Cover

Ein Pärchen sieht zu mir rüber, wie es scheint geringschätzig. Pikiertes Kopfgeschüttel, dann verschwinden sie hinter Gebüsch.
Wenn ihr wüsstet wie scheißegal mir ist was ihr denkt, denke ich und schüttle dabei selbst den Kopf, denn "scheißegal" gehört nicht unbedingt in meinen Wortschatz. Ich öffne die Lippen ein wenig und hauche es hörbar ... scheißegal.
Gefällt mir, tut gut weils zur Stimmung passt, also auf den Mund und für alle hörbar:

Scheißegal!

Sie haben ja recht, die Maulaffenfeilhalter und Empörtgucker, kurz vor der Rente sollte keine Frau rittlings auf Mauerresten sitzen. Ich tue es trotzdem, und auch der weit hochgerutschte Rock lässt mich nicht beschämt erröten. Ich lache hämisch bei dem Gedanken an das Entsetzen einiger, ist ja auch bescheuert, die Stützkniestrümpfe aller Welt zu präsentieren. Wenn sie wenigstens nicht so tief ins Fettgewebe einschneiden würden. Ja, schaut nur, ich mache euch das Michelin-Männchen und scher mich einen Dreck, ob der Jugend dabei übel wird.

Vorhin war das noch anders, da wäre ich noch hingegangen zu einer wie mir jetzt, und hätte sie gefragt, ob sie keinen Anstand besitzt. Vorhin wusste ich auch nicht, was ich jetzt weiß und konnte noch klar denken.

Was so ein paar Sätze ausmachen.


Ich liebe ihn.
Nein, verdammt, im Moment tue ich das nicht!
Im Hospiz liegt er, und eigentlich sollte ich bei ihm sein. War ich auch, bis vorhin. Bis er glaubte schwatzhaft werden zu müssen, um seinen Frieden zu finden. Ich danke auch schön, und was ist jetzt mit meinem? Reden ist nicht Silber, sondern Kuhkacke, alter Mann!

Ein ganzes Leben dieses Bild vor Augen, ein Gesicht, roh und entstellt von Wut.
Kein schönes Bild, würde mancher sagen. Irrtum, meine Herrschaften, auch solche Bilder können trösten ... hinweg über den Verlust.
Ein Vater ist ein Vater!

Nein, nein, ich will mich jetzt nicht hineinsteigern, alter Mann, Du hast Deine Pflicht an mir erfüllt. Hast meinen spärlichen Erinnerungen die Trauer genommen, hast dieses Bild in meinen Kopf gebrannt und sein Fehlen ausgeglichen. Du kamst als Schokoladenschenker, wurdest generöser Taschengeldgeber und irgendwann warst du ER für mich. Um Vieles besser als ER jemals gewesen wäre. So hast du es mir eingeredet. Sehr glaubhaft übrigens. Unterstützt von den Augen meiner Mutter. Sie hörten nicht mehr auf zu leuchten.

So wuchs ich heran, wurde groß, älter und alt. Mit diesem wutverzerrten Gesicht vor Augen. In Dankbarkeit, dass Du mich vor einer lieblosen Kindheit bewahrt hast. Er ging ohne alles, kam drei Tage später noch ein Mal. Ich lag im Bett, hörte Poltern und Brüllen. Vom lastlosen Neuanfang in Amerika schrie er herum. Bei geöffneten Fenstern. Alle hörten dass er nie mehr kommen wollte. Er ging in dunkler Nacht mit seinem großen


Koffer. Die Blicke der Nachbarn waren das Einzige, dass ihm folgte. Und Mutter stopfte am nächsten Morgen, seltsam eilig und heulend, seine Hinterlassenschaften in Säcke. Für die noch Ärmeren wohl.
Einen Sommer fehlte er, dann kamst DU. Aus Dankbarkeit wurde Liebe, die du annahmst, als stünde sie dir zu.

Ich sollte von der Mauer steigen, die Blicke der Leute kratzen nun doch das Schamgefühl. Sollte also runter klettern, den Rock richten und zu dir gehen. Den letzten Atemzug sollte kein Mensch einsam tun müssen. Obwohl, ... grad ist mir als müsste ich dafür sorgen, dass du ihn noch ein Stück eher und weniger friedlich erlebst. Ja, erleben, denn ich würde dir recht langsam den Hals zudrücken.

Alleine dafür, wie ich mich quäle ein neues Bild zu malen.

Ein Vatergesicht wie es sein sollte. Ohne Bösartigkeit. Ein Lächeln, hinein mit imaginärem Pinselschwung. Ein Vaterlächeln, wie ich es so vermisste. So viel ich auch kleckse, die Konturen verwischen, verblassen, lassen sich nicht nachzeichnen.

Doch jetzt ... es entsteht neu, ... ach deins nur, alter Mann. Greises Haupt in frisch geschüttelten Kissen. In Würde wollte man dich sterben lassen, jetzt hast du's selbst vermasselt. Hast mir das Vaterbild zerstört.
Hast dein schlechtes Gewissen drüber geschüttet.
In deiner Beichtsäure aufgelöst ist es, alter Mann!
Nur noch ein weißer Fleck.
Mehr bleibt mir nicht.


War da vorhin am Ende auch noch dummer Stolz, als du sagtest, wenn Männer brüllen klingen alle gleich?
Galt dieses kleine Grinsen dem pfiffigen Mordbuben?
Du hast Mutter sehr geliebt. So sehr, dass sie über den Gattenmord hinweg lachen konnte. Nichts schien euer Gewissen zu trüben.
Auch nicht der Vatermord!

Ich werde noch ein wenig laufen,
Stirb allein, du gemeiner alter Mann.


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Tag der Veröffentlichung: 07.02.2011

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