Es ist ein kühler Novembermorgen. Genauer gesagt, es ist Sonntagmorgen. In einem kleinen Stadtteil von Berlin wohnt die 17 jährige Melody. Sie lebt zusammen mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer Schwester in einer 65 m² Wohnung in einem der typischen grauen Wohnblocks für Berlin. Diese Gegend war nicht gerade die schönste aber sie war die billigste. An den Wänden der Häuser waren Graffities von einigen Straßengangs. In den Parkanlagen liegt hier und da eine leere Bierflaschen und in den Vorgärten waren kaputte Möbel. Genau so stellt man sich Berlin vor! Hört man genau hin, bemerkte man noch einige wenige Vogelstimmen, von Vögeln, die sich noch nicht auf die lange Reise in den Süden begeben hatten. Abgesehen davon war es ziemlich ruhig. Aber es war ja auch erst 05:00 Uhr in der früh. Doch Melody lag in ihrem Zimmer schon wach. Sie hatte ihre grünen Wesc-Kopfhörer auf und hörte mithilfe ihres Ipods ihr Lieblingslied: Bis zum Ende, von Mikroboy. Ja, sie liebte diese Band über alles. Sie liebte Musik überhaupt. Am meisten liebte sie deutschsprachige Alternative- und Indiebands. Musik hilft einem immer, egal was passiert ist. Und so sollte es auch hier sein...
Vor etwa einer Woche erfuhr ich diese eine Nachricht, die alles veränderte. Sie stellte meine ganze Lebensplanung auf den Kopf und veränderte so ziemlich mein ganzes Leben. Es war ein ganz gewöhnlicher Montag. Heute musste ich glücklicherweise nicht in die Schule, da ich einen Arzttermin hatte. Nichts besonderes, nur um zu schauen ob mit mir alles in Ordnung war. Ich stand um 10:00 Uhr von meinem gemütlichen Bett auf und ging erst einmal in mein Badezimmer um mich zu duschen. Als ich meine langen hellbraunen Haare endlich fertig geföhnt und geglättet hatte blickte ich in den Spiegel. Ich sah mich selbst. Wow, was für ein Wunder. Wen sollte ich den sonst sehen? Etwa meine Oma oder meine verstorbene Katze? Nein, ich sah mich! Ich sah meine haselnussbraunen Augen, die fast die Augen eines Rehs glichen, und meine kleine Stupsnase, die alle so unglaublich süß fanden. Was ist denn bitte an einer Nase süß? Ich brauche sie nun mal zum riechen! Mein Blick schweifte über meinen zierlichen Mund hinunter zu meinem restlichen Körper. Ich war eigentlich ziemlich schlank und war durchschnittlich groß. Ein typisches Mädchen eben, dass sich manchmal sogar recht hübsch fand und manchmal eben nicht. Schließlich verließ ich das Badezimmer und stellte mich vor meinen Kleiderschrank: Und wie jeden morgen die Frage, was zieh ich an??? Ich stand doch echt geschlagene 35 Minuten vor diesem mit Kleider gefüllten Schrank und entschied mich letzten Endes für eins meiner etlichen Band-Tshirts und eine normale Jeans. Danach begab ich mich in die Küche, wo meine Mutter schon auf mich mit dem Frühstück wartete. Meine kleine Schwester und mein Vater waren längst außer Haus. „Guten Morgen, Melody“, begrüßte mich meine Mutter mit einem kleinen Kuss auf der Wange. „Morgen“, entgegnete ich ihr noch ein bisschen verschlafen. Ich setzte mich an den Frühstückstisch, wo schon ein Spiegelei mit Toast für mich bereit stand. „Hast du schon gefrühstückt?“, fragte ich meine Mutter, die sich gegenüber von mir hingesetzt hatte. „Ja, meine Liebe, ich bin schon etwas eher aufgestanden“, antwortete sie. „Oke, wann ist der Arzttermin eigentlich?“ „Er ist um 14:00 Uhr. Ich denke wir fahren dann so gegen halb zwei los.“, sagte sie. Als ich zu Ende gegessen hatte räumte ich mein schmutziges Geschirr in die Spülmaschine und ich ging wieder in mein Zimmer zurück. Ich schmiss mich auf mein Bett und kramte mein Handy aus der Hosentasche. Es war bereits 13:00 Uhr. Ich hatte also noch eine Halbe Stunde Zeit für mich. Ich nutzte diese halbe Stunde und bereitete mich auf die bald anstehende Physikarbeit vor. „Melody kommst du bitte“, rief mich meine Mam. Ich packte schnell mein Physikzeug weg & nahm meine schwarze Lederjacke von der Garderobe. Dann ging ich mit meiner Mutter gemeinsam zur Straßenbahn, da mein Vater das Auto hatte. Wir nahmen die Bahn 406 und fuhren zu unserem Hausarzt, Doktor Schmidt. Ich war nicht einer von den Menschen, die Angst vor Spritzen oder dem Arzt hatten. Klar, war es mir unangenehm aber ich nahm es eben so hin, wenn ich mal eine Spritze bekam. Als wir bei der Arztpraxis angekommen waren gingen wir zur Empfangsdame. Meine Mam redete mit ihr kurz und schon nahmen wir im Wartezimmer platz. Nach kaum 10 Minuten Wartezeit wurden wir auch schon in das nicht gerade kleine Behandlungszimmer gerufen. Das einzige unangenehme an einem Arztbesuch ist wahrscheinlich der Geruch, so steril und so völlig fremd. Aber nagut, so etwas ist wahrscheinlich nötig. Ja, Hygiene beim Arzt ist sehr wichtig. Meine Mutter und ich setzten uns auf die schwarzen Stühle. Ich war dennoch ein bisschen nervös vor diesem Besuch, vielleicht stimmte ja etwas nicht. So genau weiß man das nie. Schließlich kam unser Hausarzt. Er reichte uns freundlich die Hand und erklärte mir und meiner Mutter, was er heute mit mir alles vorhatte. Ich wurde zunächst ganz normaler untersucht, dann musste ich auf so ein komisches Fahrrad steigen und so lange treten, bis er meinte, es reicht. Und zum Schluss nahm er mir noch Blut ab. Es war ein wenig schmerzhaft, als er die Nadel in meinen Arm stach, aber es war auszuhalten. Nach dem noch weitere Tests durchgeführt worden waren gingen wir zurück ins Wartezimmer und warteten auf die Testergebnisse. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Dr. Schmidt zu uns und begleitete uns zurück ins Behandlungszimmer. Dort nahmen wir wieder Platz. Mein Arzt schaute genau auf seine Unterlagen. Er hatte eine Brille auf und runzelte seine Stirn, als ob etwas nicht in Ordnung wäre. Nun wurde ich doch schon sehr nervös. Nach 10 Minuten des schweigens brach ich das Eis:“Was ist denn nun? Ist alles in Ordnung?“
Er versuchte sich sachlich und mit genau gewählten Worten auszudrücken:“Ich muss dir leider sagen, bei den verschiedenen Tests haben wir herausgefunden, dass du schon seit längerer zeit Krebs hast. Es tut mir Leid, du wirst wahrscheinlich nicht mehr lange leben. Du hast nun die Wahl, du kannst entweder die restliche Zeit ins Krankenhaus zur Überwachung gehen, was wahrscheinlich das beste wäre oder du kannst dein restliches Leben so verbringen, wie du es möchtest...“ Er redete und redete doch ich vernahm seine Worte nicht mehr. Es war wie ein Schlag in die Magengrube, wenn die jemand sagt, du wirst bald sterben. Ich kämpfte mit den Tränen und sah zu meiner Mutter hinüber. Ich sah in ihr schockiertes Gesicht. Sie sagte irgendetwas, doch ich hörte sie nur schwach. Plötzlich schaute mich der Arzt fragend an. Was wollte er? Ich dachte nach, sollte ich ins Krankenhaus oder lieber Spaß haben? Die Wahl viel mir ziemlich leicht. „Ich möchte nicht ins Krankenhaus! Ich möchte lieber die restliche Zeit, so viel erleben wie ich möchte!“, sagte ich sehr entschlossen. Der Arzt nickte nur und begleitete uns noch zum Ausgang. Dort verabschiedete er sich und wünschte uns beiden viel Glück. „Danke“, flüsterte ich, mit Tränen in den Augen. Als wir wieder an der frischen Luft waren nahm mich meine Mutter fest in den Arm, sie schien mich beinah zu erdrücken. Es war aber die herzlichste Umarmung seit langem. „Wir schaffen das“, murmelte sie mir in mein Ohr. Dankbar ließ sie mich endlich los und wir machten uns auf in ein Café. Ich bestellte eine heiße Schokolade und meine Mutter nahm ein Stück Kuchen und einen Kaffee. Die Bedienung brachte uns eine viertel Stunde später das Essen. Herrlich, die Schokolade duftete so himmlisch und schmeckte doppelt so gut. Wenn ich mir vorstellte, dies hier wäre meine letzte heiße Schokolade für immer, ein komisches Gefühl. Ich schob den Gedanken beiseite und fragte meine Mutter, ob ich es meinen Klassenkameraden sagen sollte. Sie sagte daraufhin nur:“Entscheide du, ob du Mitleid haben möchtest und anders behandelt werden willst oder ob du einfach wie ein normaler Mensch weiterleben willst!“ Ihre Antwort war ziemlich seltsam, doch sie ergab einen Sinn. Ich fragte mich, ob ich dann wirklich anders behandelt werde, wenn sie es wüssten. Nach einer Stunde gingen wir zur Straßenbahn und machten uns auf den Weg nach Hause. Dort angekommen wartete schon meine kleine Schwester, Lilly, und mein Vater auf uns. Er nahm mich in den Arm und fragte uns, was los sei. Er hat wahrscheinlich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Wir setzten uns alle zusammen in unser orangefarbenes gestrichenes Wohnzimmer und meine Mutter erklärte ihnen, was passiert sei. Zunächst waren sie ziemlich geschockt aber schließlich nahm mich meine gesamte Familie sehr herzlich in den Arm.
Und genau dieser eine Tag war jetzt schon eine Woche her. In dieser Woche war ich ganz normal zur Schule gegangen und hatte keinem meiner Freunde etwas von meiner Krankheit erzählt. Niemandem, nicht mal meiner besten Freundin. Ich hatte bis jetzt eigentlich ziemlich normal weiter gelebt. Außer, dass ich jeden Tag nun mehr genoss. So als wäre jeder Tag der letzte meines Lebens.
Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate – alles könnte bald schlechter werden, mein Zustand könnte sich dramatisch verändern.
Mittwoch. Bereits zwei Wochen sind vergangen. In dieser Zeit habe ich mir meinen ganzen Mut gefasst um meiner lieben Klasse endlich zu sagen was los ist.
8:00 Uhr
Ich gehe in mein Klassenzimmer. Was hab ich jetzt? Stimmt, Französisch bei meiner Klassleiterin. Wäre dies nicht der ideale Zeitpunkt?
9:30 Uhr
Ich habe mich immer noch nicht getraut. Ich suche noch nach den richtigen Worten, den wenigen Worten die ihnen alles erzählen. Gerade habe ich Pause. Meine Beste Freundin Sina redet irgendetwas mit mir.
„Also, was sagst du dazu?“ - Ich erschrecke, war wohl abgeschweift in meine Traumwelt, dann schaue ich sie leicht verwirrt an. Sie beginnt ihren Kopf ein wenig schief zu drehen und beginnt zu lachen. „Na, von welchem Jungen hast du jetzt wieder geträumt?“, frägt sie mich. „Von keinem. Ich erzähl es dir später. Ich muss jetzt los, die Pause ist bald vorbei.“ Ohne auch ihre Antwort ab zu warten bewege ich mich in Richtung Chemiesaal.
10:00 Uhr
Ich passe meinen Lehrer vor dem Klassenzimmer ab und bitte ihn, dass ich meiner Klasse noch etwas sagen muss. Er nickt nur und bittet mich herein.
10:10 Uhr
32 Augenpaare haben ihren Blick nur auf mich gewendet. Sie schauen mich voller Erwartung an und ich werde immer nervöser.
Ist doch kein Weltuntergang. Du schaffst das schon, versuche ich mir einzureden.
„Ehm, hay. Ich würde euch gerne was sagen. Mir fehlen gerade irgendwie die Worte und ich bin auch ein bisschen nervös, aber ich versuche es euch einfach mal zu erklären. Vor zwei Wochen war ich beim Arzt und dort hat man festgestellt, dass ich Krebs habe. Ich habe wahrscheinlich nicht mehr so lange zu leben, aber ich versuche nun das Beste aus meiner verbleibenden Zeit zu machen. Und ich hab gedacht ich sollte euch dies wenigstens mitteilen, damit ihr Bescheid wisst. Aber bitte, behandelt mich jetzt nicht anders oder so, als wäre meine Krankheit ansteckend. Ich bin und bleibe trotzdem noch Ich.“
Erstaunte Blicke, offene Münde, Teilnahmslosigkeit. Aber wenigstens hatte ich ihnen jetzt endlich gesagt, dass ich bald … sterben würde.
Fortsetzung Folgt!
Tag der Veröffentlichung: 13.11.2010
Alle Rechte vorbehalten