker ihre Adoption übernahmen. Wir versprachen uns totzdem ewige Freundschaft... Sie ging immernoch auf meine Schule, zumindest die erste Zeit. Doch sie war nur noch mit ihrer Adoptivschwester zusammen - aber die beiden redeten nie, lachten nie. Schließlich wechselten die beiden am Ende des Schuljahres die Schule, die Parkers zogen weg und Jenny mit ihnen. Als ich schließlich auf ie High School ging, sah ich sie wieder. Sie hatte sich nicht verändert, seit ich sie das letzt mal sah: Immernoch redete und lachte sie kaum - ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie das noch kann.
Jetzt musst du noch eine Sache wissen: Als Jenny Eltern starben, hatte Jennny ihren ersten Freund. Kurz bevor die Parkers Jenny abholten, starb Mason auf mysteriöse Weise."
Erik und ich starrten Angelina mit offenen Mündern an, konnten nicht glauben was wir hörten.
"Wie lange war sie mit Mason zusammen?" fragte ich nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte.
Auf einmal fielen mir die Tränen in Angelinas Augen auf.
"Fast ein halbes Jahr. Die beiden haben so gut zusammen gepasst. Wir waren immer zu dritt - Jenny, Mason und ich. Wir waren so gut befreundet, dann verliebten sich die beiden ineinander - oh, ja, und wie! Nichts auf der Welt hätte sie trennen können, sie waren so glücklich! An dem Abend, als Mason starb, trafen sie sich bei Jenny zu Hause. Meine Eltern schliefen und ich - wir hatten getrennte Zimmer, sie wohnte im alten meiner Schwester - bereits. Die beiden haben sich nachts immer heimlich getroffen. Nun schaut nicht so! Sie taten nicht das woran ihr gerade denkt, Jo. Sie haben immer nächtelang geredet- über ihre Zukunft, ihre Träume, ihre Ziele. Die beiden waren solche Tagträumer, das festigte ihre Beziehung enorm und gab ihr einen romantischen Touch. Jedenfalls verließ Mason gegen drei Uhr morgens das Haus von Jenny und ging nach Hause - doch dort kam er nie an. Zwei Tage später wurde seine Leiche gefunden. Seine Todesursache wurde nie veröffentlicht, auch Jenny weiß sie nicht.
Seit Masons Tod hat sie sich an keinen Jungen mehr herangetraut, sich keinem geöffnet" - sie lachte bitter - "Nun ja, sie hat sich natürlich auch sonst niemanden geöffnet. Und mich hat sie gleich mit aus ihrem Leben gestrichen."
"Siehst du Erik", sagte ich voller Überzeugung,"Jenny hat niemals Henry umgebracht!"
"Dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen." sagte Angelina.
"Warum?"
"Damals kursierten Gerüchte, dass die Parkers etwas mit Masons Tod zu tun haben sollen. Man konnte ihnen jedoch nichts nachweisen."
"Woher weißt du das alles?"
"Mein Vater ist Polizeichef. Er hat es als seine Pflicht gesehen, mir alles, was Jenny betrifft zu erzählen - schließlich war sie meine beste Freundin. Ich musste schwören, niemanden etwas darüber zu verraten. Also: Kein Wort zu niemanden!"
"Natürlich nicht!"
"Ich kann euch mehr Informationen zu Mason Baker beschaffen und auch welche zu Jenny Adoption. Unter einer Bedingung..."
"Welche?" fragte ich vorsichtig.
Sie grinste.
"Ich bin ab sofort in euer Ermittlerteam aufgenommen!"
"Selbstverständlich!"
Sie wurde augenblicklich wieder ernst.
"Hört zu, Jungs, wir müssen einen Weg finden, uns an Jenny...heranzuschleichen. Wir brauchen Informationen. Ich bin mir sicher, dass sie was weiß. Außerdem nicht nur Jenny, auch Hanna und ihre Eltern. Findet ihr's denn nicht seltsam, dass Mason und Henry gestorben sind gerade dann, als sie mit Jenny zusammen waren?!"
"Jo, du wirst dich an Jenny ranmachen!" stieß Erik hervor.
"Nein!"
"Doch, was hätte ich denn für einen Grund? Du warst Henrys bester Freund! Und ich? Ich kenne sie nur vom Sehen aus der Schule. Das ist nicht wirklich 'ne gute Basis!"
"Erik hat recht" ,sagte Angelina,"Aber, Jo, bitte sei vorsichtig. Es kann sehr gefährlich sein, in der Privatsphäre der Parkers herumzuschnüffeln - die sind nicht ganz koscher!"
"Ich hab' gehört, die suchen nen Gärtner..." wandte Erik ein.
"Perfekt!" jubelte Angelina.
"Wo ist bei dir die Toilette?"
"Den Gang entlang, dritte Tür, rechts."
"Danke"
Ich erhob, schloss die Tür hinter mir und lauschte.
Ein leichtes Schmatzen drang in mein Ohr - ich wusste es!
Schnell riss ich die Tür auf. Ja, die beiden küssten sich. Erschrocken sahen sie mich an.
Zum ersten Mal seit Henrys Tod bekam ich ein Grinsen zustande.
5.Kapitel
"Du willst was?" fragte Mrs. Parker erstaunt, als hätte sie mein Anliegen akustisch nicht verstanden.
"Ich wollte mich als Gärtner bei Ihnen bewerben." wiederholte ich.
"Wie ist dein Name?"
"Jonston Creeg. Ich gehe auf die Schule Ihrer Töchter..."
"Ich werde mich mit meinem Mann beraten und - wenn du mir deine Telefonnummer gibst - werde mich in den nächsten Tagen bei dir melden."
Ich hinterließ schnell meine Telefonnummer und verschwand.
Das Grundstück der Parkers war ungewöhnlich dunkel. Ja, geradezu düster, was kleinen Mädchen wohl sehr angsteinflößend vorkommen muss. Ich konnte mir nicht vorstellen, das der blonde Engel aus dem Wald sich hier wohlfühlte. So ein Geschöpf braucht Sonnenschein, Wärme, Geborgenheit - nicht dieses gruselige Stück Land.
Sollten die Parkers mich wirklich einstellen - was ich insgeheim nicht glaubte - würde ich nicht viel zutun haben, schließlich war Herbst. Ich müsste höchstwahrscheinlich nur das Laub der großen Buche rechen.
Es vergingen drei Tage, dann meldete sich Mrs. Parker.
Ich solle schon heute anfangen, es wäre sehr viel Laub von der Buche gefallen. Die Bezahlung erfolgt pro Arbeitsstunde.
Das Geld war mir vollkommen egal, solange ich den Mord an Henry aufklären konnte - das war ich ihm wie gesagt schuldig.
Ich zog mir eine alte, abgewetzte Hose und einen graues Sweatshirt an und machte mich auf den Weg zu den Parkers.
Mr. Parker wartete bereits ungeduldig am Tor.
Es war das erste Mal, dass ich ihn sah. Und mir fiel auf, dass es das genaue Gegenteil seiner Frau war: Sie hatte dünnes, hellblondes Haar, wie ein kleines Mädchen von vier Jahren, er hatte dichtes, schwarzes Haar mit dezenten Wellen, die sich um und über seine Ohren kräuselten. Seine Augen waren so dunkel wie sein Garten, wo hingegen die seiner Frau stahlblau waren. Sie hatte eine zierliche Figur, er eine sehr stattliche mit breiten Schultern.
Er gab mir die Hand und zwang sich ein Lächeln auf, das sich kein bisschen auf seine starren Augen übertrug - mir lief es dabei eiskalt den Rücken hinunter.
Er drückte mir einen Rechen in die Hand und verschwand. Erst jetzt merkte ich, dass es es bereits dämmerte, wobei ihm Garten lange Schatten geworfen worden. Ohne es gleich wahrzunehmen, begann ich zu zittern.
Schnell begann ich meine Arbeit.
Mir wurde schnell klar, dass ich nur noch von diesem dunklen Ort fort wollte.
Plötzlich sah ich einen Schatten.
Etwa zehn Meter von mir entfernt.
Ein Schauer lief über meinen Rücken während die Wolken sich mystisch von dem Mond zurückzogen und die Silhoutte in ein blasses Licht getaucht wurde.
Der Schatten bewegte sich auf mich zu.
Meine Knie wurden weich und drohten zunehmend unter mir nachzugeben. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment zu kolabieren - vor Angst.
Die kalte Hand des Schattens umfasste mein Handgelenk und zog mich hinter die große Buche.
Jenny schlug die Kapuze ihrer Jacke zurück und sah mich tiefgründig an.
Ich atmete auf - ließ die Angst rauß.
Mein Herz raste - ob vor Angst, Erleichterung oder weil es Jenny war kann ich nicht sagen.
"Jonston Creeg" meinte sie.
"Jennifer Parker" gab ich zurück
"Was machst du hier?"
"Ich arbeite für deine Eltern..."
Sie drehte sich besorgt zum Haus um und zog mich mit sich tiefer in den schützenden Schatten der Buche.
"Hör' zu, ich glaube, dass es keine gute Idee ist, dass du hier arbeitest."
"Jenny, ich..."
"Ich weiß nicht, warum du es tust. Aber die banalen Gründe sind gleichgültig, ich will nicht, dass du hier bist."
"Warum nicht? Bin ich dir so zuwider? Ich glaube nicht, dass du hier sicher bist, nicht bei dieser Familie!"
So, jetzt war es rauß.
Die Worte schwebten zwischen uns, ausgesprochen, nicht zurückzunehmen.
"Die Leiche meiner großen Liebe hat man in diesem Grundstück gefunden."
6.Kapitel
"Die von Mason Baker?" fragte ich leise.
Unter Tränen nickte sie während ich Jenny sanft an mich zog.
Augenblicklich machte sie sich los und wischte die Tänen weg.
"Nicht hier. Morgen, um Mitternacht am Waldrand bei der Geistervilla."
Sie zog sich die Kapuze über den Kopf und ging ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich wusste, dass sie weinte.
Der Abend des nächsten Tages ließ auf sich warten - doch er kam. Und so zog ich los - zu dem Ort, an dem mein bester Freund den frühen Tod fand. Ich hatte die Geistervilla immer gehasst und sie war mir nie geheuer gewesen - aber in dieser Nacht hatte sie so eine furchteinflösende Silhoutte, dass ich am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht hätte.
Im blassen Licht des Mondes, der durch das Blätterdach des Waldes schien, sah ich ein Wesen auf dem Waldboden sitzen.
Sie saß dort und starrte auf die Stelle, an der Henrys Leiche gefunden wurde.
"Hallo" hauchte ich so leise ich konnte um sie nicht zu erschrecken. Trotzdem zuckte sie sichtlich zusammen und so setzte ich noch ein kaum hörbares "Entschuldigung" hinterher.
"Ich dachte, du würdest doch nicht kommen..." sagte sie tonlos.
"Ich würde überall hinkommen, solange du da bist. Aber warum dieser Ort? Warum der Ort, wo Henry den Tod fand?"
"Weil hier der einzige Ort auf der Welt ist, an dem ich mich ihm noch nahe fühle. Er war da. Er hat zu mir gesprochen."
Arme Jenny, der Tod Henrys scheint sie irre zu machen!
"Ich weiß, dass du jetzt denkst, ich sei verrückt. Und ja, mit hoher Wahrscheinlichkeit bilde ich mir das alles nur ein, aber..."
Auch wenn sie den Satz nicht beendete, ich wusste, was sie meinte.
"Deswegen bist du damals freiwillig zu den Parkers gegangen - weil auf ihrem Grundstück die Leiche von Mason gefunden wurde. Du hast dich ihm nahegefühlt."
"Ja, so war es. Und ich bereue die Entscheidung nicht. Ich sehe ihn immernoch und bin bei ihm. Ich würde es wieder genauso tun, dieselbe Entscheidung treffen."
"Die Leiche deiner großen Liebe wird auf dem Grundstück deiner zukünftigen Adoptiveltern gefunden und du hast kein Angst?"
Ein leises, gurgelndes Lachen drang aus ihrer Kehle, dann sagte sie:
"Die Parkers sind zwar seltsam, aber nicht blöd! Hätten sie etwas mit Masons Tod zu tun gehabt, wären sie doch blöd gewesen, seine Leiche mitten auf ihr eigenes Grundstück zu legen, oder?"
"Das heißt du hast überhaupt keine Angst?"
"Mason ist bei mir."
"Sei nicht albern, im Ernstfall könnte er dich nicht schützen!"
"Das wäre egal - dann wäre ich bei ihm. Außerdem hatte ich Henry."
"Wenn du Mason noch so sehr liebst, was war dann mit Henry?"
"Henry und ich, wir waren nicht zusammen. Er wusste all das, was ich auch dir jetzt erzählt habe."
"Ihr habt euch nicht geliebt?"
"Doch, aber auf eine andere Weise, als du denkst."
"Wie meinst du das?"
"Du wirst es verstehen, aber nicht hier, nicht heute nacht."
"Bitte, ich will es wissen, ich will es verstehen!"
"Jo, dränge mich nicht, bitte."
"Jennifer..."
"Jonston, wenn das mit uns so weitergeht, wie es begonnen hat, dann wirst du in absehbarer Zukunft Henrys Platz eingenommen haben."
"Und was ist wenn ich das gar nicht will?"
Jennifer lächelte bitter.
"Als ob du nicht mit mir zusammensein wölltest. Du ähnelst Henry in sovielen Dingen dass es schon fast unheimlich ist."
"Trotzdem gibt es eine Sache, die ich nicht verstehen kann..."
"Und die wäre?"
"Warum hat Henry mir gegenüben fest behauptet, ihr seid zusammen?"
"Jo, denk doch mal nach! Hätte er dir sagen sollen, dass wir nur so tun, als seien wir zusammen, dass er mich vor meinen Psycho-Adoptiveltern schützen kann, als Verkörperung meiner großen Liebe, deren Seele immer bei mir ist, aber körperlos ist. Hättest du das verstanden oder geglaubt?!"
"Er hat mir immer die Wahrheit gesagt!"
"Henry hat sich in den letzten Monaten sehr verändert, Jo. Hast du das denn nicht bemerkt? Er war nicht mehr der Henry, den du kanntest."
Und da fiel der Schleier von meinen Augen. Erst jetzt nachdem Henry nicht mehr am Leben war, bemerkte ich, welche Veränderung er in den letzten 2, 3 Monaten durchlaufen hat: Er war meistens introvertiet, mit den Gedanken ganz woanders. Und die Blicke die er Jennifer zugeworfen hat...Er hatte keine Augen mehr für ein anderes Mädchen, nur noch für sie. Warum hatte ich all das nicht bemerkt. Er war doch mein bester Freund!
Tag der Veröffentlichung: 13.11.2010
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