„Na komm schon, du kannst mir doch nicht erzählen, dass du deinen 18. Geburtstag nicht feiern willst!“, lacht meine Freundin Ellie. „Man wird schließlich nur einmal volljährig. Das kommt gar nicht in Frage, diesen Tag sollst du immer in deinem Gedächtnis haben. Später wirst du mir noch danken, dich vor einem einsamen Leben gerettet und auf den richtigen Weg geführt zu haben. Mach dir mal keinen Kopf, ich kümmer mich schon um alles.“
Endlich holt sie Luft und ich will gerade dazu ansetzen ihr zu erklären, dass ich einfach keine Lust auf eine große Party habe, da knallt es gewaltig laut. Alle zucken zusammen.
„Elisabeth Schneider! Wenn du nicht SOFORT deinen kleinen, geschwätzigen Mund schließt und wenigstens so tust, als würde die Französische Revolution dich interessieren, landest du beim Direktor!“, fährt Herr Langenrogge meine beste Freundin und Sitznachbarin Ellie an, während er das dicke Geschichtsbuch aufhebt, das er auf den Boden geknallt hat. Normalerweise ist er nicht so leicht reizbar und wir mögen unseren Geschichtslehrer sehr gerne. Ellie kann manchmal aber wirklich nerven, wenn ihr das nicht schon gemerkt habt.
Mit ihrem schönsten Lächeln entschuldigt sie sich beim Lehrer und dreht sich ein bisschen nach vorne. Für sie ist das Thema abgehakt, sie schafft es auch allein, die Party vorzubereiten.
Meine Mutter wird sie dabei zu einhundert Prozent unterstützen. Noch heute Morgen am Frühstückstisch sagte sie: „Äpfelchen, ich bin mir sicher, dass deine Auren komplett schwarz sind. Du strahlst in den letzten Wochen so eine negative Energie aus. Irgendetwas stimmt da nicht, vielleicht sollten wir eine Hypnose machen und die Ursache herausfinden, was meinst du? Ist ja kein Wunder, dass du keine Party machen willst, wenn deine Auren nicht okay sind.“
Meine Mutter ist Heilpädagogin. Mit einem Hang zur Esoterik. Dauernd versucht sie, durch Übungen, die mit komischen Lauten verbunden sind, ihr wahres Ich zum Vorschein zu bringen und Kontakt zu ihrer Seele aufzunehmen. Die 60ger waren ihre Zeit und ich schätze, sie trauert ihnen immer noch hinterher. Vor einer Woche habe ich sie im Gartenhäuschen erwischt, wie sie einen Joint geraucht hat! Mit unserem 17-jährigen Nachbar!!
Sein Name ist Henrik und er ist verliebt in mich, seit wir vor 16 Jahren das erste Mal im Sandkasten gespielt haben. Das hört sich ja erst mal so ganz gut an. Allerdings trägt Henrik eine Hornbrille, manchmal sogar Hosenträger und seine Leistungskurse sind Physik und Chemie. Er träumt davon, Astronaut zu werden und der erste Mensch auf dem Mars zu sein.
Das sollte euch alles sagen.
Meine Mutter hat aber nicht geschnallt, warum ich Henrik nicht gut finde. Schließlich nimmt er doch Drogen! In ihren Augen bin ich eine echte Spießerin. Tagsüber trinke ich keinen Alkohol und gekifft habe ich noch nie. Man könnte fast das Gefühl bekommen, dass ich ihr peinlich bin. Kiffen erweitert schließlich den Horizont und man kann seiner Kreativität freien Lauf lassen! Das sieht sogar Henrik so.
Aber Henrik will ich nicht. Ich will jemand anderen. Er ist hier mit mir im Raum und ich kann einfach nicht aufhören, ihn anzustarren.
Ein breites Kreuz, über dem das weiße Shirt spannt, wenn er sich bewegt. Muskelbepackte Arme. Dunkelbraune Haare, die an den Seiten kürzer geschnitten sind als oben. Ein Gesicht zum niederknien mit perfekten, weißen Zähnen, männlichen Lippen, markanten Kiefermuskeln und Augen, die sogar Stein zum Schmelzen bringen könnten.
Er ist Gott. Muss er einfach sein. Schöner ist kein Mensch, den ich je gesehen habe.
Dann spüre ich plötzlich einen stechenden Schmerz in meiner Seite. Empört sehe ich Ellie an und halte mir die Rippen, in die sie ihren Ellenbogen gestoßen hat.
„Hallo, bist du überhaupt noch da? Die Stunde ist vorbei, wir haben Pause! Komm schon!“, sagt sie und zieht mich an der Hand aus dem Klassenraum. Ich kann mich nicht zurückhalten und werfe noch einen schüchternen Blick über die Schulter. Unsere Blicke treffen sich. Ich schmelze förmlich dahin. Bis er sagt: „Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man Menschen nicht anstarrt?“
Vor Schock verschlucke ich mich und bekomme einen Hustenanfall. Er und seine Freunde fangen an zu prusten und ich werde rot wie eine Tomate. Ellie zieht weiter an meiner Hand und ich renne an ihr vorbei, bloß raus da.
„Was war das denn?“, fragt sie keuchend, als ich endlich vor dem Mädchenklo stehen bleibe. Ich bin mindestens genauso außer Atem und schüttele nur den Kopf.
„Sieht du, wie unbeliebt ich bin? Ich will keine Party machen, weil ich nicht glaube, dass überhaupt irgendwer kommen würde.“
„Ach, das waren doch nur Yassin und seine dummen Freunde. Das kann dir doch komplett egal sein.“
Ist es mir aber nicht!
, schreit eine Stimme in meinem Kopf.
„Es werden viele Leute zu der Party kommen, dafür sorge ich schon. Das wird der Knaller!“ Aufgeregt klatscht Ellie in die Hände. Ich versuche einfach, mich nicht verrückt zu machen. Ellie schafft das niemals so schnell. Morgen habe ich Geburtstag. Wie will sie bis morgen Abend so viele Leute zusammen trommeln und so viele Dinge organisieren? Und vor allem: Wer hat an einem Freitagabend Lust, meinen Geburtstag zu feiern?
Andererseits… Es ist Ellie.
„Josie, jetzt guck doch nicht so“, ermahnt sie mich und kneift mir in die Wange. „Das wird ganz toll, und vielleicht kann Henrik ja auch kommen.“
„ARRGHH!!“, rufe ich und stampfe mit dem Fuß auf. Was haben denn alle nur mit diesem Typen? Ich will nicht als Astronautenfrau enden!
Gefrustet gehe ich in die Schulcafeteria und hole mir einen Kaffe und ein Geflügelsandwich, während Ellie schon erste Anrufe für morgen macht.
„3,90“, verlangt die dicke Kantinenfrau von mir.
„Ist das etwa schon wieder teurer geworden?“, staune ich empört. Sie zuckt nur mit den Achseln.
„Den Kaffe nehm ich schon mal mit, aber mir fehlen noch 20 Cent für das Sandwich. Ich komme sofort wieder.“ Schnell will ich zu Ellie rennen. Irgendwie gehe ich davon aus, dass hinter mir niemand steht, drehe mich um und laufe einfach los.
Peng, da laufe ich in jemanden hinein. Mein Geldbeutel fällt auf den Boden und das ganze Kleingeld verteilt sich in der Umgebung. Und es kommt noch besser. Der Kaffebecher wird zerquetscht und die braune Flüssigkeit verteilt sich flächendeckend über dem weißen T-Shirt meines Gegenübers. Geschockt bleibe ich stehen und starre auf den Fleck, dann wandert mein Blick nach oben.
Nein, bitte lass das nicht wahr sein!
„Tsch-Tschuldigung“, stammele ich mit großen Augen, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Sogar meinen Namen habe ich vergessen.
„Pass doch auf!“, ruft Yassin und sein wunderschönes Gesicht verzieht sich zu einer bösen Mine. Einer sehr, sehr bösen Mine. Wütend starrt er mich an, dann schaut er an sich herunter und begutachtet den Schaden.
„Das kannst du mir bezahlen, das ist Armani!“
Schluck.
„Klar“, flüstere ich.
„Und jetzt geh mir aus dem Weg, kleines Mächen!“ Immer noch stinksauer packt er mich am Arm und schiebt mich zur Seite. Schnell hebe ich den Großteil meines Geldes auf, den Rest lasse ich einfach liegen. Ich muss mich ja nicht noch mehr blamieren. Mit hochrotem Kopf flüchte ich aus der Cafeteria.
„Wie, hast du gar nichts zu Essen mitgebracht?“, fragte Ellie erstaunt, als ich mit leeren Händen wiederkomme.
„Ich hatte irgendwie keinen Hunger mehr“, rede ich mich raus und sie kauft es mir sofort ab.
„Also ich habe schon mit deiner Mutter telefoniert und nach der Schule gehen wir einkaufen. Alkohol und so. Aber du kannst ruhig nach Hause fahren und ein Buch lesen, oder so. Wir machen das schon, lass dich einfach überraschen. Ich weiß ja, dass du nicht so ein Organisationstalent bist, wie ich.“
In dem Moment schellt es und alle strömen zurück in ihre Klassenräume.
„Ich finde es toll, dass du dich doch dazu entschlossen hast, zu feiern“, strahlt meine Mutter am Nachmittag, als sie mir die Wäsche reinbringt.
„Ellie und ich haben alles besorgt, das wird super. Ich freu mich schon auf die Cocktails!“
„Mhh, genau Mama! Wenn morgen hier irgendjemand sein wird, um meinen Geburtstag zu feiern, dann weiß ich schon, wer nicht zu Hause ist!“
„Wer denn?“, fragt meine Mutter ganz entgeistert.
„Du!“ Und mit dieser Aussage schiebe ich sie zur Tür hinaus und drehe den Schlüssel im Schloss. Das fehlte mir noch! Meine Mutter, wie sie diesen Leuten, die Ellie einlädt, Gras anbietet. Oder sonst was. Nicht mit mir!
Schlimm genug, dass ich Opfer einer Partyattacke werde.
Ich weiß nicht, warum alle immer so einen Hype darum machen, volljährig zu sein. Ich glaube nicht, dass ich morgen auf einmal ein ganz anderer Mensch bin und nur noch feiern gehe, rauche, Alkohol kaufe und so lange draußen bleibe, wie ich will.
Genervt von dem ganzen Wirbel, der um den morgigen Tag veranstaltet wird, lege ich mich auf mein Bett und schalte den Fernseher an. Außer Asi-Tv läuft nur Anna und die Liebe. Aber immer noch besser, als irgendwelchen Hatz-IV-Empfängern dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig in ihrer Dummheit übertrumpfen.
Anna und Jonas sind soo süß. Wieso hab ich nicht jemanden, der mich so liebt, wie ich bin?
Automatisch wandern meine Gedanken zu Yassin…
Wahrscheinlich fragt ihr euch, was ich an ihm finde. Es ist nicht nur sein Aussehen. Er hat so etwas an sich, das mich einfach anzieht. Und er ist ja auch nicht immer so… unfreundlich.
Prompt versinke ich in einen Tagtraum, in dem er mich endlich wahrnimmt.
Die Stunde ist vorbei, der Klassenraum leert sich langsam. Ich bin die Letzte und räume meine Tasche ein.
„Ähäm“, räuspert sich jemand vor mir. Was für ein schönes Räuspern, denke ich mir, zucke aber trotzdem zusammen. Ich dachte ich bin alleine.
Mein Kopf schnellt hoch und vor mir steht mein Traummann. Yassin.
Er lächelt mich aus seinen Haselnussbraunen Augen an. Nicht spöttisch, sondern freundlich und neugierig.
„Also, das mit dem Kaffee vorhin tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anschnauzen. Das Shirt ist gar nicht von Armani, sondern von H&M. Ich habe heute nur irgendwie einen schlechten Tag“, entschuldigt er sich und legt dabei den Kopf schief. Oh man, wie könnte ich diesen wunderbaren Augen widerstehen?
Wie dumm ich rumstehe und ihn wahrscheinlich anstarre, wie eine Kuh wenn es donnert, merke ich erst, als er mir die Hand hinstreckt und sich vorstellt: „Ich bin Yassin, und du?“
Ich gebe mir einen Ruck und ergreife seine Hand. Sie ist groß und stark und am liebsten würde ich sie nie wieder los lassen.
„Ich bin Josie“, antworte ich.
„Darf ich dir eventuell einen Kaffee spendieren? Du hattest heute ja keinen…“
„Ähm, also… ja warum nicht“, stammele ich. „Gerne.“
„Ich hab jetzt eine Freistunde, du nicht zufällig auch, oder? Dann könnten wir sofort gehen“, schlägt er vor.
„Ich hab jetzt schon Schulschluss, Bio fällt aus. Von mir aus können wir gehen.“Glücklich und aufgeregt schultere ich meine Ledertasche und folge Yassin aus dem Raum. Wie selbstverständlich nimmt er meine Hand und führt mich in den Starbucks, der nur zwei Minuten von unserer Schule entfernt liegt.
Er holt uns etwas zu trinken und nimmt gegenüber von mir Platz.
„Wieso kennen wir uns eigentlich nicht?“, forscht er, während ich einen Schluck von meinem Caramel Macchiato nehme.
„Ich glaube, ich gehe auf andere Partys als du.“ Ich muss lachen. So beliebt bei allen wie er bin ich nämlich nicht.
„Sag mal“, meint er mit einem Mal erschrocken. „So jemand Hübsches wie du hat bestimmt einen Freund, oder?“
Mein Herz macht einen Hüpfer, ach was sage ich! Einen Salto. Er hat mich gerade als hübsch bezeichnet und scheint ernsthaft interessiert zu sein! Womit hab ich das verdient?
Langsam schüttele ich den Kopf und lächele ihn an, bevor ich die obligatorische Rückfrage stelle.
„Was ist mit dir? Die Frauen laufen dir doch sicher massenweise zu.“
„Ach, die ganzen Schlampen können mich alle mal. Ich will eine Frau mit Stil. Eine, die nicht jeden ranlässt.“
Mein Herz rast. Ich würde definitiv niemanden an mich ranlassen. Ich werde morgen 18, es ist nicht so, als ob ich nicht schon Angebote gehabt hätte. Natürlich habe ich auch schon mal mit einem Jungen rumgemacht und wir sind ein bisschen weiter gegangen…. Aber Jungfrau bin ich immer noch. Und das werde ich auch erst mal bleiben, es sei denn, Yassin würde…
„Was machst du morgen Abend? Hast du Lust, mit mir Essen zu gehen?“, unterbricht er meinen Gedankengang.
Ich werde rot und schaue auf den Boden. „Ehrlich gesagt…“, fange ich an.
„Ist schon klar. Du hast kein Interesse. Ist nicht schlimm, vielleicht kommt das noch“, sagt er bedrückt und sieht mir nicht in die Augen.
Was ist denn mit ihm los? Steckt hinter der Fassade wirklich so ein verletzlicher und an sich selbst zweifelnder Junge?
„Hey“, rufe ich empört und haue ihm gegen den Oberschenkel. „Bist du verrückt? Wenn du wüsstest, wie viel Interesse ich an dir habe!“ Ich weiß nicht, woher ich diese Sicherheit nehme, aber ich habe ein gutes Gefühl dabei. So als ob da tatsächlich etwas zwischen uns sein könnte.
„Morgen habe ich Geburtstag. Ich werde 18. Meine beste Freundin plant eine große Party für mich.“
„Stimmt ja, hab ich in Geschichte mitbekommen“, lacht er.
„Wir können gerne ein anderes Mal was Essen gehen. Wenn du möchtest, kannst du morgen Abend auch kommen. Ich weiß zwar noch nicht, was Ellie geplant hat und wer kommt. Aber wenn du da wärst, würde es das Ganze mit Sicherheit erträglicher für mich machen.“
Lächelnd lehnt Yassin sich vor und nimmt meine Hand in seine.
„Du bist so wunderschön. Klar komme ich morgen!“
„Happy Birthday to you, Happy Birthday to you“, werde ich brutal von der schrägen Stimme meiner Mutter geweckt.
„Guten Morgen, Äpfelchen! Alles Gute zum 18. Geburtstag!“
Ich bin noch völlig schlaftrunken und ehrlich gesagt ein bisschen sauer auf meine Mutter, dass sie mich aus diesem wunderschönen Traum gerissen hat. Wenn er nur wahr wäre!
Ich bin froh, als ich endlich die Haustür hinter mir schließen und mich auf den Weg zum Bus machen kann. Meine Mutter hat das volle Programm aufgefahren: Überall Girlanden und Luftballons, diese Schriftzüge mit „Happy Birthday“ hingen von der Decke, Drei verschiedene Kuchen auf dem Tisch und überall rosa. Warum auch immer. Ich musste Kerzen ausblasen und mir etwas wünschen, dann schnell ein Stück viel zu trockenen Kuchen essen (meine Mutter hat‘s nicht so mit dem Backen. Aber immerhin – der Wille zählt! Hoffentlich hat sie kein Gras reingebacken oder so…) und fix nach oben, duschen und anziehen.
Geschenke, hat Mama gesagt, machen wir später, wenn es nicht mehr so stressig ist.
In der ersten Stunde habe ich Musik und Ellie steht schon in den Startlöchern. Als sie mich sieht, kommt sie hüpfend und kreischend auf mich zu und schreit so laut in mein Ohr: „Endlich 18! Du geile Sau!“, dass es mindestens jeder im Umkreis von einem Kilometer mitbekommen haben muss. Toll. –genau das, was ich will: Dass jeder darüber Bescheid weiß. Yeah.
Mein Musiklehrer lässt es sich nicht nehmen, alle aus meinem Kurs zu einem spontanen Ständchen für mich zu zwingen, nachdem Ellie es auch ihm gesteckt hat. Vor Scham würde ich am liebsten in den Boden versinken.
Die zweite Stunde, Mathe, verläuft schon besser. In diesem Kurs sind alle mehr für sich und Ellie hat eine Freistunde. Die meisten sind Nerds und ich werde in Ruhe gelassen.
Bei dem Gedanken daran, dass meine Oma später zu uns kommt, fange ich doch tatsächlich an, dem Tag auch etwas Gutes abzugewinnen.
In der großen Pause bin ich auch schon wesentlich entspannter, als Ellie einen selbstgebackenen Kuchen hervorzaubert. Mit Zuckerguss hat sie eine pinke 18 in die Mitte gemalt. Was haben heute nur alle mit ihrem Rosa? Ich mag doch viel lieber blau…
Trotzdem freue ich mich über ihren Kuchen. Er schmeckt hundert Mal saftiger als der von meiner Mutter und ist eigentlich richtig lecker.
Ellie fängt wieder von der Party an und schwärmt mir vor, wie toll es wird. Sie hat schon alle eingeladen (auch wenn sie mir nicht verraten will, wen genau) und anscheinend für einige Extras gesorgt. Na, da bin ich ja mal gespannt!
Freitags habe ich immer nur die ersten vier Stunden. Jetzt noch Doppel Sport und dann kann ich schon nach Hause gehen. Oberstufe ist auf jeden Fall ziemlich entspannt. Ellie und ich trotten langsam und relativ lustlos zur Sporthalle. Von Handball sind wir beide keine wirklichen Fans. Volleyball liegt uns mehr. Zum Glück kündigt unser Sportlehrer einige Minuten später an, dass dies die abschließende Stunde sein wird. Also achtet er auch heute besonders auf uns, um die Noten festzulegen. Na super, das wird ja immer besser hier!
Wir bauen die Tore auf und laufen ein paar Runden, um uns warm zu machen. Dabei hört Ellie einfach nicht auf, zu quatschen. Über heute Abend, über Davids süßen Hintern, heute Abend, Christinas unmöglichen neuen Haarschnitt und wieder heute Abend. Wie macht sie das nur, ohne Seitenstiche zu bekommen?
Nach dem Laufen machen wir einige Dehnübungen und Probewürfe. Ellie ist ganz gut eigentlich – immerhin trifft sie das Tor und diese komische Wurftechnik hat sie auch drauf. In der Stunde, in der die erklärt und geübt wurde, war ich leider nicht da, weil Mama sich beim Kiffen aus Versehen im Schuppen eingesperrt hatte und nicht mehr rauskam. Ich habe mindestens fünf Minuten gebraucht, um sie dazu zu bringen, endlich mit dem Lachen aufzuhören und mir zu erzählen, was passiert war. Jedenfalls bin ich schnell nach Hause gefahren und habe ihr da raus geholfen.
Und jetzt werde ich eine schlechte Note in Sport bekommen, denn je länger Ellie versucht, es mir zu erklären, desto verwirrter bin ich.
Ehrlich gesagt höre ich ihr auch gar nicht richtig zu. Immer wieder schiele ich heimlich zu Yassin. Er hat auch mit uns Sport und kann so ungefähr jede Sportart. Mit der schwarzen Fußballerhose und dem grauen Muskel-Shirt sieht er fast noch besser aus, als sonst.
Mein Traum kommt mir wieder in den Sinn… Wie wunderschön es doch wäre, wenn er mich nach einem Date fragen würde. Das wäre das wundervollste Geburtstagsgeschenk.
In meine verliebten Gedanken versunken, merke ich erst nach einer Sekunde, dass Yassin mich anguckt. Und sein Blick ist nicht gerade freundlich.
So schnell ich kann, wende ich den Blick ab und gucke auf den Boden. Rot werde ich auch noch, wie peinlich. Das ist ja wie in der sechsten Klasse hier.
„Hörst du mir überhaupt zu?“, fragt Ellie und wedelt vor meinen Augen herum.
„Ähm, ich war gerade kurz in Gedanken“, gebe ich zu und bitte sie, ihre Erklärung noch einmal zu wiederholen.
Schließlich muss ich diese Handballsache können. Ich will mich nicht vor Yassin blamieren.
Ob ich überhaupt jemals eine Chance bei ihm haben werde?
Josie!, weise ich mich in Gedanken zurecht. Ich versuche mich zu konzentrieren und übe diesen merkwürdigen Sprungwurf.
Also: Schritt links, Schritt rechts und dann mit dem linken Bein abspringen und…. Oh. OH! Bevor ich vernünftig werfen kann, rutscht mir der Ball aus der Hand und fliegt anstatt geradeaus nach rechts. Mindestens zehn Meter vom Tor entfernt trifft der harte Ball ausgerechnet Yassin am Kopf. Ich schlage mir die Hand vor den Mund und reiße die Augen weit auf. Im ersten Moment ist Yassin erschrocken und fasst sich an den Hinterkopf. Dann dreht er sich um. Gefährlich langsam.
Er braucht nicht lange, bis er erkennt, dass ich den Ball geworfen habe. Mein Herz hämmert in meiner Brust. Hoffentlich werde ich nicht ohnmächtig! Yassin kommt auf mich zu und sein Blick ist alles andere als nett. Meine Knie werden weich und ich schlucke. Er wird ja wohl keine Mädchen schlagen?
„Warst du das?“, knurrt er mich an und sein Blick ist fast schon wild.
„T-tut mir leid“, stottere ich. Wie das Kaninchen vor der Schlange würde ich mich am liebsten tot stellen.
„Warum wirfst du mir einen Ball an den Kopf? Ist das deine Art, mir zu sagen, dass du nichts lieber willst, als dich von mir flachlegen zu lassen?“ Zum Glück schreit er nicht, aber das braucht er auch gar nicht. Der ganze Kurs hört uns sowieso nicht zu. Ich würde am liebsten anfangen zu heulen. Warum sagt er sowas? Es war doch nur aus Versehen! „Was ist hier los?“, geht unsere Sportlehrerin dazwischen.
„Die kleine Schlampe hat mir fast ne Gehirnerschütterung verpasst“, zischt Yassin und schaut mich dabei bedrohlich an. Seine Worte machen mein Herz schwer. Schlampe? Ich? Ganz sicher nicht! Frau Grüns Blick wird streng.
„Ihr beide geht jetzt zum Rektor. Und du Yassin entschuldigst dich für dieses Wort!“ Damit schickt sie uns aus der Halle. Ellie wirft mir einen mitleidigen Blick und einen Luftkuss zu. Echt, super Hilfe. Danke für die Unterstützung.
Kaum verlassen wir die Sporthalle (ich laufe fünf Meter hinter Yassin), holt uns die Sekretärin ab. Wahrscheinlich hat sich Frau Grün, genauso wie ich, gedacht, dass Yassin freiwillig nicht zu Direktor Brand geht, sondern seine Freistunde genießt. Seine Schultern senken sich, als die Sekretärin uns in Empfang nimmt. „Na da sind ja die beiden Streithähne. Dann kommt mal mit, Herr Brand erwartet euch schon.“
Keine zwei Minuten später nehmen wir auf den unbequemen Plastikstühlen gegenüber unserem Rektor Platz.
„Frau Grün hat mich schon grob informiert, aber bitte erzählt doch mal aus eurer Sicht, was passiert ist. Josefine fängt an.“ Bääh, ich hasse es, wenn jemand mich bei meinem vollen Namen nennt. Wahrscheinlich war meine Mutter mal wieder total dicht, als sie mir diesen Namen ausgesucht hat. Yassin prustet und guckt mich fragend an.
„Josefine?“, wiederholt er.
Da verstehe ich wirklich gar keinen Spaß. Deshalb gifte ich: „Ja, was dagegen?“ Anscheinend ist er erstaunt, dass ich doch sprechen kann und setzt sich nach einem warnenden Blick wieder gerade hin. Ich fange an zu erzählen. „In Sport machen wir im Moment Handball. Und das kann ich irgendwie nicht so richtig. Ich wollte bloß diesen einen komplizierten Wurf üben und dann ist der Ball leider in die völlig falsche Richtung geflogen. Es war keine Absicht.“
„Genau“, schnaubt Yassin. „Du kannst zwar kein Tor treffen, aber mein Hinterkopf ist kein Problem? Sie lügt“, meint er an den Direktor gewandt. Herr Brand geht gezielt über Yassins Kommentar hinweg und schenkt weiterhin mir die Aufmerksamkeit.
„Du hast ihn also aus Versehen am Hinterkopf getroffen?“, fasst er zusammen. Ich nicke stumm. „In Ordnung. Und deine Sicht?“, wendet sich Herr Brand an Yassin, der immer noch vor Wut zu kochen scheint.
„Die Tussi hat mir gestern schon Kaffee übers Shirt gekippt und heute wirft sie mich zufällig mit dem Ball ab und versucht, mich auszuknocken. Hört sich das für Sie wie ein Versehen an? Das hat sie voll mit Absicht gemacht!“
Hallo, ich sitze immer noch neben dir, denke ich, sage aber nichts. Wahrscheinlich sollte ich mich freuen, dass er überhaupt noch weiß, dass ich die Gleiche bin, die ihm gestern das T-Shirt versaut hat. Ich muss mich schon zusammen reißen, damit ich nicht anfange, zu weinen. Sonst bin ich wirklich nicht so eine Heulsuse. Aber wie kommt er denn darauf, dass ich ihm was Böses will? Ich bin einfach nur der größte Tollpatsch der Welt.
„Und was meinst du“, fragt Herr Brand sachlich, „hätte Josefine davon?“ Jetzt muss ich mir auch noch Mühe geben, nicht loszuschreien. Dieser Name ist wirklich ein Kreuz.
„Was weiß ich. Sie will sich über mich lustig machen. Keine Ahnung. Aber mit mir macht man keine Scherze!“ Bei seinen letzten Worten wird er sich wohl meiner Anwesenheit wieder bewusst, wendet sich zu mir und wirft mir einen Blick zu, der schon fast Mordlust ausstrahlt. Ich werde auf meinem Stuhl noch kleiner und kann nur betrübt nach unten schauen. „Stimmt das, Josefine?“, fragt unser Rektor mich.
„Es war wirklich keine Absicht“, beteuere ich leise.
„Gut“, sagt Herr Brand fröhlich. „Dann hätten wir das jetzt geklärt. Bitte reicht euch die Hand und entschuldigt euch beim Anderen.“
Erleichtert drehe ich mich zu Yassin, halte ihm die Hand hin und sage: „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht abwerfen.“ Doch er ignoriert mich und schaut weiterhin Herrn Brand an.
„Ist das Ihr Ernst?“, fragt er entgeistert. Ich lasse meine Hand wieder sinken.
Unser Rektor antwortet gereizt: „Junge, nun stell dich nicht so an. Schau dir Josefine doch mal an. Sieht die aus, als würde sie absichtlich Leuten Schaden zufügen?“
Yassin mustert mich von oben bis unten und sein Gesicht verrät nichts. „Ne“, sagt er dann. „Eher wie ne ungebumste Jungfer.“
„Er hat WAS zu dir gesagt?“, fragt Ellie prustend. Ich bin nach dem Gespräch beim Rektor nach Hause gefahren, ohne nochmal in die Sporthalle zu gehen. Ich war einfach zu verletzt. Selbstmitleid ist sonst keine meiner prägenden Eigenschaften, doch ich kann nicht widerstehen, mir selbst zum Geburtstag zu gratulieren. Wirklich ein gelungener Tag. Schlimmer kann es ja fast nicht werden. Yassin findet mich halt langweilig und unattraktiv. Na und? Die Welt dreht sich weiter. Wenn es nur so einfach wäre…
„Ellie echt. Ich will das nicht nochmal wiederholen und lustig finde ich es auch nicht.“
„Na ja, aber ganz Unrecht hat er ja nicht, oder? Ich meine, du bist jetzt 18 und hast noch nie mit einem Jungen geschlafen.“
„Na und? Ich muss ja nicht jeden dahergelaufenen Typen nehmen. Mir bedeutet das halt was.“ Langsam bin ich echt genervt. Können mich nicht mal alle in Ruhe lassen?
„Nehmen wir zum Beispiel mal Henrik. Der ist ja kein Dahergelaufener…“ Ich unterbreche meine beste Freundin mit einem wütenden Knurren. Es ist wirklich zum Haare raufen!
„Okay, okay. Ich mein ja nur. Schaden würde es dir nicht“, versucht sie mich zu beschwichtigen. Ich wimmele Ellie ab und lege auf. Das hat mir gerade noch gefehlt, dass meine beste Freundin mich „entjungfern“ will. Ist doch schließlich meine Entscheidung, ob ich auf den Richtigen warten will! Genervt schließe ich unsere Haustür auf und werde prompt von meiner Mutter angefallen.
„Sie ist wieder da!“, ruft sie über ihre Schulter und begrüßt mich mit diesen lauten Party-Tröten, die sich beim Pusten ausrollen. Als sie sich nach einer Minute endlich wieder beruhigt hat und ich die Hände von den Ohren nehmen kann, gehen wir Richtung Wohnzimmer. Zunächst habe ich schon Angst, dass Henrik dort sitzen wird, aber es ist meine Oma. „Oma!“, rufe ich erfreut aus und stürze mich in ihre Umarmung.
„Alles Gute, meine Kleine“, wünscht sie mir.
„Deine Mutter ist ja so aufgedreht, als wäre es ihr eigener Geburtstag.“
Ich nicke nur und raune: „So ist sie schon die ganze letzte Woche!“
„Und sie hat etwas von einer Party erzählt… war das deine Idee?“ Oma grinst wissend. Ich schüttele den Kopf und ziehe eine Grimasse, was sie noch mehr zum Lachen bringt.
„So, wer möchte einen Kaffee?“, zwitschert meine Mutter fröhlich und stellt die fast schon überschwappende Kanne auf den Esstisch.
Ohne Proteste lassen Oma und ich unsere Tassen füllen und nach einigem Gequatsche setzt sich meine Mutter schließlich auch zu uns an den Tisch.
„Und, Äpfelchen, wie fühlst du dich?“, fragt meine Mutter ganz ernst.
„Gut?“, sage ich und schlürfe an meinem Kaffee.
„Ja aber merkst du schon, wie du eine Frau wirst? Wie sich alles in der verändert, du deine alte Schale abwirfst und aufblühst?“ Na klar. Ich nicke freundlich, außer Stande, darauf zu antworten. Meine Oma räuspert sich und schiebt mir ein Päckchen herüber.
„Das ist für dich.“ Gespannt nehme ich es entgegen und rätsele, was es sein könnte. Ein Buch? Als ich das Papier aufreiße, sehe ich den Titel: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“. Verwirrt sehe ich meine Oma an.
„Als ich es gelesen habe, hat es mir sehr geholfen. Du solltest mal einen Blick reinwerfen.“ Im nächsten Päckchen ist eine Flasche meines Lieblingsparfums. Ich falle meiner Oma um den Hals und bedanke mich ausgiebig bei ihr. Von meiner Mutter bekomme ich ein „Gärtner-Startet-Set“. Mit Hanf-Samen. Und eine Flasche teuren Wodka.
„Das ist mal was richtig Gutes“, lautet ihr Kommentar dazu. Naja, ich bin schon gewohnt, dass ich mit ihren Geschenken nicht ganz so viel anfangen kann. Wir sitzen noch eine Stunde bei Kaffee und steinhartem Kuchen zusammen und plaudern. Dann muss meine Oma los und ich bin froh, dass ich in meinem Zimmer endlich ein bisschen Abstand zu meiner Mutter gewinnen kann.
Um sechs Uhr steht Ellie auf der Matte. Verwundert öffne ich ihr die Tür.
„Hey“, strahlt sie mich an und quetscht sich an mir vorbei.
„Wieso bist du schon hier?“, frage ich forschend.
„Na irgendwer muss ja die Vorbereitungen koordinieren und irgendwas hat mir gesagt, dass du das nicht tun wirst.“ Sie zwinkert und läuft ins Wohnzimmer, wo meine Mutter sie schon begrüßt. Ich geselle mich dazu und prompt fängt meine beste Freundin an, uns zu briefen.
„Also, der Partyservice kommt in einer halben Stunde. Die bringen eigentlich alles mit, was wir brauchen, also müssen wir nur dafür sorgen, dass das Wohnzimmer einigermaßen frei ist. Die nächste halbe Stunde verbringen wir mit Möbel umherschieben, sodass letztendlich in der Mitte unseres großen Wohnzimmers eine Freifläche ist. An der Wand, an die die Küche angrenzt, sind Stühle aufgestellt und gegenüber ein Campingtisch, auf den das kalte Buffet gestellt werden soll. Hier und da haben wir kleine Abstelltische für Gläser und Snacks aufgestellt. Kaum sind wir fertig, da klingelt es auch schon. Ellie klatscht in die Hände und rennt zur Tür. Kurze Zeit später wimmelt es im Haus von bestimmt 10 Mann, die eine Bar aufstellen, Lichter anbringen, das Buffet aufstellen und eine große Musikanlage mit Boxen installieren. Ich staune nicht schlecht, als sie fertig sind. Vielleicht wird der Abend doch gar nicht so schlecht.
„Eine Bar?“, frage ich Ellie staunend. Sie lacht nur und nickt.
„Wir wollen deinen Geburtstag doch ordentlich feiern.“
„Jetzt sag nur noch, Justin Bieber tritt heute Abend auf“, scherze ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ellie hat sich wirklich Mühe gegeben und ich will gar nicht wissen, was das alles gekostet hat.
„So, jetzt aber ab mit dir!“, kommandiert sie. „Geh duschen. Beim Fertigmachen helfe ich dir gleich.“
Ich salutiere und lache. Meine beste Freundin ist zwar nur knapp 1,60m groß, aber den Befehlston beherrscht sie perfekt. Gehorsam gehe ich duschen und kämme meine Haare ordentlich. Dann laufe ich zurück in mein Zimmer, wo Ellie mich schon erwartet.
„Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für dein Geschenk“, erklärt sie. „Mach die Augen zu!“ Als ich die Augen wieder öffne, hält sie mir eine dunkelblaue rechteckige Schachtel hin. Mit großen Augen schaue ich sie an, dann öffne ich vorsichtig die Schleife des Geschenkkartons. Unter Seidenpapier kommt schließlich ein marineblaues Bandeaukleid mit Herzdekolleté zum Vorschein. Das Bandeau hat Wickeloptik und von einem schmalen Streifen unterhalb der Brust fällt der Stoff in Falten nach unten. Es ist wunderschön.
„Oh mein Gott“, stammele ich sprachlos. „Ellie… das ist echt schön! Danke!“ Ich falle ihr um den Hals und sie lacht. „Zieh es doch erstmal an!“ Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und schlüpfe hinein .Es sitzt wie eine zweite Haut und endet ein Stück über meinem Knie. Ich sehe in den Spiegel und meine Wangen röten sich. Mit meinen noch von der Dusche nassen dunkelbraunen Haaren und den langen Beinen sehe ich gar nicht mal so schlecht aus. Das Kleid sitzt obenrum ziemlich stramm, damit es bloß nicht verrutscht, und pusht so meine Brüste eine bisschen.
„Du siehst toll aus“, lächelt Ellie. „Aber jetzt wollen wir dich erstmal schminken.“ Sie ist mindestens eine halbe Stunde damit beschäftigt, mich zu schminken und in meine Haare leichte Wellen zu drehen. Mit dem Ergebnis bin ich mehr als zufrieden und falle Ellie überglücklich um den Hals.
„Und damit du nicht barfuß herumlaufen musst, hab ich auch noch die passenden Schuhe aufgetrieben. Aber sei bloß vorsichtig damit, die gehören meiner Schwester!“ Mit diesen Worten reicht sie mir dunkelblaue Pumps mit Plateau und mindestens vierzehn Zentimeter Absatz. Ellie hat ihre Klamotten schon mitgebracht und macht sich auch fertig. Dann gehen wir gemeinsam nach unten. Inzwischen ist echt acht Uhr und laut Ellie rechnen wir eigentlich frühestens ab halb neun mit Gästen. Jedoch klingelt es schon jetzt, als wir die Treppe herunter kommen.
„Ich geh mal“, sage ich zu ihr und laufe den Flur herunter. Vor der Tür steht ein großer Mann, bestimmt 25 Jahre alt, mit blonden Haaren und einem sympathischen Lächeln.
„Ich bin Daniel“, stellt er sich vor und reicht mir die Hand.
„Äh… Josie?“ Er grinst über meine verständnislose Miene.
„Ah, dann musst du das Geburtstagskind sein. Herzlichen Glückwunsch! Ich bin der Barmann.“
„Oh, ich wusste nicht dass es zu der Bar noch einen Mann gibt“, höre ich mich sagen und möchte gleich meinen Kopf gegen den Türrahmen hämmern. Super. Aber Daniel nimmt es gelassen und kommt rein.
Als er sich meiner Mutter vorstellt, sagt diese: „Ach, das ist ja schön. Dann passen Sie auf, dass die Kinder genug trinken“ und kichert wie ein kleines Mädchen. „Ich würde ja so gern bleiben und mitfeiern, aber ich muss los.“
Ellie hat mich vorhin in ihren genialen Plan eingeweiht, für den ich ihr echt dankbar bin. Sie hat meiner Mutter einen Platz auf der VIP-Liste für das Thirsty geregelt. Das ist ein beliebter Club, eigentlich für Jugendliche. Aber bitte, wenn sie sich die Blöße geben will. Ich bin froh, wenn sie mich nicht auf meiner eigenen Party blamieren kann.
„Bis morgen, Äpfelchen. Lasst es ordentlich krachen!“ Damit verschwindet sie.
„Puh“, machen Ellie und ich gleichzeitig und lachen.
„Lass uns anstoßen!“, findet sie. „Jetzt, wo wir schon einen Barmann haben.“ Daniel grinst und füllt uns zwei Sektgläser. Ellie macht die Musik an und wir lassen unsere Gläser aneinander klirren. „Auf dich!“
Es dauert nicht mehr lange, bis die ersten Leute kommen. Es sind ein paar dabei, die ich von früher kenne und ansonsten viele aus unserer Stufe und von Ellies Bekannten. Ich grinse, als Nick, ein Austauschschüler aus Schweden, unser Haus betritt. Ellie schwärmt mir andauernd von ihm vor. Leider fehlt auch Henrik nicht. Er will mir zum Gratulieren ein Küsschen auf die Wange geben, doch ich tauche schnell weg. Oh mein Gott, der Junge ist echt blind. Außerdem kommt auch Isabelle mit ein paar ihrer Freundinnen. Isabelle finde ich ehrlich gesagt ziemlich zickig und wenn ich Ellie wäre, hätte ich sie nicht eingeladen, doch sie zuckt nur mit den Schultern.
You make me von Avicii beschallt das Wohnzimmer und die Bar ist dicht besiedelt. Verstohlen linse ich zu Daniel hinüber. Er trägt ein schwarzes Hemd und sieht vollkommen sicher und locker aus, während er die Cocktails mixt. Dann fängt er meinen Blick auf und lächelt mir zu. Langsam schlendere ich zur Bar hinüber. Ich kann auf meiner eigenen Party doch nicht nüchtern bleiben! Irgendwie hatte ich mir das Ganze schlimmer vorgestellt. Die Leute sind alle nett, die Musik ist toll und eigentlich habe ich echt Spaß. Ich nehme mir vor, mich gleich bei Ellie zu bedanken.
„Was darf’s sein, schöne Frau?“, fragt Daniel und reißt mich aus meinen Gedanken. Unwillkürlich erröte ich und bestelle einen fruchtigen Cocktail.
„Wie alt wirst du denn?“, will er wissen, als er mein Getränk zu mir herüber schiebt.
„18“, gebe ich zu und lächele verlegen.
„Na dann hast du ja noch alles vor dir“, lacht er und seine Augen blitzen. Ich finde ihn ziemlich nett. Er scheint keiner dieser Kerle zu sein, die rund und die Uhr an Sex denken. Zumindest zeigt er es nicht. Er hat mir bis jetzt noch kein einziges Mal in den Ausschnitt geguckt und mich nicht komisch angemacht. Vielleicht liegt das an seinem Alter. Oder einfach daran, dass er der Barmann ist… Jedenfalls bin ich sonst eher schüchtern, wenn ich jemanden gerade erst kennen gelernt habe, aber Daniel strahlt so eine Ruhe aus, und ich habe das Gefühl, dass ich mich gut mit ihm unterhalten kann.
„Wieso, hast du denn schon alles hinter dir?“, frage ich neckisch und grinse.
„Alles bestimmt noch nicht, aber das meiste schon. Erster Kuss, erste Liebe und so weiter. Die schönen Dinge.“
„Wie kommst du denn darauf, dass ich noch nie einen Jungen geküsst habe?“, frage ich beleidigt. Hält er mich für so ein Mauerblümchen?
„Na, dann ersetzen wir den Kuss halt durch Sex“, lenkt er ein.
„Und woher willst du wissen…“, setze ich an, unterbreche mich dann aber, als ich merke, wir mir verräterisch das Blut in den Kopf schießt. Ich schaue zu Boden und nippe erstmal an meinem Cocktail.
Da beugt Daniel sich vor und sagt: „Ich weiß es natürlich nicht. Aber ich hoffe es doch sehr, weil du mir wie ein anständiges Mädchen vorkommst, das nicht gleich den Erstbesten ranlässt.“
„Oh“, murmele ich. Insgeheim denke ich aber, dass es gar keinen Erstbesten gab, der mit mir hätte schlafen wollen. Ich meine, ich habe es nicht so nötig, dass ich so einen Kandidaten dann auch in mein Bett gelotst hätte, aber bisher gab es schlicht und einfach keinen Kerl, der genügend Interesse an mir angemeldet hätte. Oder überhaupt Interesse. Außer Henrik natürlich, aber der ist ja irgendwie eine Spezies für sich. Ich leere meinen Cocktail, als Daniel gerade mit den anderen Gästen beschäftigt ist und wühle mich auf der Tanzfläche zu Ellie durch.
„Hey“, ruft sie in mein Ohr, strahlt und umarmt mich. „Das ist dein Abend!“ Gerade läuft A little Party never killed nobody von Fergie und wir tanzen mehr oder weniger ausgelassen (Ellie mehr, ich weniger).
Dann zieht sie mich zur Bar und wir bestellen Shots.
„Auf dich!“, ruft sie und sogar Daniel trinkt einen mit. Keine Ahnung, ob er das darf, aber solange mein Barmann noch so leckere Cocktails mixen kann, habe ich nichts dagegen. Als Ellie mich jedoch wieder auf die Tanzfläche ziehen will, protestiere ich. Ich will mich für einen Moment hinsetzen. Meine beste Freundin stimmt zu, aber nur unter der Bedingung, dass ich in fünf Minuten wieder zu ihr stoße.
Ich sitze erst eine Weile, da setzt sich Henrik ungefragt zu mir und erzählt mir was über das Universum und Raketen. Er hat schon ganz glasige Augen und schiebt immer wieder seine Brille hoch. Das war wohl schon ein bisschen viel Alkohol für ihn heute Abend. Ich nippe an meinem Cocktail und versuche ihm zu signalisieren, dass ich ihm nicht zuhöre und nicht interessiert bin. Aber wie das schon immer war, bemerkt er das nicht. Vielleicht sollte ich einfach aufstehen und gehen. Aber zu so etwas Gemeinem bin ich leider nicht fähig. Ich lasse meinen Blick schweifen und sehe Ellie auf der Tanzfläche mit Nick, dem schwedischen Austauschschüler. Die meisten der Leute kenne ich vom Sehen von der Schule und mit den meisten habe ich auch schon Mal ein Wort gewechselt, aber Freunde sind sie auf jeden Fall nicht. Ich will eigentlich einfach nur noch, dass alle gehen und ich schlafen kann. Entschlossen trinke ich meinen Cocktail mit zwei Zügen aus und will gerade aufstehen, da geht die Haustür auf. Kommt jetzt noch jemand? Es ist immerhin schon kurz vor zwölf. Neugierig lehne ich mich vor, um vom Tisch aus besser in den Flur schauen zu können. Henrik versteht das wohl als Ermutigung und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel. Verärgert sehe ich ihn an und wische seine Hand weg.
Und dann sehe ich, wer gekommen ist. Ich kann meinen Augen gar nicht trauen. Es sind vier Jungs. Sie betreten das Wohnzimmer und einer schaut sich suchend um. Es ist Yassin. Ich habe das Gefühl, dass mein Herz kurz aussetzt und dann doppelt so schnell weiterklopft. Irgendwo in den Tiefen meines Hirns ist mir bewusst, dass ich ihn anstarre, aber ich kann einfach nicht anders. So überrascht bin ich. Was macht er hier? Heute Vormittag schien er mich noch zu hassen?! Sein suchender Blick trifft meinen und ein Grinsen zieht sich über sein Gesicht. Zielstrebig und lässig kommt er auf mich zu. Kurz bevor er mich erreicht hat, sieht er, dass Henrik den Stuhl neben mir blockiert. Yassin sieht meinen Nachbar drohend an und gibt ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er sich verpissen soll. Zu meiner Überraschung steht Henrik tatsächlich auf und geht weg. Yassin setzt sich jetzt auf den Platz mir gegenüber. Ich kann nur zittrig atmen und mein Herz galoppiert so schnell, dass ich Angst habe, gleich umzukippen. Oh man. Ich bin echt hilflos verloren.
„Warum hast du nicht gesagt, dass du Geburtstag hast?“, fragt er grinsend.
„Äh?“, mache ich und könnte im nächsten Moment meinen Kopf auf die Tischplatte knallen. Naja, immerhin könnte ich den Oscar für die dümmste Antwort der Welt erhalten. Oder Bambi. Oder was auch immer.
„Na heute, beim Rektor? Hättest ja was sagen können.“ Ich spüre, wie er seinen Blick über mich wandern lässt. Schlagartig fällt mir wieder ein, was er zu mir gesagt hat. Ungebumste Jungfer. Ich kann es immer noch nicht fassen. „Kam mir nicht so vor, als ob du dich für irgendwas außer dir selbst interessierst“, höre ich mich selber sagen. Woher kam das denn bloß? Da sprach wohl der Tequila Sunrise aus mir… Yassin lacht kurz auf und lehnt sich dann vor.
„Ach Josefine“, sagt er und streicht mit dem Zeigefinger über meine Wange. Seine Berührung hinterlässt ein Prickeln und mir fehlen völlig die Worte.
„Du hättest mich doch einladen können“, fügt er hinzu. Dann zieht er sich zurück und steht ruckartig auf. Dabei stößt er das volle Glas um, das Henrik stehen gelassen hat. Es ergießt sich über den ganzen Holztisch und manches tropft auch auf den Boden.
„Ups, entschuldige. War keine Absicht“, sagt Yassin, doch er grinst immer noch. Dann geht er einfach weg.
„Nicht schlimm“, murmele ich ihm hinterher und beeile mich, einen Putzlappen aus der Küche zu holen. Ist nicht so, als würde es meine Mutter stören, wenn sie wiederkommt und hier irgendwas kaputt gegangen wäre, aber ich persönlich habe es schon lieber sauber. Und bevor jemand ausrutscht… Während ich mit dem Lappen auf dem Boden hocke und das klebrige Bier aufwische, kommt Ellie auf ein Mal zu mir.
„Josie…“, sagt sie aufgeregt. „Wieso sind Yassin und seine Freunde hier? Hast du sie eingeladen?“
„Sehe ich so aus?“, frage ich sarkastisch und richte mich auf.
„Nein, aber ich war das nicht. Das wollte ich dir nur sagen, bevor du mir irgendwas vorwirfst.“
„Wieso sollte ich?“ '
„Na ja, was man so hört… Wenn die sonst auf irgendeiner Party sind, passiert immer was Extremes. Ich wollte dich nur vorwarnen. Vielleicht solltest du sie rausschmeißen?“
„Na klar, gegen meine Muskeln und Autorität können die sich bestimmt nicht wehren“, sage ich scherzhaft. Ellie zieht die Augenbrauen hoch.
„Sei einfach nett zu ihnen, und lass uns hoffen, dass nichts passiert.“ Damit dreht sie sich um und verschwindet wieder zu ihrem Schweden. Ich wringe den Lappen in der Küche aus, wasche mir die Hände und gehe zurück ins Wohnzimmer. Ich entscheide, dass ich jetzt erst Mal einen Drink brauche und steuere die Bar an. Daniel lächelt mir schon entgegen. „Na Geburtstagskind, was darf’s denn sein? Noch einen Tequila Sunrise?“
„Ne, sie nimmt Sex on the Beach“, höre ich Yassins tiefe Stimme auf einmal neben mir und sofort wird mir warm.
„Und für mich Korn“, fügt er hinzu. Dann wendet er sich mir zu und grinst.
„Warum läufst du in der Schule nicht so rum?“, will er wissen und deutet auf mein Outfit.
„Weil sie das gar nicht nötig hat. Sie würde auch im Schlabberpulli und mit ungekämmten Haaren toll aussehen“, antwortet Daniel für mich. Erstaunt sehe ich ihn an, doch sein Blick ist auf Yassin fixiert.
„Hab ich mit dir geredet, du Spast?“, fragt dieser gerade.
„Tja, wer dumme Fragen stellt, verdient auch dumme Antworten“, erwidert der Barmann cool. Ellies Warnung ertönt in meinem Kopf und ich bemühe mich, einzuschreiten.
„Ach komm, beruhigt euch“, sage ich mit fester Stimme, gerade in dem Moment, als Daniel unsere Getränke rüberschiebt. Yassin kippt seinen Shot in einem Zug und knallt ihn auf die Theke.
„Sei vorsichtig, was du sagst“, warnt er Daniel und verschwindet dann zwischen den Leuten auf der Tanzfläche.
„Oh Mann, der ist aber aggressiv. Meiner Erfahrung nach geht es nie gut, wenn man solche Leute auf Partys einlädt. Woher kennst du den denn?“, fragt Daniel. Ein bisschen mulmig ist mir nach dieser Aktion allerdings auch. Ich trinke erstmal einen Schluck von meinem Cocktail – Sex on the Beach – und antworte dann: „Ich habe ihn nicht eingeladen und meine Freundin auch nicht. Keine Ahnung, woher er von der Party weiß. Er geht auf meine Schule und eigentlich ist er nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen. Ich weiß auch nicht so genau, was er hier will. Na ja, danke jedenfalls. Schätze ich.“
„Keine Ursache. Solche Typen sind mir nicht ganz geheuer. Und mal abgesehen davon, kannst du sicher trotzdem alles tragen und würdest immer noch genauso hübsch aussehen, wie jetzt.“ Mir schießt das Blut in die Wangen und ich schaue auf den Boden.
„Also ich weiß nicht…“, murmele ich, doch Daniel unterbricht mit sofort.
„Na na, keine Widerrede. Das mit dem Komplimente annehmen musst du aber noch lernen.“ Sein Lächeln ist nicht anzüglich, sondern aufrichtig und ich lächele zurück. In dem Moment kommt Ellie und zieht mich auf die improvisierte Tanzfläche.
„Josie, du kannst nicht die ganze Zeit mit dem Barmann flirten. Der ist viel zu alt für dich. An deinem Geburtstag musst du tanzen und trinken!“ Sie legt die Hände um meinen Hals und kichert. Dann fängt sie an, sich geschmeidig zur Musik zu bewegen. Es läuft Timber von Kesha und Pitbull. Ellie tanzt natürlich super und genießt die Blicke der Jungs, die sich ihr automatisch zuwenden. Ich zappele ein bisschen vor mich hin und versuche, wenigstens beim Tanzen nicht lächerlich auszusehen. Insgeheim sehe ich mich nach Yassin um, doch ich kann ihn nirgendwo sehen. Ein bisschen was von den Cocktails merke ich jetzt schon. Recht schnell gesellt sich ein Kerl zu uns, der meines Wissens Tim heißt, zu uns und hat nur Augen für Ellie. Das wird mir irgendwann zu blöd. Ich lächele ihr entschuldigend zu und will meinen Rücktritt durch die tanzenden Leute zur Bar antreten.
Doch als ich mich umdrehe, laufe ich genau in dem Moment gegen Yassin, als das Lied wechselt. Jetzt schallt Talk Dirty von Jason Derulo zu uns herüber.
„Du willst doch wohl nicht schon wieder aufhören, zu tanzen?“, raunt er und legt seine Hand auf meiner Hüfte und er schaut mir tief in die Augen. Für einen Kerl kann er sich wirklich gut bewegen. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich auf einmal sicher, lasse meine Hüften kreisen und grinse ihn an, als ich meine Arme in seinem Nacken verschränke. Als das Lied zu Ende ist, atme ich tief durch, löse mich von ihm und gehe zur Bar.
Mit geröteten Wangen und einem ungläubigen Grinsen setze ich auf einen der Barhocker. Daniel schaut mich an, als würde ihm ein Licht aufgehen.
„Du stehst auf ihn!“ Ich schüttele den Kopf, muss aber noch mehr grinsen. Daniel schüttelt ebenfalls den Kopf und sieht ein bisschen besorgt aus.
„Ich würde ja sagen, du hast was Besseres verdient, aber ich schätze, dafür ist es schon zu spät?“ Insgeheim kann ich da nur zustimmen. Also dem Teil, dass es schon zu spät ist. Aber ich grinse nur dämlich und bestelle noch einen Cocktail.
Okay. Das ist definitiv der schrecklichste Geburtstag, den ich je hatte. Wirklich. Ich hätte Ellie nicht erlauben dürfen, eine Party zu organisieren. Partys sind scheiße. Menschen sind scheiße. Mann! Es fing damit an, dass Yassins Freunde aus Versehen zwei Blumenvasen kaputt geschmissen haben. Es sind noch einige Gläser kaputt gegangen und so wollte ich das Kehrblech holen. Das ist in der Abstellkammer im Zimmer meiner Mutter.
Und als ich dort die Tür aufmachte, nichtsahnend, fand ich Yassin mit Isabelle im Bett meiner Mutter. Sie haben zwar nicht miteinander geschlafen, aber rumgemacht. Und Isabelle hatte obenrum nichts mehr an. Ich war völlig perplex und sprachlos, sodass ich erst einige Sekunden wie vom Blitz getroffen stehen geblieben bin. Und dann bin ich einfach aus dem Zimmer gerannt. Ohne Kehrblech. Mir ist schlagartig schlecht geworden und ich musste erstmal tief durchatmen, damit ich nicht auf den Flur kotze. Kurz darauf ist Yassin an mir vorbeigelaufen. Ich konnte ihn nicht ansehen, aber ich weiß auch nicht, ob er mich überhaupt bemerkt hat.
Danach rannte Isabelle Richtung Haustür, zischte mir im Vorbeigehen aber noch zu: „Vielen Dank, du Schlampe!“
„Na, wer ist hier die Schlampe?“, murmelte ich kraftlos und suchte dann nach Ellie. Sie konnte gar nicht verstehen, warum ich auf einmal keine Lust mehr auf die Party hatte. Ich konnte es ihr irgendwie auch schlecht erklären. Ich habe ihr einfach gesagt, dass sie die Party beenden soll und bin in mein Zimmer gegangen. Dort konnte ich nicht mehr gegen die Tränen ankämpfen.
Und hier sitze ich jetzt noch, als es an der Tür klopft und Daniels blonder Kopf hereinschaut. Schnell wische ich mir mit dem Handrücken übers Gesicht, um das Schlimmste zu beseitigen. Ich muss scheußlich aussehen.
„Hey du, deine Freundin hat mir erzählt, dass es dir nicht so gut geht. Sie ist gerade dabei, alle Leute rauszuwerfen. Was ist passiert?“
„Ach… nichts“, murmele ich. Daniel schließt die Tür hinter sich und setzt sich zu mir aufs Bett. Ich drehe mein Gesicht weg, damit er nicht sehen kann, wie scheußlich ich aussehe, doch er legt seine Hand an mein Kinn und dreht meinen Kopf zu sich.
„Nach nichts sieht das für mich aber nicht aus“, murmelt er und zieht eine Packung Tempos aus der Gesäßtasche. Ich schüttele nur den Kopf, um zu signalisieren, dass ich nicht darüber reden möchte, aber er geht darüber hinweg.
„Geht es um diesen Proll?“ Wieder schießen mir die Tränen in die Augen.
„Wahrscheinlich hilft es dir nicht, wenn ich dir sage, dass er es nicht wert ist und du jemand Besseres verdient hast?“, mutmaßt er und liegt damit ziemlich richtig. Auf seinem Gesicht liegt ein mitfühlender Ausdruck und er zieht mich in seine Arme.
Sofort strömt sein herber, männlicher Geruch in meine Nase und einen Moment versuche ich, mich gegen die Nähe zu wehren. Doch als er mich nicht loslässt, rutsche ich ergeben noch ein Stück näher an ihn heran und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Vorsichtig streicht er mit einer Hand über meine Haare, während er mich mit der anderen immer noch festhält.
„Josie, echt jetzt. Mach dich bitte nicht fertig wegen diesem Arsch. Ich weiß, dass es sich jetzt erstmal so anfühlt, als würde der Schmerz nie vergehen, aber es wird besser. Und glaub mir, es gibt genug Typen da draußen, die dich sofort nehmen würden. Ich glaube, du unterschätzt dein Aussehen und deine Wirkung auf Männer“, flüstert Daniel.
Erstaunt sehe ich ihn an und will eigentlich sagen, dass er das ja wohl selbst nicht glaubt, da merke ich, wie nahe wir uns sind. Ich spüre, wie eine Welle der Aufregung durch meinen Körper kriecht und kann sehen, dass es ihm ähnlich geht. Wir können unseren Blick nicht voneinander lösen. Der Alkohol hat seinen Teil zu meiner Enthemmung beigetragen und so beuge ich mich vor und lege meine Lippen auf Daniels. Er wirkt überrascht, protestiert jedoch nicht. Meine rechte Hand lege ich in seinen Nacken. Leicht öffne ich meine Lippen und sauge an Daniels Unterlippe, der überrascht aufstöhnt. Ich rutsche noch näher zu ihm, bis ich schließlich auf seinem Schoß sitze. Das Ganze fühlt sich so gut an, dass ich nicht aufhören kann. Ich küsse ihn wieder, diesmal mit Zunge und er zieht mich noch näher zu sich heran.
Ich habe schonmal mit dem ein oder anderen Typen rumgemacht, aber das war auf Partys und hat sich eigentlich auf ein bisschen rumknutschen beschränkt. Es waren immer noch ein paar Leute mit uns im Raum. Doch das hier ist ganz anders. Wir sind hier allein, in meinem Bett und ich merke, dass ich Daniel will. Und da ich breitbeinig auf ihm sitze, spüre ich, dass er mich auch will. Gerade will ich mich gegen ihn sinken lassen, sodass wir auf dem Bett liegen, da löst er sich von mir.
„Josie…“, flüstert er heiser.
„Was?“
„Hör auf. Das können wir nicht machen.“ Ernst und entschuldigend schaut er mich an. Die Zurückweisung trifft mich wie ein Schlag in den Magen und ich rutsche von seinem Schoß herunter.
„Das wäre nicht richtig“, fügt Daniel hinzu. Ich ziehe eine Augenbraue hoch.
„Und wieso nicht?“ Ich bin selbst erschrocken, wie kalt meine Stimme klingt.
„Schau mal, du willst mich doch eigentlich gar nicht. Und jetzt hast du getrunken und jemand hat dich verletzt und auf einmal machst du mit mir rum. Wenn du mich wirklich wollen würdest, wäre das okay, aber nicht wenn du Alkohol getrunken hast. Du bist Jungfrau…“
„Weißt du was, sag’s doch einfach gleich. Ich bin dir nicht heiß genug. Meine Brüste sind zu klein. Spuck‘s aus!“ Ich bin wütend, verletzt und traurig. Das ist irgendwie der zweite Korb, den ich heute Abend kriege. Aber irgendwie ist es auch verständlich. Daniel ist mindestens sechs Jahre älter als ich. Und er sieht ja auch nicht schlecht aus. Der hatte bestimmt schon hunderte von Frauen, die älter und reifer und sexier waren, als ich. Ich bin gerade mal 18 geworden. Er muss mich für ein kleines Mädchen halten.
Ungläubig schüttelt Daniel den Kopf. „Ich will dir nur einen Gefallen damit tun. Wahrscheinlich würdest du es morgen bereuen, dein erstes Mal mit dem Barmann gehabt zu haben. Und dann würdest du mich hassen, weil du mir die Schuld daran geben würdest. Und das will ich nicht. Ich mag dich, Josie.“
Misstrauisch schaue ich ihn an. Ich weiß nicht, ob ich ihm die Nummer abkaufe. Doch er legt sich auf mein Bett und zieht mich so an seine Brust, dass ich mit dem Rücken zu ihm liege. Ich schmiege mich an seinen warmen Körper und er legt seinen Arm um mich.
„Du solltest jetzt schlafen. Sicher bist du müde.“ Und da hat er sowas von Recht. Schon fünf Minuten später spüre ich, wie mich der Schlaf überkommt.
Kurz, bevor ich ins Land der Träume herüber gleite, höre ich Daniel neben mir noch flüstern: „ Und denk nicht, dass ich keinen Sex mit dir wollte, weil ich dich irgendwie unattraktiv finde. Deine Brüste sind perfekt und du wirkst auf mich viel anziehender, als du es dir vorstellen kannst. Du glaubst nicht, wie viel Beherrschung mich das vorhin gekostet hat…“ Und dann falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Texte: Alle Texte unterliegen dem Copyright by Stefanie Masuch
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Tag der Veröffentlichung: 11.01.2013
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