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Ich wachte auf, und anstatt in meinem Bett zu liegen, saß ich im Schoß des Herrn um mit ihm zu verhandeln.

"Herr", sprach ich, "mir dünkt, du schluderst hie und da in deinem Amte. Wie sonst
wohl könnte ich zu dieser Unzeit vor dir sitzen?"

Sein eines Auge ruhte recht verkniffen auf mir Abgelebtem, das andere gar müde auf der Welt.

Gesprächigkeit schien seine Stärke nicht zu sein, so fuhr ich fort:

"Du hast mich abberufen in der Blüte meiner Manneskraft, hast du denn keine Achtung vor des Menschen Willen? Denn wollte ich auch vieles ... DAS war nicht mein Begehr."

Da wandte er mir beide Augen zu, und wäre er nicht Gott gewesen, hätte ich geglaubt in seinem Blicke List zu sehen, als er fragte:

"Nun, Engelchen, so sage mir, was war denn dein Begehr?"

"Ein langes Leben in Glück und Gesundheit", gab ich Antwort, "und bitte nenne mich nicht Engelchen! Das WILL ich nicht!"
Just in diesem Moment spürte ich ein Flügelschlagen zwischen meinen Schulterblättern, und mein Einwand wurde nichtig.

'So so', sinnierte laut der Herr, 'ein langes Leben und Gesundheit obendrauf war sein Wille.'
" Weshalb dann, frage ich dich, bist du deinem Willen nicht gefolgt?"

'Der Schöpfer sollte wahrlich nicht mit solchem Untertone sprechen', war mein Gedanke, 'er ist dem himmlischen Befinden wenig förderlich.'

Trotzig gab ich Antwort:
"Das bin ich wohl, Herr, bestmöglich tat ich, was ich wollte. Und würde es noch heute tun, wenn DEIN Wille nicht über dem meinen gestanden hätte."

"Hat er gar nicht!", sprach fröhlich grinsend Herr Gott, " DU wolltest huren, saufen, schlemmen und qualmen wie ein Schlot, nicht ICH wollte, dass du es tust."

"Ja, aber ...", hub ich an zum Widerspruch, und kam nicht weiter.

"Kein A B E R, Engelchen! Du bist blind deiner körperlichen Gier gefolgt, mit Willen hat das reichlich wenig zu tun. Der Wille ist Sache des Geistes."
Ich kam ins Grübeln.

"Da hast du wohl schlechte Arbeit getan, Herr, wenn mir der Einklang zwischen Geist und Körper fehlt."

"Nicht schon wieder diese alte Leier", jammerte der Schöpfer meiner Unzulänglichkeiten, "ich gab dir all das, was ich seit Anbeginn einem Jeden gab. Nur weiß der Eine es zu händeln, beim anderen ist es für die Katz."

Das war ein starkes Stück! "Und warum hast du uns dann nicht genügend Verstand gegeben, damit es alle gleich nutzen können?"

"Du Narr!", (jetzt klang er recht wütend), "sollte ich vielleicht jeden mit einer Bedienungsanleitung zwischen den Arschbacken das Licht der Welt erblicken lassen?!"

Potz Blitz, DEN fand ich göttlich!

"Also war dein Plan, dass nur die Besten ihn finden und zu nutzen wissen?"

Der Herr sah mich ein wenig dümmlich an.

"Was finden, was nutzen, ... wovon sprichst Du?"

"Herrgottnochmal, den freien WILLEN!"
Brüllte ich nun entnervt.

"Und was hab' ICH damit zu tun?!", brüllte doch der Allmächtige tatsächlich zurück.

Ich war verdutzt.

"Na du hast ihn uns doch gegeben, den freien Willen und ... ", sein Blick ließ mich zweifeln, ob ich wahrhaftig in der richtigen Etage saß.

"Manchmal glaube ich, statt Engel Federvieh zu produzieren." Grollte er und schnitt grausige Grimassen. "Wie kommst du darauf, dass ich euch einen eigenen Willen gegeben hätte, hä?!
Hast du im Gottesdienst je anderes getan, als gepennt?????
MEIN IST DER WILLE!!!
Mein, mein, mein!! Und soll ich dir was verraten, mein geflügelter Nichtsbegreifer? Ich weiß ja selbst nicht immer, was ich will, geschweige denn, warum ich manchmal will, was ich will!
Wenn ich das so genau wüsste, dann würde es bei euch da unten nicht zugehen, wie es zugeht. Dann herrschte nämlich Zucht und Ordnung!"

Da saß ich nun und gaffte mit offenem Munde. Ich sollte keinen Willen haben?
Als könne er Gedanken lesen (oh, ich vergaß ... er KANN!), richtete er nun milder das Wort an mich:

"Nun gut, Engelchen, was wolltest du alles tun, ehe dich der Hirnschlag unverhofft traf? Wie waren deine Pläne für den letzten deiner irdischen Tage? Ich bin ganz Ohr."

Angestrengt dachte ich nach.

"Ähhh ... ich wurde munter und wollte mir einen Kaffee machen. Den hatte ich sehr nötig. Dann wollte ich meiner Mutter endlich schreiben, das schlechte Gewissen plagte mich schon lange. Und den Berg Geschirr wollte ich in Angriff nehmen, der setzte schon Moos an. Und Wäsche wollte ich waschen, weil nicht ein sauberes Hemd mehr im Schrank war. Ja und nie wieder Alkohol anrühren, weil mir vom Vorabend kotzübel war, und mir einen Job suchen."

"Und hast Du?"

"Naja, beinahe, ich machte am Kühlschrank halt ... und fand noch ein kühles Bierchen."

"Aha. Weiter."

"Dann wollte ich wirklich an Mutter schreiben."

"Und? Hast du?"

"Fast, ich saß schon vor dem leeren Blatt Papier ... da klingelte das Telefon. Mein Kumpel Paul lud mich zum Frühschoppen ein. Der zog sich dann ein wenig länger hin.
Den Rest kennst du."

"Und warum, denkst du, kam immer alles anders, als du selbst wolltest?"

Tja warum, ich konnte es ihm nicht sagen.

Aber ER konnte es. Und er tat es auch:

"Weil dieses Geschwafel von eurem Willen Unfug ist. Es ist nicht der Wille, der euch leitet. Ihr Menschlein habt euch ein eigenes Leitsystem geschaffen. Habt euch mit tausend unsichtbaren Fädchen aneinander geknüpft. Und ein jeder zieht an den Fäden des anderen. Die Mutter hier, der Freund da, der Lehrer dort, die Ehefrau da hinten, der Chef dort vorne. Da hilft kein Sträuben, da wackelt ein jeder durch sein kleines Leben, wie die anderen es wollen."

Widerspruch keimte in mir. JETZT hatte ich ihn!

"HA! Du bist nicht halb so wissend, wie du mich glauben machen willst!", rief ich aufmüpfig, "dann habe ich ja DOCH einen Willen. Ich habe diese Schnüre durchtrennt, habe eben nicht mitgewackelt! "

"So kann man es auch sehen", sagte er und lachte höhnisch. "Und was hat's dir gebracht? Du hast dich aus eurem Fädchensystem herausgeschnitten, aber das hat dieses System dir verübelt. Hat dich fortan abgelehnt, zum Außenseiter gemacht weil du glaubtest WOLLEN zu können, und in den Suff getrieben. Und jetzt hockst du in meinem Schoße und erzählst mir was von Willen."
Er sah mich an und lachte. Lachte immer lauter, klopfte sich auf die Schenkel, wischte sich die Tränen aus den Augen und gab mir einen herzhaften Schlag auf die Schulter. So herzhaft, dass ich rücklings aus seinem Schoß flog und ...

... unsanft neben meinem Bett landete.
Was für ein bescheuerter Traum.
Mein Schädel dröhnte, ich brauchte dringend einen Kaffee. Boooaaahh, was hatten wir gestern auch wieder gesoffen, der Paul und ich.
Nie wieder Alkohol, nahm ich mir fest vor.
Ach ja, und Mutter musste ich dann endlich mal schreiben. Putzen und waschen war auch überfällig. Und endlich mal einen Job finden.
Aber erst mal einen Kaffee.
Ich machte am Kühlschrank halt ...

und fand noch ein kühles Bierchen ...


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Tag der Veröffentlichung: 12.10.2010

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