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Brr! Brr! Was ist das für ein Geräusch? BRR! BRR! Es wird immer lauter. Das passt gar nicht in die Karibik. Krampfhaft versuch' ich meine Augen geschlossen zu halten. Doch dieses Geräusch wird immer lauter. Jetzt schreien sich auch noch irgendwelche Männer kurze, unverständliche Sätze zu. Entnervt schlage ich die Augen auf und blicke auf meinen Wecker. Halb sieben! Ich hätte noch eine halbe Stunde in der Karibik verbringen können. Aber wenn ich schon mal wach bin, kann ich auch aufstehen. Bei diesem Presslufthammer-Gedröhne kann ich sowieso nicht mehr schlafen. Kurz entschlossen schwinge ich mich voller Elan aus dem Bett. Um kurz darauf wieder auf's Bett zu fallen. Diese verdammte Dachschräge! Vorsichtig, mir den Kopf reibend, tapse ich ins Bad. Nur um zu sehen, dass sich auf meiner Stirn schon eine Beule bildet.
Erstmal duschen. Ich drehe den Warmwasserhahn auf.
AHH, ist das kalt! Es dauert eine Weile, bis mir klar wird: heute wurde die Heizung abgestellt. Ich beiße also die Zähne zusammen und dusche im Schnelldurchgang. Jetzt bin ich wenigstens wach. Schnell rasieren, denk ich noch, während ich die Klinge ansetze. Mist, das tat aber weh! Der Rasierschaum färbt sich um mein Kinn herum rosa.
Als ich das Bad verlasse, ziert mein Gesicht nicht nur eine Beule, sondern auch je ein dickes Pflaster am Kinn und an der Wange. Der Tag fängt ja schon super an. Im Schlafzimmer streife ich mir meine helle Anzughose über und schlüpfe in mein Hemd.

Noch mit den Knöpfen meines Hemdes kämpfend, betrete ich die Küche. Eigentlich ist heute doch ein schöner Tag: Das Sonnenlicht strahlt durchs Fenster und sogar mein einsamer Petersilientopf auf der Fensterbank leuchtet fröhlich. Ein Relikt aus der Zeit meiner „ins-Essen-gehören-frische-Kräuter“-Ex-Freundin. Warum ich das Ding noch besitze, ich weiß es nicht, aber in einem plötzlichen Anfall von Fürsorge stürme ich jetzt hinüber, um es mit seiner allmonatlichen Wasserration zu ertränken. Was sich angesichts der, bei näherem Hinsehen äußerst gelblichen Blätter dann aber doch als nicht notwendig herausstellt.
Stattdessen könnte ich ja mal ein wenig lüften, um den üblichen Mief zu vertreiben. Ich öffne also das Fenster, atme tief ein und… huste. Die staubige Luft der Baustelle vor dem Haus bringt mich fast zum Ersticken! Dazu der ohrenbetäubende Lärm. Bloß schnell wieder zu mit dem Fenster und das gute alte Radio als Gegenlärmquelle eingesetzt. Ich zappe durch die verschiedenen Kanäle: WDR2 – nur Rauschen. 1live – auch Rauschen. WDR4 – funktioniert optimal. Was habe ich nur getan, dass du mich so strafst, o Herr? Am liebsten würde ich den verdammten Kasten aus dem Fenster pfeffern und dem Presslufthammer überantworten. Aber vielleicht kann mich ja ein frischer Kaffee wieder aufheitern.
Also Schrank auf, bäm!-Kopf gestoßen, Kaffeepulver rausgeholt und in eine Tasse gelöffelt. Das Doppelte der empfohlenen Menge.
Ein Klacken ertönt. Der Wasserkocher scheint mir sagen zu wollen, dass er es geschafft hat, heißes Wasser zu produzieren – ganz zwischen- und stromausfallslos. Die gefüllte Tasse begleitet mich dann zum Tisch und ich höre nur ein noch ein fieses Klirren.
Das darf doch alles nicht wahr sein. Ein Piepsen meiner Uhr bestätigt mir zu allem Überfluss, dass ich nur noch drei Minuten habe, um mir kaltes Wasser auf die Hände zu schütten und eine frische Hose anzuziehen. Nach guten fünf (aber gefühlten zwei) knalle ich schließlich die Wohnungstür hinter mir zu.

Hoffentlich bekomme ich die Bahn noch. Mein Handy kann mir bestimmt sagen, dass ich es noch schaffe. Ich greife hastig in meine Jacke, während ich die Treppe runter renne. Nicht da. Hektisch taste ich alle Taschen ab. Nirgends. Es ist nicht zu finden.
Ich stehe jetzt unten im Hausflur. Soll ich nochmal hoch rennen, dass doofe Ding suchen oder verzichte ich darauf? Wenn ich es jetzt holen würde, käme ich garantiert zu spät.
Also stürme ich aus der Tür raus und lande direkt mit einem lauten Krachen auf der Nase. Heute ist echt nicht mein Tag. Als ich mich aufraffe, verbeißt sich zu allem Überfluss eine knurrende Töle in meine Hose, muss wohl an der Leine hängen geblieben sein. Das Herrchen zerrt unter Entschuldigungen den Köter von mir weg. Würde der Typ nicht selber im Weg stehen, wäre er vielleicht hilfreicher. Wieder auf den Beinen, mache ich mir erstmal den Weg frei. Bloß keine Zeit verlieren.
Bissspuren, neue Flecken auf der Hose und die zahlreichen Blessuren von vorhin versuche ich zu ignorieren. Jedoch sehe ich schon den Blick des Chefs, wenn ich so zur Arbeit erscheine... egal, Hauptsache nicht schon wieder zu spät. Eilig haste ich weiter.
Wieder auf's Beschleunigen konzentriert, sprinte ich so schnell ich kann.
Die Straße entlang, über die Kreuzung, durch den Tunnel und dann nur noch die Bahnhofstreppe hoch zum Zug. Das muss ich schaffen, das werde ich schaffen. Ich bin bestimmt nicht zu spät. Alles um mich herum ist nur noch ein einziges Rauschen. Aber bei Gott, da ist die Treppe, erreicht ohne weiteren verdammten Sturz.
Doch das Tempo bereue ich jetzt, mein Herz rast, mein Atem ist nur noch ein Keuchen, nicht einmal klar sehen kann ich und die Treppe ist gigantisch, jede Stufe scheint ein unüberwindbares Hindernis zu sein.
Allein der Gedanke an meinen Chef, wie er sagt: ,,Das war's! Räumen Sie ihr Büro.“, bringt mich dazu, weiter zu gehen.
Oben, gescha -eiße! Der Zug ist schon da. Ich stürze los, erreiche den Zug und hämmere auf den Knopf an den geschlossenen Türen. Geht auf, oh bitte geht auf. Aber nein, die Bahn fährt ratternd an und lässt mich gnadenlos zurück.
Wofür bin ich jetzt so gerannt, um dem Schaffner zu Winken?

Verdammt noch mal, läuft den heute alles schief?! Noch einmal drehe ich mich um und betrachte die Schienen und die vielen wartenden Menschen, die unbeteiligt in der Menge stehen. Niemand bemerkt meine Wut. Fast bin ich geneigt aufzugeben, wäre ich doch heute nur im Bett geblieben.
Entmutigt trete ich nach einer leeren Dose und werde zum Dank mit dem Rest der klebrigen Flüssigkeit im Innern begossen.
Ich gehe nach Hause. Die Sonne scheint, als wolle sie mich verhöhnen. Die Hände in den Taschen stiefele ich meines Weges, als mir plötzlich eine letzte Hoffnung in den Sinn kommt.
Ich muss an das alte Mofa meines Vaters denken. Es war ein Geschenk, doch irgendwann hatte es dann doch seinen Weg in die Garage gefunden.
Meine Miene hellt sich auf und ich beschleunige meinen Schritt. Ich stürme nach einem Sprint, um den peinlich gepflegten Rasen von Frau Rosendahl und zu meiner Garage.
Die Farbe blättert ab, aber das ist mir heute egal. Ich stemme die Garagentür nach oben. Nur selten schließe ich sie ab, denn außer dem alten Mofa stapeln sich dort nur Dinge aus meiner Kindheit, sowie der Müll aus vielen Jahren und – seien wir ehrlich – wer möchte den haben?!
Ich bahne mir einen Weg zu dem Mofa und bekomme es nach einigem Ziehen und Schieben aus der voll gepackten Garage heraus.
Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich endlich draußen bin und das Mofa betrachte. Es ist alt und staubig und ich habe Angst es schief anzuschauen.
Dennoch steige ich auf den Sattel und betätige nach meinem letzten Stoßgebet den Motor.
Er springt an und das Mofa summt glücklich, während ich meinen angehaltenen Atem ausströmen lasse.
Ich düse um die Ecke während Frau Rosendahl um die Ecke kommt und mir gerade noch zuruft: „Ein wunderschöner Samstagmorgen. Finden Sie nicht auch?“

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Tag der Veröffentlichung: 13.01.2011

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