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Raum und Zeit. Doppelte Unendlichkeit. Doppelte Unendlichkeit? Den Zahn habe ich ihnen ziehen müssen.

Hin und wieder dehnte sich der Raum in diese oder jene Richtung und war's zufrieden. Er war da, stellte keine Fragen und erst Recht nichts in Frage. Anders die Zeit. Unstet war sie, eitel und kokett. Dem einen gab sie sich hin, dem anderen entzog sie sich, war überall und nirgendwo, wusste um ihre Wichtigkeit und lebte sie aus.
Oft neckte sie den Raum, da er nichts tat, als sich auszubreiten, während sie ständig über Entstehen und Vergehen wachen musste. So gemütlich Herr Raum auch war, ihre Wichtigtuerei ärgerte ihn doch ein wenig. Wurde ihm die Stichelei zu heftig, grollte er, sie solle ihren Zahn wetzen und gefälligst an irgend etwas nagen gehen.
Das tat sie dann auch, nicht weil er, der Raum, es wollte, sondern weil sie, die Zeit, es zu ihrem Hobby gemacht hatte. Mit Begeisterung tobte sie durch den Raum und schlug ihren Zahn in alles, was ihr in den Weg kam. Bei den Sternen war ihr schnuppe, wann dem einen oder anderen das Licht ausging. Den Mond fand sie etwas fade und an der Sonne hatte sie sich mehr als ein Mal das Maul verbrannt. "Ha!", hatte sie schon mehrmals triumphiert, "ich kann warten bis du abgekühlt bist, mein Fräulein. Aber dann!"

Auf ihrem Lieblingsplanet, diesem hübschen blauen, nagte sie im Norden an den Eisschichten, dann wieder an Steilküsten oder Bergmassiven und besonders gerne nagte sie an diesem komischen Wuselvolk. Sie war sehr gewissenhaft und so kam jeder an die Reihe. Manchmal übertrieb sie auch und jene, welche es dann erwischte, sahen dann älter aus als andere. Irgendwann ging ihr Gebaren dem Raum mächtig aufs Gedärm und er blähte sich, dass einige aus dem Wuselvolk sich Sorgen machten, er könne in ein schwarzes Loch geraten. Also beruhigte er sich wieder und suchte ausnahmsweise von sich aus das Gespräch. "Mach langsam Zeit, wozu die Eile? So alt wie Du wird ja eh keiner ... außer mir natürlich." Dabei musste er sich konzentrieren, damit er sich nicht gleich wieder aufblähte, vor Stolz diesmal. "Was redest du für Schwachsinn, Raum", kam es pikiert zurück, "wie willst du mich an Alter einholen, wenn ich doch lange vor dir da war!"
"Frau Zeit!"
*Ja, Herr Raum? Möchten sie sich mit mir anlegen?" Das wollte Herr Raum nicht wirklich, aber männliches Gebaren war nicht das Privileg des Wuselvolkes, und so maulte er, "ich bin der Raum und du, die Zeit, bist in mir. Also bin ich das Gehäuse und du bist mein ... äh, mein Inhalt." Nun blähte er sich doch wieder ein wenig, denn dieser Logik musste sie sich beugen. Glaubte er.
"Sie haben scheinbar zu viel Rosamunde Pilcher gelesen", höhnte die Zeit, "ich gehöre niemandem und schon gar nicht lasse ich mich auf ihren Inhalt reduzieren. Ich existiere nämlich auch außerhalb von ihnen."
"Was zu beweisen wäre", sagte der Raum. Nun wurde die Zeit wütend und machte einen kleinen aber heftigen Sprung, so dass auf dem blauen Planet alles Kopf stand. "Nur dass sie es wissen, Herr Raum, von außen betrachtet, sind sie auch nichts anderes als ein Loch. So! Eins von vielen. Und unendlich sind sie schon mal gar nicht! Sie haben nämlich einen Anfang." Jetzt schmunzelte sogar der sonst so humorlose Raum. "Frolleinchen, das mag ja sein. Aber nach vorne raus bin ich unendlich." "Irren sie sich da mal nicht, mein Guter, von ihrer Sorte habe ich schon einige kommen und vor allem auch wieder gehen sehen", trumpfte die Zeit auf. "Und was sagt ihnen das? ICH bin der Boss, alles Sein findet in mir statt. Ohne mich geht gar nichts!" Dem Raum begann der nicht vorhandene Schädel zu qualmen. Da sein Blick zwangsweise nach innen gerichtet war, nahm er bisher an, dass er nicht nur der einzige seiner Art, sondern überhaupt seine Kontinuität die einzige von Bedeutung sei. Der Gedanke, dass auch er nur ein unbedeutendes Teilchen von was auch immer sein sollte, kratzte gewaltig an seinem Ego. Die Zeit hatte er nie für voll genommen, sie war bedeutungslos für ihn. Ja, er glaubte sogar, sie sei nur eine Erfindung des Wuselvolkes. Die da unten waren besessen davon, allem einen Namen zu geben. Alles wurde kategorisiert, ganz besonders jenes, was für sie weder greif- noch wirklich erklärbar war. Sie nahmen also ein großes Nichts, teilten es in zig Abschnitte auf und nannten es Zeit. Erstmals kam ihm der Gedanke, dass auch ER seinen Namen von denen da unten bekommen hatte. Aber das war etwas anderes, ER war schließlich existent, absolut real. SIE war nur ein Begriff. Oder doch nicht? Zu gerne hätte sich der Raum jetzt mal hinter einem Ohr gekratzt ... man oh man, war das alles kompliziert.
Als sei er nicht schon verwirrt genug, schien die Zeit nun auch noch seine Gedanken lesen zu können. "Naaaaaa?", fragte sie gedehnt, "stolpern sie gerade über die eigene Un-Logik, Herr Raum? Kommt's ihnen gerade? Also ich meine jetzt die Erkenntnis." Da schaltete sich ein piepsiges Stimmchen ein. "Nein, ich habe nicht die Absicht, ihn jetzt zu beehren. Soll er doch sehen, wie er ohne mich klar kommt. Ging schließlich bisher auch ohne mich."
"Wer ist das denn nun wieder?", stammelte der Raum. "Ich bin die Erkenntnis", piepste die Erkenntnis, "was sie aber nicht erkennen können, weil ich mich ihnen entziehe." "Wo bleibt da die Vernunft?", empörte sich sich der Raum, "wenn sie schon ...". Weiter kam er nicht, denn jemand rief, "hier bin ich, aber mir wäre lieb, wenn sie mich völlig aus dem Spiel lassen."
"Hallo, große Schwester", rief die Erkenntnis.
"Sei gegrüßt", gab die Vernunft freundlich zurück.
"Was geht denn jetzt hier ab?", fragte der Raum verdattert, "hat nun jede hohle Floskel was zu melden?"
"Allerdings", riefen die Erkenntnis und die Vernunft, "weil wir nicht hohl, sondern vor lauter Bedeutung ständig schwanger sind!"
"Papperlapapp!", brüllte der Raum, dessen Nerven, hätte er welche besessen, nun völlig blank gelegen hätten, "ihr seid nichts als Auslegungssache, Hirngespinste und Erklärungsversuche der Wuselmanen!
ICH, der Raum, gebe euch einen Platz für eure fadenscheinige Existenz. Ohne Raum kein Inhalt!"
"Du tickst ja wohl nicht richtig!", schrie die Zeit.
"DAS ist ja auch deine Aufgabe", konterte bissig der Raum, "es bleibt dabei, ohne mich gäbe es keinen von euch. Punkt!"
Die Erkenntnis war einen Moment schwer mit sich selbst beschäftigt, denn sie fragte sich, ob es nicht doch angebracht sei, sich wenigstens einen Lichtblick lang dem Raum zukommen zu lassen. Leise fragte sie die Zeit, ob oder ob nicht. "Lassen sie es", flüsterte diese, "das bringt nichts, er ist schließlich maskulin." Die Vernunft nickte resignierend.
Der Raum deutete das eintretende Schweigen fälschlicherweise als Zustimmung und konnte sich ein Schlusswort nicht verkneifen:

"Also sind wir uns nun einig? Alles braucht einen gewissen Raum um zu existieren. Dieser Raum bin nun mal ich. Nehmt mal die Wuselmänneken da unten. Die haben sich auch Gehäuse gebaut und was drin ist, gehört ihnen. Selbst dich. Zeit, haben sie in so ein Ding gesteckt und es dann Uhr genannt. Nicht, dass irgend etwas von Bedeutung wäre, was die da unten fabrizieren, aber so als Vergleich kann man sie schon mal nehmen. So gesehen bin ich also auch so was wie eine Uhr, und somit bist du mein, liebe Zeit. Kein Grund auszuticken." Der letzte Satz sollte wohl versöhnlich klingen, erreichte jedoch das exakte Gegenteil. Alle Anwesenden brüllten ihre Empörung in und durch den Raum.

Es reichte. Also MIR reichte das ganze überhebliche Gewäsch. Nichts als Rumgesülze. Wurde Zeit, diesen Anfällen von Selbstüberschätzung ein Ende zu bereiten.

"RUHE!!!"

(Meine Stimme ist gewaltig.)
Alle verstummten auf einen Schlag, machten sich ganz klein.
Selbst der Raum wollte sich vor Schreck zusammenziehen, das hätte fatale Folgen gehabt, und die Zeit hätte sich um ein Haar verflüchtigt. (Das tat sie oft und gerne). Also sprach ich ruhiger weiter.
"Raum und Zeit, ihr seid beide in der Tat erhebliche Teile des Ganzen."
"Siehste, Raum", lispelte entzückt die Zeit. "Ach, Du", grummelte ebenfalls besänftigt der Raum.
"Aber!", fuhr ich fort. Alle warteten gespannt. "Aber ihr nehmt euch zu wichtig."
Der Raum füllte sich selbst mit Murren. Eine dümmliche Angewohnheit.
"Und weil ihr euch so wichtig nehmt, muss ich mir dieses sinnlose Gezänk anhören ..."
"Und WER, bitte, bist du?", fragte die Zeit mich gereizt.
"Lass mich ausreden!", ranzte ich sie an, denn ihr Gezicke ging mir mächtig auf den ...
... sorry, ich habe ja gar nichts, auf was es mir gehen kann, aber wenn ich einen hätte, dann würde es mir drauf gehen.
Aber so was von!
"Also hört mir genau zu, Kinder", sagte ich betont väterlich, " euer Gezänk macht mich traurig. Trauer macht mich Depressiv und wenn ich depressiv bin,
dann macht mir das alles keinen Spaß mehr. Und wenn mir nichts mehr Spaß macht, dann werde ich noch viel depressiver.
Und dann könnte es passieren, dass ich in so einer tiefschwarzen Depri-Phase an einen waschechten Suizid denke.
Ich will euch jetzt nicht erpressen oder so, aber es KÖNNTE durchaus sein, man weiß es nicht. "
"Wer bist du?", unterbrach mich ganz kleinlaut der Raum.
"Halt die Klappe, du Blase im Universum, ich bin noch nicht fertig!"
Sterne, Arsch und Galaxis ... was war ich sauer.
"Wenn ihr also nicht endlich aufhört, eure angebliche Wichtigkeit ins Universum zu tröten, könnte ich vor lauter Überdruss die Lust an mir selbst verlieren.
Dann wäre Ende im Gelände, ihr kleinen Nebensächlichkeiten.
Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ja, ich weiß, es ist schwer zu erklären, aber ich bin die Erklärung für ALLES!
Meine Existenz sichert die Eure. Also treibt mich besser nicht zum Äußersten!"
"Wer bist du?", fragten jetzt alle im Chor.
Der Raum war starr vor Neugier, die Zeit zog besorgt Schleifen, die Erkenntnis wusste mit sich selbst nichts anzufangen und die Vernunft schwieg.
"Nicht WER, sondern WAS bin ich, solltet ihr euch fragen."
"Sind wir hier bei Robert Lembke?", maulte der Raum.
"Wir haben doch gar keine Schweinchen", jammerte die Zeit.
"Jetzt seid doch mal vernünftig", tadelte die Vernunft.
"Ich fehle mir noch immer selbst", weinte die Erkenntnis.

Das war der Punkt, an welchem ich mich selbst nicht unnötig noch wichtiger nehmen wollte, als ich ohnehin war,
und überdeutlich artikulierend lüftete ich meine Identität:

ICH, liebe Kinder, bin ...

... das S E I N!"


Nun ja, was soll ich noch sagen, meine Enthüllung war ein voller Erfolg. Dieses ewige "ich bin, nein ich bin, nein ICH bin", gehörte der Vergangenheit an.
Der Gedanke, dass ICH, das SEIN, vor lauter Frust aufhören könnte zu existieren, hatte allen gehörig Bammel gemacht. Nun dehnt sich der Raum ab und zu wieder ganz still, die Zeit wuselt alles annagend durch die Gegend, die Erkenntnis überfällt nach wie vor die von ihr Auserwählten und die Vernunft tut ebenfalls, was sie schon immer tat ... sie schweigt meistens, oder besser gesagt, sie lässt sich von Hinz und Kunz zum Schweigen bringen. Und die Wuselmanen wissen (wie eh und je) nichts mit all dem Guten anzufangen, was ihnen in den Schoß gelegt wurde.
Trotzdem.
Alle sind.
Na, warum wohl?
Genau!

Weil ICH BIN!

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.06.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Schreibduell mit MoniRapunzel ;-)

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