Hemisphäre
Vereinfachend kann man das Gehirn in Großhirn, Kleinhirn, Zwischenhirn und Hirnstamm unterteilen. Das Großhirn macht etwa 80 Prozent der Hirnmasse aus. Das Gehirn ist außerdem in zwei Hälften (Hemisphären) aufgeteilt.)
(Quelle: www.onmeda.de/.../anatomie/ gehirn_anatomie.html)
Das Jahr 1970
Rotierendes Blaulicht vor dem Fenster ließ den ohnehin blassen Jungen wie eine Wachsfigur aussehen. Im Nachbarzimmer schrie und weinte seine Mutter. Barsche Männerstimmen, Türen schlugen ... dann schluchzte die Mutter nur noch.
Durch die Gardinen sah der Neunjährige, wie ein Mann in Handschellen in das Polizeiauto gestoßen wurde. Sein Vater. Die Männer waren böse und ungerecht. ER wusste, dass Papa keine Schuld traf.
Papa hatte es ihm erklärt. Tief in jedem Menschen steckte etwas, dass dafür sorgte, dass man tat, was man eben tat. Papa hatte es ihm in der Gartenlaube erklärt. Als dieses tote Mädchen dort lag. Er hatte die Schule geschwänzt und wollte es sich mit seinem Lieblingsbuch in der Gartenlaube gemütlich machen. Das war sehr peinlich für Papa. Deshalb sprach er auch mit ihm, wie mit einem Erwachsenen. Er wollte nur nett sein zu ihr und dann fing sie an verrückt zu werden. Hat geschrieen und wollte Mama lauter Lügen erzählen. Dann hätte Mama sie verlassen. Weil das Mädchen böse und ganz durchtrieben war.
Er hatte verstanden, dass sein Vater von etwas gelenkt wurde, dass tief in seinem Kopf war. Er kannte das selbst. Im letzten Sommer hatte er den kleinen Hund der Nachbarn in der Regentonne ertränkt. Auch in seinem Kopf war da was, gegen das er nichts machen konnte. Der Junge fand das tote Mädchen gar nicht Angst erregend. Im Gegenteil ... es war irgendwie interessant. Ihre Augen starrten die Decke an, und man hätte denken können, gleich würde sie sagen was es da zu sehen gäbe. Aber weil das Messer in ihrem Bauch steckte, ging das ja nun nicht mehr.
Der Junge sah dem Polizeiwagen nach und ging dann zu seiner Mutter. Sie würde das mit dem Kopf verstehen. Aber sie verstand nicht. Hörte wohl nicht richtig zu. Sie saß am Küchentisch, die Arme um den Oberkörper geschlungen, wiegte sich hin und her und murmelte ständig:
"Drei, es waren drei ... sie waren doch Kinder, drei, es waren drei ..."
Das Jahr 1980
Er grub und grub, wie ein Wilder. Bald würde es hell werden und dann musste alles erledigt sein. Als ihm das Loch groß genug schien, stieß er den leblosen Körper hinein. Sie war 15 und sehr hübsch.
Er wollte nur mit ihr spazieren gehen. Als er ihr an den Busen fasste, wurde sie zickig. Dann begann sie zu schreien. Zum Glück hatte er das Messer einstecken. Da wurde sie ruhig. So war es richtig nett mit ihr.
Danach war sie wieder dämlich und heulte. Immer das gleiche mit diesen dummen Dingern. Also tat er, was getan werden musste. Sie konnten ja den Mund nicht halten und wenn Mutter es erführe. würde sie ihn verlassen. So wie sie Vater verlassen hatte.
Was sollte dann aus seinem Medizinstudium werden. Fachwissen war wichtig. Wie sollte er denn die Welt aufklären, sie verstand nichts, musste für alles Beweise haben. Er würde sie finden, aber dazu brauchte er Mamas finanzielle Unterstützung.
Das Jahr 2009
"Na, haben Sie mal wieder vergessen, wo Ihr Bett steht?"
Dr. Rena Jenkins blickte belustigt auf den gekrümmten Rücken ihres Kollegen Frank Hyde.
Wie nicht anders zu erwarten, wenn er über seinem Mikroskop hing, kam ein Brummeln und ein aufgeregtes Wedeln mit der Hand.
Also war sie still und sah sich um. Ihrem geschulten Auge bot sich der übliche Anblick. Drei Seziertische, drei Leichen, eine davon mit fehlender Schädeldecke und im wahrsten Sinne des Wortes hirnlos. Fein säuberlich in Scheiben geschnitten, lag es auf einem Tablett als würde gleich zum Dinner geladen.
'Ein Stück Petersilie fehlt da noch', dachte Rena und schüttelte sich im gleichen Moment.
Es war 22.30 Uhr.
"Frank, machen Sie Schluss für heute, Ihre "Patienten" halten auch morgen noch still."
Statt einer Antwort kam eine aufgeregtes:
"Sapperlot, ich wusste es, ich WUSSTE es!!"
Seine Kollegin horchte auf. Hyde war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Neurophysiologie, und besessen davon der Welt zu beweisen, dass der Mensch weder über einen so genannten freien Willen, noch über eine absolut eigenständige Entscheidungskraft verfügt.
Der präfrontale Kortex war die Obsession des Wissenschaftlers. Zu Deutsch, das vordere Stirnhirn, welchem man das moralische Denken und Handeln zuordnete.
Einige seiner Kollegen (weltweit), gingen bis zu einem bestimmten Punkt mit ihm konform. Das reichte Hyde nicht. Er wollte die weltweite Anerkennung UND daraus folgend die Akzeptanz seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Wenn der Mensch im Denken UND im Handeln von biochemischen Prozessen im Gehirn gelenkt werden würde, dann wäre es ein Verbrechen an der Menschheit, all jene zu kriminalisieren, zu verfolgen und abzustrafen, welche sich aus diesen biochemischen Zwängen heraus nicht zivilkonform verhalten KONNTEN.
Der Mensch war nach Ansicht Dr. Frank Hydes nur mehr eine bedingt reagieren könnende Marionette seiner eigenständigen Gehirnaktivität.
Einzig und allein die von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausgeprägte Möglichkeit sich diesem, nach Ansicht Hydes, unnatürlichen Zivilisations-Reglement zu unterwerfen, entschied über Ansehen und Stellung in der Gesellschaft.
Die Möglichkeit des Denkens an sich, hat die Natur im menschlichen Gehirn eingerichtet. In welche Richtung dieses Denken im Laufe eines Lebens dann ging,
wurde Hyde zufolge durch eine Symbiose biochemischer Vorgänge im Gehirn und allen nur erdenklichen psychosozialen Einflüssen gesteuert, denen der Mensch im Laufe seines Lebens ausgesetzt war.
Seit Jahren forschte Dr. Hyde sowohl an toten als auch an lebenden Gehirnen.
Im Laufe der Zeit wurde er jedoch immer wunderlicher und Dr. Jenkins machte sich zunehmend Sorgen um seinen Geisteszustand. Die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn schien sich bei ihrem Kollegen aufzulösen.
Die Institutsleitung hatte seit geraumer Zeit ein Auge auf ihn.
Das war einer der Gründe, weshalb sie regelmäßig nach ihm sah, ehe sie selbst das Institut verließ.
"Haben Sie etwas Neues entdeckt?", fragte sie interessiert.
Frank drehte sich zu ihr und begann wie ein Irrer zu lachen. Dann packte er Rena an den Schultern und seine Stimme überschlug sich fast:
"Ja, habe ich. Es wird eine Revolution auslösen. Eine Revolution wider die Knebelung der Urinstinkte!"
Die junge Wissenschaftlerin trat einen Schritt zurück. Er war ihr unheimlich.
"WAS haben Sie entdeckt, Frank?"
"Das limbische System!"
"Aha, ... Frank, alles in Ordnung mit Ihnen? "
"Jetzt kommen Sie schon, Frau Kollegin, natürlich habe ich nicht das limbische System entdeckt, aber Dank der molekularen Mikroskopie ist es mir endlich gelungen, feinste Verbindungen zum präfrontalen Kortex zu finden."
Erwartungsvoll sah er sie an.
"Verstehen Sie denn nicht? Ich kann damit den Beweis erbringen, dass unsere Emotionen, unser Triebverhalten, keinem freien Willen unterliegt.
Denken Sie nach, Rena, DENKEN Sie! War da etwa einer, der den heute "zivilisierten" Menschen ein modernes Gehirn verpasst hat?!"
Sie wusste, worauf er hinaus wollte. Die Vorfahren des Menschen hatten das mehr oder weniger primitive Wirbeltiergehirn. Im Laufe von Jahrmillionen entwickelte es sich weiter und weiter, wurde größer, komplexer. Zwei Gehirnhälften, die Hemisphären entwickelten sich und verbanden sich durch den Corpus callosum, auch Balken genannt. Und mitten drin das limbische System. Es war eine Art Maschine, die unbewusst arbeitete. Also im Unterbewusstsein. Es musste für das ursprünglich instinktive Verhalten zuständig gewesen sein. Ein Instinkt, der durch Überlagerungen zwangsweise abgeschwächt wurde.
Der Mensch begann zu denken, musste sich nicht mehr nur auf seine Instinkte verlassen. Mittlerweile war die Gehirnforschung jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass nicht nur das limbische System für Trieb- und emotionales Verhalten zuständig war, sondern dass es ein Zusammenspiel vieler Gehirnanteile gab. Nur schienen diese Forschungsergebnisse Frank Hyde nicht zu interessieren. Er dementierte nie, ging aber auch prinzipiell nicht darauf ein.
Frank glaubte, dass sie langsam begriff.
"Sie wissen, dass ich Recht habe. Sie verstehen also die Tragweite meiner Entdeckung!", rief er triumphierend.
"Es gibt keine Mörder, keine Kinderschänder, keine Diebe, keine Lügner, Dr. Jenkins, es gibt einfach nur das Wirbeltier namens *Mensch* und biochemische Abläufe im Gehirn. Die so genannte Zivilisation ist Nonsens! Erfunden von Größenwahnsinnigen, die glaubten sich von den anderen Erdlingen abheben zu müssen, die ... "
"Stopp, Dr. Hyde", versuchte Rena seinen erschreckenden Ausbruch zu bremsen, "das ist doch kompletter Unsinn. Natürlich gibt es Menschen, die durch Fehlfunktionen im Gehirn nicht in der Lage sind, ihre Handlungen zu kontrollieren. Aber das ist die absolute Minderheit. Weil wir durchaus in der Lage sind, unsere Emotionen und Triebe zu beherrschen. Weil ..."
"Sie Ignorantin! NICHTS können wir kontrollieren. Das glauben nur alle, solange die Reizsignale fehlen! Haben Sie schon mal gehasst? So richtig? Scheinbar nicht. Haben Sie schon mal das Verlangen gespürt, etwas zu tun, was die Gesellschaft verbietet? Schon mal die Qual gespürt, wenn das Verlangen Sie beinahe in den Wahnsinn treibt, weil Sie aus dieser Gesellschaft ausgestoßen werden, wenn sie einfach nur Ihrem Urtrieb folgen wollen?"
Unvermittelt schoss sein Kopf nach vorne und er schrie ihr ins Gesicht:
"Das Geheimnis ist gelüftet! Wir sind unschuldig schuldig, wenn wir schuldig werden! Und genau DAS werde ich der Welt vermitteln. Und genau DAS wird die Welt verändern!""
Speicheltröpfchen trafen Rena und sie waren nicht der einzige Grund, weshalb sich alles in ihr zusammenzog. Rückwärts näherte sie sich der Tür. 'Raus hier, er ist wahnsinnig geworden', war alles, was sie noch denken konnte. Dann riss sie die Tür auf und rannte aus dem Gebäude.
Das Jahr 2015
"Schon wieder ein Mord!", rief ihr Mann und klang ein wenig hilflos. Seine Frau stand an der Spüle und schälte Kartoffeln. Sie wollte es nicht mehr hören und sehen schon gar nicht. Pünktlich zu den Nachrichten hatte sie deshalb in der Küche zu tun. Verbrechen hatte es schon immer gegeben, aber seit einem Jahr häuften sich die Schreckensnachrichten. Das Grauen ging in den Städten um. Vergewaltigungen, Kindesmissbrauch, Morde ... die Staatsorgane bekamen es nicht mehr in den Griff.
Und sie kannte den Urheber persönlich. Vor fünf Jahren hatte er für sich eine Entdeckung und ihr damit Angst gemacht. Einige Tage rang sie mit sich, dann ging sie zur Institutsleitung. Sie kam zu spät. Frank Hyde hatte gekündigt.
Und er hatte das Land verlassen.
Kurz darauf sorgten gewisse Internetseiten für Gespräche und Diskussionen. Sie hatte gelächelt ... Frank Hyde war ein kranker Mann.
Dann eine Fernsehsendung, nur ein Jahr später. In Amerika machte ein psychologischer Gutachter von sich reden, ein Deutscher, der Gewaltverbrechern anstatt zu Knast, zu Klinikaufenthalten verhalf. Amerikanische Anwälte hängten sich dran, boxten mit seiner Hilfe die größten Galgenvögel raus. Die Gesetze ließen es zu. Staatsanwälte und Richter waren machtlos, die erforderlichen Gesetzesänderungen ein langwieriger Prozess. Der Begriff Psychologie bekam einen bitteren Beigeschmack.
Die Menschen teilten sich in zwei Gruppen auf. Anfangs waren die Gegner der neuen Welle den Befürwortern zahlenmäßig weit überlegen. Dann stieg die Kriminalität rasant an. Hinterbliebene der Opfer fühlten sich durch die Urteile verhöhnt, wer den Täter kannte, übte Selbstjustiz. Dieser Wahnsinn schwappte über Grenzen, dann über Meere. Die Welt spielte verrückt.
Im Flur lachten ihre beiden Kinder ... sie würde sie beschützen.
Das Jahr 2040
Claudia spähte vorsichtig um die Ecke, ehe sie die vermüllte Gasse betrat und in den nächsten Hauseingang schlüpfte.
'Geht doch', dachte sie nervös und hechtete einen Eingang weiter. Das Bündel in ihrem Arm wimmerte. 'Pssssst, kleiner Schatz, wir müssen ganz leise sein."
Vor der Stadt gab es einen Zugang zum Tunnelsystem. Dort würde sie sicher sein mit ihrem Kind.
Bis vor drei Tagen hatte sie noch einen Beschützer. Den Vater ihrer Tochter. Sie war sich von Anfang an darüber im Klaren gewesen, was für ein großes Glück ihr zuteilwurde. Selten blieb ein Mann bei der Frau, die er geschwängert hatte. Die meisten waren sich selbst überlassen, falls sie die häufig brutalen sexuellen Angriffe überhaupt überlebten.
Boris war anders gewesen. Er mochte sie und kümmerte sich, so gut er konnte.
Boris konnte lesen, und er erzählte von einer Zeit, da hatte es Familien gegeben und Werte UND eine richtige Zivilisation. Sie verstand nicht wirklich was dieses Wort bedeutete, aber für die Menschen musste es etwas sehr Gutes gewesen sein. Boris sprach immer wieder von Frieden, der in vielen Teilen der damaligen Welt herrschte.
Nun war er tot. Sie hatten gemeinsam versucht das Tunnelsystem zu erreichen. Dort wollten sie mit dem kleinen Mädchen bleiben und für eine bessere Welt kämpfen. Oder bis es laufen konnte. Schnell laufen konnte. Denn nur die Schnellsten hatten eine Chance, zu überleben. Claudia war 13 Jahre alt. Vor der Kleinen schien ihr das genug Zeit auf dieser kranken Welt gewesen zu sein, genug, um sich uralt zu fühlen und nicht mehr laufen zu wollen. Laufen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ob sie je etwas anderes getan hatte als Angst zu haben ... und zu laufen.
Es wurde etwas besser als Boris in ihr Leben trat, und als sie schwanger wurde, beschloss sie leben zu wollen.
Nur vier Kilometer waren es noch bis zum Tunneleinstieg gewesen, da traten ihnen drei Typen in den Weg. Erst wollten sie nur Claudia, dann sahen sie das Baby.
"Mach keinen Stress", sagte der Anführer zu Boris. "Gib das Kind her und wir lassen dich und das Weib ziehen. Die ist eh zu alt." Abfällig deutete er auf Claudia und rotzte ihr vor die Füße.
Dann ging alles sehr schnell. "Lauf!", brüllte Boris, während er sich ihnen entgegen warf.
Und sie lief.
Viele Stunden hockte sie in dem Versteck, dass sie für den Notfall vereinbart hatten, und obwohl sie begriff, was sein Nichterscheinen zu bedeuten hatte, schlich sie im Schutz der Nacht dennoch aus dem Abwasserkanal und sah nach ihm.
Es gab nicht mehr viel zu sehen. Sie hatten ihn mit ihren Macheten zerhackt.
Tränen hatte sie schon lange keine mehr, aber der Anblick schmerzte bis in die Eingeweide.
So konnte er nicht liegen bleiben, nicht ER.
Claudia sammelte ihn ein, begrub ihn unter einem Berg von Schutt und Müll.
Dann nahm sie ihre Tochter und schlich zurück in ihren Abwasserkanal.
Heute Nacht hatte sie weniger Schreie gehört. Von Hunger geschwächt würde sie den Weg bald nicht mehr schaffen. Die Kleine hatte nicht mal mehr Kraft zum Weinen. Claudias ausgezehrter Körper gab kaum noch Milch her. Wenn ihre Tochter starb, war alles vorbei. Sie kämpfte nur noch für sie. Boris hatte von den Tunneln gehört. Dort gab es Männer wie ihn, Männer die Frauen und Kinder beschützten. Menschen, die nicht aufgaben, sondern sich fanden, um die alte Ordnung wieder herzustellen. Eine Ordnung, die Claudia nur durch Erzählungen kannte. Sie musste sich beeilen, bald würde der Morgen grauen und sie war noch mitten in der Stadt.
****
Die Alte ging von einem zum anderen. Die meisten waren Männer. Keine der Frauen schien unter 17 zu sein. Kein einziges Kind konnte sie entdecken. Endlich gab sie auf. Hockte sich inmitten der Toten auf den steinigen Grund und schloss resigniert die Augen.
Es war von vornherein ein Kampf mit geringen Aussichten auf Erfolg gewesen. Aber sie hatten es versucht. So viele Jahre, in denen zaghaft erste Hoffnung keimte ... vorbei. Jemand hatte sie entdeckt, vielleicht war auch einer in die Fänge der Killertruppen geraten und hatte um den Preis seines Lebens ihr Versteck genannt. Wenn, dann würde auch er tot sein. Worte die etwas galten, gab es da draußen nicht mehr.
Ein Geräusch riss sie aus den Bildern der Vergangenheit. Gedämpfte Schritte.
'Nun kommen sie, um zu sehen ob sie ganze Arbeit geleistet haben", murmelte sie.
Es wurde Zeit Abschied zu nehmen. Nur von wem?
Sie würde nicht jammern, nicht flehen. Vor dem Tod musste man keine Angst haben. Nur noch vor dieser kranken Hölle, in die sich die Welt verwandelt hatte.
Sie erhob sich, straffte die Schultern und ging ihnen entgegen.
Noch eine Biegung.
Eine junge Frau stand mit entsetzt aufgerissenen Augen vor ihr, presste ein wimmerndes Bündel an den ausgemergelten Körper und sackte auf die Knie.
Rena öffnete den Mund, aber alle Worte des Trostes und der Hoffnung waren verbraucht. Die Zeit hätte auch nicht mehr gereicht. Vor den Tunneln brüllten Motoren.
Sie kamen zurück.
Das Kind, weit vor der Zeit zur Frau gereift, sah Rena fest in die Augen. Eine letzte Bitte stand in ihnen. Klar und endgültig.
Rena Jenkins beugte sich hinab und ergriff einen scharfkantigen Stein.
****
Sie würde ihre Kinder gleich sehen. Würde sie um Verzeihung bitten, dass sie ihr Versprechen nicht gehalten hatte sie zu beschützen. Würde ihren Mann sehen und Abbitte dafür leisten, dass sie nicht an seiner Seite war, um mit ihm um das Leben der Kinder zu kämpfen, um an ihrer Seite zu sterben.
Es gab so vieles, was man ihr verzeihen müsste. Sie kannte den Urheber. Sah den Wahnsinn in seinen Augen. Sie hätte handeln müssen. Aber sie glaubte an die Vernunft der Masse, bis es zu spät war. Frank Hyde hatte die Welt gelehrt, dass ein einziger Mensch genügte, um ein mühsam errichtetes Gefüge aus den Angeln zu heben. Viele hatten es vor ihm versucht. Keiner hatte es geschafft.
Frank Hyde hatte die kranke Vision einer Welt ohne Schuldgefühle.
Frank Hyde hatte die Stimme erhoben und mit ihr die schwärzesten Triebe aus den Tiefen der menschlichen Gehirnwindungen gezerrt.
(bitte umblättern)
Epilog:
Ironie des Schicksals
2020 wurde ein geisteskranker Visionär auf dem Heimweg von einer seiner Kundgebungen Opfer eines Raubüberfalls ... die Beute:
Zwölf Dollar und achtzig Cent.
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2010
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Widmung:
Beitrag zum Wortspielthema:
"Das Geheimnis der Hemisphäre"