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Gedanken töten Menschen


01. Der Kindheit glückliche Spiele
Straße. Liz auf dem Heimweg nach der Schule. Patty und Lilo begleiten sie.



Lilo:

Und da sag ich zu ihm: Ne, alta, das kannste voll und ganz knicken. Ich hab ja nun auch irgendwo Ansprüche, nä? Ich fick' auch nicht mit jedem x-beliebigen Gangster, oder?
Patty:

Na, der Kalle damals ...
Lilo:

Kalle, Kalle war der dümmste Idiot der ganzen Region! Mal im Ernst, ich hab schon interle...intekte...
Liz:

Intellektuellere?
Lilo:

Genau. Ich hab schon intellektuellere Steine gesehen. Der Typ kann doch nicht mal Eins plus Eins rechnen, ohne Hilfe, meine ich. Und seine Alte, ey, die war so eine Hexe. Das ging ja mal gar nicht klar.
Liz:

Ich dachte er war damals deine große Liebe?
Lilo:

Ach, leck mich doch. Ihr wollt mich doch nur provozieren. Merk ich doch schon. Fickt euch.
Patty:

Mädels, chillt ma'. Wollen wir noch zu Mecces?
Lilo:

Nix is'! Ich bin auf Diät, Pat. Wenn ich mir jetzt 'nen Whopper reindrück, hab ich sechs Wochen umsonst so gut wie nix gefressen. So fett wie ich bin...
Liz:

Du bist doch nur noch Haut und Knochen, ich weiß gar nicht...
Lilo:

Kopp zu! Ich weiß, wie ich ausseh. Und ich bin zu fett, basta. Außerdem...
Patty:

Fuck. Da drüben! Der mit der Basecap! Ist das nicht der Ex von Sabrina?
Liz:

Wie hieß er noch? Till?
Lilo:

Jo, Till hieß der. Wichser. Fickt sie und lässt sie dann liegen, dem würde ich den Schwanz in den Fleischwolf stecken und an ihn selbst verfüttern. (An Till) Glotz nicht so, Wichskopf!!
Patty:

Nu' benimm dich doch mal, wir sind hier nicht im Ghetto, alta! Die Leute gucken schon.
Lilo:

Sollen sie doch gucken! Die glotzen mich doch eh alle an! Die Kerle auf die Titten, die Tussen auf die Klamotten!
Patty:

Thema Klamotten, kommt ihr nachher mit? Daisy und ich wollen shoppen gehen, drüben am Park hat ein neues Modegeschäft aufgemacht. Haben nette Klamotten da, alles original Markensachen. Chavo kommt vielleicht auch mit.
Lilo:

Wenn diese Knoblauchbratze kommt, kannste mich vergessen. Der...
Patty:

Ist ja okay, dachte nur. Weil ... da gibt’s nämlich was von Gucci, das magste doch so.
Lilo:

Fuck, Gucci ist geil. Na, ma' schaun.
Patty:

Was ist mit dir, Liz? Bock?
Liz:

Nein ... leider nicht. Ich muss ... heute zum Arzt.
(Kurzes Schweigen)
Liz:

So, da sind wir. Schönen Tag noch, Mädels! Bis morgen!
Patty:

Machs gut, Lizzy.
Lilo:

Bye, Liz.
(Liz verschwindet im Haus, Patty und Lilo gehen weiter)
Lilo:

Sie hat gelogen, die muss doch nie im Leben heute zum Arzt.
Patty:

Ich weiß auch nicht, was mit der wieder los ist. Seit Ben ihr 'nen Korb gegeben hat, ist die wohl nur noch am Heulen. Wie damals, als ihr Steven den Laufpass gegeben hat.
Lilo:

Weißte was, Pat? Männer sind alle asoziale Pisser.


02. Stillschweigende Ruhe
Haus von Liz.



Liz:

Mama? ... Papa? Jemand da?
(Stille)
Liz:

Wo die wohl wieder stecken ...
(Liz legt ihre Tasche ab, zieht ihre Jacke aus und geht in Richtung Küche)
Liz:

Und zu essen hat sie auch nix gemacht. Kuh, elende. Super.
(Das Telefon klingelt)
Liz:

Natürlich, immer wenn man gerade anderes zu tun hat.
(Das Klingeln hält an)
Liz:

Wenn's jetzt sie is'?
(Eilt zum Telefon)
Liz:

Bujkovic.
Polizist:

Polizeirevier am Teich, Warhol mein Name. Spreche ich mit Elisabeth Bujkovic?
Liz:

J-Ja. Was ist passiert?!
Polizist:

Hat ihre Mutter Sie nicht informiert?
Liz:

Informiert? Worüber?
Polizist:

(Klingt leicht verwirrt) Soll das heißen, Sie wissen nicht, dass gestern die für Ihren Vater ausgesetzte Meldepflicht abgelaufen ist?
Liz:

Was für eine Meldepflicht? Wovon sprechen Sie??
Polizist:

Oha. Kommen Sie bitte umgehend hierher. Zimmer Zwei-Drei, fragen Sie in der Halle nach. Beeilen Sie sich bitte, es ist dringend.
Liz:

Was ist denn ... aufgelegt. Klasse, was geht denn jetzt ab.


03. Zimmer Dreiundzwanzig
Auf dem Revier. Zimmer Dreiundzwanzig. Verqualmte Luft, spärliche Einrichtung. Zwei Polizisten stehen an der Tür. Polizist, Mutter und Liz am Schreibtisch.



Polizist:

So, Frau Bujkovic. Ihre Tochter ist jetzt hier.
Mutter:

(Mit schwerer Zunge) Was soll die Göre denn hier?
Liz:

Mutter?! Hast du etwa getrunken?
Polizist:

Getrunken ist untertrieben. Um es mal in der heutigen Jugendsprache zu sagen, deine Mutter war total dicht. Inzwischen geht es wieder.
Liz:

Was ist denn passiert? Warum soll ich hier sein? Wo ist Papa?
Mutter:

Fragen. Fragen! Diese Kind kostet mich noch den letzten Nerv. (An Liz gewand) Deine Schwester war da viel pflegeleichter. Hat nie was gefragt. Hat alles gewusst. Kein Wunder, dass die besser in der Schule war. Aus dir wird eh nie was werden. Du endest noch auf dem Strich!
Polizist:

Frau Bujkovic, ich darf Sie doch bitten. Lassen Sie ihren Kummer nicht an ihrer Tochter aus.
Mutter:

Und Sie scheiß Bulle hören auf mir zu erzählen, wie ich mein Kind zu erziehen hab'!
Polizist:

Na, nun ist gut. (Steckt sich eine Zigarette an) So, Elisabeth, ich werde dich wohl aufklären müssen. Wenn deine Mutter das schon nicht getan hat ...
Mutter:

Halt deine verdammte Bullenfresse! (Springt auf, doch die Polizisten an der Tür haben sie blitzschnell im Griff)
Liz:

Mutter ...
Polizist:

Bringt sie in die Ausnüchterungszelle. Anders hat das keinen Sinn.
Mutter:

Ihr scheiß Bullen! Ich bring' ich euch alle um! Ihr scheiß Frauenfeinde, lasst mich los! Hilfe! HILFE! Hört mich hier keiner! Die entführen mich! Polizei! (Ihr Gepöbel wird leiser, bis es mit dem Schließen der Tür verstummt)
Polizist:

Gut. Jetzt kann ich vielleicht endlich erklären, was hier passiert. Also, Elisabeth. Dein Vater hatte vor über einem Monat einen Gerichtstermin. Na, lass mich bitte ausreden. Danke. Stört dich der Rauch? Einen Moment. (Öffnet das Fenster einen Spalt) Nun denn. Kommen wir zur Sache. Bei diesem Gerichtstermin wurde dein Vater aus Mangel an Beweise freigesprochen. Raubkopien hat er hergestellt, ja. Hatte ich das schon erwähnt? Nein? Gut, dann jetzt. Der Schaden beläuft sich auf (Schlägt einen Aktenordner auf) den fünfstelligen Zahlenbereich. Filme, Alben, Spiele. Das Neuste vom Neusten. Hat er alles im stillen Kämmerchen heruntergeladen und auf CD und DVD gebrannt. Drei Jahre lang. Na ja, Fakt ist: Einen Monat nach dem Freispruch hat sich der Verdacht wieder erhärtet. Also wurde sein Rechner beschlagnahmt und dieses Mal haben sie etwas gefunden. Prozess wieder aufgelegt und für fünf Jahre verknackt. Bäm.
Liz:

(Absolut geschockt) Papa ... Das kann nicht sein!!
Polizist:

Oh, ich fürchte, es ist so. Schnellverfahren. Erst hat er 'nen Kinderschänder zu vier Jahren verknackt, dann deinen Vater. Macht zusammen neun Jahre. So lange bin ich schon in dem Büro hier, lustig, gell?
Liz:

(Ihr kommen die Tränen) Und was mach' ich jetzt?
Polizist:

Eigentlich würden wir dich jetzt bei Verwandten einquartieren. Aber deine Mutter ist spätestens morgen wieder nüchtern. Die hat hier besoffen randaliert. Mach' dir 'nen schönen Tag. Hat 'rumgebrüllt und ... na ja, sie hat sich wie eben benommen. Wollte deinen Vater aus dem Knast holen. Nur ist der nicht hier, aber das hat sie nicht verstanden. Alkohol halt. Diese ganzen Suchtmittel soll doch der Teufel holen. (Drückt seine Zigarette aus)


04. Blut ist Leben
Liz' Zimmer. Spätabends. Liz sitzt auf dem Bett. Ihr linker Oberschenkel liegt frei. Zahlreiche Schnittwunden, älteren und jüngeren Ursprungs, liegen blank. In der Hand hält sie eine dünne Rasierklinge. Sie weint.



Liz:

Papa ... Mama ... Warum ... Warum muss das alles mir passieren? Was mache ich denn falsch? Immer muss alles schief gehen. (Sie zieht die Klinge zwei-, dreimal über ihren Oberschenkel, es blutet und klafft ein bisschen)
Dieses ganze Leben ist doch überflüssig. Alles geht falsch. Alles, was ich liebe, vergeht. Ben. Steven. Lloyd. Mama. Papa. Senna. Ach, Schwester, warum bist du nicht hier ... Oma, Opa ... warum habt ihr mich nicht mitgenommen. Warum lasst ihr mich hier alleine zurück? Ihr ward doch stets für mich da. (Weitere Schnitte folgen, sie entkrampft sich langsam. Die Tränen werden immer mehr)
Macht, dass es endet! Ich will nicht mehr. Ich will nicht mehr!! Ich kann nicht mehr!! Das ist mir alles viel zu viel. (Schnitte.)
Blut. Ich lebe noch. Aber ich will nicht mehr leben! Es muss enden ... schnell.
(Sie setzt die Klinge zögernd an die Schlagader an der Hand. Kurz hält sie inne. Dann lässt sie die Klinge am Arm herunter fahren und schneidet sich mehrmals in den Unterarm.)
Ich kann es nicht. Selbst das kann ich nicht. Ich bin wertlos. Ich kann nichts und ich geben niemandem etwas. Mein Leben ist verwirkt. Mein Leben war nie etwas wert. Bin ich je geboren? Bin ich vielleicht immer tot gewesen? Nein, das Blut. Blut ist Leben. Ich lebe. Ich darf nicht sterben, obwohl ich will. Es muss gehen.


05. Hure. Strichmädchen. Nutte.
Liz' Zimmer. Vormittags. Liz liegt im Bett und ist gerade aufgewacht. Am Arm und am Oberschenkel verbergen Verbände aus vielen Schichten Toilettenpapier die Wunden. Durch die Vorhänge scheint die Sonne in das Zimmer. Es klingelt an der Haustür.



Liz:

Was zur ... ?! (Sie fährt hoch) Hat es gerade geklingelt? (Es klingelt erneut) Verdammt! Shit! (Sie springt hoch, zieht sich rasch einen Bademantel über und rennt zur Haustür)
Wenn das jetzt nichts Wichtiges ... (Tür auf) SENNA?!
Senna:

Hallo kleine Schwester.
Liz:

Was ... Wieso ... Wie siehst du denn aus?
Senna:

Ich freue mich auch dich zu sehen und ja, ich komme gerne herein. (Sie schiebt sich an Liz vorbei)
Liz:

Was machst du denn hier?
Senna:

Ich dachte, ich komm' mal meine geliebte kleine Elisabeth besuchen und steh' ihr in den Zeiten der Not bei. Habt ihr Schnaps hier? Papa hat doch immer irgendwo seinen Scotch. Bring' mir den mal, ich hatte eine lange Nacht.
(Liz holt und bringt die Flasche aus einem Schrank)
Soll ich aus der Flasche trinken, oder was? ... Na gut, er würd's auch so machen. (Sie trinkt) Ah, da ist man doch gleich ein ganz neuer Mensch. Nein, denke gar nicht daran. Du nicht. Du bist noch nicht mal Sechzehn. Wenn ich mitkriege, dass du trinkst, erzähl ich das Mama, capito?
So, und nun erzähl mal, was hier gespielt wird. Daddy sitzt im Knast und Mama in der Ausnüchterungszelle? Stimmt das, was der Bulle mir am Telefon erzählt hat?
Liz:

J-Ja. Weil ... wegen Papas vielen Downloads.
Senna:

Scheißstaat. Verknacken den kleinen Mann. Aber die Großen lassen sie laufen. Industriespionage, Steuerbetrug, Kinder ficken ... unwichtige Kavaliersdelikte, aber Raubkopierer, die schädigen das Volk. Wenn du schlau bist, Liz, hauste aus diesem Land ab, sobald du kannst. Sonst kommste in' Bau, weil du rote Schuhe zu einer Jeans getragen hast und das neuerdings illegal ist, solange du nicht genug Millionen auf dem Konto hast, um das Schmiergeld zu zahlen.
Aber anderes Thema. Groß biste geworden, wir lang war ich schon nicht mehr ...
Liz:

Drei Jahre fast. Was guckst du? (Sie folgt dem Blick ihrer Schwester. Ihr Ärmel samt Verband ist verrutscht. Die Wunden liegen frei.)
Senna:

Warst du das?!
Liz:

Nein, ja ... Ich ...
Senna:

Du ritzt dich? (Lacht) Wenn ich das Mama erzähle ... DIE wird sich freuen! (Sie nimmt einen weiteren Schluck)
Liz:

Nein! Sag' es nicht Mama! Bitte nicht, ich flehe dich an!!
Senna:

Dann hör' auf mit dem Scheiß. Kinderkacke ist das. Macht nichts besser. Ist wie Kiffen. Kostet unnötig Zeit und bringt nix, außer 'nem früheren Tod. Lieber arbeite ich weiter als Hure, als an meiner eigenen Sucht zu krepieren.
Liz:

(Weint, doch horcht beim letzten Satz auf) D-Du tust w-was??
Senna:

Ich arbeite als Hure. Strichmädchen. Nutte. Nenn' mich doch so wie du willst, Lizzygirl. Is' sicher keiner der tollen Jobs, den du haben möchtest. Du willst doch sicher Model werden, oder? Kannste mit der Ritze knicken. Ich hab' meinen Spaß an der Arbeit und verdiene nicht schlecht, außerdem muss auch einer diesen Job machen. Ich muss dir ja nicht erzählen, dass die Typen mir schon immer hinterherliefen. Aber so wie du aussiehst, hast du noch immer keinen. Na, wen wundert's. (Sie trinkt erneut)


06. Es endet, wie es begann. Mit einem Schrei.
Bahnhof. Kurz nach Mitternacht. Es regnet. Liz steht an Gleis Sieben, in der Ferne sieht man den Zug langsam näher kommen. Niemand sonst ist da.



Innere Stimme:

Du bist erbärmlich. Kannst dir nicht 'mal die eigenen Adern durchschneiden. Traust dich gar nicht erst. Feige! Feige! Feige! Nutzlos! Nutzlos! Nutzlos! Wertlos! Sicher schaffst du das jetzt auch nicht. Wahrscheinlich springst du zu weit! Würden zu dir passen. Zum Leben zu dumm. Zum Sterben zu dumm. Deine Mutter sitzt daheim mit zwei Flaschen Korn und trinkt einen Kurzen nach dem anderen. Als du ihr zu nahe gekommen bist, hat sie eine leere Weinflasche nach die geschmissen. Dein Vater sitzt im Knast. Mit Kinderschändern, Mördern, Räubern. Du bist asozial, weil deine Familie asozial ist. Deine Schwester geht auf den Strich. Sie vögelt sich durch die Weltgeschichte und dich rührt kein Mann auch nur im Vollrausch an.
Ansage:

Gleis Sieben, eine Durchfahrt.
Innere Stimme:

Hörst du? Gleis Sieben, die letzte Bahn. Bitte alle aussteigen. Endstation. Aus. Nix. Ende. Zack. Denkst du dir so. Hoffst du. Schaffen wirst du sicher nicht einmal das. Lichter. Jede Wette der Lokführer hat eine glückliche Frau. Ohne Ritze auf den Armen. Ohne Probleme mit sich selber. Die kocht ihm sein Essen, versorgt das Kind und lässt sich einmal die Woche flachlegen. Und er liebt sie auch noch. Dich liebt keiner. Dir macht keiner Essen. Keiner will von dir bekocht werden. Kinder haben Angst vor dir. Du hast Angst vor dir. ... Hey, was machst du ... ?
Warte! Halt! HAAAALT!!!!!!!

ENDE.


Sämtliche Personen und Orte sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit existierenden Personen und Orten sind zufällig und in keinster Weise beabsichtigt.
Diese Zeilen dienten nicht der Verharmlosung von SVV (Selbstverletzendes Verhalten).
Diese Zeilen dienten der Warnung vor SVV.
Viel zu viele Menschen verletzen sich selber. Und sie brauchen unsere Hilfe und Toleranz.

www.rotelinien.de
www.aetherstoerung.de.tl

Raubkopierer werden härter als Kinderschänder bestraft.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.11.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Lebensretterin

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