Etwas Unglaubliches
Dies entstand auf Wunsch meiner älteren Schwester, die der Meinung war, dass die Geschichte bis in die Ewigkeit nicht vergessen werden sollte und ich mich auch noch als alte Oma im Schaukelstuhl daran zurückerinnern werde.
Es geschah am Ende des Jahres 2005, als ich durch eine Trennung nach 3 Jahren wieder in die Freiheit des Singlelebens rutschte.
Hilflos und traurig, wie ich war verschlug es mich in die Arme eines Mitschülers, mit dem ich mir schon seit der 5. Klasse die Jahrgangsstufe teilte. Nennen wir ihn aus Datenschutzgründen „Phil“.
Zunächst möchte ich Phil beschreiben. Er ist ca. 1,85m groß, blonde Haare, doch des Öfteren wechselte seine Frisur und seine Haarfarbe, blaue Augen, anfangs rund und gesund, gegen Ende abgemagert und blass. Um sich von anderen abzugrenzen trug er zwei Tattoos, das eine auf dem Arm, das andere am Knöchel. Bei dem Tattoo auf dem Arm handelt es sich um den Teufel und um Totenköpfe. Am Knöchel ist ein kleines Tribal zu finden. Diese Tattoos, so betonte er gelegentlich, geben ihm das nötige Selbstbewusstsein. Was sich anfänglich als Schüchternheit darstellte, entwickelte sich zu Intoleranz und berechnende Verschlossenheit. Phil war nie ein öffentlichkeits Mensch. Er hatte nie wirkliche Freunde, war meist der verschlossene Einzelgänger und Außenseiter. Des Weiteren hatte Phil eine sehr enge Bindung zu seiner Mutter, welche sich durch ständiges Telefonieren und SMS schicken bemerkbar machte.
Nach ca. einer Woche trennte ich mich wieder von Phil, unter dem Aspekt: „zu lieb für mich“. Doch so ganz ohne ihn, ginge es dann wohl doch nicht mehr. Also wie der Zufall spielte, gab es also im Januar 2006 ein erneutes „Zusammenkommen“. Nun standen wir zusammen die letzten Schultage und verlebten eine schöne und entspannende Zeit.
Doch einen Haken gab es bei dieser ganzen rosa roten Wolken Geschichte, Phil fiel durch das Abitur. Dadurch bekam unsere heile Welt einen Riss. Durch immer aufkeimende, heftige Depressive-Schübe wurde Phil von Mal zu Mal unausstehlicher.
Doch ich glaubte ich wäre glücklich und nahm auch seine krankhafte Eifersucht in Kauf. Ich dachte, es sei seine aufrichtige Liebe, die die Angst in ihm schürte mich verlieren zu können und sah es als Kompliment an.
Durch dieses Erlebnis schien auch die Liebe zu seiner Mutter von Tag zu Tag mehr zu wachsen. Zu erst, tat ich es ab und akzeptierte, doch die Mutterliebe, die wir dann als ganz klaren Ödipus-Komplex entdeckten, wurde von Tag zu Tag schlimmer. Dabei war es Phil völlig egal, ob sie ihn, wegen seines nichtbestandenem Abiturs rund machte oder ob sie ihren „Seppi“, „Mausebär“ (u.a.) einfach nur in den Himmel lobte. Mutti war die Beste, in allen Lebenslagen. Sogar sie entschied, ob ein Kleidungsstück gekauft wurde oder nicht, alle anderen hatten keine Ahnung nur Mutti! Und Mutti war überall dabei, egal wo wir waren Mutti schickte SMS und rief an.
Dann kam der Tag an dem sich alles änderte. Phil trat seinen Zivildienst in einem Gesundheitsorientiertem Betrieb an. Er besuchte dafür eine extra Schule, welche sich 60 km entfernt von seinem Heimatort befand. Doch wir schliefen weiterhin jeden Tag bei einander und ich wachte jeden Morgen mit einem Liebesbrief auf. Einmal stand, als ich eines Morgens wach wurde, ein kleines Plüschschaf auf meinem Nachttisch, mit einem kleinen Schlüssel darin. Dieser Schlüssel, so schrieb mir Phil in dem Brief, sei der Zugang zu seinem Herzen. Ich hielt einen kleinen verbogenen Tagebuchschlüssel in der Hand und fand seine Idee wirklich rührend. Außerdem schickte er mir ununterbrochen Liebes-SMS, damit ich ihn nicht vergaß. Ein Leben ohne mich, so schilderte er darin, wäre für ihn nicht mehr möglich.
Ich hatte das Glück auf Erden gepachtet, ich hatte einen wundervollen, zwar krankhaft eifersüchtigen, Ödipus komplex behafteten Freund.
Es konnte doch nichts Besseres geben. Freunde brauchte ich nicht mehr, sogar der Kontakt zu meiner Familie brach immer mehr ab, doch warum sollte ich auch jemand anderes haben wollen? Ich hatte doch ihn, den Ritter in der glänzenden Rüstung. Bei dem ich auch noch nicht mal einen Namen eines Mannes erwähnen durfte, geschweige denn mit einem reden. Oder in die Disco gehen. Wer braucht schon so etwas, wenn man doch den Prinz mit der Rüstung auf dem Sofa neben sich sitzen hatte? Ich zumindest zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht.
Gegen Ende des Jahres 2007 wurde ich krank und meine Mandeln wurden in die ewigen Jaggründe geschickt. Einen Tag vor meiner Operation, war ich natürlich emotional total am knapsen. Aber zum Glück, war ja Phil da, der mich, mit seinem egoistischen Getue fern von meinen Mandeln brachte. Er meinte, es sei besser, wenn wir uns trennen, doch ich verstand ihn nicht. Des Emotionalausbruchs wegen heulte ich wie ein Schlosshund, obgleich ich nie einen Schlosshund hatte heulen hören oder sehen. Phil wollte sich also von mir trennen, nein. Er wollte mich doch nur ablenken von meiner Mandel OP, war doch klar. Welch bescheidener Ritter, der nur um mich besorgt war. War es nicht eine nette Geste, mich von meinen Mandeln abzulenken. Ja, Phil, mein Ritter, selbstlos, wie er war.
Wie jedes Jahr fand auch in diesem Jahr eine Weihnachtsfeier im Kreise der Familie und Freunden statt. Phil glänzte mal wieder durch seine Gute Laune. Sein grimmiges Gesicht erfreute jeden Gast der Feier und versüßte mir mal wieder den Abend. Doch diese Idylle wurde unterbrochen, durch ständiges Telefonieren und SMSen. Phils Mutti war wieder einmal besorgt um ihren Seppi. Nun entstand die These, Phil leidet unter dem Ödipuskomplex. Eine ganz üble Sache, er kann also nicht anders, dieser arme Kerl. Nach zahlreichen „Gute-Laune-Kommentaren“ von Phil und einige nette Wortwechsel zwischen uns verließen wir die Feierlichkeiten und zogen Richtung Heimat.
Nun brach also die Zeit der Schmerzen und der Qualen für mich an, doch Phil stand mir zu Seite besuchte mich im Krankenhaus und hielt mir immer mal wieder vor, wie gemein ich doch immer zu ihm war. Aber ich konnte mich ja glücklich schätzen, dass er mich wenigstens besuchte.
Nun wurde es also Weihnachten und ich verlies die Stätte des Grauens und durfte mich im Kreise der Familie mit meinen Qualen nicht allein fühlen. Nach einer schmerzhaften Weihnachtszeit und einem Phil, der mir immer mal wieder klar machte, dass ich mich viel zu sehr anstellte.
Nun rückte also das Silvesterfest in Augenschein. Nach einer langen Diskussion über Kopfläuse und möglich Folgen, verbrachten wir das Weihnachtsfest bei meinem Bruder. Der Sohn der Frau meines Bruders hatte sich ein paar kleine Haustierchen zugelegt und wurde geschoren. Auch mein Bruder verabschiedete sich von seiner Kopfbehaarung, um den neuen Haustieren die Tour zu vermasseln. Doch wie sollte es anders sein Phils Mutti wollte unbedingt, dass wir das Silvesterfest nicht mit den neuen Freunden meiner Familie teilten. Selbstlos, wie Phil war schlug er mir vor, ich könnte alleine das Silvesterfest mit meiner Familie verbringen und er bliebe bei Mutti, damit es keine weitern Ängste geben musste. So versessen, wie ich auf meinen heiligen Prinz war, bestand ich darauf, dass auch Phil mein Silvesterfest verschönern sollte und er kam mit.
Nach einigen wortlosen Stunden, da Phil nie groß mit meiner Familie sprach, er kam zur Tür rein und gab seine Stimme dort ab, wurde dann heftig Silvester und Prostneujahr geknallt. So gut es meine Verfassung zuließ feierte ich mit. Doch schon in den frühen Neujahrsstunden, verabschiedeten wir uns von der feiernden Gemeinde und traten den Heimweg an. Auf diesem, so liebte ich es mit Phil, wir uns mal wieder in innigster Liebe stritten. So begann nun unser Jahr 2007 in schönster lieblicher Art und Weise.
Nun brach das Jahr 2007 an und ich trat eine Praktikumsstelle im Kindergarten im Nachbarort an. Alt bekannter weise freute sich Phil ungemein über mich und erwähnte hin und wieder meinen Studienablehnungsbescheid, um mich ein wenig glücklicher zu stimmen und mir die Aussicht auf meine rosige Zukunft zu versüßen.
Am 60. Geburtstag meines Onkels war ich soweit von den Mandelstrapazen erholt und konnte in Ruhe den Abend genießen. Phil war stets darum bemüht, dass ich mich gut fühlte. So gehörte es dazu, dass er den Freund meiner Cousine mit Blicken tötete, da er mir freundlich meine Getränke brachte. Außerdem kümmerte er sich um den Hund meines Onkels, wie sich später herausstellte, trat der gute Phil ihn.
Zu seinem Geburtstag bereitete ich Phil einen romantischen Abend, mit Kuchen und Kerzen. Punkt zwölf Uhr rief ihn eine sehr engagierte Kollegin an und gratulierte ihm noch vor mir. Dennoch freute Phil sich über meinen, wie er es beschrieb, extrem schief ausgeschnittenen und zu weichen Kuchen. Wie ich seine Ehrlichkeit doch schätzte, wenn sie mein Selbstbewusstsein in Teile riss.
Als das Faschingsfest anbrach, war natürlich klar, dass Phil zu meinen Tanzauftritten kommen musste, um mögliche männlichen Interessenten abzuschütteln. Wir verbrachten einen absolut harmonischen Abend, so wie ich es kannte, mit gelegentlichen Sticheleien und Gemeinheiten. Irgendwann beschloss Phil die Veranstaltung zu verlassen, der Grund dafür ist mir bis heute nicht bekannt. Da er immer darum bemüht war, mir mitzuteilen, was er vorhatte, rief er mich von Unterwegs an. Er teilte mir freundlicherweise mit, dass er mal wieder beschlossen hatte seinem Leben ein Ende zu bereiten. Das hatte er schon vorher hin und wieder beschlossen und teilte mir dies mit. Einmal schluckte er eine komische Substanz, die ich dann wieder aus ihm heraus „zwang“. Nun gut, zurück zu diesem besagten Abend in der Faschingszeit. Ich bekam es mit der Angst zu tun, konnte sicherlich nur an der Aussage liegen, dass er sich mit seinem Auto um den nächsten Baum schlingen wolle. Ich telefonierte mit ihm und brüllte. Doch dann stellte sich heraus, dass er sich auf dem Parkplatz hinter meinem Haus aufhielt. Ich rannte, geschwind wie der Wind und ignorierte die blutenden Blasen, die mir meine viel zu unbequemen Tanzschühchen bereiteten. Dort angekommen stieg er in sein Auto und fuhr mich erst einmal fast über den Haufen. Der liebe Phil ließ auch wirklich keine dramatische Szene ungenutzt. Nach langem Hin und Her, Vor- und Zurückfahren, kam er dann zurück. Plötzlich war Phil von seinen zwei Bieren dermaßen betrunken, dass er nicht mehr grade gehen konnte. Verständlich, der ganze Stress hatte den armen ganz mitgenommen. Später drängte sich mir der Verdacht des Drogenkonsums auf, welcher sich nach einiger Zeit bestätigte. Er kam aber dann wieder mit ins Haus.
Monate, Streitereien und Lieblichkeiten gingen ins Land. Die rosa Wölkchen verpufften und so kam der Tag, an dem ich beschloss, dass Phil und ich besser getrennte Wege gehen sollten. Wir gönnten uns eine Woche Auszeit und trafen uns dann wieder. Mit selbstbezahlten Stückchen umgarnte er mich, um mir dann nach Ende der Nachdenkzeit den endgültigen Abschiedstritt zu verpassen. Ich weinte und durchlief das ganze Programm einer frisch Getrennten.
Doch dann kam mir ein Gedanke in den Sinn. Ich hatte vor Längerem eine Nachricht bekommen, in der mir eine Dame schilderte, dass ihre beste Freundin mit meinem Phil zusammen sein sollte. Als ich Phil davon erzählte, tat er es ab und meinte, dass jemand ihm eins auswischen wolle. Nun beschloss ich der Sache nachzugehen. Ich erfuhr, dass die Freundin der besagten Dame tatsächlich mit meinem Phil zusammen war, denn sie konnte mir die Tattoos meines Traumprinzen genau beschreiben, genauso wie seine vermeidlichen Wesenszüge. Ich kontaktierte diese Freundin, nennen wir sie hier „Anna“. Anna erzählte mir, dass sie mit Phil schon ein Jahr zusammen sei und sie zu dieser Zeit ein Beziehungsauszeit nahmen. Nach längerem reden und einem Treffen stellte sich heraus, dass Phil nur 7 Monate nach Beginn unserer Beziehung mit Anna zusammen kam und er die treibende Kraft war. Komisch mein Phil war doch eher immer schüchtern gewesen. Er schrieb ihr hingebungsvoll Briefe und malte ihr Bilder. Sie zeigte mir die Bilder und ich erkannte meinen Wandschmuck wieder, den mir Phil gemalt hatte, mit dem er mir zeigte wie unendlich groß seine Liebe zu mir war. Dann erzählte sie mir von einem kleinen süßen Stoffschaf, in dem der Schlüssel zu seinem Herzen verborgen war. Phil war ein so hingebungsvoller Mensch, dass er zwei Frauen gleichzeitig liebte, da er sich für keine entscheiden konnte. Er traf sie gelegentlich, während er mir erzählte, er müsse arbeiten. Auch teilte ich mit ihr ein Jahr das Bett, obgleich zeitversetzt und diverse anderen Dinge, die hier besser nicht erwähnt werden sollten. Anna fiel aus ihrer rosa Welt und schlug mit einem dumpfen Schlag auf, der wie sich herausstellte wohl nicht hart genug gewesen sein konnte. Zunächst eine kurze Beschreibung von Anna. Sie ist der „Magersüchtiges Frettchentyp“, wobei das sogar der Tatsache entsprach, sie hat eine weit hervorstehende Stirn, dunkle faserige Haare und einen unbeschreibbaren Kleidungsstil. Vom Wesen ist sie manipulierbar, schüchtern und nicht Selbstbewusst. Kurz sie ist komplett anders als ich. Wir beschlossen also, betrogen wie wir waren, ein gekonnte Rache zu inszenieren. Phil hielt in der ehrenamtlichen Gesundheitsvereinigung, in der wir beide tätig waren, einen Dienstabend. Anna wollte unbedingt einen Fisch in die Lüftung seines geliebten Autos zu stecken oder die Reifen zu erledigen. Ich lehnte ab, denn ich war mir der Folgen bewusst. Wir gingen zu dem besagten Dienstabend als Liebespaar, ja genau Anna und ich. Phil hatte mir mal erzählt, dass es nichts Schlimmeres geben könnte, als wenn ich mit einer Frau etwas hätte. Wir hielten Händchen und küssten uns sogar, mit Zunge. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass dies der ekelhafteste Kuss war, den ich je erleben musste. Aber es diente ja einem „guten“ Zweck. Der Höhepunkt unseres Schauspiels war die Verabschiedung von Phil. Wir küssten ihn, Eine links, die Andere rechts auf die Wange und gingen. Phil rechnete damit, dass er eine geleuchtet bekäme und das zu sehen bereitete Freude. Sein weißes T-Shirt klebte an ihm wie eine zweite Haut und füllte sich mehr und mehr mit Schweiß. Erleichtert über unsere Tat schworen wir uns nie wieder etwas mit ihm anzufangen. Phil versuchte noch sie zu bequatschen und ihr weiß zu machen, dass ich die Böse in dem Spiel war.
Die engagierte, gratulierende Kollegin war im Übrigen natürlich Anna. Genauso wie die zahlreichen SMS und Anrufe. Zwar kann man auf jeden Fall von einem Ödipuskomplex ausgehen, dennoch war Anna diejenige mit der er mehr Kontakt hatte. Und Phil hatte während der ganzen Zeit noch eine Dritte am Start. Auf mysteriöse Weise verschwanden Unterwäsche Teile aus unserem Besitz, man nimmt an, dass dies seine Souvenirs sind.
Heute, 2010, sind die beiden immer noch ein Paar, denn sie kamen kurz nach unser „Party“ wieder zusammen. Ich sah sie im Sommer am See und erkannte, dass sie wohl ein genauso glückliches Paar sind, wie wir damals. Mit den ganzen tollen Gemeinheiten und Erpressungen wird sie bestimmt jeden Tag froh über ihren Schritt sein und den Prinzen, der in seiner Rüstung festgerostet ist, lieben. Seine theatralischen Züge werden sie wohl jede Woche als aufregend empfinden lassen. Außerdem ist Phils Liebe grenzenlos und er teilt sie gerne unter mehreren auf.
Man sollte nie vergessen, der gute Phil hat immer ein Ass im Ärmel.
Ende
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2011
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Widmung:
Dies entstand auf Wunsch meiner älteren Schwester, die der Meinung war, dass die Geschichte bis in die Ewigkeit nicht vergessen werden sollte und ich mich auch noch als alte Oma im Schaukelstuhl daran zurückerinnern werde.