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Wie war zu Köln es doch vordem
mit Heinzelmännchen so bequem!
Denn, war man faul, - man legte sich
hin auf die Bank und pflegte sich...

August Kopisch, „Die Heinzelmännchen von Köln“



Viel sah ich schon in meinem Job, aber einen Körper, der in seinem eigenen Blut schwimmt? Fast wäre ich die Leiter runter gekippt; fast hätte man uns nebeneinander im Leichenschauhaus ablegen können: Mich und jenen armen Kerl, der da mit dem Gesicht nach unten in dem Riesenfass ruhte.
Mit Ach und Krach fand ich noch Halt an der Leiter; dann fiel mir ein, wo ich hier war: Das war nicht sein Lebens-, sondern sein Rebensaft, in dem der Mann da schwamm. Ein passendes Ende für einen Kölner Winzer, dachte ich. Ich verkniff es mir aber, diesen Kommentar den Kollegen zuzurufen, die das Fass und dessen kleine Brüder untersuchten, die den Weinkeller bevölkerten: Denn neben dem fast vier Meter hohen Behälter wartete die Witwe; so bemühte mich um Sachlichkeit: „Kein Unfall? Was macht sie da so sicher, Frau Korodin? Er öffnet den Deckel, rutscht auf der Fasskante aus, findet auf der Leiter keinen Halt, fällt vornüber... Ist schnell passiert.“
Die Frau schüttelte entschieden den Kopf: „Nicht ihm; niemals! Seit dreißig Jahren ist er fast täglich da rauf, um Rotwein zu holen, nachzufüllen, zu verkosten... Er konnte das im Dunkeln machen. Nein; da hat jemand nachgeholfen.“
Es war feucht hier unten, es war modrig; das Ganze war eine große Gruft, in dem fünfzig Fässer Wein ruhten. Mich wunderte eher, dass hier nicht schon längst ein Unglück geschehen ist.
„Schon fündig geworden? Also; was ist jetzt!? Müller!“
Endlich kroch der Chef der Spurensicherung aus einem Winkel hervor: „Na ja, hier ist eine Menge Zeugs... Etwa einige frische, feuchte Erdklumpen; die haben sich wohl aus Schuhprofilen gelöst.“
„Verstehe. War hier kürzlich wer drin, der frisch von draußen kam, Frau Korodin? Nicht von der Straße, meine ich, sondern von außerhalb der Stadt: Frisch vom Acker, aus dem Wald, oder... Oder vom Weinberg?“
„Nein, nicht das ich wüsste. Das geht erst wieder los, wenn die Lese beginnt, die Weinlese. Wir wollten schon längst anfangen, schon vor Tagen, aber bei dem Regen-“
Müller unterbrach sie: „Da ist noch was. Hier liegen Erbsen. Rohe, ungekochte Erbsen; einige zertreten. Seltsam!“
Auch die junge Witwe zeigte sich verwundert, und ich behielt sie gut im Auge, wie ich die Leiter hinab stieg. Selbst im Zwielicht des Weinkellers konnte sie ihre Reize nicht verstecken – und sie wollte es wohl auch gar nicht. „Seit dreißig Jahren, meinten Sie? Waren Sie also so lange verheiratet?“
Die Frau verzog keine Miene nach diesem kleinen Nadelstich. „Nein; wir heirateten vor fünf Jahren – nach Konrads Scheidung.“
„Und vorher waren Sie also seine Sekretärin?“
Jetzt zeigte die Witwe sogar die Andeutung eines Lächeln: „Sie sind gut informiert.“
„Gehört zu meinem Job. Also: Der Kellner fand die Leiche gegen Zwölf Uhr Fünfzehn; um Zwölf hatte das Opfer die Küche verlassen; so kennen wir den Todeszeitpunkt recht genau. Wo waren Sie da?“
„Ich hatte einen Geschäftstermin. Ein Geschäftsessen, in einem Restaurant in der City, am Domhof.“
„Also gut zehn Minuten von hier. Mit wem?“
„Mit einem Vertreter einer Sektkellerei. Ich kann Ihnen gerne die Adresse, die Karte des Herrn geben.“
„Wäre nett. Also; das Personal ist außer Verdacht: Im Restaurant wurde zur Mittagszeit jede Hand gebraucht...“
Wieder lächelte die Frau, wieder nur ein wenig: „Gut Essen und Trinken kann man auch bei Dauerregen.“
„Ist wohl so. Unbemerkt rein in den Keller und wieder raus, das ging also nur durch die Hintertür. Die ist sonst abgeschlossen, und sie ist es auch jetzt noch – oder wieder. Wer hat einen Schlüssel dafür?“
„Na ja, Konrad natürlich, ich, und... Hm, ja, ansonsten eigentlich nur noch Marco.“
„Marco? Wer ist Marco?“
„Der Chef von den Heinzelmännchen.“
Ich traute meinen Ohren nicht: „Heinzelmännchen!?“
„Ach so, ja, Entschuldigung. So nennen wir unsere Teilzeitkräfte: Sie wissen schon, nach den Heinzelmännchen von Köln, weil sie so fleißig, so zuverlässig sind, man sie aber kaum zu Gesicht bekommt. Sie erledigen bei uns den Großteil der Weinlese, der Pflege und so.“
„Verstehe. Und wo sind Ihre ‚Heinzelmännchen’ jetzt?“
„Draußen, beim Weinberg, vermute ich. Vielleicht bessert sich das Wetter bald; dann fangen sie mit der Lese an. Bis dahin... Aber Sie glauben doch nicht etwa, dass sie... Sie sind seit Jahren bei uns, gehören fast zur Familie. Gut, Konrad hat sich letzte Woche geweigert, den Verdienstausfall zu übernehmen, solange es so schüttet, aber wegen so etwas, da bringt man doch niemanden um!“
„Werden sehen!“



Beim Schenken war es so: es trank
der Küfer, bis er niedersank...




Ich ließ mir Namen und Adressen geben, verließ den Laden und lief los. Diesmal wurden die Straßen von oben und nicht vom Rhein her überflutet, und trotz Schirm war ich nach vier Minuten klatschnass; weitere vier Minuten später erreichte ich das Restaurant am anderen Ende der Innenstadt. Dort bestätigte sich, dass eine Reservierung auf den Namen Korodin vermerkt war; das zuständige Personal hatte freilich schon Feierabend.
Zum Weinberg fuhr ich per Dienstwagen. Wegen einer Schranke musste ich die letzten paar hundert Meter dennoch zu Fuß gehen; noch immer schüttete es, doch da ich eh schon durchnässt war, sah ich mich zuerst etwas um.
An der angegebenen Adresse erhob sich die Villa der Korodins. Sie bot einen unverbaubaren Ausblick über Köln und das umgebende Rheintal – oder hätte ihn geboten; momentan verriet nur das Hanggefälle, wo sich der Fluss befand, und die Stadt lauerte hinter Wolkengewühl. Im Carport warteten ein BMW mit Mainzer Kennzeichen und ein Porsche Cayenne: Der Wagen des Hausherrn, wie ich auf der Fahrt in Erfahrung gebracht hatte, und zum ersten Mal sah ich an einem dieser ‚Geländewagen’ echten Matsch kleben.
Nach Norden begrenzte ein mannshohes Gitter das Grundstück, überwuchert von Hülsenfrucht-Ranken, und dahinter fand ich den Weinberg. Während ich also meine Schuhe im Matsch ruinierte, inspizierte ich die Anlage. Sie machte einen ordentlichen Eindruck; die Stützmauern waren frisch ausgebessert, die Rebstöcke fachgerecht beschnitten und die roten Trauben prallreif; nur schmeckten sie ein wenig wässrig. Wen wundert’s! dachte ich mir.
„He, Sie da! Finger weg!“
Überrascht ließ ich die Rebe zurückschnellen. Man musste schreien, um das Regengeklatsche zu übertönen; der Rufer musste sehr nahe sein, doch sah ich niemanden.
„Polizei!“ rief ich somit den Weinstöcken zu. „Kriminalkommissarin Helga Schneider; hier meine Marke...“
Etwas raschelte; einige Reben wackelten, und dann stand er vor mir. Ja, offenbar handelte es sich um einen Mann, doch überragte er keinen der Weinstöcke – selbst mit Zipfelmütze nicht. Sein Akzent und die tiefe Stimme irritierten ein wenig; dennoch war klar, dass hier eines der ‚Heinzelmännchen’ vor mir stand.
„Ich ermittle im Mordfall Korodin.“ erklärte ich, während ich ihm meinen Ausweis hinab reichte. „Sind Sie Marco?“
Das Männchen verneinte, nachdem es meinen Ausweis studiert hatte, doch es versprach, mich zum Gesuchten zu führen. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen: Manch Weinstock stellte mir ein Bein; die Treppchen zwischen den Ebenen waren glitschig, und mehrfach verlor ich das Männchen aus dem Blick. Erst, wie es stoppte, sah ich: Wir waren da! Wir standen vor einem Verschlag, der sich mitten im Weinberg in den Hang gegraben hatte. Nach vorne verriet sich die Unterkunft lediglich durch ein Ofenrohr, eine Tür und zwei Fensterläden im Mauerwerk; ansonsten hatte man lediglich fünf Meter der Stützmauer von einem auf zwei Meter aufgestockt.
Nach dem Eintreten zählte ich sechs weitere Männchen, die sich hier eingerichtet hatten – und zwar mit Camping-Zubehör: Zweie lagen auf Klappliegen; zweie saßen auf Faltstühlen an einem Klapptisch mit mehreren Flaschen und Gläsern; einer hantierte an einer Kochplatte und einer befeuerte den Ofen: Denn es war arg klamm, und beleuchtet wurde alles nur durch zwei Petroleumlampen.
Alle sechs hielten inne, wie wir eintraten; alles sprang auf. Doch während ich leicht gebückt stand, um nicht gegen einen der Deckenbalken zu stoßen, hatten die Männchen damit kein Problem: Alle waren etwa so groß – oder klein – wie das erste Heinzelmännchen.
Während ich mein Anliegen erklärte, musterte ich die Bewohner: Akzent, Physiognomie sowie die dunklen Kopf- und Barthaare schienen auf eine südländische Herkunft hinzudeuten; die fast zwergenhafte, ansonsten aber völlig normale Statur passte dazu freilich kaum.
„Aha.“ befand schließlich das Männlein am Ofen, bei dem der Akzent nur zu erahnen war. „Sehr traurig, das mit Konrad: Wir haben ihm viel zu verdanken. Aber weswegen kommen Sie zu uns?“
„Sie sind also Marco?“
„Stimmt. Setzen Sie sich doch, bevor Sie sich einen Krampf holen...“
Er wies auf einen Faltstuhl, und das Angebot nahm ich gern an: So war ich fast auf Augenhöhe mit den Männchen – zumindest mit den Stehenden. Ich kam mir vor wie Schneewittchen bei den sieben Zwergen! „Danke. Sie wissen also schon von dem Todesfall? Obwohl es erst vor knapp vier Stunden geschah...“
Grinsend zückte Marco ein Handy, das in seiner Hand endlich richtig dimensioniert wirkte: „Hans aus der Küche rief uns vor zwei Stunden an.“
„Verstehe. Sie waren also die ganze Zeit über hier?“
„Wir sind seit sechs Tagen hier und hoffen, dass es irgendwann mal trocken wird. Wieso? Werden wir verdächtigt?“
Verdächtig war jedenfalls sein giftiger Ton, und das Schweigen der anderen sprach Bände. „Wir überprüfen alle, die in Kontakt mit dem Verstorbenen standen. Wann sahen Sie ihn zuletzt?“
„Am Montag, als er uns begrüßt hat.“
„Und seitdem regnet’s fast permanent... Ich nehme an, Sie werden trotzdem bezahlt!?“
Marcos Zögern war vielsagend, und es schien die Andeutung der Witwe zu bestätigen: „Ich nehme mal an, Frau Korodin wird genau das tun. Wie wär’s mit einem Gläschen?“
Ohne meine Antwort abzuwarten, stellte Marco ein weiteres Glas auf den Campingtisch. Ich nickte, und so goss er mir ein Glas aus einer der drei Flaschen ein. Sie trugen kein Etikett; daher hatte ich angenommen, dass es sich um die Hausmarke handelte. Eine erste Verkostung ließ aber anderes vermuten: „Haben Sie den Wein mitgebracht?“
Endlich war es mir gelungen, Marco zu überraschen: „Kompliment! Stimmt; ein Mitbringsel aus wärmeren Gegenden...“
Vorerst verzichtete ich auf ein formelles Verhör. Wir plauderten noch eine Weile; ich erkundigte mich, was die Männer in diese Gegend verschlagen hatte, und sie ihrerseits fragten, wie denn ‚eine so nette, nicht unattraktive Frau’ wie ich zu so einem ‚Männerberuf’ kam, wie es einer von Marcos Kollegen ausdrückte. Unterdessen sah ich mich aufmerksam um, und nun fiel mir am Frager etwas auf: „Sagen Sie: Ist es nicht etwas kalt, um barfuss zu laufen?“
Alle außer dem Barfüßler schauten ihre Stiefelchen an, und ich warf einen bedauernden Blick auf meine rettungslos ruinierten Stiefeletten.
„Stimmt schon.“ erklärte schließlich Marco, da sein Kollege nur mit den Achseln zuckte. „Ärgerlich. Hat die Stiefel wohl irgendwo vergessen. Aber bei der Lese sind wir eh meist barfuss. Sonst noch Fragen?“
Marcos Misstrauen war unüberhörbar; so wechselte ich wieder das Thema: „Sie verpflegen sich hier also selber?“
„Stimmt. Es gibt Suppe. Auch einen Teller?“
„Warme Suppe? Wäre bei dem Wetter genau das richtige! Aber nur ein Tellerchen, bitte!“
Sogleich deckte eines der Männchen den Tisch mit acht allerliebsten Tellerchen. Alles setzte sich, und dann hob der Koch den massiven, fast randvollen Eisentopf mühelos von der Platte. Diese Männchen mögen Kindergrößen tragen, dachte ich, während sich jeder von der dampfenden Suppe auftat, aber andererseits waren sie auch ausgewachsene Männer. Ob sie wohl in der Lage gewesen wären, Konrad Korodin ins Weinfass zu wuchten?
Ich aß langsam: Nicht nur, um meinen Gedanken nachhängen zu können; nicht nur, weil die Suppe recht heiß war, sondern auch, um sie genießen zu können: „Lecker! Wie nennt sich das?“
Zuppa di piselli

.“ antwortete der Koch, dessen Akzent am stärksten ausgeprägt war. „Ich habe das aus Italien mitgebracht.“
Ich stutzte: „Zuppa di piselli

? Also Erbsensuppe?“
Marco nickte zwischen zwei Löffeln: „Stimmt. Gut aufgepasst im Urlaub!“
„Danke. Sagen Sie, Sie schätzten also Herrn Korodin als Arbeitgeber durchaus?“
„Schon. Ich will nicht leugnen, dass die Bezahlung nicht so toll ist, und ehe Sie fragen: Um die Bürokratie hat sich immer Konrad gekümmert – sagte er! Aber wir können nicht wählerisch sein, und Geld war uns nie das Wichtigste. Stimmt’s?“
Er hatte sich an seine Kollegen gewandt, und jeder nickte.
„Verstehe. Dann sind Sie auch sicher bereit, mich bei meinen Ermittlungen zu unterstützen?“
„Klar. Aber wie?“
„Für’s erste würde es helfen, wenn einer von Ihnen mich in die Stadt begleitet.“
Ein paar Momente druckste man herum; dann wandte sich jenes Männchen, das mich im Weinberg abgefangen hatte, an Marco: „Reicht, wenn du das machst.“
„Na schön; wenn Sie meinen, dass es hilft.“
„Es dauert nicht lange: Versprochen!“



Die Männlein sorgten um den Wein
und schwefelten fein alle Fässer ein...
und gossen und pantschten
und mengten und manschten...




Tatsächlich dauerte es eine knappe Stunde, ehe Marco und ich wieder im Weinkeller anlangten; zwischendurch überprüfte ich das eine oder andere, und zudem telefonierte ich während der Fahrt mit Müller, dem Chef der Spurensicherung.
Die Leiche war längst geborgen, und im Restaurant war der gröbste Betrieb vorbei; so hatte ich keine Bedenken, die Witwe wieder in den Keller zu bitten. Dort führte ich sie und Marco zu einem umgedrehten Bottich, auf dem Müller die Beweisstücke hinterlassen hatte. Eine gute Minute ließ ich dem Pärchen Zeit, die Fundstücke in Augenschein zu nehmen: Einige Tütchen mit getrocknetem Dreck, eine voller Erbsen – und ein Paar Stiefelchen. Es waren zweifellos letztere, die bei Marco als erstem den Geduldsfaden reißen ließen: „Das sind Ricos Stiefel! Wie kommen die hierher? Ich weiß genau, was Sie damit andeuten wollen, aber das ist Unsinn: Wir haben mit dem Mord nichts zu tun: Keiner von uns!“
Die Frau zeigte sich überrascht: „Ja, sind die denn hier gefunden worden?“
Ich nickte: „So ist es. Es scheint, als habe sie jemand verloren, der auf der Leiter zu dem großen Fass stand; dann rutschten sie zwischen zwei Fässer...“
„Lächerlich! Wir waren seit der letzten Lese nicht mehr hier unten.“
Die Witwe beäugte unterdessen die Erbsen: „Und was ist mit den Früchten da? Es sind doch Erbsen, rohe Erbsen, oder?“
„So ist es; die fanden wir auch hier im Keller. Irgendwer muss sie verloren haben – mutmaßlich der Täter.“
Marco schnaubte ärgerlich: „Na, von uns jedenfalls keiner!“
Frau Korodin blickte ihn mit einem erstaunten Ausdruck an: „Essen Sie und Ihre Kollegen nicht gerne Suppe? Erbensuppe?“
„Italienische Erbsensuppe! Gustavo kocht nur mit original italienischen Erbsen – auch Ochsenerbsen genannt, im Unterschied zu den üblichen Gartenerbsen. Stimmt’s, Frau Kommissarin? Sie aßen sie ja vorhin! Und das da, das sind Gartenerbsen.“
Das konnte ich noch ergänzen: „Erbsen, wie sie entlang des Zaunes zwischen Villa und Weinberg wachsen.“
Die Frau staunte: „Sind Sie sicher? Ja, gibt es denn da einen Unterschied?“
„Die Analyse läuft noch. Aber momentan gehen wir davon aus, dass diese Erbsen nicht von den – nicht von Marco und seinen Mitarbeitern verloren worden sind.“
„Sag ich doch!“
Die Witwe gab sich weiterhin gelassen: „Na schön; irgendwer verlor hier halt irgendwann Erbsen. Ich hoffe, Sie haben mich nicht nur deswegen hierher geholt? Ich habe viel zu tun, jetzt, wo mein Mann nicht mehr da ist.“
„Verstehe ich. Ich möchte sie aber noch zu einer Verkostung bitten.“
Ich führte die zwei zu dem Riesenfass, neben dem auf einem weiteren Kübel eine Karaffe und drei Weingläser bereitstanden – alles vorerst noch leer.
„Was soll das?“ mäkelte die Frau, wie ich schon mit der Karaffe die Leiter bestieg. „Das ist unser Wein; ich kenne ihn. Und auch noch aus dem Fass... Da schwamm vorhin noch Konrad drin!“
„Hieß es nicht, dass er ertrunken ist?“ meinte Marco grinsend. „Das sollte also kein Problem sein; es fehlt höchstens was.“
„Ich verstehe ihre Bedenken.“ erklärte dagegen ich, wie ich die gefüllte Karaffe absetzte. „Ich lege jedoch großen Wert auf Ihre Beurteilung des Weines: Auf Ihrer beider Beurteilung!“
Marco zuckte mit den Schultern und goss sich ein Glas ein: „Ich habe damit kein Problem. Prost!“
Ich tat es ihm gleich, und nach einigem Zögern bediente sich auch die Witwe. Sie nippte nur; ich wusste nach zwei, drei Schluck genug, und auch Marco setzte sein Glas wieder ab, wie es noch halbvoll war: „Das soll die Hausmarke der Korodins sein? Stimmt das?“
„Er kommt aus seinem Weinkeller.“
Die Witwe wusste wohl wirklich nicht, was Marco meinte: „Das ist unser Wein, unsere Hausmarke; ja und?“
„Von Wein haben Sie nicht viel Ahnung, stimmt’s?“ spottete Marco. „Als ehemalige Sekretärin... Man mag das für Rheinwein halten, und es ist zum Großteil wohl auch welcher. Aber wenn man weiß, was da offenbar sonst noch rein kam, dann schmeckt man das gleich raus. Er hat-“
Er verstummte; er wähnte wohl, er hätte sich verplaudert, doch hatte er nur ausgesprochen, was ich schon wusste, ahnte oder gerade geschmeckt hatte. So konnte ich seinen Satz beenden: „Er hat seinen Wein gepantscht, um ihm mehr Qualität zu verpassen. Und zwar mit dem Wein, den Sie, Marco, mich vorhin kosten ließen. Überraschender Effekt, aber, wie gesagt: Wenn man’s weiß...“
Marcos Lächeln wirkte nun noch verbissener: „Stimmt. Seit wann wissen Sie das?“
„Von wissen kann keine Rede sein. Aber ich telefonierte vorhin noch mit dem Kellermeister: Er meinte, in den letzten Jahren sei hier im Herbst immer eine Weinlieferung aufgetaucht, die dann rasch verschwand. Ich nehme an, Ihnen sagte Korodin auch, dass er den ordnungsgemäß verkauft hat? Nachdem Sie den Wein – auf welche Weise auch immer – ins Land gebracht haben?“
Nach kurzem Zögern nickte Marco: „Stimmt. Wir besorgen ihn uns jedes Jahr auf der Durchreise in Norditalien; wir haben dort mal gearbeitet. Vor vier Jahren hat Korodin ihn in unserer Hütte gekostet, und den Rest kennen Sie jetzt wohl: Er nahm den Wein in Kommission; wir sorgten für die Anlieferung, und es brachte uns wirklich Einiges ein. Zu wenig für unseren Geschmack, und darum ging auch der Streit vor fünf Tagen. Offenbar hat Korodin das Zeug aber gar nicht verkauft, sondern damit den Preis für seinen Wein gesteigert. Netter Trick...“
Die Witwe schüttelte ungläubig den Kopf: „Das glaube ich nicht; das kann nicht sein!“
Ich gab ihr recht – teilweise: „Weil das hätte auffliegen müssen? So ist es; das wäre es wohl auch: Spätestens, wenn die Herren von der Sektkellerei Siebenstein den Wein verkostet hätten.“
„Sieben-? Sie meinen-?“
„Ich meine den Herrn, der Ihnen heute Mittag das Alibi verschafft hat. Dessen BMW vor Ihrem Haus steht. Lassen Sie mich raten: Sie haben eine Kooperation mit der Sektkellerei befürwortet, aber ihr Gatte war dagegen: Aus Gründen, die Ihnen völlig unverständlich waren.“
„Die wir jetzt aber unschwer erraten können.“ bemerkte Marco grimmig.
„Er war stur, so stur!“ platzte die Witwe endlich heraus. „Die Kooperation wäre für beide Seiten ideal gewesen: Endlich gesicherte Einnahmen für uns; ein zuverlässiger Lieferant für Siebenstein...“
„Und Ihr Schaden wär’s auch nicht gewesen, stimmt’s?“ mutmaßte Marco.
Ich versuchte, der Frau eine goldene Brücke zu bauen – obwohl die sorgfältige Planung gegen sie sprach: „Ich nehme an, Ihr Anwalt wird überzeugend darlegen können, dass Sie Ihren Gatten im Affekt ins Fass gestoßen haben? Oder dass er sogar nur gestolpert ist?“
„Und dass sie nur vergessen hat, ihn wieder raus zu ziehen!?“ ergänzte Marco sarkastisch.
Auch die Witwe konnte grimmig grinsen: „Er war so blau und so fett; ich hätte ihn selbst dann nicht raus ziehen können, wenn ich gewollt hätte.“

Als ich den Laden verließ, klarte es im Westen gerade auf, und jenseits des Rheines kam der erste Sonnenuntergang seit einer Woche zur Aufführung. Womöglich könnte morgen in den Weinbergen der Korodins die Lese beginnen, doch welcher Name würde auf dem Etikett stehen, jetzt, wo der Winzer tot war und seine Gattin deswegen bald vor dem Kadi stehen würde? Mir war das gleich; für simplen Etikettenschwindel sind eh andere zuständig.



Man kann nicht mehr wie sonsten ruhn,
man muss nun alles selber tun...
Ach, dass es doch wie damals wär`!
Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her!

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Tag der Veröffentlichung: 14.10.2009

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