Klirrende Kälte. Der Schnee knirschte unter den schweren Stiefeln. Knirsch. Knarsch.
Kalte Eiskristalle bildeten sich in der Luft und verfingen sich im Bart des Mannes.
Die Umgebung drückte auf sein Gemüt. Die Welt war so endlos und weiß. Der Mann packte seinen Mantel und zog ihn etwas fester zu. Es war bitterkalt.
Die fünfzig Grad Minus Marke musste längst erreicht worden sein. Diese Gegend gehörte zu den unwirtlichsten Gegenden Russlands und das mochte etwas heißen. Es galt als Selbstmord im Winter länger als ein paar Minuten rauszugehen, doch er hatte keine Wahl.
Seine Familie saß hungernd in seinem Haus. Schon seit Wochen hatten sie nichts Frisches mehr zu Essen gehabt. Der Winter war früher eingebrochen als geplant und herrschte grausamer als je zuvor über die karge Landschaft.
Der Mann hatte sich die wärmste Kleidung angezogen, die er finden konnte: Seinen besten Rentierfellmantel und die Robbenlederstiefel. Es musste genügen. Es gab hier keine zweiten Chancen. Das war der Norden.
Knirsch. Knarsch. Suchend stapfte er über den zugefrorenen See. Angestrengt blickte er nach einer passenden Stelle am Eis. Es würde dünner sein müssen, wenn er es durchbrechen wollte. Angespannt sah er sich noch einmal um, dann nickte er ernst und ging in die Knie. Dieser Platz würde genügen müssen.
Er hatte keine Zeit, die Kälte hatte bereits ihre Finger nach ihm ausgestreckt, bereit ihn sofort zu Boden zu bringen. Er musste handeln. Entschlossen nahm er seine Zündhölzer aus der Tasche und machte sich an die mühselige Arbeit das Eis zum Schmelzen zu bringen. Es war anstrengend, ermüdend und dauerte lang, doch wenigstens wärmte das Feuer ihn etwas. Unzählige Minuten später, die Finger steif vor Kälte, holte er den Hammer und schlug so lange auf das Eis ein bis sich ein dezentes Loch gebildet hatte.
Jetzt kam der schwierigste Teil. Das Fischen selbst. Aber für seine warmherzige Frau und seine lebenslustigen Kinder würde er das durchstehen. Allein schon der Gedanke an sie ließ seine steif gefrorenen Glieder ein wenig auftauen. Mit zittrigen Fingern befestigte er einen Köder an der Schnur und hielt ihn ins Wasser.
Es dauerte gar nicht lange, schon hörte er ein leises: "Zapp". Die Schnur spannte sich. Da hatte einer angebissen. Ächzend zog er den Fisch aus dem Wasser und erlöste ihn mit dem Hammer. So ging es lange weiter.
Stunden später, wie es ihm schien, hatte er einen ansehnlichen Haufen zusammen. Seine Ausbeute war höher als normalerweise in den Sommern. Er konnte nur allen guten Göttern für dieses Geschenk danken. Sie konnten jeden einzelnen, kleinen Fisch dringend gebrauchen.
Der Mann machte sich bereit wieder aufzubrechen. Nicht mehr lange und die Kälte würde anfangen seine Finger und Zehen einzufrieren. Er konnte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr spüren. Sie waren taub und steif. Jeglicher Schmerz schon langst gefroren. Er kannte dieses Zeichen und wusste das er schnell ins Warme kommen musste. Hastig packte er seine Ausbeute in seinen Beutel und hievte sich schnaufend auf.
Die ersten Schritte gingen schwer und mühsam. Jeder Meter war eine Qual. Seine Knochen waren vom ganzem Hocken und der Kälte versteift, doch er wusste, er durfte nicht anhalten. Es würde leichter werden. Entschlossen kämpfte er sich voran, seinen Blick stur Richtung Zuhause gerichtet. Knirsch. Knarsch. Knirsch. Knarsch. Er begann heftig zu schnaufen. Der Winter schien ihm schon jede Energie geraubt zu haben. Tränen drohten ihm aus den Augen zu treten. Hastig unterdrückte er sie. Jetzt war keine Zeit emotional zu werden. Er durfte die Kälte ihn nicht kontrollieren lassen. Die Tränen würden nur frieren, ihn damit hindern die Augen zu öffnen und schlussendlich in den Tode führen.
Angestrengt schritt der Mann voran. Zuhause wurde er für sein Durchhaltevermögen gepriesen. Er würde sie nicht enttäuschen. Knirsch. Knarsch. Halb nach vorn gebückt, blinzelte er gegen das elende Weiß. Es war als würde er schon durch das Reich der Toten gehen. Kein Leben. Nichts. Meilenweit. Die reinste Hölle.
Der Platz an dem keiner gefangen sein wollte. Der Ort der seinem Volk Alpträume bereitete.
Knirsch. Knarsch. Er würde es schaffen! Er musste einfach. Ein Bild seiner Familie tauchte in seinem Kopf auf. Seine Kinder lachend, nach der ersten richtigen Mahlzeit seit Ewigkeiten. Seine Frau die ihm um den Hals fiel und ihn küsste.
Die Hunde fröhlich bellend und fiepend. Sein Zuhause.
So stapfte der Mann mehr und mehr taumelnd durch den weißen Alptraum. Bald erschlafften seine Gedanken. Sie froren ein. Bald konnte er seine Arme kaum mehr bewegen. Bald wurde jeder weitere Schritt zu einem beinahen Ding der Unmöglichkeit.
Nur das Bild seiner Familie im Kopf, hinderte ihn noch daran der Kälte beizugeben. Knirsch. Knarsch. Heftig schnaufend blickte er in die Distanz. Da...War das ein Licht?
Seine Schritte wurden energischer. Neue Kraft schien in seine Glieder zurückgekehrt. Knirsch. Knarsch. Eilend wankte er über den See. JA! Da war ein Licht, eindeutig. Erleichtert lachte er auf. Langsam konnte er sein Haus erkennen. Die Hunde rannten bellend hinaus. Die Kinder liefen hintendrein und schrien "Vater!".
Knirsch. Knarsch. Freudentränen rannen nun aus seinen Augen, als er vorwärts taumelte. Knirsch. Knarsch. Knirsch. Knarsch. Seine Frau kam nun aus dem Haus geschritten und lächelte ihn warm an. Sein Herz taute auf. Der Horror des toten Landes schien zu weichen. Farbe, Wärme und Liebe grüßte ihn.
Der Mann machte noch ein paar Schritte, bevor er erschöpft oder erleichtert, er wusste es nicht, in die Knie sank.
Tag der Veröffentlichung: 10.02.2011
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