Die vier Jungs, Dave, Kevin, Stephen und Pete standen im Schatten der Bäume vor einen kleinem Einkaufszentrum in Großenhain. Es war ungewöhnlich kalt für Anfang Oktober. Nur 5°C über Null, doch durch den eisigen Wind fühlte es sich wie -5°C unter Null an. Dave und Kevin waren eineiige Zwillinge, die trotzdem so gut wie nie einer Meinung waren. Beide hatten kurzes, blondes Haar und dieselben glasklaren, blauen Auge, die so kalt wie Saphire funkelten. Die Hände hatte sie in die ausgewaschen Jeans gesteckt und den Kopf so weit in die schwarze Lederjacke eingezogen, das ihre Münder vor der eisigen Kälte geschützt waren. Stephen war dagegen Einzelkind und wurden von seinen Eltern verhätschelt wo sie nur konnten. Seine Eltern waren, im Verhältnis zu seinen anderen Mitschülern, beinahe reich und er bekam alles, was er nur wollte. Seine braunen Haare waren länger als die seiner beiden Zwillingsfreunde und die braunen Augen waren nicht so kalt wie Edelsteine sondern warm und von einer überraschenden Weichheit, wenn man bedenkt, was er alles schon so angestellt hatte. Überhaupt waren seine Gesichtszüge viel weicher und jungenhafter, als die seiner Freunde, denen man die 17 Jahre schon deutlich an ihren Gesicht ansah. Stephan ärgerte das ungemein, doch er gab sich nicht die Blöße und sagte etwas darüber. Er hatte eine dunkelblaue Jacke an, die weder warm noch bequem war, dafür aber wirklich cool aussah. Genauso wie Dave und Kevin hatte er die bleichen Finger in seine Hose gesteckt.
Pete war das genaue Gegenteil von den Dreien. Er war das 3. - älteste Kind von seinen 7 Geschwistern. Sein Vater konnte nach einen Schlaganfall nicht mehr arbeiten gehen und seine Mutter war zu beschäftigt damit beschäftigt zu wirken, um sich eine Arbeit zu suchen. Deswegen passte Pete mit seiner ausgeleierten Hose und der dünnen Fleecejacke nicht wirklich zu dem Erscheinungsbild der Anderen. Er zitterte heftiger als seine 3 Mitschüler und seine grünen Augen huschten aufgeregt über die starren und ausdruckslosen Gesichter der Anderen. Aber kalt war ihm nicht. Nein, kein bisschen. Er zitterte, weil er so unglaublich aufgeregt war. So aufgeregt, das es ihm vorkam, als würde jemand abwechseln erst kaltes und dann heißen Wasser über seinen Rücken laufen lassen. So aufgeregt, das sein Herz viel zu schnell schlug. Schließlich standen sie hier nicht umsonst vor dem Einkaufsmarkt. Das hier war Petes Aufnahmeprüfung!
Er wollte schon immer mit den 3 beliebtesten Leuten er Klasse zusammen „rumhängen“, wie sie es selber sagten. Und nach langer Zeit des Hausaufgaben–machens und des Erniedrigens hatte er es nun fast geschafft!
„Also“, dröhnte Daves herbe Stimme durch die Bäume, „hast du verstanden, was du zu tun hast?“
Pete nickte.
Natürlich hatten sie einen Plan, wie sie am besten die Zigaretten klauen konnten. Jeden 2. Tag, genau um 16.30 Uhr, füllte die Verkäuferin den Zigarettenautomaten auf. Das Ganze dauerte um die 6-7 Min. Für Pete war es das erste Mal, für die Anderen beinahe schon Routine. Sie beklauten diesen Ladens schon seit 2 Wochen. Bald müssten sie sich wieder einen neuen Laden suchen, damit es nicht zu auffällig wurde. Der Laden änderte sich. Die Taktik blieb. Zwei verschwanden im Gebäude, da wo die Sicht auf den Automaten versperrt war und machte so viel Lärm, das die Verkäufer schauten was los war. Der Andere, welcher schon im Laden war, wartete bis er ungestört war und sackte dann ein paar Schachteln ein. Nicht zu viele, weil es sonst schneller auffallen würde. Dazu hatte man ungefähr 2 Min Zeit. Meistens übernahm Dave die Aufgabe des -Holers-, diesmal würde Pete es machen.
„Okay, dann los!“ sagte Kevin und verschwand mit Stephen. Pete lauschte auf die schweren Schritte, die die Beiden machten, als sie auf der schmutzigen Erde liefen. Dann änderte sich das Geräusch und langsam wurde es immer leiser, bis es schließlich verschwand. Die Minuten verstrichen gesprächslos und Pete kam sich befangen vor. Dave war, so empfand es zumindest Pete, der gefährlichste von den Dreien. Doch als sie weitere 2 Minuten schweigend verbrachten hielt er die erdrückende Stille nicht mehr aus und drehte sich zu Dave, um vielleicht noch einen aufmunternden Satz zu hören, bevor er los ging.
Als er schließlich Daves Blick sah, wich er erschreckt ein paar Schritte zurück. Daves kalte Augen starrte Pete an, nein, sie starrten ihn nicht nur an, sie durchbohrten ihn mit einer solch intensiven Wut und Verachtung, das es Pete die Luft abschnürte. Er konnte sich nicht erklären, woher auf einmal diese Feindseligkeit kam und zum ersten Mal, wirklich zum allerersten Mal bemerkte er, das in Daves Blick irgendwas … Böses war. Nicht nur etwas gefährlichste, etwas richtig bösartiges!
„Jetzt musst du gehen!“ Teilte Dave ihm mit seiner einschüchternden Stimme mit. Doch Pete konnte sich nicht rühren.
„Hast du das verstanden?“ fragte Dave barsch, als Pete immer noch nicht antwortete. Pete zwang sich zu einem Nicken, doch er war wie festgefroren. Dave packte ihn grob und schubste ihn in Richtung Laden. Fast wäre er gestolpert, aber er konnte sich gerade so nochmal abfangen.
Linkisch und steif ging Pete auf das Gebäude zu. Seine Hände zitterten stärker, deswegen steckte er sie in seine Hosentaschen. Der Weg bis zum Einkaufszentrum schien endlos zu sein. Pete beschlich das Gefühl, was er schon oftmals in einem Traum gehabt hatte. Es kam ihn vor, als würde er laufen und laufen und doch nie ankommen. >Reiß dich zusammen!< mahnte er sich selbst. >Das hier ist kein Traum, Das ist real!< Und tatsächlich, nach weiteren 50 Metern betrat er den kleinen Parkplatz des noch kleineren Ladens.
Als Pete das hell-erleuchtete Einkaufszentrum erreichte, erklang eine leises -Gong-. Pete kam es wie eine extra laute Sirene vor. Kalter Schweiß bildete sich in seinem Nacken.
„Hallo.“ Erklang die freundliche Stimme der Verkäuferin. Panisch und mit schweißiger Stirn drehte Pete sich um. >Benimm dich normal!< rief er sich zur Ordnung. Er wollte ebenfalls >Hallo< sagen, durch er bekam kein Laut aus seiner ausgetrockneten Kehle raus. Als die Verkäuferin misstrauisch schaute, nickte Pete kurz in ihre Richtung und lief schnell, so schnell, das es fast wie ein Flucht aussah, zu dem Obststand, rechst von dem Zigarettenautomaten. Als er ankam wollte er eine Hand ausstrecken und so tun, als wollte er die reifen Äpfel, die vor ihn lagen, vergleichen, doch er tat es nicht. Er zitterte am ganzen Körper. Über ihn flackerte ein Licht. Pete spürte, das sein Körper sich langsam beruhigte, als er auf das regelmäßige flackern achtete.
Als von hinten plötzlich laute Beschimpfungen ertönten und ein schrecklich lautes Geräusch durch die leeren Hallen strömte zuckte er so heftig zusammen, das er sich sogar auf die Zunge biss. Er schmeckte den salzig-rostigen Geschmack seinen Blutes und es drehte im den Magen um. Wieder war ein lautes Geräusch zu hören und die Verkäuferin rannte zu der Lärmquelle. >Jetzt noch 30 Sekunde warten< sagte Pete sich. Er war sich nicht sicher, ob die Zeit langsamer oder schneller verstrich, aber ihm kam sie auf jeden Fall falsch vor. Wieder sah er das Licht flackern.
Als er dann endlich zum Automaten ging, nicht ganz nach 30 Sekunden, packte ihn das schlechte Gewissen. Er schaute sich die Zigaretten an und dachte nur daran, das andere, ehrliche Menschen dafür arbeiteten. Doch jetzt war keine Zeit für schlechtes Gewissen, nicht wenn er den Anderen zeigen wollte, das er genauso tough ist wie sie. Also bückte er sich, zog den kleinen Rucksack von seinem Rücken und schaufelte ein paar Packungen rein. Dabei empfand er so etwas ähnliches wie Macht und Mut. Merkwürdig war, das ihm diese Gefühle nicht behagten, sie fühlten sich irgendwie...falsch an. Als er den Rucksack wieder aufsetzte, zog ihn sein Gewicht fast in die Knie. >Das ist Unsinn!< mahnte er sich selbst. >Die paar Zigarettenschachteln konnten nicht mehr als 500g wiegen.< Er wusste Das, aber trotzdem fühlte es sich so an, als müsste er 50 kg schleppen.
„Hey, du!“ Schrie eine aufgebrachte Frauenstimme. Petes Herz rutschte ihm in die Hose, als er sich umdrehte und das wütende Gesicht der Verkäuferin sah. Wieder sah er das Licht flackern. Es war so, als hätte für einen Moment die Welt aufgehört sich zu drehen. Er sah alles wie in Zeitlupe. Die Töne und Schreie waren zu einen flüsternden Rauschen verklungen. Langsam drehte er sich zum Ausgang um. Das Licht flackerte wieder.
Und auf einmal strömten alle Empfindungen gleichzeitig auf ihn ein. Die schrillen Schreie der Verkäuferin, das zu helle Licht der Lampen. Er hörte seinen eigene, panischen Herzschlag in seine Ohren. Adrenalin strömte durch seinen Körper, schärfte seine Sinne. Das alles kam Pete zu intensiv vor. Die Farben waren so grell, das er am liebsten die Augen geschlossen hätte. Die Geräusche so laut, das er sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Ein weiterer Adrenalin-stoß lies seinen Körper erzittern.
Und dann fing er an zu rennen. Durch seine Angst war er schneller als sonst. Die automatisches Schiebetür des Einkaufsmarkts ging so langsam auf, das Pete fast dagegen gelaufen wäre. Er sprang die 4 oder 5 Stufen der Treppe herunter und sprintete dann Richtung Wald. Dorthin, wo er sich mit den anderen treffen wollte. Zum ersten Mal, seit er den panischen Schrei der Verkäuferin gehört hatte, atmete er wieder ein. Die klare, feuchte Luft strömte in seine brennenden Lungen und schien seinen Verstand zu klären. Als er sah, wie der Einkaufsmarkt mehr und mehr verschwand, empfand er so etwas wie Siegestaumel. Ihm wurde ganz schwindelig. Doch er rannte weiter.
Nach weiteren 100 Metern befand er sich auf der kleinen Lichtung. Die Nachmittagssonne schien unheimlich von Westen auf sie herab und lies die Schatten der Bäume und Büsche länger werden. Pete stand da und atmete heftig ein und aus. Aber irgendwas war Anders.
Aus den Schatten der Bäume traten Stephen, Dave und Kevin heraus. Daves Gesichtsausdruck war wieder starr und kalt. Stephen und Kevin dagegen lächelten höhnisch und, Pete schluckte, und gemein. Richtig gemein und böse. Nicht die Art von Gemein, als würde man einen kleinen Mädchen den Lolli wegnehmen, sondern die Art von Gemein und Böse, als würde man keine Scheu davor haben, Anderen Schmerzen zuzufügen. Die kalte Luft schien statisch aufgeladen zu sein, jedenfalls fühlte es sich für Pete so an. Unbewusst trat er einen Schritt zurück. Ihn beschlich ein Gefühl, welches er zuerst nicht einordnen konnte. Erst nach ein paar langen Sekunden kam er darauf. Furcht. Furcht war ganz anders als Angst. Angst hatte man, wenn man sich wirklich sicher war, das etwas Schlimmes passiert. Man wusste was auf einem zukommt und konnte sich darauf vorbereiten. Furcht dagegen...Nun, man fürchtete sich nur, wenn man nicht weiß, was wirklich passiert. Und diese Ungewissheit ist viel schlimmer als die bloße Angst.
„Hast du die Zigaretten?“ Fragte ihn Dave. Wieder blitzen seine Augen böse auf. Pete konnte ihn kaum verstehen, so laut pochte sein Herz.
Er nickte nur.
„Dann gib sie endlich her!“
Pete rührte sich nicht von der Stelle. Er stand wie festgenagelt da. Vor Furcht wie erstarrt.
Man konnte deutlich sehen, das Dave der Geduldsfaden riss. Wütend stapfte er auf Pete zu und riss ihn den Rucksack gewaltsam von den Schultern. Dann warf er ihn Kevin zu, der riss den Reißverschluss auf und zählte kurz durch. Zufrieden nickte er und dann schaute er Dave bedeutungsvoll an. Petes Herz, das sowieso schon viel zu schnell schlug, begann nun zu rasen. Er war sich auf einmal sicher, ganz, ganz sicher, das er niemals dazu gehören würde. Doch er fühlte sich nicht betrogen, nicht jetzt. Denn im Moment wollte er einfach nur weg. Nach Hause zu seinen nervigen Geschwistern und dem Bewegungs-eingeschränkten Vater und seiner Mutter, die viel zu viel Zeit damit verbrachte, so zu tun, als wäre sie beschäftigt.
„Hast du denn wirklich geglaubt, dass du zu uns gehören könntest?“ fragte Dave ihn. Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. Kevin und Stephen fingen an, dümmlich zu lachen.
Pete sah zu Boden und wünschte sich, das unter ihn ein Loch erschien, wo er verschwinden könnte. Das Loch tauchte nicht auf. „Hey! Ich rede mit dir!“ Schrie Dave ihn wieder mit seiner messerscharfen Stimme an. Pete zuckte zusammen.
Auf einmal spürte er, wie eine Faust ihn mit voller Kraft in die Magengrube traf. Der Schmerz traf Pete völlig unvorbereitet und er sackte zu Boden, wo er keuchend um Luft rang. Wieder hörte er das Gelächter der Anderen.
„Süß, der Kleine, nicht war?“, Stephens Stimme klang erheitert, „Sollen wir deine Mami anrufen?“ Pete spürte, wie die Tränen in ihm aufstiegen. Nicht nur vor Schmerz oder vor Wut. Sondern vor Erniedrigung. Kevin kam näher, bis er kurz vor Pete stand. Pete sah, wie er mit den Fuß ausholte und kniff die Augen fest zusammen. Er biss sich auf die Lippen und hoffte, das er es schaffen würde, nicht zu weinen. Nein, diesen Triumph wollte er ihnen nicht gönnen. Er wartete. Wartete auf den Schmerz und das dümmliche Gelächter. Doch nichts geschah. Vorsichtig öffnete er die Augen und sah, das die Drei völlig erstarrt dastanden. Er fragte sich, was passiert war und versuchte auf etwas zu lauschen, was die Drei zu erschreckt haben könnte. Zuerst konnte er nur seinen eigenen Herzschlag hören, der in seinen Ohren trommelte. Nur langsam beruhigte er sich. Und dann konnte er es auch hören.
„Ich bin mir ganz sicher, das er in diesen Wald verschwunden ist.“ Hörte er eine Frauenstimme sagen. Seine Augen weiteten sich vor Panik, als er erkannte, das die Frauenstimme der Verkäuferin gehörte. Sie schien mit jemandem zu sprechen.
„Scheiße!“ flüsterte Kevin. Schnell packte er den Rucksack, machte ihn zu und verschwand dann im Gebüsch. Stephen und Dave schauten sich einen Moment lang an, dann schauten sie Kevin hinterher und verschwanden dann auch. Erleichterung durchströmte Petes Körper so heftig, das es ihm die Tränen aus den Augen trieb. Er versuchte sich hoch zu kämpfen. Einmal, Zweimal. Erst beim dritten Mal klappte es. Er stand schwer atmend und gekrümmt da. Versuchte den Schmerz zu verdrängen, was schwerer war, als angenommen. Und plötzlich hörte er wieder die Stimme der Verkäuferin. „Da! Da ist dieser Ladendieb!“ ihre Stimme kochte vor Wut. Pete sah, wie zwei Leute der Polizei auf ihn zukamen. Er wusste, was nun passieren würde. Passieren musste. Er hatte die Erzählungen seiner beiden älteren Brüder noch nicht vergessen. Die Polizisten würden ihn auf ein Revier schaffen und ihn da verhören. Sie würden Mutter und Vater anrufen. Und gerade Vater würde maßlos über ihn enttäuscht sein. Er war sonst so stolz auf ihn, weil Pete, so wie sein Vater es immer sagte: „Wirklich zu etwas bringen könnte.“ Pete gingen viele Fragen durch den Kopf. Würde Vater mir verzeihen? Kann er es? Was ist, wenn nicht? Habe ich mir nun meine Zukunft versaut? Sollte ich Kevin, Dave und Stephen erwähnen? Der Polizei sagen, das sie mich angestiftet haben?Viele Fragen, auf die Pete keine Antwort hatte und deswegen schnell wieder verwarf. Nur eine Frage blieb in seinem Kopf hängen.
War es das wirklich wert?
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2011
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