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Abtreibung

Aus gegebenem Anlass schreibe ich etwas über Abtreibung. Hintergrund ist der beispiellose Einsatz der demokratischen Senatorin Wendy Davis gestern in Texas:

http://www.stern.de/politik/ausland/marathon-rede-gegen-abtreibungsgesetz-standwithwendy-2030058.html

Grundsätzlich ist eine Entscheidung zur Abtreibung aus zwei Ansätzen heraus schwierig, die jeder Mensch für sich selbst gegeneinander aufwiegend betrachtet. Der erste wird ohne echte Empathie betrieben, und wenn dann nur vor-empathisch, bezogen auf das Leben welches genau genommen noch nicht existiert. Es geht um das ungeborene Kind, dessen Leben man vor seinen Augen hat und dessen Existenz man mit seinen persönlichen Vorstellungen vom Wert von Leben verteidigt. Was aus dem Kind werden könnte, das es einzigartig sein wird und womöglich sein Lebendig-sein, seine Lebensqualität, genießen kann, im besten Falle sogar der Menschheit einen Dienst erweisen könnte. Das Leben des Kindes wird kostbar sein, für das Kind selbst und andere, zu kostbar um irgendjemandem (die Mutter eingeschlossen) zu erlauben es zu vernichten, bzw im Vornherein zu beenden. Problematisch an dieser Ansicht ist, das die Mutter des Kindes, als bereits existente Person, gleichzeitig ignoriert und außer Acht gelassen wird. Sie ist tatsächlich ebenfalls ein Lebewesen, dessen Existenz durch genau die grundlegenden Vorstellungen schützenswert sind, die man für das ungeborene Kind für sich, im vorhergehenden Gedankengang, festgelegt hat. Was wenn durch die Geburt des Kindes schwere Einschnitte im Leben der Mutter die Folge sind, ihre Lebensgrundlage, Lebensqualität und Lebenssinn, stark einschränken, erschweren, oder im schlimmsten Fall, sogar vernichten würde? Wenn man einem ungeborenen Kind ein Recht auf Leben eingesteht, darin enthalten ein Recht auf Lebensqualität, muss man dieses Recht auch der Mutter eingestehen. Ohne diesen Schritt kommt die Betrachtung des Kindes im Leib der Mutter der Betrachtung eines Fötus im Reagenzglas gleich, was jeglicher menschenrechtlicher Grundlage entbehrt.

Der zweite hat tatsächliche Empathie zur Grundlage, mit welcher man sich in die Mutter hineinversetzt um verschiedene Hintergründe, welche zu einer Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung führen könnten, theoretisch für sich nachstellt. Populärstes Beispiel ist dabei die Situation einer Frau, die durch Vergewaltigung schwanger wird und sich, unter anderem aus emotionaler Zerrissenheit, gegen das Austragen des Kindes entscheidet. Kaum ein vernunftbegabter, aufgeklärter und zu Emotionen fähiger Mensch hat große Schwierigkeiten, sich die Härte einer solchen Situation vor Augen zu führen, bei der das Verständnis für eine Entscheidung zur Abtreibung vergleichsweise leicht fällt. Derartige Fälle punkten zu Gunsten der Mutter, weil sie durch den Gewalteinfluss eine eher nachvollziehbare Grundlage bilden, ergo durch Empathie gut zu erfassen sind. Mit anderen Worten: Es ist nicht viel nötig um zu verstehen, warum das Austragen und Aufziehen eines Kindes, gezeugt durch Vergewaltigung, abgelehnt werden könnte, egal wie wertvoll das Leben des Kindes dabei immer noch ist. Viele Fälle von Entscheidungen für eine Abtreibung werden jedoch auf ähnlich dringlichen Grundlagen getroffen, bei der die Empathie nicht sofort, oder gar nicht anschlägt, weil nicht alle Details, die zum Abtreibungswunsch geführt haben, geäußert werden, oder der Grund für den Einzelnen nicht leicht nachvollziehbar ist. Problem dabei ist die Empathie an sich, dessen Grenzen in unserer Individualität begründet liegen. Die Fähigkeit und Intensität des Einfühlungsvermögens ist nicht nur von Person zu Person unterschiedlich ausgeprägt, zudem sind Gefühle und Gedanken als Grundlage für und wider verschiedener Entscheidungen, zugunsten oder gegen Entitäten und Zustände Einzelner oder Gruppen, auch oft (ich tendiere sogar dazu zu sagen immer) nur individuell, soll heissen, rein persönlich, tatsächlich nachvollziehbar. Was in einem anderen vorgeht, ist für einen selbst nur in soweit Zugänglich, wie der andere in der Lage ist auszudrücken, was in ihm vorgeht. Das gilt für jeden von uns. Selbst bei guter Beschreibung von inneren Zuständen kann man nie genau wissen, wie sehr man dem Zustand seines Gegenüber tatsächlich nahe kommt, bzw. den Zustand seines Gegenüber nachvollziehen kann. Durch Empathie zu verstehen warum sich eine schwangere Frau für oder gegen eine Abtreibung entscheidet, sich in ihre Gründe hineinzuversetzen, ist also nur bedingt bis gar nicht möglich, egal wie stark oder schwach empathisch man befähigt ist und denkt die Situation, in der sich die Schwangere befindet, erfasst zu haben. Urteile über eine Abtreibungsentscheidung zu fällen ist auf empathischer Grundlage demnach unhaltbar und sollte aus Respekt vor individuellen Entscheidungen nicht Argument zur Verurteilung einer Entscheidung von Schwangeren zu oder gegen eine Abtreibung sein.

Einer der Aspekte, welche mit den eben genannten Ansätzen diskutiert werden, schließt die Feminismus-Debatte der Abtreibunsproblematik mit ein. Männer sind als mit-Verantwortliche für eine Schwangerschaft ein Teil der Entscheidung für oder gegen die Geburt des Kindes, sollten demnach auch nicht grundsätzlich aus der Thematik einer gesetzlichen Regelung zur Abtreibung ausgeschlossen werden. Was Beratung und Unterstützung der Schwangeren vor einer Abtreibung angeht, stimme ich vollkommen zu. Dagegen argumentiere ich jedoch, dass Männer, die sich gegen die Entscheidung der Schwangeren zu einer Abtreibung hinwegsetzten wollen, nicht besser argumentieren als solche, die nach dem “Fötus im Reagenzglas” Prinzip argumentieren. Wird das hypothetische Leben des ungeborene Kindes, mit Argumenten für die Erhaltung von Existenz, eingeschlossen Leben, bzw. Lebensqualität, über das Leben der tatsächlichen Existenz der Schwangeren gestellt, ist das menschenverachtend und entbehrt jeder ethischen Grundlage. Da Männer faktisch bisher keine Möglichkeiten haben selbst Kinder zu gebären, kann ich jedoch ihre Verzweiflung und Angst nachvollziehen, jedes Recht über den Verbleib ihres noch nicht geborenen Kindes zu verlieren. Sollte ihnen das Leben eines hypothetischen Kindes dabei aber mehr Wert sein als das tatsächliche Leben der Frau die es austrägt, haben Männer heutzutage verschiedene Möglichkeiten Leihmütter und andere Frauen zur engagieren, die ihnen freiwillig Kinder schenken können, und ihnen dabei genau so wenig bedeuten wie die Frau, über dessen Recht auf Selbstbestimmtheit sie sich sonst versuchen würden hinwegzusetzen, falls diese sich für eine Abtreibung entscheidet.

Einer der Hauptaspekte der Debatte über Abtreibungen bezieht sich auf die allgemeine Ansicht, Abtreibungen wären ein direktes Töten einer individuellen Existenz, gleichzusetzen mit der mutwilligen Tötung von tatsächlichem Leben, das erhaltenswert ist. Bezogen auf die Debatte in Texas kann man festhalten, das diese Ansicht auch in modernen Zeiten als Grund gesehen wird, Frauen die Selbstbestimmung über ihren Körper abzusprechen. Ich kann das Argument des Tötens, auf der Grundlage dass Töten an sich etwas Schlechtes ist, und des Verlustes von Leben im Bezug auf Föten nachvollziehen, sofern es sich um Föten in einem fortgeschrittenen Stadium handelt, bei welchen die tatsächliche Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung bereits hinter der Mutter liegt. Wann genau der Fötus dabei zu einer tatsächlichen Existenz wird, lege ich dabei nicht weiter fest, möchte aber festhalten, das sich viele Kritiker bereits in einem frühen Stadium der Schwangerschaft, oft kurz nach der Empfängnis und damit vor (oder während) des Entscheidungsprozesses für oder gegen eine Abtreibung, bereits auf den Fötus als tatsächliches Leben beziehen. Es wird von Verlust des Lebens gesprochen und davon, das man eine potentielle Chance auf Leben vernichtet. Problematisch finde ich diese Aussage, wenn man darauf achtet wie zwiespältig sie in der modernen Gesellschaft als Argument verwendet wird. Ungeborenes, potentielles Leben wird zu Millionen von Gelegenheiten verloren, faktisch nach jedem mal Sex bei dem verhütet wird, also Eizelle und Spermien absterben. Über diese Art von Tötung hypothetischer Existenzen sind moderne Kulturen schon hinaus, Verhütung ist mittlerweile kein Verbrechen mehr und allgemein anerkannt. Selbst die katholische Kirche hat bereits einen Schritt in Richtung Verhütung eingestanden. Warum also bezieht man sich in Texas und anderswo allgemein weiterhin auf das Argument, auch frühe Abtreibungen wären unmoralisch, weil man hypothetisches Leben verliert, bzw tötet? Müsste man gemäß einer solchen Ansicht nicht auch Paare verurteilen, die nicht 20-30 Kinder in ihrem Leben zeugen, allein weil sie theoretisch dazu in der Lage wären, es aber nicht tun? Was wäre mit dem Verbot von Sex bei Minderjährigen, oder der moralischen Fessel des konservativen “Kein Sex vor der Ehe”? Auch Kinder selbst wären eine potentielle Gefahr von weiterem, hypothetischem Leben, da ihre Anwesenheit im Elternhaus Elternpaare oft davon abhält miteinander zu schlafen. All diese, teils lächerlich anmutenden, Beispiele zeigen, es gibt moralisch vertretbare Gegebenheiten, in denen moderne Gesellschaften das Verlieren von potentiellem Leben allgemein duldet, es gegenüber Frauen und Abtreibungen jedoch gerade zu heuchlerisch zu deren Nachteil einsetzt. Man könnte argumentieren, das eine befruchtete Eizelle bereits ein eingeleiteter Prozess zur Entwicklung von Leben ist und deshalb unter Tötung fällt, und nicht mit dem Verhindern von Geschlechtsverkehr, und damit Verlieren von hypothetischen Leben, zu vergleichen ist. Dagegen spricht jedoch, dass eine befruchtete Eizelle sich nicht immer zwangsläufig zu einem voll entwickelten Lebewesen entwickelt. Eine befruchtete Eizelle stellt kein unumstößliches Argument für die Entstehung eines Menschen dar, Krankheiten und Fehlgeburten gibt es auch in der Medizin hoch entwickelter Kulturen. Es gibt keine 100%ge Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich eine befruchtete Eizelle, bzw. ein jungerFötus, in ein gesundes Menschenbaby entwickelt. Das Argument von Verlust potentiellen Lebens ist demnach nicht mehr unumstößliches Argument gegen Abtreibung, als die Verhütung in modernen Gesellschaften eine Tötung von hypothetischem Leben darstellt.

Zum Schluss möchte ich näher auf die Debatte in Texas eingehen, bei der es laut eines Gesetzentwurfes #SB5 der Republikaner unter Anderem inhaltlich darum ging, Frauen das Recht auf Selbstbestimmung im Bezug auf Abtreibungen abzusprechen. Konservative Werte zu bewahren kann sein Gutes haben, im Bezug auf Menschenrechte wie Selbstbestimmung muss jedoch eine deutliche Grenze zwischen dem gezogen werden, was man schon immer getan hat und dem, was man schon immer hätte tun sollen. Moralische Gesetze, wie die aktuelle Debatte über Abtreibung, brauchen gesunden Menschenverstand anstatt religiösem Fanatismus und/oder konservativem Lobbyismus um den Fortschritt von Gesellschaft anzutreiben. Die Entscheidung ob und warum Frauen das Leben in sich austragen möchten, ihr Leben durch ein Kind verändern möchten, oder auch nicht, sollte man grundsätzlich den Betroffenen überlassen, eben jenen Schwangeren, um dessen Körper es sich handelt. Alles andere wäre ethisch motivierte Leibeigenschaft und/oder Sklaverei, für dessen Abschaffung die Republikaner selbst damals in den Bürgerkrieg zogen. Über den Kopf von Schwangeren hinweg zu entscheiden und Müttern ihr Recht auf Selbstbestimmung abzusprechen, weil die Rechte eines potentiellen und hypothetischen Lebens, das nur wahrscheinlich in ihnen heranwachsen wird, über ihre eigene, tatsächlich existierende, ebenfalls lebendige Entität gestellt wird, ist menschenrechtlich verwerflich und falsch.

Der Mut und Einsatz der Senatorin Davis scheint da wie ein Leuchtfeuer im Dunkel dieser konservativen Thematik, ohne das Texas heute morgen ein dunklerer Ort wäre.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.06.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Anje, die mich nie aufgibt.

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