Erstes Registrieren im Unterbewusstsein.
Alarmvorbereitungen treffend, stürmt es aus dem hintersten Winkel meines Oberstübchens an die Front und
... ich sitze kerzengerade im Bett.
Ein Heulen. Ein schauriges Heulen.
Mit einem Fuß noch in der Welt der Träume, dauert das Begreifen einige gruselgänsehäutige Sekunden.
Sturmböen tanzen ums Haus, eine fuhr wohl versehentlich in meinen Kamin, kreischt wütend die unschuldige Asche an.
Dämlichkeit scheint nicht nur der Mensch gepachtet zu haben.
Schlaftrunken grinsend wiege ich mich wieder in Sicherheit.
Zu voreilig, ... ein schattenhaftes Etwas hockt an meinem Fußende.
Hockt einfach nur da und nickt einen Gruß in meine Richtung.
Ich kann nicht behaupten, dass höfliche Nachtgespinste beruhigender wirken.
Wäre ein verdammt guter Moment für einen Herzkasper, würde angenehm ablenken.
Mein Herz hingegen schlägt vor Empörung so laut, dass es in den Ohren dröhnt.
Verräter.
Der Schatten nickt noch immer.
Ich denke mir tröstend ein freundliches Lächeln dazu.
Das hält den Wahnsinn vorerst fern.
Was bist du, schreit es in meinen Gedanken.
Die Wahrheit, säuselt es leise zurück.
Ich atme auf, es hätte schlimmer kommen können.
Warum schleichst du dich nachts in mein Haus?
Weil du mich am Tag nicht einlässt.
Blödsinn, denke ich.
Kein Blödsinn, sagt die Wahrheit, sondern die Wahrheit.
Kein Platz für mich, am Tag macht sich die Lüge bei dir breit.
Ich begreife nichts und mosere gedanklich.
Wenn du die Wahrheit bist, dann mach deinem Namen endlich Ehre und sprich nicht in Rätseln.
Mein ungebetener Gast säuselt säuerlich in mein Gehirn.
Du lebst mit der Lüge, ohne Trauschein, aber in trauter Zweisamkeit.
Sie begleitet dich auf Schritt und Tritt, willst du das leugnen?
Gerade will ich eine empörte Antwort denken,
als ich begreife, es ist besser über das eben
Gehörte noch einmal nachzudenken.
Also denke ich nach.
Du meinst, ich bin ein Lügner?
Ja, sagt mein Gast, so ist es.
Warum kommst du zu mir? Es gibt schlimmere Lügner als mich.
Zufall. Irgendwo muss ich ja anfangen.
Klasse, denke ich, immer ich.
Und was soll ich jetzt tun?
Jag' die Lüge zum Teufel, lebe mit mir.
Du bist mir zu stressig, denke ich, mein Leben war bisher recht bequem.
Außerdem bist du hässlich.
Das war ich schon immer, sagt die Wahrheit. Deswegen will mich ja keiner.
Komm, lass es uns versuchen, ich bin müde.
Seit tausenden von Jahren suche ich einen festen Platz in der Gesellschaft der Menschen,
sieh mich doch an, ich bin nur noch ein Schatten.
Selbst schuld, liebe Wahrheit, wann immer du mir begegnet bist, setzte es Ohrfeigen. Das macht das Leben nicht leichter.
Da ist die Lüge weiß Gott geschmeidiger. Sieh dich um, ein eigenes Haus, ein flotter Wagen, eine hübsche Frau.
Und ein Job, den ich mit deiner Hilfe wohl kaum bekommen hätte.
Also was hätte ich davon, dich in mein Leben zu lassen?
Fühlst du dich wohl, fragt mein Gast. Ich meine, so richtig wohl?
Ich überlege kurz und muss zugeben, nein, es gab so manche Situation, in welcher ich mich klein und schmutzig fühlte.
Immer dann war die Lüge an meiner Seite.
Ich bin nicht der Einzige, sage ich, mache es eben,
wie alle anderen auch.
Dann fühle dich weiter unwohl in deiner Haut, flüstert die Wahrheit, und klingt enttäuscht.
Blöde Situation, ich will ja keinem weh tun.
Ok, sage ich, ich werde darüber nachdenken. Vielleicht überlege ich es mir und lebe ab morgen mit dir.
Ehrlich? Fragt hoffnungsvoll der Schatten und latscht mir voller Vorfreude auf den Füßen rum.
Ehrlich! sage ich.
Lege mich hin und schlafe, mit meiner Lüge kuschelnd, wieder ein.
Texte: Coverfoto: Darwin Bell
"the thin walk amongst us"
Quelle: www.piqs.de
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2010
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