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Erster Teil

 

 

Wüstensand

Verrat der Wüste

 

 

Mia Monocerus

1

„Geh, Odin! Lauf, mein Freund!“, rief Aruna. „Du bist frei.“ Der Rapphengst schnaubte und warf den Kopf hoch.

Sie musste es tun. Dies war ihre letzte Chance, auf Rachefeldzug gehen zu können. Das Verbrechen hatte zu viele Wunden auf ihrer Seele hinterlassen.

Ein Jahr war bereits vergangen und endlich hatte sie den Mut gefasst, alles beenden zu wollen. Die Zeit ihres neuen Lebens war gekommen.

„Lauf!“, rief sie wieder und ließ ihre flache Hand auf die kräftige Hinterhand des Pferdes klatschen. Odin wieherte und schüttelte seinen edlen Kopf, so dass seine lange, dicht gewellte Mähne herumwirbelte. Er verstand nicht, warum er sich nun auch von dem Mädchen trennen sollte, nachdem er vor einem Jahr seinen Herrn verloren hatte.

Der Hengst stieg und Aruna wich zurück, um nicht von den kräftigen Hufen getroffen zu werden. Ein klagendes Wiehern, ein trauriges Schnauben und dann machte der Hengst kehrt und galoppierte davon.

Aruna sah ihm mit Tränen in den Augen nach. „Auf Wiedersehen, Odin…“, flüsterte sie und wischte eine Träne aus ihrem Gesicht. „Ich werde dafür sorgen, dass der Mörder deines Herrn die gerechte Strafe erhält. Das verspreche ich dir, mein Freund.“

Odins Herr hieß Philitis und war ihr Vater. Er hatte der Königsfamilie in der königlichen Leibgarde, dem Orden der Asfaloth, gedient. Die Asfaloth genossen den Ruf, die besten Krieger im Königreich Silaeta zu sein. Der König selbst wählte sie nur mit größter Sorgfalt aus. Ein Asfaloth werden zu dürfen war für viele der Männer in Silaeta das Größte, was ihnen passieren konnte.

Philitis war einer der besten Asfaloth gewesen und bekam nach wenigen Dienstjahren bereits das Amt des ersten Leibwächters der Gattin des Königs, Sylvia von Silaeta, zugesprochen. Neben dem ersten Leibwächter des Königs begleitete er die höchste Position, die ein Asfaloth überhaupt erreichen konnte.

An eine Mutter konnte sich Aruna nicht erinnern. Ihr ganzes Leben hatte sie auf dem Gutshof ihres Vaters verbracht und wurde von dessen Bediensteten versorgt und erzogen, während er im Dienst war. Sie erinnerte sich, dass er mehr als Leibwächter im Einsatz war, statt als Vater auf dem Gutshof, doch dies hatte das Mädchen nie gestört.

In den wenigen Wochen, die Philitis im Jahr auf dem Gutshof verbracht hatte, hatte er Aruna alles beigebracht, was sie heute konnte. Er hatte ihr die Kunst des Reitens gelehrt und ihr schließlich Odins Sohn, einen pechschwarzen Rappen namens Orlando, geschenkt. Sie hatte eine so enge Bindung zu dem Pferd, dass die Bediensteten ihres Vaters munkelten, sie könne mit dem Pferd sprechen und dessen Gedanken lesen.

Philitis war es auch, der ihr den Umgang mit dem Schwert lehrte und ihr versprach, dass sie sein Schwert erben würde, wenn er starb. Aruna hatte das Kämpfen zunächst gefallen, doch ihr Vater hatte stets betont, dass ein Kampf kein Vergnügen war und es nichts Schrecklicheres gab, als einen Menschen durch sein eigenes Schwert sterben zu sehen.

Im gleichen Atemzug erklärte er ihr auch, dass es manchmal unmöglich war, jemanden zu verschonen, ohne selbst das Leben zu verlieren.

Doch in Silaeta gab es ein Gesetz, welches Frauen sowohl das Reiten als auch das Tragen von Waffen und den Kampf verbot. Reiten und Kämpfen galten als ein Privileg der Männer und ein Verstoß gegen dieses Gesetz bedeutete den Tod. Nahezu alle Frauen in Silaeta schreckte dies ab und nur selten wurde eine Frau erwischt.

Aruna kannte das Gesetz und wusste, dass Frauen lediglich eine Karre mit einem Ackergaul als Transportmittel hatten, aber das hatte sie nie interessiert. Sie hatte mit den Söhnen der Stallburschen gespielt und eine Mutter, die sie zur Frau erziehen würde, wie es bei Mädchen üblich war, hatte sie nie gehabt. Ihr Umgang mit Männern überwog den Umgang mit Frauen und ihr fehlte es an Weiblichkeit, wie ein paar der weiblichen Bediensteten auf dem Hof stets zu sagen gepflegt hatten.

Sie war wie ein Junge aufgezogen wurden und benahm sich manchmal sogar wie einer. Und obwohl die Dienerinnen ihr immer Kleider genäht hatten, hatte sie enge, glatt-lederne Reithosen, hohe Stiefel aus Wildleder und ein Leinenhemd getragen. Ihr langes, leicht gewelltes, rotblondes Haar, welches in der Sonne golden schimmerte, band sie zu einem Zopf. Offenes Haar störte sie bei vielen Dingen, auch wenn es noch so schön war.

Odin war in einer Staubwolke verschwunden. Sie legte eine Hand auf den Hals Orlandos und strich ihm über die Mähne. Er war ein wunderschönes Pferd, genau wie sein Vater. Blauschwarz schimmernd stand er im Sonnenlicht, sein Fell glatt wie Seide. Er hatte einen kräftigen Körperbau und war gut trainiert durch die vielen langen Ausritte, die Aruna mit ihm unternahm.

Er war ein Nachfahre des Lieblingshengstes von König Asfalothos, dem Gründer des Ordens der Asfaloth. Der König hatte seine Pferde geliebt und einen solchen schwarzen Hengst nur den Besten seiner Leibgarde gegeben. Sie waren ein Zeichen für ihre Treue und sein Vertrauen.

Leider war nur ein Teil der Zuchtlinie erhalten geblieben. Als Odysseus, Odins Vater, als kränkliches, schwaches Fohlen im königlichen Stall von Juan, der Hauptstadt von Silaeta, geboren wurde, regierte noch der Vater des jetzigen Königs. Dieser wollte starke Pferde und jede Linie, der ein schwaches Fohlen entsprang, wurde aus seinem Stall verbannt. Er war der Meinung, dass ein starkes Pferd keine schwachen Verwandten haben konnte, denn die Schwäche würde vererbt werden.

Niemand in Juan schenkte dem kleinen Odysseus Hoffnung und seine Linie war verloren. Die Pferde wurden als Ackergaul verkauft und Schulden mit ihnen beglichen, obwohl sie allesamt exzellente Vorfahren hatten, welche einst Könige, Prinzen und Asfaloth durch Kriege trugen und mit ihrem Mut die Feinde bezwangen.

Arunas Großvater kaufte das schwache Fohlen sowie einen anderen Hengst und mehrere Stuten. Schließlich begann er seine kleine Privatzucht und übertrug diese auf seinen Sohn. Doch Philitis war zu beschäftigt, als dass er die Zucht so weiterführen konnte, wie sein Vater es sich erhofft hatte. So kam es, dass nur noch Odin und Orlando übrig waren.

Aruna kannte Orlando schon von Fohlen an. Sie war ungefähr zehn Jahre alt gewesen, als er geboren wurde und sie hatte ihrem Vater bei der komplizierten Geburt zur Seite gestanden. Als die Stute kurz nach seiner Geburt verstarb, übergab Philitis seiner Tochter die Pflege des Fohlens. Es sollte das letzte Fohlen sein, welches auf dem Gutshof das Licht der Welt erblickte.

Das Flaschenkind entwickelte sich rasch zu einem stolzen Junghengst und begann, ihr für ihre Hilfe zu danken, indem er sie beschütze, wenn er Gefahr spürte. Aruna wusste, dass sie sich immer auf den Hengst verlassen konnte und er sie nie allein lassen würde.

Das Mädchen blickte zurück. Hinter ihr loderte das Feuer noch immer, wenn auch in weiter Ferne. Das war es, was von ihrer Heimat, dem Gutshof von Philitis, noch übrig war – ein alles vernichtendes Feuer.

Sie brauchte das Gut nicht. All die Bediensteten waren fort und das letzte Jahr hatte sie mit den beiden Pferden dort allein gelebt, zerfressen von ihrer Trauer über den Tod ihres Vaters. Ein Jahr war es her, dass er im Schlaf erstochen wurde, als er auf dem Gutshof seine freie Zeit genoss.

Aruna wusste tief in ihrem Herzen, dass der Mörder nur neidisch auf Philitis' Posten war. Er war ein zu guter Mensch gewesen, als dass er ein solch grausames Ende verdient hatte. Für Aruna war er einer der verständnisvollsten Menschen gewesen, die sie je gekannt hatte.

Nach seinem Tod hatte sie sein Testament entdeckt, welches sie zur alleinigen Erbin erklärte. Doch nun war der Gutshof nur noch eine Last für sie. Die Erinnerungen daran weckten den Schmerz und niemand sollte je wieder diesen Hof betreten, ohne an Philitis' grausamen Tod zu denken.

Sie wollte wie ein Vagabund leben, frei und ohne Heimat, und dann den Mord an ihrem Vater rächen, sobald sie herausgefunden hatte, wer sein Mörder war. Neider hatte Philitis viele gehabt, doch Aruna fiel nicht einer ein, der auch fähig gewesen wäre, ihn zu ermorden.

Es hatte knapp eine Woche gedauert, bevor man ihn beerdigt hatte. Doch Aruna hatte nur vom Rand zusehen dürfen und ihm damit nur bedingt die letzte Ehre erweisen können. Sie empfand es als ungerecht, schließlich war sie seine letzte lebende Verwandte. Doch sie war eben auch nur eine Frau und ihre Rechte stark beschränkt.

Trotz seines Testaments durfte sie nichts erben. Ein Testament, welches eine Frau als Erben einsetzte, war in Silaeta nichtig. Das war auch mit einer der Gründe gewesen, warum sie fast alles den lodernden Flammen übergeben und Odin die Freiheit geschenkt hatte.

Das Wenige, was sie noch besaß, trug sie bei sich. Orlando hatte Odins Sattel bekommen. Es war ein sehr kostbarer Sattel, dessen Sitzfläche mit blauem Samt, auf dem silberweiße Runen gestickt waren, überzogen war. Das mit Metallbeschlägen verzierte Vorderzeug betonte die Brust des Rapphengstes.

Ebenso trug Orlando nun Odins mit gravierten Metallbeschlägen verzierte Trense mit den wundervollen Lederzügeln - weich und gepflegt und in hervorragender Qualität. Unter dem Sattel lag Odins Decke, ebenso aus besticktem blauen Samt.

Aruna hatte auch die Satteltaschen gerettet, die sie nun mit Lebensmitteln, Wasser und Futter für Orlando gefüllt hatte. Ein Handschuh aus braunem, derbem Leder lag ebenfalls darin. Er war eine persönliche Anfertigung für Aruna gewesen. Philitis hatte ihn ihr vor drei Jahren zum Geburtstag geschenkt.

Sie kannte den Wert des Sattelzeugs. Nur die reichsten Männer Silaetas konnten sich ein solches überhaupt leisten. Abgesehen vom König und dessen Familie waren das nur die Asfaloth, denn der König belohnte seine Leibwächter sehr großzügig.

Das Mädchen sah an sich herunter. „Nein, kein Mädchen“, dachte sie. „Ich bin längst eine Frau geworden.“ Sie trug Philitis' Kleidung:

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Maria Unbehaun alias Mia Monocerus
Bildmaterialien: Wüste: Siegbert Heinecke_pixelio.de http://www.pixelio.de/media/321111 --- Greifvogel: bagal_pixelio.de http://www.pixelio.de/media/595565 --- Pferd: Angelika Koch-Schmid_pixelio.de http://www.pixelio.de/media/616346 ----- Schnitt: Mia Monocerus
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2015
ISBN: 978-3-7368-8729-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
*** Dies ist eine Leseprobe ***

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